Forum | Chat | Galerie
 
Startseite | Favoriten
Harry Potter Xperts
Harry Potter Xperts
Startseite
Newsarchiv
Link us
Sitemap
Specials
Shop
Buch 7
Buch 6
Buch 5
Buch 4
Buch 3
Buch 2
Buch 1
Lexikon
Lustige Zitate
Gurkensalat
Hörbücher
Harry, A History
Steckbrief
Biographie
Werke
Erfolgsgeschichte
Interviews
Bilder
Harry Potter & Ich
JKRowling.com
Film 7, Teil 1 & 2
Film 6
Film 5
Film 4
Film 3
Film 2
Film 1
Schauspieler
Autogramme
Galerie
Musik
Videospiele
Downloads
Lesetipps
eBay-Auktionen
Webmaster
RSS-Feed
Geburtstage
Gewinnspiele
Twitter
Fanart
Fanfiction
User-CP
Quiz
Währungsrechner
Forum
F.A.Q.
Ãœber uns
Geschichte
Impressum

Fanfiction

Im Silberlicht bis Nimmermehr - Der richtige Zeitpunkt

von Teekon

So spät in der Nacht war es angenehm still und wunderbar dunkel in den langen Korridoren und hohen Hallen von Hogwarts. Fackeln, Lampen und Laternen waren herunter gedimmt zu so kleinen Flammen, dass sie nicht einmal flackerten, wenn angenehmer Frühsommerwind durch angelehnte Fenster hinein huschte. Von den tiefsten Verließen mit dem Anleger für die Boote bis hinauf in die höchsten Turmzimmer von Ravenclaw und Gryffindor war das ganze Schloss erfüllt von friedlicher Ruhe, und nur draußen regten sich Grillen und Eulen und Mäuschen in den taugetränkten Wiesen und im Schatten der Bäume des Verbotenen Waldes. Herrlich, diese Zeit des Tages.

Ein junger Mond zog seine Bahnen über den Himmel hinter den bunten Bildern aus zusammengesetzten Butzenscheiben, hin und wieder nur überdeckt in seinem zierlichen Schein von durchziehenden Schleierwölkchen. Tausende und Abertausende von blitzenden, funkelnden Sternen waren über den Teppich dort oben gestreut wie kleine Edelsteine, manche grünlich und andere von zartestem Rot, aber keiner so jung und heiß und blau wie der Gürtel des Orion, der sich nur im Winter zeigte. Sie spiegelten sich in der ruhigen, weiten Wasserfläche des Sees, in dem, tief unten irgendwo, die Riesenkrake schlief und schlummerte. Rehe streiften in kleinen Rudeln durch die ufernahen Sumpfflächen, wo Krattler sich auf der Jagd befanden, und ein Wiesel stieb so eilig und hastig durch das Unterholz, dass es wie eine hüpfende Schlange in der Finsternis ausschaute.

Kurz vor den großen Examina am Ende des Schulterms leuchteten viele Fenster noch lange in die Nacht hinaus, doch die Zeiger der Uhren standen nun weit rechts auf ihren Ziffernblättern, und fast überall träumten die Schülerinnen und Schüler von Eiscreme in Hogsmeade und Baden und Exploding Snap unten auf der Wiese zwischen den Mauern und dem Quidditch-Feld. Nicht einmal Filch bewegte sich noch durch die Gänge, sein persönlicher Punkt befand sich unbeweglich gleich neben dem von Mrs. Norris in seinen eigenen Privaträumen im Erdgeschoss. Die einzige Person, die noch herumlief, war Professor McGonagall auf ihrer Nachtpatrouille, wie sie die schweren Tore in der hinteren Eingangshalle in völliger Routine ein letztes Mal rüttelte. Nur schwach rumorte das dumpfe Wummern der Scharniere durch das weite Höhlensystem der Flure. Sonst blieb alles still.

Nur dort oben, wo kein Licht aus den Fenster hinaus fallen konnte auf das gut geschnittene Gras, wo höchstens irgendjemand, der im Dorf unten nicht schlafen konnte, es bemerken konnte, knisterte noch immer, zu so später Stunde noch, ein kleines Feuer im großen Kamin des Gemeinschaftsraumes von Gryffindor. Wärme brauchte es nicht zu spenden, war eher eine weitere Quelle der Helligkeit, so wie die mehr und mehr vor Ölmangel schummrig werdende Lampe auf dem niedrigen Tischchen neben dem längsten Sofa. Überall stapelten sich ausgeliehene Bücher und Wälzer und Schriftrollen, ausgebreitete Tabellen, manche davon aufgehängt an den Wänden ringsherum, damit man sie besser im Blick hatte, und nicht vielen Schützlingen hätte Madame Pince eine solche Fülle jemals erlaubt. „Nur fünf Stück auf einmal!“ war ihre mahnende Devise. Hier aber wollte sie gern eine Ausnahme machen.

Die vielen Couchtische und Bänkchen waren alle in der Mitte des Raumes zu einem riesigen Pinnbrett zusammengeschoben worden, Zeichenpergament darauf ausgebreitet und mit klobigen Briefbeschwerern an allen Ecken und in jeder Falte noch einmal befestigt, damit es nicht verrutschte und die frisch aufgetragene Tinte verwischte und verlief. Ein Mammut-Werk! Und endlich fertig.

Remus Lupin seufzte lautstark und plumpste theatralisch auf den Hintern, breitete beide Arme so lang aus, wie es eben ging und stützte sie auf der Rückenlehne des Sofas ab. Den Kopf nach hinten werfend, schloss er die brennenden Augen und nahm einen tiefen Atemzug. Geschafft. Was für ein Aufwand. Ihm gegenüber auf einem durchgesessenen Sessel (und damit fürchterlich tief im Sitzkissen versinkend) kicherte Lily Evans sich in eine vor den Mund gehobene Faust und bohrte sich die Zweite in die Nasenwurzel. Was für eine Müdigkeit! Eine Mütze voll Schlaf vor dem morgigen Unterricht wäre jetzt genau das Richtige. Und die hatten sich die beiden Präfekten redlich verdient.

„Nie wieder Alte Runen,“ brummte der junge Mann heiser, die Kehle ganz trocken, weil er, wie immer bei solchem Arbeitspensum (und seiner so typischen, fast schon fanatischen Hingabe dabei), nicht genug getrunken hatte. Immerhin wäre es möglich, etwas von dem Tee oder Waser oder gar Saft über das Projekt zu schütten, womit die ganze Schinderei umsonst gewesen wäre, und das ging natürlich nicht. Am liebsten hätte sie rasch mit den Augen gerollt. Als gäbe es für solche Momente keine Zaubersprüche. Und außerdem war das sowieso gelogen. Er liebte Alte Runen. Und mit niemandem außer ihm hätte sie diese Vokabelliste für die Unterklassen 3 bis 5 so vollständig und lückenlos hinbekommen.

Ein Faltblatt war es, die Größe verschwieg man besser, doch wenn man es zusammenlegte, war es wirklich eine Art Wörterbuch zum Aufklappen. Jedes einzelne Zeichen war in seiner Entwicklung dargestellt, Babylonisch, Assyrisch, Griechisch, und die Verben sogar konjugiert, mit dezentem Verweis auf die in Vergangenheits-, vollendeter Vergangenheits- und Zukunftsform zu verwendende Deklinationsart. Das war die größte Arbeit gewesen. Und fast ein ganzes Schuljahr hatten sie dafür gebraucht. Zweimal die Woche (was also bedeutete, dass drei Abende von sieben für ihre gemeinsamen Schulprojekte draufgingen) hatten sie sich spät abends hier oder in der Bibliothek getroffen, um damit vorwärts zu kommen, und nun lagen die Früchte dieser Schufterei in aller Pracht vor ihnen. Aufgetragen in sauberer Schrift, ihrer wie seiner, fast wie gemalt, farblich hervorgehoben und sogar hier und dort illustriert und mit Grafiken versehen, die sie selbst zusammen entworfen und fabriziert hatten, konnten sie wirklich stolz darauf sein. Jetzt musste das Ganze nur noch trocknen, und schon wäre es endgültig fertig.

Sie sahen wirklich beide zum Fürchten müde aus. Remus machte glatt den Eindruck, als habe ihn seine Krankheit dieses Mal zwei Wochen zu früh erwischt, und es war ihr sowieso ein reines Rätsel, wie er zu solchen Kraftanstrengungen fähig war, wo es ihn doch sonst so regelmäßig derartig aus den Socken haute, dass er manchmal drei Tage lang nicht zum Unterricht erscheinen konnte. Leise den Kopf schüttelnd, beobachtete Lily ihren besten Freund, der aussah, als würde er jeden Moment so wie er da saß, das Kinn gen Decke gestreckt, die bloße Kehle präsentierend und die Lider fest verschlossen, beide Arme links und rechts schlaff über die Couch gelegt, einfach einschlafen. Das hätte sie jetzt auch gern hier und auf der Stelle getan. Es war nicht mal kühl, der Sessel herrlich weich und bequem, und die Gesellschaft sowieso kaum besser vorstellbar.

Längst hatte er sich nach und nach aus seiner viel zu dicken Kleidung gepellt, die Robe zuerst und gleich zu Anfang, damit er bloß nicht mit den Ärmeln in die Tinte kam und alles versaute, und das wenigstens noch hatte Lily verstanden und ihren Zaubererumhang ebenso beiseite gelegt. Wo sie sich allerdings noch in ihren Pullover hüllte, sogar die rot-gold gestreifte Krawatte von Gryffindor noch sorgfältig um den schlanken Hals gebunden, hockte Remus mittlerweile in seinem nicht mehr ganz so strahlend weißen Hemd auf dem Sofa, die Knie auseinander gedrückt und unruhig schlackernd (wahrscheinlich nur, um ihn wach zu halten), die langen Schösse aus dem Bund gezogen und wie die Zipfel von Tischdecken über beide Oberschenkel drapiert. Schlips und Pullunder lagen in einem zerknüllten Haufen unachtsam in einer Ecke zwischen Arm- und Rückenlehne, und sogar die Schnürsenkel waren auseinander gezogen und halb aus den Löchern gezerrt. Leger unterwegs, der Herr, heute Nacht.

Darüber hätte sie fast wieder gekichert, aber Lily musste fürchterlich gähnen und hatte glücklicherweise die Hand gleich an der richtigen Stelle. „Wir sind Helden,“ befand sie wenig enthusiastisch, noch mit dem langgezogenen Atmen ihrer Müdigkeit nachklingend, und endlich gab Remus wieder ein Lebenszeichen von sich. Grinsend kippte er den Kopf nach vorn, so schwer, dass er ihm regelrecht gegen das Brustbein pendelte, und seine silbergrauen Augen waren ganz klein und verquollen dabei. „Eine fast so anstrengende Aufgabe wie Ferien mit Black,“ meinte er und erinnerte sich halb erschöpft, halb amüsiert an die Bändigung eines Energiebündels, wie nur Sirius es sein konnte. 'Ich will dies machen, ich will das machen, können wir hierhin, können wir dorthin'. Mann. Und die Beschreibung passte gut. Denn, auch wenn es einen entsetzlich auslaugte, machte es trotzdem einen Heidenspaß. Und das war bei diesem Projekt für Alte Runen nicht anders gewesen.

Wenn sie nicht so müde gewesen wäre, Lily hätte vielleicht gar nicht in eben diesen Bahnen gedacht, oder zumindest hätte sie diese Idee für sich behalten. So aber, die Nacht so weit fortgeschritten, die Konzentration der Arbeit endlich gelöst und eben diesen so wohl vertrauten Geruch nach Kiefernnadeln und frisch geschlagenem Holz in der Nase, einer Mischung, die sie immer ein wenig schläfrig stimmte, immer ein wenig Watte um sie herum legte, geborgen mochte sie das nennen, entlockten es ihr. Nur gewispert zwar, aber dennoch schnaubte sie vorsichtig durch die Nase und rieb sich dabei den Nacken. „Oder so anstrengend wie James.“

Remus antwortete nicht darauf. Nicht mit Worten, das war auch gar nicht nötig. Unbewegt saß er da, den Kopf leicht schief auf die eine Schulter gelehnt und schaute sie an, das Lächeln auf seinem Gesicht so hell, dass es die schummrige Lampe neben ihm überstrahlte. Ihre Wangen hatten ein zartes Rosé angenommen, deutlich jedoch zu erkennen in dem schwachen Licht ringsherum, wie ihr offenbar doch noch aufgefallen war, was sie da von sich gegeben hatte. Am liebsten wollte das Mädchen sich räuspern, die Achseln zucken oder irgendetwas Anderes tun, dass von Nichtigkeit sprach, aber es klappte nicht. Wozu denn auch? Wozu bei ihm? Es fiel einfach unendlich leicht in seiner Gegenwart, selbst die innersten und verborgensten Emotionen hinaus zu lassen. Lily quiekste nur und biss sich auf die Lippe, wie sie seinen Blick von unten her erwiderte.

„Ist schon komisch,“ befand die Präfektin, mit ihren eigenen Händen herum spielend, während auf den zusammengeschobenen Tischchen ihr gemeinsames Meisterwerk vor sich hin trocknete. Nur mit den Augen musterte er ihre Züge, unterbrach sie nicht und hakte nicht nach. Das war so ihre Art, sich entlang zu hangeln von Satz zu Satz. Selbst wenn sie eine längere Pause machte, würde sie doch früher oder später darauf zurück kommen. Und augenscheinlich war die Nacht nicht nur zu weit fortgeschritten, um den heißen Brei zu umschlingern. Sie wollte das loswerden, was da in ihren Gedanken herumkreiste. Dass sie ihn dabei nicht direkt ansehen konnte, sorgte für eine so winzige Falte auf seiner Stirn, sie würde sie nicht einmal bemerken. „Wie einfach das ist, mit dir darüber zu reden.“

Dieses Hochziehen des Mundwinkels, das ihm die Wange bis fast unter das Unterlid schob, wurde ein wenig intensiver, verriet ihr wortlos, wie sehr ihm dieses Kompliment gefiel. Natürlich wusste er das, brauchte nicht gesagt zu bekommen, wie offen und vertrauensvoll sie mit ihm umging. Aber trotzdem. Es so deutlich zu hören, das war doch noch mal etwas Anderes. Wie gern er das selbe zu ihr gesagt hätte. Das konnte er nicht. Weil es nicht der Wahrheit entsprochen hätte. Statt diese erneute Erkenntnis in der Mimik widerspiegeln zu lassen, schluckte er das so merkwürdig drückende Gefühl bis tief unter das Brustbein herunter, und nur ein kurzes Flackern seiner Hornhäute und Lider hätte Zeugnis von seinem Inneren abgeben können. Remus schwieg, und Lily wischte sich eine Strähne aus der Stirn.

Keine Ahnung, wieso sie das jetzt unbedingt rauslassen musste. Es war kein Geheimnis, schon über ein Jahr nicht mehr, vielleicht auch länger, und trotzdem war es ein Tabu gewesen zwischen ihnen. Beide wussten es, beide spürten es, wieder und wieder, und dennoch hatten sie nicht eine einzige Silbe darüber verloren seit jenem Abend des Gründungsballs, hier, in diesem Raum, an selber Stelle. Sich fest entschlossen in den Nacken greifend, zog Lily mit einer schwungvollen Bewegung das Haarband aus ihrem Zopf, den sie sich für sicheres und fusselfreies Arbeiten gebunden hatte, und ein Schwall aus kupferfarbenem Vlies ergoss sich wie ausgeschütteter Tee oder das Wasser eines sprudelnden Bachs am Rio Marina über ihre schmalen Schultern. Atemberaubend. Er bewegte sich immer noch nicht, stellte nur das nervöse Auf und Ab seiner Knie ein.

Immer noch war sie nicht in der Lage, ihn wieder direkt anzusehen, wie sie seufzte. „Bei dir damals,“ Lily zuckte die Achseln, „war das nicht so.“ Nur aus dem Augenwinkel nahm sie das kurze Stirnrunzeln wahr und erklärte es sofort. „Darüber konnte ich mit niemandem sprechen.“ Sein Gesicht entknitterte sich wieder, hellte sich statt dessen eher in Verstehen als in Verständnis auf, und er nickte schwach und presste sichtbar die Kiefer aufeinander. Wieso das so gewesen war, wollte er nicht fragen. Wahrscheinlich wusste sie das selbst nicht. Es mochte viele Gründe haben, warum sie ihre Gefühle, ihre Wünsche, vor ihren Freundinnen nicht ausgebreitet hatte. Der Eine, der Erste, der ihm einfallen wollte, verstärkte nur diesen Eisenklumpen zwischen Rippenbogen und Herzbeutel. Emmeline vielleicht nicht unbedingt. Aber Mafalda, ja. Und Meredith? Auch gut möglich. Er sagte nichts dazu, ging überhaupt nicht darauf ein.

„Ich frag' mich oft,“ fuhr sie fort und stockte, den Kopf hin und her wiegend, wie sie darüber nachzudenken schien, auf welche Weise man ihre Gedanken am besten zum Ausdruck bringen könnte. Leise, gequetschte Geräusche entkamen dabei ihrer Kehle, kaum zu hören, nicht einmal die kurze Strecke zwischen ihr auf dem Sessel und ihm auf dem Sofa überbrückend, dabei berührte sein Knie in der langen, dunklen Uniformhose das ihre unter dem ausgebreiteten Faltenrock. Ihre Finger lösten sich voneinander, die linke Hand rotierte sacht um das Gelenk, bis sie einen Weg fand. „Ob es deshalb nicht geklappt hat.“ Ein winziges Heben der Satzmelodie implizierte die Frage, die eigentlich keine war, forderte dazu heraus, eine Meinung abzugeben, ohne darauf zu drängen.

Nur zaghaft fixierte sie den jungen Mann auf der Couch mit einem ebenso erwartungsvollen Blick. Nach und nach, als müsse er selbst noch entscheiden, ob er darauf antworten wollte oder nicht, aber deutlich bereits, dass er eine solche Überzeugung schon hatte, änderte er seine Körperhaltung. Zuerst zog er die Arme zurück, die auf beiden Seiten der Rückenlehne ausgebreitet gewesen waren, knickte damit gleichzeitig die bisher herausgestreckte Brust ein, um sich nach vorn zu beugen und die Ellbogen auf den Oberschenkeln abzustützen. Nicht krampfhaft, ganz locker, verhakte er alle zehn Finger in einander wie die einzelnen Webfäden eines guten Tartan, schüttelte noch in dieser Bewegung bestimmt, aber nicht hastig, den Kopf. „Nein.“ Da war er sich mehr als 100%ig sicher. Daran waren sie nicht gescheitert. Einzig und allein an ihm hatte das gelegen. Und er hatte keine Ahnung, wie oft er sich gewünscht hatte, es wäre alles anders gewesen. Ihr die Schläfe präsentierend, schloss er für einen Moment die Augen und hielt den Atem an, damit das unterhalb seines Kehldeckels blieb.

Die bisher unter dem Körper im Schneidersitz zusammen gefalteten Beine entknotend, richtete Lily Evans sich etwas mehr auf und legte die Knie über einander ab, dass sie in seine Richtung zeigten. Über die Armlehne konnte sie sich so beugen, ein wenig näher auf, brauchte nicht mehr so laut zu reden, um verstanden zu werden. Ein steiles Dreieck stellte sich wie eine umgedrehte Pyramide auf ihre Nasenwurzel, fluktuierend fast, als könne sie sich nicht schlüssig werden, ob dieser Ausdruck ihrer Verwirrung dort bleiben sollte oder nicht. Nur ganz sacht schüttelte auch sie den Kopf. „Was war es dann?“ Er konnte ihr das nicht erzählen, nicht wieder behaupten, er hätte eben nichts empfunden. Das stimmte nicht, das hatte nie gestimmt, und es war auch jetzt noch, wo er längst ihre Bemühungen um seinen guten Freund in jeglicher Hinsicht unterstützte, so kristallklar zu erkennen wie flirrende Hitze über sommerlichem Kopfsteinpflaster.

Remus erwiderte nichts. Saß nur da, weit über das ausgebreitete Pergament gebeugt, die Hände fester, härter, schwitziger miteinander verschmelzend, wie er vor sich hin atmete. Den Blick auf sein Gesicht zum größten Teil verwehrt, blieb ihr nur das an- und abschwellende Knäuel aus Muskulatur an Kieferwinkel und Hals, das wummernde Pulsieren seiner Schlagader und das vibrierende Hüpfen des Adamsapfels unter dunklem Bartschatten, um das debattierende Gedankenchaos zu erkennen. Sie wusste es längst, worum es ging, auch ohne, dass er es deutlich machen musste, und trotzdem wollte sie ihm Gelegenheit geben. Es war doch das Einzige, was zwischen ihnen stand, oder nicht? Schon von dem Tag an, da sie einander in jenem Zugabteil das erste Mal begegnet waren. Dieses verlegene, beschämte und traurige, dennoch so seltsam vertraute und überlegene Lächeln hatte er gezeigt. 'Ich bin krank gewesen'. 'Ich werde nie ganz gesund sein'.

Das war also der Moment, ja? Allein mit ihr, keine neugierigen Augen und Ohren weit und breit, entspannt und ruhig und perfekt. Darauf hatte er doch gewartet, oder nicht? Seit geraumer Zeit nun überzeugt davon, dass es sein musste. Nicht nur wegen der Jungs, die ihn drängten, die es ihm immer wieder eindringlich rieten. Weil er es ihr einfach schuldig war. Einer von den Jungs, bester Freund, mehr noch und stärker als jeder von ihnen. Sie hatte es nicht nur verdient. Es war seine Pflicht. Ihre eigene Entscheidung musste es sein, ob jemand wie er ihr so nah sein durfte. Auch auf die Gefahr hin, sie zu verlieren. Ein Risiko, größer irgendwie, als in dunklen Geheimgängen gegen Schwarzmagier anzutreten. Und es verpasste ihm eine Gänsehaut aus kindlicher Angst, fast die gleiche wie damals auf der Wiese zwischen der Hecke von Heslington und den Straßen von Nether Poppleton. Tränen trieb das für Sekundenbruchteile in seine Augen, und gleichzeitig bohrte sich ein Stechen in seine Brust, das den Herzschlag in für sie so eindeutig hochfrequente Gefilde jagte.

Er lachte auf, keineswegs belustigt oder auch nur ansatzweise amüsiert. Ein leeres, patziges Geräusch war das, was er da von sich gab, und die Schultern schüttelten sich davon, ehe Remus aufsah für einen kurzen Blick zu ihr. Aufmerksam rutschte Lily sich zurecht, gespannt, aber ohne äußere Zeichen von Unruhe, auf seine Erklärung wartend, die nun einfach folgen musste. „Vielleicht ist das der richtige Zeitpunkt,“ äußerte Remus seine eben noch gedachten Absichten laut, musterte lange und ausgiebig die Züge seiner besten Freundin. Als wolle er eine Bestätigung von ihr haben, sie mit einer solchen Bürde belasten zu dürfen. Sie antwortete nicht. Es war längst klar, was er damit meinte. Und auch wenn ihr eigenes Herz davon heftigst gegen den dunklen Pullover klopfte, dass sie das Gefühl hatte, man müsste es darunter hüpfen sehen wie einen sich zu befreien versuchenden Hinkepank, strahlte die Präfektin nur weiterhin teilnehmende Gelassenheit aus. Er gab sich die Antwort selbst und nickte langsam, aber bestimmt. „Ich hab' es viel zu lange vor dir verschwiegen.“

Gequält sah er aus, wie er jetzt endlich aufschaute, die Schultern nach vorn geschoben, den Hals in einer so merkwürdigen Haltung abgeknickt, dass es eigentlich weh tun müsste. Oh, selbstverständlich wollte sie es wissen. Solange hatte sie das gewollt, sich – auch wegen eines heimlichen Deals – immer untersagt, ihre eigenen Nachforschungen anzustellen, die sie längst zum Ziel geführt hätten. Aber James hatte recht. Er musste es ihr offenbaren. Niemand sonst. Keine Bücher, keine Pergamentrollen, kein Expertenrat. Nur er. Dem sie doch auch alles erzählen konnte, einfach alles. Damit er sich bei ihr genau so fühlen konnte, wie sie sich bei ihm. Geben und Nehmen. Es war nicht nur ihr gegenüber unfair, wenn es nicht offen zwischen ihnen lag, auch wenn sie eine ganze Weile gebraucht hatte, um das zu begreifen. „Willst du's mir sagen?“ fragte sie so leise, ihre Mädchenstimme wurde beinahe von knisterndem Feuer verschluckt.

Schnaubend lachte Remus wieder dieses unangenehm bedrückte Glucksen, bevor er den ganzen Mund so sehr verzog, dass sein Oberlippenbärtchen zu einem langen, dünnen Strich aus Rotblond wurde. „Wollen weiß ich nicht,“ präzisierte er lieber diese Aussage. „Sollen schon ewig.“ Sichergehen wollte er, dass ihr das klar war, dass sie sich bewusst war, wie schwierig das hier für ihn war. Nicht einfach so hatte er sie all die Jahre hingehalten, und das musste sie wissen, ehe er sich ihr endlich gänzlich offenbaren konnte. Es kam an bei ihr. Abwehrend, jedoch nicht hektisch, hob Lily eine offene Hand. „Du musst nicht,“ bekräftigte sie erneut, was sie mehrere Male zuvor schon kundgetan hatte. Auch wenn das immer einen schalen Beigeschmack behielt, auch wenn sie dann für immer diesen dunklen Schatten auf ihrer so wunderbar innigen Freundschaft belassen musste, sie wollte ihn nicht zwingen. Aber Remus war fest entschlossen.

Sich dazu durchgerungen, musste es nun sein. Wenn er jetzt einen Rückzieher machte, würde es niemals mehr funktionieren. Es sollte so sein. „Doch,“ bestimmte er mit fester Stimme, presste ein weiteres Mal die Zähne hart aufeinander, bis es quietschte, als habe man mit den Fingernägeln absichtlich die ganze Breitseite einer Schiefertafel mitgenommen oder sei mit der Gabel auf Porzellan abgerutscht. Irgendwie war das schon lustig. Ein ganzes Jahr lang hatten sie gemeinsam für ihre OWLs gebüffelt, alles noch einmal durchgenommen, was sie jemals in Zaubertränke oder Verteidigung gelernt hatten, seit sie am 1. September 1971 einen Fuß über die Schwelle dieses Schlosses gesetzt hatten. Nur dieses eine Thema nicht. Remus grinste breit, wenn auch immer noch nicht gelöst, und senkte den Blick auf seine weit auseinander stehenden Lederschuhe mit den geöffneten und halb heraus gezogenen Schnürsenkeln. „Das ist die einzige Wiederholungsstunde, die ich ausgelassen habe.“

Das verstand Lily nun nicht, was er damit sagen wollte, worauf das überhaupt abzielte. Aber das spielte keine Rolle. Ihn zu unterbrechen würde es schwieriger für ihn machen, und es würde nur hinauszögern. Er musste es loswerden, sie konnte das sehen an den feinen, rötlichen Flecken unter seinen Augen, an dem heftigen Beben seiner Nasenflügel und dem unregelmäßigen Wippen seiner Fußspitzen. Muskeln zuckten über den Knien, wollten sie wieder springen lassen, doch Remus verbot es sich. Die Stille, ruhig und erwartend, aber nicht im Geringsten ungeduldig und damit herrlich tröstlich und erleichternd, die von ihr ausging, gab ihm den letzten Schubs in die richtige Richtung.

Nein, er konnte das nicht einfach so sagen. Das hatte er noch nie. Nicht einmal das Wort nahm er in den Mund, sogar im Unterricht nicht. Das wäre das Einfachste gewesen, zack und raus damit. Unmöglich. Wie erklärte man so etwas? Wie machte man das deutlich? Bei den Jungs da oben im Turmzimmer, die sicher schon träumten, eingeschlafen, während sie auf ihn warteten, ihren vierten Mann, war das niemals notwendig gewesen. Von allein waren sie darauf gekommen, irgendwie. Keine Ahnung hatte er, bis heute nicht, wie und warum das geschehen war. Sie hatten es nicht erzählt, und er hatte nicht darüber nachgedacht. Wozu auch? Es war gut so, wie es war. Zu gefährlich, sich Sorgen zu machen. Vielleicht wäre es so zu schaffen? Sie selbst erkennen zu lassen? Ja, das dürfte gehen.

Und so fing er eben einfach von vorne an. So wie er sich erinnerte. Wieso er dabei die Finger voneinander trennte und sich mit der Linken auf den Schenkel stützte, die Rechte jedoch an seinen Kragen hochgriff, das wusste Lily nicht sofort. „Ich war sieben Jahre alt,“ begann Remus, sichtbar der Versuch, einerseits die Ereignisse zu rekonstruieren für sie, andererseits am besten nicht selbst daran zu denken, nicht wirklich zu erinnern. Nicht in Bildern, nicht in Gerüchen, Gefühlen, Lauten, „als ich auf dem Heimweg von meinen Großeltern von einem Tier verfolgt wurde.“ Die Narben glühten mit einem Mal so heiß und brennend in seinem Gesicht, als wollten sie dem Mädchen mitten in die Augen springen und ihre Existenz anmahnen. Ein Flash aus eigener Reminiszenz rauschte ihr durch den Geist. 'Bekanntschaft mit irgendeinem dieser gefährlichen magischen Geschöpfe'.

„Es war schon spät.“ Einen Knopf nach dem anderen löste er von der Leiste seines Hemdes, langsam, bedächtig, sie nicht zu verunsichern oder gar zu erschrecken. Viel zu gefangen in der doch kurzen Erzählung war Lily, um das wirklich vordergründig zu bemerken. Erst recht, um auch nur sich selbst diese Frage zu stellen, wieso er das tat. Das gepeinigte Lächeln auf seinen Lippen jedoch, begleitet von gegensätzlich matten Augen und einem bleichen Ton wie unter künstlichem Neonlicht, das blieb ihr nicht verborgen. „Leider war es kein hübscher Streuner auf der Suche nach einem Zuhause.“ Selbst darüber könnte man Witze machen. Aber es gelang ihm nicht so gut wie Sirius. Nicht mit jenem Anblick der geifernden Bestie zwischen den hohen Büschen vor seinem inneren Auge.

Vorwärts rutschte Remus auf dem Sofa, bis er nur noch auf der äußersten Kante hockte, die langen Beine so weit gebeugt, dass sie bis zu ihr reichten, und ihrer beider Knie berührten sich wie selbstverständlich. So wie immer. Die nun voneinander getrennten Hälften seines Hemdes zog er umständlich von sich weg, ließ die linke Seite unachtsam über das zugehörige Bein fallen, während er die andere hinter die Flanke zurückschlug und damit seinen schlanken, unberührten Oberkörper bloß präsentierte. Nie hatte er das getan. Er ging nicht zum Schwimmen wie die anderen Schülerinnen und Schüler, egal wie heiß es draußen war. Noch nie seit jenem Juni-Abend hatte seine Haut die Sonne gesehen. Wenn er duschte oder badete, dann nur in Gesellschaft seiner drei Freunde, zu sehr später Stunde, sobald alle anderen im Bett waren. Niemand durfte das sehen, niemand. Aber jetzt zeigte er es ihr, ließ sie mit eigenen Augen sehen, dass die glühenden Striemen quer über Braue, Nase und Lippenspalte, nicht das einzige grausige Andenken waren, das er mit sich trug.

Mitgewachsen in all den Jahren, in denen aus einem Kind ein Mann geworden war, immer noch gelegentlich aufreißend und suppend, manchmal sogar blutend, dass er kaum aufrecht stehen konnte. Wenn es kalt war, nasskalt, Regen und erster Schnee das Tal heimsuchten, dann stachen sie, brannten sie, doch er kämpfte es nieder mit dem Mut eines Löwen, eines Gryffindor'schen Löwen, und lebte damit. Leichter zu ertragen als manch anderer Schmerz. Gar nicht so schlimm sah das aus im Moment, denn es war Mai, es war schön, warm und angenehm. Zwei punktförmig tiefere Wunden, geschlossen nun, prankten in einer narbigen Platte aus verzogenem Gewebe, genau dort, wo die Rippen unter der Haut in knorpeligem Anteil in das Brustbein wuchsen. Obwohl er still halten wollte, damit sie besser sehen konnte, schaltete Remus automatisch die Bauchatmung aus, und die schlanke, aber breite Brust mit winzigen roten Kräuseln hob sich asthmatisch mit jedem abgehackten Atemzug.

Er brauchte es ihr nicht zu erklären. Ein Stadtmädchen vielleicht, aber kein Dummkopf war Lily Evans. Sie wusste, wie solche Verletzungen entstanden. Zähne, so deutlich ihre Abdrücke und so offensichtlich die Verwundung bis hinunter auf die Knochen, zerborsten unter roher Gewalt und irgendwie wieder zusammen gefunden, zeichneten sich ab. Aber was biss so zu, dass mitten in der Brust eines Siebenjährigen Einschnitte wie diese erschienen, die gesamte Seite daneben jedoch vollkommen frei von Blessuren blieb? Ob sie wollte oder nicht, ihre Augen weiteten sich mit den unzähligen Ideen, die ihr reger Verstand ihr darlegte, und Wasser sammelte sich auf den Hornhäuten. Stumm formten die sonst so vollen, roten Lippen ein leises Wort des Schocks.

Nur noch mehr verzog Remus das Gesicht in Agonie, wie er diesen Blick bemerkte. Ja, so reagierte man wohl darauf. Wie die jungen Heiler in St. Mungos, wenn sie die Narben zum ersten Mal anschauten. Fast vorhersehbar. Und vielleicht tat es deshalb umso mehr weh, das gleiche Entsetzen, die selbe Panik in ihren so wohl vertrauten, schauderschönen grünen Augen zu entdecken. Fast hätte er wieder gelacht, lächelte nur schief und schmerzverzerrt. „Die hinten sind schlimmer,“ sagte er tonlos, kein Prahlen darin, und mit einer viel zu geschmeidigen Drehung aus der Hüfte, die Hand höher schiebend, um das Hemd aus dem Blickfeld zu halten, wandte er ihr halb den Rücken und vollständig die Seite zu, ohne sie dabei aus den Augen zu lassen.

Dieses Mal konnte Lily es nicht unterdrücken, das erschrockene Einatmen, wie sie sich die Hand vor den Mund schlug. Tränen schossen so hoch, dass sie hastig blinzeln musste, um überhaupt noch etwas sehen zu können, um sicher zu gehen, einen Grund zum Weinen zu haben. Und trotzdem klappte es nicht. Nicht ein einziger Tropfen rollte, obwohl ihr Oberkörper in winzigem Schütteln zu Vibrieren begann. Ein spitzwinkliges Dreieck, vielleicht einen Fuß lang, nicht möglich zu sagen, ob das die tatsächliche Größe zum Zeitpunkt der Entstehung gewesen war oder ob es so gewachsen war, stumpf die Spitze in Höhe des letzten Brustwirbels, prankte diese beängstigende Zeichnung auf seinem hinteren Sägemuskel. Keine Zahnabdrücke hier, obwohl sie da sein mussten. Zerrissen das Fleisch statt dessen, das Widerlager zu schüttelndem Kiefer gewesen, und man musste es nicht gesehen haben, um es sich ausmalen zu können.

Sich langsam, bedächtig, wieder zu ihr herumdrehend, senkte Remus die Hand und damit das so blütenweiße Hemd mit den vereinzelten Tintenflecken darauf, bis der Schoss auf den Sofakissen zum Liegen kam. „Seit diesem Biss,“ bestätigte er ihr die Vermutung, wie er zu diesen Wunden gekommen war, „bin ich regelmäßig,“ er stockte und schnaufte wieder so gespielt amüsiert, „'krank'.“ Das Mädchen, blass nun wie frisch gefallener Schnee, dass er Angst hatte, sie müsse sich übergeben – ein hässlicher Stich, auf der gleichen Höhe wie die Narben, nur auf der anderen Seite – nickte nicht einmal. Sie starrte ihn nur an, noch weit weg mit ihren Gedanken, auch wenn er sich sicher war, dass sie jedes Wort verstand. Diese Zahl, Lily kannte sie. Schon einmal hatte sie es ihm mitten ins Gesicht gesagt. Also, warum es nicht anbringen? „Alle 29 Tage.“ Jetzt nur noch konkreter werden, dieser eine letzte Hinweis, der alles sagen musste. „Immer bei Vollmond.“

Nun nickte sie. Vorsichtig. Verstehend. Wissend. Keine Ahnung also, wieso er das sagen musste. Sie wusste es doch längst. Es war so klar und deutlich, wie es nur sein konnte, wie Sterne am Himmel. Aber das Bedürfnis danach, sich selbst gegenüber genau so offen und ehrlich zu sein, keinerlei Zweifel bestehen zu lassen, trieb ihn dazu. „Ich bin,“ stammelte Remus, es fiel ihm schwerer, als er gedacht hatte. Schweiß schoss ihm aus allen Poren, wie Hitze durch den Hals hinauf kroch mit dem Blut und ihm den ganzen Schädel pochend ausfüllte. „Ich bin ein,“ noch nie zuvor, dieses furchtbare, dieses gleichzeitig so lächerlich anmutende Wort. Halb und halb erwartete er schallendes Gelächter. Aber es kam nicht. Nur seine eigene, rauchig-raue Stimme in kratzigem Flüstern: „Ein Werwolf.“
Und er senkte den Blick und spürte nicht einmal mehr, dass sich ihre Knie immer noch gegeneinander stützten.

Er bekam es nicht mit, konnte es nicht sehen, wie sich Lilys Entsetzen auflöste. Natürlich war er das. Was denn sonst? Es passte alles, hatte immer gepasst. Die Zeitabstände, die Symptome, merkwürdig offensichtlich und noch seltsamer, wie gut es ihm stand. Irgendwie. Der schüchterne, ruhige Musterschüler. Der nette Junge von nebenan. Die reißende Bestie, der grinsende Schelm. Wie seine Augen manchmal blitzten, nicht mehr silbern, sondern grün, tief und giftig grün, das war das Tier in ihm. Und sie entsann sich lebhaft dieses Gefühls, dieser heißen Mischung aus Angst und Faszination, diesem schönen Glühen tief drin im Bauch, das hinunter rutschte, das sie daran erinnerte, kein kleines Mädchen mehr zu sein. Es war nicht abstoßend. Im Gegenteil. Nicht in dieser Konstellation, nicht verbunden mit diesem warmen Licht aus Freundschaft und Bedingungslosigkeit und tapferer Selbstaufgabe des Remus Lupin.

Ein Lächeln, das all diese Empfindungen widerspiegelte, ob sie diese verbergen wollte oder nicht, huschte auf ihr hübsches Gesicht und blieb dort, nicht auszuwischen. Erst ihre Hand, Daumen und Zeigefinger, die sein Kinn berührten und seinen ganzen Kopf anhoben damit, streichelnd, riefen ihn zu ihr zurück und ließen ihn auch zu ihr aufschauen. Augenblicklich sprangen seine Brauen ineinander, Verwirrung, Irritierheit in den Zügen. Lily schmunzelte. So wissend, so verständig. Ohne den geringsten Anschein von Überspielens, ohne Abscheu, ohne Zurückweisung. Es konnte nicht sein. Er träumte das, bildete sich das ein, diese Reaktion. Es war doch so schrecklich, so furchtbar! Das musste sie doch begreifen! Er war ein Monster! Aber sie? Sie lächelte nur.

Tief einatmend, richtete Lily sich auf und legte die eine Wange auf ihrer eigenen Schulter ab, musterte ihn ganz natürlich, als ob er ihr soeben nichts Neues erzählt hätte. Fast quiekste sie, zuckte die Achseln, ehe sie leise, aber nicht flüsternd sprach. „Eigentlich,“ musste sie zugeben, „hab' ich es immer irgendwie gewusst.“ Es war kein Schock für sie. Ja, sicher, die Narben zu sehen, das war schlimm, das erschreckte, aber es war nicht einmal als Bestätigung ihrer Gedanken notwendig gewesen. „Zumindest geahnt.“ Nicht einmal sein sonst so übliches panisches Lippenbeißen war dabei, wenn er das Gefühl bekam, jeder um ihn herum müsste es so leicht und einfach vor sich liegen haben wie sie, wie seine beste Freundin, die einfach alles über ihn wusste, die ihn getröstet hatte, wenn er schwach und geschunden im Bett lag, die ihn sehen durfte in seiner Erschöpfung und nach seinem Martyrium. Das vergaß er so gern. Andere kriegten diese Dinge, diese Hinweise nicht mit. Für sie alle fehlte er eben gelegentlich im Unterricht. Und manchmal sah man ihn durch den Gemeinschaftsraum schleichen, blass und bleich, als müsse er sich übergeben. Mehr nicht.

„Aber ich hab's einfach hinten angestellt.“ Erneut hob sie die Schultern, um sie sofort wieder zu senken. Auch das musste sie nicht näher erläutern. Es war da gewesen, die Erkenntnis, immer, musste dennoch nicht verdrängt werden, weil sie weder schockierend, noch verängstigend war. Ganz normal eben. So wie man wusste, dass Peter keinen Vater mehr hatte, seit frühester Kindheit. Das war eben so. Man sprach nicht darüber, behielt es im Hinterkopf und agierte damit, aber man ließ es nicht ständig schmerzhaft an der Oberfläche schwimmen. Das war auch nicht nötig. Es war OK so. Für alle Beteiligten. Er konnte es nicht fassen, starrte sie nur an und blinzelte. Immer wieder.

Die ganze Hand flach ausbreitend und die Fingerflächen gegen seine stoppelige Wange schmiegend, erwiderte Lily nur diesen Blick. Wie winzige elektrische Schläge fühlte sich das an, diese so intime Berührung, nur deutlicher zu spüren dadurch, dass sie nicht sein durfte, nicht in sein Verständnis passte. Werwölfe mied man. Werwölfe stieß man aus. Man zog sie nicht näher am Kieferwinkel. Man streichelte sie nicht. Man sagte sowas nicht zu ihnen. „Es hat keine Bedeutung.“ Weil es immer so gewesen war für sie. Keine Neuigkeit. Keine weltbewegende Veränderung. Eben immer noch er. Ihr bester Freund. Und mehr. „Ich habe dich trotzdem geliebt,“ wisperte sie. Zu viel, das. Ein Schlucken, das ihm im Halse stecken blieb, Atmen, das eingestellt werden musste. Er wusste das genau so, wie sie offenbar von seiner Krankheit gewusst hatte. Und trotzdem war es tränentreibend schön. „Und ich werde dich auch immer lieben.“

Er ließ sich einfach nach vorne fallen, wo sie keinen Zollbreit von ihm entfernt war, so wie er war, die Arme zwischen den eigenen, auseinander gedrückten Knien abwärts fallend, und nur dank seiner Größe versank er nicht gleich vollkommen. Die schwitzige, fiebrige Stirn gegen ihre Schulter in dem leicht kratzigen Pullover lehnend, schloss er einfach die Lider, drückte damit die ersten Tropfen wie aus einem Überlaufbecken aus den Augen, während Lily ganz instinktiv ihre beiden zierlichen Arme um die breiten, sehnigen Schultern schlang. „Shhh,“ flüsterte sie schon, bevor er überhaupt schluchzen konnte. Die nassen Flecken auf ihrer Bluse verrieten ihr längst, was sie, dank dieser inneren Verbundenheit, bereits vor Eintreten spüren konnte. Er durfte Weinen. Aus Erleichterung.

Sich an ihr festhalten müssend, hob er die zittrigen Hände, viel zu dicht auf nun, um noch sehr viel hinzukriegen. Einfach nur auf ihre Seiten legte er die Finger, rührte sich nicht mehr und blieb in dieser so innigen Umarmung. Die glänzenden Perlchen aus Schweiß an seinem Haaransatz ignorierend, schob das Mädchen ihre rechte Hand einmal ganz um den Kopf des jungen Mannes herum in seinen Nacken, bis hinauf in feuchtes Hellbraun, und die Gänsehaut dazu sträubte jedes Härchen auf seinen Wirbeln. Ihr Lächeln, ob er es sehen konnte oder nicht, war strahlender als Morgensonne, so glücklich darüber, endlich teilhaben zu dürfen, endlich voll und ganz eins sein zu dürfen. Nun stand nichts mehr, gar nichts mehr zwischen ihrer Seele und seiner, und sie würde das auch nie wieder zulassen. Egal, was kam, egal was passierte, wer es verlangte, was auch sein mochte: Remus und Lily. Nichts weiter.

Und auch das war gleichgültig. Was sie immer gewollt hatte, wovon sie geträumt hatte noch im letzten Sommer daheim bei ihren Eltern, ihre Schwester missmutig grunzend, weil sie ihr Zimmer mit ihr teilen musste über die Ferien, war jetzt mehr als selbstredend. Auch wenn es das selbe kribbelige Gefühl auslöste, bei ihr wie bei ihm. Die Linke unter seinem offenen Hemd über die Rippen gleiten lassend, zog sie ihn nur noch näher, und während er an ihrer Schulter all die aufgestauten Ängste endgültig heraus ließ, tanzten weiche Schmetterlinge aus zärtlichen Fingerspitzen so liebevoll über die grässlichen Narben auf seinem Rücken, als könnten sie davon wirklich und wahrhaftig heil werden.

„Shhh,“ wiederholte Lily leise an seinem Ohr, wiegte den viel größeren und schwereren Kerl in ihren schlanken Armen, bevor sie zu summen begann. Und wie sie einen sanften Kuss mit leicht geöffneten Lippen benetzend in seine Halsbeuge drückte, ballte der Junge auf der Ballustrade zum Turmzimmer die Fäuste und presste eine Welle aus brennender Wut, hässlicher Eifersucht und stechendem Schmerz des Verrats so fest in seine Eingeweide hinunter, dass er auf der Stelle Bauchweh bekam. James Potter drehte sich auf den Fersen herum und rauschte so schnell er konnte zurück, die letzten Stufen hinauf, und verschwand hinter der schweren Eichentür.


Wenn Du Lob, Anmerkungen, Kritik etc. über dieses Kapitel loswerden möchtest, kannst Du einen Kommentar verfassen.

Zurück zur Übersicht - Weiter zum nächsten Kapitel

Twitter
HPXperts-Shop
Hobbit 3: Begleitbuch
Top-News
Suche
Updates
Samstag, 01.07.
Neue FF von SarahGranger
Freitag, 02.06.
Neue FF von Laurien87
Mittwoch, 24.05.
Neue FF von Lily Potter
Zitat
Wir hatten es sehr, sehr gut als Kinder - wir bekamen massenhaft Bücher.
Joanne K. Rowling