von ~Silvi~
“Severus, geh mir aus dem Weg! Siehst du nicht, dass ich zutun habe?”
Severus ging eilig zur Seite. Nicht, dass es ihn eingeschüchtert hätte oder er verängstigt wäre. So etwas bekam er jeden Tag zu hören. Aber nach zehn Jahren Erfahrung wusste er, dass es besser war, zu gehorchen, als sich mit seiner Mutter anzulegen. Denn wenn die wieder gereizt wäre, könnte er sich sicher auf eine Nacht gemeinsam mit Mäusen und Spinnen im Keller gefasst machen.
Langsam schlurfte er hinauf in sein Zimmer. Es war nicht sehr groß und Spinnweben hingen von der Decke. Sein Vater würde bald nach Hause kommen und da sollte er besser nicht unten sein...
Er setzte sich auf einen Hocker in einer Zimmerecke und starrte auf den Boden. Gleich würde er es hören, das vertraute Plopp, wenn sein Vater in die Küche apparierte. Nur noch ein paar Minuten...
Plopp.
Er war da. Jetzt würde es nur noch ein paar Sekunden dauern, dann -
“Geh mit deinen schmutzigen Füßen aus der Küche, ich habe gerade saubergemacht!!”
“Du hast saubergemacht?! Vielleicht vor einem Jahr...”
“Als ob du das beurteilen könntest! Ohne mich würdest du doch hier im Dreck versinken -”
“Als ob ich das nicht sowieso schon täte”
“- und in deinen Schulden noch dazu!”
“Wenn es dir nicht passt - dann geh doch! Geh doch zu diesem dreckigen Muggel, hinter dem du schon so lange her bist!”
“Als ob ich etwas mit einem Muggel anfangen würde!”
Das übliche Geschrei.
Früher, als er noch kleiner war, hatte Severus immer geweint, wenn sie sich stritten. Aber mittlerweile war dies Alltag und Severus war älter geworden. Nächstes Jahr würde er endlich nach Hogwarts kommen. Mittlerweile war er zu alt, um traurig sein zu dürfen.
Er setzte sich auf sein Bett, das laut quietschte, und zählte die Spinnen in den Ecken. Acht. Zwei neue. Severus trat mit dem Fuß nach einer in seiner Nähe, die an der Wand hing. Mit dem Erfolg, sie getötet zu haben, hinterließ er einen Schmutzstreifen an der Wand.
Severus horchte. Seine Eltern hatten sich mittlerweile beruhigt. Wahrscheinlich war sein Vater in sein Büro gegangen. Doch dann ging das Geschrei wieder los.
“Was hattest du in meinem Arbeitszimmer zu suchen?!”
“Ich habe keinen Fuß in dein Arbeitszimmer gesetzt!”
“Natürlich! Die Briefe lagen vorher anders! Du wolltest wieder Geld stehlen, wie letzte Woche, als du dir dieses alberne Halsband gekauft hast!”
“Ich habe nicht -”
“Du solltest langsam wissen, dass du dir bald nicht mal mehr dein Putzzeug kaufen kannst, wenn du weiterhin Geld stiehlst!”
Wenn Severus sich jetzt ganz leise die Treppe hinunterschleichen würde, würden sie gar nicht merken, dass er weg war... Er zog seine Schuhe aus, nahm sie in seine Hand und ging auf Socken die Treppe hinunter. Bei ihrem Geschrei würden sie ihn sowieso nicht hören, aber sicher war sicher. Er hatte keine Lust, auf dem kalten, steinigen Kellerboden zu schlafen.
Leise öffnete er die Haustür. Draußen zog er, nachdem er sie hinter sich geschlossen hatte, seine Schuhe wieder an. Sie waren ihm zu klein und die Sohlen lösten sich, aber mehr war den Snapes ihr Sohn eben nicht wert.
Severus lachte still in sich hinein. Wenn die wüssten, dass ich mich regelmäßig mit einem Schlammblut treffe...
Er ging die Straße entlang. Es war keine gute Gegend, in der sie wohnten. Sie wohnten ganz am Ende der Straße und die Häuser waren grau und schmutzig. Dort, wo sie wohnte, hatte jedes Haus einen großen Garten und die Leute waren alle nett. Den Jugendlichen hier wollte Severus lieber nicht noch einmal über den Weg laufen, er hatte zu viele schlechte Erfahrungen mit ihnen gemacht. Erst letzte Woche hatten sie ihn aus Spaß verprügelt und er war mit lauter blauen Flecken nach Hause gekommen. Seine Eltern hatten es nicht einmal bemerkt. Nur einmal, als er neun war und mit einer blutigen Nase und einem blauen Auge nach Hause gekommen war, hatte seine Mutter gefragt, was er denn schon wieder angestellt hätte.
Severus bog nach rechts ab. Eine mit Einkaufstüten beladene Frau kam auf ihn zu und sah ihn mit angewidertem Blick an. Als sie sich näherten, wechselte sie die Straßenseite, ohne den Blick von ihm zu lassen. Später kam er an einer weiteren Frau vorbei, die ein Kind an ihrer Hand hatte. Als er an ihr vorbeiging, schnappte er einige Wortfetzen auf, die die Frau zu ihrem Kind sagte: “Dieser Snape-Junge ... nicht ganz dicht ... stinkt fürchterlich” Severus war es gewohnt, dass die Leute über ihn redeten. In Hogwarts würde das anders werden. In Hogwarts würde niemand Angst vor einen Jungen haben, nur weil er zaubern konnte.
Wieder musste Severus grinsen.
Als er am Wald vorbeikam, sah er zwei Kinder in seinem Alter auf dem Stamm eines umgesägten Baumes herumbalancieren.
“Was hat der denn für Sachen an!”, schrie das eine Kind dem anderen zu und zeigte mit dem Finger auf Severus. “Guck mal, das ist alles kaputt und dreckig!”
Severus ging einfach weiter. Er wusste, dass die Hauselfen in Hogwarts fähig waren, Kleidungsstücke zu waschen - im Gegensatz zu seiner Mutter. Mit einem Lächeln hielt er sich an dem Gedanken fest.
Nach einigen Minuten Laufen und gaffenden Leuten war er fast da. Hoffnungsvoll ging er auf den Spielplatz und suchte ihn mit den Augen ab. Da hinten saß Lily auf einer Schaukel. Lächelnd und all seine Sorgen vergessend ging er auf sie zu.
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