von Marisol
Überrascht drehte Hermine sich zu Severus um und begegnete seinem prüfenden Blick. Er wirkte, als wäre er gleichzeitig irritiert und amüsiert, aber noch ehe er etwas fragen konnte, sagte sie leise: „Der Gedanke, in meine leere, kalte Wohnung zu gehen und mit niemandem über das sprechen zu können, was passiert ist, deprimiert mich irgendwie.“
Severus studierte aufmerksam ihr Gesicht und wie so oft konnte sie nicht erkennen, was in ihm vorging, aber er nickte kurz und wies mit der Hand auf seine zerschlissene Couch.
Als sie sich setzte, bemerkte sie, dass er eine Augenbraue hochgezogen hatte, während er ebenfalls auf der Couch Platz nahm.
„Ich bin überrascht“, sagte er langsam, „dass du meine Gesellschaft deiner zweifellos gemütlicheren Wohnung vorziehst.“
„Du kennst meine Wohnung nicht“, sie sie ausweichend und spürte, wie ihre Wangen rosa anliefen.
Wie hätte sie ihm auch erklären können, dass ihr der Zustand seines Hauses völlig egal war, solange sie nur in seiner Gesellschaft sein konnte mit der Gewissheit, dass er angefangen hatte, sie mit anderen Augen zu betrachten?
Zu ihrer Erleichterung hakte er nicht weiter noch, sondern bot ihr etwas zu Trinken an.
„Ich hab den ganzen Tag noch keinen Tee getrunken“, sagte sie leise, worauf er in der Küche verschwand und wenige Augenblicke später zwei Tassen hinter ihm hergeschwebt kamen, die sanft auf dem wackligen Tisch landeten. Überrascht bemerkte sie, dass eine Packung Schokoladenkekse folgte.
„Die schmecken gut“, versicherte er, ihren verblüfften Blick missverstehend.
„Das weiß ich. Ich wundere mich nur, dass du Schokolade magst“, gab sie zurück.
„Jeder mag Schokolade“, erwiderte er stirnrunzelnd. „Was dachtest du, was ich mag? Käfer?“
Sein spöttischer Ton ließ sie schuldbewusst zusammenzucken und sie lächelte ihn entschuldigend an. Eine Weile tranken sie schweigend ihren Tee, bis Hermine sagte: „Ich bin so froh, dass Albus das Schlimmste überstanden hat. Ich mag mir gar nicht vorstellen, was gewesen wäre, wenn du das Gegengift nicht rechtzeitig fertig bekommen hättest.“
Ohne sie anzusehen, rührte er gedankenverloren in seiner Tasse und für einen Moment glaubte sie, er würde ihr gar nicht antworten, doch dann hörte sie ihn leise sagen: „Es hätte möglicherweise zu spät sein können, wenn ich nicht deine Hilfe gehabt hätte.“
„Ich... ich habe doch gar nicht viel beigetragen“, entgegnete sie hastig, doch ihr Magen fühlte sich an, als würde er mit ihr Achterbahn fahren. Es erschreckte und faszinierte sie gleichzeitig, wie viel ihr ein Lob von ihm bedeutete.
„Du hast deine Sache sehr gut gemacht, Hermine“, sagte er ruhig. „Ich bin kein Freund falscher Schmeicheleien, aber ich bin durchaus bereit, gute Leistung anzuerkennen.“
Er hob den Kopf, um sie anzusehen, und sie errötete unter der intensiven Betrachtung.
„Danke“, brachte sie flüsternd heraus. „Ich hätte einfach alles getan, um ihm zu helfen. Der Gedanke, was passiert wäre, wenn Albus nicht überlebt hätte...“ Sie schluckte schwer und begann, ihre Hände zu kneten. „Alles, was in meinem Leben je an Schönem, Wichtigem oder Bedeutsamen passiert ist, einfach alles, hängt irgendwie mit Harry zusammen... und natürlich auch mit Ginny und Ron. Ich weiß, dass ihr Leben nie wieder dasselbe gewesen wäre, wenn Albus gestorben wäre. Und ich bin so dankbar, dass du es geschafft hast... dass wir es geschafft haben.“
Diesmal antwortete er tatsächlich nicht, aber sie glaubte zu verstehen, was in seinem Kopf vorging. Vielleicht konnte er nicht ausdrücken, was sein Patenkind ihm bedeutete, vielleicht wollte er es auch nicht, aber es spielte auch keine Rolle, denn sie spürte, dass sie einander nie besser verstanden hatten als in diesem Moment.
*~*~*~*~*
Der Tee war ausgetrunken, die Kekse aufgegessen, und nun, da alles getan und gesagt war, hatte Hermine keinen Grund, um noch länger zu bleiben, aber etwas in ihr sperrte sich hartnäckig gegen die Vorstellung, jetzt zu gehen.
„Darf ich dich etwas fragen?“, brachte sie zögernd hervor.
„Du darfst“, erwiderte er, während ein kleines Lächeln seine Lippen umspielte. „Ob ich auch antworte, ist eine andere Sache.“
„Warum hast du Zaubertränke als Beruf gewählt?“
Er neigte ein wenig den Kopf und sagte, nachdem er einige Sekunden lang nachgedacht hatte: „Weil Zaubertränke mich fasziniert haben, seit ich als Kind nach Hogwarts kam. Es war etwas, das ich so natürlich wie das Atmen oder Gehen beherrschte.“
Bei jedem anderen hätte diese Aussage einen unangenehmen Beigeschmack von Arroganz und Überlegenheit gehabt; bei Severus hingehen klang es völlig natürlich.
Hermine nickte, doch zu ihrer Ãœberraschung fuhr er fort.
„Tatsächlich aber habe ich für eine kurze Zeit erwogen, als Unsäglicher in der Mysteriumsabteilung zu arbeiten.“
Hermine merkte nicht einmal, wie ihr Unterkiefer herunterklappte, während sie ihn anstarrte.
„Als Unsäglicher? Ich habe hunderte von Büchern gelesen, um herauszufinden, was sie tun, aber ich habe absolut nichts gefunden!“
„Das wird wohl der Grund sein, warum man sie Unsägliche nennt“, gab er trocken zurück.
„Es war sogar leichter, an Informationen über Horkruxe heranzukommen“, sagte sie. „Es gibt keine magische Bibliothek in London, die ich nicht aufgesucht hätte, um etwas über die Mysteriumsabteilung zu erfahren.“
„Es gibt also doch Geheimnisse, die Hermine Granger nicht mithilfe von Büchern lösen kann“, sagte Severus mit jenem typisch spöttischen Unterton, doch in seinem Blick war nichts Gehässiges, als er sie betrachtete.
„Aber was tun Unsägliche? Und wie bist du an die Informationen herangekommen?“, drängte sie.
„Nun, ich kann es dir sagen“, erwiderte er gedehnt. „Aber ich fürchte, dass ich dich danach umbringen muss.“
Ihr wurde klar, dass er sich über sie lustig machte, und zum wiederholten Mal an diesem Abend lief sie rot an.
Er schien Mitleid mit ihr zu haben, denn er beugte sich ein wenig zu ihr herüber und sagte: „Du kennst den Vorhang, der Sirius Black zum Verhängnis wurde?“ Bei der Erwähnung des Namens huschte ein unangenehmer Ausdruck über sein Gesicht, aber Hermine ignorierte es und wartete gespannt auf seine Erklärungen.
„Niemand, der durch den Vorhang geht, kommt zurück“, begann er. „Was genau hinter dem Vorhang ist und welche Welt sich dort erstreckt, weiß keiner außer den Unsäglichen. Sie alleine besitzen eine Magie, die sie dazu befähigt, zwischen diesen Welten zu wandern... sie können also durch den Vorhang gehen und auch wieder zurückkehren. Aber was genau sie dort tun und unter welchen Umständen, das weiß niemand. Es ist eines der bestgehütetsten Geheimnis der magischen Welt.“
Hermine hatte nicht gemerkt, dass sie den Atem angehalten hatte, bis sie ihn zischend wieder ausstieß.
„Und du hast dich beworben?“, fragte sie angespannt.
Er nickte. „Ich besitze nicht die Magie, um ein Unsäglicher zu sein. Diese Magie kann nicht erlernt werden, sie ist angeboren. Als ich mich im Ministerium bewarb, wurde das bei einer Prüfung festgestellt. Und kurz darauf wurde ich Lehrer.“
„Aber warum wolltest du ein Unsäglicher sein?“, hakte sie nach. Das, was sie erfahren hatte, wirbelte immer noch rastlos in ihrem Kopf herum und sie fragte sich, wie er es wohl geschafft hatte, an diese Informationen zu kommen.
Sie sah auf und bemerkte, dass seine Züge nun angespannt und abweisend wirkend, und ihr wurde klar, dass sie zu weit in sein Privatleben vorgedrungen war.
„Entschuldige“, sagte sie hastig. „Ich wollte nicht zu neugierig sein.“
In ihrem Kopf begann sich allmählich die Erkenntnis zu formieren, dass sein Wunsch, als Unsäglicher zu arbeiten, unmittelbar vor seinem Eintritt als Lehrer in Hogwarts gewesen war... also kurz nachdem Lily und James ermordet worden waren. Lily, dachte sie, und ein trauriges Lächeln umspielte ihre Lippen, als sie begriff. Das war also sein Grund, warum er sich beworben hatte.
Die verzweifelte Hoffnung, hinter den Vorhang gehen zu können, um sie in der Welt der Toten aufzusuchen.
Sie wagte nicht, ihm in die Augen zu sehen, teils aus Angst, dass sie darin Dinge lesen würde, die sie nicht sehen wollte, teils weil sie befürchtete, dass er ihr ihre eigenen Gefühle ablesen konnte.
Lily war der Anfang und das Ende von allem, und alles, was Severus ausmachte, hängte in irgendeiner Weise mit ihr zusammen. Hermines Magen verknotete sich schmerzhaft als sie daran dachte, dass seine Gefühle für Harrys Mutter immer unter der Oberfläche schlummern würden, ganz egal wie viel Zeit verstreichen mochte.
Und warum sollte dich das stören?, meldete sich eine kleine Stimme in ihrem Inneren. Etwa, weil du gehofft hast, dass er irgendwann mal was für dich empfinden könnte?
Der Gedanke war nicht gänzlich neu für sie. Wann sie gezwungen wäre es zuzugeben, hatte sie sich das schon ausgemalt, als sie ihn bei seiner Ankunft aus dem Sankt Mungo umarmt hatte und er die Umarmung erwidert hatte.
„Ich wüsste zu gern, was in deinem Kopf vorgeht“, hörte sie ihn sagen und als sie aufschaute, war der abweisende Ausdruck verschwunden und er sah sie prüfend an.
„Ich könnte es dir sagen...“, flüsterte sie. „Aber ich fürchte, dass ich dich danach umbringen muss.“
Er lachte kurz auf und ihr wurde klar, dass es eine der seltenen Gelegenheiten war, bei denen sein Lachen weder spöttisch noch abfällig war.
„Eine Schande“, murmelte sie.
„Was?“
„Dass du nicht öfter so lachst.“
Sein undurchdringlicher Blick fixierte ihr Gesicht, aber obwohl sie spürte, wie die Verlegenheit ihre Ohren rosa anlaufen ließ, wandte sie den Blick nicht ab.
„Ich meine, jetzt da das Schlimmste vorüber ist, hätten wir allen Grund, um zu lachen, zu tanzen und glücklich zu sein.“
„Ich tanze und lache üblicherweise nicht“, entgegnete er leise.
„Oder bist glücklich“, fügte sie hinzu, was sie fast bereute, als er die Augenbraue hochzog.
„Eine Schande“, wiederholte sie, wobei ihre Stimme immer leiser wurde. „Ich wünschte, du wärst glücklich.“
„So?“, fragte er. „Warum?“
„Nun... weil du es nicht bist“, erwiderte sie schlicht.
Er schien darüber nachzudenken, und etwas Wildes begann in ihrem Inneren zu flattern, als für einen kaum wahrnehmbaren Augenblick seine Gesichtszüge ganz weich wurden und er das erste Mal, seit sie denken konnte, nichts zu erwidern wusste.
Ihr Herz machte einen aufgeregten Hüpfer, als sie die Vernunft beiseite schob und der Instinkt ihr Handeln zu bestimmen begann. Sie beugte sich zu ihm und drückte, seine Verblüffung ausnutzend, einen flüchtigen Kuss auf seine Wange.
Das Blut rauschte in ihren Ohren und ihr war heiß und kalt gleichzeitig, während sie verzweifelt versuchte sich daran zu erinnern, wie man atmete.
Langsam hob er eine Hand an seine Wange, dort, wo ihre Lippen seine Haut berührt hatten.
„Warum hast du das getan?“
In seiner Stimme schwang nichts als tiefste Irritation mit.
„Weil ich es wollte“, gab sie flüsternd zurück.
Sie hatte ihn überrascht, das konnte sie sehen.
Nun, sie hatte sich selbst überrascht... und der unvernünftige Teil ihres Bewusstseins sagte ihr, damit fortzufahren, bevor sie ihren gesunden Menschenverstand wiederfand.
Also beugte sie sich wieder zu ihm, und diesmal trafen ihre Lippen nicht seine Wange, sondern seinen Mund. Er versteifte sich, aber er stieß sie nicht von sich, was sie dazu ermutigte, ihre Lippen fester auf seine zu pressen. Ihre Hände legten sich auf seine Schultern, und dann spürte sie, wie er den Mund ganz leicht öffnete. Ob aus Instinkt oder weil er es tatsächlich wollte, war ihr nicht ganz klar, aber es spielte für sie auch keine Rolle.
Es war, als würde sie eine ihr völlig unbekannte Frucht probieren, über deren Geschmack sie vorher lange spekuliert hatte und der letzten Endes völlig anders war, als sie je erwartet hätte. Sie hätte nicht sagen können, ob es gut oder nicht gut schmeckte, es war einfach nur... anders. Nicht unangenehm, sondern einfach anders, aber gerade das beflügelte sie dazu, mehr zu probieren.
Ihre Hände lagen locker auf seinen Schultern und jeden Moment erwartete sie, dass er sie zurückweisen würde, aber je mehr Zeit verstrich, desto geringer wurden ihre Zweifel... erst Recht als er begann, den Kuss zu erwidern.
Sie waren beide ein wenig ungeschickt, er noch mehr als sie, aber der Kuss hielt an, und sie fragte sich, was er denken mochte... ob er sie wirklich wollte, oder ob es einfach zu lange her war, dass eine junge Frau in seinen Armen gewesen war, oder ob alles nur eine Frage der besonderen Umstände war.
Ihre linke Hand begann, seine Schulter hinabzuwandern bis zu seinem Unterarm, und als er nicht protestierte, machte sie es zum regulären Weg ihrer Hand. Sie begann an seinem Ellenbogen und fuhr dann zu seinem Nacken, wo sie kleine, beliebige Kreise malte, hinauf und hinunter, immer wieder.
Er selbst schien nicht zu wissen, was er mit seinen Händen anfangen sollte, aber dann vergruben sich seine Finger in ihren Haaren, und ihr gefiel der Vorstellung, dass er das vielleicht schon lange hatte tun wollen...
Böse, böse Marisol hihi
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