von Marisol
Zu behaupten, dass Severus nach Hermines Zauber, bei dem sie ihn in ihre innersten Gedanken und Gefühle hatte blicken lassen, ein herzlicher und aufgeschlossener Mensch wurde, der eine positive Lebenseinstellung ausstrahlte, wäre nicht nur übertrieben, sondern eine glatte Lüge gewesen.
Sein beißender Sarkasmus, seine Schroffheit und die Art, andere durch seine bloße Anwesenheit einzuschüchtern, ließ sich so wenig ändern wie etwa seine Schuhgröße.
Er blieb ein ungeselliger, verschlossener Mann, aber dennoch ließ sich nicht leugnen, dass Veränderungen mit ihm vorgingen, die nur Menschen wahrnehmen konnten, die ihn lange kannten.
Er war bemüht, Einladungen der Potters häufiger als zuvor anzunehmen, und wenn er sie ablehnte, dann nannte er ihnen manchmal sogar den Grund dafür. Hermine erkannte, dass das sein Versuch war, seine einzigen sozialen Kontakte nicht vor den Kopf zu stoßen, und sie konnte nicht umhin zu hoffen, dass er eines Tages bereits sein würde zu akzeptieren, dass er ihnen allen tatsächlich etwas bedeutete. Besonders ihr.
Am offensichtlichsten war eine Änderung zu spüren, wenn er mit seinem Patenkind zusammen war. Albus war, anders als sein älterer Bruder, ein stiller, zurückhaltender Junge, der lieber Bilderbücher anschaute als stundenlang zu toben. Doch wenn Severus auftauchte, ließ er alles stehen und liegen, um sich von ihm hochheben zu lassen und mit ihm im Garten zu spielen. Severus musste klar sein, dass ihm seine Zuneigung zu dem Kind deutlich anzumerken war, doch anders als in all den Monaten zuvor bemühte er sich nicht mehr so sehr, sie hinter einer Maske zu verbergen. Nirgends sah man ihn häufiger lächeln, als wenn er Zeit mit seinem Patensohn verbrachte.
„Er sieht zu dir auf“, sagte Hermine eines Sonntag Nachmittags zu ihm, als sie sich zu den beiden in den Garten der Potters gesellte. Sie trug Lily auf dem Arm, die mit weit aufgerissenen Kulleraugen dem bunten Ball nachschaute, den Severus mit erhobenem Zauberstab durch die Luft sausen ließ.
„Was meinst du?“, fragte er abwesend.
„Ich beobachte ihn manchmal, wenn er mit dir zusammen ist. Neulich hab ich gesehen, wie er versuchte, deinen Gang nachzuahmen und wie er, genau wie du, die Hände hinter dem Rücken verschränkt hielt. Er sieht zu dir auf“, wiederholte sie noch einmal leise.
Nachdenklich schaute Severus Al hinterher, der immer wieder in die Luft hopste, um den Ball zu erwischen.
„Wenn er bloß wüsste, wen er da bewundert“, murmelte er, und für einen kaum wahrnehmbaren Moment huschte ein beschämter Ausdruck über sein blasses Gesicht.
„Hör auf damit, Severus“, bat sie ruhig.
Stumm sahen sie sich an und auch wenn sein Gesicht nun nichts preisgab, wusste sie, dass er an den Sensum mitto Zauber dachte und daran, wie sie ihn gebeten hatte, seine Vergangenheit endlich ruhen zu lassen und sich selbst zu verzeihen. Sie hatte ihm versprochen, dass sie ihm dabei helfen würde, und das tat sie, wann immer sie das Gefühl hatte, dass er seinem Selbsthass erlaubte, die Oberhand über ihn zu gewinnen. So wie jetzt.
Er schaute wieder zu Albus, dem es endlich gelang, den Ball zu fangen und der triumphierend auf seinen Paten zulief.
Severus' Blick wurde weicher, als er ihn beobachtete.
Hermine seufzte leise, als sie Lily auf ihren anderen Arm verlagerte und ihr einen Kuss auf das weiche Haar drückte. „Dieser Mann ist unmöglich, das siehst du doch auch so, oder?“, flüsterte sie und schmiegte ihr Gesicht an das ihrer Patentochter.
Sie hatte nicht erwartet, dass es einfach werden würde oder dass er für drei Schritte nach vorne nicht mindestens einen zurück machen würde.
Und trotzdem... Severus mochte wie ein jahrzehntelang zugefrorener See sein. Die Eisdecke, die er über seine Seele gelegt hatte, war dicht und stabil.
Aber selbst das härteste Eis war machtlos gegen beständig wärmende Sonnenstrahlen, die auf seine Oberfläche gerichtet waren.
Und der kleine Albus, dachte sie, als sie dabei zusah, wie er Severus die Arme entgegenstreckte, hatte mit seiner kindlichen Liebe, die nichts hinterfragte und nichts an seinem Paten verurteilte, bereits das ein oder andere Loch in das Eis gestoßen.
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Manchmal kam ihr flüchtig der Gedanke, dass es nicht schaden konnte, wenn sie sich ab und zu mit jemandem verabreden würde.
Die Wochen vergingen, und obwohl Severus sie respektvoll behandelte und es den Anschein hatte, dass er ihre Gesellschaft genoss, tat er nichts, was ihr das Gefühl gegeben hätte, dass er mehr als Freundschaft für sie übrig hatte.
Sie hatte sich verboten, traurig oder enttäuscht oder verzweifelt deswegen zu sein, aber dennoch zwickte und drückte es, wie ein Schuh, der immer wieder an der selben wunden Stelle scheuerte und den sie dennoch immer wieder anzog.
Darauf zu warten, dass Severus ihr durch irgendetwas zu verstehen gab, dass er ihre Gefühle erwiderte, war so, als würde man versuchen, Nebel mit bloßen Händen zu fassen.
Und doch tat sie genau das.
Es schien sinnlos und dumm zu sein, aber genauso würde sie sich vorkommen, wenn sie mit einem Mann ausging, der ihr nichts bedeutete.
Es war nicht so, dass es ihr an Möglichkeiten mangelte, sich zu verabreden, aber allein der Gedanke, mit jemandem auszugehen und das Spielchen des Neu-Kennenlernens zu spielen, ermüdete sie.
Wie so oft wanderten ihre Gedanken zu Severus.. Sie hatte gelegentlich erlebt, wie er in ihrer oder Harrys und Ginnys Gegenwart aufzutauen begann, so als wäre er aus einem langen Alptraum erwacht, der ihn all die Jahre zuvor gefangen gehalten hatte.
Ganz allmählich schien es in sein Bewusstsein durchzusickern, dass er den eisernen Griff um seine Vergangenheit lösen musste, wenn er ein annähernd normales Leben führen wollte.
Er tat es langsam, fast widerwillig.
Alte Gewohnheiten ließen sich nur schwer ablegen, und ihr wurde klar, dass es ihn manchmal einfach überforderte und er sich wieder in seinem Haus verkroch.
In solchen Momenten ließ er wieder tagelang nichts von sich hören, aber dann suchte er wieder von sich aus den Kontakt zu ihnen.
Sie hinderte ihn nie daran, wenn er sich abschottete. Einerseits, weil ihr bewusst war, dass sich ein gelegentliches Zurückziehen einfach nicht vermeiden ließ, und andererseits, weil es nicht ihre Aufgabe war, sich als seine Therapeutin aufzuspielen.
Sie konnte ihn unterstützen und ihm helfen, wenn er sie darum bat, sie konnte ihn ermutigen, sich nicht selbst aufzugeben.
Aber die Entscheidung, sich selbst zu verzeihen, konnte sie ihm nicht abnehmen.
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„Und das Spielchen geht wieder von vorne los“, sagte Harry, während er Zucker in seinen Tee gab und frustriert umrührte.
„Hmm?“, machte Hermine.
Sie und Harry saßen in ihrem Wohnzimmer und warteten auf Ron, der beiden von ihnen eine Eule geschickt und ein Treffen vorgeschlagen hatte. Hermine hatte die leise Vermutung, dass er ihnen erzählen wollte, dass er bald heiraten würde, und zu ihrer Erleichterung stellte sie fest, dass sie sich in diesem Fall für ihn freuen würde.
„Severus“, sagte Harry düster. „Er verkriecht sich wieder irgendwo. Reagiert nicht auf Eulen und kommt auch nicht vorbei.“
Hermine brauchte einen Moment, ehe sie antworten konnte.
„Und ich hatte gedacht, er hätte endlich angefangen zu leben“, murmelte sie leise.
Sie fühlte sich seltsam kraftlos bei dem Gedanken, dass all die Fortschritte, die sie bei ihm zu sehen geglaubt hatte, sich scheinbar in nichts aufgelöst hatten.
„Ich auch“, antwortete Harry. „Manchmal hab ich einfach keine Lust mehr, Hermine. Wenn's nicht um Al ginge... er hängt so an ihm. Aber was mich betrifft, denke ich manchmal: Zum Teufel mit ihm. Ich würde ihn am liebsten sich selbst überlassen. Soll er doch weiter in seinem Selbstmitleid schmoren!“
Sie nickte wortlos. Ihr erster Impuls war, zu seinem Haus zu Apparieren, aber sie verbot sich den Gedanken daran, sobald er in ihrem Kopf Gestalt annahm.
Ohne Harry anzuschauen, nahm sie einen Schluck von ihrem Tee.
Sie konnte einfach nicht mehr. Ganz egal, was jetzt noch passieren würde, sie würde nicht zu ihm fahren und eine Erklärung verlangen.
Severus war ein erwachsener Mann, der bewusste Entscheidungen traf, und wenn er sich dafür entschieden hatte, sich von allem und jedem abzuschotten, würde sie ihn nicht davon abhalten.
Nicht jetzt, nachdem sie vor ihm ihr Innerstes nach Außen gekehrt hatte.
Diese Gedanken hätte sie traurig und wütend machen sollen, doch sie fühlte nichts als eine tiefe Leere, so als wäre sie an der größten Herausforderung ihres Lebens gescheitert, obwohl sie alles und noch mehr gegeben hatte.
Dieses Gefühl setzte sich auch dann fort, als Ron wenig später erschien und sich ihre Vermutung, dass er bald heiraten würde, bestätigte.
Sie nahm ihn fest in die Arme und verbarg das Gesicht an seiner Schulter, wobei es ihr auch nichts ausmachte, dass er ihre Tränen mit Sicherheit falsch interpretieren würde.
SsSsSsS
Fünf Tage nach Rons Besuch, als sie in ihrem Apartment saß und sich durch Akten arbeitete, was sie eigentlich bei der Arbeit hätte erledigen sollen, hörte sie das leise Kratzen eines Schnabels am Fensterglas.
Ein Waldkauz flatterte vor ihrem Fenster und sie sprang hastig auf, um es zu öffnen und den Brief entgegen zu nehmen, der mit einer feinen, schrägen Schrift an sie adressiert war.
Ihr Herz hämmerte wie wild, als sie sie erkannte.
Mit zitternden Fingern riss sie den Briefumschlag auf.
„Wenn du heute Abend Zeit erübrigen kannst, komm zu meinem Haus in Spinner's End.
S.“
SsSsSsS
Ihr Kopf war wie leergefegt, als sie in seinem Garten Apparierte und mit langsamen Schritten auf ihn zuging.
Er stand neben einem aufgetürmten Stapel, der hauptsächlich aus Büchern bestand, und drehte sich zu ihr um, als er das laute 'Plopp' hörte.
„Severus“, brachte sie hervor, „was...?“
„Ich ziehe fort von hier“, sagte er ruhig.
Die Worte, obwohl sie nicht laut gesprochen worden waren, klingelten plötzlich schmerzhaft wie die Klänge einer Sirene in ihren Ohren.
„Du... ziehst fort?“
Sie wiederholte die Worte, und es verwirrte sie, wie sie in dieser Reihenfolge klangen.
Er nickte, wobei ein kleines Lächeln seine Lippen umspielte.
„Du willst dein Zuhause verlassen?“, flüsterte sie.
„Es war nie ein Zuhause“, gab er zurück. „Weder in meiner Kindheit noch jetzt. Alles, was ich mit diesem Haus verbinde, ist Dunkelheit und Kälte. Und ich habe mich selbst bestraft, indem ich hier blieb.“
„Aber wohin gehst du?“, fragte sie, noch ehe sie sicher sein konnte, dass sie die Antwort wirklich hören wollte.
Jetzt lächelte er wieder, und das Verziehen seiner Mundwinkel war wie ein Schlag in ihr Gesicht.
„Ich habe in den letzten Wochen nach etwas passendem für mich gesucht, und ich glaube, dass ich etwas gefunden habe, was meinen Erwartungen entspricht. Das Haus ist weder besonders groß noch das, was man als schön bezeichnen würde. Aber es hat alles, was ich brauche, inklusive einen Keller, den ich für die Zubereitung meiner Tränke nutzen kann. Es ist südlich von London.“
Hermine konnte nichts weiter tun, als von ihm zu den Sachen, die er offenbar aussortiert hatte, zu schauen und zu hoffen, dass ihr Gehirn, das sonst so zuverlässig war, diese Informationen endlich verarbeiten würde.
„Ich dachte, du würdest es gern wissen wollen“, sagte er, als sie noch immer keinen Ton von sich gab.
Seine schwarzen Augen bohrten sich in ihre und unwillkürlich kam sie einen Schritt näher.
„Niemand außer dir weiß zu diesem Zeitpunkt davon.“
„Ich... weiß nicht, was ich sagen soll“, flüsterte sie.
„Ich hab gedacht...“
„Dass ich mich wieder zurückziehe“, vollendete er ihren Satz.
Sie nickte.
„Manchmal kommt mir das auch einfacher vor“, gab er leise zu. „Aber Albus verdient einen Paten, der mehr ist als nur ein Schatten seiner selbst. Er wird schnell größer und klüger und bald wird er sich fragen, warum ich wie eine Ratte im Dreck lebe. Und warum ich so bin, wie ich bin. Ich habe ihm gegenüber eine Verantwortung. Und...“
Er brach ab und Hermine erkannte, dass er noch etwas anderes hatte sagen wollen, zu dem er sich im letzten Moment aber doch nicht durchringen konnte.
Die Panik, die sie vorhin noch verspürt hatte, machte einem flatternden Gefühl in ihrem I
Inneren Platz.
„Und werden wir dein neues Haus auch bald zu Gesicht bekommen?“, fragte sie.
Er rollte mit den Augen.
„Selbstverständlich nicht. Ich habe dir nur davon erzählt, weil ich vorhabe, es in einen Bunker zu verwandeln, zu dem außer mir niemand Zutritt hat.“
Sie konnte nicht anders als zu kichern. Es kam ihr albern und mädchenhaft vor, aber sie konnte sich einfach nicht zurückhalten.
Ihr Blick fiel auf seine Sachen, die sich nun wie von selbst zu einem riesigen Paket zu verschnüren begannen.
Sie hörte Severus etwas murmeln und im selben Moment schnappte sie erschrocken nach Luft, als das Haus hinter ihnen in Flammen aufging.
Er packte ihren Ellenbogen und zog sie ein paar Meter mit sich, so dass sie der Hitze der Flammen nicht mehr unmittelbar ausgesetzt waren.
„Danke dass du gekommen bist“, sagte er.
„Jederzeit“, gab sie atemlos zurück.
„Ich werde jetzt gehen, aber wir hören bald voneinander.“
Sie wusste nicht, ob es bloß an den sich spiegelnden Flammen in seinen Augen lag, aber etwas in ihnen schien zu flackern.
Und sie schluckte schwer als ihr klar wurde, dass es der Flügelschlag von neuem Leben war.
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