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Fanfiction

Im Silberlicht bis Nimmermehr - Strick

von Teekon

Der splissige Dielenfußboden war übersät mit gesplittertem Glas. Scherben jeder Größe und Form verteilten sich in einem kelchartigen Muster, wie die Blüte einer Calla, weg von dem Fenster, das sie mal gewesen waren, und darunter mischten sich Späne und Spleis von morschem Holz. Teilweise waren die Sprossen ganz geblieben, wie Streichhölzer nach einem albernen Engorgio, andere waren komplett zersprungen und aufgerissen, als wären sie von innen heraus explodiert. Feuchtigkeit war darauf kondensiert und wieder verdunstet, die Fasern getrocknet und aufgequollen und erneut erstarrt von den wenigen Tagen, die darüber hinweg gegangen waren.

Niemand hatte es repariert. Nicht einmal bemerkt, wahrscheinlich, wo in der Gegend so viele Scheiben zerdeppert und notdürftig verhangen waren, solange der Sommer in den Straßen stand, sich die Wärme hielt zwischen den Häusern. Erst wenn die Blätter an den Bäumen sich zu verfärben beginnen würden irgendwo weiter westlich, südwestlich von diesem Ort, dann würden die Bewohner ihre letzten Pennies zusammenkratzen und den Schaden beheben. Wenn sie konnten, würden sie wieder Glas einsetzen, das bald von Eisblumen und zugigen Rahmen getönt werden würde in schleierigem Grau. War es zu teuer, hielt eben ein Stück Spanplatte. Das würde es kaum kühler, kaum eisiger machen.

Aber nicht hier. Nicht in diesem Fenster im zweiten Stock hoch über dem Asphalt, wo die langen, vergilbten Vorhänge über die Planken traurig schleiften. Es würde so bleiben. Gebrochen, gesprengt die darüber gesprochenen Schutzzauber, die jeden Eindringling abgehalten hatten, abgesehen von zwei Männern auf einem Besen, der eine fast bewusstlos, der andere den Sturz abfangend mit einer nur halb ausgeführten Rolle. Den Verletzten vor weiteren Blessuren schützend. Noch immer konnte man es sehen, waren Splitter und Bruchstücke zum zweiten Mal bewegt und vorwärts geschoben, gestoßen worden, wo Schuhe, Knie und schließlich Hände den Flug abgestoppt hatten.

Er fand sich an der gleichen Stelle wieder. Die Staubschicht jedoch, die war aufgewühlt und verschmiert worden, nicht mehr so, wie George und er sie zurückgelassen hatten. Die Verteilung der Trümmer war nicht mehr gleich. Zertreten. Von Stiefelspitzen beiseite gekickt und unbeachtet verbogen. Und das war nicht das einzige, was anders war, was sich verändert hatte in dem klammen, düsteren Ein-Zimmer-Apartment in Aldgate East, in Jack the Rippers altem Revier.

Vornübergebeugt, die Beine unter sich gefaltet und die Füße hochgestellt, verbreiterte sich seine visuelle Wahrnehmung nur sehr langsam. Die schwarze Robe, das Cape, das um seine Schultern lag, wog schwer auf seinem Rücken, und die klatschnassen Haare tropften einen engen Halbkreis zwischen Bett und Kamin. Oder den Raum, der mal diese Bezeichnung gehabt hatte. Es war wie in Ottery, genau wie in Little Whinging, wie bei Diggle und in Penge. All die mühevolle Arbeit, diese Orte zu sichern, sie gegen jedwedes Eindringen von außen zu schützen und zauberischen Alarm zu geben, sollte auch nur ein einziger Todesser ein Schnurrbärtchen in ihre Richtung ausstrecken, war von einer Minute auf die andere zunichte gemacht worden. Magie ist Macht. Und Macht hatte das Ministerium. Unter der Kontrolle von Lord Voldemort und seinen Schergen.

Sie konnten tun und lassen, was immer sie wollten. Zwischen die Auroren getreten, in Schlüsselpositionen eingesetzt wie Thicknesse, falls der überhaupt ahnte, in wessen Hände er spielte. Neue Gesetze, neue Methoden, neue Behörden, um abzuwickeln, was vom Großen Britischen Zaubererreich noch übrig geblieben war. Reine Fassade, ein schönes Trugbild, Potemkin'sche Dörfer rechts und links der Themse. Und Ordensmitglieder nun Freiwild, dennoch nicht gejagt wie von der Reichsacht des Kaisers getroffen. Schön langsam, schön subtil, ein Spielchen, ein sanftes Zu-Tode-Hetzen, wie in königlicher Fuchsjagd. Terror, Denunziation, Misstrauen, Angst, schreckliche, grausame Furcht. So wie die Razzien, die spätabendlichen Besuche ihrer Trupps.

Greifer nannten sie die rasch zusammengezimmerten Banden, die nun durchs Land zogen, um Muggelgeborene und diejenigen zu fangen, deren „Blutstatus“ überprüft werden musste. Nicht die schlimmsten, nicht die schlausten, nicht die talentiertesten seiner Leute. Wollte er mehr, wollte er zermürben, war einer dabei, dem das Dunkle Mal in schwarzen Schlieren über den Unterarm züngelte. Er vergaß es nicht. Lestrange. Rookwood. Jugson. Aber die Wut war verpufft. Ausgelöscht von Londons blassem Regen.

Remus Lupin hob den Kopf und wischte sich mit einer Hand die triefenden Strähnen aus der Stirn. Der Tropfen, der ihm an der Nase hing, verfing sich im Aufschlag des Tweed-Jackets. Merlin und Großmutters Heilige, was hatten sie hier zu finden vermutet? Das ärmliche Zimmerchen, in dem er mehr schlecht als recht gehaust hatte all die Jahre, seit Pa auf den Kirschholzstufen in seinen Armen gestorben war, war vollkommen auf den Kopf gestellt. Sie waren nicht durch die Tür gekommen, nicht die quietschende, knarzende Treppe hinauf, vorbei am fetten, schmierigen Thomson. Das hatten sie nicht nötig gehabt. Hineinappariert. So einfach, nachdem erst einmal alle Barrieren gefallen waren.

Die silbergrauen Augen, matt wie geschliffene Murmeln, fanden den abgeräumten Kaminsims, die Löffel und Gabeln und Teller (oder das, was davon noch übrig war), verstreuten sich links und rechts von dem dunklen Loch in der Wand, in dem er sein Feuer entzündet hatte, in dem er seine Mahlzeiten zubereitet hatte. Asche malte ein bizarres Muster auf porösen Stein und sammelte sich in leeren Astlöchern von zerschundenen Dielen.

Die Kommode hatten sie geöffnet, sämtliche Schubladen herausgerissen. Nicht mehr viel hier gewesen. Ein paar seiner dünn gescheuerten Hemden hatten sie aufgeschüttelt und achtlos zu Boden geworfen. Hosen, dünne Unterwamse, Socken auseinander gerollt. Aber nichts gefunden. Die schmalste, die oberste Lade, war mit solcher Gewalt geschleudert worden, sie war an der Wand zwischen den beiden Fenstern, dem gesplitterten und dem heil gebliebenen, zerschellt. Kohlestifte ohne Halter und abgenutzte Kiele ohne Federn daran, dazu ein paar sorgfältig in brauchbare Stücke zerteilte Pergamentviertel, garnierten das Tohuwabohu.

Bilder hatte es nie gegeben, nie hatte etwas am rissigen Mauerwerk gehangen, abgesehen von einer einfachen Garderobe. Sie hatten die Gardinen genauso zerschnitten mit kurzen Dolchen wie den Vorhang an seinem kaum stabilen Metallrondell, hinter dem sich die karge Waschecke verborgen hatte. Der Spiegel, gerade einmal so groß wie ein Handteller, lag in glitzernden Scherben unter dem umgeworfenen Hocker, und das einzige Handtuch war nur noch ein Lumpen.

Der Tisch. Sein geliebter Tisch. Das massive Möbel aus gut verarbeitetem Eichenholz, auf dem er so viele Abende lang gezeichnet und getüftelt hatte, auf dem er viele Male eingeschlafen war, die Stumpen der Kerzen als einzige Lichtquelle, sie hatten es zerlegt wie eine lästige Libelle, der ein dummer, bösartiger Junge die Beinchen ausriss. Wachs, nicht heiß zerlaufen, sondern unter dem Gewicht der Platte zerstoßen, lag in Brocken wie eine Spur hinüber zu den unzähligen Schnippseln, Fetzen und Stückchen aus gefärbtem Leinen, angesengtem Leder und faserigem Papyrus. Bücher. Von Bombarda zerstört.

Zu seinem Nachttisch hatte er sie aufgestapelt gehabt, einfache, nicht so oft mehr genutzte Literatur aus der Schulzeit. Zauberkunst und Lexika zu Pilz und Kraut und Mineral, Rezeptesammlungen für Tränke. Eine richtige Lampe, mit Tran betrieben, hatte dort gestanden, doch jetzt konnte er nur den Henkel aus angelaufenem Messing erkennen, der irgendwo zwischen dem Rücken eines auseinander gerissenen Buches und dem oberen Pfosten seines Bettes herausschaute.

Vielleicht das Grausamste von allem, was sie hier angerichtet hatten. Alles, was vom Leben eines verarmten, einsamen Mannes übrig geblieben war: Zerbombt. Fast hätte er darüber zynisch, heiser lachen können. Doch es ging nicht. Es ging gar nichts mehr. Der Rahmen war an allen vier Ecken niedergedrückt worden, so dass hölzerne Haltebolzen gebrochen waren und herausschauten. Das Fußende war nach innen gelehnt, nur noch vom Fallen bewahrt durch die aufrecht stehende Matratze, von ihren Laken befreit. Weiß und blau gestreift und gesteppt und von etwas Scharfem mit unregelmäßigen Kanten aufgeschlitzt von unten nach oben, bis zu der so wohl vertrauten Delle, in die er seine Schulter gebohrt hatte, Nacht für Nacht.

Remus lehnte sich erneut vornüber, stützte sich auf lang ausgestrecktem Arm und geballter Faust ab, dass sich winzige Bruchgläser in die Finger trieben, doch auch das spürte er kaum. Es gab etwas, das er nicht sah in den Trümmern seiner Existenz, egal, wohin er schaute. So viele zerstörte Gegenstände, doch nirgends das blass rötliche Holz, von sanfter Wärme gebogen zu einem halbrunden Deckel, und vorwärts robbend duckte er den Kopf unter den Sturz des Kamins und zog sich mit einer Hand tiefer in das verrußte Loch hinein. Augenblicklich trafen feine Nieseltröpfchen seine Nase, seine Stirn, und das schwindende Abendlicht berührte seine verquollenen Augen. Da oben irgendwo schimmerte ein winziges Quadrat Himmel.

Sie hatten es nicht gefunden. Er war sich sicher, er spürte es. So wie man wusste, dass einem die Zehen in den Schuhen nur eingeschlafen, nicht abgefallen waren in eisiger Kälte. So wie einem immer und jederzeit bewusst war, dass dort oben hehre Sterne leuchteten, ganz gleich wie dick und dicht die Schicht aus grün glimmendem Mal über niedergebranntem Haus war. Ob sie das gesucht hatten? Wovon sie niemals wissen konnten? Remus hatte keine Ahnung, doch das spielte auch keinerlei Rolle. Weil er es nicht herausfinden würde. Keine Zeit mehr dazu. Nur noch weiter in den engen Schacht hinein kriechen, dass er sich kaum herumdrehen konnte mit seiner langen Statur, das eine Knie so nah am Kinn, es streifte seine steif abstehenden Barthaare, bog Remus seinen gertenschlanken Körper in eine unmögliche Position.

Das Mauerwerk schien unversehrt. Noch immer stapelten sich die Backsteine übereinander in einer langen, gleichmäßigen Reihe, nicht versetzt wie die übrige Innenfassung des Kamins. Der Mörtel dazwischen war fahl und porig und heller, und wenn er ehrlich war, konnte man es gar nicht übersehen. Die langgliedrigen Finger griffen nach dem kleinsten Ziegel und schoben sich durch den schmalen Spalt an seiner Oberkante, kippelten ihn nach vorn, dass er ihm fast in den Schoß fiel. Danach leichter, die restlichen Steine zu entfernen und den dunklen Raum freizugeben, so schwierig einzusehen, stand man nicht halb im Schornstein. Nur, wer diesen Kamin als Reisemöglichkeiten nutzte, hätte jemals den Verdacht gehabt, irgend etwas hier sei anders.

Man konnte sie nicht sehen, die Truhe aus poliertem Erlenholz, die er hier verwahrte, geschützt von nichts weiter als Heimlichkeit, gänzlich ohne Magie verborgen. Denn die hinterließ Spuren. Und Zauberer, gerade die, dem Reinblutwahn verfallen, hätten sich niemals vorstellen können, jemand könne sich auf die Welt verlassen. Remus Lupin hatte gekonnt. Immer. Um beide Arme auszustrecken, war der Spalt zu eng, und nur die filigranen Griffe an den Seiten halfen ihm, das Kunstwerk über den staubigen Boden des Verstecks zu ziehen. Ein schrammendes Geräusch, nur einen Moment lang, das Holz mit einer Vliesmatte vor dem Zerkratzen bewahrt, und schon hatte er sie befreit. Die Truhe, die Großmutter gekauft hatte, mit Messing beschlagen. Die Edward ihm geschenkt hatte vor so vielen Jahren.

Vorsichtig, zitternd die von Adrenalin und Anstrengung nun ausgelaugten Beine in extrem abgeknickte Haltung gezwungen, balancierte Remus sie hinunter, bugsierte sich hinaus und brachte sie mit. Seltsam. Innerhalb des Zimmers war es düsterer als unter dem noch so beschnittenen Zelt aus Abendhimmel weit oben im enger werdenden Schornstein. Die sommerlich goldene Scheibe der Sonne, die abregnenden Wolken durchbrechend, war längst hinter den Dächern verschwunden. Nur noch einzelne Strahlen traten glitzernd zwischen den Fernsehantennen und den Kirchturmspitzen hindurch, und dabei fiel noch immer ein schwächer werdender feiner Bindfadenregen.

Verschwunden die Wut. Verschwunden die Scham. Nicht einmal mehr vorhanden, dieser wirre Orkus, den das Wort heraufbeschworen hatte, das der Junge benutzt hatte. Er konnte kaum noch sein Gesicht sehen, sogar die so herrlichen Augen, Nilgrasgrün, frisch und satt die Farbe, konnte er sich nicht ins Gedächtnis rufen. Im Unterbewusstsein vorhanden all das, jedoch nicht mehr im Jetzt und Hier. Kälte, die nicht frieren ließ. Hitze, die nicht verbrannte. Leere, die nicht zerfraß, die aber auch nicht ausfüllte. Keine Beschreibung gab es für dieses Gefühl. Es war ähnlich wie damals, wie auf der scheußlich türkisfarbenen Metallstrebe, die Flut darunter so rufend und so aufgewühlt. Heute nicht. Still und ruhig saß er da auf seinem eigenen Fuß, das nasse Leder quietschend über dem Funkenfang aus blankem Zement.

Er brauchte ihn nicht mehr, nicht wahr? Hatte andere nun, die ihn lieben konnten, die für ihn da sein, auf ihn aufpassen, mit ihm kämpfen konnten. Und erzählen? Das wollte er doch gar nicht. Hätte er wissen wollen, wie es wirklich gewesen war - wie unschlagbar gut Lilys zarte Hände eine fiebrige Stirn kühlen, oder wie unumstößlich spontan eine Idee von James jedes Herz in Flammen setzen konnte – er hätte gefragt. Nie. Niemals. Luft für ihn. Auch das versetzte nicht den erhofften glühenden Stich in der Brust. Fühlen. Nur fühlen können, bitte. Da war gar nichts. Stumpf und taub und tot. Schon tot.

Also wozu dieses Mal? Hm? Welchen Grund dieses Mal ausgraben? Er saß nur da und horchte, horchte tief in sich hinein, ob sich etwas regen wollte, schaute in jeden Winkel seiner selbst und fand nur hohe Zäune, an denen er sich nicht hochziehen, hinter die er keinen Blick werfen konnte. Oder wollte? Wie ein Gummiball von einer Hauswand abprallte. Wie das grüne Ende eines Magneten, wenn es auf das rote Gegenstück traf. Es schleuderte ihn davon zurück. Nicht heftig genug, um zu lösen, was herausstand, nicht kraftvoll genug, um die Rüstung zu zerbrechen. Er blieb merkwürdig kühl.

Entfernte Motorengeräusche mischten sich mit dem müden Stakkato des Niederschlags auf den blechernen Fenstersimsen draußen. Pfützen füllten sich. Schritte eilten vorbei, hastig und rasch, und dann waren sie fort. Auch Aldgate rührte sich nicht. War genauso glanzlos geworden wie er. Kein Licht mehr in den Augen. Genau so nass wie damals am Ufer der Themse, die dem Meer entgegeneilte und Jolle und Boot gegen die Kaimauern schlug. Britzelnd sprang eine Straßenlaterne an, und Remus hockte noch immer da, die Truhe aus Yorkshire in den klammen Fingern, dass der einfache Ring gegen die Kante schabte.

Wann er sich daraus befreite, nur sacht das Gewicht verlagerte, daran konnte er sich nicht erinnern, das bekam er kaum mit. Der Daumen streichelte die schöne Maserung, doch das drang nicht an seine Wahrnehmung. Dissoziiert. Losgelöst. Von sich selbst. Keine Ahnung, wieso er das überhaupt tat. Etwas von sich zurücklassen? Wozu? Für wen? Was ist dein Vater? - Nichts. Vater. Er schloss die Augen und hätte fast übersehen, überfühlt, wonach er sich gesehnt hatte: Irgendwas zu spüren. Ein bebendes Ziehen genau dort, wo sich die Rippenbögen trafen, wie ein Ballon mit Helium gefüllt nach oben schwebend, endlos langsam das Mittelfell hinauf geschoben. Vater. Edward. John. Er selbst. Er selbst? Seiner Kehle entkam ein winselndes Quietschen, und er musste sich vornüber beugen.

Kein Gedanke begleitete es. Aber etwas änderte sich. Die Starre, die Steifheit, sie zerfloss, ohne dass sich Wärme entwickelte. Als hätte jemand Öl auf das Getriebe geträufelt, schmieriges, zähes Öl. Er zog beide Beine unter sich, wie ein Schneider auf seinem Arbeitstisch, faltete die langen Stelzen unter seinem Körper und postierte die Truhe auf den hageren Knien. Sie war nur notdürftig verschlossen mit einem winzigen Schlüsselchen, doch auch ein Zauberstab konnte das erledigen. Das verschüttete Glosen in der Mitte seiner Selbst blieb schüchtern, auch als ihm der süße Duft von Erinnerung entgegen schlug. Pergament und Siegelwachs, Zauberkreide und Leder, die metallische Note, wie Blut auf der Zungenspitze. Remus leckte sich unwillkürlich die Lippen und streckte eine Hand aus.

Zaghaft. Wie im Keller von Honeydukes so viele Sommer zuvor, wenn man aufgefordert wurde, in den hohen Glaskrug zu greifen und sich etwas herauszunehmen, einen Lutscher vielleicht, eine neue Sorte Botts Bohnen mit herrlich vanillefarbenem Gelee in der transparenten Hülle schwimmend, wenn man Angst hatte, es könnte Krötenschleimgeschmack sein. Jeden Gegenstand kannte er, den er je dort hineingelegt hatte. 'Alles, was dir etwas bedeutet'. Die roten und goldenen Fransen baumelten aus dem Siegel heraus – Draco dormiens nunquam titillandus – noch immer fest verschlossen über einem NEWT mit der Note Outstanding. Des Professors Schlüssel mit der rautenförmigen Reide, verschlungene Blätter, Hieroglyphen, Abschad, entzündete sich in grünem Nebel, der seinem Handgelenk entgegen waberte. Ein Fläschchen Tinte, so dunkelblau wie der Nachthimmel das Conspecta, so milchig die Schlieren des Inconspecta darin. Seine Fingerkuppen glitten über all das, zärtlich wie sonst nur über die Flüsse auf ihren weißen Unterarmen.

'Ich würde mich ziemlich für ihn schämen'. Seine Schultern hoben sich in einem tonlosen, freudlosen Lachen. Welch seltsame Erinnerungen das brachte. Nicht das zischende 'Verräter' im Turmzimmer. Nicht das schneidende Schnarren eines Jungen mit fettigem Haar. Keinen abschätzigen Blick. Eine rasche Abfolge von sich wie Kirmeslichtern verwirbelnden Bildern, gläserner Tau auf der Wiese unter der Peitschenden Weide, Schneeflocken hinter den Scheiben über dem tief eingeschnittenen Tal, die wohlige Wärme des schwarzen Gussofens, den bitteren Gestank vom Trank der Lebenden Toten. Da ganz unten drin, da war der Reagenzglasständer, zweckentfremdet, und die Flacons klirrten wie buddhistische Klangschalen in einem Tempel in den verschneiten Bergen des Himalaya. Und die hellen Silberschleier darin tanzten zu ihrer eigenen Musik.

Ein paar davon noch leer. Nein. Er mochte sich jetzt nicht damit befassen, keine aussuchen, nein. Blieben sie halt so. Unvollendet. Sich losreißend davon, langte er in die geschützte Innentasche seines Tweed-Jackets, des selben, das er damals auf den hohen Ohrensessel unter der kleinen Hängelaterne in ihrem Wohnzimmer gelegt hatte, die Ellbogen nun mehrfach geflickt, gestopft die Löcher von Attacken, die all die Jahre der stillen Verteidigung, des Wachens, in den derben Stoff geschlagen hatten. Zu schade. Er würde sie nicht mehr brauchen. Remus John Lupin ließ es noch einmal auf sich wirken, die Weichheit des schwarzen Moleskin-Einbandes, die abgegriffenen Seiten, so sanft gerieben das Papier, und der Daumen blätterte hindurch.

Bewegte Strichmännchen, Zeichnungen von Lageplänen, gekritzelte Worte in persönlicher Stenographie. Liebgewonnen, ein Teil von ihm, miniaturisiert die Einträge, damit er kein zweites Exemplar brauchte und alles in dieses eine Notizheft passte. Sogar die nützlichen Buchstaben des fremden Alphabetes, Lautschrift daneben, damit er nicht erst suchen musste in jenem zweiten Büchlein, dessen Stoffdecke nun schon aufgeribbelte Fäden trug. Das machte nichts, das war OK. Das wäre auch für den Sayid in Ordnung gewesen. Weil sie ein Zeichen von Wertschätzung waren, von Nutzung, von Respekt. Er berührte es mit der Stirn, ehe er es dazu legte und ein letztes Mal das Zeichen für Al-Iskandariya mit den Fingern striff.

Den Ring? Nein. Den wollte er nicht abnehmen. Der gehörte dorthin, festgewachsen zwischen den Knöcheln des Grund- und des Mittelgelenkes, und allein der Gedanke daran, ihn nicht dort sitzen zu haben auf dem Meridian, der direkt zum Herzen führte, löste eine innere Revolte aus, als müsse er sich übergeben, ohne dass sich das körperliche Gefühl dazu einzustellen brauchte. Er würde es nicht tun, keine Sorge. Den wollte er so mitnehmen. Weil es das einzige war am Ende, das wirklichen Wert hatte. Und dabei das jüngste Stück von allen.

Eins noch. Auch das sollte dabei sein. Wieso? Er wusste nicht so recht. Was würde es einem Kind bedeuten, einem vielleicht irgendwann einmal großen, hageren Jungen mit dunklen Ringen unter den hellen Augen? Würde er das wissen wollen? Was hätte er davon? Vier Kerle, jung und dumm und albern, ein Mädchen dazwischen, kreischend vor Lachen ob ihrer Verrücktheiten und blöden Streiche? Wie Black darauf eine Arie zu schmettern schien. Remus lachte heiser. Wie Peter auf seinen dicken Hintern fiel. James strahlte so gleißend wie ein Stern. Und Lily. Einfach nur Lily. Das Ziehen war salbungsvoll, aber es überrollte nicht mehr. Einen Taifun erlebt, der mehr Kraft hatte, der die Welt aus den Angeln heben konnte.

Diese Bilder bewegten sich nicht. Aus Jux entstanden, aus einer Laune heraus, aus einer ihrer unschlagbar frühlingshaften Ideen, die angeflogen kamen wie die watteweichen Schirmchen von Löwenzahnsamen und so viel Macht hatten wie ein warmer Wolkenbruch über goldenen Weizenfeldern auf den Klippen über Lulworth Cove. Am Bahnhof, Victoria Station, zwei Menschen in einer Box, und die vier, fünf Fotos reihten sich untereinander als wollten sie alle Kategorien von Gemütszuständen zusammenfassen, in die einen dieses lebendige Wunder stürzen konnte. Hals über Kopf. Nase voran. Ohne die Hände zur Hilfe zu nehmen. Weil er es genau wusste: Solange sie bei ihm war, konnte er fliegen.

Die Tränen kamen von ganz allein. Sie waren heiß und kalt und warm und kühl, brannten wie Lava, linderten wie Balsam, erleichterten nicht, beschwerten nicht. Sie liefen einfach. Ihm bebten die Schultern davon, der ganze Brustkorb, er konnte nur noch verschwommen sehen und dennoch klarer als je zuvor, als er sie obenauf legte und den Deckel schloss. Das hier war nicht für sie bestimmt, nicht für die, die diesen Krieg vielleicht letztendlich doch gewinnen mochten. Die Opfer umsonst, auch seine eigenen. Waren sie das nicht alle irgendwie? Seine? Das war nicht mehr wichtig. War es nie gewesen. Und gleichzeitig Grund und Ursache für jede Entscheidung seines Lebens bis zu diesem Punkt. Darüber hinaus.

Ein Zauber noch. Er sollte nicht rot sein. Seine Farbe. Das alles bestimmende Silber. Das Mondlicht berührt unsere Herzen in vielfältiger Weise. Die Truhe, Großmamas Zaubertruhe aus geschnittenem Erlenholz, zwei Reifen aus dem selben Werkstoff darüber gezogen, als wäre sie beschlagen, stellte er auf den Dielen ab und richtete seinen Stab auf das Schloss. Die Scherbe dort würde ausreichen. Fast hätte er gelacht, wie er den Kopf schüttelte. Nie verstanden, wieso man sich zum Schwur ausgerechnet in die Handflächen schnitt. Das behinderte doch. Das beschränkte. Für ihn doch jetzt egal. Der Schmerz war sensend, aber nicht unerträglich.

Ein einzelner Tropfen quoll aus dem rissigen Schnitt, schwellend und dunkel der Schwerkraft entgegen. Wie eine Locke nahm er ihn auf, zwirbelte ihn um die Spitze des Zauberholzes herum, und Remus Lupin entschied, dass er ihn aussprechen, dass er ihn hören wollte mit seiner eigenen, rauchig heiseren Stimme: „Obsigno.“ Silbern. Nicht nur. Silbern und grün, so als stemme sich von innen etwas gegen das Schloss des Kistchens, vibrierte das ganze Kunstwerk, und die Riegel schnappten zu und das Licht verlosch. Versiegelt.

Sicher nun für eine lange Zeit. Das würde genug sein. Er hob es auf, wie er sich auf die Füße stemmte, und noch immer tröpfelten dicke Perlen aus Regenwasser von seiner schwarzen Reiserobe. Auf dem Sims, wo man sie finden würde. Die Todesser würden nicht zurückkommen. Er seufzte nicht. Er nahm nicht mal einen tiefen Atemzug, wie er den Kopf in den Nacken legte und mit offenem Mund die Decke absuchte.

Da war er, der Wasserschaden, die aufgebrochenen Bretter, die vom Unterboden des oberen Stockwerkes abgrenzten. Die Rohre schauten daraus hervor, schmale gelbe, dickere schwarz-grüne, früher mal Kupfer. Und grau. Ja. Das sollte reichen.


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Katie Leung