von Muggelchen
Anne und Sirius hatten beschlossen, mit der Hochzeit noch zu warten, denn Anne bestand darauf, zunächst eine Zeit lang das „gemeinsame Wohnen“ auszuprobieren. Zwar war Sirius schon sehr häufig bei ihr in der Wohnung gewesen und hatte dort auch schon etliche Male übernachtet, doch das war etwas anderes. Sie hatten keinen gemeinsamen Haushalt. Er hätte am liebsten gleich ein großes Haus in der Zaubererwelt erworben, denn nachdem Harry vor Monaten bei Gringotts einen Antrag eingereicht hatte, war sein Vermögen – Harrys Erbe von Sirius – wieder von Harrys getrennt worden und man hatte es in einem eigenen Verlies untergebracht. Allein seine Abstammung aus einer wohlhabenden Reinblüterfamilie hatte ihn so reich gemacht, dass er im Leben keinen Finger mehr krumm machen müsste, doch Anne war da ganz anders.
„Ich werde meinen Job nicht aufgeben! Wenn du glaubst, ich lasse mich von dir einfach hinter den Herd stellen…“
„Aber wie sollst du denn dahinter passen? Zwischen Herd und Wand ist doch so wenig Platz“, scherzte er, doch ihr war nicht nach Witzen zumute.
„Wie sieht das eigentlich mit meinen ganzen Verwandten und Freunden aus? Darf ich denen von dir erzählen oder ist die Anzahl der Menschen, denen ich von der Zaubererwelt erzählen darf, begrenzt? Nicht, dass nach einer feuchtfröhlichen Party diese Vergissmich-Arschlöcher auftauchen und alles wieder zunichte machen“, sagte Anne beunruhigt.
„Ähm“, war das Einzige, was Sirius darauf erwidern konnte, denn er wusste nicht, wie andere Zauberer, die sich mit Muggeln liierten, solche Fragen gelöst hatten. Er wusste nicht einmal genau, wie Lily das damals mit ihren Verwandten gehandhabt hatte, denn als junger Mann hatte er sich für solche Dinge nicht interessiert.
„Mehr hast du nicht zu sagen als ’ähm’? Na ja, ich werde mal Beth fragen, wie Frank es mit seinen Freunden gemacht hat“, sagte sie entschlossen.
Nach einem Moment fragte er kleinlaut: „Warum willst du diesen Job überhaupt behalten? Du schimpfst doch immer nur über deine Kollegen und deinen Chef. Warum hältst du trotzdem daran fest?“
Sie seufzte zunächst und überdachte ihre Antwort genau, bevor sie sagte: „Ich werde mich finanziell nicht abhängig machen.“
„Aber warum?“, fragte er mit großen treuen Hundeaugen, so dass sie ihm einen Kuss auf die Wange geben musste.
Sie erklärte ihm, dass eine ihrer Freundinnen den „Mann ihres Lebens“ kennen gelernt hatte, mit ihm zwei Kinder in die Welt setzte und er sie nach zweieinhalb Jahren sitzen gelassen hatte. Aufgrund der Kinder bekam sie keinen Job mehr und der Mann war auf und davon und zahlte keinen Unterhalt, so dass sie letztendlich von Sozialhilfe leben müsste, bis die Kinder aus dem Haus wären.
„Traust du mir etwa nicht?“, fragte Sirius mit Wehmut in der Stimme.
Sie tätschelte seinen Oberschenkel, bevor sie erwiderte: „Lass uns zusammenziehen und das Ganze auf die Probe stellen.“
„Mir ist die Wohnung zu klein!“, sagte er eingeschnappt.
„Dann nehmen wir uns eben eine größere, aber du zahlst dann auch die Hälfte der Kosten“, schlug sie lächelnd vor.
„In der Zaubererwelt!“, verlangte er.
„Nein, in der Muggelwelt!“, konterte sie.
„Dann werden wir uns aber, falls wir uns wirklich in der Muggelwelt niederlassen, einen Kamin einbauen und beim Zaubereiministerium einen Antrag auf den Anschluss ans Flohnetzwerk stellen!“, stellte er klar.
„Aber wir dürfen nicht einfach in einer Mietwohnung einen Kamin einbauen lassen, Sirius“, erklärte sie.
Trotzig konterte er: „Dann kaufen wir eben ein eigenes Haus!“
„Welches du bezahlen musst, weil ich nicht so viel Geld habe und dann wird es dein Haus sein, während ich meine Wohnung aufgeben muss und…“
Er unterbrach sie mit einem innigen Kuss. Nach einem Moment, der wie eine Ewigkeit währte, sagte er mit heiserer Stimme: „Auch wenn die Verlobung mit dir so schwer anläuft, werde ich dich trotzdem heiraten. Brauchst gar nicht zu glauben, dass du mich loswirst!“ Dann lächelte er breit und fiel wieder über sie her.
Mit Wobbel an seiner Seite konnte Harry wieder aufatmen. Er fĂĽhlte sich ohne die Spione endlich wieder frei. UnbekĂĽmmert konnte er sich mit allen Menschen um sich herum unterhalten, ohne irgendwelche gekĂĽnstelten Umschreibungen suchen zu mĂĽssen und er konnte wieder essen, ohne dass ein Elf auf den Tisch sprang und mit einem Bein in seinem MĂĽsli stand.
Der Name seines eigenen Hauselfs war für seine Ohren der bisher komischste, den er je gehört hatte, aber so ungewöhnlich „Wobbel“ auch klingen mochte – er war eine wahre Hilfe! Er unterschied sich von all den anderen Elfen, denen Harry bisher über den Weg gelaufen war, denn er drückte sich völlig normal, wenn auch überaus höflich, aus und sprach nicht, wie zum Beispiel Dobby, immer von sich in der dritten Person. Außerdem war sein Elf manchmal so dreist, ihn an seine Aufgaben zu erinnern, wie neulich, als Wobbel gesagt hatte: „Mr. Potter, Sir. Sie haben noch jede Menge Hausaufgaben durchzuschauen. Vielleicht sollten Sie Ihre Verabredung mit Miss Granger um eine Stunde verschieben?“ Wenn das für einen Hauselfen nicht frech war? Natürlich erinnerte Wobbel ihn aber auch an wichtige Termine, wofür Harry dankbar war, denn es sah für einen Lehrer nicht gut aus, zum Termin der Strafarbeit, die er selbst den Schülern auferlegt hatte, zu spät zu kommen.
Neulich gab es eine kleine Auseinandersetzung mit Severus, der ihm und Hermine vor wenigen Tagen anvertraut hatte, bestohlen worden zu sein. Harry hatte angeboten, Wobbel auf die Suche zu schicken, doch hier hatte sich Severus vehement gesträubt. Das käme gar nicht in Frage, hatte sein Kollege aufgebracht gesagt. Severus wollte noch immer nicht erklären, um was es sich bei dem entwendeten Gegenstand handeln würde und warum sich dadurch die Fronten zwischen ihm und Albus verhärten könnten.
Seine viel zu spärlichen Informationen hatten Hermine zur Weißglut gebracht, so dass sie aufgebracht zu Severus gesagt hatte: „Müssen Sie immer alles so erschweren? Herrgott, wenn wir nicht einmal wissen, nach was wir suchen, wie zum Henker sollen wir es denn jemals finden? Wissen Sie, Professor Snape: Es war wesentlich einfacher, die ganzen Horkruxe von Voldemort zu finden und sie zu zerstören als Sie zum Reden zu bewegen!“
Harry hatte bemerkt, dass Severus etwas perplex über die emotionale Entladung seiner Schülerin gewesen war, doch offenbar hatte er nun endlich verstanden, dass er nicht um Hilfe bitten konnte, wenn er nicht einmal einen Hinweis darauf geben wollte, was die Pergamentrollen beinhalten würden und so entschloss sich sein Kollege leider dazu, sein Hilfegesuch einfach wieder zurückzuziehen. Hermine hatte daraufhin nur verärgert ihren Kopf geschüttelt und enttäuscht geschnauft, um ihm somit ihre Meinung über sein Verhalten mitzuteilen, doch sie hatte ihn ansonsten in Ruhe gelassen, denn es war letztendlich seine Entscheidung.
Anfang der dritten Augustwoche – Ginny würde Ende nächster Woche ihr Baby bekommen – kam Harry wie üblich morgens bei Severus vorbei, um den Hund auszuführen. Sein älterer Kollege wirkte nervös und schien sich etwas ausgelaugt zu fühlen, weswegen Harry ihm anbot, doch einfach mitzukommen und tatsächlich nahm Severus das Angebot an.
„Wissen Sie, Severus, Hermine hat völlig Recht“, sagte Harry während ihres Spaziergangs mit dem Hund.
„Auf was genau spielen Sie an?“, fragte sein Kollege irritiert.
„Ich meine, dass es einfacher war, die Horkruxe zu finden als etwas von Ihnen in Erfahrung zu bringen.“ Severus wollte gerade etwas entgegnen, da machte Harry mit einer Geste seiner Hand deutlich, dass er zunächst das loswerden wollte, was ihm auf dem Herzen lag und so erklärte er: „Es handelt sich hier doch um zwei Dinge. Das Erste: Sie möchten die Pergamentrollen zurückhaben! Das allein sollte kein Problem darstellen. Aber Punkt zwei ist das, was Ihnen eigentlich zu schaffen macht. Sie befürchten nämlich, dass Sie gelesen werden, nachdem sie gefunden wurden. Beim Suchen können wir Ihnen helfen, Severus. Mein Elf könnte sie finden, da bin ich mir sicher. Was den zweiten Punkt betrifft: Da müssen Sie uns einfach vertrauen, wenn wir Ihnen versprechen, dass wir keinen einzigen Blick hineinwerfen werden.“ Harry seufzte einmal, bevor er noch hinzufügte: „Natürlich liegen Sie völlig richtig, wenn Sie denken, dass wir beide – Hermine und ich – vor Neugierde fast platzen, aber wir haben bisher unsere Versprechen immer gehalten.“
Mindestens zehn Minuten vergingen, in denen keiner ein Wort sagte, denn Severus benötigte Zeit zum Nachdenken. Er fand es ungewöhnlich, aber erleichternd, dass Harry offensichtlich genau zu wissen schien, weshalb er sich so gegen ihre Hilfe sträubte.
„Harry, wenn Sie davon ausgehen, dass Ihr Hauself keine Probleme haben wird, meine Pergamentrollen zu finden und sie zu mir zurückzubringen, dann würde ich mittlerweile in Betracht ziehen, Ihr Angebot anzunehmen, aber nur unter mehreren Bedingungen!“ Harry lauschte aufmerksam, als Severus seine Forderungen stellte.
Nachdem Severus seine Ausführungen beendet hatte, sagte Harry grinsend: „Wow, Sie gehen auf Nummer sicher oder? Okay, dann machen wir das so, wie Sie es möchten.“
Harry rief Wobbel zu sich, der immer erschien, wenn er seinen Namen laut sagte. Mit einem lauten Plop stand der Elf plötzlich vor den beiden Zauberern und der Hund erschreckte sich im ersten Moment über das abrupte Auftauchen.
„Mr. Potter, wie kann ich Ihnen dienlich sein?“, fragte der Hauself höflich. Sogleich begann Harry mit seinem Befehl, der die Länge einer Kurzgeschichte aufwies. Immer wieder verbesserte Severus den Befehl an Wobbel und Harry wiederholte alles, was sein Kollege sagte. Wobbel nickte immerfort und hörte seinem Meister aufmerksam zu.
Nachdem zu Severus’ Zufriedenheit der Befehl ausgesprochen war, wiederholte Wobbel in Kurzform: „Also: Ich suche die gestohlenen Pergamentrollen von Professor Snape und wenn ich Sie gefunden habe, bringe ich Sie sofort – ohne Umwege – zu ihm zurück. Ich darf keiner Menschenseele die Pergamentrollen zu zeigen oder von ihnen zu erzählen; nicht einmal Ihnen, Mr. Potter. Sie als mein Meister können im Nachhinein in Bezug auf diesen eben gegebenen Befehl nichts mehr an ihm ändern, selbst wenn Sie es versuchen würden, korrekt so?“
„Ähm…“ Harry blickte fragend zu Severus hinüber, der lediglich nickte, so dass Harry zu Wobbel sagen konnte: „Ja, so ist es korrekt!“
„Gut, dann möchte ich mit Professor Snape einen Moment alleine sprechen“, sagte der Hauself mit ernster Miene. Harry wurde tatsächlich von seinem eigenen Hauself weggeschickt, aber das war in Ordnung, solange er Severus damit einen Gefallen tun konnte.
Nach wenigen Minuten war Wobbel verschwunden und Severus holte Harry wieder ein, der natürlich gleich fragte: „Was wollte er denn von Ihnen wissen?“
„Ich sollte ihm lediglich die Zauber nennen, mit denen ich die Pergamentrollen vor neugierigen Augen geschützt habe. Hauselfen, so erklärte er zumindest, können Dinge viel besser finden, wenn sie nach magischen Signaturen Ausschau halten und nicht nach dem Gegenstand selbst“, erklärte Severus.
Harry nickte und entgegnete nur: „Klingt logisch.“
Albus hatte, obwohl sich Harry sicher war, dass die spionierenden Hauselfen ihm von seiner ganz offensichtlich an den Direktor gerichteten Nachricht informiert haben mussten, bisher kein Gespräch mit Harry gesucht, aber das war ihm mittlerweile egal. Es lag an Albus, den ersten Schritt zu machen und ihn zur Rede zu stellen, doch der schien sich nicht einmal dafür zu interessieren, dass Harry jetzt einen eigenen Hauself beschäftigte. Es war aber auch nicht so, dass Albus ihn ignorierte. Ab und an wechselten sie wieder wie früher ein freundliches Wort, so dass Harry schon glaubte, Albus hätte den Irrsinn seiner fixen Idee endlich begriffen und alles würde zur Normalität zurückkehren.
Dobby half gerade Winky in der KĂĽche, das Abendessen herzurichten, da bemerkten beide einen Hauself, den sie nie zuvor gesehen haben.
„Winky, sie doch mal dort drüben!“, sagte Dobby, der große Augen machte. Winky schaute hinüber und bemerkte den anderen Elf, der etwas zu suchen schien. Als sie wieder zu Dobby blickte, bemerkte sie, dass er zitterte.
„Was hat Dobby nur? Kennt Dobby ihn?“, fragte sie leise, doch er verneinte. Dobby ahnte jedoch, dass dieser Elf den Auftrag haben musste, etwas zu suchen, denn immer wieder schnippe der Fremde mit den Fingern und schickte, ähnlich wie eine Fledermaus ihre Ultraschalllaute ausstieß, einige magische Wellen raus, die gleich darauf zu ihm zurückkehrten. Auf diese Weise war es für Hauselfen recht leicht, etwas zu finden, denn sie brauchten nicht jede Ecke abzusuchen, sondern schickten nur ihre Findezauber, doch nach welchen magischen Signaturen suchte der fremde Elf?
Um herauszufinden, welche Zaubersprüche benutzt wurden, schnippte Dobby zeitgleich mit dem anderen Elfen mit seinen eigenen Fingern. Nachdem das Echo zu Dobby zurückgekehrt war, wusste er, dass der fremde Elf nach fünf magischen Signaturen suchte, die ihm wohl bekannt waren. Scheu blickte sich Dobby um. Seine anderen Kollegen schienen sich von dem fremden Elf, der sich in der Küche aufhielt und sie magisch durchstöberte, nicht gestört zu fühlen.
„Dobby, sag Winky, was los ist!“, sagte die besorgte Elfe dieses Mal mit Nachdruck.
„Winky, geh rüber zu dem Elf! Lenk ihn ab, sofort!“, forderte er mit bebender Stimme. Dobby war so verängstigt, dass sie es nicht wagte, ihm zu widersprechen oder weitere Fragen zu stellen und so ging Winky hinüber zu dem anderen Elf und begann ein unverfängliches Gespräch mit ihm, so dass der das Fingerschnipsen für einen Moment vergaß.
Nach einem weiteren Schnipsen hielt Dobby zwei Pergamentrollen in der Hand und gleich darauf löste er sich in Luft auf, nur um wenige Sekunden später bei Harry im Büro zu erscheinen.
„AH, bei Merlin – erschreck mich nie wieder so!“, meckerte Harry, der sich eine Hand an sein wild schlagendes Herz hielt. Das plötzliche Auftauchen von Elfen oder von den Zwillingen jagte ihm immer wieder einen Schrecken ein.
„Dobby ist untröstlich, Harry Potter! Bitte verzeihen Sie einem dummen Hauself wie Dobby, Sir“, sagte Dobby betrübt und mit hängenden Ohren. Tränen sammelten sich in den großen Kulleraugen, so dass Harry sich gleich bei ihm entschuldigte. In dem Moment, als er Dobby anblickte, bemerkte er auch die beiden Pergamentrollen, die der Elf bei sich trug.
„Was… Dobby, was ist das da?“, fragte Harry mit leiser Stimme und plötzlich begann Dobby zu heulen. „Dobby, nicht weinen. Hör auf, ja? Bitte!“, sagte Harry, der seinem Freund eine Hand auf die Schulter legte, um ihn zu trösten.
„Harry Potter ist immer so nett zu Dobby… behandelt Dobby immer wie einen Freund“, schluchzte der Hauself.
„Weil du mein Freund bist, Dobby! Ich hab mich nur erschrocken… ich wollte dich nicht…“
Doch Dobby unterbrach Harry und sagte laut und weinerlich: „Dobby war böse gewesen! Dobby wollte doch nur helfen und jetzt sieht es so aus, als hätte Dobby es weggenommen!“
Dobby heulte so laut, dass Harry aus lauter Verzweiflung einen Stillezauber auf sein Zimmer legte, damit niemand glauben würde, in seinem Büro würde womöglich ein Alarm schrillen. Der Elf war kaum zu beruhigen und so blieb Harry nur die Möglichkeit, Dobby mit einem Gespräch abzulenken.
„Beruhige dich. Ich verspreche dir, dass ich nicht mit dir schimpfen werde, aber du musst mir unbedingt sagen, was das ist, was du da in den Händen hältst“, sagte Harry mit ruhiger Stimme, obwohl er bereits eine Ahnung hatte.
Immer wieder schluchzte Dobby und Harry begrüßte es, dass der Elf nicht nur eigene Kleidung besaß, sondern mittlerweile auch mit der Anwendung eines Taschentuches vertraut war. Dobby schnäuzte sich lautstark und trompetend und sagte gleich darauf, er würde sich selbst für sein Handeln bestrafen müssen, doch letztendlich erklärte er: „Dobby wusste von den Hauselfen, die Harry Potter und seine Freunde verfolgten, aber Dobby steht in Professor Dumbledores Diensten und durfte nichts machen. Dobby hat auch gesehen, wie ein Elf eines Abends diese beiden Rollen in die Küche brachte. Es war nicht recht, Harry Potter etwas wegzunehmen und nur deswegen hat Dobby das hier“, Dobby wedelte mit den beiden Pergamentrollen, „von dem Elf gestohlen und selbst versteckt. Aber jetzt… jetzt kommt dieser Fremde und sucht danach und Dobby hat Angst bekommen.“
Wieder heulte Dobby auf und Harry klopfte ihm beruhigend die Schulter. Nachdem sich Dobby wieder etwas beruhigt hatte, gab er Harry die beiden Rollen, von denen der Elf glaubte, dass sie ihm gehören würden. Harry würde einen Besenstil vertilgen, wenn es sich hierbei nicht um die beiden Rollen handelte, die Severus vermisste, doch er musste sichergehen. So entrollte er das erste Stück Pergament und hielt einen Moment inne, als ihm nach dem ersten Absatz bewusst wurde, dass Severus geträumt haben musste, von Voldemort gerufen zu werden. Severus hatte angemerkt, dass dieser Traum anfangs sehr real schien, bis er zur gewünschten Stelle appariert war. Neugierig las Harry weiter; las von der trockenen Weinrebe, die plötzlich erblühte und seiner Stimme, die zu Severus sagte, es wäre an der Zeit, die Rebe zu schneiden. Doch dann, als er Severus’ winzige Schrift weiterverfolgte, bildete sich ein Kloß in seinem Hals: Harry selbst, auf einem Thron aus Perlen.
Das erste Pergament war hier zu Ende und Harry platzte fast vor Neugierde. Er hatte sich zwar davon überzeugt, dass es tatsächlich Severus’ Pergamente waren, aber jetzt er musste die zweite Rolle unbedingt auch noch lesen! Wie konnte Severus es wagen, auf der ersten Seite so einen fiesen Cliffhanger einzubauen?
In der zweiten Rolle stand, dass Harry Severus’ Hand genommen hätte, um von ihr alte, raue Haut abzustreifen, die einer Schlangenhaut glich. Gleich darauf wurde Severus von einem Einhorn davon abgehalten, fliehen zu können. Sein Herz raste, als er las, wie Severus im Anschluss vor Schreck erstarrte, weil Harry mit seinem Zauberstab das Dunkle Mal berühren wollte. Der Traum war hier zu Ende und sein älterer Kollege hatte am Ende angefügt, dass er glaubte, im Schlaf geweint zu haben.
Einen Moment lang musste Harry das eben Erfahrene verdauen. In dem Fach Traumdeutung war er immer schlecht gewesen, was Trelawney sicherlich jederzeit gern bestätigen würde. Für wenige Sekunden erinnerte er sich daran, wie Ron und er während ihrer Schulzeit ausgedachte „Träume“ niedergeschrieben hatten, um sie als Hausaufgabe für Trelawney deuten zu können, aber das nur, weil Harry damals wegen Voldemort ständig Alpträume gehabt hatte, die er niemandem hatte preisgeben wollen. Sein Magen zog sich zusammen, als er glaubte zu wissen, dass Severus genauso viel dran liegen müsste, seinen eigenen Traum ebenfalls für sich zu behalten, denn der Inhalt war äußerst heikel.
Schnell schüttelte Harry sämtliche Schuldgefühle von sich ab, denn er überlegte, ob dieser Traum womöglich etwas beinhalten konnte, mit dem man seinem Kollegen helfen könnte. Vielleicht irgendein Hinweis auf früher? Noch immer hatten Ron, Hermine und er nicht einen einzigen, stichhaltigen Anhaltspunkt, was vor etwa zwanzig Jahren mit Severus geschehen sein könnte. Es war ja nicht zu übersehen, dass Severus nach Voldemorts Sturz eine Veränderung seiner Persönlichkeit durchlebte, was sich der Tränkemeister selbst nicht erklären konnte. Aber so schlimm hörte sich der Traum eigentlich gar nicht an, dachte Harry. Die Empfindungen, die Severus nämlich auch auf den Pergamenten notiert hatte, bestärkten Harrys Gefühl, dass eine Deutung des Traumes keine bedenklichen Ergebnisse ans Tageslicht bringen würde. Bis auf den kleinen Schrecken mit dem Einhorn, bei dem Severus selbst noch angemerkt hatte, dass es ihm gegenüber nicht angriffslustig gewesen wäre, hatte der gesamte Traum sich eher friedvoll abgespielt. Einzig das Ende war beunruhigend und das auch nur, weil man nicht erfahren hatte, was geschehen würde, wenn Harry mit seinem Zauberstab das Dunkle Mal auf Severus’ Unterarm tatsächlich berühren würde. In diesem Moment fragte sich Harry, was in der Realität geschehen könnte, wenn er genau das ausprobieren würde, aber wollte er es tatsächlich darauf ankommen lassen?
Mit einem Male wurde Harry sich darüber bewusst, warum Severus wegen der abhandengekommenen Schriftrollen so nervös war. Würde Albus das hier lesen, wäre es für ihn wahrscheinlich nur ein gefundenes Fressen, das bestätigen würde, was er eh schon vermutete, nämlich dass Harry ein neuer Dunkler Lord sein würde, selbst wenn der Traum, besonders die Empfindungen von Severus, nicht angsteinflössend gewesen waren. Die vorherrschende Farbe im Traum war weiß, was schon einmal nicht schlecht sein konnte. Die Räume waren hell gewesen, alles war ruhig und bis auf das unbefriedigende Ende wirkte nichts besorgniserregend.
Jetzt machte sich ein weiteres Gefühl in Harry breit: Schuld. Oh je, er hätte es gar nicht lesen sollen, schalt er sich in Gedanken. Wie sollte er Severus wieder unter die Augen treten, nachdem er ihm die Pergamentrollen übergeben hätte? Was hatte Harry nur getan? Er hatte sein Versprechen gebrochen, auch nur einen Blick hineinzuwerfen. Sein Kollege würde sofort merken, dass etwas nicht stimmen würde – dass es nicht Wobbel gewesen war, der die Rollen gebracht hatte, sondern…
„Dobby, du musst mir zuhören! Du darfst niemanden erzählen, dass du die Rollen hattest und ich sie gelesen habe! Du bringst diese Rollen zurück in die Küche und sorgst dafür, dass der andere Elf sie findet! Der andere heißt…“, er durfte den Namen nicht nennen, sonst würde Wobbel sofort hier auftauchen. Harry fuhr anders fort und erklärte: „Er ist mein Hauself, verstehst du, Dobby? Ich war es – ich habe ihn geschickt, damit er das hier findet, aber er soll es nicht zu mir bringen, sondern zu jemand anderen. Ich möchte, dass das auch genauso vonstatten geht, wie vorgesehen war! Bitte sorge dafür, dass der andere Elf das findet und dann ist alles wieder gut!“ Harry hatte sehr hastig und besorgt gesprochen. Es könnte noch alles glattgehen, hoffte er.
Sirius hatte verschiedene Zeitungen durchforstet, um nach Wohnungen zu suchen, wobei ihm egal war, ob er auch in Zeitungen der Zaubererwelt stöberte, denn es gab einige Squibs, die in der Muggelwelt Wohnungen für Zauberer und Hexen anboten und in diesen Angeboten waren bereits Annehmlichkeiten wie Kamine mit Flohnetzwerkanschluß oder Eulenunterkünften inbegriffen. Wegen der anderen Bedenken, die Anne geäußert hatte, wandte er sich an Hermine und er fragte sie Löcher in den Bauch, wie sie damals, nachdem sie erfahren hatte, eine Hexe zu sein, mit ihren Freunden und Verwandten umgegangen war. Etwas bedrückt antwortete sie ihm auf jede seiner Fragen, so dass er sich am Ende mit diesen Informationen getrost an Anne wenden konnte.
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