Die Weasleys warten auf Weihnachten - Dezember: Fliegende Engel und Weihnachtskatzen
von ChrissiTine
7. Dezember: Fliegende Engel und Weihnachtskatzen
"So ... und jetzt muss das hier dran ... und dann muss ich diese Ecke knicken ... und das muss noch geklebt werden ... Moment, das war falsch ... das muss ans andere Ende ... so, und jetzt sollte es eigentlich klappen ...", murmelte Cathy vor sich hin, während sie mit Schere, Kleber und Papier hantierte. Sie knickte ein Papier noch einmal und blickte ihr Werk dann erwartungsvoll an. Leider sah das Ergebnis ganz und gar nicht so aus, wie in der Anleitung beschrieben. "So ein Mist!", rief sie und schmiss frustriert die Schere auf den Tisch.
"Was ist denn los, Cathy?", wollte Hermine wissen. Sie lag im Schlafzimmer auf dem Bett. Seit sie aus dem Büro zurückkam, hatte sie starke Kopfschmerzen, die einfach nicht weggehen wollten, egal, wie viele Tabletten sie auch schluckte. Diese ganzen Zusammenfassungen, die der jetzige Zaubereiminister verlangte, waren so zeitraubend und langweilig, da hatte Ron Recht. Er musste sich auch schon seit Tagen mit diesem Zeug rumschlagen - und er war nie jemand für das Schriftliche gewesen.
"Diese verdammten Engel werden nie so, wie ich sie will!", sagte Cathy wütend. Normalerweise war sie sehr geschickt im Basteln, aber heute wollte es einfach nicht klappen.
"Lass mich mal sehen.", meinte Hermine und stand langsam auf.
"Nein, Mum, du musst nicht kommen, du wolltest dich doch ausruhen.", protestierte Cathy. Sie hatte nicht gewollt, dass ihre Mutter aufstand, wenn es ihr doch nicht gut ging.
Aber Hermine winkte ab. "Das ist schon in Ordnung, mein Schatz, gegen diese Kopfschmerzen kann anscheinend gar nichts helfen, dann kann ich mich genauso gut auch ablenken.", lächelte sie und setzte sich neben ihre Tochter an den Tisch, der übersäht war mit buntem Papier, Wattebällchen, Schnüren, Tesafilm, Kleber, Schere und lauter zerknüllten Papierfetzen. "Also was hast du da genau?", fragte sie interessiert.
Cathy schob ihrer Mutter die Anleitung rüber, laut der ein wunderschöner eleganter Engel entstehen sollte. Hermine überflog sie und stellte fest, dass die Anweisungen ziemlich kompliziert waren. "Wo hast du die denn her?"
"Von Louise. Sie hat erzählt, dass das ganz einfach sein soll.", erklärte Cathy und ließ in Gedanken eine Schimpftirade auf ihre Freundin los. So viel zum Thema leicht!
Hermine starrte die Anleitung noch einen Moment lang an, dann trat ein verschmitztes Grinsen auf ihr Gesicht. "Weißt du was? Wir machen es uns einfach.", sagte sie, ging zur Kommode und nahm ihren Zauberstab, der dort lag.
Cathys Augen wurden groß. "Du willst zaubern?", fragte sie aufgeregt.
Hermine nickte. "Warum nicht? Sonst wird das doch nie was. Wir lassen uns einmal zeigen, wie das gemacht werden muss, und dann versuchen wir es ohne zaubern nachzumachen, einverstanden?"
Cathy nickte strahlend. Ihre Mutter hatte wirklich super Ideen.
Hermine räusperte sich und richtete ihren Zauberstab auf ein Blatt Papier. "Plicarius", dachte sie angestrengt. Einen Moment später konnten sie und Cathy beobachten, wie das Blatt sich langsam aufstellte und einmal knickte. Dann kam der Bleistift hinzu und fuhr die bereitgelegte Schablone auf dem Papier nach. Danach flog die Schere herbei und fing von an, alles präzise an den Rändern auszuschneiden ... Das ging so weiter, bis ein perfekter Engel vor ihnen stand.
"Wow!" Cathy hatte mit offenem Mund dieses Schauspiel beobachtet. Wenn sie doch auch schon zaubern könnte... "Das war cool, Mum."
Hermine nickte zufrieden und legte den Zauberstab wieder zurück auf die Kommode. "Meinst du, wir schaffen das jetzt genauso gut ohne Zauberei?", fragte sie Cathy und setzte sich neben ihre Tochter.
Cathy blickte ihre Mutter entschlossen an und strich sich die Haare aus dem Gesicht. Kampfbereit ergriff sie eine Schere. "Natürlich schaffen wir das!", sagte sie zuversichtlich.
/-/
Zwei anstrengende und zum Teil sehr frustrierende Stunden später saßen Mutter und Tochter mit zerzausten Haaren und vor Anstrengung roten Gesichtern am Küchentisch und starrten voller Stolz auf eine ganze Armee aus Papierengel. Die ersten sahen aus, als wären sie in einen lebensgefährlichen Kamp geraten, aber man konnte an jedem Engel sehen, wie sich die beiden verbessert hatten. Und die letzten sahen sogar noch besser aus als derjenige, den Hermine durch Zauberei gebastelt hatte.
"Die sehen toll aus.", stellte Cathy fest und grinste zufrieden. Gut, dass sie nicht aufgegeben hatte, obwohl sie einige Male schon kurz davor war. "Meinst du, die werden Dad gefallen?", fragte sie unsicher.
Hermine lächelte und nickte. "Natürlich werden sie das, mein Schatz." Ron gefiel alles, was seine Tochter gemacht hatte, das war schon so gewesen, als sie als sieben Monate altes Baby mit einem Bleistift einen Strich auf einem Papier gemacht hatte.
"Wir könnten doch auch ein paar Grandma und Grandpa mitbringen, wenn mir morgen zu ihnen fahren, oder?", fragte sie begeistert und musterte liebevoll die weihnachtlichen Papierfiguren. Da Mr und Mrs Weasley zu Weihnachten nicht in England waren - sie wollten ihren Sohn Charlie in Rumänien besuchen - hatten sie sich entschieden, die Familie zu einem "Vorweihnachtsfest" einzuladen. Sie würden das letzte Mal in dieser Konstellation feiern, schließlich kam bald das Baby von Ginny und Harry auf die Welt. Außerdem würde Bills und Fleurs Tochter Nathalie nächstes Jahr in Hogwarts anfangen.
"Ja, das können wir wirklich machen. Molly freut sich sicher darüber.", sagte Hermine lächelnd und betrachtete alle Engelchen ganz genau. Den schönsten suchte sie heraus und stellte ihn auf den Kaminsims, neben ihr und Rons Hochzeitsfoto, mehrere Bilder von Cathy und auch einige Gruppenbilder zusammen mit Harry und Ginny. Hier stellten sie alle von Cathy gebastelten Sachen hin, ein Männchen aus Tannenzapfen stand schon seit einer Weile dort, Cathy hatte es einmal auf einem Kindergeburtstag gebastelt, Steine, die sie bemalt hatte und andere Figuren aus Papier.
"Mum, kennst du vielleicht einen Zauber, der diese ganzen Engel fliegen lassen könnte?", fragte Cathy interessiert. Diese Idee war ihr gerade eben gekommen und sie fand sie sehr gut. Es war bestimmt lustig, diese Papierdinger fliegen zu sehen. "Ich meine so richtig fliegen, dass sie auch mit den Flügeln schlagen können und alles."
"Hmmm..." Hermine blickte nachdenklich aus dem Fenster und überlegte einen Augenblick, ob sie so einen Zauber kannte. Gut, dass sie Gardienen aufgehängt hatten, fiel ihr ein. Nicht auszudenken, wenn ein Nachbar irgendeinen Zauber gesehen hätte. Obwohl, sie waren in der Hauptstadt Großbrittaniens und da gab es einige merkwürdige Dinge. Sie holte ihren Zauberstab wieder, murmelte etwas und sofort erwachten die Engel zum Leben und fingen an, durch das Wohnzimmer zu flattern. Sie erinnerten Hermine ein kleines bisschen an die fliegenden Schlüssel damals, auf dem Weg zum Stein der Weisen.
"Toll, Mum.", sagte Cathy begeistert und lächelte. Hermine erwiderte das Lächeln. Es war immer ein schönes Gefühl, das eigene Kind glücklich und zufrieden zu sehen.
Plötzlich hörten sie das Schloss klicken und sahen, wie die Haustür aufgestoßen wurde. Er klitschnasser und missmutig dreinblickender Ron betrat die Wohnung. Man musste kein Inneres Auge haben, um zu erkennen, dass er schlecht gelaunt war. Und jetzt geschah etwas, das seine Laune nicht gerade hob. Kaum hatte der Schwarm fliegender Engel, die anfänglichen Versuche hinkten etwas hinterher, weil die Flügel schief waren, Ron erblickt, schon nahm er Kurs auf ihn und umkreiste seinen Kopf. Auf ihn wirkte das so, als würden ihn plötzlich lauter Fledermäuse umkreisen und er fing an, nach ihnen zu schlagen, weil sie ihn störten.
Hatte Cathy anfangs nur wegen Rons bedröppelter Miene gelacht, so fing sie jetzt an zu rufen: "Dad, lass die Engel in Ruhe!" Die ganze Arbeit, die sie sich gemacht hatten konnte in Sekundenbruchteilen zerstört werden!
Hermine hatte die Problematik sofort erkannt und zum Glück auch gleich den Rüchzauberspruch parat, sodass die Engelchen sehr bald von Ron abließen und ganz hoch an der Decke flatterten. Zwar hatten jetzt ein paar mehr angeknickte Flügel, aber alles in allem war keiner wirklich zu Schaden gekommen.
"Was war das denn?", fragte Ron erschrocken und starrte von seiner Frau zu seiner Tochter. Cathy hatte beruhigt festgestellt, dass alles mit ihren Kunstwerken in Ordnung war und so konnte sie wieder entspannt über das dumme Gesicht ihres Vaters lachen. "Was...?", fragte Ron irritiert, als Hermine und Cathy zu lachen anfingen. Er legte seine Aktentasche auf einen Tisch und schlüpfte aus seinem Umhang. Entrüstet starrte er die beiden wichtigsten Frauen in seinem Leben an. "Könntet ihr mir bitte sagen, was so lustig ist?"
"Nichts weiter.", prustete Hermine und versuchte sich das Lachen zu verkneifen. "Dein Gesicht ... das sah einfach nur ... das war einfach nur so komisch.", brachte sie nach einiger Zeit heraus. Rons Gesicht nahm einen leichten Rotton an.
"Und da müsst ihr unbedingt lachen? Ich finde das nicht witzig. Ich hab schließlich auch nicht gelacht, als du die Küche angezündet hast, Hermine!", sagte er beleidigt. Da kam er nach einem anstrengenden Arbeitstag nach Hause und musste sich erstmal von seiner Familie auslachen zu lassen.
"Entschuldige, Ron.", sagte Hermine, nachdem sie sich einigermaßen beruhigt hatte. "Ich weiß auch nicht, wieso die Engel plötzlich auf dich losgegangen sind, das war eigentlich nicht geplant. Vielleicht wollten sie einfach rausfliegen und du warst ihnen im Weg...", vermutete sie grinsend. Ron warf ihr einen wütenden Blick zu und ließ sich auf einen Stuhl sinken. Er wischte sich das nasse Haar aus der Stirn. "Ich glaube wenn du appriert wärst, dann wäre das nicht passiert."
"Du hast mir doch gesagt, ich soll nicht mehr apparieren. Und auch mit Flohpulver soll ich nicht reisen, weil dann so viel Asche im Kamin ist. Dann fahr ich schon extra mit der U-Bahn und laufe durch diesen ätzenden Schneeregen nach Hause und dann sagst du mir, dass ich doch hätte apparieren können?", sagte er wütend und schnaubte.
"Nein, das hab ich nicht gesagt. Ich bin froh, wenn du so wie jeder andere Muggel hier die öffentlichen Verkehrsmittel benutzt, sonst werden die Nachbarn misstrauisch und denken am Ende, dass du überhaupt nicht arbeitest.", erklärte Hermine beschwichtigend und setzte sich neben ihn. Cathy verfolgte schweigsam die kleine Auseinandersetzung ihrer Eltern. Hier wollte sie sich nicht einmischen, das sollten sie mal schön unter sich klären...
"Das kann denen doch egal sein.", meckerte Ron. "Es würde mir auf jeden fall sehr viel Zeit ersparen."
"Ron, du weißt doch, wie Nachbarn sind. Sie tratschen gerne, gehen allen Dingen auf den Grund, und wenn sie dich nie weggehen oder wiederkommen sehen, dann fragen sie sich, was du machst, stellen Nachforschungen an und dann kommen sie am Ende noch hinter unser Geheimnis. Willst du das?", erklärte sie ihre Beweggründe.
"Ist ja schon gut.", murmelte Ron beschwichtigend. Er hatte keine Lust, jetzt mit Hermine zu diskutieren oder zu streiten, dazu war sein Tag viel zu anstrengend gewesen. Und auch Hermine sah geschafft und kränklich aus.
"Das alles haben wir doch schon zehnmal besprochen, Ron.", sagte Hermine verständnislos. Ihre Kopfschmerzen, die während ihrer Bastelei wie weggezaubert waren, kamen langsam wieder zurück.
"Ich weiß.", sagte Ron augenverdrehend und starrte an Hermine vorbei aus dem Fenster. Er wollte ihren vorwurfsvollen und genervten Blick nicht sehen, der erinnerte sie irgendwie an Professor McGonagall und an die wollte er im Moment nicht unbedingt erinnert werden. Draußen war es dunkel, man konnte nicht einmal mehr diesen unangenehmen Schneeregen erkennen. Morgen würden die Straßen rutschig und voller Matsch sein. Na das würde was werden! Merlin sei Dank würden sie mit Flohpulver zum Fuchsbau reisen, alles andere wäre unzumutbar.
"Können wir nicht einfach das Thema wechseln?", bat Cathy ihre Eltern. Sie konnte es nicht ausstehen, wenn Ron und Hermine sich nicht verstanden, was in der letzten Zeit zum Glück nicht so häufig passiert war. "Wie wäre es, wenn ihr mir einfach irgendeine Weihnachtsgeschichte vorlest?", schlug sie vor. Ihre Eltern starrten sie entgeistert an. "Was? Das wäre doch ganz nett, oder nicht?"
"Und diese Geschichte muss sich nicht um Hogwarts drehen?", fragte Ron ungläubig. In der letzten Zeit mussten sich alle Geschichten um Hogwarts drehen, sonst wollte Cathy sie nicht hören.
Sie zuckte mit den Schultern. "Naja, ich glaube die meisten Geschichten um Hogwarts habt ihr mir doch schon erzählt, so ein bisschen Abwechslung kann ja nicht schaden. Und weil bald Weihnachten ist ... warum könnt ihr mir nicht einfach mal eine Weihnachtsgeschichte erzählen?"
"Okay, warum nicht?", sagte Ron angenehm überrascht und blickte zu Hermine, die seinen Blick erwiderte und die Stirn in Falten legte. Sie überlege, welche Geschichte sie Cathy vorlesen könnte. Als Kind hatte sie doch eine sehr gerne gehabt, das Buch hatte sie sicher noch irgendwo hier... Hermine stand auf und ging ins Schlafzimmer, wo einige Bücherregale standen.
"Wo willst du hin?", fragte Ron irritiert. Was hatte Hermine denn jetzt auf einmal vor?
"Ich suche nach dem Buch, in dem ich als Kind immer schon so schöne Weihnachtsgeschichten gelesen habe.", rief Hermine Ron und Cathy zu. "Warum macht ihr es euch nicht schon mal gemütlich, bis ich das Buch gefunden habe?", schlug sie vor. Ron musste sich schwer zurückhalten, ins Schlafzimmer zu stürmen, weil er da ein lautes Krachen vernommen hatte, aber er entschied, dass Hermine das Problem lösen konnte.
Ron und Cathy begaben sich zum Kamin, Cathy holte einige Kissen und Decken, während Ron versuchte, ein Feuer zu entfachen. Es war bei ihnen Tradition geworden, Geschichten immer am Kamin bei Feuerschein vorzulesen, alle fanden das gemütlicher und sofern es nicht Hochsommer und sehr heiß war, war es mit Feuer sehr viel schöner.
Ron und Cathy hatten es sich auf dem Boden schon gemütlich gemacht, Cathy lag bäuchlings auf einem Kissen und Ron lehnte neben dem Kamin an einem Kissen an der Wand, als Hermine strahlend mit dem Buch wieder kam.
"Was war das vorhin für ein Krach?", erkundigte Ron sich vorsichtig und blickte Hermine neugierig an, während sie sich neben ihm auf dem Boden niederließ. Cathy hob interessiert ihren Kopf und Hermine blickte schuldbewusst zur Seite.
"Ach nichts weiter. Das Regalbrett ist nur zusammengekracht, als ich das Buch rausgezogen hab. Ich glaub da standen zu viele Bücher drauf."
"Hast du das repariert?", wollte Ron sofort aufgeschreckt wissen.
"Das mach ich später mit einem Zauber.", erwiderte Hermine leichthin und lehnte sich an seine Brust. Sie hielt ihm das Buch vor die Nase. "Willst du lesen?", fragte sie gähnend. Plötzlich war sie so müde, zusätzlich zu dem Kopfschmerz ... Keine Ahnung, wo das herkam, sie war wohl überarbeiteter als sie dachte.
Ron nickte und nahm ihr das Buch aus der Hand. "Welche Seite?", fragte er und blätterte suchend durch das Buch, was durch Hermine, die es sich in seinen Armen sehr bequem machte, etwas schwierig war.
"Seite elf.", murmelte sie mit geschlossenen Augen. Cathy musste beim Anblick ihrer Eltern lächeln. Sie wirkten noch so verliebt wie auf den Fotos von früher, die Cathy sich manchmal in den alten Fotoalben anschaute.
Ron blätterte einige Seiten zurück und fand die Geschichte, die Hermine mochte. Die Seiten wirkten, als wären sie sehr oft gelesen worden, es waren einige Saftflecken darauf, sie waren etwas eingerissen und geknickt.
Er räusperte sich lautstark. Cathy musste grinsen. "Die Weihnachtskatze.", las er die Überschrift. Cathys Grinsen wurde breiter, als sie das Wort "Katze" hörte.
"Wenn ich an Weihnachten denke, fällt mir immer eine ganz bestimmte kleine Katze ein. Zum erstenmal begegnete ich ihr an einem Herbsttag, als Mrs. Ainsworth mich gebeten hatte, nach einem ihrer Hunde zu sehen. Überrascht schaute ich mir das kleine struppige Geschöpf an, das da vor dem Kamin saß.
"Ich wußte gar nicht, daß Sie eine Katze haben", sagte ich.
Mrs. Ainsworth lächelte. "Wir haben auch keine. Das ist Debbie. Sie ist eine Streunerin. Sie kommt zwei- oder dreimal in der Woche, und wir geben ihr etwas zu fressen."
"Haben Sie den Eindruck, daß sie bei Ihnen bleiben möchte?"
"Nein." Mrs. Ainsworth schüttelte den Kopf. "Sie ist ein scheues kleines Ding. Kommt hereingeschlichen, frißt ein bisschen, und schon ist sie wieder weg. Sie hat etwas Rührendes, aber sie will offenbar weder mit mir noch mit irgend jemand sonst etwas zu tun haben."
Ich sah mir die Katze wieder an. "Aber heute will sie nicht einfach nur gefüttert werden."
"Das stimmt. Es ist komisch, aber ab und zu kommt sie hereingehuscht und sitzt ein paar Minuten am Kamin. Als ob sie sich einmal etwas Gutes gönnen möchte."
"Ja, ich verstehe." Es war etwas Außergewöhnliches in Debbies Haltung. Sie saß kerzengerade auf dem dicken Teppich vor dem Kamin und machte keine Anstalten, sich zusammenzurollen oder zu putzen, sondern blickte nur still vor sich hin. Und irgend etwas an dem staubigen Schwarz ihres Fells, ihrem halbwilden, mageren Äußeren sagte mir, daß das hier ein besonderes Ereignis in ihrem Leben war, eine seltene und wunderbare Sache. Sie genoß voll Wonne eine Behaglichkeit, von der sie sonst nicht einmal träumen konnte.
Während ich sie noch beobachtete, drehte sie sich um, schlich lautlos aus dem Zimmer und war fort. "So ist das immer mit Debbie", lachte Mrs. Ainsworth. "Sie bleibt nie länger als zehn Minuten."
Mrs. Ainsworth war eine mollige Frau mit freundlichem Gesicht, etwas über vierzig und genau so, wie ein Tierarzt sich seine Kunden wünscht - wohlhabend, großzügig und Besitzerin von drei verhätschelten Bassets. Der für diese Rasse typische leidende Gesichtsausdruck brauchte sich nur ein wenig zu verstärken, und schon geriet Mrs. Ainsworth in größte Aufregung und eilte ans Telefon.
Meine Besuche bei Mrs. Ainsworth waren deshalb häufig, aber ohne ernsten Hintergrund, und ich hatte reichlich Gelegenheit, die Katze zu beobachten, die mich brennend interessierte. Einmal lagen die drei Bassets malerisch auf dem Kaminteppich und schnarchten, während Debbie in ihrer üblichen Haltung mitten unter ihnen saß - aufrecht, angespannt, den Blick traumverloren auf die glühenden Kohlen gerichtet.
Diesmal versuchte ich mich mit ihr anzufreunden. Mit geduldigem Schmeicheln und sanftem Zureden gelang es mir, mit einem Finger ihren Hals zu streicheln. Sie antwortete darauf, indem sie sich an meiner Hand rieb, wandte sich aber gleich danach zum Aufbruch. Sobald sie aus dem Haus war, schoß sie durch eine Lücke in der Hecke, und das letzte, was ich sah, war eine kleine schwarze Gestalt, die über das nasse Feld flitzte.
"Ich möchte nur wissen, wohin sie geht", sagte ich leise vor mich hin.
Mrs. Ainsworth stand plötzlich neben mir. "Wir sind bis heute nicht dahintergekommen.
/-/
Erst am Weihnachtsmorgen hörte ich wieder von Mrs. Ainsworth. Sie entschuldigte sich gleich: "Es tut mir so leid, Mr. Herriot, daß ich Sie ausgerechnet heute belästige." Aber bei aller Höflichkeit konnte sie die Sorge in ihrer Stimme nicht verbergen. "Es ist wegen Debbie. Irgend etwas stimmt nicht mit ihr. Bitte kommen Sie schnell."
Als ich über den Marktplatz fuhr, dachte ich wieder einmal, daß Darrowby an Weihnachten aussah wie zur Zeit von Charles Dickens: der menschenleere Platz mit dem hohen Schnee auf dem Kopfsteinpflaster, der auch von den Traufen längs der gitterbekrönten Dachkanten herabhing, die bunten Lichter der Christbäume, die durch die Fenster der dicht zusammengedrängten Häuser funkelten, freundlich und einladend vor dem kalten Weiß der dahinterliegenden Hügel.
Mrs. Ainsworths Haus war über und über mit Lametta und Stechpalme geschmückt; aus der Küche drang ein verführerischer Duft von Truthahn mit Salbei- und Zwiebelfüllung. Aber ihre Augen blickten sorgenvoll, als sie mich durch die Diele führte. Debbie lag regungslos auf der Seite, und dicht neben ihr, an sie geschmiegt, ein winziges schwarzes Kätzchen. "Ich habe sie einige Wochen nicht gesehen", sagte Mrs. Ainsworth. "Dann kam sie vor etwa zwei Stunden hierher - stolperte irgendwie herein und trug das Junge im Maul. Sie legte es auf den Teppich, und ich habe mich zuerst darüber amüsiert. Aber dann sah ich, daß etwas nicht stimmte."
Ich kniete nieder und fühlte mit der Hand über Debbies Hals und Rippen. Sie war magerer als je zuvor, ihr Fell war schmutzig und schlammverkrustet. Als ich ihr Augenlid herunterzog und die glanzlose weiße Bindehaut sah, wußte ich Bescheid. Während ich den Unterleib abtastete, schlossen sich meine Finger um einen harten Knoten tief in den Eingeweiden. Fortgeschrittenes Lymphosarkom. Endstadium und hoffnungslos.
Ich sagte es Mrs Ainsworth. "Sie liegt im Sterben - im Koma; sie leidet nicht mehr."
"Oh, das arme Ding!" Sie schluchzte und streichelte immer wieder den Kopf der Katze, während ihre Tränen auf das verfilzte Fell tropften. "Was muß sie durchgemacht haben! Ich hätte mehr für sie tun sollen."
Ein paar Augenblicke schwieg ich, denn ich verstand ihren Kummer. Dann sagte ich beruhigend: "Niemand hätte mehr tun können, als Sie getan haben."
"Aber ich hätte sie hierbehalten sollen - sie hätte es gut gehabt. Es muß schrecklich gewesen sein da draußen in der Kälte, als sie so krank war. Und dann hatte sie auch noch Junge! Wie viele mögen es wohl gewesen sein?"
Ich zuckte die Achseln. "Das werden wir wohl nie erfahren. Vielleicht nur dieses eine. Manchmal kommt das vor. Und ausgerechnet zu Ihnen hat sie es gebracht, überlegen Sie mal."
"Ja, das schon." Als Mrs. Ainsworth das schmutzige schwarze Bündel aufhob, öffnete sich das winzige Mäulchen zu einem tonlosen Miau. "Ist das nicht seltsam? Sie war schon halb tot und brachte ihr Junges hierher. Und gerade zu Weihnachten."
Ich beugte mich nieder und legte die Hand auf Debbies Herz. Es schlug nicht mehr. Ich hüllte den kleinen Körper in ein Tuch und trug ihn in den Wagen. Als ich zurückkam, streichelte Mrs. Ainsworth noch immer das Kätzchen, und ihre Tränen waren versiegt. "Ich hatte noch nie in meinem Leben eine Katze."
Ich lächelte. "Nun, es sieht ganz so aus, als hätten Sie jetzt eine."
/-/
Das Kätzchen wuchs rasch zu einem schönen Kater heran, dem sein ungestümes Wesen den Namen Frechdachs einbrachte. Er war in jeder Hinsicht das Gegenteil seiner scheuen Mutter. Wie ein König stolzierte er über die prächtigen Teppiche im Hause Ainsworth.
Bei meinen Besuchen beobachtete ich mit Vergnügen, wie er sich entwickelte, und ganz besonders gern erinnere ich mich an das Weihnachtsfest ein Jahr nach seinem Einzug.
Ich war wie üblich unterwegs gewesen - die Tiere haben bis heute nicht gelernt, Weihnachten als einen Feiertag anzusehen. Das viele Anstoßen mit gastfreundlichen Bauern hatte mich in eine rosige Stimmung versetzt, und auf dem Heimweg hörte ich Mrs. Ainsworth rufen: "Frohe Weihnachten, Mr. Herriot! Kommen Sie herein, und trinken Sie etwas zum Aufwärmen!" Das Aufwärmen hatte ich nicht nötig, aber ich fuhr ohne zu zögern in die Auffahrt. Im Haus war alles froh und festlich wie ein Jahr zuvor. Und diesmal gab es keinerlei Grund zu irgendeinem Kummer - Frechdachs war ja da.
Mrs. Ainsworth lachte. "Wissen Sie, für die Hunde ist er ein rechter Quälgeist." Für die Bassets war das Auftauchen des Katers so etwas wie das Eindringen eines Flegels in einen exklusiven Klub.
"Ich möchte Ihnen etwas zeigen." Mrs. Ainsworth nahm einen harten Gummiball von einem Schränkchen und ging hinaus. Frechdachs folgte ihr. Sie warf den Ball über den Rasen, und der Kater sprang ihm nach; dabei konnte man seine Muskeln unter dem schwarzglänzenden Fell spielen sehen. Er packte den Ball mit den Zähnen, trug ihn zu seiner Herrin, ließ ihn fallen und wartete gespannt. Ich traute meinen Augen nicht. Eine Katze, die apportierte!
Die Bassets schauten voller Verachtung zu. Nichts hätte sie jemals dazu bringen können, hinter einem Ball herzujagen.
Mrs. Ainsworth wandte sich zu mir: "Haben Sie so etwas schon einmal gesehen?"
"Nein", erwiderte ich, "noch nie. Das ist ja wirklich ein ganz besonderer Kater."
Sie nahm Frechdachs auf, hielt ihn dicht ans Gesicht und lachte, als er schnurrte und sich verzückt an ihre Wange schmiegte.
Als ich ihn ansah, ein Bild des Glücks und der Zufriedenheit, mußte ich an seine Mutter denken. Ging ich zu weit, wenn ich mir vorstellte, daß diese todkranke Kreatur mit letzter Kraft ihr Junges zu dem einzigen behaglich warmen Plätzchen brachte, das sie je kennengelernt hatte, in der Hoffnung, daß es ihm dort gut gehen werde? Vielleicht.
Aber ich war offenbar nicht der einzige, der so dachte. Mrs. Ainsworth lächelte mir zu. "Debbie würde sich freuen", sagte sie.
Ich nickte. "Ja, ganz sicher. Es war genau heute vor einem Jahr, als sie ihn herbrachte, nicht wahr?"
"Ja." Sie drückte Frechdachs an sich. "Das schönste Weihnachtsgeschenk, das ich je bekommen habe." ", schloss Ron. Cathy schniefte einmal. Sie hatte Tränen in den Augen gehabt, als die Katze gestorben war, aber als Ron dann zu der Stelle kam, wo Mrs Ainsworth so viel Freude an Frechdachs hatte, war das Lächeln zurück gekommen.
"Die Geschichte ist toll, Daddy.", sagte sie glücklich. "Ich will auch eine Katze haben."
Ron verdrehte seufzend die Augen. Da hatte er sich mit der Geschichte ja wieder was eingebrockt. Die Liebe zu Katzen schien in Hermines Familie wohl Veranlagung zu sein, oder warum hatte sich Hermine damals Krumbein gekauft anstatt einer Eule?
"Können wir jetzt zu Abend essen?", fragte Cathy und rieb sich den Bauch.
Ron konnte ihren Magen knurren hören. Eindeutig eine Weasley, dachte er grinsend und schenkte seiner Tochter einen liebevollen Blick. Er wollte aufstehen, aber da bemerkte er, dass Hermine noch in seinen Armen lag. Sie atmete ruhig und regelmäßig. Sie schlief. Ron strich ihr zärtlich das Haar aus der Stirn und musterte ihre entspannten Gesichtszüge einen Moment. In den letzten Tagen waren sie so angespannt gewesen. Da sie halbtags arbeitete, musste sie momentan die die doppelte Arbeit erledigen. Eigentlich wollte er sie wecken, aber er dachte, sie hätte es verdient zu schlafen. Ganz zu schweigen von der Tatsache, wie ungemütlich Hermine werden konnte, wenn man sie aufweckte.
Er löste sich umständlich von ihr und stand so leise wie möglich auf. Dann schlang er einen Arm um Hermines Nacken und legte einen unter ihr Knie. So konnte er sie unter einigem Ächzen hochheben. Beim Merlin, ist die schwer!
Mühsam schleppte er sie in ihr Schlafzimmer und ließ sie so vorsichtig wie möglich auf das Bett rollen. Hermine kuschelte sich sofort instinktiv in ihre Decke ein und murmelte etwas unverständliches.
Ron beugte sich mit einem leisen Lächeln zu ihr hinunter und küsste sie auf die Stirn. "Ich liebe dich auch.", flüsterte er, strich ihr sanft über die Wange und ging dann zu seiner Tochter zurück, die im Türrahmen wartete. Das zusammengekrachte Regalbrett würde er später reparieren.
TBC...
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Die Geschichte ist von hier: http://www.weihnachtsstadt.de/Geschichten/klassische_Geschichten/Die_Weihnachtskatze.htm
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Der Tod ist in allen sieben Büchern ein ganz bedeutendes Thema.
Joanne K. Rowling