von Marisol
A/N:
Nach zahllosen Besuchen bei diversen Ärzten hat sich nun herausgestellt, dass meine Mutter Herzrythmusstörungen hat. Dies hört sich schlimm an, aber die Ärzte haben uns versichert, dass das mit den richtigen Medikamenten gut zu behandeln ist. Sie fühlt sich auch schon viel besser, so dass ich jetzt einigermaßen aufatmen kann. Ich danke euch allen für die aufmunternden Worte und die lieben Grüße.
Es musste Jahre her sein, dass Hermine von diesem Zauber, den sie anwenden wollte, gelesen hatte, und die Tatsache, dass sie ihn noch nie ausprobiert hatte, hätte ihr eigentlich Angst machen sollen, tat es aber aus irgendeinem Grund nicht.
Mit der plötzlichen Gewiss, dass dies die einzige ihr verbliebene Möglichkeit war, Severus zu zeigen, in was für einem Licht sie ihn sah, holte sie ihren Zauberstab hervor und atmete tief ein und aus.
Sie verließ sich auf ihr Gedächtnis, das sie in schwierigen Situationen noch nie im Stich gelassen hatte, konzentrierte sich, richtete den Zauberstab schließlich auf ihre Brust und sagte, ohne den Blick von Severus abzuwenden: „Sensum mitto!“
In den nächsten Minuten spürte sie, wie etwas Seltsames mit ihr geschah. Es war, als würde sie allmählich die äußere Welt, die aus Denken und Vernunft gemacht war, verlassen, um in eine innere einzutauchen, die lediglich aus Gefühlen und Empfindungen bestand.
Aus ihrer Brust schlängelte sich, zunächst kaum sichtbar, ein goldener Faden, der sich an ihrer Zauberstabspitze zu einem Ball zusammenrollte und vibrierend anschwoll, bis er ungefähr die Größe eines Fußballs erreicht hatte.
Während der Zeit, die sie benötigt hatte, um den Zauber zu vollführen, hatte Severus sie mit weit aufgerissenen Augen angestarrt, so als könnte er nicht fassen, dass sie das tatsächlich tat.
Es war einer jener seltenen Momente, in denen er nicht fähig war, seine Gedanken und Gefühle hinter einer undurchdringlichen Maske zu verstecken, und obwohl Hermine ihn bereits einige Male die Fassung hatte verlieren sehen, war es das erste Mal, dass sie in seinen Zügen etwas sah, das sie noch nie zuvor an ihm erlebt hatte: Schock.
Als kein goldener Faden mehr ihre Brust verließ, richtete Hermine ihren Zauberstab langsam auf Severus und sah zu, wie der golden schimmernde Ball durch seinen Umhang hindurch in seinen Brustkorb eindrang.
Sie verspürte keine Angst bei dem Gedanken daran, was der Zauber bewirkte, obwohl ihr klar war, dass sie sich ihm hierbei völlig auslieferte. Sie offenbarte ihm ihre innersten Gefühle für ihn und mehr noch: der Zauber sorgte dafür, dass er sie in genau der gleichen Weise fühlte, wie sie es tat.
Anders als bei der Legilimentik, bei der man in die Gedanken eines anderen eindringen konnte, bewirkte der Sensum Mitto-Zauber, dass die Person, der man seine Gefühle übermittelte, die gleiche Intensität der Innenwelt spürte... und zwar in der Reihenfolge, in der sich die Gefühle aufgebaut hatten. Alles, was mit den Emotionen verbunden war, alle Ängste, Hoffnungen und Wünsche, wurden widergespiegelt.
Sie schaute auf in Severus' Gesicht und sah, dass er auf seine Brust hinabstarrte.
Der Ball war nun vollständig in ihn eingedrungen und im nächsten Moment schloss er mit einem beinahe gequälten Gesichtsausdruck die Augen.
Hermine wusste, was er nun fühlte... es waren ja schließlich ihre Empfindungen für ihn, die sich nun in seinem Herzen sammelten.
Es begann mit einem tief empfundenen Gefühl der Furcht, das sie damals als Elfjährige gespürt hatte, als sie ihm in seinen dunklen Kerkern zum ersten Mal begegnet war. Furcht wurde abgelöst von Respekt, welcher wiederum durch Vertrauen ergänzt wurde, genährt durch die Tatsache, dass Albus Dumbledore ihm vertraut hatte. Furcht, Respekt, Vertrauen.... diese drei Gefühle wirbelten durcheinander, und kaum merklich schlichen sich Anerkennung und Bewunderung ein. Sie hatte ihn für seinen Mut und seine Entschlossenheit bewundert, sein eigenes Leben zu riskieren, als sie erfahren hatte, welche Rolle er im Krieg gespielt hatte.
Aus Bewunderung wurde Entsetzen und Mitgefühl, nachdem sie sich vor Augen geführt hatte, wie und vor allem unter welchen Umständen Voldemort ihn vermeintlich hatte töten lassen. Aus Mitgefühl wurde Trauer bei dem Gedanken daran, wie er leblos in der Heulenden Hütte lag... der unerkannte Held, von dessen Mut niemand Zeuge werden würde außer Harry, Ron und ihr.
Hermine zuckte zusammen, als sie beobachtete, wie Severus' Gesicht aschfahl wurde.
Sie ahnte, dass die Komplexität dessen, was er nun fühlte, wahrscheinlich zu viel für ihn war, aber war der Zauber erst einmal ausgesprochen, ließ er sich nicht abbrechen oder beenden.
Ein neues Gefühl kam hinzu, nachdem er zugestimmt hatte, Albus Severus' Pate zu werden. Es war Wertschätzung und Freude darüber, dass Harry ihm seinen Respekt zollte, nicht nur für das, was er für die gesamte Zauberergemeinschaft getan hatte, sondern auch vor allem für Harry selbst.
Aus Freude wurde der Wunsch, dass er sie und ihre Leistungen anerkannte, dass er sah und schätzte, wie hart sie arbeitete, um in ihrem Berufsleben weiterzukommen.
Von dem Bedürfnis, von ihm respektiert zu werden, schlich sich ein Gefühl des Mitleids ein, als ihr klar wurde, dass er einsam und verbittert war, sich selbst hasste und wie ein Gespenst durchs Leben schlich, unfähig, sich selbst Freude zu gönnen oder die Vergangenheit ruhen zu lassen.
Aus Mitleid wurde das drängende Gefühl, ihn vor sich selbst beschützen zu wollen, alles, was ihn quälte, seine inneren Dämonen von ihm abschütteln zu wollen. Sie wünschte sich, dass es in ihrer Macht lag, das Dunkle, das ihn umgab, fortzuwischen, um ein kleines, strahlendes Licht in sein Leben eindringen zu lassen, um es zu erhellen.
Sein Gesicht war verzerrt von dem Schmerz, den er fühlte, und das, obwohl er die wirklich intensiven Gefühle, wie Hermine nur zu gut wusste, noch gar nicht erlebt hatte.
Wann hatte sie aufgehört, in ihm den Lehrer zu sehen und statt dessen den Mann? Sie wusste es selber nicht, und das Gefühl dafür war diffus und unzusammenhängend. Es musste ein schleichender Prozess gewesen sein, bei dem ihr nach und nach aufgefallen war, dass sie seine scharfen, zynischen Kommentare, die sie als Schülerin gefürchtet hatte, allmählich anziehend fand, ebenso wie die geschmeidige Art, mit der er sich bewegte... seine langen, geschickten Finger, die schwarzen Augen, die so tief wie Bergseen waren.
Sie kämpfe dagegen an, weil sie einerseits wusste, dass es unmöglich war, und andererseits fürchtete sie sich vor seiner Reaktion, aber je mehr Zeit verging, desto weniger konnte sie leugnen, dass sie in ihn verliebt war. Es musste passiert sein, nachdem sie miterlebt hatte, wie er alles, was in seiner Macht stand, mobilisiert hatte, um seinen Patensohn zu retten. Sie war verliebt in ihn...Und etwas dagegen unternehmen zu wollen war so, als würde man den Mond überreden wollen, nachts nicht aufzugehen.
Noch immer hielt Severus seine Augen fest geschlossen, aber seine linke Hand, die bis eben noch zu einer Faust geballt war, hatte er erhoben und sie an seine Brust gepresst.
Die Gefühle, die ihre erste und bislang einzige gemeinsame Nacht hervorgebracht hatte, waren eine Mischung aus Zärtlichkeit, Verlangen und unbändiger Freude. Wie jede Frau hatte auch sie Träume, und auch in ihren spielte die Sehnsucht, zu jemandem zu gehören, eine wichtige Rolle. Für sie war dieser Traum bis zu jenem Moment real gewesen, in dem er ihr unmissverständlich klargemacht hatte, was sie von ihm zu erwarten hatte- nämlich nichts. Was darauf folgte, war ein stechendes Gefühl von Verzweiflung, Scham und Enttäuschung. Es verbrannte sie von innen heraus, versengte Teile ihres Herzens und ihrer Seele... bis sie durch Ginnys Eingreifen erkannte, dass er sie von sich gestoßen hatte, um sich selbst zu schützen.
Ab diesem Moment fiel es ihr leichter, die Komplexität seines Wesens zu erkennen, obwohl ihr klar war, dass sie ihn niemals vollständig verstehen würde. Er war ein gebrochener Mann, der zu lange schon auf die elementarsten Dinge im Leben hatte verzichten müssen, wie zum Beispiel auf Freunde, die sich für ihn aufopfern würden, auf Menschen, in deren Gegenwart er keine Rolle spielen musste... und auf Liebe.
Sie, und sie erkannte es mit der Gewissheit, mit der sie atmete, liebte ihn. Und es war ein langer schmerzvoller Prozess gewesen, bis ihr klar geworden war, was die Essenz dieser Liebe war. Sie bestand nicht darin, dass sie von ihm erwartete, in gleicher Weise wiedergeliebt zu werden. Sie hatte diese Form der Liebe noch nie zuvor erlebt, weil sie, anders als bei Ron, keine Erwartungen an ihn hatte, sondern ihn um seinetwillen liebte, so wie er war, mit all seinen Fehlern und Schwächen. Für sie zählte, dass er aus seinem sinn-und trostlosen Dasein herausbrach und einen Weg fand, um sich selbst zu verzeihen- selbst wenn das bedeutete, dass sie ihm lediglich als Freund, nicht jedoch als Partnerin zur Verfügung stand.
Seine Schultern sackten nach unten, so als hätte ihn das letzte bisschen Kraft, das ihm geblieben war, verlassen.
Hermine wusste es nicht aus Erfahrung, aber sie konnte sich ziemlich gut vorstellen, dass es ein unglaublich erschöpfender Prozess war, die fremden Gefühle einer anderen Person zu erleben.
Langsam ließ sie ihren Zauberstab sinken.
Ihre Stimme zitterte, als sie flüsterte: „Ich wusste nicht, wie ich dir sonst begreiflich machen kann, was ich in dir sehe- und warum.“
Für einen sehr langen Moment schwieg er, und als er die Augen öffnete, erkannte sie zu ihrem Entsetzen, dass Tränen darin funkelten.
Eine davon rann seine bleiche Wange herab, und der Anblick tat ihr weh, ließ ihr Herz sich verkrampfen.
„Warum hast du das getan?“, sagte er leise.
Seine Stimme klang schwach und gepresst, als wäre sie dünnes Eis, das jederzeit brechen konnte.
„Weil ich musste“, erwiderte sie.
Eine weitere Träne lief seine lange Hakennase hinab und tropfte auf seinen Umhang. Sie wusste, dass er keine Kraft hatte, um sie fortzuwischen und dass er unter anderen Umständen niemals zugelassen hätte, dass sie Zeugin seiner Tränen werden würde.
„Severus“, flüsterte sie, „nun weißt du alles. Ich erwarte und verlange nichts von dir, im Gegenteil. Das einzige, was ich möchte, ist, dass du ein neues Kapitel aufschlägst und die Vergangenheit ruhen lässt. Dass du glücklich wirst. Du hast lange genug für deine Schuld gebüßt.“
„Ich weiß nicht, ob ich das kann.“
Seine Stimme war so leise, dass sie sie kaum verstand. Er drehte seinen Kopf hin und her, schaute sich überall um, sah sie jedoch nicht an.
„Doch, natürlich kannst du!“, sagte sie eindringlich.
Sie ging auf ihn zu, packte ihn vorne am Umhang und fing an, ihn zu schütteln.
„Du musst sogar, verstehst du? Es macht dich kaputt, und es zieht dich immer tiefer in den Abgrund. Aber ich lasse das nicht zu, hörst du? Ich werde nicht tatenlos daneben stehen und zusehen, wie du immer mehr eine tote und leblose Hülle wirst. Du hast gefühlt, was ich für dich fühle... du bist jemandem so wichtig, dass diesem jemand dein Glück wichtiger ist als sein eigenes! Und ich bin nicht die einzige, der du wichtig bist, Severus... dein Patenkind liebt dich ohne Vorbehalte, ohne Einschränkung. Al sieht ihn dir den Mann, der sich liebevoll mit ihm beschäftigt und sich um ihn kümmert. Er ist zu klein, um einige Dinge zu verstehen. Er ist nur ein Kind, aber Kinder haben ein instinktives Gefühl dafür, wem sie vertrauen können und wer ein guter Mensch ist. Bitte, Severus!“
Sie ließ seinen Umhang los und umfasste sein eingefallenes Gesicht.
„Bitte hör auf, dir selbst wehzutun“, brachte sie mühsam heraus.
Er schüttelte ihre Hände nicht ab, und nach einer Ewigkeit hörte sie ihn sagen: „Hilf mir...bitte.“
Sie schluckte hart, blinzelte, um ihre Tränen zurückzuhalten und zog ihn an sich.
Er ließ es geschehen, und sie musste daran denken, dass er noch nie im Leben jemanden gehabt hatte, der für sein Leben nur das beste gewollt hatte. Niemanden, den es gekümmert hatte, wie es in ihm aussah oder was fühlte... niemanden, der ihm eine helfende Hand bot, um ihm auf den Weg zurück zu helfen, den er vor so langer Zeit verloren hatte.
„Ich werde dir helfen“, versprach sie mit fester Stimme.
Sie löste sich ein wenig von ihm, um ihm ins Gesicht schauen zu können.
In seinen Augen standen Angst und Erschöpfung und Traurigkeit... aber auch Hoffnung.
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