Slytherin Hearts - Freudvoll und leidvoll
von SaphiraMalfoy
@madame_x: Hallöchen, es tut mir ganz furchtbar leid, dass du so elendig lange warten musstest (wieder einmal), aber ich war in letzter Zeit wirklich nur noch zum Schlafen und Lernen zu Hause, bin von Theater zu Theater gereist, war ein ganzes Weilchen in Wien (wo ich Zeuge von diesem wundervollen, Fangirl-Phantasien wahrwerden lassendem Moment werden durfte: Judas, must you betray me with a kiss? aww.).
Ich hoffe, du hattest ebenfalls so schöne Ostern wie ich :'D
Nun bin ich endlich wieder zu Hause in Berlin, aber auch hier nur Arbeit und Krams zu tun. Wäh, ich brauche Urlaub, aber das wird im nächsten halben Jahr nichts mehr mit Entspannung hier. Im Mai verreise ich noch 2x, im Juni geht's nach Paris, im Juli bin ich in England und im August komme ich zurück, nur um zwei Tage später wieder weiter zu fliegen und dann bin ich wieder in Hamburg bis Ende August und dann … ist erstmal nichts mehr geplant. Meh. Ich weiß, es interessiert dich vermutlich nicht, aber ich muss mich rechtfertigen dafür, dass so selten Kapitel kommen =P Sorry einfach.
Ich weiß auch nicht mehr so recht, welche Kommentare ich nun beantwortet habe und welche nicht, also beziehe ich mal eben Stellung zu den letzten vier. Und wenn noch Fragen offen sein sollten, frag ruhig nochmal. Ich bin etwas verpeilt in letzter Zeit.
Nun ja, sagen wir mal so: Traceys Mutter hat sie nicht direkt belogen, ihr nur nicht ganz die Wahrheit gesagt. Was genau dahinter steckt, kläre ich auch noch auf.
Bellatrix ist einfach die Beste. Aber keine Sorge, sie wird keinesfalls zu nett oder dergleichen, immerhin hat sie Saphira indirekt zu einem Mord geraten … und ihr Charakter wird auch noch deutlicher hervorgehoben werden in Zukunft. Aber ich liebe sie.
Joa, mehr Kommentare würden sicherlich ein wenig Anreiz bieten, schneller zu schreiben, aber ich beschwere mich auch nicht mehr. Ist eben so. Kann man nichts machen^^
Ich freue mich dafür umso mehr über deine Kommentare (:
Tja, Draco hat hier wohl eindeutig die falsche Entscheidung getroffen, aber die Wahrheit kommt schon noch ans Licht, keine Sorge.
Schön, dass dir das Kapitel dennoch gefallen hat.
Die Herkunft und die Auswirkungen ihrer Essstörung ergründen wir innerhalb der nächsten 4-5 Kapitel, ein kleiner Einstieg findet sich bereits in diesem Kapitel hier.
Ich wünsche dir viel Spass beim Lesen und vielen lieben Dank für deine Kommentare, deinen Zuspruch und so weiter (:
Ich freue mich jedes Mal riesig darüber.
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Freudvoll
Und leidvoll
(Gedankenvoll sein,
Hangen
Und bangen
in schwebender Pein,
Himmelhoch jauchzend,
zum Tode betrübt -
Glücklich allein
Ist die Seele, die liebt.
- Johann Wolfgang von Goethe)
Auch die junge Black war nicht sonderlich erpicht darauf gewesen, länger in der Winkelgasse zu verweilen und so begab sie sich mit Augustus durch den Tropfenden Kessel in die Charing Cross Road und folgte ihm durch den Nieselregen zur nächsten U-Bahn-Station. Das Reisen auf Muggelart war ihr wahrlich nicht geheuer, doch je mehr sie sich auf die neuen Erfahrungen einließ, umso deutlicher spürte sie ihr Interesse gegenüber dem Unbekannten. Die Welt, in der sie aufgewachsen war, entsprach einem in sich geschlossenen Mikrokosmos, in dem man nicht das Geringste darüber erfuhr, was außerhalb der magischen Gemeinschaft vor sich ging, und allmählich stellte Saphira fest, dass die Muggelwelt bedeutend größer war und so viel mehr zu sehen bot, als sie es sich vorgestellt hatte. Was wusste sie überhaupt darüber zu sagen, außer dass alles nicht-magische abscheulich und verachtenswert war? Und was maßte sie sich an, über etwas zu urteilen, das sie gar nicht kannte?
Beeindruckt von der Selbstverständlichkeit, mit der Augustus sich in beiden Welten bewegte, beschloss die junge Black, endlich über ihren Schatten zu springen und ihre Vorurteile zu überwinden.
Während der Zug ratternd durch die dunklen Tunnel raste, schloss die Blonde immer wieder die Augen und unterdrückte das aufkommende Gefühl der Ãœbelkeit, krampfhaft darum bemüht, sich keine Schwäche anmerken zu lassen. Erleichterung machte sich breit, als sie den U-Bahn-Schacht verließen und hinaus ins Freie traten. Saphira atmete die kühle Dezemberluft in tiefen Zügen ein, ignorierte die tanzenden Lichtflecken vor ihren Augen, welche ihre Sicht verschwimmen ließen, und hatte eine vage Ahnung, dass all dies wenig mit der Bahnfahrt zu tun hatte.
Trotz der noch frühen Abendstunde hatte sich der Himmel bereits zur Gänze verfinstert, was die kitschigen Weihnachtsbeleuchtungen und Dekorationen, die man hier und da an den Hausfassaden angebrachte hatte, noch heller erstrahlen ließ, wovon Saphira jedoch kaum Notiz nahm. Mit jedem Meter, den sie zurücklegten, fiel es ihr schwerer, mit ihrem Begleiter Schritt zu halten, aber sie beklagte sich nicht.
„Wohnen hier ausschließlich Muggel?“, erkundigte sie sich, als Augustus in eine Straße einbog und vor einem mehrstöckigen Wohnblock stehen blieb.
„Ich schätze schon“, bestätigte er und musterte sie prüfend. „Hast du ein Problem damit?“
Saphira schüttelte den Kopf.
„Warum wohnst du dann hier?“, hakte sie weiter nach und hoffte inständig, nicht zu neugierig oder gar aufdringlich zu sein.
„Meine Eltern zahlen die Miete, solange ich in der Ausbildung bin“, erklärte Augustus schulterzuckend, während er den Inhalt seines Briefkastens überprüfte und die Werbeheftchen gleich in einen daneben stehenden Müllcontainer beförderte. „Es ist einfacher, wenn sie das Geld sofort auf ein normales Bankkonto überweisen, anstatt es erst bei Gringotts umzutauschen und so weiter. Außerdem wohnt es sich hier nicht schlecht. Die Anbindung an die öffentlichen Verkehrsmittel ist gut, es gibt ein paar nette Bars und bis zum St. Mungo ist es ebenfalls nicht weit. - Kommst du?“, beendete er seine Ausführungen und nickte in Richtung Eingang. Ohne etwas zu erwidern folgte die Blonde ihm und bemerkte ein weiteres Mal, dass ihrer beider Vorstellungen von Normalität weit auseinander lagen.
Mühsam quälte Saphira sich Stufe um Stufe hinauf in die vierte Etage und war froh, als Augustus endlich vor einer Tür stehen blieb und seinen Schlüssel aus der Hosentasche hervorkramte. Schwer atmend lehnte sie sich gegen die kühle Betonwand und hielt sich die stechende Seite. Auf einmal war ihr so schwindelig, dass sie die Augen schloss und sich abstützen musste, um nicht Gefahr zu laufen, einfach umzukippen. Das unangenehm dumpfe Gefühl in ihrer Magengegend wurde von Sekunde zu Sekunde schmerzhafter und Saphira musste ein paar Mal schlucken, als sie den bitteren Geschmack von Magensäure, die ihren Rachen hinaufstieg, auf der Zunge schmeckte.
„Deine Kondition ist beeindruckend.“ Amüsiert drehte Augustus sich zu ihr um, doch sein Grinsen erstarb, als er Saphiras kreidebleiches Gesicht erblickte, das im grellen Schein der Neonlampe beinahe noch kränklicher erschien.
„Hey, alles in Ordnung?“, fragte er erschrocken und legte ihr stützend einen Arm um die schmale Taille, während er sich beeilte, die Türe aufzuschließen.
„Es geht schon“, japste die junge Hexe. „Mir geht's gut, nur ein bisschen …“ Ihre Stimme verebbte und der klammernde Griff, mit welchem sie sich an Augustus` Mantel festkrallte, um sich aufrecht zu halten, strafte ihre Worte Lügen.
Er ignorierte Saphiras halbherzigen Versuch, alleine weiterzugehen, und bugsierte sie durch den Flur seines Zwei-Zimmer-Appartements ins Wohnzimmer. Dort wies er sie an, auf der schwarzen Couch Platz zu nehmen, bevor er Jacke und Schuhe auszog und sich mit besorgter Miene neben sie setzte.
Allmählich kam sie wieder zu Atem, saß stocksteif am äußersten Rand des Sofas und fühlte sich sichtlich unbehaglich. Dieser Schwächeanfall war ihr wahnsinnig unangenehm und so zu tun, als wäre alles in bester Ordnung, wurde durch das stetig ansteigende Gefühl der Ãœbelkeit und ihre schmerzhaft pochenden Schläfen nicht gerade einfacher.
„Ich …“, begann sie, ohne ihn anzusehen, und ärgerte sich darüber, wie schwer ihr das Sprechen fiel.
„Ich bin eben unsportlich“, versuchte Saphira die Situation zu erklären und verzog die Mundwinkel zu einem Lächeln, das jedoch eher einer gequälten Grimasse glich.
Augustus, der für seine Verhältnisse ungewohnt ernst wirkte, überging diese Bemerkung und legte ihr vorsichtig eine Hand auf die Stirn. Obwohl Saphira leicht schwitzte, fühlte sich ihre Haut eiskalt an, und als sie mit bebenden Händen ihren Schal auszog, konnte er das heftige Pulsieren ihrer Halsschlagader erkennen.
„Gib mir deinen Arm“, forderte der angehende Heiler sie auf und legte zwei Finger auf ihr Handgelenk, um den Pulsschlag zu messen.
„Ãœbertreib es nicht“, warf sie ein, war aber gleichzeitig nicht fähig, sich dagegen zu wehren.
Mit jedem flachen Atemzug wuchs die Angst vor seiner Diagnose und plötzlich wurde Saphira sich gewahr, dass dies nicht im Geringsten mit der Furcht zu vergleichen war, welche sie bei ihrem Aufenthalt im St. Mungo verspürt hatte. Damals galten ihre Sorgen in erster Linie der Entdeckung ihrer Vergehen am eigenen Körper, ihrem Ruf und einer Konfrontation mit ihren Problemen, die sie so verzweifelt zu verdrängen suchte. Doch all dies tangierte sie inzwischen kaum noch. Es war ohnehin ein offenes Geheimnis, dass sie eine Meisterin darin war, sich selbst zu vernichten. Draco liebte sie trotzdem noch; ihre Mutter hatte sie nicht der Familie verwiesen; ihre Welt drehte sich unablässig weiter; sie hatte Wege gefunden, ihre krankhaften Angewohnheiten selbst unter strengster Ãœberwachung heimlich weiterauszuleben und außerdem hatte sie ihr sogenanntes Problem absolut im Griff. Wann immer sie wollte oder musste war sie durchaus in der Lage, sich normal zu ernähren. Es bestand keine Lebensgefahr, denn sie selbst hatte es in der Hand, würde schon merken, wann sie es zu weit trieb und wieder anfangen, regelmäßiger zu essen, bevor sie sich zu Tode hungerte. Sie konnte jederzeit aufhören, besaß die Macht über ihren Willen, die Kontrolle über ihren Körper. Wann immer sich jemand in übertriebenem Maße um ihre Gesundheit sorgte, nahm sie an zwei oder drei Therapiesitzungen teil, beteuerte, wie gut ihr dies tat, und schon waren ihre Mitmenschen für eine Weile beruhigt und ließen sie in Frieden.
Alles war in bester Ordnung.
Oder etwa nicht?
Doch allmählich durchschaute selbst Saphira diesen absurden Euphemismus, mit dem sie sich selbst belog, die Welt schön redete, ihre Krankheit herunterspielte. Panik machte sich breit, überschattete ihre zuversichtliche (oder viel eher naive) Betrachtung ihres „kleinen Ernährungsproblems“ und ließ ihre unzähligen, gescheiterten Versuche der vergangenen Monate, ihr Leben endlich in den Griff zu bekommen, lächerlich erscheinen. Wie oft hatte sie es sich vorgenommen und war schließlich doch wieder eingeknickt …
Erst jetzt wurde ihr bewusst, wie wenig Mühe sie sich überhaupt gegeben hatte. Jeder gute Vorsatz war ernst gemeint und für einige Stunden, manchmal auch zwei bis drei Tage gewissenhaft umgesetzt worden, aber dann … hatte sie aufgegeben. Immer und immer wieder.
Irgendwann … ja, irgendwann würde es schon funktionieren, dann schaffte sie es. Dessen war Saphira sich nahezu sicher gewesen, hatte alle Warnungen vor Langzeitschäden geflissentlich überhört und niemals wirklich daran geglaubt, dass der Tag kommen würde, an dem sie die Quittung für ihre Fehler bekam. War es nun so weit?
„Es geht mir gut“, betonte die junge Hexe, war allerdings nicht sicher, ob sie eher sich selbst oder Augustus zu belügen versuchte, und wollte partout nicht wahrhaben, was angesichts ihrer nicht zu leugnenden Symptome so deutlich auf der Hand lag. Nichts war in Ordnung. Ihr Verhalten hatte nachhaltige Schäden hinterlassen; der Körper, den sie mit Füßen getreten, wie Dreck behandelt hatte, rächte sich, kämpfte nicht mehr, schien aufzugeben.
Aber sie wollte doch leben!
„Sh“, machte Augustus mit grimmiger Miene. „Ich zähle.“
„Und?“, erkundigte sich die Blonde, als Augustus nach etwa einer Minute ihren Arm losließ und fast schon genervt aufseufzte.
„Absolut unregelmäßig“, sagte er knapp, stand auf und reichte dem Mädchen eine dunkelrote Wolldecke, die sie mit zittrigen Fingern entgegennahm.
„Das ist nichts Neues“, nuschelte sie und zuckte unbeholfen mit den Schultern. „Das war eine der ersten Aussagen, die du mir gegenüber getroffen hast, wenn ich mich recht entsinne.“
„Glaub mir, das ist kein Vergleich zu heute. Damals hattest du bereits durch Elektrolytmangel hervorgerufene Herzarrhythmien, aber inzwischen setzt dein Herz ganze Schläge aus und stolpert dann weiter lustlos vor sich hin. Mit einer Herzrhythmusstörung hat das nicht mehr viel zu tun, da so etwas wie ein Rhythmus überhaupt nicht mehr vorhanden ist. Abgenommen hast du seit unserem letzten Treffen auch wieder, oder?“ In seinem Tonfall lag etwas Vorwurfsvolles, gar Enttäuschtes, denn so furchtbar ernst und unnachsichtig hatte der junge Heiler nur ein einziges Mal mit ihr gesprochen und damals auch einen triftigen Grund dazu gehabt.
„Das stimmt nicht“, verteidigte Saphira sich und spürte einen Anflug von Zorn in sich aufwallen; ob sich dieser jedoch gegen sie selbst oder jemand anderen richtete, vermochte sie nicht zu definieren.
„Ich habe sogar fast zwei Kilo zugenommen seit November - und ich esse! Verdammt, ich habe doch keine andere Wahl und ich will das auch und ich tue es und ich möchte doch, dass … ich möchte …“, stammelte sie und ließ den Satz unbeendet, da ihr entfallen war, was sie sagen wollte. Flehentlich sah sie ihn an und hoffte, er möge endlich aufhören, ihren Blick dermaßen streng zu erwidern. Aber die Mitleidsmasche zog nicht mehr.
„Wann hast du das letzte Mal etwas gegessen, das drin geblieben ist?“, fragte er, ohne auf ihre Beteuerungen einzugehen, und Saphira senkte beschämt den Blick.
„Gestern Abend“, murmelte sie schuldbewusst und fügte leise hinzu: „Ich habe Mutter gesagt, ich würde mit Pansy frühstücken gehen, und Pansy habe ich erzählt, ich hätte schon gegessen. Ich wollte das gar nicht. Es war ernst gemeint, als ich sagte, ich möchte gesund werden, aber …“
„Die Gelegenheit war so verlockend und die Macht der Gewohnheit zu groß“, ergänzte Augustus resigniert, rieb sich nachdenklich mit dem Handrücken über die Stirn und sah aus dem Augenwinkel, wie die Blonde betreten ein Nicken andeutete.
„Bist du böse auf mich?“, hörte Saphira sich selbst sagen und wünschte auf der Stelle, sie hätte einfach den Mund gehalten, da es keiner Antwort bedurfte. Sein Verhalten war deutlich genug.
„Wenn du so weiter machst, liegst du bald zwei Meter tief unter der Erde, ist dir das bewusst?“, fragte Augustus, nachdem er ein paar Sekunden darüber nachgedacht hatte. Seine Stimme klang ruhig, aber so erbarmungslos hart, dass die junge Hexe den Kopf senkte. Er setzte sich wieder neben sie und wartete, bis Saphira ihn unsicher ansah, ehe er weitersprach.
„Und darüber wäre ich sehr traurig. Du bist noch so jung und schmeißt dein komplettes Leben einfach weg, anstatt etwas gegen deine Unzufriedenheit zu unternehmen. Du nimmst alles so hin, wie es ist, beklagst dich darüber, aber du tust rein gar nichts, damit es dir besser geht. Also ja, ich bin böse auf dich, weil nur du es in der Hand hast, dein Leben zu retten, und was du hier betreibst ist nichts weiter als Zeitlupensuizid.“
Saphira antwortete nicht, knibbelte nur unbehaglich an ihren rissigen Fingernägeln herum und konnte seinem Blick kaum standhalten.
„Ich habe keine Lust, auf deine Beerdigung zu gehen, weißt du? Und vertrau mir, anstelle von Blumen lege ich dir eher eine Selbst-Schuld-Karte auf dein Grab.“
„Deine Anwesenheit wäre ohnehin nicht geduldet, also muss ich zumindest nicht fürchten, eine Schmähschrift als Grabrede gehalten zu bekommen“, warf Saphira ein, in dem Versuch, das Gespräch ein wenig aufzulockern, und lächelte verlegen, aber Augustus` Miene blieb unverändert.
„So witzig finde ich das gar nicht“, sagte er, seufzte und stand auf. „Bleib hier, ich mache dir etwas zu essen und bevor du protestierst: Wenn du dich weigerst, bringe ich dich ohne Umschweife ins St. Mungo.“
Einen Moment lang blieb Saphira reglos, versuchte ihren Zorn herunterzuschlucken und einfach den Mund zu halten, doch als Augustus den Raum schon fast durchquert hatte, sprang sie auf und rief mit bebender Stimme aus:
„Aber ich verstehe das nicht! Warum kapituliert mein Körper ausgerechnet jetzt, da ich über Wochen hinweg mehr esse als jemals zuvor ohne mich zu … ohne … du weißt schon.“
Verblüfft blieb der Dunkelhaarige stehen und wandte sich zu ihr um.
„Das ergibt doch alles gar keinen Sinn. Ich bin immer gut damit zurecht gekommen und ich habe früher über weitaus längere Zeiträume gefastet und nur selten Probleme damit gehabt. Eine schlaflose Nacht und die paar Stunden, in denen ich nichts gegessen habe, können doch nicht dafür verantwortlich sein, dass es mir nun derart schlecht geht. Du kannst es nicht alleine darauf schieben, das kann einfach nicht der Grund sein.“
„Doch, Saphira, genau das ist der Grund“, sagte Augustus und endlich wich der vorwurfsvolle Ausdruck aus seinem Gesicht.
„Dein Körper ist dabei, sich umzustellen und daran zu gewöhnen, regelmäßig ausreichende Mengen an Nahrung zugeführt zu bekommen. So absurd es für dich klingen mag, ist gerade diese Phase äußerst heikel und wenn du - wie du in Hogsmeade noch so zuversichtlich angekündigt hast - deine Therapie tatsächlich fortgeführt und mit Mr. Hunter darüber gesprochen hättest, wüsstest du das auch. Du hast dich jahrelang misshandelt, ausgehungert, vollgestopft, dir fast die Speiseröhre aus dem Leib gekotzt, und erwartest nun, dass ein paar Wochen gesunder Ernährung all die Schäden wieder beheben … aber so funktioniert das nicht. Wenn du jetzt rückfällig wirst, kann dies schwere gesundheitliche Folgen nach sich ziehen und die Gefahr, dass dein Herz irgendwann einfach stehen bleibt, ist derzeit leider besonders hoch. Du solltest vorsichtig sein und achtsamer mit dir umgehen, es sei denn, du hegst einen dringenden Todeswunsch - dann tu, was du nicht lassen kannst - aber das bezweifle ich stark. Deshalb möchte ich dir wärmstens ans Herz legen, dich noch einmal im St. Mungo untersuchen zu lassen und die Hilfe, die man dir anbietet, endlich anzunehmen. Letzten Endes kannst nur du selbst etwas an deinem Verhalten ändern, aber wenn du möchtest, kannst du dabei seelische und moralische Unterstützung finden. Auch Heiltränke, die deinen Elektrolythaushalt wieder in Ordnung bringen und den Kreislauf stabilisieren, würden das Prozedere deutlich erleichtern, um nur einige Beispiele zu nennen.“
Einen Augenblick ließ die junge Hexe seine Ausführungen auf sich wirken, ehe sie eine trotzige Miene aufsetzte und grimmig murmelte: „Wozu all das Bemühen, wenn es doch nur schlimmer wird?“
„Das habe ich jetzt nicht gehört“, erwiderte Augustus mit besorgt gerunzelter Stirn und begab sich in die Küche, wohin Saphira ihm folgte.
„Kannst du mir nicht einfach einen Trank geben, damit es mir besser geht?“, fragte sie kleinlaut und ließ sich auf einem der beiden Barhocker nieder, die an einem spartanisch wirkenden, hölzernen Klapptisch standen.
„Wenn du medizinische Hilfe in Anspruch nehmen möchtest, bringe ich dich gerne noch heute ins St. Mungo“, antwortete er knapp, während er Nudeln in einen Topf schüttete und diesen auf die elektrische Herdplatte stellte. Mürrisch beobachtete Saphira ihn und wunderte sich, wie bei Merlin das Wasser ohne Feuer heiß werden sollte, fragte allerdings nicht weiter nach, sondern blieb beim ursprünglichen Thema, da seine kompromisslose Beharrlichkeit sie zornig machte. Er konnte ihr helfen, ohne Aufsehen zu erregen, und er wusste ganz genau, wie ihre Mutter bei ihrer letzten Einweisung ins Krankenhaus reagiert hatte … Weshalb verweigerte er ihr also seine Unterstützung?
„Nun gib mir doch einfach irgendetwas und mach keine große Sache daraus. Dir ist doch bewusst, dass ich heimlich hier bin!“, beklagte sie sich. Die junge Hexe war es nicht gewohnt, dass Augustus dermaßen hart und unnachgiebig blieb, und es ärgerte sie kolossal, ihren Willen nicht zu bekommen.
„Saphira ...“, seufzte er und setzte einen weiteren Topf mit Tomatensoße auf, ehe er sich zu ihr umwandte und weitersprach.
„Erstens hätte ich überhaupt nicht die notwendigen Zutaten hier und zweitens bin ich kein ausgebildeter Heiler, vergiss das nicht. In der Theorie wüsste ich schon, was man dir vermutlich verabreichen würde, aber solange ich die Ausbildung noch nicht abgeschlossen habe, bin ich nicht dazu befugt, eine solche Entscheidung zu treffen. Das kann, will und werde ich nicht verantworten. Außerdem sind für das Brauen der komplizierteren Tränke speziell ausgebildete Fachkräfte zuständig. Keines dieser Kriterien trifft auf mich zu und ich habe es dir schon einmal gesagt, aber ich fürchte, du hast das noch nicht wirklich begriffen: Durch das Anfreunden mit dir habe ich mich selbst disqualifiziert, dir noch in irgendeiner Weise therapeutisch zur Seite stehen zu können. Ich bin gerne für dich da, keine Frage, und du darfst mir alles erzählen, mit mir über alles sprechen, wenn du möchtest, aber erwarte nicht, dass ich oder irgendwer anderes deine Probleme für dich löst. Wir sind Freunde, aber als Heiler stehe ich dir nicht zur Verfügung, weder jetzt noch später, das muss dir klar sein. Trotzdem kann ich nicht vergessen, was ich in meiner Ausbildung gelernt habe, und so gerne ich dir auch als Freund helfen würde, weiß ich doch, dass nichts verkehrter wäre, als dir nun einfach irgendein Aufputschmittel zu verabreichen, ohne dass du unter medizinischer Beobachtung stehst.“
„Ich verlange doch gar nicht, dass du mir etwas gibst, das nur Heiler verabreichen dürfen … Aber du kennst bestimmt einen Trank, der zumindest die Schmerzen ein wenig lindert und dafür sorgt, dass ich nicht umkippe.“ Noch war Saphira nicht bereit, aufzugeben, doch anhand seines Gesichtsausdruckes erkannte sie rasch, dass sie offensichtlich etwas Falsches gesagt hatte.
„Unter keinen Umständen werde ich dich auch noch beim Verhungern unterstützen, indem ich dir das Einzige nehme, das dich daran erinnert, wie sehr du dir selbst schadest“, widersprach Augustus und da Saphira nichts einfiel, was sie darauf hätte erwidern können, sah sie ihm nur argwöhnisch beim Umgang mit dem Muggelherd zu und kaute stumm auf ihrer Unterlippe herum.
Etwa zehn Minuten später saß sie vor einem gut gefüllten Teller Spaghetti und stocherte lustlos mit ihrer Gabel darin herum. Ihren Einwand, auf Tomaten allergisch zu reagieren, empfand Augustus nicht als ausreichend, um auf die Soße verzichten zu dürfen, denn dagegen hatte er einen Zaubertrank zur Hand. Natürlich, was auch sonst … Er legte sich die Fakten scheinbar auch so zurecht, wie es ihm gerade am besten in den Kram passte, dachte Saphira missmutig und vergaß Ã¼ber ihren Unmut beinahe den Vorsatz, sich freiwillig normal und gesund zu ernähren.
„Würde es dir leichter fallen, wenn ich nicht mit im Raum bin?“, fragte Augustus, nachdem Saphira geschlagene drei Minuten damit zugebracht hatte, eine Wissenschaft daraus zu machen, ihre Nudeln auf die Gabel zu befördern, ohne bislang auch nur einen winzigen Bissen zu sich genommen zu haben.
„Ja“, sagte sie schnell und ihre Miene hellte sich augenblicklich auf, während ihr unzählige Möglichkeiten durch den Kopf schossen, sich der Mahlzeit zu entledigen, ohne sie zu sich nehmen zu müssen - doch rasch besann sie sich wieder und gab kleinlaut zu: „Vielleicht ist das keine so gute Idee.“
„Kluge Entscheidung“, meinte Augustus, dem in etwa dasselbe durch den Kopf gegangen war, und hoffte, dass seine kleine Moralpredigt Saphiras Widerwillen nicht zusätzlich gefestigt hatte. Nur zu gerne hätte er ihre jetzige Reaktion als positives Zeichen gedeutet, doch insgeheim fürchtete er, dass sie seinen Vorschlag, sie alleine zu lassen, bewusst oder unbewusst als Test durchschaut hatte. Ihre Krankheit war ihr schon so lange ein treuer Begleiter gewesen, dass Saphira vielleicht kaum noch in der Lage war, zwischen ihrem eigenen Willen und der bösen Stimme der Störung, die sie immer weiter in den Abgrund zerrte, zu differenzieren.
Grübelnd sah er zu, wie Saphira den Teller im Zeitlupentempo leerte und überlegte, wie er am besten mit ihr umging. Einerseits wollte er ihre Ausreden und Lügen nicht hinnehmen und ihr zartbesaitetes Gemüt nicht als Rechtfertigung gelten lassen, trotzdem versuchte er, Verständnis für sie aufzubringen und sie nicht zu verurteilen und ihr Vorwürfe zu machen … Es war ein verflucht schmaler Grat, auf welchem er derzeit wandelte.
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„Warum tust du dir das an?“, fragte Augustus leise, als er kurze Zeit später neben Saphira auf seinem Bett saß. Sie war so müde, dass es wenig Sinn machte, den Tag noch weiter in die Länge zu ziehen, und die behagliche Wärme, die sich nach dem Essen in ihr ausgebreitet hatte, ließ sie nur noch schläfriger werden. Es war ihr fast schon ein wenig unangenehm, sein Schlafzimmer in Beschlag zu nehmen, doch Augustus hatte ihre Einwände, auch auf dem Sofa nächtigen zu können, vehement abgelehnt. Das käme überhaupt nicht infrage. Außerdem wollte er den Abend nutzen, um noch ein wenig für die im Januar bevorstehende Prüfung zu lernen und das täte er ohnehin lieber im Wohnzimmer.
Natürlich konnte die junge Hexe sich vorstellen, worauf Augustus mit seiner unpräzisen Frage anspielte, aber sie vermied es, darauf zu antworten oder ihn auch nur anzusehen. Unsicher fummelte sie am Saum ihres Nachthemdes herum und wurde sich der merkwürdigen Situation gewahr, in welcher sie sich gerade befand. Nie zuvor hatte sie die Nacht im Bett eines jungen Mannes verbracht, der nicht Draco war, abgesehen von den seltsamen Begebenheiten im vergangenen Schuljahr, als sie und Blaise eine schlaflose Stunde nach der anderen hinter den Vorhängen seines Himmelbettes über alles und nichts geredet hatten. Blaise … Merlin, was hatte sie nur getan? Plötzlich holte sie die bis dato sorgfältig verdrängte Erinnerung an die letzte Nacht in Hogwarts ein und ließ sie vor Schreck erstarren. Hatte es irgendeine Bedeutung? War ihre Freundschaft noch intakt oder erhoffte er sich womöglich mehr davon? Saphira hatte absolut keine Ahnung, wie Blaise die Angelegenheit sah, und ärgerte sich darüber, die Notwendigkeit, mit ihm darüber zu reden, nicht bereits am Tag ihrer Abreise bedacht zu haben.
„Es geht dir gar nicht vornehmlich ums Abnehmen, oder?“, sprach Augustus weiter und riss Saphira aus ihren Grübeleien.
„Dir fehlt die zwanghafte Besessenheit vom eigenen Gewicht und du sprichst kaum über Kalorien, Fett, Kohlenhydrate und wenn du es tust, ist dein Enthusiasmus nicht einmal annähernd so groß wie der einiger anderer essgestörter Personen, die ich kennengelernt habe. Oder bist du nur schlau genug, diese Themen zu umgehen, um ungestört weiter verhungern zu können, ohne dabei allzu viel Aufsehen zu erregen?“
„Das Hungern ist meines Erachtens nicht das Hauptproblem“, meinte Saphira und blickte auf, sah ihm direkt in die Augen und sprach endlich die Worte aus, die sie während ihrer Therapie bei Heiler Hunter nie auszusprechen gewagt hatte.
„Es ist das Essen.“
„Oh, Phia. Wach doch endlich auf!“, stöhnte Augustus ungläubig angesichts dieser scheinbar krankheitsverleugnenden Aussage und bestätigte somit unbewusst Saphiras Befürchtungen. Auch er war vorurteilsbelastet, hörte nicht bis zum Ende zu und begriff nicht, dass Saphiras Satz unvollständig war. Für die unausgesprochenen Worte der Erkenntnis, die stumm vor ihr auf und nieder tanzten, ihr förmlich auf der Zunge lagen, doch ihren Weg nach draußen partout nicht fanden, war er taub. Und wer konnte es ihm verdenken? Um solch verstrickte Gedankenverkettungen wahrhaftig nachvollziehen, beziehungsweise ohne nähere Erklärung erahnen zu können, musste man schon ein ähnlich gestörtes Verständnis haben oder ein Maß an Erfahrung im Umgang mit solchen Menschen, von dem der junge Heiler noch meilenweit entfernt war. Tatsächlich war Saphira der Wahrheit und der Ursache ihres Problems inzwischen näher denn je.
„Warum quälst du dich so? Ich weiß, dass es schwer ist, diese Gewohnheiten abzustellen, dass es eine Sucht ist, die man nicht von heute auf morgen aufgeben kann, aber du weißt um die Folgen deines Handelns, Saphira. Du stirbst, wenn du so weitermachst.“
„Warum, warum … Das fragt jeder. Als ob ich eine eindeutige Antwort darauf geben könnte, die Patentlösung wüsste, euch nur ein kompliziertes Rätsel gestellt hätte, weil es mir Freude bereitet, euch verzweifeln zu sehen“, lachte Saphira freudlos auf und erschrak selbst über die arrogante Kälte, den falschen Stolz in ihrer Stimme, der davon zeugte, dass sie momentan überhaupt nicht bereit war, sich diesem Thema zu stellen.
„Dann konkretisiere ich meine Fragestellung: Was hast du verspürt, als du dich heute dazu entschlossen hast, nicht zu essen? Und behaupte nicht, du hättest es vergessen und keinen Hunger gehabt“, hakte Augustus erbarmungslos weiter nach und fixierte sie mit einem solch durchdringenden Blick, dass Saphira es kaum wagte, auch nur zu atmen. Einen Moment hielt sie inne, bis das plötzlich auftretende Bedürfnis nach körperlicher Nähe sie schlagartig übermannte und dazu trieb, vorsichtig näher an ihn heran zu rutschen, wobei sie seine Reaktion genauestens im Auge behielt. Behutsam, ganz sacht, fast ohne ihn wirklich zu berühren lehnte die junge Black ihren Kopf an seine Schulter und schrak beinahe zusammen, als sie seine Hand spürte, die sich federleicht zwischen ihre Schulterblätter legte. Eine wohlige Gänsehaut breitete sich auf ihrem Rücken aus, als Augustus` Finger kleine Kreise auf ihrer Haut zeichneten, die sich straff über ihre Nackenwirbel spannte, und Saphira musste sich arg zusammenreißen, um angesichts der zahllosen Empfindungen, die sie mit einem Mal überkamen, nicht in Tränen auszubrechen.
Es dauerte ein paar Minuten, bis sie glaubte, ihre Emotionen unter Kontrolle zu haben, doch anstatt sich aufzurichten, den Moment der Schwäche zu verfluchen und von ihm abzurücken, ließ Saphira ihre Ängste fallen, gab die verkrampfte Haltung auf, in der ihr Kopf wenige Millimeter über seiner Schulter schwebte, und lehnte sich an ihn, trug ihr Gewicht nicht länger und ließ zu, dass er sie stützte. Und mit dem Aufgeben ihres inneren Widerstandes gegen jedwede Form körperlicher Annäherung, die von Zuneigung zeugte und ihr bewies, dass sie noch etwas anderes empfinden konnte als Hunger und Schmerz, löste sich auch ihre Weigerung, über ihre Gefühle zu sprechen, in Luft auf.
„Ich will dir gar nicht widersprechen, natürlich tut es weh, nichts zu essen. Und je weniger ich zu mir nehme, desto weniger kann ich es vergessen. Der Gedanke daran ist den ganzen Tag über präsent, verfolgt mich überall hin und manchmal sind die Schmerzen so groß, dass ich es kaum noch ertragen kann, aber die Angst vor den Konsequenzen, die unweigerlich folgen, wenn ich etwas esse, ist stärker“, begann Saphira langsam, wobei sie ihre Worte sorgfältig wählte und doch nicht die richtigen fand, um zu beschreiben, was in ihrem Kopf vor sich ging.
„Was könnte denn so Schreckliches passieren?“, fragte Augustus und seine Tonlage verriet ihr, dass er sich sehr darum bemühte, gelassen zu bleiben und seine eigene Meinung für sich zu behalten. „Du könntest zunehmen, du könntest überleben!“, fügte er zwischen zusammengepressten Zähnen hinzu und plötzlich begriff Saphira, weshalb er so wütend auf sie war. Ihm lag tatsächlich etwas an ihr. Aber weshalb?
Da es ihr momentan zu kompliziert erschien, auch noch darüber nachzusinnen, beschränkte sie sich darauf, das zu beschreiben, womit sie sich auskannte: ihre eigene, verschobene Wahrnehmung der Welt.
„Die körperlichen Folgen sind notwendig. Ich muss ihre Brutalität spüren, mich in ihr verlieren und sie überwinden, wenn ich sonst nichts mehr empfinde, wenn ich innerlich so leer bin, dass nichts dieses Gefühl vertreiben könnte, wenn ich mich taub und abgeschottet fühle, die Welt nur noch durch einen Dunstschleier betrachte wie ein Außenstehender, Geräusche dumpf und hohl klingen, als befände ich mich unter Wasser, als lebte ich gar nicht mehr. Der Schmerz versichert mir, dass ich noch da bin. Er ist oftmals die einzige Grundlage, der einzige Beweis dafür, dass ich nicht längst gestorben bin, dass mein Körper noch existiert und ich irgendetwas fühlen kann. Ich muss diesen Zustand herstellen, um nicht wahnsinnig zu werden und mich in die Vorstellung hinein zu steigern, dass ich in Wahrheit nur aus meinen Gedanken bestehe. Aber es wird immer schwieriger, den Kontakt zu meinem Körper wieder zu finden. Ich bin so sehr an den Hunger gewöhnt, dass es bisweilen mehrere Tage dauert, um diesen Zustand wiederherzustellen.“
Augustus schwieg eine gefährlich lange Minute, in der Saphira sich fragte, ob sie zu viel gesagt hatte und er sie nun für vollkommen durchgeknallt hielt. Als er schließlich zu sprechen begann, bemerkte die junge Hexe sofort, wie auch er sich an etwas zu klammern versuchte, das er verstand, mit dem er umzugehen wusste, indem er auf das zurück griff, was er im St. Mungo gelernt hatte.
„Theoretisch ist das, was du beschreibst, nicht ungewöhnlich. Deine Toleranzgrenze steigt wie bei einem Süchtigen, der immer mehr braucht, um den Rauschzustand erleben zu können. Nur dass du im Umkehrschluss immer weniger brauchst … Und heute? Warst du schlicht und ergreifend froh, der Ãœberwachung entkommen zu sein und nicht essen zu müssen?“
„Ich weiß es nicht, ich meine … Das war natürlich ein Kriterium, insbesondere weil ich in den vergangenen Wochen so viel gegessen habe“, murmelte Saphira und dachte angestrengt darüber nach. Es war nicht leicht zu erklären, eine banale Normalität, ein Bewältigungsmechanismus, der ihr schon so vertraut und dermaßen in Fleisch und Blut übergegangen war, dass sie kaum überlegte, eher intuitiv ihren selbstzerstörerischen Verhaltensmustern frönte. Ãœberhaupt fiel ihr kein Grund ein, weshalb sie mit Augustus plötzlich so offen über die Gründe ihres Handelns sprechen konnte, aber vielleicht wollte der winzige, gesunde Teil ihres Gehirns auch nur endlich selbst verstehen, eine Erklärung geliefert bekommen.
„Das Problem ist, dass ich selbst mich unheimlich verändere, je nachdem wie viel ich esse. Manchmal glaube ich, dass ich sozusagen zwei Persönlichkeiten habe … Es gibt die brave, angepasste, funktionierende Saphira, die still und leise ist, sich im Griff hat, immer weiß, wann sie lächeln und nicken soll und niemals negativ auffällt. Dieser Mensch gefällt mir wesentlich besser. Ich habe meine Emotionen unter Kontrolle; meist sind sie ohnehin relativ schwach, brechen kaum hervor, befinden sich unter Verschluss und fallen mir nicht in den Rücken … Aber sobald ich wieder esse, wird alles so real, alles prasselt nur so auf mich ein und ich kann mich nicht mehr beherrschen, ich werde wahnsinnig davon. Es bringt mich um den Verstand und ich finde keine Möglichkeit, die Gefühle wieder zum Schweigen zu bringen. Ich verliere die Kontrolle, ich esse und esse und dann … muss ich es irgendwie wieder loswerden, um die Ordnung in meinem Kopf wiederherzustellen. Alles wird zu intensiv, zu viel, viel zu viel, ich … ich halte das nicht aus“, sprudelte es aus Saphira heraus und sie starrte einen Moment lang von Verzweiflung zerrissen vor sich hin, ehe sie tief Luft holte und sich wieder fing.
„Gestern Nacht habe ich lange mit Draco gesprochen, aber es ist absolut gar nichts dabei herum gekommen, abgesehen davon, dass ich ihn nun noch mehr vermisse. Trotzdem habe ich entschieden, ihm vorerst keine zweite Chance zu geben und ich weiß, dass ich richtig gehandelt habe, weil mir die Kraft fehlt, wieder eine Beziehung mit ihm zu führen. Das hat mich damals schon dermaßen … fertig gemacht. Ich kann mit all diesen Emotionen nicht umgehen. Dennoch tut es unerträglich weh, ihn abgewiesen zu haben. Der Hunger lenkt mich ab. Wenn ich mich auf den Schmerz in meinem Magen konzentriere, ihm nicht nachgebe, bis er ins Unermessliche steigt, wird alles andere immer leiser, irgendwann ganz still. Wenn der körperliche Schmerz groß genug ist, hört es auf, seelisch wehzutun. Erst dann kann ich wieder klar denken, mich von der Trauer befreien und funktionieren. Außerdem beweise ich mir selbst, dass ich nicht so erbärmlich bin, wie alle denken. Ich bin stark, stärker als mein Körper und meine niederen Triebe, bin kein Sklave meiner plumpen Bedürfnisse. Mein eigener Wille ist mächtiger, mein Geist besiegt den Körper. Ich treffe eine Entscheidung und bleibe konsequent. Ich bin nicht schwach, verstehst du?“, sagte sie rasch, blickte zu Augustus auf und versuchte zu ergründen, was in seinem Kopf vorging.
„Verstehen wäre zu viel gesagt“, antwortete er schließlich, nachdem er eine Weile darüber nachgedacht hatte. „Ich begreife, was du meinst, und kann nachvollziehen, wie du dazu kommst, aber ich hoffte, du verstehst, dass dies nicht der richtige Weg ist, deine Probleme zu bewältigen; nur weil du Ablenkung davon findest, verschwinden sie nicht einfach. Deine Gefühle sind nicht dein Feind, sie gehören schlicht und ergreifend zu dir und anstatt dagegen anzukämpfen, solltest du lernen, auf dich zu achten und dich mit deinen Emotionen auseinander zu setzen. Du bist ein Mensch und keine Maschine, kein Gegenstand, der funktionieren muss. Hör auf immer nur darüber nachzudenken, was andere von dir verlangen, und tu endlich, was du wirklich willst. Ich weiß, das sagt sich so leicht, aber einen besseren Ratschlag kann ich dir nicht geben.“
„Es tut schon gut, dass du einfach zuhörst und mich ernst nimmst“, lächelte Saphira müde, schmiegte sich enger an ihn und schloss entspannt die Augen, fühlte wie die Schwere des Schlafes sich sanft über sie legte, wollte ihr jedoch noch nicht nachgeben, das gute Gefühl so lange wie möglich bewusst wahrnehmen, festhalten, sich daran klammern und nie wieder loslassen.
„Ich lasse dich dann mal alleine“, sagte Augustus, schob das Mädchen sacht von sich und stand auf.
„Mh“, nuschelte sie und biss sich auf die Zunge, um dem Drang zu widerstehen, ihn zu bitten, noch eine Weile zu bleiben. Die körperliche Nähe zu ihm hatte sich dermaßen gut angefühlt, viel zu gut, als dass sie es zulassen durfte, sich dieser Schwäche hinzugeben, es zu genießen und nach mehr zu verlangen. Bei Merlin, was tat sie nur?
„Gute Nacht“, antwortete sie stattdessen so energisch wie nur irgend möglich und sah ihm dennoch wehmütig hinterher, als er den Raum verließ und die Türe hinter ihm ins Schloss fiel.
Wieder alleine zu sein fühlte sich merkwürdig leicht an. Die glückselige Freude über ihre gelungene Flucht von zu Hause war noch nicht verflogen, mischte sich mit der wohligen Wärme in ihrem Inneren und sorgte dafür, dass ihre wild kreisenden Gedanken endlich zur Ruhe kamen. Das unheimliche Gefühl, von einer unsichtbaren Macht gejagt, immer weiter getrieben zu werden und keinen Moment still stehen, sich besinnen zu können, war verschwunden, und erschöpft, aber zufrieden glitt Saphira ungewöhnlich schnell in einen erholsamen, traumlosen Schlaf.
+
Ich verliebte mich in Augustus wie man sich in eine wahnwitzige Idee verliebt, einen unrealistischen Wunsch, von dem man bei klarem Verstand ganz genau weiß, dass er niemals Wirklichkeit werden wird. Von Sekunde zu Sekunde steigerte ich mich mehr in diese Vorstellung hinein, liebte den Grundgedanken, die symbolische Bedeutung, die er für mich hatte, jedoch weniger Augustus selbst. In Wahrheit war dies nur eine weitere Fluchtmöglichkeit vor meinen Ängsten und Sorgen, eine Ablenkung von der stetig spürbaren, quälenden Sehnsucht nach Draco, die ich vollkommen aus meinen Gedanken eliminierte, indem ich mein Bedürfnis nach menschlicher Nähe auf Augustus übertrug, den einzigen Menschen, der mir zur Verfügung stand. Es war erschreckend, wie leicht ich diesem Wahn verfiel, wie lächerlich einfach es war, zu glauben, ich hätte mich wahrhaftig verliebt.
Realität und Imagination verschwammen in einem schwarz-weiß schimmernden Strudel aus Manie und Depression, in dem ich jubelnd und weinend, lachend und in meinem Kopf um Hilfe schreiend versank, stumm und unfähig, meine Gefühle auf normalem Wege zu verbalisieren. Stetig hin und her gerissen zwischen den widersprüchlichsten Wünschen - ohne auch nur die leiseste Ahnung davon zu haben, was mit mir geschah - wandelte ich blind durch den undurchdringlichen Nebel meiner Gedanken, tastete verzweifelt nach der Hand, die mich erretten konnte und begriff nicht, was man mir wieder und wieder zu erklären versuchte: Nur ich hatte die Macht dazu, mich von mir selbst und meinen falschen Denkmustern zu befreien.
Es war so viel leichter, diese Tatsache zu ignorieren, zu negieren und verleugnen, um einiges bequemer, an meinen angelernten Verhaltensweisen festzuhalten, als mich der Wirklichkeit zu stellen und den schmerzhaften Weg der Selbsterkenntnis zu gehen.
Der Neurotiker baut sich ein Luftschloss, der Psychotiker zieht ein.
Und in den Tagen vor dem Weihnachtsfest 1996 war ich - ohne mir dessen im Mindesten bewusst zu sein - nur um Haaresbreite davon entfernt, diese Grenze zu überschreiten.
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Inklusive dämlicher TFiOS-Satz-Verunstaltung, weil es sich so ideal anbot :`D
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Schon als mir zum ersten Mal klar wurde, dass Bücher von Menschen geschrieben werden und nicht einfach so auf Bäumen wachsen, stand für mich fest, dass ich genau das machen wollte.
Joanne K. Rowling