von ChrissiTine
22. Dezember: Nur Verrückte
2026
Al schaute von den Hieroglyphen auf seine Notizen und rieb sich müde die Augen. Er hatte Stunden in der Grabkammer verbracht und die Hieroglyphen an der Wand erst abgezeichnet und dann vor Ort versucht zu übersetzen. Das meiste hatte er geschafft, nur bei ein paar Dingen musste er noch im Zelt nachschlagen. Aber wenn er sich nicht geirrt hatte (und in diesen Dingen hatte er sich noch nie geirrt), dann wiesen diese Zeichen den Weg zu einer viel tiefer liegenden Grabkammer. Es gab auch einige vage Beschreibungen der Sicherheitsmaßnahmen, die die alten Ägypter getroffen hatten, die musste er so schnell wie möglich an die Fluchbrecher weiterleiten. Alles in allem hatte er heute wirklich gute Arbeit geleistet.
Zufrieden grinste Al und streckte sich. Er war sein Geld wirklich wert.
„Hier bist du!" Al zuckte zusammen und drehte sich um. Ben Meyers, ein Kollege aus Amerika, mit dem er sich das Zelt teilte, steckte den Kopf herein. „Arbeitest du etwa immer noch?"
Al zuckte mit den Schultern. Um ehrlich zu sein war er so vertieft in seine Arbeit gewesen, dass er die Zeit ganz vergessen hatte. Wenn er so richtig in Fahrt kam und seine Fähigkeiten herausgefordert wurden, dann vergaß er alles um sich herum. „Und?"
„Und? Du verpasst ja alles! Gleich verteilen wir die Geschenke und du bist nicht da! Außerdem ist gleich der ganze Punsch weg, Hazel säuft wie ein Loch."
Al lachte. Er suchte seine Pergamente zusammen und nahm die Petroleumlampe. „Ich komm ja schon. Ich muss den Fluchbrechern sowieso noch meine Notizen geben."
Ben verdrehte die Augen. „Ich versteh nicht, wie du jetzt noch an Arbeit denken kannst. Heute ist Weihnachten! Und morgen haben wir frei! Genieß das doch!"
„Mach ich doch", erwiderte Al schulterzuckend und folgte Ben durch den langen Gang, der zum Ausgang führte. „Ich genieße meine Arbeit."
„Das mach ich auch", konterte Ben, „aber das bedeutet trotzdem nicht, dass ich das vierundzwanzig Stunden am Tag machen will. Du schläfst ja sogar mit deinen Notizen."
„Das war ein Mal", murmelte Al. Und zwar nur, weil ihm kurz vorm Schlafengehen noch ein Geistesblitz gekommen war und er ihn überprüfen musste. Als er ein paar andere Sachen dann noch korrigiert hatte, war er eingeschlafen. Es war ja nicht so, als ob er ohne seine Notizen nicht schlafen konnte. So ein Schwachsinn.
„Du nimmst das alles viel zu ernst, Al", fuhr Ben fort und versiegelte mit seinem Zauberstab den Eingang zur Pyramide, nachdem Al in die kalte Wüstennachtluft getreten war. Außer ein paar Sternen am Himmel war es stockdunkel. Abgesehen von dem größten Zelt auf ihrer Ausgrabungsstätte, das den Speisesaal beherbergte, der ihnen auch als Konferenzraum diente. Heute war er zu einem Raum für die Weihnachtsfeier umfunktioniert worden. Das Zelt war über und über mit bunt leuchtenden Lichterketten geschmückt, ein Plastikrentier mit leuchtend roter Nase stand vor dem Eingang und jemand hatte einen Plastikweihnachtsbaum im Inneren aufgestellt.
Die Mitarbeiter hatten sich entschlossen, zu wichteln, und so hatte jeder vor einer Woche den Namen eines Kollegen gezogen und ein Geschenk besorgen müssen. Al hatte doch tatsächlich Ben gezogen und das hatte es ihm sehr einfach gemacht. Ben war fasziniert von Als Vater, also hatte Al seinen Dad gebeten, ihm eine signierte Schokofroschkarte von ihm zu schicken, die gerade rechtzeitig heute Morgen mit einer Expresseule angekommen war. Seine Mum und Grandma Molly hatten es sich nicht nehmen lassen, noch ein paar Plätzchen für ihn dazu zu legen (Grandma Molly hätte bestimmt viel mehr dazu gegeben, wenn es nicht ein Limit für Expresseulen gegeben hätte) und Al hatte schon die Hälfte davon verspeist. Er liebte Weihnachtsplätzchen.
„Schaut mal, wen ich endlich aus der Pyramide gekriegt habe", verkündete Ben laut, nachdem sie das Zelt betreten hatten. Die anderen klatschten und jemand drückte Al einen Becher Punsch in die Hand. Er grinste kleinlaut.
„Na super, dann können wir ja endlich die Geschenke verteilen", freute sich Susanne Müller, eine zwanzigjährige Deutsche, und schaute sehnsüchtig auf den Tisch mit den vielen Geschenken.
„Eigentlich sollten wir die ja erst morgen verteilen", erwiderte Hazel Green mit vor der Brust verschränkten Armen. „Nur weil wir hier in Ägypten sind, sollten wir die Traditionen nicht ignorieren."
„Eure Traditionen vielleicht", widersprach Susanne und griff nach dem ersten Päckchen, um das Namensschild zu lesen. „In Deutschland gibt's die Geschenke immer am 24. Da kann man am 25. Ausschlafen und keiner verpasst, wie die anderen sich über die Geschenke freuen. Das ist doch viel besser."
„Das stimmt", stimmte Ben Susanne zu.
„Dir ist doch jede Ausrede recht, um deine Geschenke früher zu bekommen", konterte Hazel.
Ben zuckte mit den Schultern. „Wenn es dir lieber ist, kannst du ja als einzige bis morgen warten, dein Geschenk auszupacken", erwiderte er und nahm den Briefumschlag entgegen, den Susanne ihm hinhielt. Enttäuscht beäugte er ihn und warf dann einen neidischen Blick auf das Päckchen, das Susanne Hazel überreichte. Al grinste verstohlen und nippte an seinem Punsch. Es kam nicht immer auf die Größe an.
„Wahnsinn!", rief Ben, sobald er den Umschlag geöffnet hatte. „Potter, das ist das Beste, was ich jemals geschenkt bekommen hab!"
„Gern geschehen", lachte Al und ließ beinahe seinen Punsch fallen, weil Ben ihn so stürmisch umarmte.
„Also das ist doch …" Al schaute zu Hazel, die missmutig die Stirn in Falten gelegt hatte. In der Hand hielt sie ein Buch mit dem Titel Wie man anderen Leuten nicht auf die Nerven geht und lernt, ein umgänglicher und netter Mensch zu sein. Al versuchte vergeblich, sein Grinsen zu unterdrücken.
„Das war doch deine Idee, Meyers, oder?", fauchte sie Ben wütend an und machte Anstalten, ihm mit dem Buch eins überzuziehen. „Du bist so ein unmögliches Arschloch!"
„Hey, jetzt mach mal halblang", sagte Ben und hob abwehrend die Hände. „Ich hab damit nichts zu tun. Außerdem bin ich nicht der einzige, der dich nicht leiden kann, also gib nicht mir für alles die Schuld."
„Du kannst mich mal!" Sie zog ihren Zauberstab und einen Moment später war Ben in eine Kakerlake verwandelt worden. „Schon viel besser", sagte sie zufrieden und steckte ihren Zauberstab wieder weg. Sie beugte sich herunter und hob ihn auf. Ohne viel Federlesen ließ sie ihn in die Schachtel fallen, in der ihr Geschenk gewesen war. „Mir ist egal, wer mir das geschenkt hat, du bleibst trotzdem ein Arschloch", sagte sie kopfschüttelnd. „Vielleicht lernst du ja ein bisschen was aus deinem neuen Blickwinkel." Sie griff nach ihrem Punschbecher und trank einen großen Schluck.
„Ach komm schon Hazel, sei nicht so. Es ist doch Weihnachten", versuchte Al sie umzustimmen. Ben schlug zwar häufig über die Strenge und seine Kommentare waren wirklich nicht immer die nettesten, aber Hazel war dennoch unmöglich und es war nicht fair, Ben in einen Käfer zu verwandeln.
„Er hat's verdient", beharrte Hazel und warf einen Blick auf ihre Armbanduhr. „In einer halben Stunde verwandle ich ihn wieder zurück", sagte sie versöhnlich, warf aber trotzdem einen strengen Blick in den Karten. „Wenn er sich benimmt"
Al seufzte, zuckte aber schließlich mit den Schultern. Mit Hazel konnte er nicht diskutieren. Er hätte Ben ja selbst zurück verwandelt, aber er war bei diesen Sprüchen miserabel und am Ende hätte er alles noch schlimmer gemacht. Und sonst schien es keiner sehr eilig zu haben, Ben zur Hilfe zu eilen. Hazel war zwar nicht sehr beliebt, aber Ben konnte es manchmal auch sehr übertreiben. Vielleicht würden sie so eine Weile Ruhe vor den Beiden haben.
„Al?" Al wandte den Blick von Hazel ab. Susanne stand vor ihm und hielt ihm ein kleines Päckchen hin. „Frohe Weihnachten", sagte sie lächelnd.
Al nahm das Geschenk in die Hand und öffnete es neugierig. Er war gespannt, was er bekommen würde. In den meisten Fällen war Wichteln gar nicht so einfach, besonders wenn man die Person kaum kannte, die man beschenken sollte. Er hatte Glück gehabt, dass er Ben gezogen hatte und der so fasziniert von seinem Dad war. Obwohl das auch sehr nervig sein konnte, denn er hatte gehofft, dass seine Familiengeschichte auf der Grabstätte völlig unbekannt war und ihm keiner mit einer vorgefassten Meinung begegnete. Aber Ben hatte keine vorgefasste Meinung von ihm gehabt und ihn auch nicht angesehen als käme er aus einer anderen Welt, er war einfach nur interessiert an den Geschichten über seinen Dad und behandelte Al sonst ganz normal. Und die anderen hier interessierten sich nicht die Bohne für Als berühmten Vater und das war genau das, was Al so genoss an Grabstätten in anderen Ländern mit einem internationalen Team.
Grinsend holte er eine Baseballkappe und einen Schal mit dem Logo der Kairoer Katzen hervor, dem hiesigen Quidditchteam. Neben den Fanartikeln war auch eine Karte für das nächste Spiel im Januar dabei, das die Zeitungen als das „Match des Jahrhunderts" bezeichneten.
„Gefällt's dir?", hörte er eine leise Stimme fragen. Claudia Morrison, eine schüchterne achtzehnjährige Irin schaute ihn mit hochrotem Kopf an. Sie machte kaum jemals den Mund auf, weil sie so scheu war, aber sie war brillant, was ihre Arbeit betraf und stellte manche mit viel mehr Berufserfahrung in den Schatten. Al konnte sich ehrlich gesagt nicht erinnern, mehr als zehn Worte mit ihr gesprochen zu haben. „Ich wusste nicht, was dir gefallen könnte, aber du hast Ben mal erzählt, dass du Quidditch magst, deshalb dachte ich …" Sie wurde immer leiser und wandte den Blick ab.
Al lächelte sie an. „Das Geschenk ist super.", sagte er schnell, bevor sie noch unsicherer wurde. „Ich hab versucht, eine Karte für das Spiel zu bekommen, aber das war schon ausverkauft." Er hatte an dem Abend frei und war sehr enttäuscht gewesen, dass ihm diese Gelegenheit durch die Lappen gehen würde.
„Ich hab eine von den letzten bekommen", sagte Claudia mit einem Hauch von stolz in der Stimme. „Du freust dich also wirklich?"
Al nickte. „Sehr. Das ist wirklich das Beste, was ich seit langem bekommen habe." Es war zumindest um Längen besser als James' Geschenk, der ihm lediglich eine Schachtel Kondome geschickt hatte. Als ob er die benutzen würde. Hier war niemand, der ihn auf diese Weise interessierte und selbst wenn, würde er keine Muggelmethoden verwenden. Aber James fand es witzig, weil es leuchtende Kondome waren. Er hatte eine Notiz dazugelegt: Damit du wenigstens ein bisschen Licht in deinem Zelt hast, eine andere Verwendung wirst du dafür bestimmt nicht finden. „Vielen Dank."
Claudia war jetzt feuerrot. „Gern geschehen, Al." Sie zuckten zusammen, als es einen lauten Knall gab und Ben wieder im Raum stand, allerdings splitternackt.
„Das wirst du mir büßen, Green!", schrie er Hazel an.
Al seufzte. Es war wirklich egal, wo er war, Weihnachten war immer chaotisch.
TBC…
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A/N: Tja, das war wohl nichts mit dem Weltuntergang. Vielleicht nächstes Mal. Nur gut, dass ich mich nicht darauf verlassen und trotzdem 24 Kapitel geschrieben habe. Al in Ägypten hat heute mit 13,3%/6 Stimmen gewonnen. Wenn ihr aufgepasst habt, wisst ihr, welches Kapitel morgen kommt, ansonsten lasst euch einfach überraschen.
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