von käfer
Als Severus am anderen Morgen erwachte, blieb er nach alter Gewohnheit unbeweglich unter der Decke liegen und wartete darauf, dass ein Erzieher kommen und „Raustreten zum Frühsport“ rufen würde. Erst als Geräusche verrieten, dass die anderen wach wurden und Severus bemerkte, dass er kein „Obendrüber“ hatte, wusste er wieder, wo er war. In dem Moment kam Waldow Flint ins Zimmer, Vertrauensschüler aus dem siebten Jahrgang. Er riss die Vorhänge auf und rief: „Erstklässler, aufwachen! Raus aus den warmen Nestern und auf zu neuen Taten!
Ehe ihr auf falsche Gedanken kommt: dies ist das erste und letzte Mal, dass euch jemand wecken kommt. Wir Slytherins sind selbständig, wir brauchen keine Nanny, die uns sagt, was wir wann tun und lassen sollen. Trotzdem habt ihr pünktlich zum Unterricht zu erscheinen und eure Aufgaben zu machen, sonst gibt es Punktabzug. Übrigens, das schlimmste, was einem Slytherin passieren kann, ist Nachsitzen bei Gryffindor-McGonagall. Das Zweitschlimmste ist Nachsitzen beim Direx. Es liegt an euch, so was zu vermeiden. Ansonsten sind die Schulregeln dazu da, dass sie gebrochen werden. Ihr dürft euch nur nicht erwischen lassen.“
Mit meckerndem Gelächter stapfte Flint aus dem Raum. Die Jungen schlugen ihre Decken zurück und krabbelten aus den Betten.
„Hey, Snape, ein scharfes Nachthemd haste an. Ist das von deiner Oma?“
Mit einem Satz sprang Severus über sein Bett und baute sich vor dem Lästerer auf. „Halt dein Maul, Bulstrode! Ich hab´ keine Oma und brauche auch keine, ich sorge für mich selbst!“ Severus machte in die Luft Gesten des Umarmens, Streichelns und Abküssens. „Schmatz, schmatz, pass gut auf dich auf, mein Bobbylein, dass du dich nur nicht erkältest in dem alten Schloss. Und zieh immer den warmen Pyjama an, hörst du? Schmatz, schmatz! Peinlich, so was. – Kann mir aber nicht passieren!“
Die anderen kicherten, Bobby Bulstrode lief dunkelrot an und schnaufte. Severus lief schnell in den Waschraum. Gestern war er zu müde und vollgegessen gewesen, um noch die Örtlichkeiten zu besichtigen. Umso mehr staunte er heute, wie groß der Waschraum war. Selbst wenn alle Bewohner der Etage gleichzeitig ankommen würden, gäbe es kein Gedränge. Hinter einer Seitentür befand sich ein Badezimmer mit mehreren Wannen und Duschen, die durch hölzerne Wände getrennt wurden. Severus beschloss, schnell zu duschen, ihm juckte der ganze Körper und er wollte es gern vermeiden, dass er schon am ersten Tag wegen seines kleinen Schniepels gehänselt wurde.
Severus beschloss, noch einmal seine neue Schuluniform anzuziehen; spätestens wenn das erste Mal Kräuterkunde oder Zaubertränke auf dem Stundenplan stehen würde, war es besser, die gebrauchte überzustreifen.
Er eilte in die Große Halle und setzte sich neben Lucius an den Tisch. Den Blick, mit dem dieser einen Viertklässler, der es auf eben jenen Sitz abgesehen hatte, einen anderen Platz zuwies, bemerkte er nicht, weil er seine Augen längst über das Frühstücksangebot schweifen ließ. Hier wurde nichts zugeteilt, man konnte sich selbst bedienen. Glücklich schmierte sich Severus den dicksten Toast seines Lebens. Narzissa schüttelte den Kopf. „Du packst aber auf. Durftet ihr das in eurem Kinderheim auch?“
Severus antwortete wahrheitsgemäß: „Nein, wir haben alles zugeteilt bekommen. Und die Marmelade war so dünn auf dem Toast, dass man gar nicht gemerkt hat, dass man welche hatte. – Wieso fragst du, darf man sich hier nicht nehmen, soviel man will?“
Narzissa lachte, und es klang etwas unecht: „Ach, essen kann man, soviel man verträgt. Aber wenn du so weiter futterst, siehst du in Kürze aus wie Slughorn.“ Sie wies mit dem Kopf zu dem Hauslehrer der Slytherins, der schon damit begonnen hatte, die Stundenpläne zu verteilen. Professor Slughorns Robe spannte über einem riesigen Bauch; er ähnelte damit Mr. Rodney. Severus hoffte nur, dass Slughorn nicht so gemein war wie Rodney.
Mit aufgerissenen Augen und offenem Mund starrte Severus auf seinen Stundenplan. Jedes Fach wurde in einem anderen Klassenzimmer unterrichtet. Wie sollte er nur rechtzeitig dort sein? Er hatte keine Ahnung, wo sich das Verwandlungszimmer befand und gerade bei Gryffindor-McGonagall wollte er auf keinen Fall zu spät kommen. „Lucius, kannst du mir bitte sagen, wo das Verwandlungszimmer ist?“
„Also, da gehst du…“, Malfoy unterbrach sich. „Ich habe da eine Idee. Rabbitt, führe du doch heute mal die Kleinen in ihre Klassenzimmer. Sonst gibt es gleich am ersten Tag Punktabzüge, wenn sie zu spät kommen. Eigentlich wäre das ja Sache der Vertrauensschüler, aber na ja.“
Der ´Rabbitt´ genannte Junge befahl: „Holt schleunigst eure Taschen. Ich hole euch vom Gemeinschaftsraum ab.“
Die Erstklässler aus Slytherin waren im Gegensatz zu den anderen sehr zeitig im Klassenzimmer für Verwandlung und belegten die hinteren Plätze. Beim Eintreten in den Raum passierte Severus etwas Merkwürdiges. In Bruchteilen einer Sekunde floss ein warmer Strom durch seinen Körper, beginnend in den Spitzen der Zeigefinger, die Arme hinauf, mitten durch die Augen und das Rückenmark wieder hinunter. Severus wusste sofort, dass er eben starke Magie gespürt hatte, ohne dass er hätte sagen können, woher dieses Wissen kam und was die Quelle der Magie war.
Still setzte er sich in die nächstbeste Bank und sah sich um. Die meisten Slytherins und etliche Ravenclaws tauschten aus, was sie von Älteren über Professor McGonagall gehört hatten. „…furchtbar streng…mein großer Bruder hat erzählt…. Üben bis zum Umfallen…“
Die Worte rauschten an Severus vorbei. Sein Blick wurde festgehalten von einer getigerten Katze, die auf dem Lehrerpult saß, das Gesicht den Kindern zugewandt. Irgendetwas stimmte nicht mit dem Tier. Sie sah aus wie eine normale Hauskatze, aber trotzdem…
Die Katze thronte steif und unbeweglich. Severus wusste, dass Katzen das taten, wenn sie vor einem Mauseloch saĂźen, aber hier in der Schule war das unlogisch.
Mit einemmal wurde ihm klar, was da nicht stimmte. Wenn Katzen sich setzten, legten sie ihren Schwanz normalerweise um die Vorderpfoten. Diese hier hatte den ihren jedoch kerzengerade nach hinten gerichtet. Und schien sie nicht den Kindern zuzuhören?
Ein ungutes Gefühl beschlich Severus angesichts seiner lästernden Klassenkameraden.
Die Katze musste ganz leicht den Kopf gedreht haben, ihr Blick begegnete dem von Severus. Wieder floss ein magischer Strom durch ihn hindurch und diesmal konnte er die Quelle eindeutig ausmachen – es war die Katze.
Sollte das möglich sein? Konnte ein Mensch sich in ein Tier verwandeln? Unverwandt starrte Severus die Katze an und die hielt seinem Blick stand.
Mit dem Stundengong kamen noch zwei Ravenclaws ins Zimmer gestürmt. Sie ließen sich auf die beiden letzten leeren Plätze fallen, einer sagte: „Bloß gut, die Alte ist noch nicht da, da gibt´s keinen Punktabzug.“
Die Katze setzte zum Sprung an – und vor den beiden stand, hochaufgerichtet und kerzengerade, Professor McGonagall. „Punktabzug bekommen Sie nicht. Aber, Mr. Carmichael, verraten Sie doch bitte einmal, ab wann man bei ihnen ALT ist!“
Paul Carmichael wurde rot und begann zu stottern: „Ich, ähm, i-i-ich wollte…“
Lächelnd unterbrach McGonagall: „In der Welt der Zauberei ist nichts unmöglich. Sie sollten sogar dann darauf achten, was sie sagen, wenn sie glauben, ganz alleine zu sein und Selbstgespräche führen.“
Dieser Satz war der erste von vielen, die sich ganz fest in Severus´ Hirn einbrannten und ihm später noch von großem Nutzen waren.
Professor McGonagall erklärte nun die Grundlagen der Verwandlung, es war mucksmäuschenstill im Klassenzimmer. Eine Viertelstunde vor Unterrichtsschluss erhielt jeder einen Kieselstein; diese sollten sie in flache, runde Scheiben verwandeln.
Geduldig schritt die Professorin durch den Raum, zeigte, wie man den Zauberstab richtig hielt, korrigierte die Bewegung.
Severus klemmte die Zunge zwischen die Zähne und konzentrierte sich auf seinen Stein, aber nichts passierte. So oft er auch probierte, der Kieselstein blieb ein Kieselstein. „Verdammt, warum geht das nicht?“ Severus erschrak, er hatte das eben laut gerufen. Prompt kam auch schon die Ermahnung: „Snape, bitte mäßigen sie sich!“
Bobby Bulstrode drehte sich um und streckte ihm die Zunge heraus. „Fünf Punkte Abzug für Slytherin wegen ungebührlichem Benehmen, Bulstrode.“ – „Aber ich…“ – „Kein Aber; konzentrieren sie sich auf ihren Zauber!“
Noch und noch einmal versuchte Severus vergebens, den Kiesel flach zu machen. Was, wenn er nun doch kein so starker Zauberer war, wie Mr. Myer gemeint hatte? Wenn er nun ein Squib war und sie sich geirrt hatten, ihn hierher zu holen? Was sollte er tun, wenn sie ihn rauswarfen? Zurück ins Waisenhaus würde er auf keinen Fall gehen, da lieber …
Professor McGonagall unterbrach seine Gedanken: „Wenn es euch jetzt noch nicht gelungen ist, irgendeine Veränderung an den Kieselsteinen zu bewirken, dann heißt das noch lange nicht, dass ihr schwache Zauberer oder gar Squibs seid. Es ist nur eine Frage der Konzentration und der Übung, dass es euch gelingt, die magischen Energien richtig fließen zu lassen. Über kurz oder lang werden die meisten von euch die kompliziertesten Zauber schon nach zwei-, dreimaliger Wiederholung beherrschen. Einzelne werden es vielleicht sogar schaffen, ohne Spruch und Stab zu zaubern.
Aber ich muss ehrlicherweise auch sagen, dass nicht jeder jeden Zauber beherrscht, wenn ihr nach sieben Jahren eure PrĂĽfungen ablegt.
Das soll es für heute gewesen sein.“
In dem Moment ertönte der Pausengong. Alle standen auf und packten zusammen. „Mr. Snape, einen Moment bitte noch!“, rief Professor McGonagall über die Köpfe der Kinder hinweg.
Oh nein, nicht schon am ersten Tag! War sie so empfindlich, dass er für das eine laute „Verdammt“ gleich eine Strafarbeit aufgebrummt bekam? Im Hinausgehen steckte Bulstrode ihm wieder die Zunge heraus. Severus machte sein Pokerface und sah durch ihn hindurch in McGonagalls Gesicht – und die lächelte. Sie lächelte echt; es war nicht so ein hämisches Grinsen, wie es Miss Poultry immer aufsetzte, wenn sie sich eine Strafe ausgedacht hatte.
Als der letzte draußen war, schloss McGonagall mit einer Handbewegung die Tür und wandte sich dann, immer noch lächelnd, Severus zu. „Du hast es gewusst, nicht wahr?“
„Was meinen Sie, Professor?“
„Du hast gewusst, dass ich die Katze war, stimmt´s?“
Severus nickte.
„Hat es dir jemand erzählt oder hast du es selber gemerkt?“
Was sollte diese Fragerei? Was wollte die Frau? Zögernd antwortete Severus: „Ich habe es selber gemerkt.“
„Was ist dir aufgefallen? Woran hast du es gemerkt?“
Severus begann zu zittern. „Ich habe etwas gespürt, gleich als ich hier reinkam – Magie. Und ich habe mich gewundert, was eine Katze hier im Klassenzimmer macht und, na ja, irgendwie kam es mir komisch vor. Sie… die Katze…“ McGonagall nickte ermunternd. „…Die Katze saß so komisch steif da, den Schwanz gerade nach hinten. Ich meine, so sitzen Katzen doch normalerweise nicht, oder? Und ich hatte das Gefühl, die Katze würde zuhören und alles verstehen.“
Die Lehrerin lächelte immer noch. „Mir scheint, du bist ein guter Beobachter, Severus. Das ist wichtig und kann einem auch mal das Leben retten. Und wenn du wirklich Magie spüren kannst, brauchst du dich nicht zu ärgern, wenn mal ein Zauber nicht auf Anhieb klappt. Versuche, locker zu bleiben und nicht auf Krampf alles zu erreichen. In dir steckt allerhand drin, das weiß ich. Und jetzt sieh zu, dass du ins nächste Klassenzimmer kommst.“
Seltsam getröstet machte Severus sich auf die Suche nach dem Kräuterkundekabinett.
Der Rest des Schultages verlief ohne Zwischenfälle, Severus schaffte es, unsichtbar zu bleiben und kein Aufsehen zu erregen. Aber am Nachmittag gab es Ärger im Gemeinschaftsraum.
Als die Erstklässler geschlossen hereinkamen, saß Lucius Malfoy auf einem Sofa und hatte die Füße auf dem Tisch liegen. Bei ihrem Anblick erhob er sich betont lässig und trat ihnen in den Weg. „Wem von euch Idioten gebührt die zweifelhafte Ehre, schon fünf Punkte eingebüßt zu haben? So was hat´s ja wohl noch nicht gegeben, dass Erstklässler gleich in der ersten Stunde negativ auffallen! Also, wer war es?“
Johnny Talker, der kräftigste unter ihnen, schob Bobby Bulstrode nach vorn.
Malfoy polterte los: „Sag mal, Bulstrode, hast du noch alle Tassen im Schrank? Gerade bei Gryffindor-McGonagall musst du stören? Die lauert doch nur darauf, den Slytherins was abziehen zu können! Wenn das noch mal passiert, kannst du was erleben!“
Bulstrode versuchte, sich zu wehren: „Ich kann nichts dafür, der Snape hat…“
Bevor Bulstrode irgendeine Lüge vorbringen konnte, schrie Severus: „Ich hab´ dich nicht gebeten, mir die Zunge rauszustrecken und ich habe dir überhaupt nichts getan!“
Malfoy sah von einem zum anderen: „Jetzt mal der Reihe nach. Snape, was ist passiert? Aber sag´ die Wahrheit!“
Severus erzählte: „Mir ist ein lautes ´Verdammt, warum geht das nicht!´ rausgerutscht, weil der Kiesel sich nicht verwandeln wollte. Die McGonagall hat mich ermahnt, Bobby hat sich umgedreht und mir die Zunge rausgestreckt. Das hat sie gesehen und ihm fünf Punkte abgezogen.“
Lucius fragte mit sehr drohender Stimme: „Stimmt das?“ Die anderen nickten, schließlich nickte auch Bulstrode zaghaft. Lucius griff ihn am Ohr und zog ihn mit sich fort.
Als Bobby eine Viertelstunde später wiederkam, sah sein Gesicht ziemlich rot und verschwollen aus.
Es war eben besser, wenn man Lucius Malfoy zum Freund hatte…
Den ersten Schultag hätte der kleine Severus damit hinter sich gebracht...
Ich hoffe, dass Ihr beim Lesen mindestens halb so viel SpaĂź hattet, wie ich beim Schreiben!
Ăśber das eine oder andere Review wĂĽrde ich mich sehr freuen!
Euer käfer
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