von Marisol
„Ich versichere Ihnen, dass ich bestens alleine zurecht komme“, versuchte Hermine ihn davon abzuhalten, das Haus zu betreten, aber es nützte ihr nichts, da er unbeeindruckt an ihr vorbei schritt und den kleinen Albus vorsichtig auf die Couch legte.
„Ganz gewiss tun Sie das nicht, Miss Granger“, sagte er trocken, nachdem er das Durcheinander im Wohnzimmer inspiziert hatte und fügte hinzu: „Aber ich garantiere Ihnen, dass ich verschwunden sein werde, sobald ich mein Patenkind sicher in seinem Bett weiß.“
Aus der Küche drang ein dumpfes Poltern, gefolgt von einem Juchzen.
James hatte offenbar nicht mitbekommen, dass jemand gekommen war, denn er fuhr munter damit fort, Töpfe und Pfannen aus den Unterschränken zu holen und damit „Musik!“, wie er es nannte, zu machen.
Der Ausdruck auf Snapes Gesicht gefiel Hermine gar nicht, als er ohne ein Wort zu verlieren in die Küche ging, sich hinter den kleinen Jungen stellte und seine Schulter berührte. Er sprach so leise, dass sie Mühe hatte, ihn zu verstehen: „Das wirst du jetzt augenblicklich sein lassen, hast du mich verstanden?“
„Oh, brillant!“ Hermine rollte mit den Augen und verzog den Mund zu einem spöttischen Grinsen. „Sie wollen ihn zum Aufhören bringen, indem sie bedrohlich gucken und ganz leise flüstern?“
Doch zu ihrer Überraschung hielt James mitten in der Bewegung inne und sah ängstlich zu dem Mann auf, der ihn böse anfunkelte.
„Und jetzt stellst du alles wieder dort hin, wo du es gefunden hast!“
Der Junge gehorchte sofort.
Snape drehte sich zu Hermine um und in seinem Blick lag unverhohlener Triumph.
„Hatten Sie etwas gesagt, Miss Granger?“
Hermine kniff die Augen zusammen und sagte säuerlich: „Ich sagte nur, dass ich ganz vergessen hatte, was für pädagogisch wertvolle Methoden Sie immer anwenden. Sie sind es gewohnt, dass man Ihnen aus Angst gehorcht, nicht aus Respekt.“
„Das eine schließt das andere nicht zwangsläufig aus.“ Er trat einen Schritt auf sie zu und sagte leise: „Oder wollen Sie behaupten, dass Sie mich während Ihrer Schulzeit nicht respektiert haben?“
Hermine schwieg trotzig und schaute an ihm vorbei zu dem Kleinen, der das Geschirr wieder artig in den Unterschrank schob und dabei immer wieder eingeschüchtert zu Snape schaute, der ihn jedoch nicht weiter beachtete, sondern wortlos die Küche verließ.
Mit einem Schlenker ihres Zauberstabs ließ Hermine die übrig gebliebenen Töpfe an ihren Platz gleiten und hob James auf den Arm, der nicht protestierte, sondern sich an sie schmiegte.
„Was hältst du davon, wenn ich dir in deinem Zimmer noch eine Geschichte vorlese, hm?“, fragte sie. Er nickte eifrig, wohl auch weil ihm die Option, im Wohnzimmer bei dem angsteinflößenden Mann zu sein, nicht besonders gefiel.
„Ich bringe James ins Bett“, rief sie Snape zu, der mit einem glucksenden Albus auf dem Arm auf der Couch saß und zu ihr aufschaute, als sie an ihm vorbei ging.
„Dann beeilen Sie sich damit, Miss Granger, meine Zeit und Geduld sind äußerst knapp bemessen“, antwortete er.
„Warum gehen Sie dann nicht einfach?“, platzte es aus ihr heraus.
„Weil ich mich, um mich noch einmal zu wiederholen, mit eigenen Augen davon überzeugen möchte, dass mein Patenkind wohlauf ist, solange Sie mit seinem Bruder beschäftigt sind. Sie scheinen mir nicht in der Lage zu sein, mit beiden gleichzeitig fertig zu werden“, erwiderte er süffisant.
Oh, wie musste er das genießen… sie, die unerträgliche Besserwisserin, zumindest in diesem einem Bereich gnadenlos scheitern zu sehen.
Hermine schluckte eine giftige Erwiderung herunter und eilte die Treppen hinauf, nicht jedoch, ohne ihm einen wütenden Blick zuzuwerfen. Im Grunde genommen hatte er ja Recht, dachte sie, es war nicht einfach, mit zwei kleinen Kindern, von denen eins übermäßig lebhaft war, zurecht zu kommen, besonders nicht, wenn man keinerlei Erfahrung damit hatte, allerdings hätte sie sich eher die Zunge abgebissen, als das laut auszusprechen.
In James´ Zimmer angekommen, zog sie ihm seinen Schlafanzug an, legte ihn in sein Bett und begann ihn aus einem Märchenbuch vorzulesen, bis seine Augen sich bei der dritten Geschichte flackernd schlossen und sein ruhiger und flacher Atem ihr verriet, dass er eingeschlafen war. Sie betrachtete ihn noch eine Weile, streichelte über seinen Kopf und nahm einige tiefe Atemzüge, ehe sie sich dazu bereit fühlte, wieder ins Wohnzimmer zu gehen.
Sie rief sich die Wut, die sie über sein Verhalten spürte, wieder ins Gedächtnis. Wut war etwas, mit dem sie viel leichter umgehen als mit diesen anderen verwirrenden Gefühlen, die sich immer wieder an die Oberfläche ihres Bewusstseins zu kämpfen drohten und die sie immer wieder zurückdrängte.
Als sie am Fuß der Treppe angekommen war, sah sie, dass Albus in Snapes Arm eingeschlafen war und er sein Gesicht intensiv studierte. Ein seltsamer Ausdruck lag in seinen Augen, den Hermine noch nie zuvor an ihm bemerkt hatte. Es war eine Mischung aus Erstaunen und… konnte es Zärtlichkeit sein? Von wo zum Teufel kam das denn her?
Ihn beobachtend, übersah sie eines der Spielzeuglastwagen von James, die verstreut auf dem Fußboden lagen, trat darauf und stieß im nächsten Moment einen Schmerzensschrei aus, als ihr Fuß umknickte und sie sich gerade noch davon abhalten konnte zu stürzen.
„Du meine Güte, Miss Granger, bislang dachte ich, ich hätte es nur mit zwei Kindern hier zu tun“, sagte Snape stirnrunzelnd und sah dabei zu, wie sie in Richtung Sofa hinkte.
Albus Severus war durch ihren Schrei kurz zusammengezuckt, schlief jetzt aber wieder friedlich.
„Sind Sie noch nie gestolpert?“, fauchte Hermine und verzog das Gesicht, als sie versuchte, den Fuß zu belasten.
„Nein“, gab er gelassen zurück. „Üblicherweise achte ich beim Laufen darauf, was mir im Weg ist.“
Hermine sagte nichts, sondern setzte sich und untersuchte ihren Knöchel. Es tat ziemlich weh, wenn sie ihn mit der Hand umfasste und sie zog zischend die Luft ein, als der Schmerz sich allmählich auszubreiten begann.
Snape stand langsam auf, um das schlafende Kind nicht zu wecken, und ging mit ihm die Treppen hinauf, ehe er nach wenigen Augenblicken wieder zurückkehrte und sich vor sie stellte.
„Ich würde jetzt liebend gerne gehen, aber das würde bei den Potters zu Spekulationen über den Grad meiner Herzlosigkeit führen, wenn ich Sie hier heulend zurücklasse“, sagte er gedehnt.
„Ich heule nicht!“, gab sie zwischen zusammengepressten Zähnen zurück, was nicht ganz der Wahrheit entsprach, da sich ihre Augen durch den brennenden Schmerz mit Tränen gefüllt hatten, was ihm, wie konnte es auch anders sein, selbstverständlich nicht entgangen war.
„Natürlich nicht“, spottete er
Er machte Anstalten, sich vor sie hinzuknien, besann sich dann aber eines anderen und sagte: „Können Sie dort zur Couch gehen?“
Hermine stand auf und stöhnte unterdrückt auf, worauf Snape in der Absicht, sie zu stützen, ihren Oberarm umfasste.
Sie wollte sagen, dass er sie loslassen sollte, aber dann kam ihr in den Sinn, dass das ganz nach Hysterie aussehen würde, also ließ sie zu, dass er ihr half, wobei sie immer wieder daran denken musste, dass er das alles nur tat, um so schnell wie möglich von hier fortzukommen.
„Lassen Sie mich mal sehen“, verlangte er, nachdem sie sich so gesetzt hatte, dass ihre Beine ausgestreckt auf der Couch lagen und er neben ihr Platz nehmen konnte.
„Nein“, sagte sie automatisch, wohl wissend, wie albern sie klang.
„Tun Sie, was ich sage, Sie störrisches Ding“, knurrte er ungeduldig, und fügte mit einem gemeinen Lächeln hinzu: „Ich verspreche, dass ich Ihnen nicht wehtun werde. Jedenfalls nicht mehr, als ich muss.“
Ohne ihre Antwort abzuwarten, zog er ihren Schuh aus und noch ehe sie protestieren konnte, auch ihre Socke.
„Ihre Füße riechen“, kommentierte er trocken.
„Das tun sie nicht“, fauchte sie. „Und selbst wenn… das haben Füße so an sich! Ich wette, Ihre riechen nach Blumen.“
Ein seltsam kehliger Laut entschlüpfte seinem Mund und sie brauchte einen Moment um zu begreifen, dass er lachte.
„Nun seien Sie nicht gleich beleidigt, Miss Granger. Ich versuche nur, die Situation etwas aufzulockern. Und falls es Sie beruhigt… Ihre Füße riechen tatsächlich nicht.“
Mit einem überraschend sanften Daumen rieb er über ihren Knöchel, worauf sie scharf die Luft einsog. „Tut das weh?“, fragte er überrascht.
„N…Nein“, sagte sie, was sogar der Wahrheit entsprach, aber natürlich konnte sie ihm nicht sagen, dass es seine Berührung war, die sie so reagieren ließ.
Er schob ihr Hosenbein ein wenig hoch und umfasste mit der rechten Hand ihren Knöchel, während er mit der linken ihren Fuß vorsichtig hin und her bewegte.
Nachdem er so eine Weile lang ihren bloßen Fuß untersucht hatte, wandte er sich ihr zu und schaute prüfend in ihr Gesicht, worauf sie hastig wegschaute, wohl wissend, dass sie errötete.
„Nun, ich habe eine gute und eine schlechte Nachricht für Sie, Miss Granger. Welche wollen Sie zuerst hören?“
Hermine schluckte. „Die schlechte.“
„Sie müssen sterben“, sagte er ernst.
„Wie bitte?“
Er verzog den Mund zu einem spöttischen Lächeln. „Ich hoffe, dass ich Ihnen damit nichts Überraschendes eröffnet habe.“
Hermine unterdrückte den Drang, ihn zu schlagen.
„Finden Sie das witzig?“, knurrte sie.
„Offen gestanden, ja“, gab er zurück und übte ein wenig mehr Druck auf ihren Fuß aus.
„Also… sie wollten die schlechte Nachricht zuerst. Ich muss Ihnen leider sagen, dass die typische gryffindorsche Tapferkeit nichts weiter ist als eine heuchlerische Legende.“
Hermine versuchte, ihren Fuß aus seinem Griff zu befreien mit dem Ergebnis, dass er ihn noch ein klein wenig fester umfasste.
„Die gute ist, dass ich es niemandem verraten werde, was für eine Mimose Sie sind“, sagte er.
Hermine ließ ein übertrieben hohes Lachen erklingen. „Wie unglaublich amüsant Sie das finden müssen.“
„Das tue ich, in der Tat“, gab er zurück.
Seine schwarzen Augen funkelten belustigt, und zum wiederholten Male an diesem Abend drehte Hermine hastig den Kopf weg.
Plötzlich, als wäre es ihr vorher nicht aufgefallen, wurde sie sich darüber bewusst, dass sie ganz alleine mit ihm war und sich eine Stille wie eine Decke über sie ausgebreitet hatte, die es ihr schwer machte zu atmen.
Seine Präsenz machte es ihr unmöglich, sich auf etwas Belangloses zu konzentrieren, und für einen Moment war sie sich fast sicher, dass er das heftige Klopfen ihres Herzens spüren konnte.
Sie sollte nicht so fühlen, das wusste sie, aber sie tat es trotzdem. Es war so… unpassend und albern. Snape war kein Mann, den man mit Herzklopfen, trockenem Mund und feuchten Handinnenflächen in Verbindung brachte, aber all das spürte sie, und es war ihr peinlich, weil sie wusste, dass er sie beobachtete.
Sie hätte beinahe einen Seufzer der Erleichterung ausgestoßen, als er ihren Knöchel endlich losließ.
„Sagen Sie mir eins, Miss Granger“, sagte er in einem beiläufigen Plauderton, von dem Sie nichts Böses ahnte, zumal er auch aufstand und es für sie ganz so aussah, als würde er gehen.
„Ich scheine etwas verpasst zu haben. Können Sie mir den Grund sagen, aus dem Sie meinem Blick permanent ausweichen?“
Oh, sie hätte es besser wissen müssen!
„Wie bitte?“, murmelte sie. „Ich verstehe nicht, was Sie meinen.“
„Oh, ich erkenne eine gespielt ratlose Hermine Granger, wenn ich eine sehe. Sie scheinen zu vergessen, dass ich jahrelang Lehrer war und einen Blick dafür habe, wenn jemand etwas zu verbergen versucht… und, nehmen Sie’s mir nicht übel, Miss Granger, aber Sie haben nie zu denen gehört, die besonders geschickt darin waren, etwas zu verstecken. Erröten, hastig Wegsehen und sinnlos Stammeln gehört eindeutig zu den Dingen, bei denen sich bei mir sämtliche Alarmsignale melden.“
Oh mein Gott… er hat etwas gemerkt, schoss es ihr durch den Kopf und eine Welle von Panik überflutete sie. Was sollte sie jetzt nur tun?
„Sie… Sie müssen sich das einbilden“, krächzte sie, sich für den Klang ihrer Stimme verfluchend.
Er setzte sich wieder so plötzlich neben sie, dass sie erschrocken aufzuspringen versuchte, aber er war schneller. Mit einer Hand umfasste er ihr Kinn und zwang sie so, ihn anzusehen.
„Glauben Sie mir, Miss Granger, ich kann sehr unangenehm werden, wenn ich merke, dass jemand etwas plant, das mir nicht passt…“
Sein Gesicht war nur um Zentimeter von ihrem entfernt.
Sie konnte die Fältchen um seine schwarzen Augen herum erkennen und eine sehr feine, fast verblasste Narbe, die sich von seinem linken Nasenflügel zu seinem Ohr zog.
Die Berührung von seiner Hand auf ihrem Kinn war zu viel, und gleichzeitig zu wenig, und fast unmerklich schien ihr Körper nach seinen eigenen Regeln zu handeln, und sie beugte sich vor, bis…
„Merken Sie sich eins… ich werde niemals und unter keinen Umständen bei irgendwelchen Siegesfeiern auftreten und mich einer Horde schwachsinniger Menschen stellen, die in mir irgendeinen Helden sehen wollen. Das sagte ich bereits Ginevra, die den Fehler machte, mich darauf anzusprechen, und ich sage es auch Ihnen, Miss Granger… und ich werde mich auch nicht wiederholen, haben Sie verstanden?“
Sie nickte hastig, viel zu irritiert, um irgendetwas sagen zu können.
„Gut.“
Er ließ sie abrupt wieder los und stand auf.
Er hat alles nur missverstanden, jubilierte es in ihr, als ihr Verstand klar genug war, es zu realisieren. Er hat gedacht, dass ich etwas wegen den Siegesfeiern plane… die Siegesfeiern! Natürlich… Sie waren in ein paar Wochen und sie glaubte sich daran erinnern zu können, dass Ginny etwas in der Richtung erwähnt hatte.
Die Erleichterung ließ sie aufseufzen, gleichzeitig aber erkannte sie, dass ihre Haut an der Stelle, an der er sie berührt hatte, zu vibrieren schien, so als würde ein Schwarm wütender Bienen darunter summen.
TBC
Wenn Du Lob, Anmerkungen, Kritik etc. über dieses Kapitel loswerden möchtest, kannst Du einen Kommentar verfassen.
Zurück zur Übersicht - Weiter zum nächsten Kapitel