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Harry Potter und Ich

4. Mittellos und alleinerziehend

Edinburgh Die Silhouette des Castles in Edinburgh

Während J. K. Rowling die Welt von Harry Potter zusammenfügte, zerbrach ihre eigene.
1993 kam sie in Edinburgh an, nachdem sie kurze Zeit in Portugal Englisch unterrichtet hatte. Dort hatte sie geheiratet, ein Baby bekommen und dann ihren Mann verlassen. Sie hatte weder Job noch Geld, aber eine kleine Tochter, die sie großziehen musste.

Joanne K. Rowling: "Aus dieser Zeit stammt das Etikett der mittellosen, alleinerziehenden Mutter, was auch stimmt. Aber das reichte natürlich nicht aus. Die mittellose, alleinerziehende Mutter musste auch noch auf Servietten schreiben, weil sie sich kein Papier leisten konnte. Und da wird es allmählich lächerlich. Das ist natürlich völlig übertrieben und einfach nicht wahr. Hier und da wurde der Geschichte etwas hinzugefügt, was überhaupt nicht nötig gewesen wäre, denn die nackte Realität war schon schlimm genug."

[Joanne K. Rowling besucht eine alte Wohnung von ihr in Edinburgh wieder.]

"Hier bin ich nicht mehr gewesen seit ich 1994 ausgezogen bin. Und ich komme nicht gerne hierher zurück. Das Haus kann ja nichts dafür, aber seitdem ich hier ausgezogen bin, habe ich lieber einen großen Bogen darum gemacht, weil ich hier sechs ziemlich traurige Monate verbracht habe. Ich habe in der Zeit viel geschrieben. Ich würde sagen, dass das erste Buch genau hier richtig Gestalt angenommen hat. Sollen wir reingehen? Also gut."

Joanne vor dem Haus mit ihrer alten Wohnung in Edinburgh Joanne K. Rowling betritt das Haus Joanne nach vielen Jahren zum ersten Mal wieder in ihrer alten Wohnung

"Ich hatte damals nicht gerade das Gefühl, etwas im Leben erreicht zu haben. Ich war 28 und lebte von der Sozialhilfe, ungefähr 70 Pfund pro Woche. Ich war arbeitslos und war in eine Situation geraten, in der ich nicht in der Lage war meinen Lebensunterhalt zu bestreiten. Wenn man auf die staatliche Kinderbetreuung angewiesen ist, kann man froh sein, wenn man es schafft wenigstens halbtags arbeiten zu können. Das hat mir alles ganz schön zugesetzt."

[Joanne betritt die Wohnung und staunt nicht schlecht.]

"Mein Gott, das sieht ja alles ganz anders aus. Man, ganz anders als früher. Richtig nett! Das freut mich. Wenn man einen Ort verlassen hat, meint man die Zeit würde dort stehen bleiben. Ich müsste es eigentlich besser wissen, aber immer wenn ich hier in der Gegend war oder mit dem Bus oder Taxi hier vorbeifuhr, stellte ich mir alles ganz genau so vor wie es früher war. Eigentlich eine schöne Wohnung. Alle schlechten Gefühle sind jetzt wie weggefegt.
Joanne K. Rowling ist überraschtEs war einfach alles sehr sehr schäbig und dreckig. Das lag nicht an der Wohnung, sondern an mir. Oft werde ich nämlich gefragt, wie ich es geschafft habe ein Baby großzuziehen und gleichzeitig ein Buch zu schreiben. Die Antwort lautet, ich habe vier Jahre lang keine Hausarbeit gemacht und ich bin keine Superfrau und ich habe im Dreck gelebt, so war's.
Aus den Erinnerungen an diese Zeit sind definitiv die Dementoren entstanden. Sie sind eine Art personifizierter Depression, damals war ich ziemlich niedergeschlagen. Ich meine sie sind das Beängstigendste, was ich je geschrieben habe. Depressionen sind etwas sehr Beängstigendes, aber ein extrem depressiver Mensch war ich nie, sonst hätte ich niemals soviel schreiben können. So schlimm kann es also bei mir nie gewesen sein. Manchmal konnte ich nicht die Kraft zum Schreiben aufbringen. Dann ging es mir gar nicht gut, denn normalerweise arbeite ich immer und überall.
Tagsüber schrieb ich bekanntermaßen in Cafés. Aber dürfte ich hier ein für alle mal richtig stellen, dass ich nicht in Cafés gegangen bin, um nicht in meiner unbeheizten Wohnung sitzen zu müssen. Ich bin nicht so blöd mitten im Winter in Edinburgh eine unbeheizte Wohnung zu mieten. Die Wohnung war beheizt. Ich ging mit Jessica im Kinderwagen spazieren, weil sie so am besten einschlief. Sobald sie eingeschlafen war, ging ich ins nächste Café, um zu schreiben.
"

[Joanne K. Rowling zeigt ihr Lieblingscafé, das Nicolson's.]

Edinburgh, Nicolson Street Das Nicolson's Restaurant J. K. Rowlings Lieblingsplatz im Nicolson's

"So, das ist Nicolson's, wo ich große Teile des Buchs geschrieben habe. Es war wirklich ein großartiger Ort zum Arbeiten, weil es hier so viele Tische gibt, dass ich kein schlechtes Gewissen haben musste, einen Platz zu lange zu besetzen. Und das hier war mein Lieblingstisch. Ich habe immer versucht diesen Platz in der Ecke zu bekommen.
Es war einfach schön vom Blatt hochzublicken, um nachzudenken und dabei auf die belebte Straße zu schauen. Hier ist man recht tolerant mit mir umgegangen, auch weil einer der Inhaber mein Schwager ist (
Anmerkung d. Redaktion: Mittlerweile ist das Nicolson's ein China-Restaurant, das im August 2004 noch einmal renoviert wurde; ihr Schwager ist kein Inhaber mehr). Ich habe immer gesagt, wenn es veröffentlicht wird, werde ich eine Riesen-Werbung für euch machen. Das war natürlich ein Scherz. Niemand hat nur eine Sekunde daran geglaubt, dass es einmal so kommen würde.
Ich habe die Willenskraft zum Weitermachen aufgebracht, ohne die Gewissheit zu haben, dass das Buch jemals veröffentlicht werden würde. Ich muss also wirklich an die Geschichte geglaubt haben. Aber es war mehr das Gefühl mit diesem Buch unbedingt alles richtig machen zu müssen, mein Bestes zu geben. Aber die Tatsache, dass mir das Buch so gut gefiel, war keine Garantie dafür, dass auch andere es mögen würden.
"

Joanne K. Rowling betritt das Nicolson's Joanne K. Rowling schreibt an einem Tisch im Nicolson's Joanne K. Rowling schreibt in ihren Block



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© Westdeutscher Rundfunk 2002

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Zitat
Ich habe diese Bücher für mich selbst geschrieben. Was passiert ist, ist ein Schock für mich. Ich dachte mir, dass die Bücher vielleicht drei Menschen gefallen werden, neben mir meiner Schwester und, vielleicht, meiner Tochter.
Joanne K. Rowling