*You look so beautiful today*
*When you're sitting there it's hard for me to look away*
*So I try to find the words that I could say*
[I can wait forever – Simple Plan]
Es war fast Mittag und ich lag immer noch in meinem verlockend weichen Bett, als ein Hauself auftauchte, um mir mitzuteilen, dass meine Eltern für den Rest des Tages außer Haus sein würden. An jedem anderen Tag hätte ich mich darüber gefreut, doch an diesem war es mir egal. Ich hatte die halbe Nacht nicht geschlafen, was auch erklärte, warum ich um diese Zeit noch im Bett lag. Der Gedanke an Rachel, unseren Streit und die Tatsache, dass sie mich einfach hatte stehen lassen, ließen mich nicht los. Als wir in die Nähe des „Tropfenden Kessels“ gekommen waren, war ich ein wenig nervös geworden, da ich keinen Zauberer hatte treffen wollen. Als wir dann in die entgegengesetzte Richtung gegangen waren, war uns natürlich einer über den Weg gelaufen. Immer wieder dachte ich über ihre Worte nach und versuchte mich daran zu erinnern, was ich zu Nott gesagt hatte, aber es viel mir nichts Besonderes ein. Ich war einfach so gewesen, wie er mich kannte. So, wie ich eigentlich immer war und wie ich es in Hogwarts sieben Jahre lang gewesen war. Erst jetzt, als ich darüber nachdachte und mein Verhalten Rachel gegenüber mit meinem üblichen verglich, wurde mir klar, warum es für sie so ein Schock gewesen sein musste. Es war nicht mehr möglich, abzustreiten, dass ich mich in sie verliebt hatte. Den größten Teil meiner Freizeit hatte ich während des letzten Monats mit ihr verbracht und es war das erste Mal, dass ich einen Menschen so nah an mich heranließ. Manchmal machte mir mein Verhalten Angst und ich fragte mich, warum ich Rachel gegenüber so anders war – aber ich konnte es mir nicht erklären. Wenn sie lachte, löste es bei mir eine Hochstimmung aus, wenn ich sah, dass sie glücklich war (oder noch besser; wenn ich sie glücklich machte), erfüllte mich eine innere Zufriedenheit und wenn ich wusste, dass sie traurig war, zeriss es mir fast das Herz... Und so ging es mir in diesem Moment. Obwohl ich sauer auf sie war, weil sie mich einfach hatte stehen lassen, machte ich mir Sorgen um sie. Ich wollte nicht, dass sie traurig war oder weinte und ganz besonders nicht wegen mir. Ich versuchte mir vorzustellen, wie sie Trish von unserem Streit erzählte und konnte nur hoffen, dass diese sie nicht gegen mich aufhetzen würde. In diesem Moment wurde mir bewusst, dass ich nicht böse auf Rachel sein konnte. Liebe hatte offenbar große Macht, denn es war mir nie schwer gefallen, andere Menschen aus Egoismus ins Verderben zu stürzen. Es war mir egal gewesen, wenn ich andere auf meinem Weg nach oben verletzte. Zugegeben; eigentlich war es mir noch immer egal, aber bei Rachel was es anders. Für sie, würde ich mich selbst ins Verderben stürzen. Ich war verloren... Ich hatte mich selbst verloren, als ich mich für Rachel entschieden hatte. Und doch vermisste ich sie, wollte sie bei mir haben, sie lächeln sehen und ihr über die Wange streichen. Als aus meinem Schrank ein Geräusch kam, schreckte ich hoch, entspannte mich aber augenblicklich wieder, als ich es erkannte: Mein Handy hatte fast keinen Akku mehr. Genervt hievte ich mich aus dem Bett und schlurfte in Boxershorts zum Schrank, um das Handy aus der Tasche der Hose, die ich am Tag zuvor getragen hatte, zu holen. Enttäuscht verzog ich den Mund, als ich auf das leere Display sah; keine Anrufe, keine Nachrichten. Rachel schien wirklich sehr sauer zu sein und diese Erkenntnis brachte mein Herz dazu, sich leicht zu verkrampfen. Mein Daumen schwebte über den Tasten, wollte sie anrufen, doch ein Teil meines Gehirns schrie >Nein! Das ist die perfekte Gelegenheit, damit aufzuhören!<.
Ich könnte mich nicht mehr bei ihr melden und ihre eventuellen, zukünftigen Anrufe und Nachrichten ignorieren. Sie hatte keine Ahnung, wo ich wohnte und für mich würde es nicht schwer sein, Muggellondon zu umgehen. Es wäre das Beste... >Ja, es wäre das Beste<.
Aber es ging nicht! Sie beherrschte meine Gedanken, meine Träume und auch mein Leben. Wenn ich nicht bei ihr war, dachte ich an sie. Wenn ich schlief, träumte ich von ihr. Sie hatte etwas in mein Leben gebracht, das ich bis dahin nicht gekannt hatte. Mit ihr konnte ich lachen, mit ihr hatte ich Spaß und ich fühlte mich wohl dabei, das alles in ihrer Gegenwart zu tun. In einer verzweifelten Tat warf ich das Handy auf mein Bett, ließ mich auf die Bettkante sinken und fuhr mir mit allen zehn Fingern durch die Haare.
„Scheiße“, seufzte ich und ließ mich rücklings in die weichen Decken sinken.
Nachdem ich etwa eine viertel Stunde auf der schmalen Strasse in die Richtung gegangen war, die mir am logischsten erschienen war, tauchten ein paar Häuser auf. Vor dem größten Haus spielten zwei Jungen, die vielleicht dreizehn waren, indem sie sich mit den Füssen gegenseitig einen Ball zuspielten.
„Hey, ihr da!“ Der kleinere dünnere, mit hellbraunem Haar und Sommersprossen drehte sich zu mir um und ich ging auf ihn zu.
„Gibt es hier in der Nähe eine Bushaltestelle?“
„Ja klar!“, grinste er und zeigte in die Richtung, aus der ich gekommen war.
„Etwa zweihundert Meter in die Richtung.“ Ich zog eine Augenbraue hoch, da ich nicht sicher war, ob ich ihm glauben konnte.
„Bist du sicher?“, fragte ich zweifelnd nach und der Junge nickte heftig.
„Ich fahre schließlich jeden Tag mit dem Bus zur Schule“, stellte er klar, während er den schwarzweißen Ball, welcher in seine Richtung rollte, mit dem Fuß stoppte.
„Der fährt also ganz bestimmt in die Stadt?“
„Seh’ ich irgendwie unterbelichtet aus, oder so?“ Meine Lippen verzogen sich zu einem amüsierten Grinsen; der Junge gefiel mir.
„Weißt du auch, wann ein Bus fährt, du Intelligenzbolzen?“
Er sah auf die blaue Armbanduhr, welche er um das rechte Handgelenk trug.
„Vor einer Minute“, antwortete er und lachte, als ich losrannte.
„Mach’s gut!“, rief er mir hinterher.
Als ich den Bus kommen sah, stellte ich mich mitten auf die schmale Strasse, so dass ihm keine andere Möglichkeit blieb, als anzuhalten. Die Türen öffneten sich lärmend und eine tiefe, ungeduldige Stimme schallte mir entgegen:
„Junge, die Bushaltestelle ist mit einem grünen Schild gekennzeichnet! Hast du keine Augen im Kopf? Was, wenn ich dich nicht gesehen hätte –„
„Haben Sie aber“, unterbrach ich sein Geschrei und stieg in den alten, halb verrotteten Bus. Die Sitze hatten teilweise Löcher im Polster und der dunkelblaue Stoff war ausgeblichen.
„Wann fahren sie aus der Stadt wieder zurück?“, fragte ich den dicken Fahrer, der ein viel zu enges, dunkelgrünes Hemd trug und mich ansah, als hätte ich ihn darum gebeten, mir die Schuhe zu binden.
„Schon mal was von Fahrplänen gehört?“
„Haben Sie einen dabei?“
Er drückte mir ein kleines Heft in die Hände, schüttelte dann den Kopf und fuhr los, während ich mich erleichtert in einen der hinteren Sitze fallen ließ. Diese zehn Minuten Fußmarsch konnte ich Rachel zutrauen, aber ich müsste es so aussehen lassen, als käme mir der Weg ganz vertraut vor. Anhand des Busplans (der – typisch Muggel – viel zu kompliziert aufgebaut war!) fand ich heraus, dass eine Stunde später wieder ein Bus zurück fahren würde. Die Fahrt nach London dauerte zehn Minuten und so stand ich schlussendlich zehn Minuten zu früh vor Rachels Wohnhaus. Trotzdem beschloss ich, zu klingeln, da Rachel mir meine Unpünktlichkeit bei jeder Gelegenheit vorwarf. Ich wartete auf ein Zeichen, doch es blieb still.
„Draco!“, ertönte es dann plötzlich irgendwo über mir und ich machte einen Schritt zurück, um in Trishs Gesicht zu blicken. Sie hatte sich weit aus dem Fenster gelehnt und grinste mich an.
„Gut gemacht! Ich wusste doch, dass du es hinkriegst!“
Ich konnte nicht anders, als zu grinsen.
„Sie kommt gleich runter – und versau es bloß nicht wieder!“
„Ich warte!“, rief ich.
Trish zeigte mit Zeige- und Mittelfinger auf ihre Augen, dann auf mich.
„Ich behalte dich im Auge, Draco. Sei nett zu deinen Mitmenschen!“ Dann war sie verschwunden und ich hörte nur noch, wie das Fenster geschlossen wurde.
Fünf Minuten später ging die Türe auf und Rachel trat heraus. Sie trug einen dunkelblauen Jeansrock und ein Bordeaux Oberteil, dass ihre Augen noch wärmer aussehen ließ, als sie es ohnehin schon waren. Innerlich seufzte ich bei ihrem Anblick; sie war schön, wie immer und unversehrt.
„Rachel“, sagte ich ganz einfach, doch sie trat neben mich und sah sich um.
„Wohin?“ Ich konnte mir ein Grinsen nicht verkneifen, da sie unglaublich süß war, wenn sie versuchte, sauer zu sein. Am liebsten hätte ich ihre Hand genommen, sie an mich gezogen und geküsst, doch ich hielt mich zurück.
„Wir müssen den Bus nehmen.“ Ich ging los und sie folgte mir schweigend. Bis zur Bushaltestelle sagte niemand etwas; sie, weil sie schmollte und ich, weil ich ihr die Zeit geben wollte, die sie brauchte. Als wir uns auf eine Bank bei der Bushaltestelle setzten, drehte ich mich leicht in ihre Richtung und sah ihr ins Gesicht, bis sich meinen Blick erwiderte.
„Bitte, sei nicht so gemein“, sagte ich leise und sah ihr tief in die Augen.
„Ich? Gemein?“ Sie zog eine Augenbraue hoch und bohrte mir dann ihren Zeigefinger in die Brust.
„Soll ich dir mal erzählen, wer hier gemein ist?“
„Ich hab mich doch entschuldigt, was soll ich denn noch tun?“
„Du bist mir eine Erklärung schuldig, Mister!“
Zögernd hob ich eine Hand und strich Rachel eine Strähne hinters Ohr – wie sie es immer tat, wenn sie nervös war.
„Du siehst umwerfend aus, wenn du wütend bist“, murmelte ich und sie hielt inne. Ich wusste, dass ich sie mit solchen kleinen Gesten aus der Fassung brachte und machte auch öfters Gebrauch von diesem Wissen. Sie hielt den Atem an und ich nutzte die Stille aus:
„Meine Eltern haben mich anders erzogen, als es die meisten tun. Ich will ihnen keinen Vorwurf machen, aber ich hielt mich – und meine Familie – immer für etwas Besseres. In der Schule fürchteten sich viele vor mir und ich genoss es.“ Rachels Augen nahmen einen traurigen Ausdruck an und sie schüttelte leicht den Kopf. „Als ich Nott gesehen habe, bin ich irgendwie in mein altes Verhalten zurückgefallen... Weißt du, Rachel, seit ich dich kenne, hab ich mich irgendwie verändert. Ich weiß nicht, warum und ich weiß auch nicht, ob es nur dir gegenüber so ist, aber ich bin gerne mit dir zusammen und wenn ich mit dir zusammen bin, ist nichts gespielt. Mit dir bin ich so und wenn du nicht bei mir bist, vermisse ich dich.“
Rachel sah hoch und unsere Blicke trafen sich. Der lärmende Verkehr, die vorbeigehenden Leute... Das Alles war in diesem Augenblick verschwunden. Ihre warmen, braunen Augen versuchten aus meinem Gesicht zu lesen und ich spürte, wie mein Herz schneller schlug. In diesem Moment schossen wir beide hoch, da ein lautes Hupen zu hören war. Mein alter Kumpel, der Busfahrer, hatte uns ungeduldig fixiert und als ich ihn ansah, warf er die Arme in die Luft.
„Junge! Willst du, dass ich wegen dir heute noch einen Herzinfarkt krieg’? Wenn du nach Hause willst, solltest du dir deine kleine Freundin schnappen und einsteigen!“
„Ja ja, schon gut... Wir kommen“, rief ich, nahm Rachel bei der Hand und zog sie in den Bus.