Pairing: Theodore Nott/Dean Thomas gewünscht von Kijadra
11. Von Löwen und Schlangen
Er hatte keine Angst mehr, schon lange nicht. Angst, erwischt zu werden, Angst, dass er nicht auftauchen würde, Angst, dass sein Vater davon erfahren könnte. Oder zumindest versuchte er, sich das einzureden.
Der kleine Knoten in seine Magen, die Art, wie er sich am Zusammenzucken hindern musste bei jedem unerwarteten Geräusch, das war keine Angst – das war nur wohlbedachte Vorsicht im Angesicht von gravierenden Risiken. Und der Verlust von Hauspunkten für Slytherin war nur das geringste davon. Wobei... wenn er es richtig einrichtete... Nein. Er schob den Gedanken zur Seite, bevor er noch richtig Form angenommen hatte und duckte sich hinter eine mit Stechpalmen behangene Rüstung, um den Korridor entlangzuspähen.
Dean vertraute ihm, und er würde dieses Vertrauen, das er sich so hart hatte erarbeiten müssen, nicht wegwerfen, nicht für dreißig Punkte Abzug für Gryffindor – das war es nicht wert. Vor allem weil das, was sie hatten – was auch immer es war – im selben Moment sterben würde wie Deans Glaube an seine Ehrlichkeit.
Der Korridor, der zum Gryffindorturm hinaufführte, war verlassen, lag vergraben unter dieser merkwürdig dichten Art von Stille, die nur der Schnee und die Kälte draußen zu erzeugen vermochten, so als ob jedes Geräusch ersticken würde unter der weißen Pracht. Wie weit entfernt spürte er, wie sich sein Magen noch enger zusammenzog, während sein Atem wie Nebel vor seinem Gesicht schwebte. Was, wenn Dean nicht kam? Was, wenn er dieselbe Idee gehabt hatte wie er und Filch im nächsten Moment hinter ihm stehen würde, seine schwere, schmutzige Hand auf seiner Schulter?
„Theo!“ Eine Stimme in seinem Rücken – die richtige Stimme, und er stieß den Atem, von dem er nicht gewusst hatte, dass er ihn angehalten hatte, mit einem Zischen aus, das fast zu laut war für die gefrorene Stille des Korridors.
„Dean.“ Er antwortete ruhiger, gemessener – er war keiner von diesen lauten, enthusiastischen Gryffindors, die ihr Herz auf der Zunge trugen, obwohl er manchmal kein Problem damit hatte, mit einem von ihnen zusammen zu sein. Besonders in Nächten wie dieser.
Er wandte sich um, ein kurzer Blick, ein gemessenes Nicken und sie verschwanden gemeinsam in die andere Richtung, Dean ein wenig nervös, er selbstbewusster, so als ob er jedes Recht hätte, in diesem Moment in diesem Korridor zu sein, bis sie schließlich hinter einem Wandteppich verschwinden konnten, der ihnen ein wenig Schutz bot und ihre Stimmen dämpfte. „Peeves wirft gerade Stinkbomben auf die Statue von Godric Gryffindor – deswegen der Umweg“, erklärte Dean fast ein wenig rechtfertigend und Theo konnte den Anflug eines Kicherns nicht unterdrücken – Slytherin blieb eben Slytherin.
„Wohin gehen wir?“, fragte er leise, nachdem sie für einen Moment gemeinsam auf ein leises Kratzen im Korridor gelauscht hatten, das vielleicht von den Schritten eines Lehrers stammte oder auch nicht und in ihm den Wunsch weckte, an einen geschützteren Platz zu gelangen.
Dean zuckte mit den Schultern. „Wir könnten in die Küche gehen, oder wieder nachsehen, ob der Raum der Wünsche frei ist, oder ins Badezimmer der Vertrauensschüler.“
Deans Teint verbarg es meist gut, doch mittlerweile konnte Theo erkennen, wann er errötete, und dies war einer der Augenblicke – und zu seiner eigenen Überraschung hatte er Mitleid mit ihm. Wenn auch nur ein bisschen. „Besser in den Raum der Wünsche“, erklärte er flüsternd und grinste leicht. „Ich meine, stell dir vor wir würden Draco begegnen...“
Der Gedanke war witzig, zumindest, wenn man nur an das überraschte Gesicht dachte, das Malfoy machen würde, und nicht an die Konsequenzen, die aus seiner Entdeckung folgen würden – und so weit ließ er ihn gar nicht kommen, sondern schob ihn zuvor zurück in seinen Hinterkopf, wo er hingehörte. Immerhin hatte er keine Angst, und das sollte auch so bleiben.
Gemeinsam und doch alleine schlichen sie durch die Gänge, Dean ein Stück vor ihm, sodass der andere verschwinden konnte, wenn einer von ihnen von einem Lehrer entdeckt würde, oder einem Vertrauensschüler, oder Mrs Norris, oder Filch, oder Peeves, oder... Auch diesen Gedanken unterdrückte er resolut – es hatte keinen Zweck, sich über all die Möglichkeiten, wie sie ihren kleinen Ausflug ins Chaos oder schlimmeres stürzen konnten, Gedanken zu machen, bevor eine dieser Möglichkeiten vor ihnen auftauchte. Und falls das geschah, musste er einen kühlen Kopf bewahren – nicht gemeinsam erwischt zu werden war wichtiger, als nicht erwischt zu werden, und für den Fall, dass man sie nahe beieinander aufgriff, hatten sie sich eine hübsche Geschichte ausgedacht, die starken Bezug nahm auf die Gryffindor-Slytherin-Rivalität und die möglicherweise sogar irgendjemand glauben würde. Hagrid vielleicht – eigentlich schade, dass er nicht im Schloss patrouillierte.
Dean erreichte das glatte, vollkommen normal aussehende Stück Wand, das die Tür zum Raum der Wünsche verbarg, vor ihm und begann, nach einem kurzen, scheuen Blick zu ihm, davor auf und ab zu gehen, die Augen fast geschlossen vor Konzentration. Er sah... interessant aus, das musste Theo zugeben, auch wenn er es eigentlich nicht wollte, doch erst als er näher kam, an einer bis zur Unkenntlichkeit geschmückten Statue vorbei, konnte er hören, was Dean sagte. „Ich brauche einen Raum, um mich mit Theo zu treffen, ich brauche einen Raum, um mich mit Theo zu treffen...“
Und zu seiner Überraschung – denn das letzte Mal, als sie hier gewesen waren, in der Kälte und der Nervosität, war nichts geschehen und sie waren danach in die Küche geschlichen – erschien eine Tür in der Wand und Dean schoss ein schnelles Grinsen auf ihn ab, in dem mindestens ebenso viel Erleichterung mitschwang, wie er selbst fühlte.
Dean hielt die Tür für ihn auf mit einer kleinen Verbeugung, die ungeübt und grob auf ihn wirkte, da er als Reinblüter mit diesen Gesten aufgewachsen war und trotzdem ein kleines Feuer in seinem Bauch entfachte, als er an ihm vorbei in den Raum trat. Trotz des Bedürfnisses, möglichst schnell den ungeschützten Korridor zu verlassen, konnte er nicht verhindern, dass sein Schritt für einen Moment stockte, als er seinen Blick über das Zimmer schweifen ließ, ein kleiner Moment, der auch von Dean nicht unbemerkt blieb.
„Was...?“, fragte er leise, vorsichtig, doch die Frage in seiner Stimme ebbte in dem Augenblick ab, als er die Tür hinter ihnen geschlossen hatte und neben Theo getreten war – und sah, was für einen Raum er sich gewünscht hatte.
Diesmal musste er die Röte auf Deans Wangen nicht sehen, denn er konnte die Hitze fast spüren, die von seinem... was eigentlich? Freund? er konnte es nicht sagen – ausging, und das süffisante Grinsen sprang von alleine auf sein Gesicht. „Das ist für dich also ein Raum, in dem wir uns treffen können?“, fragte er mit einem Unterton, der viel zu... erleichtert klang, um seinem Scherz die nötige Schärfe zu verleihen, und Dean schnaubte.
„Das nächste Mal wünschst du dir etwas. Und bevor du fragst, daran hab ich nicht gedacht“, entgegnete er in einem Tonfall, der irgendwann, in einem anderen Leben vielleicht, hätte trocken sein sollen, und deutete auf das große Himmelbett mit der roten Bettwäsche und den silbernen Pfosten – und wie klischeehaft war das denn? – das halb hinter einem Vorhang verborgen in einer Ecke des Raumes stand. „Na gut, vielleicht eine halbe Sekunde lang“, relativierte Dean, während er auf die kleine Sitzecke zusteuerte und für einen Moment unschlüssig wartete, bis Theo ihm folgte und ihn mit einer kleinen Geste einlud, Platz zu nehmen.
„Eine halbe Sekunde, ja?“ Er grinste ein wenig, während er sich auf einen der Sessel fallen ließ und seine langen, dünnen Beine von sich streckte, doch er war viel zu erleichtert und zu froh, um Dean weiter zu necken, wie es sich für einen guten Slytherin, dem eine solche Gelegenheit geboten wurde, gehörte.
Es war schon ein Erfolg gewesen, dass Dean überhaupt zugestimmt hatte, sich mit ihm zu treffen und sich nur mit ihm zu unterhalten, und doch hatte er die nagenden Zweifel – nicht Angst! – in seinem Inneren nicht vertreiben können. Dass er ihn nur ausnutzen wollte, um sich mit seinen Gryffindor-Freunden über ihn lustig zu machen. Dass er Slytherin im Hauspokal schaden wollte. Dass er einen Streich plante, der ihn vor der ganze Schule lächerlich machen würde.
Und schließlich, als er langsam begann, vertrauen zu fassen, sah, dass Dean ihn auch mochte – denn kein Gryffindor konnte so gut schauspielern – war die schlimmste Angst von allen gekommen. Dass Dean nur mit ihm befreundet sein wollte, nicht mehr und nicht weniger. Alles andere hätte er irgendwie ertragen, die Demütigung, die Schmach, die Häme der anderen Slytherins, doch der Gedanke, dass sie sich weiter treffen würden, einmal die Woche oder auch zweimal, und doch nicht mehr zwischen ihnen sein würde, dieser Gedanke hatte ihn fast dazu gebracht, Dean zu sagen, dass er ihn nie wieder sehen wollte.
Und jetzt hatte er eine Antwort. Ohne damit gerechnet zu haben, ohne sie erwartet zu haben, ohne mit einer größeren Erwartung hierhergekommen zu sein als der, dass sie sich unterhalten würden und lachen und Dean über Fußball erzählen und Theo über die Reisen, die er mit seinem Vater unternommen hatte, noch bevor seine Welt aus den Fugen geraten war. Und irgendwie machte die Überraschung dieses Gefühl – dieses wunderbare, überraschte, erleichterte, glückliche Gefühl in seinem Bauch, das versuchte, jede Zelle seines Körpers auszufüllen – noch kostbarer und wertvoller, als wenn er es erwartet hätte. Jetzt musste er nur noch herausfinden, was er mit diesem neugewonnenen Wissen anstellen konnte.
Dean wirkte noch immer verlegen und schien es nicht zu wagen, ihn anzusehen, und noch während Theo überlegte, was er jetzt sagen konnte, das nicht peinlich oder kitschig oder abgedroschen oder alles zusammen klingen würde, begriff er, wieso. Seine neugewonnene Sicherheit, das Wissen über die Absichten des anderen, das ihn gerade so immens erleichtert hatte – Dean besaß es nicht und fühlte sich wahrscheinlich wie Theo noch vor wenigen Minuten, genauso nervös, genauso unsicher.
Es war ein Zeichen für die fortschreitende Erosion all seiner Slytherin-Ideale, dass er keine Sekunde brauchte, um einen dummen, hitzköpfigen, enthusiastischen, gryffindor-mäßigen Plan zu fassen und den ersten Teil davon auszuführen: Neben Dean auf der Couch Platz zu nehmen.
Theo ließ ihm nur einen Moment, die Überraschung, die sich auf seinem Gesicht abzeichnete, zu überwinden, bevor er erneut grinste. „Ich mag es“, meinte er trocken mit einer kleinen Kopfbewegung in die Richtung des Bettes, „und wer weiß, vielleicht brauchen wir es ja auch eines Tages.“
Eine Sekunde, zwei, drei, um das Gesagte einsinken zu lassen, dann zuckte er mit den Schultern und lächelte nonchalant. „Falls ein Lehrer genau vor der Tür patrouilliert und wir nicht nach draußen können ist es sicher praktisch.“
Theo hatte keine Zeit gehabt, über seinen Plan nachzudenken, herauszufinden, was er eigentlich sagen wollte, und jetzt, da die Worte ihren Weg nach draußen gefunden hatten, er sie nicht mehr zurücknehmen konnte, spürte er, wie die Unsicherheit wieder in ihm hochkroch. Hatte er sich zu weit nach vorne gewagt, zu viel von seinen Gefühlen preisgegeben?
Dean schnaubte. „Du bist ein Idiot, Theo.“
Die Worte gruben sich tief, schmerzten, für einen Augenblick oder zwei, bis ihr Tonfall schließlich in seinen bewussten Verstand vordrang. Sie klangen nicht verletzend, eher... neckend, und er hatte einen Moment, zu erkennen, dass er mit seinen eigenen Waffen geschlagen worden war, bevor eine Hand in seinen Haaren ihn unerbittlich zu Dean hinüberzog.
„Zumindest manchmal.“ Zwei Worte, ein Blick aus diesen dunklen Augen, der den seinen einfing und ein kurzer Moment, in dem er versuchte zu begreifen, dann trafen sich ihre Lippen und Theodore Nott verschob das Nachdenken auf später... viel später.
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