von Tenebrus
Harry Potter,
Nun...ich muss sagen, ich musste einen grossen Teil meines Stolzes überwinden, um diesen Brief überhaupt zu schreiben, denn es könnte ihn ja irgendwann jemand finden. Ihn abzuschicken...dies stellt ein unüberwindbares Hindernis dar, weswegen du diesen Brief niemals lesen wirst. Trotzdem...auf eine äusserst merkwürdige Art und Weise hilft er mir trotzdem, meine Gefühle zu verarbeiten.
Natürlich...wir mochten uns nie und auch heute betrachte ich dich lieber mit einem verachtendem als mit einem freundlichen Blick und wir werden uns wohl auch nie wirklich verstehen. Zuviel ist vorgefallen, vieles von meiner Seite, aber - ehrlich gesagt - ich war nie einer von den Guten. Ich war nie einer von den mitfühlenden, kumpelhaften Typen, aber wer sagt denn, dass man auf der Seite des Lichts leben muss, um auch mal die Sonne zu sehen? Ich weiss, dass du nicht glaubst, dass ich wirklich "böse" bin. Nun ja, du weißt ja auch Dinge über mich, du sonst nur die wenigsten Menschen wissen. Dass ich viel sensibler bin als ich scheine... Mann...ich weiss jetzt noch, wie wütend ich war, als du mich damals im Badezimmer entdeckt hast. Am liebsten hätte ich dich umgebracht - dummerweise versuchtest du genau dies wenige Sekunden später. Aber ich hab es überlebt und ausser einer feinen Narbe habe ich keinen Schaden genommen. Doch sind es nicht genau die Narben des Krieges, du uns zu dem machen was wir sind?
Wir sind eine ausgebeutete Generation, wir gehören zu den Generationen, die ihre kindliche Unschuld durch einen Krieg verloren haben, welcher unsere Eltern und Grosseltern bereits geführt haben. Ich glaube, auch dir geht es so. Stell dir vor, es hätte keinen Krieg gegeben, keinen dunklen Lord. Natürlich, unser Verhältnis wäre wohl nicht viel anders, aber tief in uns wären wir wahrscheinlich immer noch unschuldige und unwissende junge Erwachsene. Ich weiss nicht, ob du dir solche Gedanken überhaupt machst, aber ich überlege mir oft, wo ich heute wäre, wenn es niemals einen dunklen Lord gegeben hätte. Oder würde ich überhaupt noch leben, wenn ich damals zu ihm gehalten hätte? Wahrscheinlich nicht.
Etwas Gutes hat die Zeit als Todesser allerdings gehabt. Ich habe die berühmten "wilden Jahre" bereits hinter mir und freue mich nun auf ein geruhsames und friedliches Leben. Ich glaube, ich klinge jetzt schon, wie ein alter Mann, aber auch hier glaube ich, dass du mich vielleicht bis zu einem gewissen Grad verstehen kannst. Ich meine, deine Zeit als Zauberer war ja bis jetzt alles andere als friedlich. Aber hoffen wir, dass dies in Zukunft so bleibt, denn ich auch habe meine Lektion gelernt und versuche nun in der Zaubererschaft nicht mehr allzu viel Zwietracht zu sähen (du siehst, ich versuche meine Vorsätze nicht zu hoch zu schrauben... man soll sich ja in kleinen Schritten verbessern...).
Du fragst dich vielleicht, weswegen ich dir überhaupt schreibe. Nun, der Grund ist eigentlich ein relativ einfacher, denn trotz meines Stolzes und meiner scheinbaren emotionalen Kälte bin ich dir sehr dankbar, dass du diesen Krieg beendet hast. Natürlich, in diesen Tagen wirst du das unzählige Male hören, ein weiterer Grund, weswegen ich diesen Brief nicht abschicke. Ausserdem würdest du wahrscheinlich ohnehin denken, dass ich jetzt einen an der Schüssel habe, denn wer würde seinem Erzrivalen schon einen Dankesbrief schreiben? (Erzrivalen...dieser Ausdruck gefällt mir, er erscheint mir sehr passend) Aber ich bin dankbar, und ich werde weder dich noch deine engsten Freunde noch einmal beleidigen.
Ich mag vielleicht ein arroganter Feigling sein, aber ich weiss es zu schätzen, wenn jemand mein Leben und das meiner Familie gerettet hat. Und genau das hast du getan.
Ich werde zu sentimental, der Frieden tut mir nicht gut. Vielleicht sollte ich wieder einmal die Winkelgasse besuche und mich böse anstarren lassen - ein hervorragendes Mittel, um die eigene Laune auf einen Tiefpunkt fallen zu lassen. Du siehst, es ist auch für mich nicht einfach, du musstest früher leiden, dafür bin ich jetzt der Geächtete.
Doch dies ist das Leben und schlussendlich bezahlen wir für unsere schlechten Taten.
Immer.
Mit...Grüssen,
Draco Malfoy
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