von Marisol
„Ich… ich wollte nicht… es tut mir leid“, stammelte Hermine atemlos, während Snape sie mit einem so verachtenden Blick betrachtete, dass es ihr eiskalt den Rücken hinunterlief. Sie hatte plötzlich das seltsame Gefühl, als wäre sie in einem Alptraum gefangen, ohne sich daran erinnern zu können, überhaupt eingeschlafen zu sein.
„Haben Sie die Vorstellung genossen, Miss Granger?“, fragte er mit jener samtigen, leisen Stimme, die sie an einem dunklen Ozean erinnerte… scheinbar glatt und unbeweglich, aber unter der ruhigen Oberfläche schlummerten bedrohliche Tiefen.
„Nein“, stieß sie gepresst hervor, „wirklich nicht, es war nicht meine Absicht…“
„Zu lauschen?“ Er kam mit langsamen Schritte auf sie zu, und instinktiv wollte sie zurückweichen, aber sie zwang sich dazu, an Ort und Stelle zu bleiben.
„Mich zu beobachten? Ist es das, Miss Granger? Ist das ihre Vorstellung von gryffindorschem Mut, oder ist es bloß ein persönliches Interesse an meinen privatesten Belangen, das Sie dazu führt? “
„Bitte Sir, es tut mir leid! Ich wollte bloß ein Glas Wasser holen, als ich Ihre und Harrys Stimmen hörte“, sagte sie mit zittriger Stimme. Er stand jetzt so nah bei ihr, dass sie deutlich die feuchten Spuren auf seinen Wangen sehen konnte, die die Tränen hinterlassen hatten. Der entrückte Ausdruck auf seinem Gesicht, vor wenigen Augeblicken noch so präsent, hatte nun kalter Verachtung Platz gemacht, und ihre Finger klammerten sich fest um das Treppengeländer, während sie sich zwang, ihm ins Gesicht zu sehen.
„Severus, ich bin sicher, dass Hermine wirklich nicht lauschen wollte“, sagte Harry ruhig.
„Halt dich da raus“, fuhr Snape ihn an, ehe er sich wieder Hermine zuwandte.
„Sie werden mir antworten, Miss Granger“, sagte er seidenweich und machte eine einladende Bewegung in Richtung Couch. Auf groteske Weise wirkte er dabei für einen Augenblick wie ein Gastgeber, der sich um das Wohl seines Gastes bemühte.
Hermine hätte sich beinahe gewünscht, dass er sie anschrie, dass er tobte und ihr ins Gesicht schleuderte, wie sehr er sie hasste, aber er tat nichts dergleichen- und irgendwie machte das alles nur noch schlimmer.
Als sie sich nicht rührte, trat er noch einen Schritt näher an sie heran, und unwillkürlich wich sie zurück.
„Aber, aber, Miss Granger“, sagte er höhnisch, „ich habe Ihnen lediglich eine ganz simple Frage gestellt. Gehört es nicht zu Ihren Lieblingsbeschäftigungen, welche zu beantworten? Sie enttäuschen mich. Keine ausgestreckte Hand, kein ungeduldiges Auf- und abhopsen…“
„Ich sagte bereits, dass es mir leid tut, Sir“, sagte sie leise. „Was wollen Sie von mir hören?“
„Aber das sagte ich bereits. Sie haben mich doch gehört, nicht wahr?“
„Ich verstehe nicht…“, begann Hermine, hilflos zu Harry schauend.
„Gryffinorscher Mut oder persönliches Interesse, Miss Granger… das sind bloß ein paar Worte. Welches davon haben Sie denn nicht verstanden?“ Er musterte sie auf diese intensive Weise, bei der sie das Gefühl hatte, als wäre sie ein seltenes, aber widerliches Insekt, dessen Reaktionen er studieren wollte.
Hermine holte tief Luft, schaute in seine kalten, schwarzen Augen und sagte schließlich: „Sir, ich wollte lediglich in die Küche, um mir etwas zu Trinken zu holen, als ich Sie und Harry sprechen hörte. Und dann wurde mir bewusst, dass ich nicht einfach so dazwischenplatzen konnte, also blieb ich, wo ich war und… den Rest kennen Sie. Ich gebe zu, dass ich neugierig war. Es tut mir schrecklich leid.“
Er bedachte sie mit einem höhnischen Grinsen.
„Das beantwortet meine Frage aber nicht, und das wissen Sie auch. Das können Sie besser, nicht wahr, Miss Granger?“
„Lass es gut sein, Severus. Sie hat sich entschuldigt und sie weiß auch, dass sie einen Fehler begangen hat.“ Harry stellte sich neben Snape und für einen Moment schien es, als würde er ihn an der Schulter packen wollen, aber alles, was er schließlich tat, war, ruhig neben ihm stehen zu bleiben.
„Und ich sagte dir bereits, dass du dich raushalten sollst“, grollte Snape.
„Ich will keinen Streit in meinem Haus.“ Harrys Stimme war nach wie vor leise und kontrolliert, aber Hermine spürte, dass er nur äußerlich gelassen war.
„Und ich glaube, dass ich das Recht habe zu erfahren, warum Miss Granger es sich herausnimmt, private Gespräche zu belauschen…“, entgegnete Snape und fügte nach einer kleinen Pause hinzu: „…in deinem Haus.“ Seine Mundwinkel verzogen sich zu einem bösartigen Lächeln, als er sich wieder Hermine zuwandte.
„Nun, ich werde Sie nicht noch einmal auffordern, meine Frage zu beantworten“, warnte er leise.
„Ich sagte es Ihnen bereits, Sir“, antwortete sie, seinem Blick ausweichend. „Ich war neugierig und ich schäme mich dafür, so gehandelt zu haben. Ich hatte kein Recht dazu, und ich kann nicht mehr sagen, als dass es mir Leid tut. Ich… ich gebe zu, dass das Thema der Unterhaltung…“, Flammende Röte kroch ihre Wangen herauf, während ihr Magen sich schmerzhaft verkrampfte, „mich dazu gebracht hat, stehen zu bleiben. Ich habe nicht nachgedacht, was das für Sie bedeutet, Sir… verzeihen Sie bitte.“
Eine quälend lange Pause entstand.
Sie konnte Snapes Verachtung förmlich spüren, wie sie wellenartig über sie hinwegrollte.
„Bislang hatte ich immer den Eindruck, dass Sie keinerlei Respekt vor der Privatsphäre anderer haben, dass Sie jede sichtbare oder unsichtbare Grenze überschreiten würden, solange es ihrer persönlichen Neugierbefriedigung dient, nur damit Sie Ihrer Liste studierbarer Dinge einen weiteren Punkt hinzufügen können“, sagte er eisig.
„Und wie ich sehe, hatte ich mit meiner Einschätzung vollkommen Recht“, schloss er, ehe er sich umdrehte, und, ohne ein weiteres Wort zu sagen, aus der Tür ging.
oOoOoOoO
„Es tut mir so leid“, wiederholte Hermine zum unzähligsten Mal an diesem Morgen, und obwohl Harry ihr versicherte, dass es okay war, spürte sie, dass er wütend auf sie war.
Mittlerweile war auch Ginny aufgestanden, und nachdem sie sich sprachlos angehört hatte, was passiert war, sagte sie: „Ich versteh dich, Hermine. Ich wäre an deiner Stelle auch neugierig gewesen. Es ist nur… Ich hatte den Eindruck, als hätten wir so eine Art Zugang zu Severus gefunden.“ Sie seufzte und stellte vor alle drei dampfende Teetassen hin, während James unruhig auf seinem Stuhl zappelte.
„Du bekommst gleich dein Frühstück“, sagte Ginny zu ihm, und es war das erste Mal, dass Hermine sie als ungehalten ihm gegenüber erlebte, weswegen sie sich noch schuldiger als ohnehin schon fühlte.
„Ja, und ich hab es verdorben“, sagte sie, während ihre Augen sich mit Tränen füllten.
Sie wusste, wie viel Harry daran gelegen hatte und es natürlich immer noch tat, zumindest eine Art Respektverhältnis zu Snape aufzubauen. Seit er wusste, wie viel er seinem ehemaligen Lehrer zu verdanken hatte, hatte der Gedanke ihn nicht losgelassen, ihm zu zeigen, wie sehr er ihn für das schätzte, was er getan und vor allem auch, was er riskiert hatte.
„Ach, Hermine…“ Ginny stand auf, setzte sich neben sie und legte einen Arm um ihre Schultern. „Jetzt lässt es sich nicht mehr ändern und ich verstehe wirklich, warum du stehen geblieben bist. Snape ist einfach… er hat uns bisher immer nur eine Seite von sich gezeigt, und diese was alles andere als angenehm. Mich hätte es auch interessiert zu erfahren, wie er privat ist, was ihn bewegt und so weiter… er wird sich garantiert wieder beruhigen. Bitte weine nicht.“
Ginny warf Harry einen unmissverständlich auffordernden Blick zu, den Hermine gar nicht wahrnahm.
„Jaah“, stimmte er eine Spur zu hastig zu. „Wir lassen ein paar Tagen verstreichen und schreiben ihm dann. Ich bin sicher, dass er so tun wird, als wäre nichts passiert.“
Ginny nickte, ehe sie Harry zustimmte, und sie alle drei wussten, dass sie sich lediglich etwas vormachten, damit Hermine sich ein wenig besser fĂĽhlen konnte- was sie nicht tat.
OoOoOoOo
Obwohl der letzte Schnee bereits vor einer Woche geschmolzen war und immer wärmer werdende Sonnenstrahlen zögernd den Frühling ankündigten, ließ Spinner’s End wenig positive Gefühle zu, was einerseits an den vielen heruntergekommenen Häusern lag und andererseits auf die Atmosphäre zurückzuführen war, die hier herrschte. Es war eine seltsame Mischung aus Tristesse und Freudlosigkeit, so als hätte man den Ort bereits vor langer Zeit vergessen und sich selbst überlassen.
Als Hermine vor Snapes Haustür stehen blieb, nahm sie einen schwachen Geruch war. Es roch nach alten, vermodernden Büchern und nach etwas süßlichem… Der Geruch längst verwelkter Lilien, dachte sie, während sie ihren Umhang fester um sich schlang.
Sie klopfte und wartete, in Gedanken die Worte aufsagend, die sie sich vorher so grĂĽndlich zurechtgelegt hatte.
Als er öffnete und sie mit jenem bekannten geringschätzigen Blick musterte, schluckte sie und setzte zum Sprechen an, aber er kam ihr zuvor.
„Was wollen Sie?“, blaffte er.
„Sir, es geht um Harry und Ginny. Darf ich hereinkommen?“ Sie bemühte sich, ihrer Stimme einen freundlichen, ruhigen Klang zu verleihen.
„Nein, dürfen Sie nicht“, entgegnete er, ihre betont freundliche Art nachahmend.
„Sir, ich weiß, dass Sie sämtliche Briefe der beiden ignoriert haben, die sie Ihnen in den letzten drei Monaten geschickt haben, und ich bin hier, um Ihnen einen Vorschlag zu machen“, sagte sie schnell.
„Tatsächlich?“, fragte er gedehnt. „Mal wieder haben Sie es sich zur Aufgabe gemacht, ungefragt anderer Leute Angelegenheiten regeln zu wollen. Ich frage mich warum, Miss Granger? Ist Ihr eigenes Leben derart ereignislos? Oder ist es für Sie eine Art Zwang? Ich habe allmählich den Endruck, dass an Ihnen wie an einer Puppe Fäden befestigt sind, und immer, wenn Ihnen etwas am Leben ihrer Mitmenschen nicht passt, zwingt eine höhere Macht Sie dazu, einzugreifen.“ Er bedachte sie mit einem Blick, der ihr deutlich zeigte, was er von ihr und ihrer Art hielt, aber sie ließ sich nicht beirren.
„Ich bin Schuld, dass Sie dabei sind, den Kontakt zu den Menschen abzubrechen, die für mich wie die Geschwister sind, die ich nie hatte. Und das kann ich nicht zulassen… bitte, Sir. Hören Sie sich zumindest meinen Vorschlag an.“
„Ich gebe Ihnen zwei Minuten“, sagte er kalt, ehe er sie mit einem Kopfnicken dazu aufforderte, ihm ins Haus zu folgen.
Hermine folgte ihm, ohne zu zögern, wissend, dass sie ihre Chance nutzen sollte, solange er bereit war, ihr zuzuhören.
„Ich hatte kein Recht dazu, zu hören und zu sehen, was sich abgespielt hat“, begann sie ohne Umschweife. „Es stand mir in keinster Weise zu und ich weiß, dass ich Ihre Privatsphäre auf eine Art verletzt habe, die ich durch nichts rechtfertigen kann. Es ist seitdem kein Tag vergangen, an dem ich mich nicht schuldig gefühlt habe.“
„Sie Ärmste! Darf ich Ihnen einen Aufmunterungstrank anbieten?“ Seine Stimme war schwer von dem triefenden Hohn, mit der sie durchtränkt war.
„Ich hab nicht gewollt, dass Harry und Ginny unter meinem Fehler leiden müssen… oder Albus Severus“, fuhr Hermine ruhig fort. „Besonders Harry liegt so viel an dem Kontakt zu Ihnen… bitte, Sir… bitte belegen Sie mich mit dem Obliviate.“
Er starrte sie an, als würde er nicht sicher sein, dass sie diese Worte tatsächlich gesagt hatte.
Hermine nutzte seine augenscheinliche Irritation, um hastig hinzuzufügen: „Ich werde alles vergessen, was ich an jenem Morgen gesehen und gehört habe. Bitte, Sir…“
„Nun, das ist natürlich eine recht simple Lösung für uns alle, nicht wahr?“, sagte er gefährlich ruhig.
„Nun… ja“, entgegnete sie, unter seinem Blick errötend.
„Dummes Mädchen“, grollte er. „Erkennen eine rhetorische Frage nicht, wenn Sie eine gestellt bekommen.“
„Was…?“
Mit einigen Schritten überquerte er den Abstand zwischen ihnen, so dass er auf Armeslänge entfernt von ihr stehen blieb.
„Dass Sie vergessen, ändert jedoch nichts daran, dass ich nicht vergessen kann, was Sie gesehen und gehört haben!“
Urplötzlich, ohne dass sie die Bewegung überhaupt hatte kommen sehen, hatte er ihre Schultern gepackt und schob sie nun zur Wand.
Sie keuchte erschrocken auf, als ihre Schulterblätter den kalten Beton berührten und seine Finger sich wie Schraubstöcke um ihre Schultern klammerten.
„Lassen Sie mich los… Sie tun mir weh“, bettelte sie, als er mit seinem Körper verhinderte, dass sie sich aus seinem Griff befreite.
Er war ihr so nahe, dass sie seinen Atem an ihrer Wange spĂĽren konnte.
Seine schwarzen Augen bohrten sich in ihre, und auf einer tiefen, geheimnisvollen Ebene wusste sie, was er vorhatte, obwohl sie die Erfahrung nie gemacht hatte.
„Bitte nicht“, flüsterte sie gequält und versuchte, ihm auszuweichen, aber er hielt sie so fest, dass ein Rühren nicht möglich war.
Sie nahm sein gemurmeltes „Legilimens!“ wie durch einen Nebel wahr, und dann spürte sie die fremde Präsenz eines anderen Geistes in ihrem eigenen… verzweifelt versuchte sie, ihre Gedanken zu verschließen, ihn zu verdrängen, aber sie hatte keinerlei Übung darin, ihren Geist für andere undurchdringbar zu machen.
Ron und sie lagen eng umschlungen unter der Decke, sich selig anlächelnd, nachdem sie soeben zum ersten Mal die Erfahrung gemacht hatten, dass es Magie gab, die nichts mit Zauberstäben zu tun hatte, sondern aus ihnen selbst kam, aus ihrer Liebe zueinander und des unbeschreibbaren Zaubers, der entstand, wenn Körper und Seele sich verbanden. „Ich liebe dich“, flüsterte Ron in ihr Haar und sie erwiderte seine gemurmelten Worte…
„Wie gefällt es Ihnen, Miss Granger, wenn Sie, ohne etwas dagegen tun zu können, Ihre geheimsten, intimsten Gedanken und Gefühle preisgeben?“, flüsterte Snape ihr zu, und sie wollte ihn anflehen, sie gehen zu lassen, aber sie wusste, dass das erst der Anfang war…
TBC
A/N: Ihr Lieben, danke für eure Reviews! Einige waren beim letzten Teil überrascht, dass Snape Tränen in den Augen hatte, als er Lilys Bild betrachtet hat. Dazu kommt später noch eine Erklärung, warum es ihn so erschüttert hat ;)
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