von Dreamcatcher
Das Kreischen und Flattern der Eulenschar, die am nächsten Morgen in die Große Halle rauschte um die Post zu verteilen, registrierte Ginny gar nicht. Mit den Gedanken war sie ganz woanders, an dunklen, undurchdringlichen und bisher verdrängten Orten. Sie fuhr erst aus den Gedanken, als Samantha, die zwei Plätze neben ihr saß, laut sagte:
„Hey Ginny, du hast Post bekommen, hast du das nicht bemerkt?“
„Hm?“, sagte Ginny und blickte sich ohne Interesse nach Errol um, doch sie konnte ihn nirgends entdecken.
„Ginny“, sagte Samantha, „nun mach doch die Augen auf! Der Waldkauz vor dir!“
Tatsächlich zwängte sich gerade eine große Eule, an deren linkes Bein eine kleine Pergamentrolle geknotet war, zwischen den Müslischalen hindurch.
Lustlos nahm Ginny das Pergament von dem ausgestreckten Bein der Eule entgegen, legte es ungeöffnet neben ihren Teller und fuhr fort, ihr kaum angerührtes Rührei anzustarren.
„Ginny“, lachte jetzt Hermine von schräg gegenüber. „Machs nicht so spannend, lies vor!“
Ron hingegen war ein wenig blass um die Nase geworden.
„He“, sagte er argwöhnisch, „du schreibst dich doch nicht etwa mit ... mit irgend einem Jungen?“
Hermine prustete in ihre Kornflakes und Harry unterdrückte ein Grinsen. Samantha hingegen langte über Rose hinweg und griff nach der Pergamentrolle. Viele neugierige Gesichter beobachteten sie dabei, wie sie das Lederband aufknüpfte und das Pergament öffnete. Stumm überflogen sie und Rose, die sich über ihre Schulter gebeugt hatte, den Inhalt. Dann brachen beide in furchtbares Gegiggel aus.
„Mensch Ginny!“, rief Samantha, wärend sie sich vor lauter Kichern kaum noch auf dem Stuhl halten konnte. „Du hast ja wirklich einen ... na du weißt schon!“
„Was soll ich haben?“, entgegnete Ginny gereizt und riss der immer noch kichernden Samantha den Brief aus der Hand. In einer dicht gedrängten, verschnörkelten Schrift standen nur zwei Zeilen drauf.
Heute 24.00 Uhr in der Bibliothek. Ich werde auf dich warten.
Gez. T.R.
Das erste was sie tat, als sie wieder im Gemeinschaftsraum ankam, war das Pergament ins Feuer zu werfen. Noch während es in den aufzüngelnden Flammen zu einem undefinierbaren schwarzen Gebilde verschrumpelte, war ihr klar, dass sie Riddle nie im Leben treffen würde. Wie konnte er es überhaupt wagen, ihr Botschaften per Eulenpost zu schicken? War ihm nicht klar, was es für Folgen haben könnte, wenn er erwischt würde?
Urplötzlich schoss ihr ein absurder Gedanke in den Kopf. Riddle musste wirklich Hilfe brauchen. Warum sonst war er zweimal erschienen und hatte sie eindringlich gebeten, ihm zu helfen? Warum nahm er in Kauf, irgendeinem Lehrer oder gar Albus Dumbledore in die Arme zu laufen und schlich sich sogar vor aller Augen in ihren Schlafsaal?
Verwirrt ließ sich Ginny in einen Sessel nahe am Kamin fallen. In einer derartigen Situation hatte sie sich noch nie befunden. Jemand, der ihr das Leben zur Hölle gemacht und den sie für tot gehalten hatte, tauchte wieder auf und brauchte ihre Hilfe ...
Die Tür zum Portraitloch ging auf und Harry, Ron und Hermine kamen hereingestolpert. Harrys und Hermines Mienen nach zu urteilen amüsierten sie sich prächtig, wären Ron dreinschaute, als hätte er eine ganze Tüte Bertie Botts Bohnen mit Popelgeschmack geschluckt.
Alle drei ließen sich neben Ginny in die Sessel fallen.
„Und, Ginny, wer ist es, sag schon!“, drängte Hermine, wärend sie ein Exemplar von Lehrbuch der Zaubersprüche Band 7 aus ihrer Tasche kramte.
„... kennen wir ihn?“, stichelte Harry belustigt.
„Ginny, wer ist T.R.?“, bohrte Ron nach.
„Tut mir echt leid, aber ich kann es euch nicht sagen“, antwortete Ginny hastig und machte sich auf den Weg zum Schlafsaal. „Ich muss los“, sagte sie, „Zaubertränke fängt gleich an ...“
In Gedanken war sie bei der Bibliothek und wie sie es schaffen konnte, sich unbemerkt und zu Nachtschlafendszeit aus dem Gemeinschaftsraum zu schleichen.
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