von ChrissiTine
Albträume
Hugo ging vor der Tür nervös auf und ab. Alle zehn Sekunden schaute er auf seine Uhr. Die Heiler hatten gesagt, dass es nicht lange dauern würde. Sie hatten gesagt, sie würden sich beeilen, weil die Lage so ernst war. Möglicherweise entschieden nur Sekunden über Leben und Tod.
Er blieb stehen und starrte auf die Schwingtür, durch die vor über fünfzehn Minuten seine Zukunft eilig geschoben worden war. Er schaute auf die Tür und hoffte, dass sie wie durch ein Wunder durchsichtig werden würde, damit er wusste, was passierte.
Aber nichts geschah. Die Tür blieb, wie sie war. Undurchdringlich und geschlossen. Alles, was dahinter geschah, war nicht für seine Augen bestimmt. Er würde nur wissen, ob sie leben würden oder gestorben waren.
Frustriert trat er gegen die Wand und fing wieder damit an, auf und ab zu gehen.
Diese Warterei war schlimmer als alles andere, was er je hatte durchmachen müssen. Schlimmer, als ZAGs und UTZe zu schreiben, schlimmer als seinen besten Freund nach Lissabon gehen zu lassen, schlimmer als seinen Eltern zu sagen, dass er Clara geschwängert hatte.
Er konnte nichts tun. Gar nichts. Er war völlig hilflos und konnte einfach nur darauf warten, bis sich diese verdammte Tür öffnete und ihm gesagt wurde, auf welche Weise sich sein ganzes Leben verändern würde.
Er schaute wieder auf seine Armbanduhr und beobachtete den Sekundenzeiger dabei, wie er sich unaufhörlich weiter bewegte auf dem Ziffernblatt.
Er biss sich auf die Lippe und zwang sich dazu, nicht mehr auf diese verdammte Uhr zu schauen. Es brachte sowieso nichts. Er lehnte sich gegen die Wand neben der Tür und schloss die Augen. Er atmete tief ein und zählte bis drei, bevor er wieder ausatmete.
Die nächsten drei Minuten vergingen damit, dass er seine Atemzüge zählte.
Als auch das nicht mehr funktionierte, fing er wieder damit an, auf und ab zu gehen und auf diese verdammte Tür zu schauen, hinter der alles war, was ihm lieb und teuer war.
Wie konnte man das nur aushalten? Wie konnten andere das Stunden lang aushalten? Wie schafften Muggel das, die nicht die Magie auf ihrer Seite hatten? Die sich auf irgendwelchen Faden und komische chemische Medikamente verlassen mussten?
Er sprang erschrocken zurück, als die Tür endlich aufging und eine ältliche Heilerin heraustrat. Sie hatte ihn aufmunternd angelächelt und ihm versichert, dass alles gut gehen würde, als sie Clara durch diese Tür gebracht hatten.
Jetzt hatte sie kein Lächeln auf den Lippen.
Sie hatte den gleichen Gesichtsausdruck aufgesetzt, den Rose getragen hatte, als sie zu ihm gekommen war, um ihm zu sagen, dass Freds Freundin Ellen gestorben war. Den seine Mutter getragen hatte, als sie ihm gesagt hatte, dass sein Großvater den Kampf gegen den Krebs verloren hatte.
Er wusste, was kommen würde, aber er fühlte sich trotzdem so, als hätte ihm jemand einen Schlag in den Magen versetzt. Und als ob er den Boden unter den Füßen verlieren würde. Die Heilerin verschwamm vor seinen Augen.
"Mr Weasley, es tut mir sehr Leid", fing sie an.
Hugo wandte sich ab, damit sie die Tränen nicht sehen konnte, die in seine Augen traten und ihm fast die Luft zum Atmen nahmen.
"Wir haben alles versucht, aber wir konnten Ihre Frau und Ihre Tochter nicht retten."
Seine ganze Welt fing an, sich zu drehen. Er wusste nicht mehr, wo oben und unten war. Er hatte seinen Halt verloren und egal, wohin er sich drehte, er konnte ihn nicht wieder finden. Er streckte die Hände aus, aber da war nichts. Gar nichts.
Er stürzte nach unten und niemand konnte ihn auffangen.
Er fiel und fiel und fiel und fiel.
Und als er endlich auf dem Boden aufschlug, wurde alles um ihn herum schwarz.
Hugo schreckte schweißgebadet hoch. Er atmete so schwer, als wäre er alle Treppen zu seiner Wohnung hochgesprintet. Er rang nach Luft und kämpfte darum, dass sein Atem sich wieder beruhigte.
Seine Augen brauchten etwas, bis sie sich an die Dunkelheit gewöhnt hatten, die in seinem Schlafzimmer herrschte. Er schaute neben sich und fühlte, wie die Erleichterung ihn übermannte, als er Claras Umriss unter der Decke sah und ihren ruhigen Atem hörte, der ihm sagte, dass sie noch am Leben war, dass er sie und das Baby nicht verloren hatte.
Er beugte sich zu ihr hinunter und strich ihr vorsichtig ein paar Haare aus dem Gesicht, bevor er sie auf die Stirn küsste und eine Weile ihrem ruhigen Atem lauschte. Dann schaute er auf ihren gigantischen Bauch und legte behutsam eine Hand darauf, um sie nicht zu wecken. Er spürte, wie das Baby gegen die Bauchdecke trat.
Beruhigt ließ er sich zurück in die Kissen sinken.
Es war alles nur ein schrecklicher Albtraum gewesen. Clara und Angela ging es gut. Sie lebten und lagen friedlich schlafend beziehungsweise strampelnd neben ihm. Es war alles in Ordnung. Seiner kleinen Familie ging es gut.
Er schloss die Augen und versuchte wieder einzuschlafen. Erschöpft genug war er nach diesem schrecklichen Traum.
Aber in seinen Ohren klangen ständig die Worte dieser Heilerin.
"Wir haben alles versucht, aber wir konnten Ihre Frau und Ihre Tochter nicht retten."
"Wir konnten Ihre Frau und Ihre Tochter nicht retten."
Sie hatten sie nicht retten können. Und obwohl alles nur ein Traum war und Clara neben ihm lag, konnte er immer noch wahr werden. Er konnte sie immer noch verlieren, wenn sie das Baby bekommen würde.
Seufzend setzte er sich wieder auf, schlug die Decke zurück und stand auf. Auf Zehenspitzen schlich er aus dem Zimmer und ging in die Küche. Er nahm sich einen seiner Küchenstühle, schob ihn an die Küchenzeile, stellte sich drauf und öffnete die Tür des obersten Küchenschranks. Dort hatte er ein paar Flaschen Feuerwhiskey für den Notfall nach Tommys Besuch deponiert und das hier war auf jeden Fall ein Notfall.
Er nahm eine heraus und sprang wieder auf den Boden. Er holte ein Glas aus einem anderen Schrank und goß es voll, bevor er es in einem Zug herunterkippte. Er erschauderte, denn der Feuerwhiskey war wirklich stark. Er füllte sein Glas erneut und trank es aus und wiederholte das ganze noch einmal. Erst dann spürte er, wie sich sein schnell schlagendes Herz etwas beruhigte und wie die Angst etwas nachließ.
Er lehnte sich mit geschlossenen Augen gegen den Kühlschrank und atmete tief durch. Es war alles in Ordnung. Es war alles in bester Ordnung. Er hatte Clara gerade noch gesehen. Es ging ihr gut und es ging dem Baby gut und seine Angst war völlig unbegründet. Rose hatte zwei Risikoschwangerschaften gehabt und sie hatte sie überlebt und zwei völlig gesunde Kinder bekommen. Clara ging es gut. Die Heiler waren mit ihr voll und ganz zufrieden, es war alles völlig in Ordnung, sie hatte nicht mal erhöhten Blutdruck oder Wasser in den Beinen. Es gab keinen Grund, warum nicht alles mit den beiden in Ordnung sein sollte, warum die Geburt nicht völlig normal verlaufen sollte. Keinen einzigen.
Und trotz allem war da immer noch diese verdammte Angst, die sich auch nicht mit Alkohol bekämpfen ließ und die wieder in ihm aufstieg und ihm beinahe die Luft zum Atmen nahm.
Was sollte er ohne sie tun? Was sollte er ohne Clara tun? Sie war zu einem Teil seines Lebens geworden, dem wichtigsten Teil seines Lebens. Vor einem Jahr hatte er nicht gewusst, dass sie existierte und heute konnte er sich nicht mehr vorstellen, ohne sie zu leben. Es ging nicht. Er versuchte, sich daran zu erinnern, wie es war, alleine aufzuwachen, alleine zu frühstücken und dann in die Arbeit zu apparieren. So, wie er es immer gemacht hatte. Er konnte nicht. Er konnte sich nicht mehr daran erinnern, wie es damals gewesen war. Wie es ohne Clara gewesen war. Es ging nicht und eigentlich wollte er auch gar nicht.
Er hatte die Richtige gefunden, die, ohne die er nicht mehr leben wollte und der Gedanke, den Rest seines Lebens ohne sie und ihre Tochter verbringen zu müssen, brachte ihn beinahe um. Wie sollte das funktionieren?
Er zuckte zusammen, als er einen leisen Knall hörte und eilte mit erhobenem Zauberstab in den Flur. Er ließ ihn wieder sinken, als er seinen Cousin Fred vor sich sah. Fred hatte dunkle Ringe unter den Augen und sah so schlecht aus, wie Hugo sich im Moment fühlte. Fred schaute ihn entschuldigend an und Hugo hielt ihm wortlos die Flasche Feuerwhisky hin, die er noch in der Hand hielt. Fred ergriff sie und trank sie in einem Zug leer.
Er erschauderte und ließ die leere Flasche dann seufzend sinken. "'tschuldige, Hugo, dass ich so unangemeldet hereinplatze."
Hugo winkte ab und ging ins Wohnzimmer, wo er sich auf die Couch fallen ließ. Er wollte Clara nicht wecken. Fred folgte ihm und ließ sich neben ihn fallen.
Es war nicht ungewöhnlich, dass Fred ab und zu unangemeldet mitten in der Nacht bei Hugo vorbeischaute. Seit dem Tod von Freds Freundin Ellen war das hin und wieder vorgekommen, wenn Fred sich besonders einsam in seiner Wohnung fühlte und niemanden wirklich stören wollte, nicht mal Roxanne, mit der er ein sehr enges Verhältnis hatte. Aber auch sie hatte der Tod von Ellen schwer getroffen, da sie ihre beste Freundin gewesen war und Fred wollte keine Narben aufreißen. Also war er zu Hugo gekommen, denn Hugo war verständnisvoll (viel verständnisvoller als James oder Lucy) und weder verheiratet, noch hatte er Kinder, die er mitten in der Nacht wecken konnte.
"Also, was ist los?", fragte Hugo schließlich, nachdem er fünf Minuten auf den Lichtstrahl gestarrt hatte, der vom Vollmond herrührte.
Fred seufzte. "Ich weiß es nicht. Ich weiß es wirklich nicht. Ich hab ganz normal geschlafen und dann bin ich neben Lisa aufgewacht und dann hatte ich plötzlich das Gefühl, keine Luft mehr zu bekommen. Also bin ich aufgestanden und auf ihren Balkon gegangen. Aber das hat auch nicht funktioniert. Es wurde nur schlimmer. Dann musste ich kotzen und danach hatte ich das Gefühl, wenn ich noch eine Sekunde länger dort bleibe, dann würde ich umkippen, deshalb hab ich meine Klamotten zusammengesucht und jetzt bin ich hier."
Hugo musterte Fred, konnte in der Dunkelheit sein Gesicht aber kaum erkennen. "Und ist es jetzt besser?"
"Ja", erwiderte Fred und Hugo konnte erkennen, wie er die leere Flasche hochhielt. "Nach dem Feuerwhiskey, ja. Viel besser." Er seufzte und lehnte sich zurück. "Ich weiß nicht, was mit mir los war. Ich hab mich wohl gefühlt, ich war sogar glücklich und jetzt wird mir allein bei dem Gedanken schlecht, Lisa wieder zu sehen."
"Wie lange geht das jetzt mit euch schon?", fragte Hugo stirnrunzelnd. Er konnte sich erinnern, dass Roxanne irgendwann nebenbei erwähnt hatte, dass Fred sich mit jemandem traf, aber er war so mit Clara und dem Baby beschäftigt, dass er den Rest der Familie etwas aus den Augen verloren hatte.
"Zwei Monate", erwiderte Fred und atmete tief durch.
"Und wie läuft's?"
Fred zuckte mit den Schultern. "Es geht. Sie ist witzig, sie ist süß, sie bringt mich zum lachen und sie sieht wahnsinnig gut aus. Eigentlich viel zu gut für mich." Er seufzte. "Sie will nichts ernsthaftes. Sie weiß, dass ich das nicht könnte und das ist völlig in Ordnung für sie. Deshalb ist alles so einfach. Die Verabredungen, der Sex ... sie weiß, dass es zu nichts führt, sie hat keine Ansprüche und sie wird mich nicht umbringen wollen, wenn ich irgendwann Schluss machen werde."
Fred hatte lange gebraucht, bis er sich mit einer Frau hatte treffen können, ohne sofort das Gefühl zu haben, Ellen zu betrügen. Er hatte es irgendwann geschafft, sich mit einer Frau mehr als einmal zu verabreden und Spaß zu haben und wieder etwas lockerer zu werden, aber sobald eine Frau auch nur andeutete, dass sie mehr wollte, dass sie eine Zukunft mit ihm wollte, da machte er Schluss und rannte so schnell er konnte. Er würde nie bereit dazu sein, mit einer anderen als seiner großen Liebe Ellen eine Zukunft zu haben. Das wusste die ganze Familie. Aber trotzdem waren sie froh, dass er sich wieder mit Frauen traf, selbst wenn es nur um Sex und etwas Spaß ging, denn er wirkte zumindest etwas entspannter und dieser gequälte Ausdruck in seinen Augen war nicht ganz so präsent wie früher.
"Weißt du, Hugo, wenn ich Ellen nie gekannt hätte, dann wäre aus Lisa und mir wahrscheinlich was geworden. Sie passt gut zu mir. Sie hat meinen Sinn für Humor. Sie versteht meine Witze viel besser als Ellen es manchmal getan hat. Und manchmal wünsche ich mir, dass wirklich etwas aus Lisa und mir wird. Ellen hätte das gewollt. Sie hätte gewollt, dass ich jemanden finde, der mich glücklich macht, den ich lieben kann und mit dem ich den Rest meines Lebens verbringen kann. Sie wollte das für mich. Und ich hätte das für sie gewollt, wenn ich gestorben wäre und sie weitergelebt hätte. Ich hätte nicht gewollt, dass sie einsam und allein endet, obwohl sie doch einen Mann verdient, der sie auf Händen trägt.
Und ich versuche es wirklich. Aber es geht einfach nicht. Selbst nicht mit jemandem wie Lisa. Und die würde wirklich zu mir passen."
"Aber sie ist nicht Ellen", flüsterte Hugo verständnisvoll. Sie war es nicht und würde es nie sein und das war Freds Problem. Ein Problem, das er wohl für den Rest seines Lebens haben würde.
Fred nickte. "Genau." Er seufzte. "Vielleicht sollte ich einfach Schluss machen. Es bringt nichts, es führt zu nichts und sie hat was besseres verdient."
Hugo schüttelte den Kopf. "Mach das nichts. Du hast doch selbst gesagt, dass sie weiß, woran sie bei dir ist. Sie kennt deine Geschichte. Und wenn sie nicht mehr kann, wenn sie mehr will als das, was du ihr bieten kannst, dann wird sie dir das schon sagen. Aber du hast dich doch besser gefühlt, oder? Du hast mehr gelacht und dich mehr gefreut und warst nicht mehr ganz so traurig. Und wenn du dich auch nie in sie verlieben wirst, wenigstens hast du jemanden gefunden, der dich ein bisschen aufheitert. Vielleicht sogar jemand, mit dem du befreundet sein kannst, wenn nichts mehr mit ihm läuft."
Fred seufzte erneut und Hugo rief eine weitere Flasche Feuerwhiskey herbei. Fred schien ihn wirklich zu brauchen. Sie flog ins Wohnzimmer und Hugo drückte sie Fred in die Hand, der sofort einen großen Schluck trank.
"Es war das erste Mal, dass ich bei ihr eingeschlafen bin. Vielleicht war es das. Vielleicht war es einfach zu intim. Zu vertraut. Vielleicht hat es mich zu sehr an Ellen erinnert.", überlegte er und trank einen weiteren Schluck. "Vielleicht sollte ich es einfach ganz sein lassen."
Hugo zuckte mit den Schultern. Er war der Meinung, dass zumindest der Sex Fred gut tat und ihm half, sich etwas zu entspannen und nicht mehr von dem Schmerz zerfressen zu werden, den der Gedanke an Ellen immer noch bei ihm auslöste, selbst nach all diesen Jahren. Aber wenn er sich damit nicht wohlfühlte, dann war es wahrscheinlich wirklich besser, wenn er die Sache zwischen ihm und Lisa einfach beendete. Er war schließlich nicht an Freds Stelle. Er hatte keine Ahnung, wie er mit sowas umgehen würde.
Und dann zuckte er zusammen, weil ihm sein Traum wieder einfiel. Wenn Clara und Angela bei der Geburt sterben würden, dann wäre er exakt an Freds Stelle.
Er erschauderte, riss Fred die Flasche Feuerwhiskey beinahe aus der Hand und trank sie fast ganz leer, bis er sich wieder etwas besser fühlte. Er stellte die Flasche auf den Tisch und bemerkte, dass Fred ihn mit hochgezogenen Augenbrauen neugierig anblickte.
"Und was ist mit dir? Eigentlich hab ich nicht damit gerechnet, dass du um halb zwei wach bist und dich betrinkst."
Hugo stöhnte und fuhr sich durch die Haare. "Ich hatte einen Albtraum. Clara und Angela sind bei der Geburt gestorben. Es war schrecklich. Und dann bin ich aufgewacht und sie lag neben mir und hat friedlich geschlafen und das Baby hat getreten und alles war gut. Und dann ist mir klar geworden, dass das gar kein Traum sein muss. Dass sie wirklich sterben können." Seine Stimme brach und er brauchte einen Moment, bis er weitersprechen konnte. "Tja, und dann hab ich mich dazu entschlossen, mich zu betrinken."
Er nahm die Flasche wieder in die Hand und trank einen weiteren Schluck.
"Okay, das kann ich verstehen", erwiderte Fred mitfühlend.
"Weißt du, mir kam gar nicht der Gedanke, dass ich sie verlieren könnte. Ich war so froh, dass ich Clara gefunden habe und dass wir ein Baby bekommen, dass mir gar nicht in den Sinn gekommen ist, dass ich die beiden verlieren könnte." Selbst nach seinem Unfall war ihm das nicht wirklich bewusst gewesen. Ihm war klar geworden, dass ihm selbst etwas passieren könnte, wenn er nicht vorsichtig war, aber dass Clara oder Angela ... Diesen Gedanken hatte er immer im Keim erstickt. Vielleicht war er deshalb von diesem Traum eingeholt worden. Und jetzt wurde er den Gedanken nicht mehr los.
Fred legte ihm verständnisvoll seine Hand auf die Schulter. "Es sterben kaum noch Menschen bei der Geburt. Die Medizin ist so weit fortgeschritten und wir haben die Zauberei auf unserer Seite."
"Ich weiß." Hugo schluckte. "Aber Ellen hat die Medizin nicht geholfen. Und selbst wenn sie nicht bei der Geburt sterben, kann doch trotzdem was passieren. Es ist zwar kein Krieg, aber es gibt doch so viele andere Möglichkeiten. Julias Mutter ist bei einem Autounfall umgekommen. Und da hat ihr auch kein Zauberer helfen können. Und ich hab gehört, dass irgendjemand im Tropfenden Kessel an einem Hühnerknochen erstickt ist und es keiner gemerkt hat, bis es zu spät war. Es gibt so viele Möglichkeiten, sie zu verlieren Fred, so schrecklich viele. Und ich hab solche Angst, weil ich nicht mehr weiß, wie ich ohne sie leben kann."
Hugo schluckte und zwang sich dazu, seine Tränen zurückzuhalten. Ihm wurde schlecht von all den Gedanken, die ihm durch den Kopf gingen. Und der Alkohol schien dieses Mal überhaupt nicht zu helfen. Er machte alles nur noch schlimmer.
Fred seufzte. "Tu das nicht, Hugo. Tu das nicht. Denk nicht jede Sekunde darüber nach, dass du sie verlieren könntest und wie weh es tun würde. Damit tust du dir nur selbst weh und machst dich verrückt. Es ist wahr, es gibt unendlich viele Möglichkeiten, die Menschen, die man liebt, zu verlieren. Aber es bringt nichts, ständig darüber nachzugrübeln. Das wird nichts ändern und du verlierst nur den Blick für die ganzen schönen Dinge, die dir widerfahren. Du kannst es nicht genießen, dein Baby auf dem Arm zu halten, wenn du ständig darüber nachdenkst, wie du es wieder verlieren könntest. Sei einfach nur froh, dass du es hast."
Hugo nickte. Das wusste er, aber jetzt, wo er angefangen hatte, konnte nicht mehr damit aufhören, darüber nachzudenken. Er wollte Clara und Angela nicht verlieren.
"Nach Ellens Tod ging es mir auch so. Wenn ich sie so schnell verlieren konnte, wie schnell könnte ich dann alle anderen Menschen verlieren, die mir wichtig sind? Es war schrecklich und diese Gedanken haben mich alle nur noch mehr fertig gemacht. Denn dagegen tun kannst du sowieso nichts. Du kannst nichts verhindern. Wenn ihre Zeit gekommen ist, dann ist sie gekommen.
Also hör auf, Hugo. Hör auf, darüber nachzudenken, sondern genieß einfach die Zeit, die dir mit allen Menschen, die du liebst, vergönnt ist. Genieß die Zeit, die du mit Clara hast, egal ob das nun zwei Wochen oder zwanzig Jahre sind. Denn du kriegst keinen einzigen Tag, den du verloren hast, wieder zurück."
Hugo hob die Flasche an und trank einen weiteren Schluck, bevor er sie Fred gab, der den letzten Rest herunterkippte. Ein kleines wehmütiges Lächeln erschien auf seinem Gesicht.
"Wenn ich an die Zeit mit Ellen zurückdenke, dann bereue ich keine einzige Sekunde, die ich mit ihr verbracht habe. Wir haben jeden Tag voll ausgekostet und aus allem das beste gemacht. Es waren nur sieben Jahre, die wir hatten, aber es waren die besten sieben Jahre meines Lebens und ich bin dankbar dafür, dass wir sie hatten und sie nicht durch diese ständige Angst beherrscht waren.
Also freu dich, dass du Clara hast und genieß alle Zeit, die du mit ihr kriegen kannst. Du weißt nicht, wie viel Zeit ihr zusammen habt. Mach sie nicht kaputt durch diese ganzen deprimierenden Gedanken. Das bringt niemandem was. Verstehst du, was ich meine?"
Hugo schluckte seine Tränen herunter und nickte. "Ja, ich versteh's. Und ich weiß, dass du Recht hast. Aber es ist nicht so einfach."
Fred lachte. "Keiner hat behauptet, dass es einfach ist, wenn man die Liebe seines Lebens gefunden hat. Man hat so viel mehr dazugewonnen. Aber auch sehr viel mehr zu verlieren."
Hugo seufzte. Fred hatte völlig Recht. Mit allem. Es lohnte sich nicht, sein ganzes Leben lang nur mit dieser Angst zu leben.
Er hob gerade seinen Zauberstab, um eine weitere Flasche herbei zu rufen, als Clara verschlafen in der Tür erschien. Ihr Haar war völlig zerzaust und sie wirkte leicht desorientiert, als sie Hugo und Fred verwirrt musterte.
"Was macht ihr denn hier mitten in der Nacht?", fragte sie mit rauer Stimme. Sie rieb sich über die Augen und Hugo sprang schnell auf. Für einen Moment drehte sich alles. Aber er war Alkohol gewohnt und hatte sich schnell wieder gefangen.
"Es ist alles in Ordnung. Geh wieder ins Bett. Fred hat einfach nur ein bisschen Gesellschaft gebraucht. Wir werden dich nicht mehr stören und ganz leise sein, versprochen." Er beugte sich zu ihr herunter und küsste sie flüchtig auf den Mund, bevor er die Hände auf ihre Schultern legte und sie sanft in Richtung Schlafzimmer zurück schob.
Er hörte, wie Fred aufstand und ihnen in den Flur folgte. "Ich glaube, ich geh besser nach Hause. Ich bin müde. Ich will nicht weiter stören."
Hugo öffnete den Mund und wollte widersprechen, aber Fred schüttelte den Kopf. "Lass gut sein. Es geht mir wieder besser. Dir hoffentlich auch."
Hugo überlegte einen Moment. Er schaute zu Clara, die ihn verwirrt ansah, und lächelte. Sie war wunderschön und zauberhaft und es würde ihn umbringen, sie zu verlieren. Aber ständig darüber nachzudenken würde auch nichts besser machen.
"Ja. Es geht mir besser." Er umarmte Fred kurz. "Danke."
Fred lächelte. "Ganz meinerseits", erwiderte er, nickte Clara zu, wünschte eine gute Nacht und war dann wieder verschwunden.
Clara blinzelte und strich sich über ihren Bauch. "Was war das denn?"
"Ein Männergespräch", erwiderte er grinsend.
Clara lächelte. "Das dachte ich mir, so wie du nach Alkohol stinkst." Hugo erwiderte ihr Lächeln schuldbewusst und wollte einen Schritt zurücktreten, aber sie schüttelte den Kopf und zog ihn an seinem T-Shirt zu sich. Sie legte ihre Arme um ihn und küsste ihn. "Komm zurück ins Bett", flüsterte sie. "Ohne dich ist es so einsam da drin."
Er folgte ihr ohne Protest. Er legte sich neben sie und wartete darauf, bis sie es sich in ihrem Kissenberg bequem gemacht hatte und zufrieden die Augen schloss, bevor er einen Arm um sie legte und spürte, wie ihre Brust sich hob und senkte. Sie lächelte ihn an, ohne die Augen zu öffnen und war bald darauf eingeschlafen.
Hugo betrachtete sie noch eine Weile, bevor auch er die Augen schloss. Es war wirklich nichts besser als die Gegenwart.
TBC...
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A/N: So, diesmal haben wir uns ein bisschen der Geschichte von Fred zugewandt. Clara hatte nur einen kleinen Auftritt, aber wichtig war er alle Mal. Und wir nähern uns jetzt langsam aber sicher dem Ende. Und weil ich am Dienstag in den Urlaub fahre, werden die nächsten beiden Sonntage ohne Kapitel sein. Ich hoffe, ihr überlebt die Zeit gut. Als kleine Aufmunterung kann ich euch allerdings verraten, dass das nächste eine Ausnahme darstellt, weil es nämlich nicht aus der Sicht von Hugo sein wird, sondern aus der von Clara.
Also erstmal: Über 100 Kommentare! Yay! Vielen vielen Dank euch allen, die immer mitlesen und so fleißig kommentieren, obwohl ihr wisst, dass das nächste Kapitel auf jeden Fall kommen wird, ich freu mich wirklich sehr, dass euch die FF so gut gefällt. Ich hab da ja über ein Jahr Arbeit reingesteckt und freu mich, dass es sich anscheinend gelohnt hat.
@Kalliope: So sehr auf Action stehe ich gar nicht. Aber irgendwie hatte ich das Gefühl, dass das letzte Kapitel unvollständig ist. Ich hab irgendwann aufgehört zu schreiben und mit dem nächsten Kapitel weitergemacht und dann wusste ich am Ende nicht mehr, was in das 15. Kapitel noch reinschreiben soll. Es hat sich nicht fertig angefühlt, aber nach mehrmaligem durchlesen hat's mir doch zu gut gefallen, um es euch vorzuenthalten.
@klothhilde: Ich mag die Kapitel mit dem ganzen Weasleyhaufen auch am liebsten, aber ich finde, dass sie viel schwerer zu schreiben sind, deshalb kommen sie auch nicht allzu häufig vor. Aber es ist schön, dass sie jedes Mal, wenn es sie gibt, so großen Anklang finden.
@Dolohow: Ich hab erstmal etwas gebraucht, bis ich gecheckt habe, dass du in deinem Kommentar auf den nicht vorkommenden Heiratsantrag anspielst. Wenn mir was gutes einfällt, dann schreibe ich ihn irgendwann als Momentaufnahme, also vielleicht wirst du ihn doch noch irgendwann bekommen ;).
@Krummbein: Ich brauch auch nicht in jedem Kapitel Drama und Spannung. Aber irgendwie hatte ich das Gefühl, dass das letzte Kapitel unvollständig ist. Ich hab irgendwann aufgehört zu schreiben und mit dem nächsten Kapitel weitergemacht und dann wusste ich am Ende nicht mehr, was in das 15. Kapitel noch reinschreiben soll. Es hat sich nicht fertig angefühlt, aber nach mehrmaligem durchlesen hat's mir doch zu gut gefallen, um es euch vorzuenthalten.
@Kati89: Danke für deinen Kommentar.
@Leni-04: Ich freu mich auch, dass ich die 100 hier schon erreicht hab. Schön, dass es immer noch so viel Interesse an HP-FFs gibt, auch wenn das letzte Buch schon vor einiger Zeit rausgekommen ist. Ja, die Geburt ist das Ereignis, auf das diese FF hinausläuft. Das 20. Kapitel ist allerdings ein Epilog, der ein paar Monate nach der Geburt des Babys spielt, also geht die FF strenggenommen noch ein bisschen weiter ;).
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