Slytherin Hearts - Grenzüberschreitungen
von SaphiraMalfoy
@madame_x: Schön, dass du noch mitliest. Weiterschreiben tue ich ohnehin für mich selbst, die nächsten Kapitel sind auch schon fertig. Noch mehr Vergnügen würde mir das Hochladen natürlich bereiten, wenn ab und an jemand seine Meinung hinterließe, dann gäbe es mit Sicherheit wesentlich öfters mal ein Update. Auch diesmal habe ich noch darauf gehofft und gewartet, aber nun ja. Also falls du Zeit findest, mir ein Feedback zu geben und deine Meinung zu den vergangenen Kapiteln oder zum aktuellen zu hinterlassen, würde ich mich riesig darüber freuen (: Aber das bleibt natürlich dir überlassen.
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Dieses Kapitel bildet sozusagen das Pendant zu Geständnisse eines betrunkenen Mannes, das aus Augustus` Perspektive im Jahr 2013 verfasst wurde. Nun sind wir im Jahr 2017 angelangt, in dem sich einiges geändert hat. Sein Vorhaben, sich von einem gewissen jemand fernzuhalten, ist misslungen und eine zutiefst schockierte Saphira schildert uns nun die Geschehnisse.
Ich weiß mal wieder, wer „sie“ ist. Noch immer das „dämonische Wesen“, welches Augustus schon drei Jahre zuvor in den Wahnsinn getrieben hat. Aber um wen es sich handelt, verrate ich nicht. Ihr dürft gerne spekulieren, von wem hier die Rede ist, natürlich auch weiterhin darüber, mit wem zur Hölle Saphira denn eigentlich verheiratet ist. Es ist noch immer derselbe wie im Kapitel Angst, aber sie weigert sich weiterhin, uns zu verraten, um wen genau es sich handelt.
Man beachte die klare Differenzierung zwischen der namentlich nicht erwähnten Geliebten von Augustus und Romilda Vane. Wann immer von Romilda/Romy die Rede ist, wird sie beim Namen genannt. Wann immer die andere Person gemeint ist, steht dort nur „sie“.
Und da manche Probleme hatten, sich seinen Namen zu merken: Drew (Selwyn) ist der Todesser, mit dem Cecilia Saphira in den aktuellen Kapiteln gerne verheiratet sehen würde.
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August 2017
Geschockt von dem grotesken Anblick, der sich mir vor wenigen Stunden bot, kehre ich nach Hause zurück und versuche mir darüber klar zu werden, was das alles zu bedeuten hat. Als ich die Haustüre aufsperre, den Flur betrete und entgegen meiner Ordnungsliebe den Mantel einfach auf die Kommode fallen lasse, kann ich die beiden noch immer vor meinem geistigen Auge sehen. Der Anblick ihrer halbnackten Körper, die sich auf seinem Bett räkeln, will mir nicht mehr aus dem Kopf gehen, verwirrt und besorgt mich. Ich habe nicht die geringste Ahnung, was ich davon halten und wie ich mit der Situation umgehen soll.
Sie kicherte ausgelassen und küsste ihn, als sei es das Normalste der Welt. Laut genug, dass selbst ich es verstehen konnte, raunte er ihr ins Ohr: „Los, zieh das schon aus!“, und zupfte ungeduldig an ihrem schwarzen T-Shirt. Einen wahnwitzigen Moment glaubte ich zu halluzinieren und meine Kinnlade müsse jeden Moment Bekanntschaft mit dem Fußboden machen. Stattdessen übernahm diese Aufgabe mein Haustürschlüssel seiner Eigentumswohnung in Muggellondon. Klappernd landete dieser auf dem Parkett und ließ die beiden erschrocken auseinanderfahren. Sie kippte seitlich vom Bett und suchte nach ihrer Hose, während er mich nur sprachlos anstarrte. Peinlich berührtes Entsetzen spiegelte sich in den mir allzu vertrauten dunkelblauen Augen und es dauerte einige Sekunden, bis er seine Sprache wiederfand. Schuldbewusst und verwirrt stammelte er etwas von „Nicht so, wie du denkst“ und bot mir - nachdem beide sich Merlin sei Dank etwas angezogen hatten - schließlich verlegen einen Feuerwhiskey an, den alle Beteiligten wohl bitter nötig hatten.
Sie haben eine Grenze überschritten. Sind zu weit gegangen.
Was zur Hölle ist schief gelaufen, dass es so kommen musste? Das kann doch nicht richtig sein, ist einfach absurd!, denke ich nun seufzend, begebe mich in den Salon des Hauses, das ich mit meinem Ehemann bewohne, und hole aus der untersten Schublade der Kommode neben dem Kamin einen eingestaubten Karton hervor. Darin sind alte Erinnerungen enthalten, die ich selten - eigentlich nie - ans Tageslicht befördere, von denen ich mich bislang jedoch noch nicht getrennt habe. Vielleicht ist jetzt der richtige Zeitpunkt dazu gekommen. Einen flüchtigen Blick auf die Uhr werfend stelle ich fest, dass es noch früh am Nachmittag ist, demnach genug Zeit bleibt, bis die Zwillinge von ihrer Großmutter nach Hause zurückgebracht werden. Mein Mann wird vor neunzehn Uhr ebenfalls nicht heimkehren. Ein paar Stunden nur für mich also. Dass sie ausreichen, um über die unfassbaren Neuigkeiten hinwegzukommen, bezweifle ich.
Bedächtig öffne ich die Schachtel voll mit Gegenständen aus längst vergangenen Tagen und streiche mit meinen Fingern über eines der alten Tagebücher, von dem ich ohne es zu öffnen sagen kann, dass es mit den in tragischer Weise überdramatisierten Schilderungen einer pubertären Melancholikerin gefüllt ist. Eines Mädchens, das sich selbst nicht ertragen konnte. Mehr als froh bin ich darüber, diese Phasen hinter mir gelassen zu haben. Wenn auch nicht vollständig. Irgendetwas bleibt immer zurück, zur Gänze vergisst man nie, doch der persönliche Umgang damit macht den Unterschied. Erwachsen werden ist wohl nie besonders leicht, aber irgendwann sollte man es hinter sich gebracht haben, keine tragischen Kindertränen mehr weinen, verstehen und begreifen, dass das Leben immer weiter geht und es andere Lösungen gibt als die Verleugnung der oftmals selbst heraufbeschworenen Probleme.
In erster Linie musste ich lernen, zu vergeben.
Meiner Mutter, Draco … und insbesondere mir selbst.
Kopfschüttelnd lege ich das Notizbuch beiseite und finde direkt darunter, wonach ich gesucht habe. In Händen halte ich ein vergilbtes Foto, das mit einer Muggelkamera aufgenommen wurde, weshalb sich die Personen darauf nicht bewegen. Ein dürres, blasses Mädchen, dessen blonde Haare unordentlich und zerzaust aussehen, blickt mir entgegen. Sie lächelt, aber ihr eingefallenes Gesicht wirkt wie die abscheuliche Karikatur eines Totenschädels. Kaum zu glauben, dass ich selbst einst diese erbärmliche Person gewesen sein soll, die ihren nackten Körper in eine dunkelblaue Wolldecke gehüllt hat, sich eng an einen jungen Mann schmiegt, der einen Arm um sie legt und mit der freien Hand den Auslöser des Fotoapparates betätigt.
Augustus Pye.
Damals mein scheinbarer Retter in der Not; heutzutage mein bester Freund, der für mich fast zu einem fürsorglichen großen Bruder geworden ist.
Meine persönliche Grenzüberschreitung.
Gefangen zwischen dem, was ich war, und dem, was ich sein wollte - wie auch immer man dies definieren mag -, dem, was ich sein sollte, und dem, was ich nie werden würde, suchte ich nach mir selbst, dem Sinn, einem Lichtblick; jemandem, der mich an die Hand nehmen und führen könnte. Blindlings stolperte ich dem Ziel entgegen, ohne auf den Weg zu achten, strauchelte hier, fiel dort, rappelte mich jedoch immer wieder auf. Hilflos und töricht. Nicht begreifend, dass nur ich selbst der Schlüssel zu meiner Rettung sein konnte.
Ich liebte Draco - verzweifelt, sehnsuchtsgeplagt, aufrichtig - trotz allem, was er mir angetan hatte. Sein eigenes Leid entging mir nicht. Ich ahnte, dass etwas vor sich ging, sich das Unheil über unseren Köpfen zusammenbraute, doch war nicht fähig, hinter seine Fassade zu blicken. Vergeblich versuchte ich, aus ihm schlau zu werden, verwirrt von seinen erneuten Annäherungsversuchen und meiner verdrehten Weltanschauung. Alles änderte sich unverständlich abrupt und blieb doch beim Alten. Bedrückende Routine lastete schwer auf meinen Schultern, die Forderungen meiner Mutter zwangen mich beinahe in die Knie und weckten gleichzeitig eine Art trotzigen Kampfgeist in mir.
So nicht, dachte ich, widersetzte mich ihren Ansprüchen stumm und heimlich, wollte meine Unschuld nicht an einen fremden Mann verlieren, der mir Angst machte, den ich damals nicht ausstehen konnte.
Blaise war mein erster Ausweg, doch war es nicht genug, befriedigte meinen Drang nach Freiheit, Selbstbestimmung und Rebellion nicht, den ich all die Jahre zuvor vehement unterdrückt hatte. Nur um zu gefallen, die Tochter zu sein, die Mutter sich wünschte, mich in die Gesellschaft einzufügen, in die ich hineingeboren worden war.
Perfektion war bis dato mein schier unerreichbares Ziel gewesen, jemand werden, der ich nicht sein konnte und wollte. Als dieser Versuch erfolgreich gescheitert war, sehnte ich mich nach dem Gegenteil, suchte Halt in der Ablehnung dieser Ideale und fand ihn bei Augustus. Für eine Weile.
Zu feige war ich, ohne die Rechtfertigung einer Beziehung offen auszuleben, wonach ich mich verzehrte. Weshalb mir die Aussicht auf Unterstützung von Andromeda und Tonks zu diesem Zeitpunkt nicht ausreichte, kann ich nicht rational begründen. Melodramatisch wie ich war akzeptierte ich einzig die romantisierte Vorstellung einer tragischen Reinblut-Schlammblut-Liebesaffäre als Grund, der Familie den Rücken zu kehren.
Im Nachhinein betrachtet war dies wohl nicht die schlechteste Entscheidung, denn weit wäre ich ohnehin nicht gekommen, hätte meine Mutter erfahren, dass ich den kläglichen Rest der einst makellosen Ehre meiner ach so reinen Familie mit einem „Schlammblut“ besudelt hatte. Einen Sinn ergeben hätte es ebenfalls nicht, denn als Verstoßene einsam und elendig zu verenden, entsprach auch nicht meinem Wunsch.
Wonach ich mich damals sehnte, kann ich selbst heute nicht definieren. Dafür wusste ich ganz genau, was ich nicht wollte. Und das war, gegen meinen Willen verheiratet zu werden, ohne zuvor das Leben auszukosten, zumindest einen kleinen Eindruck von dem zu erhaschen, was die Welt mir hätte bieten können, wenn ich nur den Mut dazu aufbrächte, gegen alle spießigen Regeln zu verstoßen und mich von der Familie loszusagen.
Fakt ist, dass heute nichts so wäre, wie es nun ist.
Möglicherweise hätte ich meinen jetzigen Ehemann niemals wiedergesehen.
Das Problem bestand darin, dass ich (wider meiner anfänglichen Annahme) Augustus ebenso wenig liebte wie er mich. Wären unsere Gefühle füreinander von romantischer Natur gewesen, hätten wir mit Sicherheit anders gehandelt, zusammen die Stärke aufgebracht, uns gegen die Gesellschaft zu stellen, fortzulaufen und ein neues Leben zu beginnen. Fernab von alledem.
Doch ich war eingekerkert in den Fängen einer affektiven Psychose, der Realität zu fern, um Liebe noch erkennen und von purer Wahnvorstellung unterscheiden zu können.
Und Augustus liebte niemanden.
Nicht auf diese Weise.
Unser Gespräch vorhin mutet mir noch immer so seltsam an, dass ich mir in den vernarbten Arm kneifen muss - lange verheilte Wunden, uralt, kaum noch vorstellbar, dass ich sie mir einst selbst zugefügt habe - um mich zu vergewissern, nicht in einem absurden Traum gefangen zu sein.
Nein, ich schlafe nicht. Dies ist die Realität. Eine verzerrte, aus den Fugen geratene Wirklichkeit, die ich nicht zu begreifen vermag.
Augustus sprach von „Liebe“, von wahren Gefühlen, von aufrichtigen und ehrenhaften Absichten ihr gegenüber. Es klingt so falsch.
Liebe, ein Wort, das ich aus seinem Mund in den mehr als zwanzig Jahren, die wir uns nun bereits kennen, niemals im Zusammenhang mit ihm selbst gehört habe. Ob er es seiner ehemaligen Langzeitfreundin Romilda Vane gegenüber jemals gebraucht hat, wage ich seit dem heutigen Tage mehr denn je zu bezweifeln.
„Wie lange geht das schon?“, fragte ich Augustus und ... sie, nachdem ich die beiden unfreiwillig in flagranti überrascht habe, woraufhin er betreten erwiderte:
„Etwas über ein Jahr.“
Etwas über ein Jahr? Was bei Salazar soll das bedeuten? Vor etwa sieben Monaten erst hat er die fast sechs Jahre andauernde Beziehung zu Romy beendet. Diesen Vorwurf laut auszusprechen habe ich nicht gewagt, doch etwas an ihrer Reaktion ließ mich erschaudern:
ihr gemeines Lächeln, das sie dadurch zu verbergen suchte, sich auf die Unterlippe zu beißen und ihr Gesicht an seine Schulter zu lehnen, während sie in gespielt kindlicher Verlegenheit mit dem Fuß auf dem Boden herumscharrte.
Immer wieder hat Augustus mich in den vergangenen Jahren auf dieses Verhalten hingewiesen, mir aufgezeigt, wie sie betrügt, manipuliert und Intrigen spinnt, um sich selbst in ein besseres Licht zu rücken, unschuldig und hilfsbedürftig zu wirken, als könne sie keiner Fliege etwas zu Leide tun, während der Teufel in ihren Augen aufblitzt. Ich habe es nie gesehen, nicht wahrhaben wollen, doch heute hat sich dieser Umstand geändert. Ich begreife, ich verstehe, ich erkenne. Und was ich sehe, jagt mir eisige Schauer über den Rücken. Sie ist nicht, wofür man sie hält, wofür sie gehalten werden will, was sie bewusst provoziert. Sie ist sehr viel mehr als das.
Augustus war derjenige, der sie durchschaut, mich vor ihr gewarnt hat, und nun soll ausgerechnet er ihr verfallen sein? Oder sie ihm? Warum zur Hölle tut er das? Wieso sie?
Erst jetzt spüre ich, dass in meiner verwirrten Gefühlslage auch eine Unmenge an Wut steckt.
Wie kann Augustus das nur tun?
Er wird ihr das Herz brechen, dessen bin ich mir nahezu sicher. Und dann? Was soll dann geschehen? Will er sie wieder fallen sehen? Ist das seine Absicht? Will er sie nun endgültig zugrunde richten?
Was denkt er sich eigentlich dabei? Hat er denn gar kein Verantwortungsbewusstsein?
Es entzieht sich meinem Verständnis.
Dafür ergeben andere Dinge einen Sinn. Seine gereizte Reaktion auf meine Frage, ob er Romilda nicht endlich vor den Altar führen wolle; seine strikte Weigerung, sich fest zu binden; die schroffen Erwiderungen, die er mir entgegenbrachte, als ich ihn zur Rede stellte, nachdem Romy mir gebeichtet hat, wie unglücklich sie mit der Situation war.
„Weißt du, wie oft Romy mich damit nervt?“, blaffte er mich eines Freitagabends im letzten Jahr an.
„Mehrmals die Woche.“ Gereiztheit und Wut spiegelten sich in seinen sonst so gelassenen Zügen; die Veränderung seines Wesens erschreckte mich, gab mir zu denken, doch ich konnte sie mir nicht erklären.
„Aber warum willst du ihrem Wunsch denn nicht nachgeben? Ihr könntet wenigstens endlich zusammenziehen. Was wäre so schlimm daran?“, warf ich in meiner Naivität ein und wünsche mir nun nichts sehnlicher, als dass er damals auf mich gehört hätte.
„Es tut mir leid, dein heiles Weltbild auf den Kopf zu stellen, Phia“, seufzte er und kramte seine Zigaretten aus der Tasche, wirkte aufgebracht, beinahe zornig. „Aber wir führen keine so vorbildliche Beziehung wie du und dein Mann. Du kennst mich, ich brauche meine Freiräume und die lässt Romy mir nicht, deshalb ... nehme ich sie mir. Auf eine nicht ganz korrekte Art und Weise. Es tut mir leid um sie, doch ich bereue es nicht, weil ...“ Er hielt inne und ließ den Blick in die Ferne schweifen, schwieg.
„Was bereust du nicht?“, hakte ich nach, ahnte jedoch, worauf er hinauswollte, traurig und resigniert angesichts seiner offenkundigen Unfähigkeit, endlich erwachsen zu werden. Ich hatte wirklich gehofft, er hätte in Romilda gefunden, wonach er gesucht hat, und wäre bereit, sein Junggesellendasein hinter sich zu lassen.
„Ich habe sie betrogen. Ein paar Mal“, erklärte er trocken und ungerührt, als spräche er vom Wetter oder einer Neueinstellung im St. Mungo.
„Mehrfach?“, japste ich ungläubig, als hätte ich es nicht geahnt. Heute könnte ich mich ob meiner Einfältigkeit ohrfeigen.
„Warum tust du ihr das an? Romilda liebt dich, verdammt nochmal! Sie würde alles für dich tun. Sie lässt nichts unversucht, um deinen Ansprüchen zu genügen und dich glücklich zu machen. Das hat sie nicht verdient!“
„Aber Saphira, verstehst du denn nicht? Genau das ist der Punkt!“, zischte Augustus, dessen Laune einen bisher ungekannten Tiefpunkt erreicht hatte. „Sie ertränkt mich mit ihrer ... Liebe.“ Er spuckte das Wort aus, als hätte es ihn persönlich beleidigt. „Romilda hat nur Augen für mich, mich, mich und vergisst dabei sich selbst. Sie war nicht einmal wütend, als ich es ihr gebeichtet habe. Nicht beim ersten Mal, nicht beim zweiten Mal, nie. Weißt du, wie sie reagiert hat? Sie hat sich mir heulend in die Arme geworfen und darum gebettelt, ich möge bei ihr bleiben, und wollte wissen, was SIE falsch gemacht hätte, und was SIE ändern müsse, damit ich sie nicht verlasse. Ich will keine Frau, die ihr Leben nach mir ausrichtet, mir alles durchgehen lässt und keinen eigenen Willen zeigt. Ich will jemanden mit Charakter. Jemanden, der mir die Stirn bietet, der sich selbst wichtig ist und nicht nur für mich existiert. Eine Frau soll mir genauso Grenzen setzen wie ich ihr. Und wenn diese überschritten werden, muss man seine Konsequenzen ziehen.“
„Was willst du also tun? Mit ihr Schluss machen?“, fragte ich, nachdem ich den Schock einigermaßen verdaut hatte. Seine Wandlung gefiel mir nicht.
„Ich weiß es nicht“, sagte er ein wenig ruhiger und atmete tief durch. „Ich will keine Selbstverständlichkeit in meiner Beziehung, das zerstört alles. Jegliches Gefühl.“
„Liebst du Romilda?“, wollte ich wissen und musterte ihn prüfend. Es stimmte mich fast schon mitleidig, dass ein so liebenswerter Mann wie Augustus Pye nicht die richtige Frau fand. Frustrierend war die Erkenntnis, dass er sich selbst solche Steine in den Weg legte, indem er sich verhielt, als sei er das letzte Arschloch. Denn das ist er nicht. Nicht wirklich.
Eine Antwort blieb er mir schuldig.
Umso entsetzlicher wirkt die Tatsache, dass er sein Glück nun angeblich in der denkbar unpassendsten Person gefunden hat, die ich mir vorstellen kann.
Vielleicht bringt sie ihm die richtige Mischung aus Verachtung und Verehrung entgegen, setzt stoisch ihren eigenen Willen durch und fordert beharrlich die Aufmerksamkeit ein, die ihr als seine Freundin (nichts klingt in meinen Ohren absurder) zusteht, wobei sie gleichsam ihre Freiheiten braucht wie er, jedoch ...
Wie kann er nur diese Grenze überschreiten? Ich hätte es ihm nicht zugetraut, ihn für vernünftiger gehalten, nie geglaubt, er würde sich von ihr umgarnen und verführen lassen. Sollte wirklich sie diejenige sein, welche die Fäden in dieser Beziehung zieht, und nicht doch Augustus, der sie ausnutzt, um ... Ja, wofür denn eigentlich? Diesem Mann fällt es unumstritten leicht, die Frauen mit seinem Charme gefügig zu machen; er fände schnell eine hübschere, umgänglichere Person, die besser zu ihm passt.
Warum ausgerechnet sie?
Wie kann der Mann, der zwei Jahrzehnte lang behauptete, sich nicht ernsthaft verlieben zu können und dies dutzende Male bewies, nun einen solchen Sinneswandel vollführen? Was verschweigen sie mir? Und was ging all die Jahre über schon im Verborgenen vor sich, als er mit ihr alleine war?
Augustus hat sie fallen sehen, wusste es vor allen anderen, verschwand trotzdem, suchte überstürzt das Weite und machte uns allen weiß, es ginge nur um ein verlockendes Jobangebot in den USA. Romilda ist mit ihm gegangen, hat alles aufgegeben, nur um bei ihm sein zu können, doch er hat es nicht zu schätzen gewusst. Romildas Opfer sind ihm gleichgültig, nein, regten ihn sogar noch auf. Nun frage ich mich, ob das alles nicht bereits in Zusammenhang mit ihr stand. Ob sie zusammenbrach, weil er nicht mehr hier war. Seine Behauptung, es wäre ohnehin so gekommen, kaufe ich ihm nicht so recht ab, denn er weigert sich noch immer, es mir zu erklären. Er weiß etwas, das er mir nicht sagen will, und sie spricht sowieso nicht mit mir. Nicht darüber.
War ich denn tatsächlich so blind? Dass sie etwas für ihn empfindet, ahnte ich vor Jahren einmal, doch dass dies angehalten hat und nun von ihm erwidert wird … Oh Merlin, bitte, lass dies einen Alptraum sein!
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Plötzlich kommt mir eine andere Situation in den Sinn, die ich später nicht mehr ernst genommen und für einen Scherz gehalten habe. Wie falsch ich doch lag ...
„Was ist nur los mit dir? Du bist schon seit Tagen so mies drauf“, wollte ich von Augustus wissen. Zu diesem Zeitpunkt war sie aufgrund einer scheinbaren Meinungsverschiedenheit mit Augustus kurzfristig bei uns untergekommen, doch naiv wie ich war, brachte ich dies nicht in Zusammenhang miteinander.
„Ich bin auf Entzug“, erwiderte er knapp und versuchte, ein ironisches Grinsen zustande zu bringen, scheiterte jedoch daran.
„Bitte?“
„Sie ist weg.“
„Wer?“
„Die Frau, die ich liebe.“
„Was?“ Perplex starrte ich ihn an und glaubte, er würde scherzen. Zwar hatte er vor kurzem erst mit Romilda Schluss gemacht, jedoch beteuerte er in einem fort, dies sei die beste Entscheidung gewesen, die er hatte treffen können. Und ich einfältiges Wesen kam nicht darauf, dass er längst von einer ganz anderen Person sprach.
„Ich habe Liebeskummer“, sagte er mit gerunzelter Stirn, was mich zum Schmunzeln brachte. Wirklich, ich dachte, er wollte mich auf den Arm nehmen, und erwiderte deshalb:
„Das ist süß.“
„Das ist nicht süß!“, entgegnete Augustus energisch, musste schließlich jedoch selbst ein wenig grinsen und ergänzte: „Marzipan mit so einer Vanillepanade und Mandeln drauf, das ist süß. Das hier ist die reinste Folter und - ach, vergiss das bitte ganz schnell wieder.“
Und das tat ich auch, hielt es für einen dummen Spruch, weil er keine Lust hatte, über was auch immer ihn bedrückte zu reden, und verkannte den Ernst der Lage.
Wenn ich nun darüber nachdenke, frage ich mich hingegen, ob er damals versuchte, mir die Wahrheit zu sagen. Angesichts der Umstände hätte ich von selbst darauf kommen müssen …
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Ein paar Tage später habe ich den ersten Schock einigermaßen verdaut, jedoch brennen mir unzählige Fragen auf der Seele, kann ich noch immer nicht fassen, glauben, begreifen, dass Augustus so töricht ist. Deshalb habe ich ihn herbestellt. Alleine. Was wir zu besprechen haben, soll vorerst niemand mitanhören. Auch (oder erst recht) nicht sie. Wer weiß, ob er ihr bereits alles gesagt hat und wie sie auf diese Enthüllungen reagieren wird. Doch irgendwann muss sie es erfahren.
Dieser zweite September 2017 ist ein herrlich warmer Spätsommertag. Erst gestern haben mein Mann und ich die Kinder zum Bahnhof Kings Cross gebracht, damit sie ihr erstes Schuljahr in Hogwarts pünktlich beginnen können. Und ausgerechnet zu diesem Zeitpunkt bin ich gedanklich völlig woanders.
Gemeinsam mit Augustus setze ich mich an den Gartentisch und suche nach den richtigen Worten, um dieses Gespräch zu beginnen, während er meinen Blick meidet und sich eine Zigarette anzündet. In all den Jahren habe ich es nie bereut, das Rauchen aufgegeben zu haben, doch nun gelüstet es mich verdammt stark nach einem Glimmstängel, um meine Nerven zu beruhigen, und als hätte er meine Gedanken gelesen, bietet Augustus mir sogleich seine Schachtel an.
„Ach, was soll`s“, murmle ich verdrießlich und greife unwirsch nach den Streichhölzern.
„Also …“, beginnt er zögerlich, scheint jedoch auch nicht so recht zu wissen, was er eigentlich sagen soll.
„Warum, Augustus? Wieso hast du es mir nicht gesagt? Und … zum Teufel noch eins, was bezweckst du damit? Ich dachte, du weißt überhaupt nicht, wie sich wahre Liebe anfühlt? Das war dein Reden! Bist du dir bewusst, was du da tust?“, platzt es aus mir heraus und ich fühle unsägliche Wut in mir hochkochen.
„Und da fragst du noch, weshalb wir es dir verschwiegen haben?“, grinst er milde, doch es ist unverkennbar, wie sehr auch ihm die gesamte Situation zu schaffen macht.
„Ja, das interessiert mich brennend“, erwidere ich bissig, obwohl die Antwort auf der Hand liegt.
„Nun, wir hatten unsere Gründe.“
„Ich hoffe für dich, dass deine Argumente überzeugend sind.“
„Warte einen Moment, ich muss mir schnell welche ausdenken“, scherzt er, was selbst mich ein wenig schmunzeln lässt. Bis heute kann ich nicht beschreiben, woran genau es liegt, aber etwas an Augustus` Wesen hindert mich daran, in seiner Gegenwart die Nerven zu verlieren. Er hat eine Art mit Menschen umzugehen, die mich stets aufs Neue fasziniert. Die Fähigkeit, seinen Humor an exakt der richtigen Stelle einzusetzen, doch niemals damit zu übertreiben, wenn es unangemessen wäre, stimmt mich sanftmütig.
„Nun, die Situation war und ist schwierig“, meint er schließlich und drückt die Zigarette im Aschenbecher aus. „Es hat wahnsinnig lange gedauert, bis wir wussten, wohin all dies führen soll, und natürlich habe ich alles daran gesetzt, es nicht so weit kommen zu lassen. Aber gegen unsere Gefühle waren wir letzten Endes machtlos und glaub es oder nicht: Ich liebe sie. Das ist alles, was ich zu meiner Verteidigung zu sagen habe.“
Einen Augenblick lang starre ich ihn nur sprachlos an. Noch immer kann ich nicht glauben, dass er all dies ernst meint.
„Aber wie … wie konnte das passieren?“ Es will sich mir nicht erschließen, klingt dermaßen unvorstellbar. „Auch wenn ich es nur ungerne zugebe, Gus, du bist der Mensch von uns, der sie am besten kennt. Du warst derjenige, der lange bevor sie erwischt wurde den Verdacht geäußert hat, sie wäre drogenabhängig. Du hast dabei zugesehen, wie sie immer tiefer in die Sucht hineinschlitterte, noch lange bevor es dir irgendjemand geglaubt hat - und du hast sie wieder aufgebaut. Du hast den Prozess gegen ihren Dealer Scott Jameson mit ihr durchgestanden. Nach allem, was ihr zusammen durchgemacht habt … nachdem du sie am Boden gesehen hast und weißt, dass sie jederzeit wieder rückfällig werden könnte … wie kann das Liebe sein? Meines Erachtens hast du ein Helfersyndrom und sie sucht nach einem Beschützer. Das ist doch keine Grundlage für eine Beziehung!“
Augustus schweigt, scheint die folgenden Worte genauestens abzuwägen, zuckt schließlich mit den Schultern und antwortet ausweichend:
„Ich habe ihr als Freund zur Seite gestanden, ihr keine Anweisungen gegeben, sie in keinster Weise therapiert oder ähnliches. Wie du weißt, kannten wir uns lange vor diesem Schlamassel. Das eine hat nichts mit dem anderen zu tun. Ich bin mir relativ sicher, dass es genauso gekommen wäre, wenn sie diesem Scott Jameson nie begegnet und somit nicht abhängig geworden wäre.“
„Ach“, stoße ich ungläubig aus, schüttle den Kopf und füge provokant hinzu:
„Und woher willst du wissen, dass sie nicht nur mit dir schläft, um bei dir bleiben zu können? Dass sie den Sex nicht nur benutzt, um dich in der Hand zu haben, an sie zu binden und zur Not zu erpressen? Sie hat sich für Drogen prostituiert, woher nimmst du die Gewissheit, dass sie dasselbe jetzt nicht für Aufmerksamkeit und Zuneigung tut?“
Offensichtlich reißt Augustus sich arg zusammen, um mir keine patzige Antwort zu geben, was ihm unerklärlicherweise gelingt. Wahrhaft, die Ausgeglichenheit dieses Mannes ist schlichtweg bewundernswert.
„So würde ich es zwar nicht ausdrücken, aber ich weiß, was du meinst“, erwidert er eine Spur verärgert, ehe er tief durchatmet und ruhig weiterspricht:
„Denkst du, darüber hätte ich nicht selbst nächtelang nachgegrübelt?“
„Ich weiß es nicht, sag du es mir.“
„Ja, ich habe etwas Ähnliches vermutet und sie auch darauf angesprochen. Ich habe ihr mehr als deutlich versichert, sie müsse das nicht tun, nichts dergleichen, denn ich würde sie nie, niemals vor die Tür setzen. Weshalb sollte ich das auch tun? Ich brauche das Zimmer nicht, sie hat einen Job und zahlt Miete, wir sind anderthalb Jahre lang prima miteinander ausgekommen und auch wenn es schwer gewesen wäre … irgendwie hätte ich es verkraftet, wenn ihre Gefühle nicht den meinen entsprochen hätten, aber dem ist nicht so. Sie hätte sich lieber eine eigene Wohnung gesucht, als länger in meiner Nähe zu sein und vor Sehnsucht zu vergehen. Ich möchte ungerne ins Detail gehen, aber wenn es eine Angelegenheit gibt, derer ich mir inzwischen absolut sicher bin, dann ist es die Tatsache, dass sie mich liebt und ich sie.“
Einen Moment lang lässt er seinen Blick in die Ferne schweifen, ehe er mich erneut anschaut und gefasster sagt:
„Ich verstehe, weshalb du es so siehst, aber als Prostitution würde ich es wirklich nicht bezeichnen. Außerdem bin ich nicht Jameson. Und sie ist clean.“
Auf verdrehte Weise ergeben Augustus` Worte tatsächlich Sinn, dennoch kann ich es schlicht und ergreifend nicht akzeptieren. Alles in mir sträubt sich gegen diese Vorstellung.
„Weiß sie eigentlich, dass wir beide damals …“ Bei Salazar, bin ich denn immer noch zu verklemmt, um die natürlichste Sache der Welt beim Namen zu nennen? Oder schlichtweg mit der Situation überfordert? Es auszusprechen würde die Absurdität dieser Entwicklung viel zu deutlich hervorheben, sinnbildlich in neonfarbenen Leuchtbuchstaben an die Hauswand pinseln …
„Jah …“, antwortet Augustus zögerlich und greift wieder nach dem Zigarettenpäckchen. „Ich habe es ihr gesagt, nachdem du fort warst.“
„Und?“, platzt es unverhohlen neugierig aus mir heraus, doch meine Wissbegier wird jäh von dem Anflug eines schlechten Gewissens überschattet. Ich mag mir gar nicht ausmalen, wie sie sich bei dieser Enthüllung gefühlt haben muss. Vermutlich bedeutend schlechter als ich nun - sofern Augustus Recht behält und sie ihn tatsächlich so sehr liebt.
„Sagen wir mal so … begeistert war sie nicht“, gibt er zu und ruckt unentschlossen mit dem Kopf. „Aber es ist ewig her und im Grunde genommen nichtig. Sie hat ihr Leben gelebt und ich meines. Und ob ich nun vor zwanzig Jahren mit dir oder irgendeiner anderen Frau im Bett gewesen bin, spielt wohl kaum eine Rolle.“
„Ist das so …“, höre ich meine eigene Stimme spitz erwidern und ärgere mich darüber, wie sehr mich diese Aussage trotz allem kränkt. Zwar kann ich ihm rational gesehen nicht widersprechen, jedoch hört man dergleichen nicht gerne über sich selbst. Für ihn war ich nur ein Mädchen von vielen und das war mir ab einem gewissen Zeitpunkt bewusst, aber dennoch …
Urplötzlich reißt Augustus mich mit einem weitaus heikleren Thema - das ich in den vergangenen zwei Jahrzehnten erfolglos zu verdrängen gesucht habe - aus diesen kindischen Grübeleien.
„Von der anderen Sache weiß sie allerdings nichts. Ich überlasse es euch, ihr die vollständige Wahrheit zu sagen und werde mich nicht einmischen, aber ich bitte dich inständig darum. Jeder Mensch sollte ein Recht darauf haben, zu erfahren, wer -“
„Oh, Gus, bitte!“ Ich weiß genau, worauf er hinaus will, doch ich möchte dies nicht hören, mich nicht mit dem Gedanken auseinandersetzen, ihr zu sagen, dass … Nein.
„Aber Draco -“, beginne ich und Augustus fällt harsch mir ins Wort.
„Aber Draco wird es überleben“, meint er augenrollend und schüttelt verständnislos den Kopf. Zwar half Augustus mir vor all diesen Jahren aus meiner ausweglos erscheinenden Lage heraus, vertuschte den schrecklichen Fehler, den ich begangen hatte, und rettete uns womöglich das Leben, aber er begreift nicht, weshalb ich noch immer an diesem Geheimnis festhalte.
„Warum alte Wunden aufreißen? Weshalb sie damit belasten? Und wie bitteschön stellst du dir vor, soll ich es Draco beibringen? Es ist doch alles gut so, wie es ist.“ Seufzend betaste ich meinen Ehering und frage mich, ob Augustus nicht vielleicht doch Recht haben könnte. Es ist wahr, meine Ehe wurde auf einer Lüge aufgebaut, war zunächst nur ein strategischer Schachzug, um meine eigene Dummheit wieder auszubügeln und in Sicherheit zu sein, aber …
„Die Einzige, die nicht damit umgehen kann, bist du. Obwohl du es geheim hältst, ist es immer wieder präsentes Streitthema, nicht wahr? Mach endlich reinen Tisch“, beharrt er auf seinem Standpunkt. Mein Blick ist starr auf das Muster der Tischdecke gerichtet und ich beiße die Zähne fest zusammen, um in meiner aufsteigenden Panik vor den Folgen dieser Enthüllung nicht ausfallend zu werden.
„Lenk nicht vom Thema ab!“, zische ich stattdessen und werfe ihm einen vernichtenden Blick zu. Zumindest hoffe ich inständig so erbost zu wirken, wie ich mich fühle, und keinem niedlichen „Kampf-Karnickel“ zu gleichen, wie Ariadne mein Erscheinungsbild zu bezeichnen pflegt, wann immer ich wütend bin. Anstatt mich weiter mit diesem unangenehmen Umstand auseinanderzusetzen, fahre ich damit fort, ihm Vorwürfe zu machen, ehe Augustus die Gelegenheit hat, das Gespräch auch noch auf Drew zu lenken und auf die wahnwitzige Idee kommt, ich solle auch ihm die Wahrheit sagen.
„Du hast so vielen Frauen das Herz gebrochen.“
Mich eingeschlossen, füge ich nur gedanklich hinzu.
„Was glaubst du wird passieren, wenn du ihrer irgendwann überdrüssig geworden bist? Sie ist abhängig von dir. Sie wird daran zerbrechen, Gus, ich …“
Da ist keine Wut mehr in meiner zittrigen Stimme, viel eher übermannt mich eine Welle der Furcht um ihr Wohlergehen. So schlecht unser Verhältnis in den vergangenen Jahren auch geworden ist, so ist und bleibt sie doch eine der Personen, die mir am meisten am Herzen liegen.
Mein Zorn ist gänzlich verraucht. Übrig bleibt nichts als Sorge und Unverständnis.
„Gus, wie kannst du das verantworten? Wenn du sie wirklich liebst … wie kannst du dieses Risiko eingehen? Ich glaube dir einfach nicht. Es übersteigt meine Vorstellungskraft, dass du es jemals schaffen wirst, den Rest deines Lebens mit ein und derselben Frau zu verbringen. Nicht nachdem, was du Romilda angetan hast.“
Die Sekunden verstreichen zäher als Droobles Bester Blaskaugummi, bis Augustus endlich zu einer Antwort ansetzt, die ich gleichsam begehre wie fürchte.
„Saphira“, beginnt er, legt seine Hand sanft auf meinen Arm und obwohl ich mich dagegen sträube, merke ich sogleich, wie seine ruhige Aura auf mich abfärbt und meine Nerven entspannt.
„Ironischerweise könnte man fast sagen, es ist umgekehrt. Ich fürchte, wenn in dieser Beziehung jemandes Herz gebrochen wird, dann ist es zur Abwechslung meines. Auch wenn du es noch immer nicht siehst, weil sie aus alter Gewohnheit absichtlich das Gegenteil zu bezeugen versucht, ist sie wahnsinnig stark in dieser Hinsicht. Ich bin und war nie der Grund für ihre Tiefpunkte. Sie dafür umso mehr der Auslöser für meinen Kummer. Du unterschätzt sie in diesem Punkt gewaltig. Sie ist bedeutend härter im Nehmen, als du glaubst.“
Flüchtig hält er inne und unterdrückt mühsam ein Grinsen.
„Doppeldeutigkeit unbeabsichtigt“, murmelt er kopfschüttelnd, ehe er weiterspricht.
Merlin bewahre, so bildhaft will ich mir ihre „Beziehung“ überhaupt nicht ausmalen …
„Weißt du … Damals, als ich so überstürzt abgehauen bin, Großbritannien verlassen habe, das war nicht ganz grundlos. Es lag weniger am verlockenden Jobangebot als viel eher an der Befürchtung, was geschehen würde, wenn ich bleibe.“
Entsetzt reiße ich die Augen auf und es braucht einige Sekunden, bis ich meine Sprache wiedergefunden habe.
„Bitte was soll das bedeuten? Ein Jahr. Ein Jahr hast du gesagt! Du bist vor vier Jahren fortgegangen. Lief da bereits etwas zwischen euch? Sie war … Wie konntest du? Du hast dich an ihr vergriffen, als sie noch - Gus!“
„Mitnichten habe ich mich an ihr vergriffen! Ich habe nichts dergleichen getan, Saphira“, widerspricht Augustus mir und erhebt zum ersten Mal an diesem Nachmittag aufgebracht seine Stimme, wobei ihm das leise Knarren des Gartentors entgeht, auf welches meine Augen nun gebannt geheftet sind.
Meinem Blick folgend entdeckt auch Augustus seine … Partnerin (nein, das will mir wahrhaftig nicht in den Kopf!) und augenblicklich entspannt sich seine Körperhaltung. Seine Züge werden weich und der Anflug eines Lächelns huscht über sein Gesicht, während es kurzzeitig den Anschein hat, er würde aufstehen wollen, um sie zu begrüßen, wie Paare es nun einmal tun, doch mit einem Seitenblick auf mich lässt er sich zurück in den Gartenstuhl sinken und sagt nur:
„Was führt dich her?“
Sie antwortet ihm nicht, sieht stattdessen mich an und fragt:
„Bist du böse auf mich?“
Noch immer perplex von ihrem plötzlichen Erscheinen rucke ich nur undefinierbar mit dem Kopf, ehe ich mit belegter Stimme hervorbringe: „Nur besorgt, das ist alles.“
„Brauchst du nicht“, erwidert sie tonlos und fixiert mich noch immer mit undefinierbarer Miene, als Augustus nach ihrer Hand greift und mit liebevollem Ausdruck zu ihr aufschaut, den ich bei ihm noch nie gesehen habe.
Bei Salazar, er liebt sie wirklich.
Und als hätte sie meine Gedanken gelesen, flackert für den Bruchteil einer Sekunde unverhohlener Triumph in ihren Augen auf.
Siehst du? Ich kriege, was ich will. Ich kriege immer, was ich will, scheint sie mir stumm vermitteln zu wollen. Auf den Lippen nur das unschuldige Kinderlächeln. Schüchtern, verzagt, unsicher. Alles Lüge.
Die Finger ihrer freien Hand krallen sich fest in Augustus` Schulter und ihre Blicke verdeutlichen unmissverständlich:
Er gehört mir, mir ganz alleine.
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Viel Spass beim Spekulieren. Ich bin äußerst gespannt auf eure Interpretationen und Meinungen ;)
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Beziehungskomödien aufzubauen und die entsprechenden Dialoge zu schreiben kann Joanne K. Rowling so gut wie Woody Allen. Im vierten und fünften Band ist das schön zu beobachten, wenn es die ersten Eifersüchteleien zwischen den Freunden gibt.
Klaus Fritz