von SaphiraMalfoy
Am Tag ihrer Rückkehr nach Hogwarts war Saphira bereits in den frühen Morgenstunden aufgestanden, da sie es in ihrem Bett nicht mehr ausgehalten hatte. Die Decke anzustarren und die Gedanken immer wieder um die gleichen Themen kreisen zu lassen, war auf Dauer nur quälend und führte ohnehin zu nichts. Auch zwei Stunden ziellos durch den Wald zu irren, der an das große Grundstück angrenzte, hatte nicht dabei geholfen, den Kopf frei zu bekommen.
Nun stand die junge Hexe in der Eingangshalle des Anwesens der Malfoys und musterte Draco, der ziemlich verpennt, mit einem Brötchen in der einen und einem Umhang in der anderen Hand, an ihr vorbei trottete, ohne Notiz von ihr zu nehmen.
Bis zu ihrer Abreise blieb noch etwas Zeit und so setzte sie sich noch eine Weile auf die ausladende Terrasse, beobachtete ein paar Vögel, die in dem steinernen Brunnen badeten und genoss die Ruhe vor dem Sturm.
Auf die Schule freute das Mädchen sich nur mäßig. Zwar würde sie dort ihre Freunde wiedertreffen, aber das war nur ein schwacher Trost, im Vergleich zu dem Stress, der in Hogwarts ebenfalls auf sie wartete:
Hausaufgaben, Lehrer, Prüfungen, Gryffindors, die Greengrass-Schwestern… Daphne allein war schon schlimm genug gewesen, aber seit dem letzten Jahr war auch ihre kleine Schwester Astoria in Hogwarts. Diese spielte sich auf, als wäre sie wer weiß was Tolles und machte ihr zusammen mit Daphne und Ariadne Crouch das Leben schwer.
Saphira verstand nicht, warum ihre Mutter so viel Wert darauf legte, dass ihr Kind gute Noten bekam und sie in den wenigen Wochen, die sie in den Sommerferien zu Hause verbracht hatte, mit Hausaufgabenkontrollen und schriftlichen Zusatzübungen quälen musste, denn prinzipiell benötigte sie sowieso keinen Abschluss. Sie war zwar in den meisten Fächern relativ gut - was für Saphira leider keine Selbstverständlichkeit war, sondern auf ewigen Lern- und Ãœbungsstunden beruhte - aber einen Beruf zu erlernen stand für eine junge Dame ihres Standes überhaupt nicht zur Debatte. Nach der Schule würde sie irgendeinen reinblütigen Zauberer mit einem, weiß Merlin wie langen, reinen Stammbaum heiraten und fortan nur noch Hausfrau sein, wie es sich für eine reinblütige Hexe aus gutem Hause eben gehörte. Wobei dies, dank der Hauselfen, kein besonders arbeitsintensives Dasein darstellte.
In ihrem bisherigen Leben war die junge Hexe stets darum bemüht gewesen, sich der Etikette entsprechend, zu benehmen und zu tun, was von ihr erwartet wurde; warum sollte sie sich dieser Konvention also widersetzen?
Aber entsprach dies dem Leben, das sie führen wollte? Wollte sie die Brave spielen und für immer und ewig, bis dass der Tod sie schied, irgendeinem Mann immer dann zur Verfügung stehen, wenn es diesem gerade in den Kram passte? Ihm gehorchen und ihren eigenen Willen ad acta legen?
„Welchen eigenen Willen denn?“, schnaubte Saphira verächtlich. „Du hast doch gar keinen.“
Trotz der wärmenden Sonnenstrahlen auf ihrer hellen Haut erschauderte sie, als ein noch schrecklicherer Gedanke sie durchzuckte:
Hatte ihre Mutter etwa schon jemanden im Visier?
Das würde ihr ähnlich sehen! Die verstaubten Traditionen aufzugeben, kam für Cecilia überhaupt nicht in Frage. Feste Regeln und Strukturen bestimmten das Zusammenleben von Mutter und Tochter und eine durch Cecilia arrangierte Zweckehe wäre nur die Spitze des Eisberges...
Diese lieblosen, eher geschäftlichen Verbindungen zweier Familien, bei denen es lediglich darum ging, dass man vom anderen profitierte waren bis vor wenigen Jahrzehnten noch Gang und Gäbe in der reinblütigen Gesellschaft und kamen selbst heutzutage noch vor, wenn auch selten. Tante und Onkel schienen unheimliches Glück miteinander gehabt zu haben und man merkte Cecilia ihre Eifersucht auf die glückliche Ehe der beiden nur allzu deutlich an.
„Narzissa verstand es vortrefflich, sich den richtigen Mann auszusuchen. Schade für sie, dass er niemals Zeit für sie findet“, hatte sie einst spöttisch zu Daliah Parkinson gesagt.
„Und Lucius` Schwester Angelique hat mit Cornelius Fudge natürlich das ganz große Los gezogen. Der Minister... Einen Erben hat sie ihm jedoch noch immer nicht geschenkt. Es scheint mir fast so, als wäre die Gute dazu nicht in der Lage!“
„Aber bei Lucius Malfoy stand doch schon seit seiner Geburt fest, dass er mal eine der Black-Töchter heiraten sollte, oder irre ich mich da?“, hatte Daliah gefragt.
„In der Tat. Nachdem Andromeda mit diesem Schlammblut durchgebrannt war und Bellatrix sich bereits mit Lestrange verlobt hatte, fiel die Auswahl selbstverständlich gering aus.“
Doch trotz dieser Aussagen bestand für Saphira kein Zweifel daran, dass Lucius und Narzissa sich wahrhaftig liebten. Vielleicht war ihre gegenseitige Zuneigung in all den Jahren schlichtweg gewachsen. War es möglich, jemanden schätzen und lieben zu lernen, an den man zwangsweise für den Rest seines Lebens gebunden ist? Bot eine solche Situation nicht viel eher einen idealen Nährboden für Zwietracht und Uneinigkeit?
Tante Narzissa schien mit ihrem Leben jedenfalls voll und ganz zufrieden zu sein. Seufzend zuckte Saphira mit den Schultern und fragte sich, ob sie die Wahl haben würde, jemanden zu heiraten, den sie aufrichtig liebte, oder Cecilia diese Angelegenheit in die Hand nehmen würde, sobald sie ihre Tochter für alt genug hielt.
Die Vorstellung, ein fremder Mann würde sie plötzlich sein Eigen nennen, machte ihr Angst. Höchstwahrscheinlich würde der Kerl um einiges älter sein als sie selbst, denn ihre Mutter legte viel Wert auf einen hohen gesellschaftlichen Rang, den sich ein junger Mann zunächst einmal erarbeiten musste.
„Letztendlich muss ich doch nur dafür gerade stehen, dass sie ihr eigenes Leben in den Sand gesetzt hat. Ist es etwa meine Schuld, dass mein Vater gestorben ist, ehe sie heiraten konnten? Was bin ich schon? Nur ein elender Bastard, der sich glücklich schätzen kann, zumindest den Nachnamen des Vaters tragen zu dürfen...“ Nachdenklich vergrub sie das Gesicht in den Händen und atmete tief durch. „Hör auf dich zu beklagen, du Heulsuse. Niemand hat behauptet, das Leben wäre leicht oder gar fair.“
Ihr Onkel Sirius war vor etlichen Jahren weggelaufen und hatte die Familie verraten; Narzissas Schwester Andromeda hatte einen Muggelstämmigen geheiratet und wurde verstoßen... So wollte Saphira keinesfalls enden. Eine solche Mesalliance wie Andromeda einzugehen und damit die Ehre der Familie zu beschmutzen, kam für die junge Hexe nicht in Frage. Dafür hatten andere Verwandte schon zur Genüge gesorgt.
Vielleicht tat Draco ganz recht daran, sich in seiner Jugend auszutoben und die Hörner abzustoßen, ehe er sich den Konventionen unterwarf und so ernst wurde, wie sein Vater. Schließlich befand der Malfoyspross sich in einer ähnlichen Situation wie sie selbst; nur mit dem Unterschied, dass er sich die bemitleidenswerte Dame, die ihn würde heiraten müssen, einmal aussuchen konnte.
„Armes Mädel. Die tut mir jetzt schon leid...“, dachte Saphira verbittert. Draco hatte es ohnehin viel leichter, denn obwohl Mr. Malfoy ähnlich traditionelle Ansichten wie Cecilia vertrat, würde Narzissa ihrem Sohn schon den Weg ebnen und dafür sorgen, dass er glücklich wurde. Auch wenn Lucius auf Außenstehende hart und berechnend wirkte, hatte Narzissa zu Hause eindeutig die Zügel in der Hand. Mit ihrem zauberhaften Lächeln und der Androhung von Liebesentzug, schaffte sie es immer wieder, ihren Mann um den Finger zu wickeln. Um diese Kunst, einen Mann auf solch liebenswürdige Art zu manipulieren, beneidete Saphira ihre Tante ungemein. Genauso wünschte sie sich ihr zukünftiges Leben... So ließ es sich sicherlich gut aushalten. Nichts sprach dagegen, den Schein für die Öffentlichkeit zu wahren und seinem Mann den Rücken zu stärken. Wer hinter verschlossen Türen das Sagen hatte, stand auf einem anderen Blatt geschrieben...
Wehmütig seufzte die Blonde angesichts dieser utopischen Wunschvorstellung. Einen solchen Mann zu finden, würde sich unter den reinblütigen Zauberern als äußerst schwierig, wenn nicht gar unmöglich erweisen. Entweder war Lucius die absolute Ausnahme, oder Narzissa schlicht und ergreifend die perfekte Ehefrau und Mutter. Vielleicht auch eine Kombination aus beidem; doch weder das eine noch das andere erschien Saphira ein erschwingliches Ziel zu sein. Ihr Durchsetzungsvermögen ging, ähnlich wie ihr Selbstbewusstsein, gegen Null; unterdrückt durch die strengen Regeln ihrer Mutter und die selbstauferlegten Zwänge, mit denen Saphira sich geißelte.
„Saphira, wie du wieder aussiehst, ich hab dir gesagt du sollst nicht mit dem guten Kleid im Garten spielen… Saphira, Mädchen klettern nicht auf Bäume… Saphira, zieh nicht so ein Gesicht und setz dich gefälligst gerade hin, was sollen denn die Leute denken… Saphira, eine Dame isst nicht mit den Fingern… Hör endlich mit der Heulerei auf und benimm dich! Lächeln, Saphira, eine Dame lächelt, auch wenn ihr nicht danach ist!“
Forderungen, Ansprüche und Vorschriften, denen sie Tag für Tag gerecht werden musste. Aber daran hatte sie sich gewöhnt und mittlerweile konnte die junge Hexe auch in Abwesenheit ihrer Mutter deren Stimme wie ein Echo in ihrem Kopf hören, wann immer sie sich daneben benahm, den Anforderungen nicht gerecht wurde.
Unbewusst glitt ihre rechte Hand unter den Ärmel ihrer Bluse, wo die knochigen Finger eine drei Tage alte Wunde wieder aufkratzten, woraufhin sich auf dem weißen Stoff ein kleiner, roter Fleck bildete, den die Blonde jedoch nicht bemerkte.
Tracey war die Einzige, der sie ihren Unmut über die scheinbar ausweglose Situation einmal geschildert hatte, aber diese verstand das Problem einfach nicht. Ihre Ratschläge waren für Saphira nicht umsetzbar.
Sie konnte sich nicht einfach gegen ihre Mutter und das System stellen, nur um ihren eigenen Willen durchzusetzen und selbst glücklich zu werden. Das würde sie ihrer Familie nicht antun, immerhin brächte sie somit auch Schande über die Malfoys, weil Narzissa ebenfalls aus der Familie Black stammte, die sich keinen weiteren Skandal leisten konnte.
Zwar war auch Traceys Mutter eine Hexe aus gutem Hause, scherte sich jedoch nicht um diese verstaubten Traditionen. Wen Tracey später heiratete war ihr relativ gleichgültig, solange ihr Kind mit der Entscheidung zufrieden war. Trotzdem riet sie ihrer Tochter aufgrund ihrer eigenen, schlechten Erfahrung mit Traceys Vater von einer Verbindung mit einem Muggel ab.
„Wir gehen!“, rief Draco ihr durch die offene Terrassentüre zu und Saphira zuckte zusammen, als sie aus ihre Gedanken gerissen wurde.
„Meine Güte, bist du schreckhaft...“, murmelte er abfällig und begab sich zurück in die Eingangshalle. Peinlich berührt erinnerte Saphira sich an die entwürdigenden Situationen, in denen sie bei Draco Trost gesucht hatte. Ausgerechnet bei Draco, der gar nicht in der Lage war, echtes Mitgefühl zu empfinden, sondern sie eher damit triezen würde. Andererseits hatte er sich sehr nett verhalten und sich beinahe liebevoll um sie gekümmert, ihre Ängste gelindert.
Ich bin so eine Dumme Gans! Demnächst erst nachdenken, dann schreien. Oder besser gar nicht schreien. Ich benehme mich wie ein dummes Kind!, ärgerte Saphira sich. Erst ihre Panikattacke wegen der Spinne und dann noch ihre Angst vor den Todessern, die überhaupt keine Bedrohung für sie dargestellt hatten.
Ehe sie Draco folgte, bemühte sie sich, ihrem Gesicht das übliche, kühle Lächeln zu verleihen, mit dem sie sich von ihrer Umwelt zu distanzieren pflegte, ihre wahren Gefühle in ihrem Inneren verschloss, unzugänglich für den Rest der Welt.
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