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Fanfiction

Slytherin Hearts - Schatten der Vergangenheit

von SaphiraMalfoy

Schatten der Vergangenheit


Vorsichtig und mit wild in der Brust pochendem Herzen nähert die junge Black sich dem verbotenen Objekt der Begierde, will nur für ein paar Sekunden nicht sie selbst sein, sondern jemand anderes, ein Mädchen, das tut, wonach ihr der Sinn steht, auch wenn sie weiß, wie verkehrt dies ist, sie diesen Kerl nicht liebt, selbst wenn sie es dürfte. Augustus` Hand ruht in ihrem Nacken, sein Atem streift ihre Haut und Saphira schließt die Augen, will nicht länger auf die Stimme der Vernunft hören, als -

„Au!“, ruft er plötzlich und springt auf, da ihn ein Schneeball von Tracey hart am Hinterkopf getroffen hat. Insgeheim ist er ihr dankbar, ihn unbewusst vor einer Dummheit bewahrt zu haben, fragt sich jedoch, ob nicht exakt dies in ihrer Absicht lag. Vermutlich hat Tracey ganz genau gewusst, was sie tut ... Und das aus den falschen Motiven heraus.

Paralysiert bleibt Saphira eine Weile am Boden sitzen und versucht zu begreifen, was beinahe geschehen wäre. Ungläubig ob ihrer eigenen Kühnheit schüttelt sie den Kopf, erhebt sich und klopft den Schnee von ihrem Umhang, der bereits festzufrieren beginnt. Gedankenversunken beobachtet sie die beiden Menschen, mit denen sie sich gar nicht abgeben dürfte und die ihr doch so viel bedeuten.

Die restlichen Minuten mit Augustus verlaufen weitestgehend unspektakulär und unverfänglich.
Der Zauber ist gebrochen, doch die Erinnerung daran bleibt zurück.
Da den Mädchen inzwischen bitterkalt ist, entscheiden sie sich nach kurzer Zeit, zurück ins Schloss zu gehen und sich aufzuwärmen, ehe sie sich erkälten.
„Wir sehen uns“, sagt Augustus und schließt beide kurz in die Arme, ehe er sich auf den Weg ins Dorf macht, von wo aus er nach London apparieren wird. Keiner von ihnen lässt sich anmerken, dass zwischen Saphira und dem angehenden Heiler etwas anders war als sonst.

+

Die Euphorie ist verflogen und die Zweifel kehren zurück.

Was tue ich nur? Was will ich eigentlich? Wer bin ich überhaupt? Unzählige Fragen, auf welche die junge Hexe keine Antwort geben kann, bereiten ihr spät abends im Bett Kopfzerbrechen. Es ist nicht richtig, worauf sich einzulassen sie um ein Haar bereit gewesen wäre. Aber das Letzte, was Saphira Black will, ist in ein paar Jahren - sobald sie verheiratet wurde, keine eigenen Entscheidungen mehr treffen darf, keine eigenständige Person mehr ist (was sie streng genommen niemals war) - auf ihr Leben zurückzublicken und zu denken: Hätte ich nur ...

Sie lässt den wundervollen Tag Revue passieren und unweigerlich huscht ein Lächeln über ihr blasses Gesicht, als die Glückshormone ihren Körper erneut durchfluten. Bedächtig öffnet sie ihre Nachtischschublade, holt ihr Tagebuch hervor, um das Gefühl in Worte zu fassen, festzuhalten und sich endlich klar zu werden, was sie eigentlich möchte. Doch als sie das Notizbuch aufklappt, blickt sie in Dracos Gesicht und bittersüße Erkenntnis durchzuckt sie, verschafft erschreckende Gewissheit.
Noch immer nutzt sie ein Foto von ihm als Lesezeichen, so wie sie es seit ihrer Kindheit tut. Seitdem sie Tagebuch schreibt. Weil es so normal erscheint. Weil es immer Draco war und immer nur Draco sein wird, dem ihr Herz gehört, mit dem sie sich so verbunden fühlt.
Warum komme ich von dir nicht los?
Für immer.

+

Zusammen mit Saphira, die dem Trubel im Gemeinschaftsraum entgehen will, begibt Blaise sich an einem Samstagnachmittag im Dezember in den Schlafsaal der Jungen, in dem sich außer Theodore - der in ein Buch versunken auf seinem Bett liegt - um diese Zeit niemand aufhält. In den vergangenen Tagen haben er und seine beste Freundin viele Stunden damit zugebracht, miteinander zu reden und ungeklärte Missverständnisse aus dem Weg zu räumen. Es freut ihn, dass es Saphira inzwischen richtig gut zu gehen scheint, sie gesprächiger und offener ist, als er sie je erlebt hat, doch es gibt eine Sache, der er sich in dieser Zeit erschreckend bewusst wird und die seine Laune trübt.
Vor zwei Jahren führte er Saphira zum Weihnachtsball aus und hegte dabei keine anderen Absichten, als mit seiner besten Freundin einen angenehmen Abend zu verbringen. Kurz darauf wurden sie und Malfoy ein Paar und waren infolge dessen so unzertrennlich, als hätte man die beiden mit einem Dauerklebefluch aneinander gehext. Fortan wuchs in Blaise die Eifersucht heran. Langsam und schleichend wie eine gefährliche Krankheit, die so subtil Besitz von ihm ergriff, dass er erst merkte, wie ihm geschah, als es bereits zu spät war, er sich hoffnungslos in Saphira Black verliebt hatte; sie begehrte; von ihr träumte; jedes andere Mädchen nur eine billige Ablenkung darstellte, weil Blaise nur Augen für sie hatte.
Vor exakt einem Jahr hatte der junge Magier sich schließlich dermaßen in seine aussichtslose Schwärmerei hineingesteigert, dass es ihn zermürbte, andauernd ihre Nähe zu spüren und seinem Verlangen nicht nachgeben zu dürfen, weil er ganz genau wusste, dass Saphira nichts ferner lag, als ihren geliebten Idioten zu betrügen oder gar zu verlassen.
Was er bitter nötig hatte war Abstand.
Und irgendwie tauchte Tracey auf der Bildfläche auf, versüßte ihm die Nächte und ließ ihn nicht mehr allzu häufig an jenes Mädchen denken, das er ohnehin nicht haben konnte.

Nun, da Saphira in keiner Beziehung mehr ist, sollte man meinen, Blaise sei am Ziel seiner Träume angelangt, kann endlich sein Glück bei der Frau versuchen, die er so sehr begehrt, jedoch ist sein Interesse an ihr schneller verflogen, als er registrieren konnte, dass seine Chance zum Greifen nahe ist. Tatsächlich empfindet er nur noch tiefe Freundschaft für sie, denn Blaise Zabinis aufrichtige Zuneigung gilt immer nur den Dingen, die er nicht haben kann.
Und das ist nun Tracey Davis. Ein dreckiges Halbblut, das er nicht eines Blickes würdigen sollte. Nicht schlecht für zwischendurch, wenn sich ihm gerade kein besseres Weiblein anbietet, aber nicht würdig, seine Gefühle zu entfachen, ihm mehr zu bedeuten als eine gute Partie im Bett.
Kurz vor den Sommerferien des letzten Schuljahres jedoch verschwand Tracey nicht sofort, nachdem sie unglaublich guten Sex miteinander hatten. Sie blieb. Die ganze Nacht. Lag neben ihm, schmiegte sich eng an ihn und Blaise hatte die Schwarzhaarige fest in die Arme geschlossen, die Zweisamkeit genossen und sich nicht ein einziges Mal vorgestellt, mit einer anderen sein Bett zu teilen. Am nächsten Morgen hatte sie ihn angelächelt - liebevoll, nicht verrucht - und er hatte sie geküsst - zärtlich, nicht fordernd. Es war das letzte Mal, dass sie sich so nahe gekommen sind. Von diesem Tag an war es Tracey, die sich zurückzog, ihn bis zum heutigen Tag behandelt, als wäre all dies niemals geschehen. Und sie tut recht daran. Es ist falsch, sich zu wünschen, aus ihnen könne mehr werden. Tracey entspricht nicht seinem Niveau und Blaise ist nicht bereit, mit den Traditionen zu brechen.
Was er auch sagt oder tut, er kann es weder sich noch ihr schön reden.
Erst recht nicht seiner wundervollen Mutter, die Erwartungen an ihn stellt, die zu erfüllen er nicht motiviert ist. Gleich nach dem Abschluss zu heiraten liegt ihm so fern. Wen auch? Er hat keine Freundin, nie wirklich eine gehabt. Da ist niemand, der infrage käme.
Schau dich nur um, mein hübscher Junge. Dir steht die Welt offen. Es sollte nicht schwer sein, ein Mädchen zu finden, das bereit ist, sich dir hinzugeben. Aber wähle klug und mit Bedacht. Vergiss sentimentale Gefühlsduselei. Die richtige Frau musst du nicht lieben; sie muss nur deinem Stand entsprechen, dich ehren und unterstützen in allem, was du tust, und wenn sie sich dir widersetzt ... Schlimme Dinge geschehen manchmal einfach.
Noch immer läuft Blaise ein eiskalter Schauer den Rücken hinab, wenn er an ihre bittersüßen Worte denkt. Sie wecken Erinnerungen, denen er sich nicht entziehen kann, an Geschehnisse, deren Zeuge er lieber nicht geworden wäre ...

„Du, Blaise?“ Saphiras Stimme lässt ihn aus seinen Gedanken hochschrecken und aufblicken. Neben ihm auf dem Bett sitzt die Blondine, lehnt sich entspannt zurück und sieht ihn fragend an.
„Was denn?“, erwidert er und schüttelt die finsteren Gedanken ab. Darüber nachzusinnen bringt ihn nicht weiter. Was passiert ist lässt sich nicht ändern.
„Hast du irgendetwas? Du siehst so bedrückt aus.“ Langsam richtet sie sich auf und rückt ein wenig näher an ihn heran.
„Nein, alles in Ordnung“, lügt der Dunkelhäutige und dreht verwundert den Kopf zur Seite, als er spürt, wie die Kleinere ihm einen Arm um die Schultern legt und sich an ihn kuschelt. Das Lächeln, welches sie ihm schenkt, verwirrt ihn.
„Bist du dir sicher?“, hakt sie nach. Besorgnis liegt in ihren grünen Augen, die unbestreitbar schön sind, auch wenn Blaise zugeben muss, dass sie für ihr schmales Gesicht etwas zu groß geraten sind. Dazu ihre dünnen, spröden Lippen, die nicht gerade zum Küssen einladen, abgekaute Fingernägel ... Details, die ihm früher nie aufgefallen sind. Damals, als Saphira ihm makellos erschien. Auch Tracey ist alles andere als perfekt, ihrer Fehler ist er sich durchaus bewusst und dennoch sehnt er sich nach ihr. All dies gehört zu ihr, macht sie liebenswert und ... Nein, diese Gedanken will er sich nicht erlauben; sie treiben ihn noch in den Wahnsinn. Aber was bedeutet diese Erkenntnis? Waren seine Gefühle für Saphira nie echt, da er sie hochstilisiert hat und nicht sehen wollte, wer sie wirklich ist? Und heißt das im Umkehrschluss, was er für Tracey empfindet ist echt?

„Ganz sicher“, sagt Blaise nachdrücklich, als müsse er auch sich selbst von der Richtigkeit seiner Lüge überzeugen, und sinkt neben ihr in die Kissen. Saphira bleibt sitzen und betrachtet ihn von oben herab, während ihre Hand sacht über seinen Arm streicht. Seufzend schließt er die Augen, genießt die zärtliche Berührung und stellt sich vor, es sei ... Verdammt!
„Du, sag mal“, beginnt die junge Hexe zögerlich und Blaise blickt auf. „Mit wem willst du zu Slughorns Weihnachtsfeier gehen?“
Schweigend zuckt er die Schultern. Einen wahnwitzigen Augenblick dachte er gestern tatsächlich darüber nach, ob er nicht Tracey fragen solle, verwarf diese dumme Idee jedoch binnen Sekunden.
„Also hast du auch noch niemanden, der dich begleitet“, stellt Saphira fest und Blaise nickt wortlos, beobachtet skeptisch, wie sie sich zu ihm herabbeugt und den Kopf an seine Schulter legt, noch immer versonnen lächelnd.
„Was hältst du davon, wenn wir beide zusammen hingehen?“, fragt sie schließlich und rückt so nahe an ihn heran, dass er ihren Atem auf seiner Haut spüren, den betörenden Duft ihrer Haare riechen kann. Gänzlich hat die zierliche junge Frau ihren Zauber nicht verloren und wenn sie will, wirkt sie auch heutzutage noch durchaus anziehend auf ihn. Aber will sie das? Oder denkt sie sich nichts weiter dabei, sich so lasziv an ihn zu schmiegen, dass es ihm vor einem Jahr den Verstand geraubt hätte.
„Damit du wieder mit dem nächstbesten Vollidioten die Party verlässt und ich alleine zurückbleibe?“, entgegnet er neckisch auf den Weihnachtsball anspielend und streicht ihr dabei eine Strähne ihres gelockten Haares hinters Ohr.
„Oh, ich glaube, du warst damals derjenige, der zuerst eine Ersatzgesellschaft gefunden hat“, kichert Saphira.
„Genau genommen habe ich uns etwas zu trinken geholt und als ich zurückkam, warst du mit Malfoy auf der Tanzfläche verschwunden“, korrigiert der Dunkelhäutige sie und Saphira schlägt betreten die Augen nieder.
„Dieses Jahr passiert mir das sicher nicht“, murmelt sie und kaut auf ihrer Unterlippe herum.
„Mh“, macht er und überlegt angestrengt, was er ihr antworten soll. Zwar ist ihm auch schon in den Sinn gekommen, Saphira zu bitten, ihn zu begleiten, doch will er in ihr keine falschen Hoffnungen wecken, ihr nicht das Herz brechen, wie Malfoy es getan hat. Oder sich selbst? Blaise vermag nicht zu definieren, was er überhaupt will, besser gesagt: wen er will.

„Also gehen wir nicht zusammen?“, meldet die Blonde sich wieder zu Wort, da Blaise nur gedankenversunken neben ihr liegt und ins Leere starrt. Ein Schatten von Trauer huscht über ihr mageres Gesicht, erinnert an die deprimierte Saphira, welche er monatelang ertragen musste.
„Doch“, seufzt er und richtet sich ein wenig auf, versucht ihren Ausdruck zu deuten, zu verstehen, was in ihr vorgeht. „Vielleicht sollten wir das tun.“
Und vielleicht sollten wir noch etwas ganz anderes tun, schießt es ihm durch den Kopf. Beide haben keinen Partner, doch es besteht kein Zweifel daran, dass auch seiner besten Freundin nicht mehr viel Zeit bleibt, die richtige Wahl zu treffen. Eventuell ist es gar keine so unrealistische Idee, ernsthaft in Erwägung zu ziehen, dass nicht doch Saphira die nächste Mrs. Zabini werden könnte. Immerhin sind sie seit Jahren gut befreundet, niemand müsste sich mit einem Kerl beziehungsweise einer Frau arrangieren, den oder die er gar nicht mag, geschweige denn näher kennt. Nur zu gut sind Blaise die sogenannten Freundinnen seiner Mutter mit ihren nervigen Töchtern, die allesamt Beauxbatons besuchen, in Erinnerung geblieben und an eine von ihnen vermittelt zu werden, ist ganz und gar nicht in seinem Sinne. Aber wie steht Saphira zu diesem Thema? Grübelnd mustert er die junge Black, wagt es allerdings nicht, sie darauf anzusprechen aus Angst, etwas Falsches zu sagen.
„Definitiv“, strahlt sie erfreut. „Aber warum bist du so nachdenklich?“ Zaghaft greift sie nach seiner Hand, streicht mit den bleichen, knochigen Fingern darüber und legt den Kopf leicht schief, sieht ihn merkwürdig an. Flirtet sie mit ihm? Oder bildet er sich das alles nur ein? Verwirrt erwidert Blaise ihren Blick und wird aus ihr nicht schlau.

„Euer Gesülze ist nicht zum Aushalten!“, stöhnt Theodore genervt, klappt sein Buch zu und erhebt sich. „Könnt ihr mit eurem kariesauslösenden Süßholzgeraspel nicht für eine Sekunde aufhören? Ich versuche zu lernen!“ Schlecht gelaunt begibt er sich zum Ausgang und bevor er den Schlafsaal verlässt, dreht er sich noch einmal zu ihnen um und meint kopfschüttelnd an Saphira gewandt: „Du suchst dir auch gezielt die größten Idioten aus, oder? Mit dir Mitleid zu haben ist offenbar überflüssig.“ Mädchen sind manchmal einfach nur dämlich.

„Huch.“ Erschrocken dreht sich Saphira, die genau wie Blaise ganz vergessen hat, dass sie nicht alleine sind, zu Theodore um, doch da lässt dieser die Schlafsaaltüre bereits hinter sich ins Schloss fallen.
„Dann wäre das geklärt“, murmelt sie und wirkt nun nicht mehr so euphorisch wie noch vor wenigen Sekunden. Eher niedergeschlagen und in sich gekehrt. Ihren plötzlichen Gefühlsumschwung kann der dunkelhäutige Slytherin sich nicht erklären. Es sei denn ... Aber das ist Unfug. Sie kann nicht wirklich etwas von ihm wollen, diese Wendung wäre zu ironisch; jetzt, da seine Sehnsucht nach ihr nahezu vollkommen abgeklungen ist.
„Und was ist mit dir los?“, erkundigt er sich, als Saphira die dünnen Beine an den Körper zieht, ihre Arme darum schlingt und ihren Kopf auf den Knien abstützt.
„Nichts“, lügt sie, den Blick auf Dracos leeres Bett gerichtet. Vorsichtig legt Blaise ihr eine Hand unter das Kinn und zwingt sie, ihn anzusehen.
„Du weißt, dass du mir alles sagen kannst, oder?“
„Mh“, nuschelt die Blonde und lässt sich kraftlos in seine Arme sinken. „Das Leben ist anstrengend.“
„Das ist es immer“, antwortet er und Saphira schweigt.
Die unbehagliche Stille zieht sich in die Länge, erfüllt den Raum, doch nicht ihre Köpfe, in denen tausend unzähmbare Gedanken wild durcheinander wirbeln, schreien, kreischen, beachtet werden wollen, schlichtweg keine Ruhe geben.
Blaise empfindet die Situation plötzlich als so bedrückend, dass er nicht länger hier verweilen will.
„Lass uns nach draußen gehen“, schlägt er vor, erhebt sich und zieht auch Saphira auf die Beine. „Ich halte es hier drinnen nicht aus, ich brauche frische Luft.“

+

Stumm spazieren die beiden eine Weile am Rande des Verbotenen Waldes entlang, jeder in seine eigenen Grübeleien vertieft. Das Wetter ist wieder etwas milder geworden, der Schnee fast gänzlich getaut und der Boden matschig und durchweicht. Die märchenhafte Idylle hält selten länger als ein paar Tage an, doch Saphira hofft inständig, dass sie dieses Jahr noch einmal zurückkehren wird. Graue Regenwolken verdecken den Himmel, durch welche die Sonne kaum hindurchdringt; eine deprimierend düstere Atmosphäre hat sich über das Schloss und die Ländereien gelegt.

Plötzlich bleibt Blaise stehen und blickt zwischen den Bäumen hindurch auf eine kleine Lichtung im Wald, von der Saphira ein leises Rascheln vernimmt. Doch kann sie weder einen Menschen noch ein Tierwesen ausmachen und will schon weitergehen, da bemerkt sie den seltsamen Ausdruck auf dem Gesicht ihres besten Freundes.
„Was ist los?“, will sie wissen und Blaise verzieht griesgrämig den Mund, nimmt die Augen keine Sekunde lang von der Stelle, an der wie durch Geisterhand einige welke Blätter aufgewirbelt werden.
„Du kannst sie nicht sehen“, stellt er mit gesenkter Stimme fest und langsam begreift die Blonde, was dort vor sich geht.
„Thestrale?“, fragt sie leise und ein unbehagliches Gefühl breitet sich in ihr aus, als die Geräusche lauter werden. Oder handelt es sich lediglich um den Wind, der durch das lose Laub fegt? Schon im vergangenen Schuljahr waren ihr die Wesen unheimlich vorgekommen, als sie in Pflege Magischer Geschöpfe so nahe an sie herangeführt wurden und zusehen mussten, wie riesige Stücke blutiger Kadaver sich scheinbar in Nichts auflösten. Fleischfressende Ungeheuer, die niemand wahrnehmen kann, außer denjenigen, die dem Tod selbst ins Auge geblickt haben, einen anderen Menschen sterben sahen. Dass diese Tiere die Kutschen ziehen, welche die Schüler nach ihrer Ankunft am Bahnhof Hogsmeade Jahr für Jahr nach Hogwarts bringen, ist ihr bewusst, doch für gewöhnlich verdrängt sie diesen Umstand, stellt sich einfach vor, die Gespanne bewegten sich von alleine. Zu erschreckend ist der Gedanke an die Thestrale, deren gruseliges Antlitz ihr nur von Zeichnungen aus den Lehrbüchern bekannt ist.
„Ja, zwei Stück“, bestätigt der Dunkelhäutige ihre Vermutung und taxiert die für Saphira unsichtbaren Gestalten angewidert. Als Hagrid damals fragte, wer von ihnen die Viecher sah, hüllte Blaise sich in Schweigen, aber es war unverkennbar gewesen, dass er es konnte. Saphiras zaghafter Nachfrage wich er damals aus, was sie verstand, denn wer sprach schon gerne vor der halben Klasse über ein so schreckliches Erlebnis? Nun ärgert sie sich enorm darüber, ihn später nicht noch einmal darauf angesprochen zu haben. Es war ihr schlichtweg entfallen. Zu sehr war sie mit sich selbst, dem Tagebuch ihres Vaters, ihren Alpträumen und den exzentrischen Ausbrüchen Draco gegenüber gewesen, dass sie kaum einen Gedanken an ihren besten Freund verschwendet hatte.

„Ich bin eine furchtbare Person“, murmelt sie und grämt sich der ekelerregenden Selbstsüchtigkeit, die sie allzu häufig an den Tag legt.
„Bitte?“ Blaise reißt sich endlich von dem vermutlich abscheulichen Anblick los und sieht die Freundin verständnislos an, doch diese schüttelt nur den Kopf, geht auf ihn zu und hakt sich bei ihm ein.
„Lass uns weitergehen“, bittet sie ihn, da sie die Gegenwart der Tiere als unheimlich empfindet und nicht länger in ihrer Nähe verweilen möchte.
„Zu gerne“, sagt er tonlos und setzt sich in Bewegung, die Stirn in tiefe Falten gelegt; still und in sich gekehrt. Ein paar Minuten lang sucht Saphira nach den richtigen Worten und dem Mut, diese auszusprechen, doch da es keine taktvolle Art gibt, dieses Thema anzuschneiden, holt sie schließlich tief Luft, blickt zu ihm auf und fragt ganz unverblümt:
„Wen hast du sterben sehen?“

Eine Antwort erhält sie nicht. Alles was Blaise darauf erwidert ist ein genuscheltes „Ach, niemanden“, begleitet von einem gereizten Schulterzucken.
„Warum reden wir nie?“, seufzt Saphira, nachdem sich beide einige Minuten lang in unbehagliches Schweigen gehüllt haben, und Blaise entgegnet teilnahmslos: „Das tun wir doch.“
„Nein, wir sprechen viel, aber sagen im Grunde genommen nichts“, meint sie und er versteht gut, was sie damit zum Ausdruck bringen will.
„Mag sein“, antwortet er knapp und blickt stur geradeaus, scheint nicht bereit zu sein, diesen Umstand zu ändern.
„Ich finde das nicht richtig“, sagt die Blonde mit ungewohntem Nachdruck in der Stimme. „Ich weiß, dass ich selbst in diesem Punkt nicht einfach bin, aber manchmal hat es doch ansatzweise funktioniert. Warum kriegen wir das nicht dauerhaft hin? Du erzählst nie etwas. Nichts Persönliches, nichts was dich belastet oder aufregt - und damit meine ich keine anstrengenden Hausaufgaben oder Leute, die dir auf die Nerven gehen, sondern ... wichtige Dinge. Verstehst du?“
„Es gibt nichts, was ich zu einer solchen Unterhaltung beisteuern könnte“, erwidert Blaise bestimmt und unnachgiebig. Sein Gesicht zeigt nicht den Ansatz einer Gefühlsregung, was Saphira dazu veranlasst, sich zu fragen, ob auch sie sich meist so unnahbar und verschlossen verhält. Vermutlich. Die Erkenntnis, wie frustrierend es sein muss, tagtäglich mit einem solchen Menschen konfrontiert zu sein, einer Person, die nicht bereit ist, etwas von sich preiszugeben und eine so undurchdringliche Mauer um sich herum aufgebaut hat, dass man hilflos darum fleht, Einblick in die Gedanken desjenigen zu bekommen, erschreckt sie. Und mehr denn je bewundert sie Draco um seine Geduld, die er ihr entgegengebracht hat. Aber er hat es niemals wirklich versucht, wollte gar nicht wissen, was in ihr vorgeht. Oder etwa doch? Seine Fragen waren stets so zaghaft und vorsichtig gestellt, er hatte nicht darauf bestanden, dass sie über ihre Sorgen sprach und eigentlich kann man es ihm nicht verübeln. Wie hätte er auch begreifen, die richtigen Worte finden können? All diese Themen waren ihm so fremd und sind es wahrscheinlich noch.

„Das glaube ich nicht“, widerspricht Saphira und schüttelt die Erinnerung an ihren Exfreund ab. „Hat man denn nicht genau dafür Freunde? Um sich mit ihnen auszutauschen und auch über die unangenehmen Seiten des Lebens zu diskutieren?“
„Saphira, lass es einfach!“, herrscht der Dunkelhäutige sie plötzlich zornig an und die junge Black erschrickt angesichts seines unerwarteten Emotionsausbruches. „Es mag durchaus sein, dass du viele Probleme hast, über die du sprechen möchtest, und das darfst du auch gerne tun, das habe ich dir gesagt, aber was mich angeht gibt es nichts zu berichten!“
Einen Moment lang starrt sie Blaise nur sprachlos an, der ihr gegenüber selten so patzig und hart ist. Nur wenn ihn etwas wirklich bewegt. Und das bestätigt ihren Verdacht: Er lügt.

„Nun gut“, sagt sie schließlich und entscheidet sich, keine Zankerei zu entfachen oder das Thema erneut auf sich beruhen zu lassen, totzuschweigen wie sie es all die Jahre über getan haben, sondern eine andere Strategie auszuprobieren. Wenn er sich partout nicht darauf einlassen will, ist dies traurig, doch so leicht gibt Saphira nicht auf. Nicht jetzt, da sie selbst endlich erkennt, was in ihrem eigenen Leben so verdammt schief läuft.
„Dann rede ich.“ Entschlossen greift sie in die Innentasche ihres Mantels und zieht einen Brief daraus hervor. „Den hier hat meine Mutter mir vorgestern geschickt. Darin erklärt sie mir freundlich, dass es ihr gelungen ist, jemanden zu finden, der mich eventuell heiraten würde. Allerdings werden wir in den Weihnachtsferien vorerst nur miteinander bekannt gemacht. Weißt du, was das wird? Die reinblütige Fleischbeschauung. Ich kann es mir lebhaft vorstellen: Dieser Mann wird mich begutachten wie eine Ware, die man auf dem Wochenmarkt kauft, und wenn ich ihm gefalle, wird das Geschäft besiegelt. Ich habe keine Wahl. So und nicht anders wird es ablaufen“, berichtet Saphira mit grotesk nüchterner Sachlichkeit, was Blaise die Stirn runzeln lässt.
„Und das ... nimmst du so hin?“, fragt er verwundert und erinnert sich daran, dass ihn vor gut einer Stunde noch ähnliche Gedanken beschäftigt haben. Zu spät offenbar. Für ihn, für Saphira, für die Hoffnung auf einen akzeptablen Ausweg, mit dem man sich arrangieren könnte.
„Was soll ich denn machen?“, erwidert Saphira, von der binnen Sekunden jegliche Gelassenheit abgefallen ist. „Ich komme gegen meine Mutter nicht an und kann ihr keine Alternative bieten. Es ist schrecklich. Ich habe solche Angst, Blaise, kann an nichts anderes mehr denken.“ Verzweiflung klingt in ihrer Stimme mit und ihre Hand, in der sie den Brief hält, ballt sich zu einer Faust; ihre Fingerknöchel sind kalkweiß. „Am liebsten würde ich über Weihnachten einfach in Hogwarts bleiben, aber das ändert nichts. Ich kann nicht davonlaufen und mich den Traditionen widersetzen. So lange war ich mir sicher, dass mir etwas Derartiges niemals passieren wird, weil ich doch jemanden hatte, den ich liebte und jetzt ... jetzt ist alles aus. Das kleine bisschen Glück verloren und ... Wenn es nur der Liebeskummer wäre, dann käme ich irgendwann darüber hinweg, aber die Trennung bringt noch so viel mehr mit sich.“

„Du weißt nicht einmal, wen sie vorgesehen hat?“, fragt Blaise, da ihm nichts anderes dazu einfällt, er sich mit der Situation überfordert fühlt.
„Nein. Und das ängstigt mich am meisten“, antwortet sie, atmet tief durch und blinzelt die dummen Tränen fort, welche heiß in ihren Augen brennen.
„Zu reden ändert nichts. Dessen bin ich mir bewusst und darum habe ich es all die Jahre über vermieden. Es lässt die Tatsachen, die man so gerne verdrängen möchte, nur erschreckend real wirken und macht deutlich, wie hilflos man der Situation gegenübersteht. Es tut weh“, murmelt sie nun ruhiger und schüttelt resigniert den Kopf. „Wenn du jemandem erzählst, was dir Sorgen bereitet, musst du zulassen, dass der Schmerz sich seinen Weg nach draußen bahnt, du ihn nicht mehr bezwingen und kontrollieren kannst. Ich fürchte mich noch immer davor, weil ich so lange den vermeintlich einfachen Weg gewählt habe.“
„Warum sollte man es dann überhaupt aussprechen? Macht es die Sache nicht bedeutend schlimmer?“, wirft Blaise ein, der nachdenklich in Richtung des Schwarzen Sees blickt.
„Im ersten Moment schon“, gibt Saphira zu. „Aber ich habe in den vergangenen Monaten etwas Wichtiges gelernt, glaube ich. Wenn du alles nur mit dir selbst ausmachst, staut es sich in deinem Körper an, ist stets unterschwellig präsent. Es nimmt Besitz von dir und irgendwann kennst du kein anderes Gefühl mehr als die innere Zerrissenheit. Selbst in glücklichen Stunden spürst du sie, sie ist immer da und lässt dich nicht los. Manchmal überkommt sie dich mit so brachialer Gewalt, dass du ... dass ich Dinge getan habe, auf die ich nicht stolz bin, weil ich nicht anders damit umzugehen wusste. Dann werden Ängste und Kummer wieder leiser, du klammerst dich an die wahnwitzige Vorstellung, sie würden mit der Zeit einfach verschwinden, aber das tun sie nicht. Immer wieder kehren sie zurück und zwingen dich in die Knie. Es gibt keinen Ausweg. Mein ganzes Leben war davon bestimmt und das ist es noch. Aber wenn ich darüber rede, und sei es noch so schwer, merke ich, dass es nicht mehr allzu belastend ist. Die Dinge ändern sich nicht, doch man kann sie besser ertragen, wenn man sich jemandem anvertraut, der zuhört und zumindest versucht, zu verstehen.“

„Mh“, macht Blaise und mustert die Blonde eingehend. Ihre Veränderung ist unverkennbar. Nicht äußerlich, doch auf diese Weise hat er sie noch nie sprechen gehört. Es erklärt teilweise ihr Verhalten in den letzten Wochen, ihre gehobene Stimmung und die ungewohnte Offenheit. Was er davon halten soll, weiß er nicht so recht.
„Wirklich verinnerlicht habe ich diese Erkenntnis selbst noch nicht, aber ich denke, das ist der richtige Weg“, schließt Saphira ihre Rede und steckt die Nachricht Cecilias mit grimmiger Miene zurück in ihre Manteltasche.
„Und wenn du ihr jemand anderen vorschlagen würdest, wenn du jemanden hättest, den du stattdessen heiraten könntest ...“, beginnt Blaise vorsichtig, ist unsicher, ob er dieses Thema überhaupt anschneiden soll.
„Wen zum Beispiel?“, fragt Saphira und verzieht spöttisch die Mundwinkel. „Fiele dir ein passender Kerl ein? Mir nicht.“
Schulterzuckend verwirft er den Gedanken wieder. Es ist dumm, ihr ein solches Angebot zu unterbreiten, das sie ohnehin ausschlagen wird. Dafür ist die junge Black viel zu stolz, würde es als Geste des Mitleids auffassen und sich gekränkt fühlen. Dass er selbst einen Ausweg sucht, sein Leben lieber mit ihr als mit irgendeiner hirnlosen Tussi verbringen würde, bringt er nicht über die Lippen.

„Nicht schon wieder!“, stöhnt er genervt auf, als sie dem Wald wieder ein wenig näher kommen, und bleibt abrupt stehen. „Die Viecher scheinen es heute auf mich abgesehen zu haben“, murrt er, greift nach Saphiras Hand und zieht sie zurück. „Wenn du nicht in das widerliche Untier hineinstolpern willst, würde ich dir raten, stehen zu bleiben.“
„Wo ist es?“, will die Blonde wissen, deren Augen hastig über die Wiese huschen und an einem Punkt etwa drei Meter neben dem Thestral hängen bleiben.
„Dort“, sagt Blaise und deutet auf das pferdeähnliche Ungetüm, dessen schwarze, ledrige Haut sich straff über die knochige Gestalt spannt. Er bemerkt den prüfenden Blick seiner besten Freundin, mit dem sie ihn nun mustert, weiß genau, welche Frage ihr schon wieder auf der Seele brennt.
„Also wenn du es unbedingt wissen willst“, zischt er plötzlich mit verbissener Miene und ohne eine Erwiderung Saphiras abzuwarten, sprudeln die Worte aus ihm heraus, als hätten sie seit Jahren darauf gewartet, endlich gehört zu werden.
„Ich war dreizehn und an Weihnachten zu Hause, weil der damalige Mann meiner Mutter - Maxim hieß er - ausdrücklich gesagt hat, dass er mich gerne dabei hätte. Es sei schließlich ein Familienfest und das wären wir nun: Eine Familie. Er war der erste und einzige Gatte meiner Mutter, mit dem ich mich gut verstanden habe. Wir haben in den drei Jahren, die ihre Ehe angedauert hat, viel zusammen unternommen. Er hat sich für mich interessiert und es war irgendwie schön, eine männliche Bezugsperson zu haben. Ich mochte ihn sehr.“ Blaise hält inne, verliert sich für einen Moment in Erinnerungen an Angelausflüge und Klettertouren durch die Berge, sonnige Nachmittage an französischen Stränden in Sommerurlauben, die seine Mutter zumeist im Wellnessbereich der noblen Hotels zugebracht hat, ohne großartiges Interesse an den Unternehmungen von Maxim und Blaise zu zeigen.
„Am Weihnachtsabend haben die Hauselfen sich buchstäblich selbst übertroffen. Ich entsinne mich nicht, je zuvor ein so üppiges, absolut übertriebenes Festmahl bei uns zu Hause serviert bekommen zu haben, bei dem nur drei Leute anwesend waren. Aber vielleicht trügt die Erinnerung mich.“ In schillernden Farben sieht er jedes Detail dieses Abends vor sich, als wäre es gestern gewesen. Groteske Fröhlichkeit, bunte Dekorationen, Lametta und kitschig rote Kugeln an einer Tanne im Salon. Silberne Platten voll reichhaltiger Speisen. Alles was das Herz begehrt, kein Wunsch blieb unerfüllt, für jeden Geschmack war etwas dabei. Eine abartige Fülle von unnötigem Schnick-Schnack.
„Es war sehr lustig, aber so ungewöhnlich. Meine Mutter war seltsam ausgelassen und fröhlich. Wir wirkten wie eine normale Familie, die das Fest in gemütlicher Stimmung genießt. Nie zuvor habe ich mich zu Hause so wohl gefühlt, glaube ich“, murmelt er und lacht verbittert auf, schüttelt den Kopf und in Saphira steigt ein unbehagliches Gefühl auf, eine dunkle Vorahnung, die sie beinahe dazu veranlasst, ihn zu bitten, nicht weiterzusprechen. Doch sie bleibt stumm und schluckt nur schwer, sieht ihn gebannt an und wartet auf die erschreckende Wendung der Geschichte, die unweigerlich kommen muss.
„Als der Digestif serviert wurde ...“ Blaise hält inne, atmet tief durch und versucht das Bild seiner Mutter aus seinem Kopf zu verdrängen. Das erwartungsvoll erregte Glimmen in ihren dunklen Augen will er nicht sehen, nicht wahrhaben, einfach vergessen. Der Dämon seiner Alpträume, die Schattengestalt in seiner Seele soll gesichtslos bleiben, nicht ihr eiskaltes Lächeln tragen.

„Von einem Moment auf den anderen hat sich alles verändert.“
„Was ist passiert?“, fragt Saphira, die seiner Erzählung mit angehaltenem Atem gelauscht hat, ihn nicht unterbrechen wollte und eigentlich gar nicht so recht weiß, was sie erwidern soll, doch nun das Gefühl hat, etwas sagen zu müssen. Blaise schließt die Augen und spricht leise weiter.
„Maxim schien plötzlich keine Luft mehr zu bekommen, griff sich an den Hals und ... Sekunden später kippte er einfach um und blieb reglos liegen.“ Verbissen wendet er sich von der Blonden ab, fragt sich, ob es richtig war, diese Worte laut auszusprechen oder ob er einen schwerwiegenden Fehler begangen hat. Daran zurückzudenken schmerzt ihn. Die Erinnerung an diesen Mann - der so väterlich mit Blaise umgegangen ist wie niemand zuvor, dessen plötzlicher Verlust ihn so sehr getroffen hat, dass er nicht darüber reden konnte und wollte, nicht in der Lage war, zu verbalisieren, was in ihm vorging - zerrt an seinen Nerven. Auch jetzt noch, nach all den Jahren. Es zu verdrängen war definitiv leichter.

„Oh, Blaise“, haucht Saphira und schlingt behutsam ihre Arme um seinen Oberkörper, drückt ihn sanft an sich, aber der Freund erwidert diese Geste nicht, blickt starr ins Leere und versteift seine Haltung, während ein einziger Satz in seinem Kopf widerhallt, ihn erschaudern lässt.
Auf die Freiheit. Die besten Geschenke macht man sich schließlich selbst, lacht die Stimme seiner Mutter und er sieht förmlich, wie sie ihr Glas erhebt, ohne sich um den Toten zu ihrer Rechten zu scheren. Eine Tatsache, die er Saphira verschweigen wird. Kein Verdacht, sondern grausame Gewissheit, die niemals ans Tageslicht geraten darf. Für immer verschlossen hinter den Türen ihres Anwesens. Seine Lippen fest versiegelt. Keinen Laut, keinen Mucks wird er jemals darüber verlauten lassen, was - oder besser gesagt wer - hinter all dem steckt. Ein unleugbares Indiz, dass der Heiler, der Maxims Tod als „Herzversagen“ diagnostizierte, nun der Mann an der Seite von Xenia Zabini ist.
Zufall?
Oder der Beweis für etwas, das niemand anklagen wird, worüber man nur scherzhaft munkelt, was man nicht ernsthaft anzunehmen wagt.

„Es geht dir ziemlich nahe, oder?“, ertönt die Stimme seiner besten Freundin direkt neben seinem Ohr und lässt den jungen Magier erschrocken zusammenfahren, in die Realität zurückkehren.
„Schon in Ordnung“, nuschelt er und versucht, sich wieder zu sammeln, das Grauen in die hinterste Ecke seines Bewusstseins zu schieben und vor Saphira keine Schwäche zu zeigen.
Wie erbärmlich du bist, höhnt eine Stimme in seinem Kopf und es ärgert ihn gewaltig, dass er es überhaupt so weit hat kommen lassen.
Saphira schweigt, da ihr bewusst ist, dass alles, was sie sagen könnte, nichts als hohle Phrasen sind, die Blaise nicht im Geringsten weiterhelfen. Vorsichtig streicht sie mit einer Hand über seinen Rücken; er soll wissen, dass sie für ihn da ist, aber sich nicht dazu genötigt fühlen, weiterzusprechen, wenn ihm nicht danach ist.
Und Blaise versteht, braucht einen Moment, doch dann erwidert er ihre Umarmung. Zunächst zögerlich, dann beherzter. Ein stummes Dankeschön, das er ihr nicht zu erklären braucht, weil sie sich auch ohne große Worte einig sind, es eigentlich immer schon waren.
Wir sind Freunde, die besten Freunde.
Für immer.


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