von Dreamcatcher
„Ginny, warte!“
Harry kam Ginny durch die überfüllten Gänge hinterher gespurtet. „Hey, so war das doch nicht gemeint ... ich, tut mir wirklich leid, dass ich ...“
„Jaah, schon klar“, entgegnete sie bissig und zwängte sich an zwei verschreckten Zweitklässlern vorbei, um nicht stehen zu bleiben und Harrys Entschuldigugen über sich ergehen lassen zu müssen. „Ich verstehe vollkommen. So wie immer.“
„Ginny“, begann Harry von neuem, doch eine große Gruppe schwatzender Rawenclaws trennte sie von einander. Ginny nutzte die Gelegenheit und verdrückte sich in einen Geheimgang.
Es war doch immer wieder dasselbe, dachte sie wütend und verzweifelt zugleich. Immer, wenn sie gedacht hatte, Harry würde ihre Gefühle für ihn erwidern und sie sich ihm vorsichtig angenähert hatte, war irgend etwas dazwischen gekommen; diesmal hatte er sie zu einem Treffen in Hogsmeade versetzt – später hatte sie erfahren, dass er Cho Chang getroffen hatte.
Es war an der Zeit, endlich einen Schlussstrich zu ziehen.
Du kannst nicht dein ganzes Leben damit verbringen, einem Jungen hinterher zu trauern, der nichts für dich übrig hat, dachte Ginny. Das führt doch zu nichts ...
Das Schlossgelände vor Hogwarts wurde in Dunkelheit getaucht und die Baumspitzen des verbotenen Waldes schimmerten silbern im Mondlicht.
Tom Riddle huschte, an die steinerne Wand gepresst, durch die düsteren Kerker, darauf bedacht, niemanden über den Weg zu laufen. Er ermahnte sich innerlich, ruhig zu bleiben. Er wusste nicht, was geschehen war, nachdem Harry Potter das Tagebuch zerstört und ihn, Tom, die Dunkelheit verschluckt hatte, und er hatte keine Ahnung, wieviel Zeit seitdem vergangen war. Immer wieder wanderten seine Gedanken zu Ginny. Ginny, die in sein Tagebuch geschrieben und ihm ihr Herz ausgeschüttet hatte. Er versuchte, höhnisch in sich hinein zu lachen, versuchte vergebens, sich an ihrem Leid zu ergötzen, wie er es damals getan hatte. Doch es wollte ihm nicht gelingen. Vielmehr verspürte er so etwas wie Abscheu ...
Er wusste noch nicht einmal, ob Ginny überlebt hatte, nachdem er sie fast gänzlich ihrer Kraft beraubt hatte.
Hastig presste er sich flach gegen die Wand, als er aus der Nähe Schritte hörte. Zwei Drittlässlerinnen liefen kichernd an ihm vorbei, ohne ihn zu bemerken. Als er sich eine Minute später aus dem Schatten herauslöste, hatte er einen Entschluss gefasst.
Er musste die Situation wieder unter Kontrolle bringen, musste wissen, was passiert war. Und es gab nur eine einzige Person, die ihm weiterhelfen konnte.
„Na macht endlich, ich bin Vertrauensschüler“, drängte er ein paar verdutzt dreinschauende Erstklässler, die vor dem Portrait der fetten Dame stehen geblieben waren und ihn offensichtlich für einen Schüler eines anderen Haus hielten, und das Passwort nicht in seiner Gegenwart sagen wollten.
„Los, ich hab nicht den ganzen Tag zeit“, fuhr er sie an, während er darauf achtete, dass keine älteren Schüler kamen, denen er auffallen würde.
Schließlich zuckten die Erstklässler die Schultern, sagten der fetten Dame das Passwort und stiegen ihm voran durch das Portraitloch. Als sie sich im Gemeinschaftsraum umsahen, war der blasse, dunkelhaarige Junge verschwunden.
Tom besaß ein Talent dafür, sich so gut wie unsichtbar zu machen, wenn es ihm einen Vorteil verschaffen konnte, und hatte sich im Laufe der Jahre in Hogwarts angewöhnt, nur dann gesehen zu werden, wenn er es auch wollte. Auf diese Weise gelangte er unbemerkt zur Treppe der Mädchenschlafsäle. Er wusste, dass sie Jungs nicht betreten durften, doch er hatte den Abwehrzauber bereits in seinem zweiten Jahr zu überlisten gewusst.
Als er im Korridor angelangt war, von dem die einzelnen Schlafsäle der Mädchen abzweigten, stutzte er. In welchem konnte er Ginny Weasley finden?
Einen Augenblick lang schloss er die Augen. Dann öffnete er sie wieder und ging geradewegs auf eine der Türen zu � er verließ sich vollkommen auf seinen Spürsinn, der ihn noch nie enttäuscht hatte.
Entschlossen riss er die Tür auf. Die einzige Gestalt im Raum, die bis jetzt auf einem der Himmelbetten gesessen hatte, wirbelte herum und sprang auf.
Ginnys Augen weiteten sich, als sie das blasse, fein geschnittene Gesicht aus der Dunkelheit auftauchen sah, welches sie seit ihrem zweiten Schuljahr in ihren düstersten Alpträumen heimsuchte.
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