von SaphiraMalfoy
Die kleine Welt, in der die Schüler von Hogwarts den Großteil des Jahres über verbringen, bestehend aus dem Schloss, den Ländereien und dem Dorf Hogsmeade, sieht aus, als wäre sie eingehüllt in eine dicke Schicht aus blütenweißem Puderzucker. Mehr denn je gleicht sie einer Schneekugel. Ein Eindruck, der alleine schon durch die Abgeschiedenheit dieses Ortes entsteht und sich nun in vollendeter Perfektion manifestiert hat.
Nachdem die vergangenen Tage geprägt waren von stürmisch grauen Regenwolken und eisigem Wind, der über das uralte Gemäuer hinwegfegte, umhüllt in der Nacht eine märchengleiche Stille die Landschaft. Die Temperatur hingegen ist weiter gesunken und nun rieseln unablässig dicke Flocken pulvrigen Schnees vom Himmel herab, verwandeln das triste Schiefergrau der Turmdächer in unschuldiges Weiß und bedecken die zahllosen Zinnen, Wiesen und Baumkronen. Das bilderbuchartige Ambiente nimmt dem Verbotenen Wald die düstere Ausstrahlung und selbst Hagrids schäbige Blockhütte erhält von Weitem den schmucken Anblick eines kitschig romantischen Puppenhäuschens.
Der Winter hat Einzug gehalten, löst in manchen Schülern unbändige Euphorie aufgrund der Vorfreude auf wilde Schneeballschlachten und das unmittelbar bevorstehende Weihnachtsfest aus, in anderen nur ein genervtes Aufstöhnen angesichts der Aussicht, durch diesen elenden Matsch zu den Gewächshäusern stapfen zu müssen. Schuhe und Umhänge völlig durchnässt, Erkältungen vorprogrammiert.
Der Blick aus dem Fenster am späten Samstagmorgen bringt Saphira zum Strahlen. Das Frühstück lässt sie ausfallen, um mit Augustus etwas zu Mittag zu essen (zu viel des Guten muss nicht unbedingt sein). Und während die junge Black sich ihren dicken Wintermantel über das neumodischste Kleid zieht, das sie zwischen ihren traditionellen Roben finden konnte, und sich schließlich auf den Weg in Richtung Eingangshalle macht, sitzt Draco bereits seit über einer Stunde in McGonagalls Büro, das in übertriebenem Maße mit grässlichen Dekorationen in noch grässlicherem Schottenmuster zugepflastert ist. Unter dem strengen Blick der Lehrerin erledigt er die überfälligen Hausaufgaben und fragt sich wieder und wieder, wozu das überhaupt gut sein soll.
Jeder Versuch, sich auf seinen Aufsatz zu konzentrieren, ist zwecklos, denn seine Gedanken kreisen seit Wochen unablässig um die gleichen Themen, kommen nicht zur Ruhe, rauben ihm Schlaf und Nerven. Noch immer hat sich bei dem Verschwindekabinett nicht das Geringste getan. Gnadenlos tut es so, als wäre es ein gewöhnlicher Schrank ohne besondere Fähigkeiten und lässt Draco an Montagues Geschichte zweifeln, infrage stellen, ob er das richtige Mobiliar gefunden hat; doch es gleicht dem bei Borgin und Burkes bis ins kleinste Detail. Nur winzige Hinweise darauf, dass es zumindest ansatzweise magische Kräfte besitzt, lassen ihn nicht aufgeben. Das und die todbringende Drohung Voldemorts.
Es bringt ihn nicht weiter, treibt ihn lediglich in die Verzweiflung, weshalb ein anderer Weg gefunden werden musste und sollte er Glück haben, wird sich das Problem noch am heutigen Tage von selbst erledigen. Der Plan ist gut, nahezu brillant, findet zumindest Draco. Nur die Tatsache, dass er nicht selbst in Hogsmeade sein und sich der Sache annehmen, die Kontrolle übernehmen kann, ängstigt ihn. Immerhin hat er hiermit ein unanfechtbares Alibi, ist aus dem Schneider und muss nicht fürchten, verdächtigt zu werden, sollte er scheitern. Doch das ist nur ein kleiner Trost. Wer würde schon McGonagalls Aussage bezweifeln?
Strecken Sie die Zauberstabhand waagerecht nach vorne und beschreiben anschließend einen Bogen nach rechts, ehe Sie ..., schreibt Draco stur den Text aus dem Lehrbuch der Zaubersprüche Band sechs ab, ohne auch nur ein Wort von dem zu begreifen, was er gerade notiert.
Im Grunde genommen könnte er sich diesen Schwachsinn genauso gut schenken, den Kurs hinschmeißen und McGonagall sagen, sie solle sich um ihren eigenen Kram kümmern. Sobald er erst einmal ein vollwertiges Mitglied der Todesser ist, braucht er sich um diesen Schwachsinn nicht mehr kümmern, können ihm seine Noten dort vorbeigehen, wo die Sonne niemals scheint. Aber die Banalität des Alltages, der Unterricht und selbst das Nachsitzen helfen ihm dabei, zu verdrängen, in welch misslicher Lage er sich befindet, lassen die Imagination beinahe real wirken, keines dieser grausamen Ereignisse wäre jemals geschehen. Er, Draco Malfoy, sei nichts weiter als ein Schüler in Hogwarts, der sich auf seine UTZ-Prüfungen vorbereitet, so wie es jeder andere in seinem Jahrgang tut. Für den Moment kann er vergessen, dass er ihnen allen so fern ist, als lebten sie in einer gänzlich anderen Welt. Einer Welt, in der es nichts Schlimmeres als eine Strafarbeit oder eine schlechte Note gibt. Kein Tod, kein Verderben, keine Alpträume, in denen sie vom Unnennbaren höchstselbst zu Tode gefoltert werden.
Das Einzige, was ihm zur Perfektion dieses Wunschgedankens fehlt, ist Saphira. In einer Welt, in der alles seinen geregelten Gang nimmt, geschieht, was geschehen soll, es keine blutrünstigen Todesdrohungen gegen die Familie Malfoy und alle, die ihnen nahestehen, gibt, gehört Saphira zu Draco. Sie ist diejenige, die stets an seiner Seite stehen sollte. Eine Selbstverständlichkeit, die sich nun zur unvorstellbaren Utopie entwickelt hat.
„Mr. Malfoy?“ Die spitze Stimme der Verwandlungslehrerin holt ihn zurück in die Realität, nachdem das Kratzen seiner Feder auf dem Pergament für mehr als fünf Minuten ausgesetzt hat. Der Mund nur noch ein schmaler Strich, die Augenbrauen so hochgezogen, dass sie allem Anschein nach in ihrem Haaransatz verschwinden könnten, beobachtet sie, wie der junge Malfoy mit leerem Blick aus dem Fenster starrt, längst nicht mehr an seinem Aufsatz arbeitet.
Zähneknirschend widmet der Blonde sich dem Buch und liest denselben Satz zum gefühlt hundertsten Mal, ohne auch nur eine Silbe davon zu erfassen.
Phibs, denkt er und spürt den stechenden Schmerz in seinem Herzen, ist passé.
Zeit weiterzugehen, das Vergangene hinter sich zu lassen. Die Parameter der Normalität verschieben sich, von liebgewonnenen Gewohnheiten muss man sich manchmal trennen, um erwachsen zu werden.
+
„Augustus, schön dich zu sehen.“ Lächelnd begrüßt Saphira den jungen Mann, der vor den Toren Hogwarts` auf sie gewartet hat und sich mit einer jungen Frau unterhält, die Saphira vage bekannt vorkommt. Zuordnen, wo sie die andere schon einmal gesehen hat, kann sie jedoch nicht.
„Pünktlich auf die Minute“, grinst Augustus und Saphira spürt, wie ihr Herz höher schlägt, sie aufrichtige Freude empfindet wie schon seit langem nicht mehr. Die Unbekannte, die ein paar Jahre älter aussieht als Augustus, vielleicht Anfang bis Mitte zwanzig ist, mustert das blonde Mädchen skeptisch von Kopf bis Fuß.
„Du begibst dich in die Schlangengrube, Gus“, murmelt sie und schüttelt den Kopf. Die mausgrauen Haare fallen wirr um ihr zermürbtes Gesicht und ihre geknickte Haltung wirkt neben dem stets optimistischen Augustus seltsam fehl am Platz. Insgesamt macht sie einen erbärmlicheren Eindruck als die dürre Blondine, die am heutigen Tage ausgesprochen zufrieden wirkt. Unwillkürlich fragt Saphira sich, ob die junge Frau auch eine Patientin im St. Mungo war und sie ihr dort über den Weg gelaufen ist, doch wirklich erinnern kann sie sich an eine solche Begegnung nicht. Überhaupt wundert sie sich, weshalb Augustus jemanden mitgebracht hat, da sie davon ausgegangen ist, ihn alleine anzutreffen. Was soll das werden? Die Zusammenführung der geistig Invaliden?
„Pass bloß auf, dass du nicht gebissen wirst“, sagt die andere, was Augustus nur ein Schmunzeln entlockt.
„Keine Sorge, ich kann auf mich aufpassen. Und wie wir festgestellt haben, sind auch Löwen keine Schmusekätzchen, nicht wahr?“, hält Augustus dagegen und sie zuckt gereizt mit den Schultern. Saphira versteht kein Wort ihrer Konversation, nimmt allerdings an, dass die beiden auf die Hogwarts-Häuser anspielen.
„Das eine hat nichts mit dem anderen zu tun. Sag nicht, ich hätte dich nicht vor dieser Familie gewarnt“, sagt die unscheinbare Gestalt spitz.
Genervt blickt Saphira, die zu frösteln beginnt, zwischen den beiden hin und her, fühlt sich ausgeschlossen und wird allmählich ungeduldig. Die Situation ist vergleichbar mit ihrem Treffen in den Sommerferien, bei dem Augustus und Tracey sich oftmals minutenlang über Dinge unterhalten haben, die Saphiras Horizont übersteigen, von denen sie keine Ahnung hat. Immer häufiger stellt sie fest, dass die Menschen, mit denen sie sich nicht umgeben sollte und es dennoch tut, untereinander Gespräche führen, denen Saphira nicht folgen kann. Zunehmend beschleicht sie der Verdacht, wahnsinnig ungebildet zu sein, weil sie vom Leben außerhalb der Zaubererwelt keinen blassen Schimmer hat. In ihren Augen ist dies ein fremdes Universum, zu dem sie keinen Zugang hat. Bisher verspürte sie auch niemals das Verlangen danach, es zu ergründen, doch nun erschrecken ihre Unwissenheit und die Erkenntnis eben jener sie beinahe. Es ist beängstigend, zu erkennen, dass es noch so viel mehr gibt als das, was ihr vertraut ist.
Nirgendwo gehört sie mehr richtig dazu, hat mit Draco und Pansy ihren festen Halt im Leben verloren. Die kleine Gruppe von Menschen, die genauso isoliert von der Muggelwelt aufgewachsen sind wie sie selbst. Als hätten sie in einer Schneekugel gelebt, abgeschottet von der realen Welt, und mit dem Verlust der Freundschaft zu ihnen scheint es, als würde ihr kleines, heiles Universum vollkommen durcheinander gewirbelt werden.
Wer bleibt ihr noch?
Die einzig bestehende Verbindung zu ihren Wurzeln, dem traditionellen Lebensstil ist Blaise, ihr eigentlich bester Freund, mit dem sie kaum noch sprechen kann. Irgendetwas zwischen ihnen ist zerbrochen, obgleich Saphira nicht zu definieren vermag, was es ist. So gerne sie sich ihm öffnen würde, so unmöglich erscheint es ihr.
Schwierig, unvorstellbar, utopisch.
Vielleicht steht ihr die Selbsterkenntnis im Wege, die erschreckende Wahrheit, welche die junge Hexe nie gesehen hat, nicht wahrhaben wollte: Zwischen ihr und Blaise gab es zu keinem Zeitpunkt eine ausgewogene Freundschaft, die auf gegenseitigem Vertrauen beruhte. Stets ging es nur um sie, sie, sie. Die egozentrische Zicke, der die persönlichen Belange anderer Menschen offensichtlich egal sind; die schlechte Zuhörerin, die immer nur von sich und ihren eigenen Sorgen gesprochen hat. Wann hat Blaise jemals wirklich etwas von sich preisgegeben, über ein ernstes Thema mit ihr gesprochen? Saphira erinnert sich an keine einzige Situation und wird sich urplötzlich bewusst, dass sie ihn auch niemals danach gefragt hat. In der Tat ist ihr nicht entgangen, wie sehr ihn die erneute Hochzeit seiner Mutter vor zwei Jahren genervt hat, doch war das wirklich alles? War es ihm nur lästig oder ging es ihm doch mehr an die Substanz, als er zugeben mochte? Sie weiß es nicht und es erschreckt sie nun zutiefst, wie egal ihr dies gewesen zu sein scheint.
Du bist eine schlechte Freundin. Du verdienst so gute Menschen in deinem Leben überhaupt nicht.
Lachend laufen ein paar jüngere Schüler an ihnen vorbei und ein Mädchen zeichnet mit dem Zauberstab bunte Muster in den Schnee, was Saphira missbilligend zur Kenntnis nimmt. Sind sie hier etwa im Kindergarten, oder was soll diese Verunstaltung der wunderschönen Winterlandschaft bezwecken?
Gedankenverloren wendet sie sich von ihnen ab und blickt zu Augustus, der noch immer mit der Fremden redet, und betrachtet ihn eingehend. Sein offenes Lachen, die neckische und zugleich liebevolle Art nehmen sie gefangen und erwecken in ihr den Wunsch, diesen Kerl unter völlig anderen Umständen kennengelernt zu haben. Wäre sie selbst nur kein körperliches und seelisches Wrack und er kein Schlammblut, sähe die Welt anders aus.
Hin- und hergerissen zwischen der Angst, falsch zu handeln, indem sie diesen Menschen in ihr Leben hinein lässt, und der unbändigen Neugier, welche das Unbekannte in ihr auslöst, fühlt sie sich immer stärker zu Augustus hingezogen. Das Verbotene ist so aufregend und neu, eine spannende Abwechslung verglichen mit ihrem grauen Alltag, den immer selben Regeln und Abläufen, der Vorbestimmung und des Gehorchens. Ein Geschmack von Freiheit, Unabhängigkeit.
„Saphira Black, also? Darf ich das so deuten, dass ein weiteres Mitglied dieser kaputten Familie es in Betracht zieht, auf die richtige Seite zu wechseln, oder bist du nichts als eine feige Verräterin, die nur einmal den Feind von Nahem sehen will?“, wendet die andere Frau sich plötzlich direkt an Saphira, die überrascht die Stirn runzelt, da sie fast nicht damit gerechnet hat, in ihre Unterhaltung überhaupt miteinbezogen zu werden und nicht weiß, wie sie auf diese direkte Anfeindung reagieren soll.
„Was geht es dich an, wer ich bin, woher ich stamme und was meine Intentionen sind?“, gibt Saphira abwehrend zurück und ihre Haltung versteift sich. Über dieses Thema zu sprechen ist ihr unangenehm und lässt die Zweifel an der Richtigkeit ihres Handelns lauter werden. Je mehr Leute bemerken, mit welchem Abschaum ... mit ... mit welchen Menschen sie ihre Zeit verbringt, desto größer wird das Risiko, dass auch ihrer Mutter dies nicht länger verborgen bleibt und dann ... Was dann? Ist es möglich, ihre Treffen mit Augustus als therapeutische Maßnahme zu tarnen? Unwahrscheinlich, denn das St. Mungo würde diese Lüge mit Sicherheit nicht decken.
„Typisch, genau so habe ich mir dich vorgestellt. Oh, was hat die liebe Narzissa in ihren Briefen an meine Mutter von ihrer perfekten, kleinen Nichte geschwärmt. Natürlich will sie in Kontakt bleiben, alles Wichtige erfahren, was bei uns passiert, und uns so gerne mitteilen, wie ihr eigenes Leben verläuft ... Aber den Anstand, uns persönlich gegenüberzutreten, hat sie nicht“, lacht die andere bitter auf und rümpft abfällig die Nase.
„Bitte?“ Hochgradig verwirrt starrt Saphira sie an und fragt sich, was die Unbekannte mit ihrer Tante zu tun hat, was das alles bedeuten soll.
„Du hast keine Ahnung, wer ich bin, oder?“, sagt die Frau plötzlich langsam und sieht auf die Kleinere herab, als sei sie ein dummes Kind, das nichts von der Welt versteht.
„Nein“, gibt Saphira nach kurzem Zögen zu und schnaubt genervt auf. „Sollte ich?“
„Keinesfalls, meine Liebe. Dir ist wohl nicht bewusst, dass es einen wundervollen, antiken Wandteppich mit unserem Stammbaum darauf gibt. Du solltest ihn dir bei Gelegenheit einmal ansehen. Oh, warte ... Das würde nichts ändern. Schließlich ist meine Mutter eine dreckige Blutsverräterin und deshalb davon entfernt worden.“
Es dauert einen Moment, bis die Galleone bei Saphira fällt und ihr nicht nur ein Licht, sondern ein ganzer Weihnachtsbaum aufgeht.
„Nymphadora!“, platzt es aus ihr heraus und plötzlich ergeben zumindest die letzten Sätze der anderen einen Sinn. Auch weiß sie nun wieder, woher ihr das Gesicht der jungen Frau so bekannt vorkommt:
Ein paar Jahre zuvor hatte Cecilia zu Beginn der Sommerferien mit einem geringschätzigen Blick die Titelseite des Tagespropheten betrachtet und verächtlich den Kopf geschüttelt.
Stolz präsentiert das Ministerium die sieben diesjährigen Absolventen der Auroren-Ausbildung, hieß es in dick gedruckten Lettern unter denen sich Fotos und kurze Lebensläufe der neuen Beschützer der magischen Gemeinschaft befanden.
„Dieser Schandfleck der Familie, Nymphadora Tonks. Untragbar ... Wäre Bellatrix nicht in Askaban ...“, hatte Cecilia angewidert ausgestoßen und leise hinzugefügt: „Und wie man aus dem Streit der Malfoys vergangene Woche entnehmen durfte, schreibt Narzissa ihrer Missgeburt von Schwester immer noch Briefe, dieses sentimentale Hausmütterchen ... Tut immer so, als wäre sie die personifizierte Perfektion, aber in Wahrheit verbrüdert sie sich mit dem Abschaum. Man sollte außerdem meinen, die beiden besäßen mehr Anstand und würden sich in Gesellschaft anderer Menschen zurückhalten, anstatt ihre Konflikte auszutragen, während Besuch im Haus ist.“
Neugierig hatte Saphira das Bild ihrer Großcousine gemustert und sie insgeheim um ihr offenes, freudestrahlendes Lächeln beneidet. Im Augenblick ist davon nichts mehr zu erkennen, viel eher wirkt sie verhärmt und niedergeschlagen. Was auch immer ihr widerfahren sein mag, Nymphadora ist nicht mehr die Alte. Aber was weiß Saphira schon? Einem einzigen Foto kann man schließlich nicht viel entnehmen.
„Tonks“, korrigiert die junge Frau sie schnippisch. „Aber du hast es erfasst. Ich würde dich in der Familie willkommen heißen, aber ... das erledigt sich von selbst, nicht wahr?“
„Ich weiß gar nicht, was ich sagen soll“, murmelt Saphira, die mit sich hadert, ob sie sich über diese Begegnung freuen oder eher angewidert von dem Produkt einer blutsverräterischen Mesalliance das Weite suchen soll. Hilfesuchend sieht sie zu Augustus auf, der jedoch schweigt.
„Wo hast du deinen Freund gelassen? Narzissa war doch ganz begeistert davon, dass ihr Liebling ein so hinreißendes Mädchen gefunden hat, mit dem er die inzestuöse Reinblutdynastie der Malfoys und Blacks fortsetzen kann“, stichelt Tonks, die angesichts ihrer eigenen, misslichen Lage auf jegliche Höflichkeiten verzichtet.
Lass gut sein, Dora, sagte Remus am gestrigen Abend entschuldigend, während er sich seinen Mantel überzog und fast schon fluchtartig den Pub verließ, in welchem sie sich getroffen hatten. Das mit uns ist falsch. Such dir einen Mann in deinem Alter, jemanden, der nicht ... der dich verdient hat. Ich bin nicht der Richtige. Wir sollten uns nicht mehr sehen. Nicht öfter, als es für den Orden notwendig ist.
„Seit wann bist du so gehässig? Sei nicht so fies zu ihr, Saphira ist in Ordnung“, wirft Augustus beschwichtigend ein und Saphira, der die Situation zunehmend unangenehm wird, strafft die Schultern und atmet tief durch, um nicht die Nerven zu verlieren. Der Tag hätte so schön werden können ...
„Ach, ist sie das?“, fragt Tonks ungläubig und mustert ihre Großcousine von Kopf bis Fuß. „Gibt es also doch einen einigermaßen normalen Spross im Hause Black, oder bist du nur eine rückgratlose Heuchlerin wie Narzissa, die uns vorgaukelt, ihr wäre das Gerede vom reinen Blut nicht wichtig, aber in der Öffentlichkeit so tut, als würden wir nicht existieren. Spielst du nur mit Augustus; ist er ein netter Zeitvertreib, zu dem du dich niemals bekennen wirst, weil du letzten Endes ohnehin tust, was dir vorbestimmt ist und einen Reinblüter heiratest? Sei es nun Malfoy oder ein anderer, das spielt keine Rolle, oder? Hauptsache der Stammbaum bleibt unbefleckt. Ein in sich geschlossener Kreis aus Inzest-Ehen ...“
„Es reicht“, sagt Augustus scharf und legt Saphira behutsam eine Hand auf die Schulter, bedeutet ihr, darauf nicht antworten zu müssen. „Wir sind nur befreundet. Du musst deinen Frust nicht an Menschen auslassen, die nichts dafür können. In diesem Punkt steht ihr beide euch übrigens in nichts nach. Die Verwandtschaft ist unverkennbar“, scherzt er, doch keine der Frauen verzieht auch nur eine Miene.
„Was spielt es für eine Rolle, ob ihr nur Freunde seid? Wahre Freunde stehen zueinander und verabreden sich nicht heimlich. Woher kennt ihr euch überhaupt?“, will Tonks wissen, was Saphira zunehmend verunsichert. Nicht auch noch das ... Es geht die andere nicht das Geringste an.
Verdammt, ich will hier weg.
„Krankenhaus“, antwortet der Dunkelhaarige knapp und überlegt, wie er das Gespräch schnellstmöglich beenden kann, ohne die ältere Freundin, die er zufällig hier getroffen hat, vor den Kopf zu stoßen.
„Oh“, macht diese und schweigt einen Moment, betrachtet das blonde Mädchen noch einmal kurz und nickt. „Kein Wunder, diese Familie macht einen wirklich krank.“ Plötzlich fällt die angriffslustige Haltung von ihr ab und es tut ihr fast schon leid, was sie gesagt hat, obwohl ihre Meinung bestehen bleibt, sie das Verhalten ihrer Cousine nicht gutheißt und nicht nachvollziehen kann, weshalb Augustus sich mit ihr abgibt.
„Du bist zu naiv für diese Welt“, seufzt sie an ihn gewandt und hofft inständig, dass er tatsächlich keine tiefergehenden Gefühle für dieses Mädchen hegt, denn einen solchen Kummer, wie sie ihn selbst derzeit durchlebt, wünscht sie niemandem.
„Das mag sein“, erwidert der angehende Heiler schulterzuckend. „Wir sollten gehen, sonst ist der Tag vorbei, ehe wir in Hogsmeade waren.“
Unsicher nickt Saphira und sieht zu der anderen Frau auf, fragt sich, ob sie auch mitkommen wird, wie dieser Tag nur enden soll, wenn sie sich in einem fort anfeinden.
„Lasst euch nicht aufhalten, ich tue hier nur meine Pflicht als Auror.“ Tonks blickt betreten zu Boden. Es war nicht nett, wie sie sich verhalten hat, das sieht sie ein.
„Kleines“, sagt sie und Saphira, der die Erleichterung sichtlich anzumerken ist, dreht sich überrascht zu ihr um. „Lass dich von meiner Laune nicht abschrecken. Der heutige Tag ist ungefähr so glänzend wie mein erster Eindruck auf dich. Tu das Richtige. Es wäre mir wirklich eine Ehre, sagen zu dürfen, dass es noch jemanden in dieser verkorksten Familie gibt, der weiß, worauf es im Leben ankommt. Und das ist weder das reine Blut noch das Gold in Gringotts.“
Langsam nickt die Blonde, antwortet allerdings nicht direkt darauf, sondern verabschiedet sich lediglich höflich, wie es der Anstand gebietet. „Es war nett, dich kennengelernt zu haben“, sagt sie und ist mehr als froh darüber, endlich von hier fortzukommen, mit Augustus alleine sein zu können.
„Ach, lüg doch nicht“, entgegnet Tonks und bringt fast ein amüsiertes Grinsen zustande. „Du findest mich furchtbar, aber damit komme ich zurecht, solange du ihm“, sie deutet auf Augustus, „nicht wehtust. In diesem Fall werde ich ungemütlich.“
„Wir sehen uns“, lacht der junge Mann und schüttelt den Kopf, während er und Saphira sich auf den Weg ins Dorf machen.
„Sie hat recht, oder?“, beginnt Saphira, nachdem sie eine Weile nebeneinander hergelaufen sind, ohne ein Wort zu sagen, jeder in seine eigenen Gedanken vertieft.
„Ich bin eine Heuchlerin. Ich sollte mich entscheiden, ob ich zu meiner Familie stehe und deren Gesinnung vertrete oder ob ich mich mit dir und ... nun ja, eben mit dir abgebe. Das Thema Tracey hat sich schließlich erledigt. Beides zusammen geht nicht. Aber ich will weder das eine noch das andere. Ich kann das nicht.“
Augustus läuft schweigend weiter, scheint keine Stellung beziehen zu wollen. Schließlich bleibt Saphira stehen und sieht ihn eindringlich an.
„Bitte sag mir, was du denkst“, verlangt sie und versucht, die Angst vor seiner Antwort zu bändigen, jenes grausame Empfinden zu unterdrücken, das die Furcht vor dem erneuten Verlust eines liebgewonnenen Menschen in ihr auslöst. Sie muss es wissen, will nicht länger nur auf ihre eigenen Gefühle fixiert sein, um schlussendlich erneut verlassen zu werden, ohne zuvor geahnt zu haben, was sie den Menschen in ihrer Umgebung mit ihrem Verhalten angetan hat, dass sie selbst es ist, die sie vergrault, von sich stößt.
Sie lassen mich im Stich, hat sie bislang stets geglaubt und war blind, zu erkennen, wie sehr ihre Freunde um sie gekämpft haben, bis sie Gefahr liefen, selbst daran zugrunde zu gehen, Abstand von Saphira brauchten, weil ihre Nähe unerträglich ist, größeren Schaden hinterlässt als Freude bringt.
Seufzend mustert Augustus die Kleinere und wirkt ungewohnt ernst.
„Grundsätzlich bin ich natürlich der Meinung, dass an Tonks` Aussage viel Wahres dran ist“, sagt er und scheint somit Saphiras schlimmste Befürchtungen zu bestätigen. „Andererseits bezweifle ich, dass es zum jetzigen Zeitpunkt klug wäre, dich einer solchen Entscheidung zu unterziehen. Dafür bist du psychisch zu instabil, obgleich ich auch nicht glaube, dass du auf Dauer mit diesem Zustand glücklich werden wirst. Ehrlich gesagt bin ich etwas überfragt, was dieses Thema angeht. Ich will mich nicht einmischen, außerdem halte ich es für enorm wichtig, dass du es irgendwann einmal schaffst, offen mit deiner Mutter über deine Gefühle zu sprechen. Ich weiß, das bringt dich alles nicht weiter und es ist verdammt hart, aber ich habe keine Patentlösung für dich. Du musst dir selbst darüber klar werden, was du willst und womit du leben kannst.“
„Mh“, macht die Blonde und denkt über das Gesagte nach. Helfen tut es ihr in der Tat nicht und eine aussagekräftige Antwort auf ihre Frage ist er ihr ebenfalls schuldig geblieben.
„Aber es stört dich, dass ich ... nun ja, dass ... ich nicht dazu stehe, mit dir befreundet zu sein.“
„Saphira, ich mache dir keinen Vorwurf. Zwar kann ich es nicht so recht nachvollziehen, da ich mir nicht vorstellen kann, wie es ist, in dieser Gesellschaft aufgewachsen zu sein, aber genau deswegen ist mir das auch alles nicht so wichtig. Sogar während meiner Schulzeit ging dieses Thema ziemlich an mir vorbei, da ich mit den sogenannten Reinblütern wenig bis gar nichts zu tun hatte. Jedenfalls nicht mit solchen, die Wert darauf legen“, erklärt Augustus und Saphira zuckt unwillkürlich zusammen, als just in diesem Moment eine blonde Frau, die in einen edlen, schwarzen Reiseumhang gehüllt ist, um die nächste Straßenecke biegt und direkt auf sie zuschreitet. Doch bei genauerem Hinsehen erkennt die junge Black, dass es sich um niemanden handelt, den sie kennt. Die Furcht ist dennoch allgegenwärtig. Und das nur, weil sie sich mit dem einzigen Menschen trifft, der zumindest versucht, sie zu verstehen. Jemand, der einfach viel zu gut ist für diese Welt, besonders für Saphira.
Es ist absurd. Im Grunde genommen gibt es keinen rationalen Grund, einen Unterschied zu machen zwischen Reinblütern, Halbblütern und Muggelstämmigen, aber diese Ansicht ist so tief in Saphiras Denken verankert, dass sie es nicht schafft, davon loszukommen. Die Argumente sprechen dagegen, lassen sie zweifeln, doch ändern sie die ihr eingetrichterte Überzeugung nicht gänzlich. Was man ihr beigebracht hat, woran all die Menschen glauben, mit denen sie aufgewachsen ist, kann einfach nicht dermaßen verkehrt sein. Es muss eine vernünftige Grundlage für diese Denkweise geben, oder etwa nicht?
Verwirrt verdrängt sie dieses Thema und geht an Augustus` Seite weiter in Richtung des Dorfes, das nun in Sichtweite ist.
„Woher kennst du Nymphadora eigentlich?“, will sie wissen. Diese Begegnung hat sie durcheinander gebracht und schürt eine neue Angst in ihr: Was, wenn ihre Großcousine ihrer Mutter berichtet, dass Saphira sich mit einem Schlammblut trifft und Andromeda diese Information an Narzissa weitergibt, die es wiederum Cecilia erzählen könnte ...
„Das ist eine gute Frage ...“, sagt er nachdenklich. „Sie war Teil meines Freundeskreises in Hogwarts. Ich glaube, es waren mehr oder minder die Weasleys, die uns miteinander bekannt gemacht haben. Charlie Weasley war in meinem Jahrgang und sein älterer Bruder Bill in Tonks` Stufe. Außerdem waren Tonks und ich im selben Haus.“
„Weasley“, schnaubt die Blonde abfällig und rümpft die Nase.
„Immerhin sind sie reinblütig, nicht wahr?“, wirft er ein, was Saphira ein angewidertes „Dreckige Blutsverräter“ entlockt. Sofort bereut sie es, ihr Mundwerk in dieser Hinsicht nicht zügeln zu können. Die Gewohnheit lässt sich nur schwer abstellen.
„Müsstest du dich im Grunde genommen nicht selbst dazu zählen?“, fragt er schmunzelnd und die junge Black zuckt gereizt mit den Schultern, ohne darauf zu antworten. Natürlich hat er recht und das ungute Gefühl, das sie aufgrund dessen beschleicht, verursacht ihr leichte Magenschmerzen. Wer ist sie noch, wenn sie weder zu der einen noch zu der anderen Seite steht? Warum muss alles so furchtbar kompliziert sein?
„Hättest du gar kein Interesse daran, sie näher kennenzulernen? Tonks, meine ich. Zwar ist sie im Augenblick ähnlich mies drauf wie du, aber normalerweise eine wirklich angenehme Gesellschaft. Ich kannte früher keinen Menschen, der so witzig war wie sie. Um ehrlich zu sein hätte ich sie eben kaum wiedererkannt, als mir dieses Häufchen Elend über den Weg gelaufen ist. Diese gemeinen Kerle immer ... Gut, dass ich keiner bin“, lacht er, aber Saphira murmelt nur sehr ernst: „Meine Mutter würde durchdrehen und Andromeda hat es sich selbst zuzuschreiben, dass sie nicht mehr zur Familie gehört. Ihr Bastard war nie ein Teil davon.“
„Harte Worte“, seufzt Augustus und schweigt einen Moment.
Gemeinsam durchschreiten sie das schmiedeeiserne Tor, welches in die belebten Gassen des Dorfes führt. Unzählige Schüler, Lehrer und andere Hexen und Zauberer treiben sich hier herum, erledigen die Weihnachtseinkäufe oder treffen sich mit Bekannten zu einem Schaufensterbummel. Mit einer raschen Bewegung zieht Saphira sich die Kapuze ihres schwarzen Mantels über den Kopf, als wolle sie sich vor den herabrieselnden Schneeflocken schützen, doch in Wahrheit fürchtet sie nur, von jemandem erkannt und auf ihre unpassende Begleitung angesprochen zu werden. Als hätte Augustus Schlammblut in leuchtenden Buchstaben auf der Stirn stehen ...
„Dementorenstil?“, scherzt er, ahnt jedoch, was die Jüngere damit bezwecken will. Es nervt ihn durchaus ein wenig und er versteht Traceys Wut und Enttäuschung über das Verhalten der ehemaligen Freundin immer besser, aber er weiß auch in etwa, wie schwierig die Situation für Saphira selbst ist und spricht sie deswegen nicht darauf an.
„Mal ganz unabhängig davon, was deine engeren Verwandten dir vorschreiben: Was würdest du dir wünschen? Wenn du die Wahl hättest und niemand dich in irgendeiner Weise beeinflussen könnte, was würdest du tun?“ Durch Augustus` Worte fühlt sich die junge Hexe unwillkürlich an Draco erinnert, der sie in der Vergangenheit mit ähnlichen Sätzen aus der Reserve gelockt hat. Obgleich es selbstverständlich um gänzlich andere Themen ging. Auch er hat nicht locker gelassen, ihr bewusst gemacht, wonach sie sich sehnt, sie dazu gebracht, dies zuzulassen, sich auf ihn einzulassen. Ein schrecklicher Fehler. Es war dumm von ihr, sich ihren Emotionen hinzugeben, gegen alle Regeln zu verstoßen, die Ängste zu überwinden, denn damit hat sie nur eines erreicht: Ihr Leben vor die Wand zu setzen. Der traurige Schluss, den sie daraus zieht, ist, sich zukünftig nicht mehr von törichten Wunschgedanken lenken zu lassen, sondern auf ihren Verstand zu hören, anstatt auf ihr Herz. Aber wie soll sie jetzt, da in ihrem Kopf nur mehr Verwirrung herrscht, noch eine sinnvolle Entscheidung treffen? Es erscheint ihr schier unmöglich.
„Frag mich etwas Leichteres. Ich bin mir im Moment nichts mehr sicher. Es ist alles so durcheinander. Ich weiß nicht, wo ich anfangen soll und wie es weitergeht“, erwidert sie, bleibt stehen und deutet auf ein Restaurant, das sich in einer Seitenstraße befindet. Es macht einen gehobenen Eindruck mit seiner edlen Einrichtung, den weißen Tischdecken und dem in vornehme Anzüge gekleideten Personal, aber Saphira weiß, dass ein neureiches Halbblut der Ladenbesitzer ist, weshalb niemand aus ihren Kreisen sich dorthin verirren würde.
„Gehen wir etwas essen?“, fragt sie und Augustus nickt überrascht.
„Gerne. Ist zwar noch ein wenig früh für meinen Geschmack, aber es passt ganz gut in den heutigen Zeitplan“, stellt er nach einem Blick auf seine Armbanduhr fest, geht auf das Lokal zu und hält Saphira die Türe auf.
„Was für ein Zeitplan? Hast du noch etwas vor?“, will Saphira wissen, doch Augustus lächelt nur undefinierbar, schüttelt den Kopf und verweigert jede weitere Auskunft über die Bedeutung dieser Anspielung.
An der Garderobe legen sie ihre vom Schnee durchnässten Mäntel ab und Augustus zieht aus der Innentasche seiner Jacke ein schmales, in Geschenkpapier eingewickeltes Päckchen, das er Saphira überreicht.
„Ehe ich es vergesse“, sagt er und grinst sie schief an. „Alles Gute nachträglich zum Geburtstag. Sechzehn, mh?“
„Danke“, murmelt die Blonde überrascht und wird sich verlegen darüber bewusst, dass sie keinen blassen Schimmer hat, wann sein Geburtstag ist. „Das wäre wirklich nicht nötig gewesen.“
„Ist nur eine Kleinigkeit. Pack schon aus“, fordert er sie auf und Saphira tut, wie ihr geheißen, nachdem sie stirnrunzelnd den Aufkleber einer Londoner Muggelbücherei gemustert hat, mit dem die kleine Schleife auf dem Paket angebracht ist.
„Ich habe es im Laden einpacken lassen, ansonsten hätte es relativ unordentlich ausgesehen, schätze ich“, lacht er, während sie den Titel des Buches liest (I never promised you a rose garden) und es anschließend umdreht, um sich die Inhaltsangabe anzusehen.
„So ...“, macht sie, da sie nicht weiß, was sie anderes sagen soll. „Soweit ich weiß, habe ich nie einen Selbstmordversuch begangen und-“, beginnt sie langsam, doch Augustus fällt ihr ins Wort:
„Und für schizophren halte ich dich auch nicht“, sagt er schnell und legt ihr beschwichtigend eine Hand auf die Schulter. „Du sollst das auch nicht hundertprozentig auf dich selbst beziehen. Lies es einfach und ... entscheide selbst. Aber du hast mich im Krankenhaus gefragt, ob ich außer meinen Lehrbüchern noch etwas anderes lese und hiermit kann ich das bejahen.“
„Das zählt nicht wirklich“, wirft Saphira ein und bringt ein neckisches Grinsen zustande. „Deine Interessen sind auch sehr einseitig, was?“
„Das stimmt nicht“, widerspricht der Dunkelhaarige mit gespielter Empörung. „Du kennst mich nur nicht gut genug.“
„Ich weiß“, gibt sie betreten zu und lächelt ihn entschuldigend an. „Danke, dass du an mich gedacht hast. Das ist lieb von dir.“
Sie setzen sich an einen Tisch in der hintersten Ecke des Raumes - was Augustus allmählich wirklich lächerlich vorkommt - und bestellen, wobei der junge Heiler skeptisch die Speisekarte überfliegt und sich fragt, ob es auch irgendetwas Normales gibt.
„Du isst also nun freiwillig“, meint er schließlich, als die Vorspeise serviert wird und Saphira sehr langsam zu essen beginnt, aber anscheinend nicht trickst, sondern wirklich zu sich nimmt, was sich auf ihrem Teller befindet.
„Ich versuche es“, antwortet sie und fügt mit einem milden Lächeln hinzu: „Macht mehr Spass, als es sich eintrichtern zu lassen.“
„Das glaube ich gerne“, entgegnet der junge Mann. „Woher der Sinneswandel, wenn man fragen darf?“
„Ich habe keine Lust mehr darauf, mich kaputt zu machen. Das tun andere Menschen zur Genüge“, sagt sie leise, tut sich jedoch schwer damit, weil sie nicht weiß, inwiefern dies wirklich zutrifft.
„So einfach?“, hakt er skeptisch nach und Saphira zuckt hilflos die Schultern.
„Ich weiß es nicht, kann es nicht erklären, aber ich denke, ich werde deinen Ratschlag annehmen.“
„Was meinst du?“, fragt er, lehnt sich in dem gepolsterten Lehnstuhl zurück und betrachtet das blonde Mädchen eingehend. Momentan fällt es ihm enorm schwer, sie einzuschätzen. Was nicht zuletzt daran liegt, dass die Grenzen zwischen ihnen zunehmend verwischen, er sie nicht mehr als Patientin, sondern nur noch als Freundin sehen kann und seine Zuneigung ihm einen Strich durch die Rechnung macht, es ihm erschwert, ihre Intentionen zu durchschauen.
„Die Therapie ... Ich will es versuchen, aber nur ambulant. Ich gehe nicht zurück ins Krankenhaus“, erklärt sie und Augustus nickt langsam, ist froh darüber, dass sie zumindest kleine Schritte in die richtige Richtung zu gehen scheint.
„Finde ich gut“, sagt er, lächelt und greift nach ihrer rechten Hand, die neben dem Teller auf dem Tisch ruht. Ihre Finger sind trotz der angenehmen Wärme im Raum eiskalt. Erschrocken angesichts der plötzlichen Berührung zuckt Saphira zusammen. Sofort zieht Augustus seinen Arm wieder weg und widmet sich dem Essen. Bedauernd verharrt die Hand der Blonden einige Sekunden lang in der Luft zwischen ihnen, als würde sie darauf warten, dass er es sich noch einmal anders überlegt, doch nichts geschieht.
Verwirrt richtet sie sich auf und mustert den jungen Mann, der ihren Blick aus dunkelblauen Augen erwidert. Unergründlich und undefinierbar. Normalerweise ist er leichter zu durchschauen, aber momentan weiß Saphira selbst nicht, was diese Situation zu bedeuten hat, weshalb sie plötzlich nervös wird und sich nach körperlichem Kontakt zu diesem Menschen sehnt, den sie überhaupt nicht treffen dürfte ...
Wenn Du Lob, Anmerkungen, Kritik etc. über dieses Kapitel loswerden möchtest, kannst Du einen Kommentar verfassen.
Zurück zur Übersicht - Weiter zum nächsten Kapitel