Slytherin Hearts - Hinter der Fassade
von SaphiraMalfoy
Abends, halb 10 zehn im Mädchenschlafsaal.
„Na, wer von euch hat schon ein Date für den Weihnachtsball?“, frohlockte Pansy und ließ sich grinsend auf ihrem Bett nieder. Daphne schwieg beharrlich, doch Millicent, die sich normalerweise sehr gut mit Pansy verstand, seufzte hochgradig genervt:
„Wir wissen mittlerweile alle, dass du deinen Angebeteten endlich rumbekommen hast.“
„Nur kein Neid“, lachte Pansy und sah die anderen Mädchen fragend an.
„Ehrlich, Saphira... Wieso begleitest du eigentlich Blaise? Zwischen euch läuft doch nichts, oder irre ich mich etwa?“, wollte sie an die Blonde gewandt wissen.
„Was spricht dagegen, dass wir nur als Freunde hingehen?“, erwiderte diese, während sie so tat, als ordnete sie die Bücher in ihrer Nachttischkommode neu an. In Wahrheit suchte sie lediglich einen Grund, Pansy nicht ansehen zu müssen, da sie befürchtete, die Eifersucht könnte ihr ins Gesicht geschrieben stehen. Zwar hatte sie gewusst, dass Draco sie bald aufgeben und sich einem anderen Mädchen zuwenden würde, doch sie hatte nicht damit gerechnet, dass es so schnell passieren würde. Gerade noch waren sie sich verflucht nahe gekommen, hatten unbestreitbar miteinander geflirtet, und keine fünf Minuten später fiel ihm Pansy um den Hals und küsste ihn - wenn auch nur auf die Wange - da er plötzlich nahtlos dazu übergegangen war, an ihr herumzubaggern. Eigentlich überraschte es Saphira nicht sonderlich, trotzdem tat es weh.
„Vermutlich weil sie den letzten passabel aussehenden und reinblütigen Kerl abbekommen wollte, der hier herumpilgert“, murmelte Ariadne bissig und sah von ihrer Lektüre hoch. „Vielleicht ist es aber auch möglich, dass nicht jeder das Klischee erfüllt, sich nach einem Abend mit Tanz, Bowle und Musik hinter dem nächstbesten Busch deflorieren zu lassen. Alternativ wäre ebenfalls denkbar, dass Black es schlichtweg nicht nötig hat, permanent jedem mit ihrem Partner in den Ohren zu liegen, um im Zentrum der Aufmerksamkeit zu stehen, oder... Such dir eine der Varianten aus.“
Währenddessen bei den Jungs.
„ZABINI! Sind das etwa meine Boxershorts, die du da trägst?“, keifte Draco, der momentan äußerst mies gelaunt und leicht reizbar war; außerdem nahm er es dem Dunkelhäutigen immer noch übel, dass Saphira ihn bevorzugte.
„Ehm... Möglicherweise...“, murmelte dieser und sah nachdenklich an sich herab.
„Ausziehen!“, befahl der Blonde in harschem Ton.
„Augenblick, ich gehe kurz ins-“, begann [der athletische Kerl in fremder Unterwäsche] Blaise, wurde jedoch von Draco unterbrochen.
„SOFORT!“
…
[Und um die sabbernden Fangirls, die darauf warten, dass die Autorin den nackten Blaise beschreibt, nicht weiter aus der Fassung zu bringen...]
Zurück zu den Mädchen.
„Was dagegen spricht?“ Pansy überging Crouchs Aussage und schüttelte an Saphira gewandt fast schon mitleidig den Kopf. „Oh, komm schon, Phia. Du bist hübsch, reinblütig, reich, und so weiter. Es kann doch nicht so schwer sein, einen Jungen zu finden, bei dem das Interesse auf Gegenseitigkeit beruht.“
„Das Problem besteht darin, dass dieser ganz bestimmte Kerl leider bereits mit dir verabredet ist, Parkinson“, warf Daphne ein und grinste hinterhältig. „Black ist bis über beide Ohren in Malfoy verknallt, aber der hat sich nun ein anderes Spielzeug gesucht. Mach dir nichts draus, Kleines. Du hast mein vollstes Mitgefühl“, spottete sie, woraufhin Saphira nur die Augen verdrehte.
„Danke, das brauche ich nicht, Liebes“, entgegnete Saphira ironisch, drehte sich um und schenkte der verhassten Mitschülerin einen herablassenden Blick. „Ehrlich, ich freue mich für dich, Pansy“, log sie und lächelte zuckersÃ¼ß in die Runde. Pansy nickte und erwiderte ihr Lächeln, bevor sie im Badezimmer verschwand, obwohl sie sich nicht sicher war, inwieweit sie der Freundin glauben konnte, was das Thema Draco anging.
Es war Saphira hochgradig unangenehm, dass offensichtlich jeder darüber Bescheid zu wissen schien, was sich in den vergangenen Wochen zwischen ihr und Draco abgespielt hatte. Dabei war sie sich selbst nicht einmal im Klaren darüber, was genau sie überhaupt miteinander verband. Was sollte sich verändert haben? Es war alles wie immer, nur ihre Gefühle für ihn hatten sich in eine Richtung entwickelt, die nichts Gutes verhieß. Wie in Merlins Namen hatte sie sich nur in Draco Malfoy verlieben können?
„Für wen hast du dich eigentlich entschieden?“, fragte sie an Tracey gewandt, um das Thema zu wechseln. Es war ihr nicht entgangen, dass mindestens zwei Slytherins und ein Ravenclaw bereits versucht hatten, Tracey einzuladen. Mit ihrer offenen und humorvollen Art punktete sie einfach bei den Jungs.
„Mal sehen, ich schätze Miles Bletchley macht das Rennen, wobei... Ich hätte da noch jemand ganz anderen im Visier, jedoch müsste ich dieser Angelegenheit vermutlich selbst ein klein wenig auf die Sprünge helfen, denn es ist recht kompliziert“, antwortete die Schwarzhaarige ungewohnt nachdenklich und streckte sich gähnend auf ihrem Bett aus, die Augen fest auf ihre beste Freundin gerichtet.
„Was meinst du?“ Verwirrt runzelte Saphira die Stirn.
„Wenn du mir dein Geheimnis verrätst, erzähle ich dir meines“, kicherte Tracey, stützte sich auf den Ellenbogen ab und legte ihr Kinn in die Handinnenflächen.
„Ich habe nicht die geringste Ahnung, wovon du sprichst“, sagte die junge Black, zog die Strickjacke aus, welche sie über ihrem langärmligen Nachthemd getragen hatte, und legte sich ebenfalls hin.
„Oh, doch. Das weißt du genau“, lachte Tracey, lehnte sich zu ihr herüber und senkte verschwörerisch die Stimme. „Was läuft wirklich zwischen dir und dem widerlichen Schleimbeutel? Erzähl mir nicht, Greengrass würde mit ihrer Vermutung völlig falsch liegen, denn das glaube ich dir nur, wenn du eine wahnsinnig gute Ausrede für deine verräterisch roten Wangen und die verstohlenen Blicke hast, die du ihm dauernd zuwirfst. Außerdem turtelt ihr so offensichtlich miteinander herum, das kann man nicht falsch verstehen! Die halbe Schule schließt bereits Wetten auf euch ab. Nott hat zehn Galleonen darauf gesetzt, dass du Malfoy nie in dein Bett lässt“, sagte sie und wackelte dabei mit den Augenbrauen, was ziemlich bescheuert aussah.
„Fang du nicht auch noch damit an!“, fauchte Saphira genervt und richtete sich auf. „Gar nichts läuft zwischen uns“, flüsterte sie leise, damit die anderen Mädchen ihr Gespräch nicht belauschten, aber energisch, um Tracey zu verdeutlichen, dass sie darüber nicht reden wollte. Dazu gab es nichts zu sagen. Viel zu verwirrt war sie, um in der Lage zu sein, ihre eigenen Emotionen in Worte zu fassen. Außerdem wollte sie sich ihrer Gefühle selbst nicht allzu bewusst werden, um zu verhindern, sich noch weiter in die aussichtslose Phantasie hineinzusteigern, Draco näher zu kommen. Was hätte sie davon? Nichts. Das einzig Intelligente war, ihn zu meiden und den unheimlichen Wunsch, mit ihm zusammen zu sein, zu verdrängen; in der Hoffnung, ihre Schwärmerei würde sich von selbst erledigen. Leider war es nicht nur eine Schwärmerei, es war mehr als das...
„Ich habe keinen blassen Schimmer, wie ihr alle darauf kommt. Wir sind nur gute Freunde; das waren wir schon immer. Nur weil bei euch die Hormone derzeit überkochen, bedeutet das nicht automatisch, dass es jedem so geht. Ich bin an niemandem sonderlich interessiert, deswegen begleite ich meinen besten Freund auf den Ball, wo wir gemeinsam einen schönen Abend verbringen werden, mehr jedoch nicht“, erklärte Saphira mit grimmiger Miene, wünschte Tracey eine gute Nacht und beendete diese Diskussion, ehe sie richtig begonnen hatte.
Schnell schloss die Blonde die Vorhänge ihres Bettes, um zu verhindern, heute noch einmal mit diesem Thema belästigt zu werden. Was sie jedoch nicht unterbinden konnte, waren ihre Gedanken, die unablässig um diesen verdammten Kerl kreisten.
Insgeheim bereute sie es, nicht doch zugesagt zu haben, als Draco sie gefragt hatte. Ja, er war ein Arsch, aber die Vorstellung, ihn noch einmal mit einem anderen Mädchen zusammen zu sehen, tat weh; und dann musste es auch noch ausgerechnet Pansy sein. Nicht nur, dass sie seit ihrer Kindheit miteinander befreundet waren, nein, sie teilten auch noch einen Schlafsaal, was zwangsläufig bedeutete, dass sie sich ihre verzückten Berichte über ihre Treffen mit Draco nun täglich würde anhören müssen.
Gut, sie hatte ihre Chance gehabt, Draco war ihre lange genug hinterhergelaufen und sie hatte sich weise dagegen entschieden, sich auf ihn einzulassen. Es war die richtige Wahl. Trotzdem wuchs ihre Sehnsucht ins Unermessliche an, nun da er sie aufgegeben und sich ein neues Opfer gesucht hatte, dem er das Herz brechen konnte. Erschrocken wischte Saphira sich eine Träne von der Wange und hätte sich am liebsten selbst geohrfeigt. Wegen diesem Kerl würde sie doch nicht etwa weinen! Seufzend drehte sie sich auf die Seite und schloss die Augen, während sie darüber nachdachte, ob es einen Weg gab, sich möglichst schnell wieder zu 'entlieben'. Leider fiel ihr partout nichts ein, wodurch sie Draco aus ihrem Herzen vertreiben konnte. So oft sie sich auch die Situationen vor Augen führte, in denen sie erlebt hatte, wie mies er sein konnte und wie wenig er sich um die Gefühle anderer Menschen scherte, es änderte nichts an der Tatsache, dass sie ihn mehr als nur gern mochte.
Unglücklich und ratlos schlief sie schließlich ein und schaffte es zumindest in ihren Träumen, nicht an ihn zu denken.
* * *
Auch der nächste Morgen war der jungen Hexe alles andere als wohlgesonnen. Gerade hatte Saphira sich zum Frühstücken am Slytherin-Tisch niedergelassen, als sie auch schon die große, dunkelbraune Eule ihrer Mutter auf sich zufliegen sah. Es kam eher selten vor, dass Cecilia ihr schrieb, doch ihr wurde bereits bei dem Gedanken daran schlecht, was dieser Brief beinhalten könnte und sie sollte nicht enttäuscht werden. Beim Lesen weiteten sich ihre Augen und sie biss die Zähne fest zusammen, um das Bedürfnis zu unterdrücken, sich jemandem mitzuteilen, über ihren Kummer zu sprechen. Mit zittrigen Fingern faltete sie das Pergament zusammen, erhob sich und verließ schnellen Schrittes die große Halle, ohne dabei auf Tracey zu achten, die ihr hinterherrief und fragte, was los sei.
Sie hatte nicht bemerkt, dass Draco sie die ganze Zeit über genauestens beobachtet hatte und ehe er darüber nachdenken konnte, was er eigentlich vorhatte, verselbstständigten sich seine Beine und er folgte Saphira aus der großen Halle heraus. Dabei hielt er ein sicherheitshalber ein paar Meter Abstand, denn die Ablehnung seiner Person hatte sich nur allzu lebhaft in sein Gedächtnis eingebrannt. Außerdem wirkte die Blonde ziemlich durch den Wind und er wollte sie nicht noch einmal in Rage bringen. Davon hatte er fürs Erste wirklich genug.
Ohne so recht zu wissen, wohin sie eigentlich ging, ließ Saphira den Trubel hinter sich, den die anderen Schüler beim Frühstück verursachten, und versuchte ihre wirren Gedanken zum Schweigen zu bringen. Es wäre auch wirklich zu viel verlangt gewesen, zur Abwechslung mal ein paar nette Zeilen von ihrer Mutter gesendet zu bekommen. Bezüglich des bevorstehendes Weihnachtsballes hatte Cecilia ihr mal wieder ein ganzes Regelwerk voller Vorschriften und Ermahnungen geschickt, die in vollendeter Perfektion deutlich machten, wie wenig sie von ihrer eigenen Tochter hielt und dass sie schon fast davon ausging, Saphira würde sich daneben benehmen.
Unterlasse dies, unterlasse jenes. [...] Mach mir keine Schande, indem Du Dich aufführst wie ein ordinäres Schlammblut-Flittchen und Dich dem nächstbesten Blutsverräter an den Hals wirfst. Es genügt bereits, dass Du es nicht unterlassen kannst, Dich mit dieser missratenen Davis-Göre abzugeben. [...] Lasse Dich unter keinen Umständen auf einem Jungen ein, der unter Deinem Stand ist. Ich habe mit Narzissa gesprochen und auch sie hält es für eine gute Idee, dass Du Dracos Begleitung wirst. Ihr seid ohnehin noch viel zu jung, euch ernsthafte Gedanken über den Umgang mit dem anderen Geschlecht zu machen. [...] Achte auf Dein Benehmen. Du bist eine Black und somit stets verpflichtet, diesem Namen gerecht zu werden. Wir können es uns nicht leisten, noch mehr Schande über die Familie zu bringen, als es einige Deiner Verwandten bereits getan haben. [...] Ich kann mir bestens vorstellen, dass die Hormone in Eurem Jahrgang derzeit überkochen, doch erwarte ich von Dir Disziplin und Anstand. Unterstehe Dich, Deine gute Erziehung für einen einzigen Abend außer Acht zu lassen, denn jeder kleinste Fehltritt Deinerseits könnte den gesellschaftlichen Ruin für uns beide bedeuten. Vergiss das nicht. Des Weiteren verlange ich, dass Deine Noten sich auf dem nächsten Zeugnis deutlich verbessert haben. Noch ein A in Kräuterkunde dulde ich nicht.
Und so ging es schier endlos weiter.
Mit keiner Silbe wünschte Cecilia ihr viel Spass auf dem Ball, oder versicherte ihr, dass sie bezaubernd aussehen würde, wie es jede normale Mutter getan hätte und wenn sie ehrlich zu sich selbst war, hatte Saphira nichts anderes erwartet. Dennoch schmerzte es, mal wieder so unmissverständlich gezeigt zu bekommen, dass sie in Cecilias Augen nichts weiter als eine reine Enttäuschung war. Einerseits war Saphira ein Mädchen und deswegen nicht in der Lage, den Namen Black weiterzuvererben, was sie so gut wie wertlos machte. Wegen ihr bekam Cecilia nie die Chance, ihre gesellschaftliche Stellung noch einmal zu verbessern, indem sie jemand anderem einen reinblütigen Jungen gebar, denn welcher Mann, dessen Stand dem ihren entsprach, wollte schon eine Frau, die bereits ein Kind hatte? Zwar kam es Saphira nicht wirklich so vor, als wäre ihre Mutter dazu bereit, sich auf irgendjemanden einzulassen, doch der Vorwurf, den sie ihr deshalb machte, war eindeutig.
Wahrscheinlich meinte sie es nur gut mit Saphira, fürchtete darum, dass sie ähnliche Fehler begehen könnte, sich zu früh auf einen Mann einließ und am Ende alleine blieb mit einem Kind und der daraus resultierenden, lebenslangen Verantwortung. Aber dieser Gedanke heiterte ihre Laune nicht im Mindesten auf. Ihr Vater war gestorben, während er für den Dunklen Lord gearbeitet hatte... Es war ein tragischer Unfall und hätte jedem Todesser passieren können, auch Lucius beispielsweise. Diese Situation konnte man nicht einmal ansatzweise auf die heutige Zeit übertragen, denn der Unnennbare war fort und ironischerweise war es nicht einmal Er-dessen-Name-nicht-genannt-werden-darf, vor dem ihre Mutter sie warnte. Das hätte zumindest noch Sinn ergeben. Nein, es ging nur um Äußerlichkeiten, ihren Ruf, die soziale Stellung, nicht negativ aufzufallen und das hübsche Vorzeigepüppchen zu mimen.
All diese bedrückenden Gedanken rasten in Windeseile durch ihren Kopf und als die Blonde sich umsah, stellte sie überrascht fest, dass sie kaum zehn Meter von der Großen Halle entfernt war. Einige Nachzügler und Spätaufsteher eilten an ihr vorbei, um noch schnell etwas zu Frühstücken, ehe sie in den Unterricht mussten und Saphira spürte erschrocken, wie ihr die Tränen in die Augen stiegen, als sie erneut auf den gefalteten Brief hinab sah. Peinlich berührt blinzelte sie ein paar mal, doch es wurde nur schlimmer. Sie musste dringend alleine sein, um ihre Emotionen wieder unter Kontrolle zu bringen und nicht negativ aufzufallen, wie es ihre Mutter bereits befürchtet und mit diesem Brief zu verhindern gesucht hatte. Wie widersinnig, dass Saphira nun ausgerechnet deswegen drohte, die Fassung zu verlieren und sich lächerlich zu machen.
Was war denn nur los mit ihr? Für gewöhnlich schaffte sie es doch auch, ihre Gefühlsausbrüche so gering wie möglich zu halten, schließlich hatte sie ihre geheimen Bewältigungsmechanismen, ihre ganz eigenen Wege, sich selbst von ihrem Kummer abzulenken und vor der Außenwelt zu verschließen. Irgendetwas hatte sich verändert, seitdem Draco angefangen hatte, sich in ihr Leben einzumischen. Er brachte die junge Hexe durcheinander, weckte Empfindungen in ihr, die sie bislang nicht gekannt hatte und die ihr Angst machten, weil sie es nicht schaffte, sie zu kontrollieren, und es zunehmend schwerer wurde, ihre eiskalte, gleichgültige Fassade aufrecht zu erhalten.
Ein Erstklässler rempelte sie an und Saphira schreckte aus ihrer Trance hoch. Noch immer stand sie mitten in der Eingangshalle und bemerkte nicht, dass nur wenige Meter hinter ihr Draco stand und sie beobachtete. Rasch sah sie sich um und entdeckte zu ihrer Rechten einen Wandvorhang, hinter dem sie einen Geheimgang vermutete. Tatsächlich befand sich dort ein schmaler, von Fackeln beleuchteter Gang. Gegen die kühle Steinmauer gelehnt, ließ sich die Blonde zu Boden sinken, vergrub das Gesicht in den Händen und versuchte ihren Atem zu beruhigen.
Reiß dich gefälligst zusammen, du Heulsuse! Wer wird denn wegen so etwas gleich weinen? Was ist so schlimm daran? Du hast damit gerechnet, es ist nichts Besonderes, ärgerte sie sich stumm und biss sich auf die Unterlippe, um ein Schluchzen zu unterdrücken.
Du bist doch kein Kleinkind mehr! Doch genau so fühlte sich die junge Hexe in diesem Moment, wie ein kleines Mädchen, das sich nach einem einzigen, netten Wort ihrer Mutter sehnte, einer Umarmung oder irgendeiner anderen Geste, die ihr zeigte, dass sie nicht nur eine Versagerin war, sondern geliebt wurde. Saphira fühlte sich schrecklich einsam, wusste jedoch, dass diese Empfindung nicht das Geringste damit zu tun hatte, dass sie in diesem Korridor vollkommen alleine war. Selbst in der riesigen Menschenmenge, die sich in der großen Halle befand, würde es ihr nicht anders ergehen, sondern eher noch schlechter. Umgeben von so vielen Leuten wurde ihr jedes Mal deutlich, wie sehr sie in sich selbst gefangen war und dass es ihr unmöglich erschien, sich ihrer Umwelt jemals zu öffnen, obwohl ihre innere Unruhe sie dazu drängte. Dieses Bedürfnis wusste sie glücklicherweise gut zu unterdrücken, denn Selbstdisziplinierung gehörte zu ihren leichtesten Ãœbungen. Bisher.
Auf der anderen Seite des Wandbehanges stand Draco und besah sich zögernd das grässliche Muster des uralten Teppichs. So recht erklären, warum er ihr gefolgt war, konnte er sich nicht. Ebenso wenig wusste er, was er nun tun sollte. War es wirklich klug, nachzusehen, ob sie sich in dem Geheimgang aufhielt, oder einfach weitergegangen war? Wozu sollte das führen? Vermutlich wollte Saphira ohnehin lieber alleine sein und würde nur gereizt auf die Störung reagieren.
Wie auch immer. Auf ihn war sie derzeit sowieso nicht gerade gut zu sprechen. Wieso verschwand er nicht einfach und frühstückte in Ruhe zu Ende?
Unschlüssig blickte er auf seine Hände hinab und stellte überrascht fest, dass er einen Apfel darin hielt. Dabei mochte Draco gar keine Äpfel, erst recht keine grünen.
Saphira hingegen stand total auf das saure Obst...
Auf Draco hingegen schien sie ganz und gar nicht zu stehen.
Mittlerweile war er sich absolut nicht mehr sicher, ob er ihre Reaktionen richtig gedeutet hatte, oder ob er völlig falsch lag und sie ihn tatsächlich schlichtweg unausstehlich fand.
Mit unzufriedener Miene entschied der junge Magier, dass es besser wäre, zurück in die Große Halle zu gehen. Als er sich abwandte, vernahm er hinter sich plötzlich ein leises Schluchzen.
Langsam drehte er sich wieder um, musterte den Vorhang mit gerunzelter Stirn und war hin- und hergerissen, zwischen dem Drang, zu erfahren, ob er soeben wahrhaftig Saphira gehört hatte, und der Vorahnung, dass er es vielleicht gar nicht wissen wollte. Schließlich siegte seine Neugier und er schob den Teppich beiseite.
Tatsächlich bot sich ihm ein befremdlicher Anblick. Seine normalerweise beherrschte und unnahbare Cousine kauerte am Boden und weinte leise. Sie bemerkte nicht einmal, dass sie nicht länger alleine war. Ungläubig starrte Draco sie an und trat unwillkürlich auf sie zu, setzte sich neben sie auf die kalten Steinfliesen und legte ganz automatisch einem Arm um ihre schmalen Schultern, ohne darüber nachzudenken oder eine Ahnung davon zu haben, wie er mit dieser Situation umgehen sollte. Erschrocken zuckte Saphira zusammen und wich ein Stück vor ihm zurück, als sie in das Gesicht des einzigen Menschen blickte, der sie emotional noch mehr durcheinander brachte. Peinlich berührt wandte sie sich von ihm ab und trocknete ihre Tränen hastig mit dem Saum ihres Ärmels, während sie tief durchatmete und verzweifelt versuchte, ein glaubwürdiges Lächeln zustande zu bringen. Es war ihr so unangenehm, von ihm so gesehen zu werden, dass die Blonde am liebsten vor Scham im Boden versunken wäre. Von allen Schülern, die hier in diesem Geheimgang zufällig über sie hätten stolpern können, musste ausgerechnet Draco Malfoy sie finden. Nicht umsonst verbarg Saphira sich hinter ihrer arroganten, herablassenden und gefühlskalten Maske, hegte und pflegte ihren Ruf als unausstehliche Reinblutzicke... Was dahinter lag, das sie so sorgfältig zu verstecken suchte, ging keine Menschenseele etwas an; erst recht nicht Draco, diese hinterhältige Tratsch-Tante.
„Alles in Ordnung?“, fragte Draco und biss sich augenblicklich auf die Zunge.
Etwas Intelligenteres fällt dir auch nicht ein, du Idiot. Natürlich nicht. Hast du keine Augen im Kopf, oder bist du schon blind vor... vor..., ärgerte er sich stumm, brachte diesen Gedanken jedoch nicht zu Ende, obgleich er eine vage Ahnung davon hatte, wie dieser Satz korrekterweise fortgeführt werden könnte.
Endlich hatte Saphira sich wieder unter Kontrolle und nickte lächelnd.
„Ja, alles bestens“, sagte sie mit belegter Stimme und räusperte sich verlegen.
Die Stirn nachdenklich in Falten gelegt und ungewohnt ernsthaft schüttelte der Junge neben ihr den Kopf und musterte sie eingehend. Tatsächlich wirkte ihre aufgesetzte Fröhlichkeit beinahe echt, beziehungsweise unterschied sich nicht im Geringsten von Saphiras alltäglichem Auftreten. Doch sie konnte ihm jetzt nichts vormachen, er hatte sie weinen sehen und sie log, sie spielte ihm gerade zweifelsohne etwas vor und allmählich begann der junge Magier an seinem Bild von ihr zu zweifeln. Konnte sie wirklich eine so großartige Schauspielerin sein, dass sie ihn und ihr gesamtes Umfeld Tag für Tag täuschte, hinters Licht führte und ihnen eine heile Welt vorgaukelte, obwohl es in ihrem Inneren ganz anders aussah? Fühlte er sich deswegen so sehr von ihr angezogen? Weil sie interessant war und Draco ergründen wollte, was hinter ihrer Fassade lag? Aber wollte er das überhaupt wissen, sich damit belasten und das Risiko eingehen, dass Saphira ihm wichtiger wurde, als es ihm guttat?
Die Antwort war simpel. Ja, verdammt. Er wünschte sich nichts sehnlicher.
„Das glaube ich dir nicht“, entgegnete Draco, nachdem er ein paar Minuten nachdenklich geschwiegen und ihre Gesichtszüge begutachtet hatte. Eines musste man ihr lassen, ihre Rolle spielte sie unglaublich überzeugend, aber dieses Mal ließ er sich nicht so leicht abwimmeln und mit einer Lüge abspeisen. Die roten Flecken, welche ihre Wangen bedeckten, und die leicht geschwollenen Augen hatte er schon des Öfteren an ihr bemerkt, doch darauf angesprochen, behauptete seine Cousine stets, sie habe irgendeine Allergie und nur vergessen, ihren Trank dagegen zu nehmen. Nun hingegen konnte sie sich nicht länger rausreden.
„Bitte?“ Erstaunt hob Saphira, die bis dato ihre Schuhe angestarrt und vergeblich gehofft hatte, Draco würde einfach wieder gehen und sie in Frieden lassen, den Kopf.
„Du lügst“, kam es schlicht von ihm und er sah sie unbarmherzig an, versuchte ihren Blick aufzufangen, aber sie wich ihm nervös aus, betrachtete ihre Hände und knibbelte an den rissigen Nägeln ihres rechten Zeige- und Mittelfingers herum.
Unschlüssig öffnete sie den Mund, schloss ihn jedoch gleich wieder, da ihr nichts einfiel, was sie darauf erwidern konnte. Sonst gaben sich die Leute schließlich auch damit zufrieden, wenn sie ihnen sagte, es ginge ihr gut. Kaum jemand bohrte weiter nach, abgesehen von Tracey, die einfach ein herzensguter Mensch war und schnell begriff, wenn jemand bedrückt war. Helfen konnte sie Saphira trotzdem nicht.
Draco hatte sich aus ihren Angelegenheiten rauszuhalten, ihn ging das ganze schlicht und ergreifend nichts an.
„Möchtest du darüber reden?“, fragte er leise. Fassungslos sah sie den Jungen an, den sie anscheinend doch nicht so gut kannte, wie sie geglaubt hatte. In seinen grauen Augen lag keine Spur von Spott oder Belustigung, was die Blonde so sehr aus dem Konzept brachte, dass sie keinen Ton herausbekam. Was war denn heute mit Draco los? Er war doch sonst nicht so... einfühlsam. Meinte er es wirklich ernst, oder war dies nur ein Trick, um ihr irgendetwas zu entlocken, womit er sie später bloßstellen konnte? Womöglich wollte er sich für ihre zahlreichen Abfuhren rächen.
„Wenn du lieber alleine sein willst, dann brauchst du es nur sagen.“ Seine Worte klangen aufrichtig und fast schon nett, kein bisschen heuchlerisch.
Schnell schüttelte Saphira den Kopf und griff haltsuchend nach seiner Hand, zog sich jedoch gleich wieder zurück, als ihr gewahr wurde, was sie gerade getan hatte. Er sollte nicht gehen, denn trotz ihres Misstrauens fühlte sich seine Gegenwart gut an, irgendwie richtig und Saphira wollte nicht mehr alleine sein.
„Würde es dir etwas ausmachen, eine Weile bei mir zu bleiben?“, fragte sie mit kratziger Stimme und wischte sich mit einem Taschentuch über die gerötete Nase.
„Würde es dir etwas ausmachen, mir zu sagen, was mit dir los ist? Ist irgendetwas vorgefallen, von dem ich wissen sollte?“, verlangte Draco zu erfahren.
„Eigentlich nicht“, antwortete sie und griff nach dem Brief ihrer Mutter, der zu ihrer Rechten lag und den der junge Zauberer bislang nicht registriert hatte. Kommentarlos überreichte sie Draco das Pergament. Inwieweit dies eine gute Idee war, wusste die junge Hexe nicht, doch sie ließ es drauf ankommen in der utopischen Hoffnung, er würde wenigstens versuchen, sie zu verstehen und sich nicht darüber lustig machen.
Während sein Blick über das Papier flog, runzelte er die Stirn und verzog leicht den Mund. Einiges davon kam ihm erschreckend bekannt vor, denn obwohl er sich offenkundig gut mit seinen Eltern verstand und stets bekam, wonach er verlangte, führte Lucius ihm immer wieder deutlich vor Augen, dass sein Sohn in vielen Punkten die reinste Enttäuschung für ihn darstellte. Auch regte er sich ständig darüber auf, welche Schande es war, dass Granger, dieses Schlammblut, ihn seit dem ersten Schuljahr in jeder Prüfung geschlagen hatte. Er konnte tun und lassen, was er wollte, für Lucius war es nie genug.
Zwar rettete er Draco aus jeder brenzligen Situation und stand in der Öffentlichkeit hinter ihm, aber zu Hause war alles, was der junge Malfoy zu spüren bekam, die emotionale Kälte seines Vaters. Lucius traute ihm nichts zu, hielt ihn für verweichlicht und stritt furchtbar oft mit Narzissa darüber, gab ihr die Schuld dafür.
Vergeblich sehnte Draco sich nach Anerkennung, wünschte sich nichts mehr, als dass Lucius ihm ein einziges Mal auf die Schulter klopfte und sagte: „Das hast du gut gemacht, mein Sohn. Ich bin stolz auf dich.“ Eine Wunschvorstellung, die niemals Wirklichkeit werden würde.
Leider konnte Draco in etwa nachempfinden, wie miserabel Saphira sich fühlte, doch eingestehen wollte er dies nicht. Wie armselig stünde er dann vor ihr da? Damit würde er die Meinung seines Vaters über ihn nur bestätigen. Stumm sah er sie an und legte seine Hand behutsam auf die ihre. Es war offensichtlich, dass Saphira kein besonders inniges Verhältnis zu ihrer Mutter führte, aber Draco hatte nie begriffen, wie sehr sie dies mitnahm. Gewissermaßen saßen sie beide im selben Boot, konnten den Zwängen ihres Standes  nicht entkommen, wollten es auch gar nicht und fühlten sich doch unwohl damit, eingeengt und bevormundet. Sie waren wie zwei Marionetten ohne freien Willen, nur mit dem Unterschied, dass Draco zumindest in gewissem Maße dagegen rebellierte, aufmüpfig war und seinen Eltern auf die Nerven fiel, während Saphira sich ihrem Schicksal widerstandslos hingab.
„Ich verstehe“, murmelte Draco, nachdem er zu Ende gelesen hatte.
„Es ist nicht weiter schlimm. Mutter meint es schließlich nur gut mit mir.“ Saphira bemühte sich um einen lockeren Tonfall, trotzdem klang sie immer noch ein wenig heiser. Skeptisch hob er eine Augenbraue an. „Denkst du das wirklich, oder sagst du das nur?“
„Ich weiß es. Meine Mutter ist eben besorgt um den Ruf der Familie, sie will nicht, dass-“ Doch weiter kam Saphira nicht, denn der junge Malfoy unterbrach sie: „Ja, und so weiter und so fort. Ich kann es ehrlich gesagt nicht mehr hören. Du wiederholst immer nur die Dinge, die andere gesagt haben, sprichst davon, was das Vernünftigste ist... Aber was denkst du?“
„Wie meinst du das?“, fragte Saphira und sah ihn verwirrt an.
„Ich möchte dir nicht zu nahe treten, ich frage mich lediglich, ob du auch eine eigene Meinung hast, oder ob dein Kopf so voll ist mit Vorschriften, Anstandsregeln und Traditionen, dass du im Grunde genommen nur eine leere Hülle bist, die deine Mutter nach Belieben füllt.“ Das war mit Abstand das Erwachsenste, was sie Draco je hatte von sich geben hören, und es überrumpelte Saphira ungemein, zum ersten Mal in ihrem Leben auf so unverblümte Art und Weise mit ihrem eigenen Auftreten konfrontiert zu werden. Er hatte voll ins Schwarze getroffen. Unbeholfen zuckte sie mit den Schultern und betrachtete ihre eigenen Schuhe. Ihre Hand lag immer noch in seiner und obwohl das ein unbeschreiblich schönes Gefühl war, zog Saphira sie weg und schlag die Arme um ihre angezogenen Knie, ehe sie fast unmerklich nickte und murmelte:
„Das denkst du also über mich. Ich bin ein Mensch ohne eigene Persönlichkeit, der sich nur von außen lenken lässt. Nun, vermutlich liegst du damit gar nicht so verkehrt.“
„Nein, das glaube ich nicht, Phibs“, widersprach Draco ihr. „Das bist du nicht, du versteckst dich dahinter, aber... Ich wüsste gerne, wer du wirklich bist.“
Zaghaft hob Saphira den Kopf und wandte ihm langsam und ungläubig den Kopf zu. Sie hatte sich wohl verhört, oder durchlebte gerade einen ziemlich real wirkenden Traum, denn diese Worte konnten unmöglich aus dem Mund von Draco Malfoy stammen. Nervös biss sie sich auf die Unterlippe, als ihre Blicke sich trafen, sie sich in diesem Sturmgrau zu verlieren drohte. Es versetzte ihrem Herz einen schmerzhaften Stich, dem Jungen, nach dem sie sich am meisten sehnte, so nahe zu sein und gleichzeitig meilenweit von ihm entfernt. Es stand außer Frage, sich ihm mitzuteilen, lag absolut nicht im Bereich des Möglichen. Nein, sie musste sich von ihm fernhalten. Doch wie um alles in der Welt sollte sie ihn vergessen können, wenn er ihr immer wieder so nahe kam?
„Ich weiß nicht, was ich dazu sagen soll, Draco. Aber glaube mir, du willst es nicht wissen. Das willst du wirklich nicht“, beteuerte sie mit trauriger Stimme und Draco hatte keine Ahnung, was er darauf erwidern sollte. Er wollte sie besser kennenlernen, erfahren, was mit ihr los war, doch empfand er diesen Moment, in dem sie endlich ein ernstes Gespräch miteinander führten, als zu wertvoll, um ihn zu zerstören und er fürchtete, genau dies zu erreichen, sollte er weiternachhaken.
„Immerhin scheint deine Mutter auf meiner Seite zu sein. Auch sie ist der Meinung, dass wir beide zusammen zu diesem bescheuerten Weihnachtsball gehen sollten“, scherzte er, um ein weniger ernstes Thema anzuschlagen und tippte dabei auf den Brief, der vor ihnen auf dem Boden lag.
„Wundervoll, vermutlich war sie noch diejenige, die deiner Mutter gesagt hat, sie solle dich dazu bringen, mich zu fragen“, murrte Saphira mit düsterer Miene und Draco stellte zu spät fest, dass dies wohl der falsche Ansatz gewesen war, um seine Cousine wieder zum lächeln zu bringen.
„Weißt du“, begann er nach kurzem Zögern vorsichtig, wobei man deutlich merkte, wie sehr er sich mit diesen Worten abquälte. „Eigentlich hat Mum das mit keiner Silbe erwähnt. Sie hat mich nur gefragt, ob ich schon eine Begleitung habe, mir aber nicht vorgeschlagen, mit dir zu gehen. Das habe ich nur so gesagt, weil...“ Zerknirscht musterte er seine Schuhe. Es fiel ihm sichtlich schwer, dieses Geständnis zu machen, doch sein Wunsch, Saphiras Gunst zurückzuerlangen war größer als sein Stolz.
„Weil du vor Blaise dein Gesicht nicht verlieren wolltest und es eine tolle Ausrede bot“, beendete sie seinen Satz und der Blonde nickte schweigend.
„Und was war dann der Grund dafür, dass du ausgerechnet mich als Begleitung wolltest? Ich dachte, ich wäre so abgrundtief hässlich. Wie hast du mich so schön genannt... Miss Leichenblass“, sagte Saphira mit hochgezogener Augenbraue.
„Ich habe es nicht so gemeint. Ich war nur wütend und gekränkt, weil du mich andauernd abweist“, erklärte Draco leise. Die Worte kamen ihm nicht gerade leichtfertig über die Lippen; er war noch nie sonderlich gut im Entschuldigen gewesen.
„Aber du bist alles andere als hässlich. Ich finde dich wunderschön, Phibs“, fügte er hinzu und grinste nun wieder selbstsicher, was in Saphiras Augen unglaublich attraktiv aussah.
Verlegen lächelnd strich sie sich eine Strähne ihres langen Haares aus dem Gesicht und bemerkte nicht, wie der Ärmel ihres Schulumhanges ein Stück weit nach oben rutschte, ihren Unterarm entblößte.
„Was ist denn da passiert?“, wollte Draco wissen und deutete auf mehrere frische Wunden, die aussahen, als hätte sie sich an etwas sehr Scharfem geschnitten. Erschrocken bedeckte die junge Hexe ihr Handgelenk und vermied es gründlich, ihn anzusehen. Wieso hatte sie nicht besser aufgepasst? Oh Merlin, dieser Kerl brachte sie einfach so durcheinander, dass sie die alltäglichsten Dinge vergaß.
„Gar nichts, ich bin nur hingefallen“, log sie und biss sich auf die Unterlippe. Merlin, war ihr das peinlich. Auf keinen Fall sollte Draco erfahren, woher diese Wunden in Wahrheit stammten. Er würde es ohnehin nicht verstehen.
„Dafür sieht es allerdings sehr merkwürdig aus“, stellte er stirnrunzelnd fest.
„Soll doch nicht deine Sorge sein“, erwiderte sie gereizt und wünschte sich, er würde das Thema endlich fallen lassen, denn eine Diskussion wollte sie darüber keinesfalls führen. Schulterzuckend zückte der Blonde seinen Zauberstab und streckte die freie Hand aus.
„Zeig her, ich kann das heilen“, sagte er auffordernd, was Saphira dazu brachte, ihre Arme fest um den eigenen Körper zu schlingen und entschlossen den Kopf zu schütteln.
„Nein, danke. Das ist nicht nötig.“
„Vertrau mir, Phibs. Ich kann das ganz gut. Beim Quidditch ziehe ich mir ständig irgendwelche kleineren Verletzungen zu, die ich zumeist selbst heile und das“, er deutete auf ihren linken Arm, „wäre binnen Sekunden verschwunden.“
„Nein, Draco. Versteh doch: ich will das nicht.“
„Schon gut, kein Grund gleich so zickig zu werden.“
„Tut mir leid, aber es ist nichts. Mach dir darüber bloß keine Gedanken. Ich bin eben tollpatschig.“
„Du und tollpatschig?“ Ungläubig betrachtete Draco sie und war sich sicher, dass sie ihm nicht die ganze Geschichte erzählt hatte. Dahinter steckte irgendetwas anderes, das sie nicht preisgeben wollte.
Trotzdem beließ er es dabei, da Saphira sich plötzlich enger an ihn schmiegte, seine Hand ergriff und ihren Kopf auf seine Schulter legte. Ãœberwältigt von der plötzlichen Nähe, die sie ihm nicht nur zugestand, sondern selbst gesucht hatte, starrte er sie an und beobachtete seine eigene Hand dabei, wie sie behutsam über die Wange der Blonden strich, obwohl er sich nicht daran erinnern konnte, den Befehl dazu gegeben zu haben. Seine Finger verselbstständigten sich und ehe er sich versah, strichen sie sanft über ihre Lippen. Sie fühlten sich rau an und zeugten an mehreren Stellen davon, dass Saphira ständig darauf herumkaute. Nicht sonderlich anziehend, aber Dracos klarer Verstand hatte sich bereits verabschiedet. Ungewohnt nervös wanderte sein Blick zwischen ihren Augen und Lippen hin und her, während er sich ihrem Gesicht langsam näherte. Saphira schloss die Augen, gab ihren Widerstand gegen ihn auf und spürte, dass ihre Hände vor Aufregung zu zittern begannen, wagte es kaum zu atmen. Als seine Lippen die ihren berührten, zuckte sie kurz zurück, entspannte sich dann schnell wieder und erwiderte seinen Kuss zögerlich, unsicher. Sacht strich seine Zunge über ihren geschlossenen Mund und sie spürte ihren beschleunigten Puls, hörte ihr rasendes Herz, das die tausend Dinge, welche ihr durch den Kopf schossen, übertönte. Vorsichtig öffnete sie ihre Lippen und stupste mit ihrer Zunge gegen seine, was ein wahres Feuerwerk der Gefühle in ihr auslöste. Eigentlich wusste die junge Hexe gar nicht so recht, was sie überhaupt tun sollte, denn im Gegensatz zu Draco, der bereits mehrere Freundinnen gehabt hatte, war sie vollkommen unerfahren in solchen Dingen, hatte noch nie jemanden geküsst. Ihre enorme Unsicherheit entging dem Blonden nicht und ja, er hatte schon bessere Küsse bekommen, doch nie zuvor hatte er dabei so für ein Mädchen empfunden, dass alles andere nichtig wurde, in den Hintergrund rückte.
Als sie sich voneinander lösten, hatten Saphiras Wangen einen zarten Rosa-Ton angenommen und Draco schloss sie bedauernd in die Arme, legte ihr eine Hand unters Kinn und wollte sie dazu bringen, ihn ein weiteres Mal zu küssen, doch sie wandte sich von ihm ab, wollte ihr strahlendes Lächeln vor ihm verbergen.
„Nein, Draco, lass das“, kicherte sie verhalten und kam sich ziemlich bescheuert dabei vor, hier so breit grinsend und offensichtlich total aus dem Konzept gebracht neben ihm zu sitzen und nicht mehr dazu im Stande zu sein, ihre Gefühle vor ihm zu verbergen.
„Warum?“, fragte er leise und berührte mit seinen Lippen beinahe ihr Ohr, was Saphira einen wohligen Schauer über den Rücken trieb.
„Ich möchte das einfach nicht“, sagte sie und ihre Züge wurden wieder ernst.
„Das glaube ich dir nicht“, entgegnete der junge Malfoy stirnrunzelnd. Ihre Reaktionen waren mehr als eindeutig, weshalb log sie also?
„Es ist komplizierter, als du es dir vielleicht vorstellst“, sagte Saphira und rutschte ein Stück von ihm weg.
„Ich verstehe dich nicht, Phibs“, murmelte er gekränkt und sein Blick fiel auf den Apfel, welcher immer noch vor seinen Füßen lag. „Möchtest du?“, fragte er und deutete darauf.
„Nein, danke.“ Mit einem undefinierbar distanzierten Lächeln, das ihre Augen nicht erreichte und rein gar nichts mit dem aufrichtigen Strahlen gemein hatte, welches ihr Gesicht noch vor wenigen Minuten geziert hatte, schüttelte die Blonde den Kopf. Prüfend musterte Draco sie und stellte diesen Unterschied fest. Bis heute hatte er kaum darauf geachtet, ihre Aussagen selten in Frage gestellt und geglaubt, dass sie ein relativ zufriedenes Dasein fristete, abgesehen von ihrem Rumgezicke. Die wenigen Augenblicke, in denen er daran gezweifelt hatte, waren so schnell wieder verflogen, wie sie gekommen waren, doch nun sah er seine Cousine in einem anderen Licht.
„Sei bitte ehrlich zu mir“, verlangte er und beobachtete sie genau.
„Ich habe wirklich keinen Hunger, Draco“, versicherte sie ihm.
„Das meinte ich nicht“, entgegnete er.
„Sondern?“, wollte sie wissen.
„Lächle mich nicht an, wenn du es nicht so meinst, tu nicht so, als wäre alles in Ordnung, wenn dem nicht so ist. Lüg mich nicht an“, antwortete er ernst.
„I-ich...“ Perplex starrte Saphira ihn an und zuckte hilflos mit den Schultern. Während sie über das Gesagte nachdachte, kam sie zu dem Schluss, dass sie momentan selbst nicht wusste, wie sie sich eigentlich fühlte und ob ihr Lächeln echt gewesen war. Es war zu einer so selbstverständlichen Geste geworden, dass sie nicht sagen konnte, inwiefern es der Wahrheit entsprach. „Tu nicht so, als wenn du dein Herz auf der Zunge tragen würdest. Wie oft am Tag versteckst du dich hinter deinem arroganten Gehabe?“, sagte sie schnippisch, um von ihrer eigenen Unzulänglichkeit abzulenken.
„Das kannst du nicht miteinander vergleichen. Dir habe ich nie oder nur selten etwas vorgemacht. Was habe ich getan, dass du mir nicht die Wahrheit sagen kannst? Wieso sprichst du nicht mit mir?“, wollte er wissen und entlockte Saphira ein spöttisches Schnauben.
„Das fragst du noch?“ Ungläubig verzog sie den Mund und verschränkte beleidigt die Arme vor der Brust.
„Oh, Saphira“, stöhnte er auf. „Du kannst nicht unsere kleinen Meinungsverschiedenheiten meinen... Das war doch nur Spass, aber ich meine es absolut ernst: ich vermisse meine süße, kleine Phibs, die aufrichtig zu mir war und mich an ihrem Leben hat teilhaben lassen.“
„Wann haben wir je miteinander geredet? Ich meine wirklich geredet, über etwas von Bedeutung?“, flüsterte Saphira und ihr Blick wirkte merkwürdig leer. Nachdenklich betrachtete Draco sie und nickte dann.
„Eigentlich hast du recht, aber trotzdem warst du früher nicht so abweisend, beziehungsweise warst du es schon, aber ich meine... Merlin, wie soll ich das ausdrücken?“ Unschlüssig fuhr er sich mit seinen Fingern durch die Haare, ehe er weitersprach. „Bevor wir nach Hogwarts kamen, warst du so oft bei uns zu Hause, dass es mir kaum entgehen konnte, wie häufig du in dich gekehrt, schweigsam und irgendwie traurig warst. Du hast zwar nicht mit mir darüber geredet, aber du hast es zugelassen, dass ich dich aufmuntere und ablenke. Ich dachte, das hätte sich von selbst erledigt, als wir in die Schule kamen, oder besser gesagt habe ich einfach nicht mehr auf dich geachtet. Es war mir herzlich egal, wie es dir erging, und das tut mir leid. Damals hast du es wenigstens nicht geleugnet, nicht vor mir, und jetzt komme ich überhaupt nicht mehr an dich heran. Ich wünschte, du wärst weniger verschlossen und ein bisschen aufrichtiger mir gegenüber.“
Saphira kniff die Lippen zusammen und hatte die Stirn in Falten gelegt; sie sah nicht danach aus, als würden ihr Dracos Worte gefallen.
„Es geht niemanden etwas an, wie ich mich fühle, was ich denke. Und es ist auch nicht so, als würde es irgendjemanden interessieren“, sagte sie verbittert und griff gedankenverloren nach dem Apfel.
„Mich interessiert es“, widersprach Draco und sah ihr dabei fest in die Augen. „Die letzte halbe Stunde war doch schon mal ein guter Anfang, findest du nicht auch? So gefällst du mir wesentlich besser, Phibs, und eines möchte ich dir noch sa-“ Weiter kam er jedoch nicht, da Saphira in eben jenem Moment erschrocken aufgesprungen war und panisch ausstieß: „Wir verpassen gerade Zaubertränke. Komm, schnell! Wir sollten längst im Unterricht sein... Oh, Merlin, wir werden gewaltigen Ärger bekommen.“
Abgesehen davon, dass ihr nach dem Brief ihrer Mutter tatsächlich nicht nach Strafarbeiten zumute war, über die man Cecilia möglicherweise auch noch unterrichtete, war Saphira unglaublich erleichtert, einen Grund gefunden zu haben, ihr Gespräch an dieser Stelle abzubrechen. Es behagte ihr ganz und gar nicht, wie sehr Draco neuerdings darauf pochte, zu erfahren, was in ihr vorging und sie war sich sicher, dass es ein übles Ende nehmen würde, wenn er wirklich dahinter käme. Das musste sie unbedingt verhindern und somit konnte sie ihm die Nähe, welche sich die junge Hexe selbst so sehnlich wünschte, nicht zugestehen. Es musste dringend ein Weg gefunden werden, die Distanz zwischen ihnen wiederherzustellen.
An der Hand zog sie ihn hinaus auf den Korridor, in dem unglücklicherweise ein paar ältere Schüler herumlungerten, die anscheinend eine Freistunde hatten. Unter ihnen waren auch zwei Jungen aus Dracos Quidditch-Team, von denen einer spöttisch pfiff und der andere eine anzügliche Geste vollführte, welche Saphira erneut die Röte ins Gesicht trieb, Draco hingegen triumphierend den Daumen in die Luft recken ließ.
„Lass das gefälligst bleiben!“, zischte die Blonde und stieß ihrem Cousin unsanft den spitzen Ellenbogen in die Rippen. „Die denken noch wer weiß was.“
„Das ist der Plan, Engelchen“, feixte er und handelte sich einen weiteren bösen Blick von ihr ein.
„Du bist unmöglich“, raunte Saphira ihm zu und musste unwillkürlich kichern. So kindisch und bescheuert er auch war, es hatte unleugbar etwas Attraktives an sich.
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Draco ist ein bisschen OOC geworden, das wollte ich nicht, aber er verselbstständigt sich einfach.
Ausredemodus:
In den Büchern erfährt man nur, wie er zu den Gryffindors ist. Ich denke aber, dass, wie der Kapitelname schon sagt, mehr hinter der Fassade steckt.
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Samstag, 01.07.
Freitag, 02.06.
Mittwoch, 24.05.
Zwischen Harry, Ron und Hermine gibt es Unterschiede, zum Beispiel im Vokabular. Ron ist der britische "lad", etwas bildungsfern, wie wir hier sagen würden, jedenfalls der Welt der Theorie und Metaphysik nicht sonderlich zugetan. Sein Vokabular ist etwas gröber und eingeschränkter als das Hermines, die mehr die Intellektuelle ist und sehr elaboriert sprechen kann, jedenfalls wenn sie in Laune ist. Harry liegt dazwischen, mit Sympathien für Ron, wenn es darum geht, vermeintlich hochgestochenes Gerede zu verulken. Aber keiner spricht wirklich lax oder fehlerhaft.
Klaus Fritz