von Laurien87
Kapitel 4
Das Erlebnis des Vormittags beschäftigte Elizabeth noch die nächsten Stunden. Sie hatte sich in die Bibliothek zurückgezogen, um die Schulbücher für Verteidigung zu studieren und die ersten Unterrichtswochen vorzubereiten. Vertieft in die Bücher vergaß sie das Mittagessen und vergrub sich stattdessen in ihr bisher unbekannte Literatur aus der verbotenen Abteilung. Erst am späten Nachmittag wurde sie von ihrem Magenknurren in die Gegenwart zurückgeholt, klappte die Bücher zu und ließ sie mit einigen geschickten Schwüngen ihres Zauberstabes in die Regale zurückschweben. Noch etwas in Gedanken verließ sie die Bibliothek und folgte den langen Gängen in den vierten Stock. Ihr Blick flog durch die Fenster, über Ländereien, blieb am sommerlichen Spiel der Wolken hängen, bis sie auf einmal…
„Autsch… oh… eh… Entschuldigung!“, ohne auf ihren Weg zu achten, war sie plötzlich gegen etwas Weiches gelaufen.
„Sieh einmal an, wen haben wir denn da?“, hörte sie eine süffisante Stimme sagen. Sie hob ihren Kopf und sah einen Mann, den sie bisher noch nicht kannte. Blonde lange Haare fielen über seine Schultern und seinen schwarzen, eleganten Umhang. Er lächelte leicht, aber seine Augen betrachteten sie kühl und abschätzig. Neben dem Fremden stand Professor Snape, der über das Zusammentreffen sehr ungehalten schien.
Wie aus einem Reflex heraus stellte Elizabeth sich vor.
„So eine junge Dame und schon Lehrerin?“, fragte der Herr und schien amüsiert, „Severus, du hast mir ja gar nicht erzählt, dass deine neue Kollegin so eine reizende Erscheinung ist.“ Er griff ihre Hand und führte sie an seine Lippen.
„Lucius Malfoy, es ist mir eine Ehre, Madame.“ Anscheinend war es der Mann gewöhnt, dass die Menschen in seiner Gegenwart das taten, was er von ihnen erwartet und auch Liz konnte sich seiner Präsenz und seiner Autorität kaum entziehen.
„Es tut mir sehr leid, Miss Ashford, aber Mr. Malfoy und ich haben geschäftliche Dinge zu besprechen. Wir werden Sie nun alleine lassen müssen“, schnarrte Snape ungeduldig.
„Aber, aber, Severus! Höflichkeit einer Dame gegenüber war ja noch nie deine Stärke. Unsere Gespräche haben Zeit. Ich möchte selbstverständlich die Gelegenheit nutzen und die neue Lehrerin meines Sohnes etwas kennenlernen. Immerhin sind Sie Lehrerin eines der wichtigsten Fächer, das an dieser Schule gelehrt werden, nicht wahr?“
Snape schnaubte verächtlich, sparte sich aber jegliche Widerworte.
„Sie haben einen Sohn an dieser Schule, Mr. Malfoy?“, Elizabeth war dieser Mann zwar unheimlich, aber gleichzeitig übte er auch eine merkwürdige Faszination auf sie aus. Und alleine die Tatsache, dass es Snape zu ärgern schien, dass Malfoys Interesse an ihr seine Pläne durchkreuzte, bereitete ihr Freude daran, die Unterhaltung mit Mr. Malfoy fortzusetzen.
„In der Tat, Miss Ashford, Draco geht in die 5. Klasse. Slytherin, falls sie sich mit den Gepflogenheiten der vier Häuser bereits vertraut machen konnten.“
„Ich muss leider zugeben, dass ich mich mit der Einteilung in die vier Häuser noch nicht weiter beschäftigt habe. Aber das werde ich natürlich umgehend nachholen.“ Warum kam sie sich in seiner Gegenwart nur wie ein kleines Schulmädchen vor, das seine Hausaufgaben nicht gemacht hatte? Malfoys Blick flackerte auf und sie hatte für einen Moment das Gefühl, wie ein Kaninchen vor der Schlange zu sitzen.
„Tun Sie das, Miss Ashford, es lohnt sich. Sie wären sicherlich eine kleine Gryffindor geworden, wenn Sie hier zur Schule gegangen wären. Ganz entzückend…“ Sie wusste nicht, ob er das Haus oder sie meinte, denn sein Blick glitt an ihrem Körper hinunter, als überlege er, sie als Nachmittagssnack zum 5 Uhr Tee zu verspeisen. Elizabeth schluckte. Ihre Erfahrung als Aurorin ließ in ihr alle Alarmglocken schrillen. Nun beruhige dich, Liz. Es ist der Vater eines Schülers und er darf im Schloss offenbar ein- und ausgehen. Das würde Professor Dumbledore wohl kaum erlauben, wenn von dem Herrn eine konkrete Gefahr ausgehen würde.
Unpassender Weise meldete sich genau in diesem Moment ihr Magen wieder zu Wort und knurrte.
Ein Lächeln huschte über Malfoys Gesicht. „Severus, deine Kollegin scheint ja beinahe zu verhungern. Es wird sich doch wohl in diesem Schloss etwas zu Essen für sie auftreiben lassen, oder?“
Snape schnaubte erneut anstelle einer Antwort.
„Miss Ashford, wir würden uns freuen, wenn Sie uns ein wenig Gesellschaft leisten würden bei einer Tasse Tee. Und sicherlich werden sich auch ein paar Scones auftreiben lassen.“
Elizabeths Blick fiel auf Snape. Er machte eindeutig den Eindruck, als wäre es das letzte, was er sich wünschen würde, jetzt mit ihr eine gemütliche Teerunde zu veranstalten. Aber immerhin, Snape war am vorigen Abend mehr als unhöflich zu ihr gewesen und er schien sich außerdem selbst nie darum zu kümmern, ob andere Menschen sein Verhalten als Frechheit empfinden würden. Warum sollte sie ausgerechnet auf ihn Rücksicht nehmen? Außerdem hatte Mr. Malfoy durchaus Recht. Sie hatte Hunger und kannte sich bisher viel zu wenig im Schloss aus, um zu wissen, wie man außerhalb der Essenszeiten an eine Mahlzeit kommen könnte. Mit einem demonstrativen Lächeln zu Snape sagte sie: „Mr. Malfoy, es wäre mir ein Vergnügen.“ Und zu ihrer Überraschung bot der elegante Mann ihr einen Arm an und steuerte mit ihr geradewegs auf das nahegelegene Treppenhaus zu.
Snape folgte ihnen mit einigen Schritten Abstand und schien zu vor Wut zu schäumen. Liz wusste zwar nicht warum, aber es war ihr auch egal. Definitiv hatte Snape es verdient, dass nicht alles immer nach seinen Vorstellungen lief. Während sie sich offenbar auf den Weg in die Kerker machten, führte Mr. Malfoy eine höfliche und äußerst zuvorkommende Unterhaltung mit ihr. Er wusste vieles über das Schloss und seine Geschichte, berichtete von vergangenen Schulleitern und ihre grundsätzlichen pädagogischen Haltungen. Dabei berührte er Elizabeth immer wieder an ihrer Hand und Schulter. Ich habe immerhin beschlossen, mich zumindest ein paar Tage mehr um mich selbst und weniger um die Vernunft und den großen Kampf gegen das Böse zu kümmern, sagte sie sich. Wenn dieser elegante und offenbar einflussreiche und hoch gebildete Mann sie anziehend fand, wieso sollte sie nicht ein bisschen auf seine Annährungsversuche eingehen. Gegen einen kleinen Flirt am Nachmittag war ja wohl nichts einzuwenden. Da konnte Snape sie für noch so unprofessionell halten. Das Schuljahr hatte nicht einmal begonnen und sie hatte ja nicht vor, mit dem Vater eines Schülers ein Verhältnis zu beginnen. Liz merkte nur einfach, wie gut es tat, einmal auf diese Weise von einem Mann beachtet zu werden. Ihr ganzes Leben lang hatte sie gekämpft und ihre privaten Bedürfnisse stets dem Beruf untergeordnet. An ein letztes Date konnte sie sich kaum noch erinnern. Da würde wohl niemand, der bei Verstand war, etwas dagegen haben, dass sie mit diesem zuvorkommenden Herrn hier eine Tasse Tee trank. Und immerhin war Snape als Anstandsdame ja wohl auch noch dabei.
Snape beobachtete Lucius Malfoy, der Elizabeth zielstrebig durch die Korridore führte. Bilder blitzten vor seinem inneren Auge auf. Grausame Bilder von Überfällen und Vergewaltigungen, bei denen er Malfoy gesehen hatte. Bei denen er sogar gezwungen war mitzumachen, um seine Tarnung als Spion für die dunkle Seite nicht auffliegen zu lassen. Und ausgerechnet diese angebliche Meisterin der Verteidigung gegen die dunklen Künste fiel ohne weiteres auf das süßliche Gerede dieses Despoten herein. Eines war Severus klar: Er durfte die beiden keine Sekunde aus den Augen lassen. Ansonsten war es ohne weiteres möglich, dass Elizabeth Ashford ihren ersten Schultag an dieser Schule nicht mehr erleben würde.
Was für eine Wahl als neue Lehrerin für dieses Fach, beglückwünschte Snape Dumbledore in Gedanken sarkastisch. Als hätte er mit seiner Verantwortung im Kampf von Licht und Schatten nicht schon genug zu tun. Jetzt durfte er auch den Babysitter für diese Möchtegern-Aurorin spielen.
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