von Muggelchen
Es war keine Absicht von Mrs. Commisatio. Woher hätte sie wissen sollen, dass Severus und Tobias Snape wie Feuer und Wasser waren? Wäre sie über die familiären Verhältnisse informiert gewesen, hätte sie ihren Gast sicher nicht ohne Vorwarnung ans Bett des Vaters begleitet und die beiden allein gelassen.
Tobias betrachtete seinen Sohn von oben bis unten. Eine Ewigkeit schien zu vergehen, vielleicht auch nur Sekunden. Severus konnte nicht mehr denken, nicht mehr handeln. Er stand da wie ein Ölgötze.
„Von was für Pillen hat der Kommissar gefaselt?“, fragte sein Vater plötzlich mit so lauter Stimme, dass Severus wachgerüttelt wurde.
„Was?“ Ihm war nicht klar, von was Vater sein Vater sprach.
„Die Frau eben. Was für Pillen meint sie? Wollt ihr mich am Ende doch noch vergiften?“ Sein Vater schnaufte. Eine Eigenart, die Severus unbewusst von ihm übernommen haben musste. „Reichen eure Tränke dazu nich’ aus? Ich mach schon noch früh genuch die Grätsche, da muss man nich’ nachhelfen.“
Verständnislos schüttelte Severus den Kopf. „Behält man dich wegen deiner Paranoia hier?“
„Was suchst du überhaupt hier?“, blaffte sein Vater ihn an. „Ich hab denen gesagt, dass sie dich nich’ kontaktieren müssen.“ Der Blick seines Vaters wurde mit einem Male milder, als er Severus ein weiteres Mal konzentriert begutachtete. Entgegen der gütigen Mimik sagte Tobias weniger galant: „Siehst ganz schön verbraucht aus.“
„Oh, vielen Dank auch!“ Severus schnaufte, und als er das bemerkte, wollte er sich selbst das Versprechen abnehmen, es nie wieder zu tun. „Hast du in der letzten Zeit mal in den Spiegel geschaut?“, schoss er zurück.
„Ich bin ein alter Sack, ich darf so aussehen“, rechtfertigte sich sein Vater. „Wart mal, bis du in mein Alter kommst.“ Tobias schloss die Augen und rieb sich mit Zeigefinger und Daumen die Nasenwurzel. „Könnten wir damit aufhören? Ich bekomme Kopfschmerzen.“
„Ich habe nicht angefangen.“
„Was tust du hier?“, stellte er seinem Sohn als ehrlich gemeinte Frage.
Severus linkes Augenlid begann zu zucken. Mit beiden Händen ergriff er das metallene Ende des Krankenbettes, rüttelte es einmal kurz und sagte zähnefletschend: „Ich ergötze mich an deinem Leid!“
„Pfft“, machte Tobias gelassen. Sein Sohn hatte schon früher einen äußerst schwarzen Humor an den Tag gelegt. „Wenn du schon hier bist, dann mach dich nützlich. Kannst du mein Kopfende höher machen?“
Es fehlte das Wort Bitte, dachte Severus. Er zögerte so lange, dass sein Vater bereits glaubte, er würde ihm den Gefallen nicht erweisen. Völlig unerwartet näherte sich Severus dem Kopfende und suchte nach dem Hebel. Er fand ihn, zog ihn an und stellte das Kopfende höher. Als es einrastete, hörte man das Geräusch von Papier, das auf den Boden fiel.
„Das ist meins“, sagte sein Vater und deutete unters Bett. „Lag unterm Kopfkissen.“
Severus bückte sich und klaubte drei Zeitschriften zusammen, die sich, als er sich aufrichtete und einen Blick darauf warf, als Pornoheftchen entpuppten. Severus rümpfte beim Anblick einer nackten Dame mit bedrohlich wirkendem Vorbau die Nase.
„Widerlich! Bist ganz schön tief gesunken.“
„Leg sie unter mein Kopfkissen, ja?“
„Wissen die Schwestern davon?“
„Ich darf alles lesen, solange sie es beim Bettenmachen nicht sehen müssen“, beteuerte sein Vater gelassen, dem die Angelegenheit überhaupt nicht unangenehm war.
Unachtsam stopfte Severus die Zeitschriften unter das Kopfkissen seines Vaters und gab sich redlich Mühe, bei diesem Vorgang so viele Seiten wie nur möglich zu zerknittern. Kurz schaute er über seine Schulter zum Zimmernachbarn, der während der ganzen Zeit still in seinem Bett lag und bisher kein Wort verloren hatte. Man hörte ihn atmen. Offenbar schlief der Mann – und er musste einen festen Schlaf haben.
„Nun sag schon“, begann sein Vater, „was hat dich hierher verschlagen?“
„Wenn du es unbedingt wissen musst: Ich sollte herkommen und etwas zu unterzeichnen, damit du dein belangloses Testament machen kannst. Ich habe dir damit einen Gefallen erwiesen.“
„Nein, Jungchen, damit hast du dir einen Gefallen erwiesen“, erwiderte sein Vater gelassen.
„Nichts, was du hast, interessiert mich! Glaubst du, ich bin scharf darauf, ein paar schlüpfrige Heftchen mit verklebten Seiten zu erben?“
Severus ging zwei Schritte bis zum Fenster, dann zwei zurück. Er war nicht wütend, aber sehr aufgeregt. Sein Vater allerdings auch. Dessen Angewohnheit, bei Aufregung die Endungen von Wörtern zu verschlucken, war nach all den Jahren noch immer vorhanden. Am liebsten würde er seinen Vater anschreien, ihm Vorwürfe machen, so wie er es sich in all den Jahren in Gedanken ausgemalt hatte. Womit er nicht gerechnet hatte war das bisschen Respekt, dass er vor dem alten Mann hatte. Nur ein kleines bisschen, doch es reichte, um Severus im Zaum zu halten. Des Weiteren wollte er wegen des ruhigen Zimmergenossen nicht lauter werden.
„Da sind deine alten Schulsachen bei“, begann sein Vater, „ein paar Fotoalben, deine Jugendbücher, ein paar Schränke …“
„Spinner’s End steht schon lange nicht mehr“, unterbrach Severus barsch, weil er seinen Vater senil glaubte.
„Ich weiß.“ Tobias nickte und blickte nachdenklich aus dem Fenster, als er sich an diese Information erinnerte. „Das habe ich mitbekommen. Ich war vorher da und habe ’n paar Sachen eingesackt.“
„Wie bitte?“
„Ist alles in ’nem Lagerhaus“, sagte sein Vater. „Ich hab ’n billiges Lagerhaus gemietet und alles untergebracht. Die Kücheneinrichtung, das Hochzeitskleid deiner Mutter, das Geschirr … Das Silberbesteck hab ich allerdings verscherbelt, als ich dringend Kohle brauchte.“
Severus schüttelte den Kopf. „Wann soll das bitte gewesen sein?“
„Och, vor sechs, sieben Jahren war’s. Ich wollte mal nach dem Rechten sehen. ’s war unbewohnt, völlig verwahrlost. Dachte eigentlich, du würdest dort hausen.“ Sein Sohn blickte ihn mit weit aufgerissenen Augen an. Tobias musste lachen. „Glaubst du allen Ernstes, ich war die ganzen Jahre in einem Pflegeheim?“ Weil sein Sohn nichts erwiderte, lachte Tobias noch lauter. „Das hast du wirklich geglaubt? Ich fasse es nicht!“
Sein Vater wollte gar nicht mehr aufhören zu lachen. Severus hatte genug. Mit voller Wucht stieß er gegen das Bett, so dass das Kopfende an die Wand dahinter prallte. Mit öliger Stimme hielt er seinem Vater zumindest das vor, was ihm am meisten auf dem Herzen lag.
„Du hast die ersten siebzehn Jahre meines Lebens ruiniert! Du bist der Grund, warum ich angefangen habe, euch Muggel zu verachten!“ Er hielt ihm nicht vor, dadurch seine ganze Einstellung geändert und einen falschen Pfad eingeschlagen zu haben. Sein Vater blieb still, ließ sich alles durch den Kopf gehen. Die Ruhe, die der alte Mann innehatte, war Severus unheimlich.
„Jetzt wäre wohl der richtige Moment“, sagte sein Vater gemächlich, „mich dafür zu entschuldigen, oder? Du wirst die Entschuldigung aber nicht annehmen, also versuch ich’s erst gar nicht.“
„Ach, jetzt steckst du mir den Schwarzen Peter zu? Du entschuldigst dich und nun bin ich damit an der Reihe, dir zu verzeihen? Du hast Recht: Ich entschuldige dein Verhalten nicht. Du warst ein verdammter Säufer und hast dich einen Dreck um mich geschert!“ Um noch einen oben draufzusetzen und seinen Vater richtig tief zu verletzten, fügte Severus hinzu: „Und um Mutter!“
Ah, der richtige Nerv war getroffen und lag frei, ihn zu quälen, dachte Severus schadenfroh, als sein Vater versuchte, sich im Bett aufzubäumen. Es misslang. Der Mann konnte sich kaum bewegen. Offenbar war nicht nur eine Gesichtshälfte gelähmt, sondern die gesamte Körperhälfte.
„Du verdammter …“, meckerte sein Vater und griff zum nächstbesten Gegenstand, um ihn nach Severus zu werfen. Es war eine Taschentuchpackung, die Severus an der Brust traf und danach lautlos zu Boden fiel. Der alte Mann atmete heftig, war nun endlich wirklich in Rage und achtete nicht mehr auf die Lautstärke. „Ich hab mir auf dem Bau den Rücken kaputt gemacht, um euch beiden ein Leben zu ermöglichen. Den Arsch hab ich mir für euch aufgerissen!“
„Meine Güte“, Severus schnalzte mit der Zunge, „was kann ich von Glück reden, mir nicht deine Gossensprache angewöhnt zu haben. Ein Mitbringsel vom Baugewerbe, wie ich annehme?“
„Du undankbarer …“
Severus ergriff erneut das Metall am Fußende des Bettes und tat das, was sein Vater zuvor nicht geschafft hatte, denn er bäumte sich auf, um so bedrohlich wie nur möglich zu wirken. „Nenne mir einen Grund, warum ich Dankbarkeit zeigen sollte!“
Hörte man da eine Grille zirpen? Sein Vater hatte nichts zu sagen, ganz wie Severus es sich dachte.
„Ich will das nicht“, sagte sein Vater plötzlich erschöpft. „Ich will nicht streiten. Ich wollte dich nicht sehen. Das endet nur böse mit uns.“
Sein Vater seufzte, und es hörte sich an, als würde die Last der gesamten Welt auf seinen Schultern liegen. Severus blieb im Zimmer, auch wenn die beiden einige Minuten lang nicht miteinander sprachen. Das war früher schon oft so gewesen. Man war zu zweit, aber doch stets allein. Nach einer Weile ergriff sein Vater das Wort. Wut war nicht mehr zu hören.
„Weißt du, wie man sich fühlt, wenn die Leute einen auf der Straße anspucken?“ Weil Severus nicht wusste, auf was sein Vater hinaus wollte, blieb er still und hörte sich den Rest an. „Die haben mich nicht akzeptiert.“ Mit einer Hand zeigte er auf Severus. „Deine Leute, meine ich. Haben mir keine Arbeit gegeben, haben lieber über mich gelacht. Deine Mutter wollte wegen dir unbedingt dort leben, nicht in meiner Welt. Das ging nicht lange gut. Ohne Job kein Geld.“
„Ich weiß noch, dass Mutter manchmal gearbeitet hat“, warf Severus ein.
„Sie sollte aber nicht arbeiten! Ich bin der Mann im Haus gewesen. Ich weiß, heute kümmert man sich einen Scheiß drum, aber damals …“ Sein Vater schüttelte den Kopf.
Severus erinnerte sich an Umzüge. In die Magische Welt, zurück in die Muggelwelt, wieder in die Magische und am Ende in die Muggelwelt, bis er sein Leben selbst in die Hand nahm. Kein Wunder, dass er bei diesem Hin und Her als Kind kaum Freundschaften schließen konnte. Zudem war sein Vater jemand gewesen, den man umgangssprachlich als Quartalssäufer bezeichnete.
„Das ist kein Grund gewesen, regelmäßig zur Flasche zu greifen“, hielt Severus ihm vor.
„Hätte ich damals schon gewusst, dass Ärzte das heilen können …“
„Ach, von wegen. Das sagst du jetzt!“
„Nein, ehrlich. Deine Einweisung hat mir das Leben gerettet! Ich hatte da so ein Ding mit der Leber. Die Therapie hat“, sein Vater überlegte, schien sich aber nicht genau zu erinnern, „mehrere Jahre gedauert. Die Leber hat sich erholt. Hatte auch nie ‘nen Rückfall. Hab später in einer Druckerei geackert.“
Severus war perplex. „Du warst bei einer Druckerei angestellt?“
„Sicher! Ich weiß nicht mehr genau … Waren es fünfzehn Jahre? Habe eine ganze Weile da gearbeitet, bis ich den verdammten Schlaganfall hatte. Bin dann erst wieder ins Paulinehaus gekommen. Die Zauberer haben mich hierher verlegt.“ Tobias schaute seinen Sohn schräg an, kniff dabei die Augen zusammen. „Was hast du Bursche eigentlich ausgefressen, dass das Ministerium dich gesucht hat?“
Severus hob eine Augenbraue und stellte sich die Frage, ob sein Vater sich tatsächlich dafür interessierte. Innerlich verneinte er. „Ist eine lange Geschichte.“
„Na ja“, Tobias seufzte, „geht mich ja auch nichts an.“ Beinahe im gleichen Atemzug fragte er: „Mit was hast du so deine Brötchen verdient?“
„Ich war Lehrer.“
„Ach, Gott … Die armen Kinder!“
„Es hat nie Beschwerden über mich gegeben“, behauptete Severus. Es stimmte sogar. Die Schüler waren zu feige gewesen und die Kollegen hatten nie etwas an ihm auszusetzen – zumindest sehr selten.
„Was hast’n unterrichtet?“
„Zaubertränke.“
„Ah!“, machte sein Vater verständnisvoll. „Deine Mutter …“
„Ja, ich weiß. Es war ihr Steckenpferd.“
„Hast du wohl von ihr geerbt. Ich weiß noch, wie ihr am Wochenende immer im Keller gebraut habt.“
Es überraschte Severus, dass sein Vater davon Kenntnis hatte. Früher hatte Severus geglaubt, er müsste den privaten Zaubertrankunterricht vor seinem Vater geheim halten. Offenbar war das nie notwendig gewesen. Je mehr er sich die damaligen Ereignisse in Erinnerung rief, desto bewusster wurde ihm, dass er immer in den Sommerferien mit seiner Mutter gebraut hatte, während sein Vater Überstunden auf dem Bau machte und auch am Wochenende selten Zuhause war.
„Ich habe nie verstanden“, begann sein Vater, „warum deine Mutter dir so früh einen Stab gekauft hat. Mann, damit hast du mir einige Male einen Schrecken eingejagt. Ich wusste nie, was dabei herauskommt, wenn du mit dem Ding herumfuchtelst.“
„Ich habe nicht … gefuchtelt. Ich habe geübt“, verbesserte Severus.
„Aha“, machte sein Vater hämisch. „Wenn die Kloschüssel mich anrülpst bedeutete das, du hast nur geübt? Verstehe …“
Severus drehte sich zum Fenster, weil er schmunzeln musste. Er hatte die Toilettenschüssel mit acht oder neun Jahren tatsächlich einmal so verhext, dass sie gurgelnde Geräusche von sich gab und rülpste.
„Ich erschrak mich fast zu Tode!“, beschwerte sich sein Vater ein bisschen spät.
Severus drehte sich um und zeterte: „Und deswegen musst du mich mit einem Gürtel bewaffnet durchs ganze Haus jagen?“
„Warum regst du dich so auf? Hab dich doch sowieso nie erwischt. ’s war nur Recht, dir mal tüchtig einzuheizen.“
Das entsprach der Wahrheit, das musste Severus zugeben. Prügel gab es nie, weder von der Mutter noch vom Vater. Trotzdem war es ein beängstigendes Gefühl gewesen, vor einer Strafe zu fliehen. Er wusste noch, dass er damals mehr als nur einmal die Beine in die Hände nehmen musste, weil sein wütend schreiender Vater ihm beängstigend dicht auf den Fersen war. Nach der ersten Hetzjagd hatte Severus seine Mutter gebeten, ihm schon frühzeitig das Apparieren beizubringen.
„Dank deiner Sauforgien hast du eine Menge Mobiliar auf dem Gewissen“, warf Severus ihm vor, denn obwohl es keine Prügel gab, musste der Hausrat sehr unter dem alkoholisierten Mann leiden.
Darauf reagierte sein Vater gar nicht, denn er müsste, wenn er nicht lügen wollte, seinem Sohn zustimmen. Wieder trat ein Moment der Stille ein. Obwohl sie sich so viele Jahre nicht gesehen hatten, wusste Severus nicht, über was er sich mit ihm unterhalten konnte. Er wirkte nicht mehr so furchteinflößend wie früher. Severus ließ seinen Blick wandern. Der Mann im Nebenbett schlief noch immer, hatte sich nicht ein bisschen bewegt. Auf dem Nachttisch seines Vaters standen Unmengen von Döschen und Fläschchen. Offenbar die Medikamente, die er nehmen musste. Einige waren aus der Muggelwelt, andere aus der Magischen Welt. Ohne zu fragen näherte sich Severus dem Tisch und nahm nach und nach die Mittel in die Hand, um zu lesen, um was es sich handelte. Eine Menge Schmerzmittel waren darunter, ebenfalls Herztabletten, welche gegen Bluthochdruck, gegen Diabetes und vieles andere.
„Meine Drogen“, erklärte sein Vater scherzhaft. „Und alles umsonst!“
Als Severus eine Pillendose zurück auf den Tisch stellte, stieß er an einen Bilderrahmen, der neben ein paar steril verpackten Binden lag. Er konnte nur das hintere Teil sehen, nicht das Bild. Mit einer Hand deutete sein Vater drauf.
„Sieh’s dir ruhig an.“
Severus nahm den Rahmen und drehte ihn um. Ein unbewegliches Muggel-Farbbild von den Snapes – von allen dreien. Seine Eltern saßen eng beieinander. Beide lächelten. Zu dem Zeitpunkt war Severus wenige Wochen alt und wurde von seinen Eltern in die Kamera gehalten, damit man auch das schlafende Baby sehen konnte, auf das man so stolz war.
„Da warst du noch niedlich“, sagte sein Vater wenig charmant. Severus ließ sich nicht provozieren, sondern stellte das Bild wieder an seinen Platz. „Hast du Familie?“
„Bis auf den alten Taugenichts, der hier vor mir liegt …“
„Ich mein das ernst, Severus. 26 Jahre sind eine lange Zeit. Sag schon, bist du verheiratet?“
„Nein“, erwiderte Severus ehrlich.
„Such dir ’ne Frau“, gab sein Vater ihm als Ratschlag, „du verpasst sonst was.“ Tobias warf einen sehnsüchtigen Blick auf das Foto. „Als ich aus dem Heim raus war, habe ich eine Frau in der Druckerei kennengelernt. Hab acht Jahre mit ihr zusammengelebt.“
Diesmal seufzte Severus, und zwar laut und theatralisch. „Bitte sag jetzt nicht, dass wir an dem Punkt angelangt sind, an welchem du mir mitteilst, dass ich eine Stiefmutter und ein paar Halbgeschwister habe.“
„Ach, i wo! Wo denkst du hin?“ Sein Vater musste einen Moment lang herzlich lachen. Als das Lachen versiegte, gestand er wehmütig: „Es hat schon wehgetan, ein Kind enttäuscht zu haben. Das sollte sich nicht wiederholen.“
Da war ein seltsames Ziehen in Severus’ Brustbereich. Plötzlich konnte er seinem Vater nicht mehr in die Augen blicken. Severus wandte sich vom Bett ab und ging zum Fenster. Der Blick nach draußen wäre schön gewesen, hätte sich Severus darauf konzentrieren können, doch wie blind stand er da und hörte die Worte seines Vaters in Gedanken wieder und wieder.
„Bin ich dran schuld?“, hörte er seinen Vater fragen.
Severus drehte sich um, zog die Augenbrauen zusammen. „An was?“
„Dass du keine Familie hast. Ich will nicht daran schuld sein.“
Severus biss die Zähne zusammen und atmete tief durch. „Ich bin verlobt“, verriet er dem alten Mann, den das eigentlich gar nicht interessieren sollte.
„Oh, das ist gut!“
„Sie ist hier, wartet vor der Tür.“ Kaum hatte er es ausgesprochen, rügte Severus sich innerlich.
Sein Vater klang auf einmal sehr begeistert. „Mensch, worauf wartest du? Hol das Schneckchen rein! Mach schon!“
„Ich weiß nicht, ob ich ihr einen Sexheft lesenden, mürrischen, alten Griesgram antun möchte.“
„Dafür hat sie doch dich“, erlaubte sich sein Vater zu scherzen, „und so ein Heft kann ich dir ausleihen.“
Severus schnaufte, diesmal aus einer unterdrückten Belustigung heraus. Er stemmte die Fäuste in die Seite und schaute seinen Vater mit zusammengekniffenen Augen an. Gerade wollte er ihm mitteilen, dass er sich in Gegenwart seiner Verlobten zu benehmen hatte, da ging die Tür auf und drei Personen traten ein.
„Oh, Sie haben Besuch, Mr. Snape“, sagte der Herr mit grau meliertem Haar. Er reichte Severus die Hand. „Sacerdonus Cox, der Heiler von Mr. Snape und Sie …?“ Mr. Cox betrachtete Severus’ Gesicht und schlussfolgerte richtig: „Sie sind sein Sohn!“
„Korrekt.“
Sein Vater mischte sich ein. „Er is’n bisschen mundfaul, das müssen Sie ihm verzeihen. War wohl der Schock, dass ich noch lebe.“
Mr. Cox lachte, kannte offenbar die rüde Art seines Vaters zu gut. „Ich finde es schön, dass er Sie besucht“, erwiderte der Heiler. An Severus gewandt sagte er: „Ich muss Sie dennoch bitten zu gehen. AVK im 4. Stadium ist kein schöner Anblick.“
„Was?“ Man hörte Severus nicht, weil eine der Damen begann, mit seinem Vater zu sprechen. Tobias schob die Dame zur Seite, um Severus zu sehen.
„Kommst du nochmal? Du muss mir noch dein Mädchen vorstellen!“
„Ich …“
„Mr. Snape“, sagte Mr. Cox zu Severus, „kommen Sie bitte später wieder. Zu dieser Zeit ist immer Visite. Besuch kommt da sehr ungelegen.“
„Komm am Freitagabend“, rief Tobias ihm hinterher, „so gegen 18 Uhr. Da ist die Fleischbeschau vorbei.“
Ohne seinem Vater zu antworten verließ Severus das Zimmer. Er hatte es hinter sich gebracht. Sie hatten sich leibhaftig gegenübergestanden und beide lebten noch. Irgendjemand sprach mit ihm. Er fühlte etwas an seiner Hand.
„Severus?“
Er blinzelte zweimal. „Hermine?“
„Ja, so ist mein Name“, sagte sie langsam, als würde sie mit jemandem sprechen, der gerade einen Klatscher an den Kopf bekommen hatte. „Stehst du unter Drogen?“
Er hatte sich schnell wieder gefasst. „Nein, das ist nur das normale Resultat von einer Unterhaltung mit meinem Vater.“
„Aha …“, machte sie irritiert. „Geht’s dir gut?“
„Ich weiß ehrlich gesagt nicht, wie es mir gerade geht.“ Er versuchte, seine Gefühle zu analysieren, aber er scheiterte. Die Verfassung seines Körpers war hingegen einfacher zu deuten. Sein Magen knurrte. „Ich habe Hunger, das steht fest.“
„Ja, das habe ich gehört. Und ich kann dir nur beipflichten. Allerdings sind wir schon über der Zeit, Severus. Wir wollten längst zurück sein.“
„Wie spät ist es?“
„Halb vier durch.“
Severus nickte. „Die können ruhig mal ein, zwei Stunden ohne Aufsicht arbeiten. Komm“, er nahm ihre Hand, „wir gehen was essen.“
Die beiden entschieden sich für ein Muggel-Restaurant, obwohl es auch in der Winkelgasse einige ausgezeichnete Gaststätten gab. Die erfreuten sich mittlerweile wieder an etwas Kundschaft. Nach dem Aufruhr, von dem man in allen Zeitungen lesen konnte, waren die Leute vorsichtig geworden. An Ollivanders Geschäft hielten vier gewichtige Herren von der Magischen Polizeibrigade Wache, um Präsenz zu zeigen. Gringotts hatte seine eigenen Sicherheitsbeamte: zwei abgerichtete Trolle, die gut vom Eingangsbereich aus zu sehen waren, sich aber nicht nahe genug an der Tür befanden, um Kunden zu vergraulen.
Mit einigen Unterlagen unterm Arm geklemmt fand sich Draco pünktlich in der Winkelgasse ein. Er traf Harry gerade dabei an, wie er einem Herrn, der ein Schild über dem Laden anbrachte, Anweisungen gab.
„Noch weiter nach rechts“, sagte Harry. „Jetzt ist es gerade!“
„Hallo, Harry“, grüßte Draco, der gleich darauf zum Schild schaute, dann wieder zu seinem Klienten. „Hast dich doch für Kinderladen entschieden, ja? Na, ich hoffe, das stiftet keine Verwirrung.“
Harry schüttelte den Kopf. „Ich denke, die Leute werden sich schnell an das Wort und die Bedeutung gewöhnen. Komm doch rein.“
Er hielt für Draco die Tür auf. Einige kindgerechte Möbel waren eingetroffen, die Harry ihm sofort zeigte. Ein paar Zimmer wurden noch renoviert, aber im Großen und Ganzen sah es schon sehr einladend aus.
„Die Küche ist schon fertig! Möchtest du mal sehen?“
Draco ließ sich herumführen, bevor er sein Anliegen auf den Punkt brachte: „Ich haben für heute drei Bewerber eingeladen.“
„Für heute schon?“
„Ja, dein Büro ist doch schon eingerichtet, oder habe ich zu voreilig gehandelt?“
„Nein, ich bin fertig. Ich weiß nur nicht, ob ich das kann. Bewerbungsgespräche führen, meine ich.“
„Na, dafür ist ja der gute Onkel Draco hier“, sagte er mit einem Schmunzeln. „Ich werde mir die Gespräche anhören und dir gern meine Meinung zu den Kandidaten sagen. Ich kenne sie bereits. Zwei Squibs und ein, ähm ... Der ist ein wenig ... Du wirst schon sehen.“
Gegen 16 Uhr kam die erste Dame. Eine Frau Mitte fünfzig. Wie es sich herausstellte, hatte sie in der Muggelwelt bereits in einem Kindergarten als Köchin gearbeitet, aber weil ihr Arbeitgeber aus gesundheitlichen Gründen schließen musste und aufgrund der momentanen Arbeitsmarktlage nichts zu finden war, entschied sich die Dame nach langer Zeit, es wieder in der Magischen Welt zu versuchen. Harry nahm sie mit Kusshand. Selbst Draco hatte nichts gegen die ganzen Zeugnisse und Referenzen einzuwenden.
Die zweite Dame war etwas jünger, hatte keine Erfahrung in einem Kindergarten gesammelt, war dafür aber seit siebzehn Jahren bei einer Zaubererfamilie als Gouvernante angestellt. Da die Kinder nun alle erwachsen waren und keine Nanny mehr benötigten, trennte man sich schweren Herzens von ihr. Auch sie durfte bald einen Vertrag als Erzieherin bei Harry unterschreiben.
Gelangweilt wartete man auf den dritten Bewerber, von dem Draco vorhin nichts weiter erzählen wollte. Der Mann, der für die Raumpflege verantwortlich sein sollte, kam einfach nicht.
„Ich weiß nicht, Harry. Ich glaube, das wird heute nichts mehr.“
„Geben wir ihm noch zehn Minuten, dann ist er eine Stunde überfällig.“
Draco nickte. In den zehn Minuten tat sich ebenfalls nichts, sodass er sich bei Harry für das Fernbleiben seines Klienten entschuldigte und danach den Heimweg antrat.
Von der Winkelgasse aus schaute sich Harry in Ruhe das neue Schild an, dass er heute anbringen ließ. Er ging sogar einige Schritte zurück, um zu sehen, wie es von Weitem aussah. Aufgrund von Wobbels knappem Fremdsprachenunterricht hatte er seinem Kinderladen den Namen „Vinn“ gegeben, was elfisch war und nicht anderes als „Freund“ bedeutete. Harry nickte sich selbst zu. Er war zufrieden mit dem, was er bisher geschafft hatte. Die Anzeigen waren geschaltet, einige schriftliche Anfragen von interessierten Eltern waren schon eingetroffen und es waren Verträge mit Nahrungsmittellieferanten ausgehandelt, die ihm natürlich nur aufgrund seines Namens einen guten Preis machten. Gleich im nächsten Jahr sollte es losgehen, dann würde er den Kindergarten eröffnen. Nur noch einige Angestellte fehlten.
Harry bemerkte, wie jemand an ihm vorbeiging und die zwei Stufen zum Kinderladen hochstolperte. Der große, schlaksige Mann presste die Nase an die Scheibe und schaute hinein. Als er niemanden sah, betätigte er die Klingel. Normalerweise hätte Harry so eine Situation wie diese einfach nur aus der Ferne beobachtet, doch jetzt konnte er das schlecht, denn er war derjenige, der die Tür von innen öffnen müsste. Harry trat von hinten an den Herrn heran und räusperte sich. Erschrocken fuhr der Mann herum. Das Gesicht hatte Harry schon einmal gesehen. Damals, im Fahrenden Ritter.
Shunpikes Gesichtszüge entgleisten, doch dann legte sich ein fieses Grinsen über seine Lippen. Er reichte Harry die Hand und schüttelte sie, doch sein Gruß klang vorwurfsvoll, als er absichtlich sagte: „Hallo, Neville!“ Harry hörte Enttäuschung heraus.
Mit einer Hand kratzte sich Harry verlegen den Nacken. Damals hatte er Stan einen falschen Namen gegeben. „Hallo! Stan Shunpike, richtig?“
„Erinnerst dich sogar an mich, ja? Darf ich mich bestimmt geehrt fühlen. Ich war wenigstens ehrlich zu dir. Deinen Namen habe ich erst später erfahren. Man musste ja nur eine beliebige Zeitung aufschlagen.“
„Hör mal, das tut mir leid. Ich wusste nicht, wo mir der Kopf steht. Wie würdest du dich fühlen, wenn du glaubst, ein Mörder wäre hinter dir her?“ Stan hob und senkte die Schultern, äußerte sich nicht weiter dazu. „Bist du der Bewerber, den mir Mr. Malfoy geschickt hat?“
„Ja, der bin ich.“ Mit einem Male gab Stan ein hicksendes Geräusch von sich. Es roch nach Feuerwhisky.
„Du bist ein wenig spät dran.“
„Tut mir leid, ich konnte nicht früher. Hab meinen Bruder im Knast besucht.“
Freundlicherweise sagte Harry ihm nicht gleich ab, obwohl solche Informationen bei einem Vorstellungsgespräch ein Tabu darstellten. Er gab ihm eine Chance und bat ihn in sein Büro. Als er an Stan vorbeiging, um ebenfalls Platz zu nehmen, glaubte er abermals, Alkohol zu riechen.
„Sag mal, hast du getrunken?“, fragte Harry offen.
„Steh ich hier unter Anklage?“
„Nein, ich frage nur. Ist nicht gerade von Vorteil, mit Kindern arbeiten zu wollen und dabei eine Fahne zu haben.“
„Hey, ich soll hier nur saubermachen. Ich bin ein Meister mit dem Mob! Sozusagen ein Mob-Meister“, lachte er über seinen eigenen Scherz. „Und wischen kann ich mit Alkohol genauso gut wie ohne. Ein Schluck für den Boden zum Desinfizieren und ein Schluck für mich.“
Das Gehörte ließ sich Harry einen Moment lang durch den Kopf gehen. Draco hatte kein Wort über Stan Shunpike verloren. Er war sogar ins Stottern geraten, als es um ihn ging. Jetzt wusste Harry auch, warum.
„Trinkst du oft?“, wollte Harry wissen, ohne dabei vorwurfsvoll zu klingen.
„Muss ich darauf antworten?“
„Nein, aber wenn die Antwort ja wäre, dann würde ich gern wissen, warum?“
„Was?“
„Warum trinkst du? Du scheinst damit ein ernsthaftes Problem zu haben, wenn du selbst schon zu einem Vorstellungsgespräch zu spät kommst und eine Fahne hast.“
Stan blieb einen Moment lang still und überlegte. Er runzelte die Stirn, kratzte sich am Kinn, atmete tief durch und schüttelte irritiert den Kopf.
„Das hat mich echt noch niemand gefragt“, sagte Stan völlig konfus, weil er nicht wusste, wie er antworten sollte.
„Was hat dich noch nie jemand gefragt?“
„Warum ich ... Na ja ...“
Er wich aus, um nicht zugeben zu müssen, dass er tatsächlich ein Alkoholproblem hatte. Vielleicht sah er in Harrys hilfsbereitem Auftreten eine Fangfrage. Stan wollte auf jeden Fall vermeiden, den Grund zu schildern, weshalb er seine letzten beiden Jobs verlor.
„Ich will gar nicht drängen, Stan.“ Harry hielt kurz inne. „Ich darf dich doch Stan nennen?“
„Klar, so heiße ich doch auch.“
„Gut. Ich möchte dir empfehlen, selbst darüber nachzudenken. Du kannst dir vorstellen, dass ich dich unter diesen Umständen nicht einstellen möchte.“
„Meine Arbeit mache ich gut!“
„Und wenn es irgendwann außer Kontrolle gerät?“
Harry konnte sich gar nicht erklären, woher seine Sicherheit bei dem Gespräch kam. Vielleicht weil er in Stan keine Bedrohung sah. Vielleicht aber auch, weil jeder Mensch seine Probleme mit sich herumtrug. Ginny hatte welche und war deshalb bei Dr. Fueller in Behandlung, genauso wie Gregory Goyle. Selbst Harry hatte ein paar Problemchen, auch wenn er nicht dem Alkohol zugeneigt war. Albträume kamen immer wieder. Nicht mehr so häufig wie damals, als Voldemort sie ihm geschickt hatte, aber dann und wann wachte er schweißgebadet auf.
„Wenn du Hilfe brauchst ...?“, bot Harry an. „Es gibt sicher ein paar Einrichtungen, deren Selbsthilfeprogramme du in Anspruch nehmen kannst.“
„Bekomme ich den Job sonst nicht?“
„Ich befürchte nein.“ Weil Stan enttäuscht aussah, wollte Harry sich erklären. „Du riechst nach Alkohol, Stan. Was sollen die Eltern denken? Oder die Kinder? Die Kollegen? Was soll ich als dein Arbeitgeber sagen?“
„Na, dann war's das wohl.“ Stan stand auf. „Auf Wiedersehen, Neville.“
Harry war nicht beleidigt. „Hey, das heißt doch nicht, dass ...“
Schon hatte Stan das Büro verlassen und war auf dem Weg zum Tropfenden Kessel, wo er sicherlich einen Stopp einlegen würde, um seinen Frust über das fehlgeschlagene Bewerbungsgespräch in Alkohol zu ertränken.
Kurze Zeit später klopfte es an der Glastür zum Laden. Harry rechnete damit, dass Stan es sich anders überlegt hatte und wenigstens die angebotene Hilfe annehmen wollte. Er fasste an seine Brusttasche, in der er unter anderem eine Visitenkarte von der Granger Apotheke mit sich führte, aber auch eine von Ginnys Therapeut. Die könnte er Stan in der Hoffnung geben, dass der junge Mann sich einmal einen Ruck geben würde.
Als Harry den Flur betrat und zur Glastür schaute, staunte er nicht schlecht, als ein Kobold davorstand. Harry öffnete ihm die Tür.
„Guten Tag, Sir“, grüßte er das Wesen freundlich wie jeden anderen auch.
„Tag“, erwiderte der Kobold kurz und knapp. „Komme gerade von Gringotts gegenüber und hab gesehen, dass jemand herausgekommen ist. Geöffnet ist aber noch nicht, oder?“
„Nein, erst im nächsten Jahr.“
„Mmmh“, machte der Kobold mit einem kehligen Laut. „Darf ich’s mir mal ansehen?“
„Sicher!“
Harry hatte Muffensausen. Der Mann könnte von der Bank sein und irgendwas überprüfen. Vielleicht die baulichen Veränderungen, vermutete Harry. Zum Glück hatte er schwarz auf weiß, was er ändern durfte.
Ohne zu fragen ging der Kobold die verschiedenen Räume ab, warf sogar einen Blick in die Küche und am Ende in die Toilette.
Der Kobold fand etwas, das er beanstandete. „Die Becken sind viel zu hoch angebracht, finden Sie nicht?“
„Ich, ähm … Die Urinale meinen Sie? Die sind doch für Kinder gerade richtig.“
„Finde ich nicht“, widersprach der Kobold grimmig. „Sie sollten wenigstens eines tiefer setzen.“
Der Kobold war ganz bestimmt von Gringotts geschickt worden, redete Harry sich selbst ein. Er hoffte innig, die würden ihm keine Schwierigkeiten bereiten, also stimmte er einfach zu. Draco hatte ihn vor möglichen Schikanen gewarnt, obwohl Harry das nicht glauben wollte.
„Gut, ich werde das mit dem Herrn besprechen, der morgen wegen der Waschräume kommt. Er wird’s ändern.“ Aufgrund seiner Aussage nickte der Kobold zufrieden. „Ähm, Sir?“
„Mmmh?“
„Wie viel tiefer? Ich meine, so in etwa. Was schlagen Sie vor?“
Mit einem langen, knorrigen Finger zeigte der Kobold die Höhe, bevor er sich umdrehte und die Toilette verließ. Harry zog schnell seinen Stab und hinterließ eine magische Markierung an den Fliesen.
„Sir?“ Der Kobold war auf einmal verschwunden. Harry schaute sich um. Weder im Kinderschlafsaal noch im Speisesaal war der Mann zu sehen. „Sir?“ Er wird wohl gegangen sein, dachte Harry, als er in die Küche marschierte, um noch einige Dinge zu erledigen. „AH!“, erschreckte sich Harry, weil er plötzlich in den Kobold hineinlief. „Meine Güte, ich dachte, Sie wären gegangen.“
„Nein, ich sehe mir nochmal die Küche an.“
„Ja, das sehe ich“, merkte Harry skeptisch an.
„Die Kinder kochen hier aber nicht selbst, oder?“
„Nein, natürlich nicht. Zwei Köchinnen und ein Küchenjunge sorgen für die Mahlzeiten, die frisch zubereitet werden. Die Kinder kommen hier gar nicht erst rein.“
„Was haben Sie auf dem Speiseplan?“
Der Kobold verzog überhaupt keine Miene. Jedenfalls sah es für Harry so aus. Die Kerle machten immer einen grimmigen Eindruck, selbst wenn sie fröhlich waren. Das lag an den eigentümlich geformten Gesichtszügen, mit denen Mutter Natur diese Wesen bedacht hatte.
„Es wird abgewechselt, Sir. Ich kann es jetzt noch nicht genau sagen, denn dazu benötige ich die ausgefüllten Formulare der Eltern, die ihre Kinder hier anmelden.“ Der Kobold drehte sich zu ihm und blickte ihn finster an, womit er Harry zum Weiterreden motivierte. „Allergien und andere Unverträglichkeiten müssen beachtet werden. Außerdem Lieblingsspeisen und dergleichen. Jeder soll mal auf seine Kosten kommen. Ich denke, man wird sich am Ende sowieso auf Spaghetti einigen. Kinder lieben Spaghetti.“
„Mein Sohn hasst das Zeug. Die Dinger sehen aus wie Würmer“, entgegnete der Kobold trocken.
„Was mag denn Ihr Sohn?“
„Schweinekopfsülze, Blutwurst, Lebergerichte, Rinderzunge, Haggis …“
„Tatsächlich?“, unterbrach Harry. „Das ist das erste Kind, von dem ich höre, dass Haggis mag.“ Und all die anderen aufgezählten Gerichte, vervollständigte Harry den Satz in Gedanken. „Wie schon erwähnt, es kommt auf die Einschätzungen der Eltern ein. Natürlich richten wir uns danach, was die Kinder mögen. Ich dachte daran, dass man täglich zwischen zwei verschiedenen Mahlzeiten wählen kann.“
„Wie läuft das mit der Anmeldung ab?“, fragte der Kobold.
„Das zeige ich Ihnen, ist sehr einfach. Wenn Sie mir folgen möchten?“
Im Büro schaute sich der Kobold die viel zu hohen Sitzgelegenheiten für Besucher an. Harry spielte bereits mit dem Gedanken, diesem Herrn einen der Kinderstühle zu holen, die gerade gekommen waren. Die Größe müsste stimmen. Um nicht unverschämt zu wirken, setzte sich Harry ebenfalls nicht. Aus einem Fach zog er ein mehrseitiges Formular, dass er zusammen mit Dracos Hilfe erstellt hatte und reichte es dem Kobold.
„Können Sie gern mitnehmen und sich in Ruhe ansehen, Sir.“
Eine buschige Augenbraue wanderte nach oben, als der Kobold das Formular annahm. „Darf ich es auch ausgefüllt zurückschicken oder werde ich von vornherein eine Ablehnung erhalten?“
Jetzt erst begriff Harry. „Sie möchten Ihr Kind hier anmelden? Hier bei mir?“ Er hatte mit Squibs gerechnet, mit Muggeln, mit Hexen und Zauberern, aber nicht mit Kobolden.
„Habe ich mich so missverständlich ausgedrückt?“
„Nein, Sir.“ Harry ging ein Licht auf. „Jetzt verstehe ich auch das mit der Toilette.“
„Auf dem Schild draußen steht Kinderladen. Ich ging davon aus, dass alle Kinder gemeint sind, unabhängig von der Spezies“, vermutete der Kobold laut.
„Sie haben Recht, genau so ist das auch. Wir bei Vinn machen keinen Unterschied.“
Der Kobold nickte bewundernd. „Das ist der nächste Punkt, der mich angesprochen hat: die Elfensprache. Oder war das nur ein dummer Zufall, als Sie sich einen Namen ausgesucht haben?“
„Nein, das hat mir mein Freund beigebracht, der ist nämlich ein Elf.“
„Ihr Freund?“, wiederholte der Kobold skeptisch.
„Ja, mein Freund. Mir hat das Wort so gut gefallen …“, begann Harry zu schwärmen.
„Ja, ja“, fuhr ihm der Kobold über den Mund. Er schaute auf seine goldene Taschenuhr. „Ich muss mich verabschieden. Danke für die kleine Führung.“
Innerlich wusste Harry, dass er einen sehr guten Eindruck hinterlassen hatte – er persönlich wie auch sein Kinderladen – und das ließ sein Selbstbewusstsein wachsen. Er fragte sich nur, wann die ersten Journalisten ihm auf der Lauer liegen würden. Vielleicht sollte er Luna die Exklusivrechte verkaufen. Harry schloss seinen Laden und ging zum Tropfenden Kessel, um vor dort nachhause zu flohen. Der Kamin im Kinderladen war noch nicht am Flohnetz angeschlossen.
Als Harry ins Wohnzimmer trat, versteinerte er sofort. Grund dafür war Ginny, die mit zittriger Hand einen Brief hielt und las, während die andere Hand Tränen von ihren leicht geröteten Wangen wischte.
„Ginny? Was ist los?“ Sofort war er bei ihr. Auf dem Schreiben erkannte er das Logo von Eintracht Pfützensee. „Endlich ist er gekommen!“ Der Brief wurde schon lange sehnlichst erwartet. Harry vermutete Freudentränen und war plötzlich nicht mehr besorgt. „Na, wann darfst du anfangen?“
„Das ist eine Absage, Harry“, schniefte sie, doch sie lächelte dabei.
„Eine Absage? Sind die bescheuert?“
„Sie haben geschrieben, sie würden mich sehr gern unter Vertrag nehmen und ich soll mich in eineinhalb Jahren noch einmal vorstellen.“
Ratlos schüttelte Harry den Kopf. „Warum denn das?“
„Ich bin durch den Gesundheitscheck gefallen.“
„Der Gesundheitscheck?“ Eiskalt lief es ihm den Rücken hinunter. „Ginny ...“ Die Sorge war so schnell zurückgekommen, wie sie vorhin verschwunden war. „Hast du was? Bist du krank?“
„Nein.“
Zu weinen und gleichzeitig zu lächeln sah seltsam aus, dachte Harry, aber viel mehr Gedanken machte er sich wegen der Absage. „Wenn du nicht krank bist, du aber durch den Check gefallen bist ...?“
Sie zog die Nase hoch und lächelte ihn milde an. „Ich bin schwanger, Harry.“ Wieder begann sie zu lachen und gleichzeitig liefen neue Tränen über ihre Wangen.
„Wie bitte? Wie ist das möglich?“ Bevor sie glaubte, er hätte einen Aufklärungsunterricht nötig, verbesserte er: „Ich meine, wir haben doch immer aufgepasst und abwechselnd unsere Tränke genommen.“
„Nicht immer, Harry“, musste sie ihm wiedersprechen. Sie schaute noch einmal auf den Brief. „Nach deren Berechnung“, sie zog die Nase hoch, „müssen wir ihn, wenn es ein Junge wird, wohl oder übel Ronald Bilius nennen.“
Es benötigte seine Zeit, bis der Knut gefallen war, aber dann verstand Harry. Trotzdem konnte er es nicht fassen.
„Ist nicht wahr! Das kleine Techtelmechtel auf unserer Hochzeit?“
„Ja, das kleine Techtelmechtel. Oh, Harry ...!“
Sie fiel ihm um den Hals und ließ sich von ihm drücken. Erst jetzt, als er ihr über den Rücken strich und seine grauen Zellen die Neuigkeit verarbeiten, wurde ihm die Gesamtsituation langsam bewusst.
„Du bist schwanger“, wiederholte er. Jetzt wusste er, warum Ginny lachte und gleichzeitig weinte. Er fühlte sich ähnlich übermannt von der Freude, die in ihm aufstieg. „Ich werde Vater!“ Diesmal drückte sie ihn. Er fühlte, wie sie nickte. Harrys Grinsen wurde immer breiter. „Ich!“, sagte er stolz. „Ich werde Papa!“
Am Bein spürte er eine kleine Hand. Er ließ Ginny langsam los und blickte nach unten. Verwirrte Kinderaugen blickten nach oben zu den Eltern. Das Verhalten der beiden war für den Kleinen fremd und beängstigend. Harry nahm ihn auf den Arm.
„Du bekommst ein Geschwisterchen, Nicholas. Endlich jemand, mit dem du jederzeit spielen kannst. Und jemand, auf den du aufpassen darfst, wenn du größer bist.“
Nicholas hörte seinem Vater zwar aufmerksam zu, beobachtete dabei dessen Lippen, aber noch konnte er die Freude nicht teilen. Er wusste nicht, um was es ging. Ginny hatte sich einigermaßen beruhigt. Dennoch konnte man ihr ansehen, dass sie am liebsten sofort zum Kamin eilen wollte, um nacheinander jedem Bescheid zu geben. Ihr entwich ein Seufzer.
„Das wirft komplett meine Pläne durcheinander“, beschwerte sie sich nur halbherzig. „Ich wollte doch Quidditch spielen.“
„Ich würde dir die Arbeit ja gern abnehmen, aber Kinder können wir Männer nicht bekommen. Dafür verspreche ich dir, dass ich dich in eineinhalb Jahren voll und ganz unterstütze. Ich kümmere mich um die beiden und du gewinnst gefälligst jedes Spiel.“ Er zwinkerte ihr zu. „Es passt doch alles wunderbar! Entweder nehme ich die beiden mit in den Kindergarten oder Wobbel ...“
Der Elf erschien auf der Stelle. „Sie haben gerufen, Sir?“
„Nein, aber gut, dass du da bist. Wir haben nämlich eine Neuigkeit mitzuteilen und da du und Shibby ...“
Wobbels Frau erschien auf gleiche Weise wie ihr Gatte. „Mr. Potter hat nach Shibby verlangt?“
„Da der engere Kreis unserer kleinen Familie nun beisammen ist ...“ Er schaute zu Ginny. „Möchtest du?“
Sie nickte, sah dabei überglücklich aus, trotz der feuchten Augen und roten Wangen. Sie ging in die Knie, damit sie mit den Elfen auf Augenhöhe war, bevor sie die frohe Botschaft verkündete. „Harry und ich bekommen ein Baby.“
„Nein, wirklich?“ Wobbel machte ganz große Augen und blickte einmal zu Harry hinüber, der ihm bestätigend zunickte. „Das ist wundervoll, Mrs. Potter. Ganz wundervoll.“ Wobbel schaute zu Shibby hinüber und hielt einen Moment lang Augenkontakt. Beide Elfen freuten sich, denn ein weiteres Kind bedeutete endlich mehr Arbeit.
Ginny setzte sich auf die Couch, atmete tief durch, ein und aus. Ihr Herz raste. „Ich muss das erst einmal verdauen. Das kam doch ein wenig plötzlich“, gestand sie Harry. „Diesmal habe ich überhaupt nichts gemerkt. Keine Übelkeit, kein Ziehen – absolut nichts! Bei Nicholas war das völlig anders.“
„Warte mal“, sagte Harry und setzte sich neben sie. Seine Stirn schlug Falten, als er nachdachte. „Wir haben Ende Juni“, er räusperte sich, „geheiratet. Jetzt haben wir Oktober. Mensch, dann ist das ja gar nicht mehr so lange hin.“
„Stimmt. Ich bin froh, dass wir soweit schon alles geregelt haben. Wir haben eine Bleibe, du eröffnest nächstes Jahr deinen Kinderladen. Eines sage ich dir, Harry: Sobald ich mit dem Stillen aufgehört habe, werde ich nochmal bei Eintracht Pfützensee anklopfen.“
Gut gelaunt nahm Harry ihre Hand und stimmte ihr zu. „Ja, mach das! Ich kümmere mich um die Kinder.“ Man hörte ein lautes Räuspern von Wobbel, sodass Harry sich genötigt fühlte hinzuzufügen: „Wobbel und Shibby werden mich natürlich tatkräftig unterstützen.“
„Trotzdem kommt das so überraschend.“ Ginny nahm nochmals den Brief in die Hand. „Ich werde vorsichtshalber noch einen Test machen lassen. Wer weiß ... Nicht dass die versehentlich mein Blut vertauscht haben. Soll ja alles schon einmal vorgekommen sein.“
„Frag doch Hermine. In der Apotheke führen sie bestimmt auch Schwangerschaftstests durch. Oder ich kauf dir so ein Stäbchen aus der Muggelwelt. Die Tests sind schnell und gut.“
„Soll ich Ma schon was sagen oder damit lieber warten, falls es doch nichts ist?“
„Das kann ich dir nicht vorschreiben. Mach es so, wie du dich dabei am wohlsten fühlst.“
„Dann sagen wir es erst einmal niemandem“, schlug Ginny vor. „Ich möchte einfach nicht, dass ein zweiter Test doch negativ endet und ich mich allen erklären muss. Ach, Harry ...“ Nochmals seufzte sie, doch diesmal klang sie müde. „Ich bin völlig erschlagen.“
„Darf Shibby Mrs. Potter etwas zu essen bringen? Oder einen Tee?“
„Nein, Shibby, aber danke für das Angebot.“
Die Elfen verschwanden wieder und ließen das Ehepaar allein. Nicholas lag auf den Beinen seiner Eltern, der Kopf auf Ginnys Schoß, die Beine bei Harry. So bequem, wie er es hatte, war er schnell eingeschlafen, während seine Eltern sich gemütlich aneinanderkuschelten und jeder für sich die Zukunft weiterträumte. Harrys Blick fiel auf ihren Bauch.
„Man sieht gar nichts.“ Vorsichtig legte er eine Hand auf ihren Bauch, um Nicholas nicht zu wecken.
„Als ich mit ihm schwanger war“, Ginny strich dem Jungen übers schwarze Haar, „hat man erst Mitte des fünften Monats was gesehen. Ich hätte es doch gemerkt, wenn mir in letzter Zeit meine Hosen nicht mehr gepasst hätten, aber das war nicht der Fall. Ich hab wirklich nichts gemerkt.“
„Und deine Tage?“
„Ist nur etwas weniger gewesen, waren kürzer als sonst. Ich dachte, das hängt vielleicht mit dem Stress zusammen, den der Umzug mit sich bringt.“ Auf ihre Ängste, wegen denen sie noch in Behandlung war, kam sie nicht zu sprechen, denn Stress, in welcher Form auch immer, konnte Auswirkungen auf den weiblichen Zyklus haben.
„Ist das normal?“
„Es kann passieren. Bei Percy war’s wohl auch so. Der hat sich lange nicht bemerkbar gemacht. Bei Fred und George hat sie es gemerkt, weil sie Appetit auf Saures bekam. Bei Ron war ihr nach Süßigkeiten.“
„Vielleicht ist er deswegen so ein Süßschnabel geworden?“, scherzte Harry.
Sie lachte leise. „Damit könntest du sogar Recht haben.“
Ihr erstes Kind mit Harry zusammen. Weil Harry längst für Nicholas in die Vaterrolle geschlüpft war, gab es in dieser Hinsicht keinen Unterschied. Sie waren bereits eine richtige, kleine Familie und jetzt bekamen sie Zuwachs. Ginny rieb sich den Bauch.
Ebenfalls den Bauch rieb sich Severus, sogar beinahe zur gleichen Zeit, doch er saß in einem Restaurant. Im Gegensatz zu Ginny erwartete er natürlich keinen Nachwuchs. Das war nicht möglich, obwohl einige zwielichtige Zauberer behaupteten, es gäbe selbst dafür Mittel und Wege, aber das wäre eine andere Geschichte. Severus rieb sich den Bauch, weil er unter Magenschmerzen litt. Das Gespräch mit seinem Vater hatte ihn sehr mitgenommen. Von seinem Cordon Bleu schaffte er weniger als die Hälfte, weil jeder Happen wie ein Stein im Magen lag. Den Salat vertrug er besser.
„Du kannst doch heute freimachen, Severus.“ Galant schnappe sich Hermine das Fleisch von seinem Teller, denn sie hatte im Gegensatz zu ihm noch immer Appetit. „Wird dir keiner übel nehmen.“
„Nein, ich habe meinem Schüler gegenüber Verpflichtungen.“
„Ach, Schnickschnack! Dein Schüler hat in einer Woche mehr gelernt als andere Leute in ihrem ganzen Leben. Es schadete nicht, wenn er einen oder zwei Tage lang alltägliche Dinge braut. Ignatius und ich werden schon auf ihn acht geben.“
Er stutzte. „Ihr sprecht euch mit Vornamen an?“
„Wir duzen uns sogar“, bestätigte sie. „Weißt du, was Ignatius heißt?“
„Es ist lateinisch und bedeutet der Feurige.“
„Richtig, ist doch ein komischer Zufall, oder? Ich meine, wenn du dir in unserem Bekanntenkreis mal die Namen und ihre Bedeutungen genauer ansiehst und dazu das Schicksal der Personen unter die Lupe nim…“
„Willst du damit eine Andeutung auf meinen Namen machen?“
„Nein, überhaupt nicht.“ Sie grinste keck.
„Das mit den Namen ist nur Zufall. Wenn du dir mal bitte Lucius vor Augen halten würdest …“
„Wieso? Was heißt Lucius?“
„Was denn? Ich weiß etwas, das du nicht weißt? Das gefällt mir.“ Den Schmollmund gegenüber betrachtete er nicht zu lange, sonst würde er Lust auf andere Dinge bekommen als auf Tränkebrauen. „Lucius bedeutet der Leuchtende oder der im Licht Glänzende. Passt nicht ganz zu seinem Charakter, oder?“
„Ich hätte eher getippt auf: der mit gespaltener Zunge spricht. Das hätte gepasst.“
„Du tust ihm Unrecht.“
„Nein, ich glaube, ich kann den Mann ganz gut einschätzen. Du kommst nur mit ihm klar, weil ihr euch schon so lange kennt. Aber zurück zu den Namen.“ Wenn Hermine Gefallen an einem Thema fand, war sie nicht zu stoppen. „Nimm doch einfach mal Harry – kommt von Henry, kommt von Heinrich, kommt von Heimerich und bedeutet …?“ Er zuckte mit den Schultern, sodass sie die Antwort gab. „Mächtig!“
„Tobias bedeutet gütig“, konterte er.
Damit glaubte er, ihre Theorie, die Namensgebung hätte Einfluss auf das Schicksal der Kinder, endgültig widerlegt zu haben. Aufgrund seines Gegenbeispiels war er mit seinen Gedanken auf einmal ganz woanders.
Bevor Hermine wieder mit Bedeutungen von Vornamen beginnen würde, fragte er geradeheraus: „Was für ein Gebrechen verbirgt sich hinter AVK?“
Hermine führte gerade einen Happen zum Mund, doch mittendrin fror die Bewegung ein, weil sie nachdachte. Die Antwort war in ihrem Gedächtnis schnell gefunden: „Arterielle Verschlusskrankheit. Warum?“
„Was beinhaltet das vierte Stadium?“
„Warum willst du das …?“ Sein Blick forderte die Antwort und verbat sich Gegenfragen. Hermine presste die Lippen zusammen und ging abermals in sich. „Es kommt drauf an, wo das Problem sitzt. Um was geht es hier? Leidet dein Vater daran?“
„Ich weiß es nicht. Der Heiler könnte auch den Herrn im Nebenbett gemeint haben. Er sagte, AVK im vierten Stadium wäre kein schöner Anblick.“
Ihr Essen schob Hermine von sich. Bei diesem Thema war ihr der Appetit vergangen. „Wenn es an den Beinen auftritt, was am häufigsten vorkommt … Das vierte Stadium ist das letzte, Severus.“ Sie blieb sachlich, aber er hörte das Mitleid in ihrer Stimme, als sie erklärte: „Nekrose. Das Gewebe stirbt ab, verfärbt sich schwarz. Die betroffene Körperstelle verwest.“ Sie atmete einmal tief durch. „Im Volksmund wird es Raucherbein genannt, was nicht heißt, dass jeder Raucher daran erkranken muss oder jeder, der daran erkrankt ist, geraucht hat.“
Severus schluckte kräftig. „Was kann AVK noch mit sich bringen?“
„Auf was möchtest du hinaus, Severus? Rede einfach ganz offen mit mir.“
„Er ist einseitig gelähmt, hatte einen Schlaganfall.“
Hermine nickte. „Das kann davon kommen, ja. Schlaganfall, Herzinfarkt.“
„Auf seinem Tisch habe ich starke Medikamente gegen Bluthochdruck gesehen, und viele Mittel gegen Schmerzen. Offenbar ist er zu allem Übel auch noch Diabetiker.“
„Das passt alles ins gleiche Krankheitsbild.“
Für einen Augenblick verstummte Severus. Er schaffte es nicht, einen klaren Kopf zu bekommen. Seine Gedanken waren schlapp und willenlos. Mit einem momentan so untauglichen Geist war er nicht in der Lage, Tränke zu brauen, bei denen man achtsam vorgehen musste. Hermines Angebot, heute und vielleicht sogar morgen dem Labor fernzubleiben, wurde immer sympathischer.
„Er möchte dich kennenlernen“, sagte Severus völlig unerwartet.
„Mich?“
„Ja, aber ich muss dich warnen. Er ist ein einfacher Mann, benutzt einfache Worte.“ Severus schnaufte amüsiert. „Es sei denn, er flucht. In dieser Hinsicht ist sein Wortschatz äußerst umfangreich.“
„Wie hat er sich denn dir gegenüber verhalten?“
„Wie immer, würde ich sagen. Launisch, ein wenig aggressiv.“ Er verbesserte. „Nein, nicht aggressiv. Zänkisch und provozierend passt viel besser.“
Hermine nickte nachdenklich. „Und wie warst du?“
Die erhobenen Stimmen hatte sie vorhin wahrgenommen. Der Streit war nicht zu überhören, wenn man auch nicht verstehen konnte, um was es ging. Einige Male war es laut geworden. Hermine hatte mit sich kämpfen müssen, nicht hineinzustürmen und für Ruhe zu sorgen.
„Ich gebe es ungern zu“, begann Severus leise, „aber ich war genau wie er.“
Sie kommentierte seine Feststellung nicht. „Wann möchtest du ihn das nächste Mal besuchen?“
„Am Freitag, 18 Uhr.“
Sie zückte ihr Portmonee und winkte einen Kellner heran. Bevor der kam, sagte sie zu Severus: „Ich komme Freitag mit.“
„Wenn er unter die Gürtellinie gehen sollte oder anzüglich wird, ignoriere ihn einfach.“
„Hey, ich schaffe das schon. Du kennst ihn zwar noch nicht, meinen Onkel Eddie, aber ich glaube, in Sachen Peinlichkeit ist der nur schwer zu überbieten.“
Viele Kilometer entfernt von dem Restaurant, in dem Severus und Hermine gemeinsam eine warme Mahlzeit eingenommen hatten, dachte Draco genau das Gleiche wie Hermine, als er Stan Shunpikes Akte durchging. Der Mann war seiner Meinung nach in Sachen Peinlichkeit nicht zu überbieten, aber auch Draco kannte Hermines Onkel nicht.
Das erste Mal nach diesem Sommer hatte Draco den Kamin in seinem Büro angezündet. Die Akte Shunpike legte er weit weg. Zum Glück war der Mann nicht gekommen, dachte Draco. Harry würde sonst sicherlich schlecht von ihm denken oder seine Fähigkeiten als Vermittler infrage stellen. Weg mit der Akte und her mit dem Tagesprophet, zu dem er heute noch gar nicht gekommen war. Die Schlagzeile war uninteressant. Draco kannte nicht mal die Namen der Leute, die dort irgendwelcher Verbrechen angeklagt wurden. Die ersten Seiten waren so schnell durchgeblättert, dass Draco ernsthaft überlegte, das Abonnement zu kündigen und auf eine Alternative zurückzugreifen. Die Morgeneule und die Muggelpost stellten mittlerweile angemessene Konkurrenten für den Tagesprophet dar. Auf Seite sieben fand sich endlich etwas Interessantes. Sogar etwas sehr Interessantes, denn er kannte die Leute auf dem Bild.
„Ist nicht wahr!“, staunte Draco laut. Ein alter Schulkamerad lächelte ihn breit an. Trotz des Bartes war Blaise gut zu erkennen. Neben ihm stand eine Frau, die so bildhübsch war, dass es ihm glatt die Sprache verschlug. Eine ganze Seite widmete man dem Einzelschicksal von Blaise Z., wie er in der Bildunterschrift genannt wurde, der nach dem Krieg endlich wieder mit seiner Mutter zusammengeführt werden konnte. Mrs. Z. war eine der 142 Flüchtlinge gewesen, die von dem neuen Spezialteam des Ministeriums kürzlich gefundenen wurden. Auf dem Foto sah Blaise überglücklich aus, und Draco konnte es ihm nachfühlen. Ohne Umschweife musste er an den Abend denken, an welchem er mit Harry zusammen über die Ländereien von Hogwarts schlenderte und dank der seltsamen Gabe seines neu gefundenen Freundes auf das Versteck seiner Mutter traf. Seine Eltern waren auch für ihn immer das Wichtigste gewesen. Draco freute sich für Blaise und nahm sich vor, ihm nachher einen Brief zu schreiben. Als Draco den Artikel zu Ende gelesen hatte, bemerkte er darunter das Kürzel des Journalisten. Luna hatte diesen Beitrag verfasst. Ihre Wortwahl war sachlicher, treffender und stellenweise rührender als die von Kimmkorn. Nochmals betrachtete Draco das Bild. Als Reflexion in einem Spiegel sah er eine Gestalt, die nur verschwommen zu erkennen war. Draco wusste dennoch, um wen es sich handelte. Gregory Goyle. Er hatte, was seine Eltern betraf, ein unglücklicheres Los gezogen. Der Vater war tot, die Mutter weiterhin vermisst, obwohl es wahrscheinlicher war, dass sie ein Opfer von Hopkins war, denn man hatte ihren Zauberstab bei ihm gefunden. Vielleicht sollte er auch ihm schreiben, überlegte Draco, als es plötzlich an der Tür zum Büro klopfte.
„Herein!“
Sein Vater trat ein. Er hielt Papiere in der Hand. „Draco, ich hoffe, ich störe nicht.“
„Nein, keineswegs. Komm ruhig her und setz dich.“ Es war ihm unangenehm, dass sein Vater sich in dessen ehemaligem Büro wie ein Kunde zu fühlen schien. Draco blickte auf die Papiere. „Kann ich dir bei irgendwas helfen?“
„Jawohl, das kannst du. Wie du weißt, wurde mir bereits zweimal ein Hauself verweigert. Ich möchte, dass entweder du einen beantragst oder dass du dafür sorgst, dass mein Antrag endlich Gehör findet.“
„Da lässt sich bestimmt was machen.“ Mit ein wenig Speichellecken bei Dean Thomas. „Zeig mal her.“
Draco nahm die Papiere und las die bereits von seinem Vater ausgefüllten Felder. Er wollte einen Elf beantragen, der in den üblichen Haushältertätigkeiten geschult war, darüber hinaus Erfahrung mit Kindern hatte, gut kochen konnte und auch in Bezug auf die Pflege älterer Menschen Kenntnisse mitbrachte. Nur eine Sache stimmte nicht.
„Das ist ein altes Formular, Vater. Mit den neuen Gesetzen sind am 1. September neue Formulare herausgekommen.“ Draco legte die Papiere auf seinen Tisch, ging an einen Schrank und holte die neue Variante heraus, die Susan ihm freundlicherweise von der Arbeit mitgebracht hatte. Er reichte sie seinem Vater. Der überflog die ersten Felder und verzog das Gesicht.
„Was soll das heißen?“ Mit einem Zeigefinger fuhr er auf dem Blatt entlang, als er vorlas: „Ich verpflichte mich, meinem Hauself eine Räumlichkeit von mindestens zwölf Quadratmetern zur Verfügung zu stellen, die beheizbar ist, problemlos gelüftet werden kann und eine standardisierte Möblierung enthält.“ Es las das Kleingedruckte. „Eine Fußnote verweist auf Punkt 1 und dort steht: ein sauberes Bett bestehend aus Bettgestell, Matratze, Kopfkissen und Bettdecke; eine funktionstüchtige Kommode mit mindestens …“ Lucius schüttelte perplex den Kopf. „Was ist das für ein Humbug?“
„Das ist die neue Erziehungsmaßnahme für erwachsene Zauberer und Hexen“, umschrieb Draco die penibel aufgezählten Bedingungen, die gefordert wurden, um einen Hauself bewilligt zu bekommen. „Ich hab es mir genau durchgelesen.“ Draco kürzte den Inhalt des Formulars für seinen Vater ab. „Es ist wie bei einer Gouvernante oder eine Haushälterin. Der Hauself bekommt ein möbliertes Zimmer und drei Mahlzeiten am Tag. Die Arbeitszeit darf 18 Stunden täglich nicht überschreiten. Alle zwei Wochen muss ein Ruhetag sowie einmal im Jahr sieben Tage am Stück ein Urlaub genehmigt werden. Bestrafungen jeglicher Art sind verboten. Außerdem wird der Besitzer dazu verpflichtet, dem Elf Arbeitskleidung zur Verfügung zu stellen.“
„Kleidung?“
„Unter anderem aus hygienischen Gründen und zur Prophylaxe von Krankheiten.“
„Die verlangen von einem, dass man einen Hauself hier wohnen lässt, als würde er zur Familie gehören?“
„Vater!“ Draco stützte sich mit den Ellenbogen auf dem Schreibtisch ab und beugte sich nach vorn, damit er gut zu hören war. „Ein Elf ist ein Teil der Familie.“ Draco legte eine kurze Pause ein, damit die Worte ihre Wirkung nicht verfehlten. „Das ist der Sinn dieser neuen Gesetze! Das, was zwischen Mensch und Elf abläuft, könnte man auch als Symbiose bezeichnen. Harry“, bei dem Namen rümpfte sein Vater die Nase, „ist ein Paradebeispiel. Hast du mal miterlebt, wie vorbildlich er mit seinem Elf umgeht? Und das ganz ohne Vorschriften. Er macht es von sich aus. Das Interessante ist aber, dass sein Elf ihm dafür freiwillig etwas zurückgibt.“
„Ach, Unfug!“, sagte sein Vater verständnislos. „Was sollte so ein Elf haben, das für Zauberer unseres Kalibers von Interesse wäre?“
Draco zog beide Augenbrauen in die Höhe. „Harry bekommt Unterricht in stabloser Magie und es ist – wie er mir neulich erzählte – äußerst effektiv.“
„Stablose M…“ Lucius’ Lippen blieben geschlossen.
„Jeder kennt ein paar Zaubersprüche, die er stablos beherrscht, aber niemand kann durchweg mit den Händen zaubern. Das können nur Kobolde und“, Draco legte den Kopf schräg, „Hauselfen. Verstehst du nicht, was sich da für Möglichkeiten auftun? Charles könnte eine Menge lernen, noch bevor ich ihm seinen ersten Stab kaufe.“
„Na ja … Vom Diener zum Lehrer? Ist der Sprung nicht ein wenig gewagt?“
„Wir werden sehen. Aber Harrys Umgang mit seinem Elf zeigt, wie es in allen Haushalten ablaufen könnte. Friedlich, effektiv und vor allem auch produktiv.“ Sein Vater schien nicht sehr überzeugt, weshalb Draco betrübt seufzte und diesmal einfach nur versuchte, seinem Vater den richtigen Umgang mit Elfen zu vermitteln. „Behandle ihn einfach so freundlich wie jeden anderen auch. Vor allem“, Draco wurde leiser, „schlag ihn nicht. Ich will nicht, dass Charles so etwas sieht.“
Beschämt blickte Lucius auf seine Fingernägel. Innerlich stimmte er Draco zu. Charles sollte keine häusliche Gewalt erleben. Die lockere Hand hatte Lucius von seinem alten Herrn geerbt, dem eigenen Kind gegenüber aber nie ausrutschen lassen. Es war Dobbys unterwürfiges Gewinsel, das ihn zu Ohrfeigen gereizt hatte, manchmal auch zur Prügel mit dem Stock. Niemals war von dem Elf ein Gegenschlag gekommen, nie hatte er gewagt, die Hand gegen den Herrn zu erheben. Erst als Dobby frei war und Potter verteidigte, spürte Lucius am eigenen Leib, zu welcher Kraft der Hauself überhaupt fähig war. Dobby war kein ebenbürtiger Gegner – er war überlegen.
Lucius’ Blick fiel auf ein ausgefülltes Formular, das er in die Hand nahm und überflog, bevor er es Draco entgegenhielt und wissen wollte: „Was soll das?“
„Das ist Charles’ Anmeldung für den Kindergarten.“
„Wir kümmern uns doch um ihn. Er hat deine Mutter und mich, die …“
„Vater“, unterbracht Draco mit ruhiger Stimme, „ich möchte, dass Charles andere Kinder kennenlernt.“
„Aber …“ Lucius war völlig perplex, schüttelte nur den Kopf und sah sich nochmals das Formular an.
„Charles sieht viel zu selten andere Kinder. Das, was ich gelesen habe, hat mich überzeugt.“ Draco dachte an die Muggelstudie, die Harry ihm gezeigt hatte. „Kinder entwickeln sich besser, wenn sie Umgang mit Gleichaltrigen haben.“
Lucius nickte geistesabwesend, sagte dann plötzlich: „Du hast Fencheltee vergessen.“
„Bitte, was?“
„Bei der Frage, was das Kind gern isst und trinkt. Du hast Fencheltee vergessen.“
Draco war sich gar nicht bewusst, dass Charles diese Sorte mochte. Andererseits hatte sein Vater eine Menge Zeit mit dem Jungen verbracht. Solche Kleinigkeiten fielen Lucius auf. Ebenfalls war ihm aufgefallen, dass Draco seinen Sohn nur für fünf Stunden täglich im Kinderladen lassen wollte, nämlich von acht bis dreizehn Uhr.
„Gib mir eine Feder“, bat Lucius, „ich werde es eintragen.“ Im Nu war der Fragebogen vom Kinderladen Vinn korrekt ausgefüllt. „Soll ich es abschicken?“
„Das wäre nett.“ Draco nickte. „Vielen Dank!“
„Habt ihr euch schon überlegt, wer Charles hinbringt und wieder abholt?“
Draco nickte. „Susan bringt ihn hin, wenn sie zur Arbeit geht und ich hole ihn nach dem Mittagessen ab.“
„Mmmh“, machte sein Vater nachdenklich, strich sich dabei mit einem Finger über die Lippen. „Ich könnte ihn auch dann und wann abholen.“
Die Neugierde war groß. Eines Tages wollte Lucius mit eigenen Augen sehen, was Potter in der Winkelgasse organisiert hatte. Außerdem würde es dem Ansehen der Familie gut tun, mutmaßte Lucius, wenn er sich selbst dort sehen ließe, denn wo Potter sich aufhielt, war die Presse nicht fern. Ein freundliches Lächeln, ein kurzer Handschlag mit dem Kinderladen-Inhaber und ein Journalist, der zufällig in just diesem Moment ein Foto schoss, das man am nächsten Tag im Tagesprophet sehen konnte. Ja, stellte Lucius für sich fest, das war genau das, was jetzt noch getan werden müsste.
„Vater?“ Lucius blickte zu seinem Sohn, der mit dem neuen Formular für die Beantragung eines Hauselfs herumwedelte. „Soll ich es ausfüllen oder möchtest du …“
„Ich erledige das selbst. Du hast sicher eine Menge zu tun.“
„Na ja“, druckste sein Sohn herum. „Es gibt einige Dinge, bei denen ich gern deine Hilfe in Anspruch nehmen würde. Für unbestimmte Zeit, meine ich …“
Die Worte ließ Lucius sich einige Male durch den Kopf gehen, bevor er sie so verstand wie sie gemeint waren. Das brachte ihn direkt zum Lächeln. „Du möchtest, dass wir beide zusammen“, ungenau deutete Lucius auf den Schreibtisch, „arbeiten?“
Draco nickte erst zaghaft, dann viel bestimmter, als er am Gesichtsausdruck seines Vaters bemerkte, dass der sich darüber freute. „Ja, das wäre wunderbar! Wir besorgen gleich morgen einen zweiten Schreibtisch.“
Sein Vater war mehr als nur erfreut. Es war selten, dass man Lucius so zufrieden sah. „Ich dachte ursprünglich, du wärst mit meinen Methoden nicht einverstanden.“
„Nicht mit allen, das stimmt. Dennoch hast du einzigartige Ideen, Vater. Ich würde mich freuen, mit dir zusammenzuarbeiten.“
„Und ich bin gleichermaßen erstaunt und auch guter Dinge, dass du mir dieses Angebot unterbreitest, mein Junge. Ich bin gern dabei.“ Dankend nickte er seinem Sohn zu. „Wo wir gerade von geschäftlichen Angelegenheiten sprechen: Hat sich etwas in Bezug auf Professor Puddle getan?“
„Ja, er hat Mr. Shunpike im Nachhinein eine Abfindung von 10.000 Galleonen zugesprochen. Mr. Shunpike hat angenommen.“
„Na, das ist doch eine gute Nachricht. Jetzt versuchen wir es am besten auch bei der Poststelle. Womöglich zahlen die auch dafür, dass sie ihn nicht wieder einstellen müssen.“
Man hörte es läuten. Lucius horchte auf.
„Besuch? Um diese Zeit?“ Er deutete seinem Sohn, dass er die Tür öffnen würde. „Deine Mutter und Großmutter sind mit Charles spazieren. Ich werde sehen, wer uns einen Besuch abstattet.“
Einfachheitshalber apparierte Lucius ins Erdgeschoss. Durch das gemusterte Glas oberhalb der Tür konnte er zwei Köpfe sehen, die beide einen Hut trugen.
„Ja, bitte?“, fragte er, als er die Tür geöffnet hatte. Es handelte sich um ein älteres Ehepaar. Beide waren elegant gekleidet, und beide gehörten, was er an den Umhängen sehen konnte, offensichtlich der Zaubererwelt an.
„Mr. Malfoy?“, grüßte der alte Mann mit den eingefallenen Wangen und den Hahnepfötchen unter den Augen.
„Der bin ich. Und Sie sind …?“ Lucius schüttelte zaghaft den Kopf, als er die Hand zum Gruß entgegenstreckte. „Kennen wir uns?“
„Das ist schon sehr lange her“, sagte die alte Frau, die nicht nur gebrechlich wirkte, sondern durchs Alter mit vielen Runzeln im Gesicht gezeichnet war. „Wir sind die Carmichaels, Mr. Malfoy.“
Der Name sagte Lucius nichts. „Und Sie wünschen?“, fragte er unsicher. Er hatte das Gefühl, er müsste die beiden kennen.
„Ist es wahr?“, fragte die alte Dame aufgeregt. „Ist Abélia zurück?“
„Meine … Sie meinen meine Mutter. Ja, sie ist hier, unternimmt allerdings gerade einen Spaziergang mit meiner …“ Hinter Mr. Carmichael sah er seine Frau. „Ah, dort kommen sie.“
Die beiden älteren Herrschaften drehten sich um. Mrs. Carmichael schien ganz aus dem Häuschen zu sein. „Das ist sie!“ Die alte Dame eilte die Treppe hinunter.
Ihr Mann hielt sie am Unterarm und warnte: „Langsam, meine Teuerste. Du möchtest doch nicht fallen.“
Während Mrs. Carmichael den beiden Frauen und dem Kind entgegenlief, so schnell ihre alten Knochen es erlaubten, blieb ihr Gatte am Hauseingang stehen. Lucius gesellte sich zu ihm und beobachtete die alte Dame. Er sah, dass seine Mutter bei der Stimme aufhorchte, dann die Arme in willkommender Geste weit öffnete. Die beiden fielen sich um den Hals.
„Ihr Vater“, Mr. Carmichael schaute Lucius in die Augen, „hat damals den Kontakt zu uns abgebrochen.“
„Tatsächlich? Verzeihen Sie mir bitte, aber ich erinnere mich nicht an Sie, Sir.“
„Sie waren noch ein kleiner Junge.“ Mr. Carmichael lächelte, zeigte mit einer Hand einen Abstand vom Boden bis zum Bauch. „Nicht größer als so“, erklärte er. „Wir waren seit vielen Generationen Freunde Ihrer Familie, doch der gute Abraxas wollte nichts mehr von uns wissen.“
Nur vage kam die Erinnerung von einem freundlichen Ehepaar zurück, das ihm kleine Geschenke mitgebracht hatte, wenn sie zu Besuch waren. „Warum hat mein Vater den Kontakt abgebrochen?“
„Wir haben wohl zu viele Fragen gestellt.“
Mr. Carmichael blickte wieder nach vorn, und Lucius tat es ihm gleich. Seine Mutter und Mrs. Carmichael umarmten sich, drückten sich gegenseitig und küssten sich auf die Wange. Lucius’ Blick fiel auf seine Frau, die wenige Meter daneben stand. Mit einem weißen Taschentuch trocknete sie eine Träne. Charles hatte den Saum ihres Kleides fest im Griff.
„Meine Frau“, begann Mr. Carmichael, „und Ihre Mutter waren seit der Schule die besten Freundinnen.“
„Ist das so?“ Lucius wusste zu wenig über seine Mutter und über damalige Ereignisse oder Bekanntschaften.
„Als Ihre Mutter von einem Tag auf den anderen verschwand, stellte meine Frau eine Menge Fragen, klagte Abraxas sogar des Mordes an. Es gab leider nur eine halbherzige Untersuchung seitens des Ministeriums. Die Bemühungen meiner Frau verliefen im Sande.“ Mr. Carmichael seufzte gebeutelt. „Sämtliche Einrichtungen gaben uns keine Auskunft, weil wir nur Freunde waren, keine Familienangehörige. Mit einem kleinen Obolus bekamen wir wenigstens von einem Pfleger den Hinweis, dass sie sich im Goorsemoor aufhalten würde.“ Mr. Carmichael war ganz nach Lucius’ Geschmack, wenn der sogar zu Bestechungsgeldern griff. „Dort verlor sich leider unsere Spur.“
„Sie haben sie gesucht“, stellte Lucius erstaunt fest.
„Sicher!“, bestätigte der alte Mann. „Abraxas hat jedoch Vorsorge getroffen. Geld bringt manchmal Leute zum Reden – Abraxas hingegen brachte sie damit zum Schweigen. Es war ihm eine Menge wert, dass niemand etwas über Abélia in Erfahrung bringt.“
Seine Mutter und Mrs. Carmichael kamen näher. Narzissa hatte Charles auf den Arm genommen und folgte den beiden Frauen, die sich an die Hand genommen hatten, gleichzeitig weinten und lachten.
„Abélia“, grüßte Mr. Carmichael.
Sie hielt inne, schien in Gedanken die Stimme einer Erinnerung zuzuweisen, bevor sie ihre Hand austreckte und zurückgrüßte: „Logan! Du bist auch hier. Komm her!“
Mr. Carmichael näherte sich Abélia und ergriff ihre Hand, die er galant küsste, bevor die Begrüßung inniger wurde, denn auch er umarmte sie. „Wir sind so froh, dass du wohlauf bist, meine Gute.“
„Ihr beide“, begann Abélia, „Agatha und du, ihr habt geheiratet?“
Ihre alte Freundin ergriff ihren Arm und hakte sich unter. „Natürlich haben wir. Du hast mir damals immer gesagt, wir wären füreinander bestimmt.“
Lucius gesellte sich zu Narzissa und legte einen Arm um ihre Taille, bevor er das Wort an das Ehepaar richtete: „Seien Sie doch bitte unsere Gäste, Mrs. und Mr. Carmichael. Ich bin mir sicher, meine Mutter und Sie haben sich eine Menge zu erzählen. Sie bleiben sicher zum Mittagessen?“
Die Carmichaels blieben. Lucius und Narzissa bewirteten die Gäste, selbst Draco half. Aus den Gesprächen konnte man einiges heraushören. So waren die Carmichaels nicht die einzige Familie, mit der Lucius’ Vater damals den Kontakt abrupt abgebrochen hatte. Es waren einige Familien darunter, die sehr wohlhabend waren und zudem natürlich reinblütig.
In einer ruhigen Minute in der Küche, als man das Dessert zubereitete, sagte Narzissa zu ihrem Mann: „Es ist fabelhaft, dass deine Mutter noch Freunde hat. Für sie habe ich es mir sehr schwer vorgestellt, plötzlich wieder hier zu leben, zusammen mit einer Familie, die sie noch nicht gut kennt.“
„Ich hoffe sehr, dass meine Mutter sich es vielleicht noch überlegt, sich der Behandlung zu unterziehen. Es wäre zu ihrem Vorteil, wieder sehen zu können.“
„Es wird schmerzhaft werden, sagte der Heiler“, erinnerte ihn Narzissa. „Die Erblindung liegt schon so lange zurück. Ihre Behandlung würde sehr viel länger dauern als deine. Möchtest du wirklich, dass sie das über sich ergehen lässt?“
Nur ungern erinnerte sich Lucius an die eigene Behandlung. „Es liegt ganz an ihr. Ich werde sie zu nichts überreden. Dennoch muss ich sagen, dass ich mehr als froh bin, mich dafür entschieden zu haben. Auf diese Weise bleibt es mir nicht weiterhin verwehrt“, er ergriff Narzissas Hand, „deine Schönheit sehen zu dürfen.“ Er küsste ihren Handrücken.
„Ach, du Charmeur. Komm, hilf mir, den Nachtisch hineinzutragen.“
An Nachtisch war für Severus gar nicht zu denken. Er bekam nichts mehr hinunter. Zurück in der Apotheke nahm er sich nicht frei, sondern entschloss sich dazu, mit seinem Schüler etwas zu gestalten, das nicht überwiegend mit dem Brauen von Tränken zu tun hatte.
„Mr. Foster?“ Als der junge Mann seinen Namen hörte, blickte er zu seinem Tränkemeister. „Sind Sie noch mit der Dame liiert … Wie hieß sie noch gleich? Miss Beerbaum?“ Gordian kniff die Augen zusammen und überlegte, warum man das in Erfahrung bringen wollte. „Was müssen Sie da noch nachdenken?“, stichelte Severus. „Es ist eine einfach Frage, die mit Ja oder Nein beantwortet werden kann.“
„Ich frage mich nur, Sir, warum Sie das wissen möchten?“
„Herrje, müssen Sie denn alles hinterfragen?“
Hermine und Ignatius mussten grinsen. Es war Hermine, die glaubte, für Gordians Verhalten eine Erklärung parat zu haben. „Er ist ein Slytherin, Severus. Die sind immer skeptisch.“ Ignatius lachte kurz auf, sagte jedoch nichts zu dem Thema.
Severus warf Hermine einen bösen Blick zu, der sie nicht im Geringsten aus der Fassung brachte, bevor er sich wieder Gordian zuwandte. „Versuchen wir es auf hypothetischer Ebene, Mr. Foster. Wenn Sie eine Bekannte in Hogwarts hätten, wie würden Sie regelmäßig Kontakt zu ihr halten?“
„Ich würde ihr schreiben, Sir.“
„Also per Eule.“ Weil Gordian nickte, reichte Severus ihm ein Buch. „Wie lange braucht so ein Federvieh von Hogwarts bis zu Ihnen?“
Gordian antwortete schnell: „Zwei bis vier Tage, Sir, je nach Wetterlage. Die Schuleulen sind nicht die schnellsten.“
In dem Buch schlug Severus eine Seite auf. „Lesen Sie das hier. Wir beginnen heute damit. Für die Herstellung benötigen wir einige Tage.“
Gordian las die Überschrift laut vor: „Die Herstellung von Papier zur magischen Fernkommunikation?“
„Korrekt! Lesen Sie es, der Rest wird sich Ihnen erschließen. Außerdem hätten Sie damit das perfekte Weihnachtsgeschenk für Miss Beerbaum.“
An der Tür zum Labor klopfte es. Jeder rechnete mit Daphne und sie war es auch, doch keiner ahnte, dass sie so blass sein würde. Statt wie sonst nur hereinzuschauen, trat sie ins Labor und schloss die Tür hinter sich.
„Professor Snape, da ist jemand von der Abteilung zur Führung und Aufsicht Magischer Geschöpfe. Er sagt, es würde um irgendeinen Bluttrank für Vampire gehen. So etwas führen wir doch gar nicht, oder?“ Aufgrund von Daphnes Worten schluckte Severus kräftig. „Der Herr sagt, er muss dringend mit Ihnen darüber sprechen.“
„Danke, Daphne.“ Der Vorname war ihm nur herausgerutscht, was deutlich zeigte, dass Severus zerstreut oder besorgt war. Er wandte sich an Hermine. „Es wird wohl nichts Schlimmes sein. Vielleicht will man nur über mein Patent sprechen.“
„Ich hoffe doch“, sagte Daphne, sodass Severus sie anblickte. „Es ist nämlich auch ein Herr von der Abteilung für magische Strafverfolgung dabei.“
Severus stählte sich innerlich. Er rechnete mit einer Befragung, mehr nicht. Allerdings war es einschüchternd, dass gleich noch ein Herr von der Strafverfolgung anwesend war. Er näherte sich der Tür, doch bevor er hinausging, drehte er sich nochmals zu Hermine um.
„Sollte ich die Herren unerwartet begleiten müssen, dann bringe meine Aufzeichnungen in Sicherheit und warne schleunigst meine beiden, ähm, Testpersonen.“
Worple und Sanguini.
Der Schock bei Hermine saß tief. Im ersten Moment konnte sie sich nicht bewegen, nichts sagen. Sie hörte nur als leises Echo Ignatius’ Frage, war die Herrschaften wohl von Severus wollten. War es soweit, fragte sie sich. Nahm man Severus mit und bestrafte ihn für die Forschung mit Blut? Als die Sorge um Severus immer größer wurde, ließ sie ihren köchelnden Trank unbeaufsichtigt zurück und folgte Severus.
Vor der Tür zum Verkaufsraum atmete sie tief durch, um sich zu beruhigen, bevor sie hineinging. Vor ihrem inneren Auge sah sie bereits, wie Severus mit magischen Handfesseln wehrlos gemacht wurde und man ihm seine Rechte vorlas. Was sich jedoch in Wirklichkeit abspielte, war alles andere als beängstigend. Zwei Herren in Severus’ Alter lächelten ihn unbekümmert an. Hermine hörte die Worte Merlin-Orden erster Klasse.
„Und das haben Sie bisher alles in der Theorie ausarbeitet?“, fragte der eine Herr mit dem freundlichen Gesichtsausdruck.
„Ich, ähm“, Severus war um Worte verlegen. „Ja.“
Der Mann nickte. „Wir von der Abteilung zur Führung und Aufsicht Magischer Geschöpfe haben Ihr Patent sehr gründlich geprüft. Natürlich erwarten wir demnächst einige Testresultate, aber wir können Ihnen heute schon sagen, dass Sie, genau wie damals Damocles Belby für seinen Wolfsbanntrank, der neue Anwärter für den Merlin-Orden erster Klasse sein werden. Aber heute bin ich hier, um Ihnen eine Urkunde zu überreichen.“ Der Mann fuchtelte mit seiner Tasche herum und zog einen Bilderrahmen heraus, den er Severus festlich überreichte. „Für Ihr Bestreben zum Wohle der Magischen Gesellschaft erhalten Sie heute von uns eine Dankesurkunde im Namen des Zaubereiministeriums.“ Der Mann grinste und schüttelte einem perplexen Severus die Hand.
„Ich bin … Vielen Dank!“ Severus blickte zu dem anderen Herrn. „Ich dachte schon, weil ein Mitarbeiter von der Strafverfolgung …“
„Ach“, winkte der andere ab, „ich bin gar nicht im Dienst. Ich habe nur meinen Kollegen begleitet. Und ich wollte Ihnen persönlich gratulieren.“ Er streckte seine Hand aus, die Severus wie in Zeitlupe ergriff. „Weiter so, Mr. Snape. Der Orden ist Ihnen sicher.“
Hermine fiel ein Stein vom Herzen. Sie schaute zu Daphne. Für einen Moment hatten die beiden Frauen Blickkontakt. Daphne grinste breit, zeigte einen Daumen nach oben und gab damit Entwarnung, bevor sie sich wieder ihrer Arbeit widmete.
Der Rest der Woche war so schnell vergangen, dass Severus mit Schrecken feststellte, heute Abend das Dii Penates aufzusuchen. Lust verspürte er keine, andererseits drängte ihn das schlechte Gewissen. Sein Vater erwartete ihn. Es wäre ein verdienter Tritt in den Hintern für seinen alten Herrn, würde er nicht erscheinen, dachte Severus. Doch es gab noch einen weiteren Punkt, der ihn dazu anhielt, den Termin wahrzunehmen – und dieser Punkt hieß Hermine.
Daphne war am Freitag die Letzte in der Apotheke und sie würde das Geschäft schließen, denn die beiden Inhaber befanden sich längst im Genesungsheim. Vor der Tür zum Krankenzimmer seines Vaters wartete Severus darauf, dass Hermine bereit war. Als er über seine Schulter blickte, sah er, wie sie sich in dem kleinen Spiegel ihrer Puderdose betrachtete und unsichtbare Mängel beseitigte, indem sie mit einem Finger über ihre Augenbrauen strich, über ihre Mundwinkel, über … Er hatte genug und nahm ihr die Puderdose, die sie nie benutzte, außer sich mal im Spiegel zu betrachten, kurzerhand weg und steckte sie in eine Tasche seines Umhangs.
„Hey, was soll das?“, meckerte sie.
„Du sieht gut aus. Bist du nun fertig?“ Jetzt begann sie sogar damit, ihre Kleidung gerade zu zupfen. Severus stöhnte genervt. „Ich geh jetzt rein. Wenn du soweit bist …“
„Fertig!“, sagte sie plötzlich. Hermine war aufgeregt. Sie wollte einen guten Eindruck auf Severus’ Vater hinterlassen. Sie war sich nur nicht sicher, warum eigentlich.
Höflichkeitshalber klopfte Severus und wartete die Aufforderung zum Eintreten ab, die auch prompt kam. Severus trat ein und wurde sofort gegrüßt.
„Die Pünktlichkeit in Person, wie?“ Es war genau 18 Uhr, wie Tobias Snape es an dem Wecker auf seinem Tisch ablesen konnte.
„Guten Abend, Vater.“
„Gut, dass du nicht früher gekommen bist. Du glaubst gar nicht, in welche Körperöffnungen die einem hier Schläuche reinschieben.“
Aufgrund des Kommentars schloss Severus peinlich berührt die Augen. In diesem Moment tauchte Hermine hinter ihm auf. Sofort wurde sie von Tobias Snape beäugt.
„Guten Tach, wertes Fräulein.“
„Guten Tag, Mr. Snape“, sagte Hermine so schüchtern wie ein katholisches Schulmädchen, das zum ersten Mal einem Mann gegenüberstand.
„Lassen Sie sich mal ansehen.“ Sein Blick wanderte von ihrem Gesicht nach unten, wieder nach oben, bis er ihre Haare betrachtete. „Sagen Sie, waren Sie früher nicht rothaarig?“
„Meine Güte, Vater!“, blaffte Severus ihn an. „Meinst du nicht, Sie wäre dann zwanzig Jahre älter?“
„Na, bei euch weiß man das nie so genau. Hier läuft eine Heilerin rum, die ist neunzig und sieht aus wie sechzig.“ Severus’ Vater richtete seinen Blick wieder auf Hermine. „Und Sie sind auch ’ne Hexe?“
„Ja, Sir.“
Tobias hob die eine Augenbraue, die er noch bewegen konnte und sagte mit vorgetäuschter Bewunderung: „Sie hat mich Sir genannt!“
„Keine Sorge“, warf Severus gleichgültig ein, „der Fehler wird ihr nicht noch einmal unterlaufen.“ Den vorwurfsvollen Blick von Hermine ignorierte Severus. „Das ist Miss Hermine Granger, meine Verlobte.“
„Hermine?“, wiederholte Tobias verwundert. „Was ist das für ein besch…“
„Der Name“, unterbrach Severus die zu erwartende Beleidigung, „kommt unter anderem in Shakespeares Wintermärchen vor. Zudem findet man ihn in der griechischen Mythologie. Er ist ungewöhnlich, ja, aber er ist nicht“, Severus zwang sich dazu, das Wort zu benutzen, das seinem Vater auf der Zunge gelegen hatte, „bescheuert.“
„Beschaulich wollte ich sagen“, log Tobias seinen Sohn an. „Ein beschaulicher Name.“
Severus ließ es auf sich beruhen und trat näher an das Bett heran. Jetzt hatte er wieder einen guten Blick zum Zimmernachbarn. Der lag diesmal mit dem Gesicht zu ihnen. Es war ein alter Mann, der mit offenem Mund friedlich dalag und schlief. Der Patient war durch nichts zu wecken.
„Eine Hexe sind Sie also.“ Hermine nickte Tobias Snape zu. „Und Ihre Eltern ebenfalls?“
„Nein, meine Eltern sind wie Sie. Beide sind Muggel.“
„Mmmh“, summte Tobias, „und wie haben Sie meinen Sohn kennengelernt?“
„Ich war ...“ Hermine hielt plötzlich inne, weil sie nicht wusste, wie der Mann darauf reagieren würde.
Severus hingegen sah keine Probleme und offenbarte: „Sie war meine Schülerin.“
Tobias’ riss seine Augen weit auf, schnaufte dann plötzlich. „Und du sagst, ich wäre widerlich!“ Er bezog sich auf Severus’ Kommentar zu den Sexheftchen unter seinem Kopfkissen. „Ach, du meine Güte! Deine Schülerin … Fing das zwischen euch etwa schon während ihrer Schulzeit an?“
„Was zum Teufel denkst du denn von mir?“, zeterte Severus, blickte dann einmal kurz zu Hermine, dann wieder zu seinem Vater. „Wir haben uns nach der Schule jahrelang nicht gesehen, erst wieder, als sie längst erwachsen war.“
„Musst doch nicht gleich meckern!“, mahnte Tobias.
„Ich find es ungeheuerlich, was du für Gedankengänge hast. Eines lass dir gesagt sein: Ich konnte sie als Schülerin nicht mal ausstehen.“
Hermine schenkte ihm ein falsches Lächeln. „Danke, Severus, wirklich lieb von dir.“
„Ist doch aber wahr!“
Aufgebrachte ging Severus zum Fenster und schaute hinaus. Auf diese Weise wälzte er die Qual der Kommunikation vollkommen auf Hermine ab. Die nutzte den Moment, sich mit Tobias Snape zu unterhalten. Sie zog einen der Stühle ans Bett, setzte ihr freundlichstes Lächeln auf und plauderte einfach drauf los.
„Es ist schön, Sie einmal kennenzulernen, Mr. Snape. Ich habe schon einiges von Ihnen gehört.“
Was folgte, war eine Mischung aus Schnaufen und Grunzen, bevor Tobias sagte: „Das kann gar nichts Gutes gewesen sein.“
„Severus hat wirklich nicht schlecht von Ihnen gesprochen.“ Sie log nicht einmal. Überwiegend hatte er völlig oberflächliche Informationen weitergegeben. Fakten. „Wie geht es Ihnen überhaupt, Mr. Snape? Ich habe gehört, Sie hatten einen Schlaganfall?“
Und so ging es einige Minuten hin und her. Tobias Snape beantwortete eine Frage und stellte kurz darauf selbst eine.
„Sind Sie berufstätig?“, wollte Tobias neugierig wissen.
„Ja, ich führe zusammen mit Severus eine Apotheke.“
„Ist das so?“ Tobias schaute zu seinem Sohn hinüber, der weiterhin aus dem Fenster schaute. „Eine Apotheke“, wiederholte er, blickte dabei zu Hermine. „Läuft sie wenigstens?“
„Wir können uns wirklich nicht beklagen.“
„Waren Ihre Eltern schon Apotheker?“
Hermine schüttelte den Kopf. „Sie sind Zahnärzte, beide.“
„Mensch, das hätte ich mal früher wissen müssen“, seufzte Tobias. „Sehen Sie nur!“ Er zog die Lippen zurück, so gut es ihm möglich war und legte einige dunkle Stümpfe frei, die vereinzelt noch Halt im Zahnfleisch fanden.
Jetzt schritt Severus ein. „Das ist einfach widerwärtig! So etwas zeigt man nicht herum, Vater.“
„Ich hoffe nicht, dass du die schlechten Zähne von mir geerbt hast.“
Hermine wollte die Situation klären. „Vermutlich ist das eine Begleiterscheinung Ihrer Zuckererkrankung, Mr. Snape.“
„Woher wissen Sie denn …?“
Tobias wurde von seinem Sohn unterbrochen, der an den Nachttisch herantrat und entsprechendes Medikament in die Hand nahm. „Daher!“
„Ah, jetzt verstehe ich. Als Apotheker weißt du natürlich, was wofür genommen wird. Verdammt“, scherzte Tobias, „ich habe wohl keine Geheimnisse mehr.“
„Seit wann hast du Diabetes?“, fragte Severus mit ernster Miene, stellte dabei die Pillendose zurück an ihren Platz.
„Ach, das ist schon vor Jahren festgestellt worden. Hab mich nicht weiter drum gekümmert.“
Jetzt war für Hermine und Severus klar, warum es um den gesundheitlichen Zustand seines Vaters so schlecht stand. Es gab Menschen, die nie zu einem Arzt gingen, um sich medizinisch durchchecken zu lassen. Solang sie keine Beschwerden hatten, gab es für sie keinen Grund. Bei einem unbehandelten Diabetes kreisten die Zuckermoleküle, die nicht vom Körper verarbeitete werden konnten, im Blut durch den Körper und setzten sich nach und nach in den Blutgefäßen ab, verstopften sie.
Seinem Vater machte Severus ein mehr als großzügiges Angebot, als er sagte: „Es gibt Mittel, deine Krankheit zu heilen.“ Er würde Tränke gegen Diabetes und Bluthochdruck für seinen Vater selbst brauen, nahm sich Severus fest vor.
„Ich weiß.“ Tobias nickte. „Sie haben’s mir angeboten, aber ich habe abgelehnt.“
„Du hast …?“ Entgeistert hob Severus beide Unterarme in fragender Geste. „Warum zum Teufel?“
„Es ist meine Entscheidung und das haben sie akzeptiert, basta!“
„Du bist ein störrischer, alter Esel!“, schrie Severus aufgebracht.
Erschrocken blickte Hermine zu dem anderen Patient, dann zu Severus: „Ein bisschen leiser, bitte, wenn es geht.“
„Ach, wegen meiner nicht“, sagte Tobias, der kurz darauf verstand, was Hermine zu sagen versuchte. „Wegen Elis etwa?“ Tobias nickte zu seinem Zimmergenossen. „Der kriegt sowieso nichts mehr mit. Ich wette, er hört schon die Englein singen. Nicht wahr, Elis?“ Tobias wurde lauter. „Halt mir einen Platz frei, ja!“
„Vater! Du kannst deinen Zimmernachbarn nicht einfach anbrüllen!“
Schnaufend nahm Tobias den Einwand zur Kenntnis. „Ich sagte doch, dass er gar nichts mehr mitbekommt. Steht schon mit einem Bein im Grab, der Gute.“
„Wie bitte?“ Severus war fassungslos. Seiner Meinung nach war das barbarisch. „Warum um alles in der Welt legen die dich mit einem Sterbenden in ein Zimmer?“
In Tobias’ Gesichtszügen erkannte man für einen winzigen Augenblick lang Reue über die zurückgehaltene Information, bevor sein Alter Ego wieder die Oberhand gewann und er schnippisch entgegnete: „Ja, warum nur?“
Weder Hermine noch Severus wussten daraufhin etwas zu sagen. Das Ergebnis, zu dem ihr Verstand kam, wollte keiner von beiden wahrhaben, besonders nicht Severus. Das Schicksal hatte sich in der Vergangenheit schon einige Male einen üblen Scherz mit ihm erlaubt, aber das hier übertraf all den zurückliegenden Hohn und Spott des Lebens. Weil die beiden nicht imstande waren, etwas zu sagen, entschloss sich Tobias dazu, die Stille zu durchbrechen.
„Mann, ich muss mal pinkeln. Reich mir mal einer die Ente.“ Tobias deutete mit einem Finger auf das Plastikgebilde, das unten im offenen Teil des Nachttischs lag.
Hermine war geistesanwesend genug, die Bitte zu erfüllen. „Sollen wir rausgehen?“, fragte sie anstandshalber.
„Wegen meiner nich’.“ Schon schob Tobias die Urinflasche mit einer Hand unter die Bettdecke. In diesem Moment verließ Severus aufgebracht das Zimmer, was Tobias gelassen zur Kenntnis nahm. Er schaute Hermine an. „Wenn es Ihnen unangenehm sein sollte …?“
Hermine zuckte mit den Schultern. „Ich hab Heilerin gelernt, bin einiges gewohnt.“
„Wäre nett, wenn Sie die Ente danach gleich leeren könnten. Sonst stinkt’s im Zimmer wie auf’m Klo von ’nem Puff.“
Hermine ging solang zum Fenster und blickte hinaus. Im Hintergrund hörte sie ein leises, plätscherndes Geräusch, als die Flasche sich langsam füllte.
Draußen im Flur sah sich Severus aufgeregt um. Als eine Schwester an ihm vorbeiging, hielt er sie am Oberarm fest.
„Ich möchte sofort mit einem Heiler sprechen! Mit diesem …“ Er musste einen Moment überlegen, bis der Name ihm wieder einfiel. „Mit diesem Sacerdonus Cox.“
„Der ist gerade im dritten Stock bei …“
„Holen Sie ihn her!“ Sein Griff verstärkte sich, sodass die Schwester das Gesicht verzog und sich befreien wollte.
„Sie tun mir weh!“
„Ich will auf der Stelle …“
Eine weitere Stimme war zu vernehmen. „Gibt es hier ein Problem?“ Es handelte sich um den gesuchten Heiler.
„Mr. Cox!“ Severus ließ die Schwester los und wandte sich an den Herrn. „Ich möchte wissen, warum Sie nichts gegen die Erkrankung meines Vaters unternommen haben.“
„Das ist kein Grund, die Stimme zu erheben“, sagte Mr. Cox ruhig. „Wenn Sie mir bitte folgen würden? Dann können wir in Ruhe reden.“
Ein auffälliges Merkmal von Severus’ Wut war der freigelegte Eckzahn, den die zurückgezogene Oberlippe entblößte. Mr. Cox blieb ruhig und zeigte den Weg. In einem stillen Zimmer, womöglich dem Schwesternzimmer, denn hier befanden sich die Schränke mit all den Patientenakten, bot Mr. Cox dem aufgebrachten Besucher einen Stuhl an. Beide nahmen Platz. Mr. Cox erklärte die Situation mit sanftmütiger Stimme.
„Als Ihr Vater hier eingewiesen wurde, war sein Leiden schon weit fortgeschritten. Die Muggel-Ärzte im Paulinehaus am Quell konnten das Fortschreiten nicht aufhalten, nur verlangsamen. Hinzu kommt, dass Ihr Vater zugegeben hat, nicht immer alle Medikamente regelmäßig eingenommen zu haben.“
„Er ist aber nicht mehr in der Obhut der Muggel. Er ist bei Ihnen und das nicht erst seit Kurzem. Sie hätten …“
„Mr. Snape“, unterbrach der Heiler bedächtig. „Ihr Vater hat eine Behandlung abgelehnt.“
„Wie bitte?“
Mr. Cox nickte. „Ich persönlich habe ihm alle Möglichkeiten geschildert, die jetzt noch auf magische Weise zur Verfügung stehen. Dennoch hat er sich dagegen ausgesprochen, das Bein amputieren zu lassen.“
„Ampu…?“ Severus räusperte sich. „Ist eine Amputation wirklich notwendig?“ Ein Gedanke an Alastor mit seinem falschen Bein blitzte auf.
„In diesem Stadium leider ja. Hinzu kommt, dass der Schlaganfall ihn sehr in der Bewegung eingeschränkt hat, wie Sie gesehen haben. Das Bein, das er noch spüren konnte, wollte er nicht verlieren, obwohl ich ihm die Konsequenzen erläutert habe.“
Mr. Cox wartete einen Moment ab, bis sein Gegenüber alle Informationen verarbeitet hatte. Severus war erschüttert, gleichzeitig auch wütend – er wusste nur nicht, auf wen.
„Wir konnten ihn nicht zwingen“, erklärte Mr. Cox.
Mit einer Faust schlug Severus auf den Tisch. „Sie hätten ihn zwingen müssen!“
„Er ist im Vollbesitz seiner geistigen Kräfte, Mr. Snape. Er wurde nicht entmündigt, kann deshalb auch selbst sein Testament gestalten.“
Erzürnt stand Severus auf und ging einige Schritte auf und ab. „Phönixtränen!“
Mr. Cox schüttelte den Kopf. „Phönixtränen können erkranktes Gewebe heilen, das ist richtig. Die Zuckerkrankheit und die halbseitige Lähmung bleibt von den magischen Heilkräften der Tränen jedoch unangetastet, ebenso das bereits abgestorbene Gewebe. Die Entfernung des befallenen Körperteils ist die einzige Lösung.“
Nein, dachte Severus, es war nicht die einzige Lösung. Das Elixier des Lebens! Er müsste nur Harry bitten, den Stein noch einmal benutzen zu dürfen, um dieses Elixier zu gewinnen. Es würde seinen Vater nicht nur komplett heilen, sondern ihm auch noch einige Jahre zusätzliches Leben schenken. Harry würde ihm die Bitte erfüllen, wusste Severus, obwohl man Acht geben musste, damit niemand, besonders nicht die Heiler, von der plötzlichen Genesung erfuhren.
Severus sprang von seinem Stuhl auf und ging wortlos hinaus auf den Flur. Mr. Cox folgte ihm.
„Mr. Snape? Ich weiß, dass diese schlechte Nachricht schwer zu verkraften ist, aber …“ Mr. Cox rannte ihm nach und wollte ihn aufhalten, doch Severus riss sich von der Hand frei, die es wagte, seine Schulter zu berühren. „Mr. Snape, es ist sowieso zu spät, um jetzt noch irgendetwas in die Wege zu leiten.“
Jetzt blieb Severus stehen. Noch auf den Hacken drehte er sich um. „Sie sind ein gottverdammter Heiler, Mr. Cox! Ist es nicht Ihre Aufgabe, Leben zu retten?“
„Nicht gegen den Willen des Patienten“, erwiderte Mr. Cox betrübt. „Ihr Vater ist 75 Jahre alt. Für einen Muggel ist das bereits ein hohes Alter.“
„Er könnte noch älter werden, wenn Sie Ihre Scheinheiligkeit mal außen vor lassen würden und einfach handeln“, blaffte Severus den Heiler zu Unrecht an.
Von dem Streitgespräch im Gang bekamen Hermine und Tobias nichts mit. Die beiden unterhielten sich weiterhin. Die ruppige und direkte Art, die der Mann manchmal an den Tag legte, war sie gewohnt. Severus würde es nicht gern hören, dass er genauso sein konnte.
„Meinen Vater“, erzählte Tobias, „habe ich nicht lange gehabt. Der kam 1934 bei einer Explosion ums Leben.“
„Bei einer Explosion?“, fragte Hermine nach. „Das ist eine ungewöhnliche Todesart.“
„Ja, es war das große Unglück im Bergwerk Gresford am 22. September. Ich glaube nicht, dass man heute noch viel darüber spricht, aber damals … Eine Tragödie, sag ich Ihnen. Ging durch alle Zeitungen. Das war in Wales. Wrexham hieß der Ort. Es gab 266 Tote. Die meisten kamen aber nicht bei der Explosion ums Leben, sondern durch das Feuer. Keiner hat das überlebt, kein Einziger.“
„Das ist ja schrecklich!“
„Mmm“, stimmte er ihr zu. „Ich war erst fünf, als das passiert ist. Meine Mutter starb ein paar Tage später an gebrochenem Herzen, behauptete jedenfalls meine Granny. Ich wuchs bei meinen Großeltern auf. Ich war recht schnell selbstständig. Bin nich’ zur Schule gegangen. Ich hab am Bahnhof Schuhe geputzt oder in der Nachbarschaft Zeitungen ausgetragen, was man eben so für ein bisschen Geld in meinem Alter machen konnte, bis ich meinen ersten Job auf dem Bau …“
Die aufgerissene Tür ließ Tobias mitten im Satz innehalten. Es war Severus, der gereizt das Zimmer betrat und mit vorwurfsvollem Blick seinen Vater anvisierte. Mr. Cox folgte geduldig, war aber jederzeit bereit einzuschreiten, falls die Situation eskalieren sollte.
„Ich habe gehört“, Severus’ Stimme bebte vor unterdrückter Wut, „dass du jede Behandlung abgelehnt hast. Ist das wahr?“
„Das ist mein Bier, Junge. Mach dir mal nicht meinen Kopf.“
„Das ist unverantwortlich von dir! Ist dir dein Leben überhaupt nichts wert?“
„Ich habe mein Leben gelebt und bin fertig damit. Dazu gibt es nichts mehr zu sagen.“
Sein Vater war die Ruhe in Person, was Severus vor Augen hielt, wie lange der Mann schon über das eigene Ableben nachgedacht haben musste. Das erklärte auch die Gelassenheit während des ersten Besuchs.
An Mr. Cox gewandt sagte Severus im Befehlston: „Lassen Sie uns allein!“
„Mr. Snape, wenn Sie die Stimme erheben, ist das ein Grund für mich, die Sicherheit zu rufen. Ich möchte nicht, dass meine Patienten aufgeregt werden.“
Severus atmete tief durch und rang sich ein Lächeln ab, das entgegen der eigentlichen gemeinten Aussage eher bedrohlich wirkte. „Ich bitte Sie vielmals“, begann Severus leise, „mich mit meinem Vater alleinzulassen.“
Mr. Cox schaute zu Tobias hinüber, der ihm zunickte. „Gut, dann gehe ich. Sie wissen, wo Sie mich finden.“
Wie versteinert wartete Severus darauf, die Tür zu hören, wie sie ins Schloss fiel. Er nach diesem Geräusch richtete er erneut das Wort an seinen Vater.
„Es gibt etwas Einzigartiges, mit dem ich dich durchweg von allen Leiden befreien kann.“
„Vielen Dank, Severus, aber ich muss leider ausschlagen.“
„Hast du mir nicht zugehört, du alter Gipskopf? Du könntest wieder gehen, wärst nicht mehr gelähmt, hättest kein Diabetes mehr.“
Tobias Snape schüttelte den Kopf, als Severus all die Dinge aufzählte. „Ach, lass es doch einfach sein“, bat er seinen Sohn.
Die gedrosselte Lautstärke war schnell wieder vergessen. „Ich verstehe dich nicht!“, blaffte Severus seinen Vater an. „Warum musst du so ein ignoranter Dummkopf sein? Hast du Depp nicht begriffen, was ich dir eben angeboten habe?“ Severus kam näher an das Bett heran und ergriff das metallene Gestell am Fußende. „Du kannst komplett geheilt werden! Du behältst auch das Bein, an dem dir ja so viel zu liegen scheint.“ Er verschwieg die zusätzlichen Jahre, die das Elixier des Lebens einem schenkte.
„Ich hab dich schon verstanden, Jungchen“, beteuerte sein Vater. „Aber du verstehst wohl mich nicht. Sieh her und lies es mir von den Lippen ab: Nein, danke!“
Mit voller Wucht schlug Severus gegen das Bett, sodass sein Vater kurz durchgeschüttelt wurde, als es an die Wand am Kopfende prallte. Zeit für Hermine einzuschreiten.
„Hör auf damit, Severus! So etwas kann man friedlich klären“, redete sie ihm ins Gewissen.
„Er hat seinen Verstand verloren“, warf Severus ein. „Das ist doch eindeutig! Es wäre ein Leichtes, ihn zu entmündigen. Dann können wir auch gegen seinen Willen handeln und ihn …“
„Rede hier nicht von uns im Plural, Severus“, warnte Hermine. „Lass mich da raus.“
Auch sein Vater erhob Einspruch: „Damit kommst du nicht durch. Du kann mir nicht meine Rechte wegnehmen. Die Gutachten belegen, dass ich nicht plemplem bin.“
„Dein Verhalten beweist das Gegenteil!“
„Warum? Weil ich sage, bis hier hin und nicht weiter? Es ist meine Entscheidung, ganz allein meine! Die Kröte musst du schlucken, ob es dir passt oder nicht.“
„Du verrückter, alter Narr! Das hier kann man heilen!“
Mit diesem letzten Satz schlug Severus die Bettdecke am Fußende auf und entblößte beide Unterschenkel. Ein Bein war in Verbandsmaterial gewickelt. Severus zückte seinen Zauberstab und richtete ihn auf den verbundenen Fuß.
„Was soll’n das werden?“, fragte Tobias alarmiert.
„Severus, nicht!“
Hermines Einwand kam zu spät. Severus hatte bereits einen Zauberspruch gemurmelt, der die Bandage in Windeseile aufwickelte. Ein fauliger Gestank breitete sich aus. Schwarze Zehen kamen zum Vorschein.
„Lass das sein!“, befahl sein Vater. „Ich will’s nicht sehen!“
Das Bein war freigelegt. Severus musste würgen. Zwar hatte er sich durch Hermines Beschreibung ein Bild von dem Leiden machen können, aber einen Fuß zu sehen, der noch immer am Körper hing und dennoch verweste, war zu viel für seinen Magen. An der Fußsohle war ein Loch wie in einem Schuh, den man durchgelaufen hatte. Man konnte das gelblich-gräuliche Fett sehen, das unter der schwarzen, vertrockneten Haut hervorblitzte. Dazu kam der üble Gestank, der zuvor von der verzauberten Binde unterdrückt worden war.
Severus bemerkte an dem übermäßigen Speichelfluss in seinem Mund, dass er kurz davor war, sein Frühstück zu erbrechen. Er musste raus aus diesem Zimmer, und zwar sofort! Severus stürmte hinaus auf den Flur. Es war egal, ob Hermine ihm folgte oder nicht. Er musste die nächste Toilette aufsuchen, wenn er den Gang nicht beschmutzen wollte.
Hermine war hin und her gerissen, entweder Severus zu folgen oder bei Tobias zu bleiben. Sie entschied sich für Letzteres.
„Tut mir leid“, sagte der alte Mann. „Sehen Sie einfach gar nicht hin.“ Er selbst hielt sich eine Hand als Sichtschutz vor die Augen. Auch für ihn war der Anblick nicht erträglich. „Rufen Sie eine Schwester, die wird sich drum kümmern.“
„Ach, das kann ich doch schnell machen“, bot Hermine vorgetäuscht gelassen an. „Ich hab schon Schlimmeres gesehen.“
Gelogen war es nicht, aber trotzdem hatte auch sie mit Übelkeit zu kämpfen. Unvorbereitet so eine entsetzliche Wunde zu sehen schlug auch ihr auf den Magen. Während ihrer Ausbildung im Mungos hatte sie Stümpfe von abgerissenen Gliedern verbunden oder offene Knochenbrüche behandelt. Sie würde es wohl noch schaffen, dachte sie, ein Bein zu verbinden. Mit ihrem Stab hob sie das Bein erst magisch an, bevor sie eine der steril verpackten Binden anvisierte, die man vorsorglich auf dem Nachttisch bereitgelegt hatte. Mit einem Wingardium Leviosa schwebte die Binde zielsicher ans Bett und wickelte sich nach einem weiteren Zauberspruch gründlich um das Bein – nicht zu fest und nicht zu lasch. Den Zauberspruch, um üble Gerüche zu unterdrücken, kannte sie ebenfalls. Schnell war alles wieder wie es war. Hermine griff zur Bettdecke und legte sie über seine Beine.
„Danke, mein Kleines.“
Hermine hob scherzhaft eine Augenbraue. „Kleines?“
„So heißen bei mir alle netten Frauen“, erklärte Tobias mit einem Schmunzeln auf den Lippen. „Machen Sie bitte das Fenster auf?“ Der Geruch des abgestorbenen Beines sollte verschwinden. Hermine tat ihm den Gefallen. Danach setzte sie sich wieder ans Bett. „Ach je!“, seufzte Tobias plötzlich, fasst sich dabei an die Brust. „Ich glaube, ich nehme lieber eine von den Herztabletten. Die Aufregung …“ Er machte sich lang, um zum Nachttisch zu greifen, aber er kam nicht heran.
„Lassen Sie mich Ihnen helfen.“ Mit wachem Blick überflog sie all die Mittel und griff zum richtigen Medikament. Eine Tablette drückte sie aus der Folie direkt in Tobias’ offene Hand. „Und ein Schluck Wasser dazu.“ Alles stand in Reichweite. Sie kam nicht drumherum, das Bild aus früheren Tagen zu bemerken. „Ihre Frau?“, fragte sie, obwohl es offensichtlich war. Schon einmal hatte Hermine ein Foto von ihr gesehen und zwar in einer alten Ausgabe des Tagespropheten.
„Ja, meine liebe Eileen.“ Die Sehnsucht in Tobias’ Stimme war nicht zu überhören. Hermine nahm das Bild in die Hand. „Und der kleine Severus.“ Tobias lachte. „Da kamen wir noch blendend miteinander aus.“ Nachdem er die Tablette geschluckt hatte, fragte Tobias: „Wollen Sie ihm nicht nachgehen?“
„Severus?“ Hermine schüttelte den Kopf. „Wir würden uns jetzt nur streiten und das möchte ich nicht.“ Das Bild stellte sie zurück an seinen Platz. „Warum ist Ihre Beziehung zu Severus eigentlich so schwer?“
„Fragen Sie mich was Leichteres.“ Tobias blickte einmal auf das Bild, dann zu Hermine. „’s war schon nicht leicht für mich, als Eileen nach der Hochzeit sagte, sie wär ’ne Hexe. In dem Augenblick dachte ich, sie hat nicht mehr alle Nadeln an der Tanne.“ Er schnaufte. „Hat dann ihren Stab gezogen und meine Kaffeetasse zum Fliegen gebracht. Ich hab mir beinahe in die Hosen gesch…“ Verlegen räusperte er sich. „Ich bin katholisch erzogen worden, müssen Sie wissen. Hexen sind nichts Gutes, steht sogar in der Bibel. Dieser ganze Wahrsagekrempel.“
„Wahrsagen hat nicht unbedingt etwas mit Hexerei zu tun. Ich bin da beispielsweise überhaupt nicht gut drin und mach es seit der Schule nicht mehr.“ Obwohl Hermine von ihren Eltern christliche Werte vermittelt bekommen hatte, wurde sie nicht streng gläubig erzogen. Die Bibel kannte sie jedoch, hatte sie mehr als nur ein Mal gelesen. „Propheten sind doch nichts anderes als Wahrsager, oder?“
Tobias schnaufte belustigt. „Sagen Sie das mal einem Pfarrer.“
„Dass man Hexen nicht leben lassen darf, steht nur im Alten Testament. Im Neuen Testament wird vor Dämonen gewarnt, und vor Magie in dem Sinne, dass sie anderen Menschen schaden kann. Wahrsagerei oder Hexen werden nicht mehr erwähnt.“
„Ja, ja, ich hab es irgendwann begriffen“, versicherte Tobias, „dass nicht jede Hexe bösartig ist. Trotzdem … Diese Zauberei kann einem schon Angst machen. Severus hat gern seine Späßchen damit getrieben.“
„Ehrlich?“ Hermine musste lachen. „Das kann ich mir gar nicht vorstellen.“
„Fragen Sie ihn mal, was er mit der Toilette angestellt hat.“
Ein Moment besinnliche Ruhe kehrte ein. Tobias dachte an alte Zeiten, besonders an seine damalige Ehefrau, die ihm viel zu früh genommen wurde. Diesen friedlichen Moment wollte Hermine nicht stören, aber sie blieb bei ihm, an seinem Bett. An dem Wecker auf seinem Nachttisch las sie die Uhrzeit ab. Es war kurz nach 19 Uhr. Sicherlich würde die Besuchszeit bald vorbei sein.
„Ich find’s sehr nett“, begann Tobias plötzlich, „dass Sie bei mir sind. Hatte schon lange keine richtige Unterhaltung mehr. Die Schwestern haben immer so viel um die Ohren. Kann’s ihnen nicht verdenken, dass sie nicht auch noch mit mir reden wollen. Es reicht, wenn sie mir den Hintern abwischen müssen.“ Er atmete einmal tief durch. „Ist ein bisschen öde hier. Elis ist auch nicht gerade ’n redseliger Geselle.“ Tobias blickte hinüber zu seinem Zimmernachbarn. „Er wird bestimmt vor mir ins Gras beißen. Als es ihm einigermaßen gut ging, haben wir noch drüber gescherzt. Er hat gewettet, dass ich vor ihm abnippel. Scheint, als hätte er die Wette verloren, nicht wahr, Elis?“
Der Mann im Nebenbett regte sich kein bisschen. Er atmete ruhig ein und aus, ein und aus. Es war beinahe hypnotisch. Irgendwann würde die Atmung aussetzen und er wäre erlöst.
„Seine Innereien sind völlig zerfressen, hat er mir erzählt. Hat jetzt auch sein Hirn zu Matsch gemacht. Keine Ahnung, wie man die Krankheit nennt, aber ich bin froh, dass ich sie nicht habe. Ich bin noch klar im Kopf und das wird hoffentlich bis zum Ende so bleiben.“
Hermine nickte verständnisvoll, bevor sie etwas aufgriff, das Severus vorhin angesprochen hatte, denn sie wollte wissen: „Ist es wahr, dass Sie alle Behandlungen ausgeschlagen haben?“
„Na ja“, Tobias versuchte, sich im Bett aufzusetzen. Mit Hilfe von Hermine klappte es wunderbar. „Die Heiler sagten, das Bein könnten sie nich’ mehr retten. Amputieren wollten sie’s. Das war deren Behandlungsvorschlag. Nein, sag ich. Mein Bein behalte ich!“
„Das, was Severus vorhin gesagt hat, ist wahr. Es gibt ein Mittel, das Sie komplett heilen kann. Es darf nur niemand davon erfahren, wissen Sie? Es darf nicht in die falschen Hände geraten. Wir müssten Sie erst hier herausholen, bevor wir …“
Tobias winkte ab. „Nein, wirklich nicht. Ich weiß es zu schätzen, was mein Sohn mir für eine Möglichkeit bietet, aber was dann? Wenn ich gesund bin, was dann? Ich hab doch niemanden. Sie sehen ja, wie es zwischen Severus und mir abläuft. Wir würden uns nur im Weg stehen. Nein … Meine Zeit ist vorbei, war sie schon vor Jahren. Wenn Sie so ein Wundermittel haben, dann geben Sie es meinem Freund hier.“ Er deutete auf Elis. „Er hat eine liebe Frau, drei Kinder und fünf Enkel, die ihn regelmäßig besuchen. Aber ich …? Nein, das wäre pure Verschwendung. Ich habe meine Eileen schon lange genug überlebt.“
Sehnsüchtig blickte er auf das Foto, und in diesem Augenblick verstand Hermine, was in dem Mann vorging. In seinem Alter durfte man des Lebens überdrüssig sein und auf eine Wiedervereinigung im Jenseits hoffen.
„Ich kann nur beten, ich lande auf der gleichen Etage wie Eileen“, scherzte Tobias, „und nicht ein Stockwerk tiefer.“
„Sie waren bestimmt kein schlechter Mensch“, vermutete Hermine laut.
„In Severus’ Augen …“
„Ach, nun vergessen Sie mal das Gezänk mit Severus.“
„Ich weiß ja, warum er so ist. Hat lange gedauert, aber irgendwann ging mir ein Licht auf.“ Tobias nickte sich selbst zu. „Wir haben aneinander vorbeigelebt. Ich habe ihn und seine Hobbys nicht verstanden und er hatte kein offenes Ohr für meine Interessen. Na ja, ich hatte ja nicht mal welche. War nur am Schuften, damit es beiden gut geht. Wir haben uns selten gesehen und wenn, dann gab es Streit.“
Hermine hörte die Reue über die nicht wieder gutzumachende Vergangenheit. Sie konnte den Mann sogar ein bisschen verstehen. Es war nur schade, dachte sie, dass Severus gegangen war. Er war derjenige, der hier sitzen und sich mit Tobias unterhalten müsste.
„Ich alter Suffkopp hab’s vermasselt. Hatte lange genug Zeit drüber nachzudenken. Wissen Sie was? Es gab ein paar schöne Momente zwischen uns. Wirklich! Ich hoffe nur, er kann sich auch an sie erinnern.“ Tobias nickte, als er Hermine anschaute. „Bin mit ihm mal in den Zoo gegangen, als seine Mutter im Mungos lag. Na ja, ich hatte natürlich solange den Jungen an der Backe. Er war vier oder fünf, hat die ganze Zeit geweint, weil seine Mutter nicht da war. Irgendjemand hat sie mit einem Scherzzauber belegt. Wie das eben so ist, musste ich mir was einfallen lassen. Im Zoo hat er endlich aufgehört zu weinen. Die Löwen haben’s ihm angetan. Die fand er klasse. Bevor’s ab ins Vogelhaus ging, habe ich ihm noch ein Eis geklaut, ähm, gekauft“, verbesserte Tobias. „Ich dachte erst, die Löwen waren sein absoluter Höhepunkt, aber nein, es waren die Vögel! Sie hätten ihn mal sehen müssen, den Kleinen. Die Augen ganz groß und den Blick immer nach oben gerichtet. Ein paar von den Tierchen waren zutraulich, kamen ganz nah an uns ran. Ich sag Ihnen, die Vögel haben alle anderen Tiere im Zoo getoppt. Ich habe ihn gar nicht mehr da rausbekommen. Er hätte sich wohl am liebsten ein Nest gebaut, um im Vogelhaus zu übernachten.“
Mit einem Male, Hermine war selbst überrascht und konnte es nicht aufhalten, schluchzte sie und eine Träne wollte sich über die Wange davonschleichen, aber sie erwischte sie mit dem Ärmel ihres Umhangs.
„Was denn, was denn …“, tröstete Tobias. „Nicht doch, Kleines. Was habe ich denn Falsches gesagt?“
„Nichts.“ Sie zog die Nase hoch, lächelte dabei. „Das mit den Vögeln … Wissen Sie, was ein Animagus ist?“
„Nein, keine Ahnung.“
„Das ist eine Tiergestalt, die manche Zauberer und Hexen annehmen können. Man kann sie sich nicht aussuchen. Der Charakter einer Person bestimmt, wie sein Animagus aussieht.“
„Und was hat das mit meinem kleinen Anekdötchen zu tun?“, fragte Tobias freundlich nach.
Hermine musste nochmals ihre Augen trocknen. „Severus ist einer von denen, die sich in einen Animagus verwandeln können. Seine Gestalt ist ein Vogel. Genau genommen ein Sekretär.“
Jetzt war es Tobias, der gequält lächeln musste. „Ja, das passt zu ihm. Das sind doch die grauschwarzen Vögel, die so selten fliegen, oder? Die mit den dürren, langen Beinen.“ Hermine nickte. „Ja, ich kann mich dran erinnern. Die haben wir zusammen gefüttert.“
Gegen halb acht kam eine Schwester ins Zimmer. Sie sah erst nach Elis, legte den Patient zusammen mit einer Kollegin in eine andere Position und schob ihm ein Kissen zwischen die Schenkel, damit es keine wunden Stellen geben würde. Nach einigen Zaubersprüchen, mit denen sie Elis pflegten, blickte eine der Schwestern hinüber zu Tobias.
„Sagen Sie ja nich’, dass Sie mir nochmal irgendwo was reinschieben wollen“, schäkerte Tobias. Die Schwester lachte.
„Nein, mein Guter, aber die Besuchszeit ist vorbei.“ Diesmal galt ihr Blick Hermine.
„Oh, dann werde ich mal …“ Hermine stand von ihrem Stuhl auf und stellte ihn ordentlich zurück an den Tisch. Ihr Blick fiel auf die Uhrzeit. „Meine Güte, die Zeit ist aber schnell vergangen.“ Sie nahm die Hand, die Tobias ihr entgegenhielt. „Es war wirklich schön, Sie kennengelernt zu haben, Mr. Snape.“
„Nein, die Ehre liegt ganz auf meiner Seite“, erwiderte er höflich. „Sagen Sie Severus bitte von mir, dass ich ihm für den Besuch danke.“
„Mach ich“, sagte Hermine strahlend.
„Ach, und tun Sie mir bitte noch einen Gefallen?“
„Aber sicher!“
Er lächelte sie an, womit er sie noch mehr ansteckte. „Besuchen Sie mich nicht mehr.“
Seine Worte ließen Hermines Lächeln abrupt verblassen. „Aber …?“
„Nein, bitte … Besuchen Sie mich nicht noch einmal. Ich …“ Er schüttelte hilflos den Kopf, weil er sich seinen eigenen Wunsch nicht erklären konnte. „Bitte, nehmen Sie es nicht persönlich. Ich habe die Unterhaltung mit Ihnen wirklich genossen, aber ich kann nicht … Es fällt mir so schwer.“
Hermine nickte. Tobias’ Bitte war für sie so deprimierend, dass sie ihren Tränen am liebsten freien Lauf gelassen hätte, aber sie riss sich zusammen. Er sollte sie nicht heulend in Erinnerung behalten. Stattdessen drückte sie nochmal seine Hand und gab ihm einen Kuss auf die Stirn. Sie war doch eine Hexe, dachte sie. Warum fiel es ihr dann so schwer, ein Lächeln auf ihr Gesicht zu zaubern? Schweren Herzens strich sie mit dem Daumen über seine Handrücken und verabschiedete sich.
„Machen Sie’s gut, Mr. Snape.“
„Leben Sie wohl, Miss Granger.“
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