Tage später öffneten Hermine und ich unsere Briefe aus Hogwarts. Wir verglichen unsere Listen und wunderten uns darüber, dass wir beide das gleiche Buch für Verteidigung gegen die dunklen Künste kaufen sollten.
"Wenigstens haben sie einen Lehrer gefunden.", sagte ich zu ihr. "Fred und George haben gehört, dass Dumbledore es dieses Jahr ziemlich schwer hatte, einen zu finden."
"Ron glaubt, dass der Job verhext ist.", sagte Hermine. "Ich hab immer geglaubt, dass er nur einen Scherz macht, aber mittlerweile denke ich, dass er Recht hat." Sie zählte alle Lehrer auf, die sie seit ihrem ersten Jahr gehabt hatte und fügte hinzu, dass Quirrel sogar dabei gestorben war. "Lupin war der einzig gute, den wir hatten."
"Crouch war vielleicht ein Todesser, aber er hat uns viel beigebracht.", erinnerte ich sie. "Das einzige, was er richtig gemacht hat, war uns zu unterrichten."
Hermine fröstelte bei dem Gedanken. Sie nahm ihren Briefumschlag, um ihn wegzulegen und während sie ihn aufhob, fiel etwas Glänzendes aus Metall auf den Boden und blieb vor meinen Füßen liegen. Hermine und ich starrten es an.
Ist das ...?, dachte ich. Es musste es sein. Ich würde es überall wiedererkennen, seit Percy sein eigenes jede Stunde herausgeholt hatte, um es zu polieren. Ich beugte mich herunter und bewunderte das verzierte V über dem Löwen von Gryffindor. "Ich hab vergessen, dass ab der fünften Klasse Vertrauensschüler ausgesucht werden.", sagte ich und warf ihr das Abzeichen zu.
Hermine fing es auf und starrte es verwirrt an. Sie öffnete ihren Mund ein paar Mal, ohne etwas zu sagen.
"Ehrlich, Hermine, hast du wirklich gedacht, dass du es nicht bekommen würdest?"
Der Schrei begann leise, wurde aber immer lauter, als Hermine klar wurde, was das bedeutete. Kurz darauf war sie irgendwie zum Bett gesprungen und hielt das Abzeichen hoch, um es genau zu betrachten. "Ich kann es nicht glauben!", stieß sie hervor. "Ich wette ... dass Harry auch eins bekommen hat ... Oh, ich werde nachsehen gehen!" Sie rannte so schnell sie konnte aus dem Zimmer.
Ich verdrehte die Augen. Nur Hermine würde so aufgeregt sein, weil sie zur Vertrauensschülerin ernannt worden war ... okay, vielleicht noch Percy, aber ich hatte den Idioten aus meinem Wortschatz gestrichen und entschieden, dass er es nicht mehr verdiente, auch nur in meinen Gedanken aufzutauchen.
"Warum war sie so aufgeregt?", fragte mich Mum, als sie mein Zimmer betrat. Sie legte ein paar Kleidungsstücke auf mein Bett.
"Das letzte Mal, dass ich sie so aufgeregt erlebt habe, war, glaube ich, als sie gehört hat, dass es vielleicht eine Fortsetzung von Eine Geschichte von Hogwarts geben soll.", sagte ich. Mum schaute mich komisch an und ich lachte. "Sie wurde zur Vertrauensschülerin ernannt, Mum."
"Oh, wie aufregend!", erwiderte Mum breit lächelnd. "Durch die ganzen Vorgänge in der letzten Zeit habe ich völlig vergessen, dass die Vertrauensschüler ab dem fünften Jahr ernannt werden. Ich frage mich, ob Ron ..."
"Wirklich, Mum?", fragte ich und versuchte, nicht noch mehr zu lachen. "Hermine vermutet, dass Harry das andere Abzeichen bekommen hat.
Sie sah enttäuscht aus, verbarg das aber sehr schnell. "Die Bücherlisten sind also da?", fragte sie und nahm sich das Papier von meinem Bett. "Ich kann gleich nach dem Essen in die Winkelgasse gehen und alles einkaufen, was ihr Kinder braucht." Sie faltete die Briefe zusammen und nahm sie mit, als sie das Zimmer verließ.
"Dumbledore hat dich zum Vertrauensschüler ernannt?", fragte ich Ron am Nachmittag, während ich den Jungs dabei zusah, wie sie ihre Koffer packten. Ich warf Harry einen Blick zu, der seinen Socken viel mehr Aufmerksamkeit schenkte als üblich.
"Beim Merlin, jetzt kling doch nicht so überrascht.", sagte Ron und legte sein Abzeichen auf seinen Nachttisch.
"Ach komm schon, du weißt, was ich meine.", sagte ich spielerisch. "Die Gerüchte über Dumbledore müssen doch wahr sein. Er ist wirklich verrückt geworden, wenn er dir vertraut."
"Hau ab, Ginny", zischte er und warf ein Kissen nach mir.
Ich bewegte meinen Kopf lässig zur Seite und das Kissen flog an mir vorbei. Ich warf Harry einen weiteren Blick zu und sah, dass er immer noch seine Socken faltete. Irgendetwas stimmte nicht mit ihm und ich entschloss mich dazu, meine neu entdeckten Fähigkeit, mit ihm zu sprechen, auszuprobieren. Aber was sollte ich mit Ron machen? "Ron, hast du auch solchen Hunger wie ich?"
Ron hörte damit auf, seine Bücher in den Koffer zu stopfen. "Du kannst meine Gedanken lesen." Er rieb sich liebevoll den Bauch. "Ich könnte einen Snack vertragen. Was willst du haben, Ginny? Ich hol uns etwas aus der Küche."
Ich tat so, als würde ich überlegen. "Vergiss es, ich warte auf's Abendessen."
"Harry, willst du Schokolade haben?", fragte Ron.
"Hmm?", fragte Harry, der sich nicht umdrehte. "Ich weiß nicht, Ron." Da Harrys Aufmerksamkeit immer noch auf seine Socken gerichtet war, zuckte Ron mit den Schultern und verließ das Zimmer auf der Suche nach etwas Essbarem, das seinen Hunger stillen sollte.
Ich studierte Harry einen Augenblick. "Also entweder magst du deine Socken wirklich so sehr, Harry, oder dir spukt etwas im Kopf herum."
Harry ließ seine Socken in den Koffer fallen und drehte sich zu mir um. Wenn ich mich richtig erinnerte, dann war das das erste Mal seit der Kammer des Schreckens, dass wir zusammen alleine in einem Zimmer und beide bei Bewusstsein waren. Ich fühlte mich merkwürdigerweise sehr wohl und fragte mich, ob es ihm auch so ging. "Nichts spukt in meinem Kopf herum. Ich mach mir nur Sorgen ..." Er verstummte.
"Harry, wir machen uns alle Sorgen über Du-weißt-schon-wen.", sagte ich.
Er zuckte als Antwort mit den Schultern. Für den Bruchteil einer Sekunde schaute er das Abzeichen an, das Ron auf die Kommode gelegt hatte und ich wusste, was er dachte.
"Ich bin mir sicher, dass Dumbledore einen Grund dafür hat, dich nicht zum Vertrauensschüler zu ernennen.", sagte ich beiläufig und schaute sein Gesicht auf der Suche nach einer Reaktion an. Genau wie ich vermutet hatte, verzog es sich leicht. Ich hatte den Grund für seine Stimmung gefunden. "Wann hat Dumbledore dich zum letzten Mal im Stich gelassen?"
"Ähm", sagte er. Er wälzte etwas in seinem Kopf herum, so, als ob er überlegen würde, ob er mich einweihen sollte oder nicht. Ich konnte geduldig sein. Schließlich hatte ich Jahre darauf gewartet, so normal wie jetzt mit ihm sprechen zu können. Wenn er dazu bereit war, mit mir über die Dinge zu sprechen, die ihn beschäftigten, dann würde ich ihm zuhören.
"Ich seh schon, dass du alles lieber in dich hineinfrisst.", sagte ich.
Ich stand auf und verließ das Zimmer, wo ich mit Hermine zusammenstieß. Sie schaute mich neugierig an. "Fertig gepackt?", fragte ich sie und versuchte ihrem Blick auszuweichen.
Als wir außer Hörweite waren, fing sie an zu schimpfen. "Ich dachte, du bist über Harry hinweg."
"Bin ich auch.", erwiderte ich.
"Was hast du dann alleine mit ihm gemacht?", fragte Hermine. "Ich bezweifle, dass Michael denken wird, dass das harmlos war."
"Es war harmlos.", versicherte ich ihr. Ich wusste, dass sie sich nur Sorgen um mich machte, aber das musste sie nicht. "Du warst zu beschäftigt um zu bemerken, dass Harry sich nicht besonders darüber gefreut hat, dass er kein Vertrauensschüler geworden ist. Ich wollte nur sichergehen, dass es ihm gut geht. Ich habe nicht versucht, ihn zu verführen."
Hermine schaute skeptisch aus. "Du hast jetzt einen Freund, Ginny ..." Und ich hörte auf, ihr zuzuhören. Ich war vielleicht vergeben, aber das bedeutete nicht, dass ich nicht freundlich zu Harry sein konnte und auch nicht, dass ich ihn nicht aufmuntern durfte.
"Hallo, Mädels.", begrüßte Tonks uns, als wir in die Küche kamen. Ich war froh, sie zu sehen. Seit sie hier am Grimmauld Platz war, hatten Hermine und ich sie näher kennen gelernt. Sie war bis tief in die Nacht mit uns aufgeblieben und hatte über alles gesprochen, was wir wollten. Die einzigen Themen, die verboten waren, waren die Angelegenheiten des Ordens und meine Schwärmerei für Harry.
Ron hatte sich ein paar Schokofrösche geschnappt und das Zimmer wortlos wieder verlassen.
"Irgendwas Neues?", fragte Tonks. "Ihr solltet schon ganz aufgeregt sein. Die Schule fängt bald an."
"Hermine bezichtigt mich des Ehebruchs", sagte ich und grinste meine Freundin an, um ihr zu zeigen, dass ich es ihr nicht übel nahm.
Tonks legte den Kopf schief und schaute uns fragend an. Hermine schnaubte genervt. "Ginny steht auf Harry, Tonks.", fing sie an.
"Ich stand auf Harry.", unterbrach ich sie.
"... und jetzt ist sie mit Michael zusammen." Hermine schaute erst mich an und dann wieder Tonks. "Sie versucht immer noch, Harry auf sich aufmerksam zu machen ..."
"Ich versuche ihn auf freundschaftliche Weise auf mich aufmerksam zu machen ..."
"... Und ich glaube nicht, dass sie versuchen sollte, ihn zu verführen, wenn sie einen Freund hat ..."
"HEY! Kann ich ihn nicht verführen, so wie ein Freund das tun würde?"
Tonks lachte, aber ich wurde sauer auf Hermine. Ich versuchte hier mein bestes, um über Harry hinweg zu kommen, aber durch die ständigen Erinnerungen wurde es zunehmend schwieriger.
"Also du stehst auf Harry?", fragte Tonks. Wir hatten sehr viel über Michael gesprochen und ich hatte versucht, die Unterhaltungen so weit wie möglich von Harry und meiner unerwiderten Liebe fernzuhalten.
"Nein", log ich.
Hermine schaute mich wissend an. Wenn ich genug Leute überzeugte, dann konnte ich mich vielleicht auch selber überzeugen. Hermine nickte. Ich schlug ihr auf den Arm. Wie konnte ich mein Ziel mit dieser Einstellung erreichen?
Seufzend nickte ich halbherzig. "Vielleicht ... aber nur ganz wenig ... ich versuche aber, es nicht zu tun ... weil Michael ..."
"Ich verstehe", sagte Tonks. Sie umarmte uns beide und verließ das Zimmer, sodass Hermine und ich alleine waren.
Ich sah sie genervt an. "Falls ich jemals über Harry hinwegkommen sollte, dann musst du aufhören, den Leuten zu sagen, dass ich auf ihn stehe.", sagte ich zu ihr.
"Versuchst du mir zu erklären, dass du nicht mit Michael Schluss machen würdest, wenn ...?"
Ich legte meine Hand über ihren Mund, um sie ruhig zu stellen. Hatte sie wirklich so wenig Vertrauen in mich? "Wag es ja nicht, das auch nur zu sagen!", zischte ich ihr zu. "Ich bin Michaels Freundin. Falls Harry lange genug aufhören würde, zu blind zu sein, um mich zu bemerken, dann würde ich ihm sagen, dass es zu spät ist."
Hermine schaute mich zweifelnd an. "Wenn es das ist, was du willst ..."
"Das ist es."
"Dann können wir so tun, als ob du über Harry hinweg bist."
"Ich bin über Harry hinweg.", knurrte ich. Ich drehte mich um und warf meine Haare über die Schulter. Ich stürmte zur Tür und schlug meine Faust dagegen. Sie schwang auf. Mrs Black fing damit an, mich anzuschreien, als ich die Treppen nach oben stürmte.
Ich fiel auf mein Bett und schlug dreimal auf mein Kissen ein. Ich hasste es, wenn ich wütend auf sie war, besonders weil wir in der letzten Zeit so gut miteinander ausgekommen waren. Ich seufzte laut und starrte auf die Decke.
Hermine kam ein paar Minuten später rein. Sie ging langsam zu meinem Bett, setzte sich neben mich und sagte: "Es tut mir Leid, Ginny."
Ich murmelte etwas, das sie nicht hören konnte und das ich nicht wiederholen wollte.
"Ich vertraue dir", sagte sie und legte mir eine Hand auf die Schulter. "Ab jetzt bist du über Harry hinweg."
Ich nahm ihre Entschuldigung an und umarmte meine beste Freundin.
TBC...
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Wie genau ich auf das Denkarium, eine Verbindung von "denken" und "Aquarium" gekommen bin, lässt sich schwer rekonstruieren, das geschieht nur zum Teil bewusst, manchmal muss man drüber schlafen. Aber in diesem Fall bin ich mit dem Ergebnis zufrieden.