von Marisol
Lustlos las Hermine in den Akten, die auf ihrem Schreibtisch aufgetürmt waren und machte sich hier und da Notizen, ohne zu wissen, was sie da im Grunde genommen aufschrieb. Sie war sich sehr wohl der neugierigen Blicke ihrer Kollegen bewusst, die sie verstohlen musterten, und obwohl es sie störte, dass sie so aufmerksam beobachtet wurde, war sie dankbar, dass niemand sie mit Fragen löcherte.
Es war drei Tage her, seit sie wieder angefangen hatte zu arbeiten, und jeder hatte ihr nach einem kurzen Blick in ihr Gesicht sofort abgenommen, dass sie in den letzten Tagen krank gewesen war und sich immer noch nicht wohl fühlte. Sie brauchte nicht in den Spiegel zu sehen um zu wissen, dass sie furchtbar aussah, aber das Gespräch mit Ginny hatte ihr geholfen, ihr Selbstmitleid ein wenig in den Hintergrund zu schieben, das Kinn nach vorne zu recken und so gut es ging weiter zu machen.
Als ob der kurze Gedanke an Ginny irgendeinen geheimnisvollen Zauber heraufbeschworen hatte, klopfte es plötzlich an der Tür und die junge rothaarige Frau stand im Raum und sagte einige entschuldigende Worte zu Hermines Kollegen, die über ihr Auftauchen mindestens so überrascht waren wie diese selbst.
Ginny erklärte, dass sie nicht lange stören wolle und tauschte mit den Anwesenden noch einige freundliche Worte, ehe sie Hermines Schreibtisch ansteuerte.
„Du siehst aus, als hättest du ein Gespenst gesehen“, lachte sie und lehnte sich an den völlig überfüllten Tisch, der bei dem zusätzlichen Gewicht bedenklich zu schwanken begann.
„Oh, ich hatte nur gerade an dich gedacht, und dann kamst du auch schon reingeschneit“, erklärte Hermine ihren verblüfften Gesichtsausdruck und erwiderte das Lächeln ihrer Freundin.
„Ich war gerade in der Gegend und hab mich gefragt, ob du nicht etwas Zeit hättest für mich...“
Sie setzte ein alarmierend unschuldiges Gesicht auf und Hermine, die sie lange und gut genug kannte, um darauf herein zu fallen, starrte sie prüfend an.
„Klar“, erwiderte sie schließlich misstrauisch und erhob sich langsam von ihrem Stuhl.
Irgendwie gefiel ihr der Ausdruck in Ginnys Augen ganz und gar nicht.
„Sie haben doch nichts dagegen, wenn ich Ihnen Hermine für einen Augenblick entführe?“, wandte sich Ginny mit ihrem strahlendsten Lächeln an Mrs. Bossington, Hermines Vorgesetzte, die eifrig den Kopf schüttelte.
„Okay, was genau hast du vor?“, fragte Hermine, sobald sie den Raum verlassen hatten und außer Hörweite waren. „Wie kommst du darauf, dass ich etwas Besonderes vorhabe?“ Ginny blinzelte unschuldig, grinste dann aber als sie erkannte, dass sie Hermine damit nicht täuschen konnte.
„Du kennst mich einfach zu gut“, gab sie dann nach, zuckte mit den Schultern und fuhr fort: „Wenn ich dir jetzt was sage, versprichst du dann, dass du nicht gleich ausflippst?“
„Das kommt ganz darauf an“, entgegnete Hermine argwöhnisch.
„Okay, aber bevor ich anfange, musst du mir erstmal sagen, in welchem Raum hier im Ministerium ein Denkarium steht.“
„Wofür um alles in der Welt brauchst du ein Denkarium?“ Hermine starrte die jüngere Frau ungläubig an, während sich allmählich ein ungutes Gefühl in ihr ausbreitete.
Ginny lächelte und zog aus ihrem Umhang ein kleines Fläschchen hervor, in dem weiße Rauchschwaden umherwirbelten. Es kam Hermine nur allzu bekannt vor.
„Weil ich dir“, sagte sie leise, und ihre Stimme wurde plötzlich ernst, „unbedingt etwas zeigen möchte.“
SsSsSs
Ein unangenehm modriger Geruch wehte ihnen entgegen, als sie den verlassenen Gerichtssaal betraten und hinter sich absperrten. Innen herrschte die typisch drückende Luft eines lange nicht gelüfteten Raumes und für einen Moment erwog Hermine, einen etwas komplizierten Zauber durchzuführen, um die Luft zu reinigen, aber dann begann Ginny zu sprechen und sie vergaß den Zauber augenblicklich.
„Ich war bei Severus“, begann Ginny ohne Umschweife und hob sofort beschwichtigend die Hand, als Hermine protestierend den Mund öffnete. „Ich weiß, dass ich mich wahrscheinlich besser nicht eingemischt hätte“, sagte sie, „aber ich konnte es nicht mitansehen, wie du gelitten hast und immer noch leidest. Und irgendetwas an der Art, wie du Severus'... hmmm, Abfuhr geschildert hast, kam mir komisch vor. Um ehrlich zu sein war ich hauptsächlich bei ihm, weil ich mich mit eigenen Augen davon überzeugen wollte, dass er dich tatsächlich benutzt und dann abserviert hat, als wärst du irgendein Flittchen oder so etwas.“
„Und zu welchem Schluss bist du gekommen?“ Hermine schluckte, überrascht über die Fähigkeit, Worte bilden zu können, während sich in ihrem Kopf alles drehte.
„Genau das will ich dir zeigen“, entgegnete Ginny leise und steuerte das Denkarium an, wobei sie Hermine bedeutete, ihr zu folgen. Sie begann, das Fläschchen langsam zu entkorken und schenkte Hermine ein aufmunterndes Lächeln.
„Wessen Erinnerungen sind das?“, fragte sie überflüssigerweise.
„Meine. Bist du bereit?“
„Nein“, erwiderte Hermine wahrheitsgemäß, als der Inhalt von Ginnys Erinnerungen das Denkarium füllte, aber dennoch konnte sie nicht anders, als in den wabernden Nebel einzutauchen.
SsSsSsS
Sie fand sich neben Ginny vor Severus' Haustür wieder und taumelte im ersten Moment erschrocken zurück, als sie die Ginny aus der Erinnerung dabei beobachtete, wie sie energisch zu klopfen begann.
„Severus, mach die Tür...“
Noch ehe sie den Satz beendet hatte, wurde die Tür aufgerissen, und da stand er... blass und ausgemergelt wie eh und je, mit wirren Strähnen, die unschön an seinem Kopf und seinem Gesicht klebten und einem zornigen Funkeln in den Augen. Alles in Hermine versteifte sich, als sie ihn mit weit aufgerissenen Augen anstarrte, und trotz der verletzenden Worte, die er ihr nach ihrer gemeinsamen Nacht entgegen geschleudert hatte, trotz der kalten, gefühllosen Art, mit der er sie behandelt hatte, empfand sie einen Hauch Mitleid für ihn.
„Was willst du?“, blaffte er Ginny an, die bei seinen Worten zwar kaum merklich zusammen zuckte, sich aber nicht von ihrem Vorhaben abbringen ließ.
„Mit dir reden“, erwiderte sie ruhig.
Severus' Körper war eine Mauer aus Ablehnung und Unnahbarkeit aus, und seine Stimme war schneidend, als er sagte: „Nein! Ich möchte ungern grob zu dir werden, aber du sollst jetzt gehen!“
Hermine hörte, aber sah Ginny nicht, weil ihre Augen auf den Mann vor ihr gerichtet waren, aber sie konnte nicht anders, als Ginny für ihren Mut zu bewundern, als sie kühl erwiderte: „Du bist bereits grob! Severus, ich lasse mich nicht abwimmeln! Ich will nur mit dir reden... das bist du mir schuldig.“
Seine Augen verengten sich zu schmalen Schlitzen, als er auf die junge Frau vor ihm herabsah.
„Ich schulde dir gar nichts!“, höhnte er, bewusst seine Körpergröße ausnutzend, um sie einzuschüchtern. Hemine kannte diese Geste nur zu gut... sie war ihr so vertraut wie ein altes Kleidungsstück.
„Na schön“, gab Ginny schulterzuckend zurück. „Vielleicht schuldest du mir nichts... aber Hermine.“
Bei diesen Worten drehte sich Hermine doch zu der Ginny aus der Erinnerung um und bei dem Anblick des entschlossen hervorgereckten Kinns und der verschränkten Arme ihrer Freundin erfasste sie eine jähe Welle der Zuneigung für sie. Hermine ahnte, welche Überwindung es Ginny gekostet haben musste, dem Paten ihres Jungen gegenüberzutreten und über ein Thema zu sprechen, von dem sie wissen musste, dass es Severus' Zorn hervorrufen würde.
Severus öffnete den Mund, schloss ihn dann aber wieder, so dass seine Lippen zu einer dünnen Linie zusammengepresst wurden. Vielleicht war selbst er überrascht über Ginnys Ton, den sie ihm gegenüber sonst nie anschlug, vielleicht aber war ihm diese ganze Unterredung einer Antwort nicht würdig, jedenfalls schwieg er eine Zeit lang, die sich wie eine Ewigkeit anfühlte.
Als er schließlich doch sprach, hatte sein Tonfall etwas Abschließenden und Endgültiges.
„Ich fürchte, da irrst du dich, Ginevra. Darüber hinaus wüsste ich nicht, warum du glaubst, dich in Dinge einmischen zu müssen, die dich rein gar nichts angehen. Außer“, sagte er gedehnt, und sein Blick wurde verächtlich, „um deine alberne Neugierde zu befriedigen und schmutzige, kleine Details zu erfahren.“
„Tatsächlich?“, erwiderte Ginny kühl. „Nun, Severus, ich bin weder neugierig noch habe ich vor, irgendwelche, wie du es nennst, 'Details' erfahren zu wollen. Und du hast Recht... ich habe keinerlei Berechtigung dazu, mich einzumischen. Ich frage mich bloß, warum es notwendig war, Hermine zu behandeln, als wäre sie Dreck unter deinen Schuhen.“
Er sagte nichts, sondern starrte sie aus eng zusammengekniffenen Augen an. Die Art, wie er statuengleich da stand, unnahbar und ohne jede sichtbare Emotion, erinnerte Hermine nur zu deutlich an den Moment, als er ihr all diese verletztenden Worte entgegengeschleudert hatte, und ihr Herz schnürte sich klein und schmerzhaft zusammen. Sie konnte und sie wollte nicht mehr sehen, sie wollte Ginny bitten, die Erinnerung zu verlassen, und doch stand sie stumm und steif da und wagte nicht zu blinzeln, aus Angst, irgendeine Regung in seinem Gesicht zu verpassen.
„Ich schätze und ich respektiere dich, Severus, aber es ist wohl keine große Überraschung für dich, wenn ich dir sage, dass du kein angenehmer Mensch bist. Du bist launisch, ungesellig und unhöflich, und um ehrlich zu sein, habe ich nicht die geringste Ahnung, was Hermine in dir gesehen haben könnte, aber wer bin ich, darüber zu urteilen?“ Sie zuckte kurz mit den Schultern und fuhr dann fort: „Alles, was ich von dir wissen möchte, ist, warum es dir nicht möglich war, sie mit dem gleichen Respekt zu behandeln, den sie dir immer entgegengebracht hat.“
„Möglicherweise haben du und ich ein anderes Verständnis darüber, was Respekt ist, Ginevra“, sagte er ruhig, und Hermine nahm plötzlich einen veränderten Ton in seiner Stimme wahr, die etwas von ihrer Schärfe eingebüßt hatte.
„Tatsächlich? Dann klär mich auf“, verlangte Ginny. „Mir war bisher nicht bewusst, dass verletzende Worte eine Form des Respekts sein können.“
„Ist dir nicht in den Sinn gekommen, du störrisches, kleines Ding, dass ich sie so behandelt habe, gerade WEIL ich sie respektiere?“ Mit der Schnelligkeit eines Raubtiers, das seiner Beute den letzten, tödlichen Stoß versetzen will, war er so nah an Ginny herangetreten, dass diese erschrocken zurücktrat. Für einen Moment schien es so, als würde er sie an den Schultern packen und kräftig durchschnütteln wollen, dann jedoch besann er sich und ließ in einer Geste, die unendlich müde wirkte, die Schultern hängen.
„Du wolltest um jeden Preis dafür sorgen, dass sie ging und nicht mehr wiederkam“, sagte Ginny leise, und nur das leichte Zittern in ihrer Stimme verriet, dass sie sich bewusst war, in welch gefährliches Terrain sie nun vordrang. „Warum, Severus?“
„Aber du sagtest es doch bereits... weil ich launisch, ungesellig und unhöflich bin. Ich bin kein angenehmer Mensch, Ginevra, war es niemals und werde es auch nie sein. Du weißt es, dein Mann weiß es, und ich weiß das erst Recht. Es war nur eine Frage der Zeit, bis auch Hermine es wissen würde. Es war besser, dass ich ihr von vornherein klar machte, auf was sie glaubte, sich einlassen zu wollen.“
„Besser für sie... oder besser für dich?“, fragte Ginny, die sich nun um die Konsequenzen nicht mehr zu scheren schien.
Hermine schrie leise und erschrocken auf, als die Ginny aus der Gegenwart ihr Handgelenk packte und ihr ins Ohr raunte: „Achte auf sein Gesicht, Hermine...“
„Ist es das? Ist es besser für dich, wenn sie früh genug von dir ging, weil du das leichter ertragen würdest als zu einem späteren Augenblick... wenn du dich vielleicht schon so sehr auf sie eingelassen hättest, dass es dann noch schlimmer für dich wäre, sie gehen zu sehen?“
Etwas in seinem Gesicht zuckte, als wäre er geschlagen worden, und für einen winzigen Moment war ein gepeinigter, beinahe schon gequälter Ausdruck in seinen schwarzen Augen zu sehen. Das maskenhafte fiel von ihm ab und gab preis, dass sich darunter ein Mensch verbarg, der zutiefst verloren wirkte. Der Verlust seiner Selbstkontrolle währte jedoch nur für diesen kurzen Augenblick, aber es genügte, um Hermines Herz schnell und aufgeregt in ihrer Brust klopfen zu lassen.
„Das reicht!“, sagte er eisig und wich zur Tür zurück. Es war die Geste eines Menschen, der es nicht ertragen konnte, dass jemand ihn in seiner emotionalen Verletzlichkeit gesehen hatte.
„Und meinst du nicht“, sagte Ginny sehr leise, sehr sanft, „dass Hermine längst all deine menschlichen Schwächen und Fehler gesehen und erkannt hat und trotzdem für sich entschieden hat, dass sie damit leben kann?“
Er antwortete nicht, sondern starrte an ihr vorbei an einen Punkt, der nur für seine Augen sichtbar war, ehe er rückwärts gehend ins Haus trat und wortlos die Tür ins Schloss warf.
Für einen Augenblick hielt Hermine an der Stelle, an der er eben noch gestanden hatte, die Hand erhoben, so als würde sie sein bleiches Gesicht berühren wollen, aber dann löste sich die Szene langsam auf und sie fand sich mit Ginny im staubigen Gerichtssaal wieder.
SsSsSsS
„Alles okay mit dir?“, fragte Ginny leise, nachdem sie mehrere Augenblicke lang kein Wort gesagt hatten.
„Ich weiß es nicht“, flüsterte Hermine mit zittriger Stimme und lehnte sich gegen eine der Sitzbänke, die für die Zuschauer gedacht waren.
„Ich... ich hätte nie gedacht, dass ich jemals so mit ihm reden würde“, sagte Ginny. „Aber ich denke, dass ich Recht habe mit dem, was ich sagte. Er wollte nicht, dass du gingst, aber er hat gedacht, dass du es früher oder später eh tun würdest, also hat er sich gedacht, dass es leichter für ihn wäre, dich jetzt zu vergraulen als später dabei zusehen zu müssen, wie du aus seinem Leben verschwindest.“ Sie lachte unsicher auf und berührte Hermine leicht an der Schulter.
„Bist du böse, weil ich das getan habe?“, fragte sie schließlich zögernd.
„Nein“, erwiderte Hermine, „ich bin eher böse auf mich, weil ich genau jetzt in diesem Moment zulasse, dass meine dumme, naive Hoffnung wieder Nahrung erhält, obwohl ich es besser wissen müsste.“ Sie schluckte schwer und sah Ginny an.
„Ich würde so gerne mit ihm reden, aber würde mich niemals so sehr erniedrigen, dass ich nach all den Sachen, die er zu mir gesagt hast, zu ihm gehe.“
„Das solltest du auch nicht“, stimmte Ginny ihr sofort zu. „Du hast genügend Stolz, um das nicht zu tun. Aber du hast gesehen, wie beschissen er aussah, Hermine... für mich zumindest war klar, dass ich den Nagel auf den Kopf getroffen habe. Wenn er sich so viel aus dir macht, wie ich glaube, und wenn mein letzter Satz irgendwie zu ihm durchgedrungen ist, dann wird er mit dir reden wollen.“
TBC
p.s. Danke an muggline für den Hinweis im letzten Teil ;) Habe es korrigiert...
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