von ChrissiTine
12. Dezember: Bettruhe
2036
„Ich hasse ihn", murmelte Dominique mürrisch, während sie Quidditch Heute in Rekordgeschwindigkeit durchblätterte. Sie hatte gerade den Leitartikel über den Ersatzsucher gelesen, der sie vertrat und über den der total verblödete Reporter ganze Lobgesänge geschrieben hatte. Sie hatte das letzte Spiel im Fernsehen verfolgt und hätte den Schnatz eine halbe Stunde vor diesem blinden Idioten gefangen. Dadurch wäre Pride of Portree zwei Plätze weiter oben in der Rangliste gewesen. Und dieser Schwachkopf schrieb Artikel, in denen er sie komplett abschrieb und nicht nur als kurzfristigen Ausfall behandelte. Wenn sie nicht im Krankenhaus festsitzen würde, würde sie diesen Analphabeten finden und ihm gehörig die Meinung sagen! Wenn die nächste Saison anfing, würde sie wieder voll dabei sein und diesem Möchtegernsucher zeigen, wie man einen Schnatz fing!
„Wen hasst du?" Dominique sah von der Zeitschrift auf. Ihre beste Freundin Annie war ohne anzuklopfen in ihr Zimmer gekommen und schaute sie grinsend an.
„Diesen Blödmann, der McGee in den Himmel lobt", erwiderte Dominique, blätterte zurück zu dem Artikel, riss die Seite mit dem grinsenden Konterfei aus dem Heft und zerriss die Seite in kleines Konfetti. „Und McGee. Ich hab keine Ahnung, wer den für eine gute Wahl gehalten hat! Der sieht den Schnatz doch nicht, wenn er direkt vor seiner Nase fliegt!"
Annie schloss die Tür hinter sich und setzte sich mit einem nachsichtigen Lächeln auf den Stuhl, der bei Dominiques Bett stand. Sie war diese täglichen Wutausbrüche gewohnt.
„Und am meisten hasse ich Davies!", fuhr Dominique fort. Ihre Stimme wurde immer lauter. „Das ist alles nur seine Schuld! Wenn er mir das nicht angetan hätte, dann würde ich jetzt nicht hier liegen und McGee müsste nicht für mich fliegen! Ich wusste doch, dass er auf meinen Erfolg neidisch ist und mich nur sabotieren wollte. Jetzt ist es ihm endlich gelungen! Ich würde ihn am liebsten umbringen!"
„Jetzt übertreibst du aber", erwiderte Annie beruhigend und legte ihre Hand auf Dominiques riesigen Bauch. Sie spürte, wie stark das Baby trat. Das tat es jedes Mal, wenn Annie ihre Hand auf Dominiques Bauch legte. Aber das war auch kein Wunder, so aufgeregt, wie sie jedes Mal war. Deshalb war es auch keine Überraschung, dass ihr vor drei Wochen strenge Bettruhe verordnet worden war, weil ihre ständigen Wutausbrüche das Baby viel zu sehr gefährdeten. Die ersten Tage hatte sie zu Hause gelegen, aber ihren Mann Steven Davies so sehr in den Wahnsinn getrieben, dass der Rose beinahe auf Knien angefleht hätte, Dominique ins Mungos einzuweisen, damit er wenigstens ein bisschen Ruhe hatte.
„Es braucht zwei zum Schwanger werden, alleine hat er das bestimmt nicht hingekriegt.", fuhr Annie fort. Es war mehr als unfair, Steven alleine die Schuld dafür zu geben, dass Dominique jetzt schwanger war. Dominique hatte genauso viel dazu beigetragen. Aber das war eine ihrer Lieblingsbeschäftigungen: Steven die Schuld an allem geben.
„Er hat mich abgefüllt! Er weiß genau, dass ich nicht mehr klar denken kann, wenn ich drei Gläser Feuerwhiskey getrunken habe! Und er hat genau gewusst, dass ich mitten in der Saison nicht den Verhütungstrank schlucken kann, weil der als Doping zählt! Er hätte an den blöden Spruch denken müssen! Muss ich denn wirklich alles alleine machen!" Wütend schmiss Dominique die Zeitschrift quer durch das Zimmer und fegte damit den üppigen Blumenstrauß vom Tisch, den Steven ihr gestern mitgebracht hatte. „Endlich bin ich das Gemüse los", murmelte Dominique und verschränkte die Arme vor der Brust. „Von dem Gestank war mir kotzübel."
Annie seufzte. Dominiques Laune war mal wieder unterirdisch. Sie wusste gar nicht, warum sie auf etwas anderes gehofft hatte. Seit die Heiler ihr verboten hatten, auf einem Besen zu fliegen, konnte man nicht mehr mit ihr reden, ohne mindestens einmal angeschrien zu werden. Es war ihr ein Rätsel, wie Steven es monatelang mit ihr ausgehalten hatte. Andererseits, ihre Beziehung bestand hauptsächlich daraus, dass die zwei sich stritten, anders konnten sie kaum miteinander kommunizieren.
„Schwangerschaft ist scheiße", fuhr Dominique missmutig fort und ließ sich weiter in die Kissen sinken. „Ich kann nicht verstehen, dass es Leute gibt, die das mehr als einmal mitmachen. Grandma hat das sechsmal gemacht. Warum nur?"
Annie sagte nichts. Sie war gerne schwanger gewesen. Ihre Schwangerschaft war sehr unproblematisch gewesen und abgesehen von ein bisschen Übelkeit am Anfang, hatte sie sich sehr wohl gefühlt. Auch die Geburt hatte nicht so wehgetan, wie sie es sich vorgestellt hätte. Sie hätte das ganze liebend gerne wiederholt, denn sie hatte sich immer mehrere Kinder gewünscht, aber sie wurde einfach nicht noch einmal schwanger, egal, was Louis und sie auch versuchten, und kein Heiler konnte ihnen sagen, warum es nicht mehr klappte.
„Ich wünschte nur, dass das ganze endlich vorbei ist", murmelte Dominique und piekte mit ihrem Zeigefinger in ihren Bauch. „Wirst du wohl Ruhe geben!", sagte sie laut. „Den ganzen Tag tritt mich dieser kleine Quälgeist in die Eingeweide. Und ich hab sogar ein paar blaue Flecken auf dem Bauch. Ich weiß nicht, was dieses kleine Monster sich dabei denkt."
„Wie die Mutter, so der Sohn", erwiderte Annie lachend. „Bei den Genen kann der doch gar nicht anders, als genauso ein Wildfang zu werden wie seine Eltern."
„Ich hab damit nichts zu tun", protestierte Dominique und schüttelte ihren Bauch jetzt mit beiden Händen durch. Sie atmete erleichtert aus, als die Tritte langsam nachließen. Der Kleine mochte es, durchgeschüttelt zu werden, und dadurch, dass sie jetzt nutzlos im Bett liegen musste, kam er natürlich nicht dazu. Er hatte es geliebt, wenn sie im Sturzflug durch die Luft gerast war, da war er immer ganz still gewesen. Wenn nur diese ganzen Spielverderber nicht gewesen wären, die ihr alles verboten hatte, was Spaß machte. Es kam ihr so vor, als wäre sie wieder bei den Eltern ihrer Mutter in Frankreich. Ihre Großmutter war immer ganz hysterisch geworden, wenn sie auf einen Baum geklettert war. „Ich bin doch die Ruhe in Person. Das sind alles Stevens Gene."
„Natürlich", sagte Annie mit hochgezogenen Augenbrauen. „Deshalb haben auch alle Krankenschwestern Angst, in dein Zimmer zu kommen."
„Wenn die mir mein Essen so bringen würden, wie ich es haben will, dann müsste ich sie auch nicht anschreien", protestierte Dominique. „Als ob mir das Spaß machen würde."
Und ob ihr das Spaß machte. Dominique lebte für solche Momente, seit Annie sie kannte. Aber genau weil Annie sie so gut kannte, wusste sie auch, wie sie sie vom Thema ablenken konnte und genau das tat sie auch.
/-/
Zwei Stunden später klopfte es zaghaft an der Tür und Steven steckte den Kopf herein.
Dominique schaltete den Fernseher aus, auf dem sie sich die Wiederholung eines miserablen Quidditchspiels angeschaut hatte, und ein Lächeln erschien auf ihrem Gesicht. „Ich dachte schon, du kommst gar nicht mehr, Davies."
„Ich musste noch ein paar Geschenke kaufen, die du auf der Liste hattest", erwiderte Steven entschuldigend und erleichtert, weil seine Frau ausnahmsweise nicht so aussah, als ob sie ihm bei seinem bloßen Anblick den Kopf abreißen wollte. „Die hatten sie vorgestern noch nicht im Laden."
„Ach so. Ich dachte schon, du wolltest mich gar nicht sehen." Dominique bemerkte entsetzt, dass ihr Tränen in die Augen stiegen. Sie hasste es, zu weinen. Das war ein Zeichen von Schwäche, das sie nicht akzeptieren konnte. Aber diese Schwangerschaft hatte sie zu einem emotionalen Wrack gemacht. Sie hatte keines ihrer Gefühle mehr unter Kontrolle, seit Monaten nicht mehr. Und Stück für Stück hatte man ihr alles weggenommen, was sie glücklich machte. Alkohol, Quidditch, ihren durchtrainierten Körper, ja sogar Sex, damit sie keine vorzeitigen Wehen bekam, und jetzt auch noch die Möglichkeit, sich überhaupt zu bewegen. Stattdessen musste sie ihren Körper mit einem anderen Lebewesen teilen, das sie ständig trat, mit Vorliebe auf ihrer Blase lag und dafür sorgte, dass ihre Füße zur doppelten Größe angeschwollen waren.
Es war nicht so, dass sie Kinder nicht mochte. Diese kleinen Quälgeister konnten schon manchmal ganz niedlich sein, aber sie hatte nie den Wunsch verspürt, einmal selbst welche zu haben. Ihre Familie war voll von Kindern in jedem Alter, da musste sie nicht auch noch welche hinzufügen. Und Steven war auch nicht scharf auf eine Familie gewesen, also war er zumindest in der Hinsicht perfekt für sie. Doch als ihr die Teamheiler nach einer Routineuntersuchung gesagt hatten, dass sie schwanger war, hatte sie es nicht über sich bringen können, ihr Baby nicht auszutragen. Es war ihr Kind und sie liebte es, auch wenn sie sich wünschte, dass es unkomplizierter wäre, es auf die Welt zu bringen. Drachen hatten es so viel einfacher mit ihrem Eierlegen.
„Wie geht's euch?", fragte er und setzte sich auf den Stuhl, auf dem Annie vor kurzem noch gesessen hatten. Er schaute auf die Blumen, die zwischen den Scherben der zerbrochenen Vase lagen und seufzte. Er hatte gestern eine Stunde in dem Blumenladen verbracht und versucht, die Blumen zu finden, von denen Dominique nicht schlecht wurde. Sie war zwar keine Frau, die überaus viel Wert auf diesen Schnickschnack legte, wie sie sich ausdrückte, aber er kannte sie mittlerweile gut genug, um zu wissen, dass sie diese Gesten zwischendurch lieber mochte, als sie zugab. Er hatte wirklich gedacht, dass die Blumen ihr gefallen würden, wenn er sonst schon nichts machen konnte, um ihr zu helfen. Er wusste, wie sehr sie es hasste, schwanger zu sein, Quidditch aufzugeben, ihren Körper zu teilen, jetzt sogar die Freiheit, dorthin zu gehen, wohin sie wollte und er wünschte, er könnte irgendetwas tun, um ihr zu helfen.
Sie hatten beide nicht geplant, jemals Eltern zu werden und waren eigentlich auch sehr glücklich mit dieser Entscheidung gewesen, aber sie hatten auch nie geplant, sich ineinander zu verlieben oder irgendwann zu heiraten. Dass das Baby sie so überrumpeln würde wie alles andere, war eigentlich mehr als typisch für sie beide. Und Steven war sich sicher, dass sie mit dem Baby genauso glücklich sein würden, wie mit all den anderen Sachen, mit denen sie in ihrer Beziehung nie gerechnet hätten. Es erwies sich nur als schwieriger als die anderen Sachen (nicht, dass die so leicht gewesen wären, sie hatten mehr als zehn Jahre gebraucht, um sich einzugestehen, dass sie sich liebten, als er ihr den Antrag gemacht hatte, hätten sie sich beinahe getrennt. Nein, einfach war es wirklich nicht gewesen).
Dominique verdrehte die Augen. „Wie immer. Dein Sohn hört einfach nicht auf, mich zu treten." Für eine Weile hatte er aufgehört, nachdem sie in durchgeschüttelt hatte, aber vor zwanzig Minuten hatte er wieder angefangen und zwar um einiges schmerzhafter als zuvor. „Das hat er von dir."
„Natürlich", erwiderte Steven sarkastisch, beugte sich zu ihr hinunter und küsste sie. Sie schlang die Arme um seinen Nacken und zog ihn näher zu sich, während sie den Kuss vertiefte. Schwer atmend löste er sich nach ein paar Sekunden von ihr. „Du weißt doch, dass wir nicht dürfen", sagte er und schnappte nach Luft. Er würde nichts lieber machen, als mit ihr zu schlafen. Egal, wie sehr sie sich auch stritten, egal, wie sehr sie sich auch vorgemacht hatten, dass sie einander egal waren, der Sex zwischen ihnen war immer fantastisch gewesen und niemand anders war jemals an Dominique herangekommen. Sie gehörte zu ihm, unbestreitbar.
„Ich weiß", seufzte Dominique. „Diese blöden Heiler verbieten einem auch alles, was Spaß macht." Sie stöhnte auf und versuchte, sich im Bett anders hinzusetzen.
Steven streckte seine Hand aus und legte auf die gewölbte Körpermitte seiner Frau. Er spürte die starken Tritte seines Sohnes gegen die Bauchdecke und musste unwillkürlich lächeln. Auch wenn er Dominique wehtat und er sich wünschte, dass er das ändern könnte, konnte er einfach nicht anders als stolz auf sein Kind zu sein. Der Kleine würde einmal genauso stark sein wie seine Eltern.
„Dieses Grinsen kannst du dir sparen", sagte Dominique vorwurfsvoll. „Du hast es sowieso viel zu einfach. Erst hast du deinen Spaß und ich darf hinterher alles ausba- hey." Sie schaute auf seine Hand. „Er hat aufgehört." Sie legte ihre Hand auf seine und strich kurz mit dem Finger über seinen Ehering. „Die lässt du jetzt für den Rest der Nacht da, klar?"
„Ich weiß nicht, ob das funktionieren wird", protestierte er schnell. Die ganze Nacht, wirklich? „Vielleicht ist er nur kurz still und-"
„Solange er mich nicht tritt, lässt du deine Hand da!", befahl Dominique. „Ich hab schon ewig nicht mehr richtig schlafen können. Du hast keine Ahnung, wie das ist, wenn man einen Bauch hat, der so groß ist wie ein Quaffel, du hast immer noch dein Sixpack und kannst schlafen, wie du willst und wann du willst und wenn ich einmal eine Nacht –"
Er brachte sie mit einem Kuss zum Schweigen. „Ist ja schon gut, ich mach's", sagte er schließlich und strich ihr ein paar blonde Haare aus der Stirn. Sie waren länger als sonst, weil sie in den letzten Monaten nicht beim Friseur gewesen war. „Das ist mein Weihnachtsgeschenk für dich"
Sie schaute ihn empört an. „Wenn du denkst, dass du dich damit rausreden kannst, dann hast du dich aber –"
Ein weiterer Kuss hinderte sie daran, weiter zu sprechen. Auch wenn er es sich nicht erklären konnte, es gab keinen Menschen, den er auf der Welt mehr liebte als Dominique und er konnte es gar nicht mehr erwarten, nun endlich auch ihren Sohn kennen zu lernen. Schon allein, um endlich Ruhe vor ihrer ständigen Nörgelei zu haben. Das wäre sein liebstes Weihnachtsgeschenk.
TBC…
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A/N: Heute hatte nur Charlie eine Mehrheit, also habt ihr dieses Kapitel, das nur am 1. Dezember eine Mehrheit hatte. Da ich jetzt wieder (nach zwei schrecklich langen Flügen und einer dreistündigen Notlandung wegen einem medizinischen Notfall, weshalb mir der Zug weggefahren ist und ich auf den nächsten warten musste, der auch noch 20 Minuten Verspätung hatte (es lebe die Deutsche Bahn, die kommt ja sogar an das Nahverkehrssystem Seattles ran)) in Deutschland bin, gibt's die Kapitel nicht mehr so früh am Tag wie sonst, sondern so wie in den letzten Jahren, irgendwann im Laufe des Tages.
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