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Fanfiction

Harry Potter und die Schatten der Vergangenheit - Der erste September

von Muggelchen

Bewegungslos stand Severus im Türrahmen zum Badezimmer und schaute dabei zu, wie Hermine, die nur im Nachthemd bekleidet war, sich die Zähne putzte. Er selbst war schon vollständig angekleidet.

„Ich dachte, du wolltest bei dem Bewerbungsgespräch dabei sein?“, erinnerte er sie.
Mit dem Mund voller Zahnpasta erwiderte sie: „Wir haben doch noch zehn …“ Bei dem Wort zehn formte sich eine Blase an ihrem Mund, die größer wurde und zerplatzte.
„Das geschieht dir Recht“, kommentierte Severus den Vorfall gelassen. „Ich bin schon unten, falls – was ich hoffe – der Herr zu den Menschen gehört, die zu wichtigen Angelegenheiten gern pünktlich erscheinen.“

Es regnete in Strömen. Das trommelnde Geräusch war seit heute früh um vier nicht leiser geworden. Gerade mal hatte Severus die letzte Stufe der Treppe überwunden, da hörte er es an der Vordertür klopfen. Der Bewerber war früh dran, was in Severus’ Augen vorbildlich war. Er betrat den Verkaufsraum und sah eine Gestalt mit dem Rücken zur Glastür, die sich die Kapuze des Umhangs über den Kopf geworfen hatte, um sich vor dem Wetter zu schützen. Severus öffnete die Tür. Sofort drang das laute Geräusch des Regens uneingeschränkt an seine Ohren. Die Person hatte die Tür offenbar nicht gehört, so dass Severus auf andere Weise auf sich aufmerksam machen wollte.

„Mr. Lyon?“, sagte er laut.

Der Kopf des Mannes fuhr erschreckt herum. Severus konnte einen Teil des Gesichts unter der Kapuze ausmachen. Kriegsopfer und Kriegsopfer waren offenbar zwei verschiedene paar Schuhe. Diesem Mann fehlte ein Teil der Oberlippe. Durch diese Verletzung wirkte es so, als würde Mr. Lyon wie ein bissiger Hund die Zähne fletschen.

„Mr. Snape?“, lispelte der Mann und hielt ihm die Hand entgegen, die er ergriff.
„Ja, Sie sind Mr. Lyon?“
„Korrekt.“ Mr. Lyon zeigte unbestimmt hinter sich. „Darf ich eintreten? Das Wetter …“
Severus hatte schon viel in seinem Leben gesehen, unter anderem Bill Weasley nach dem Angriff von Fenrir Greyback, aber Mr. Lyons Erscheinung verschlug ihm im ersten Moment die Sprache, bevor er sich fasste. „Sicher, kommen Sie herein.“

Der Bewerber trat ein. Trotz eines regenabweisenden Impervius-Zaubers war der Umhang von Mr. Lyon feucht. Er zog sich die Kapuze vom Kopf. Seine rechte Gesichtshälfte sah völlig normal aus: gesunde, ebenmäßige Haut, volle Lippen. Die andere Seite war es, die vermutlich während eines Kampfes in Mitleidenschaft gezogen wurde. Die Haut um das Auge herum sah wie geschmolzen aus. Der obere Teil der linken Gesichtshälfte war rötlich. Feine Streifen zogen sich bis hinunter zum Hals. Eine Mischung aus Verbrennung und Verätzung. Ein Fluch musste das angerichtet haben. Trotz dieser Verletzung war Mr. Lyon einen Tick gutaussehender als Alastor Moody, was Severus’ Meinung nach nicht schwer war.

„Ich weiß, ich bin zu früh“, sagte Lyon und wandte Severus unbewusst die ansehnliche Gesichtshälfte zu. „Ich hoffe, ich störe nicht.“
„Keinesfalls! Wenn Sie mir bitte folgen möchten? Im Flur können Sie Ihren Umhang ablegen.“

Die Küche war für ein Bewerbungsgespräch viel zu gemütlich. Andererseits schien die ruhige Umgebung Mr. Lyon sehr angenehm zu sein. Severus vermutete, dass der Mann ernsthafte Befürchtungen hatte, gar keine Anstellung mehr zu finden, was er daraus schloss, dass Mr. Lyon ihm alles Recht machen wollte. Er war überaus zuvorkommend, hatte immer ein paar nette Worte übrig. Dennoch war es nicht zu übersehen, wie angespannt er war. Die Hand, mit der Mr. Lyon seine Unterlagen an Severus reichte, zitterte. Am Handrücken des Bewerbers befand sich ebenfalls eine rötliche Verfärbung der Haut. Mit dieser Hand, dachte Severus, musste Mr. Lyon sein Gesicht geschützt haben, als man ihn mit einem Fluch attackierte. Natürlich war er nicht neugierig, wie, wann und warum es zu der außergewöhnlichen Verletzung gekommen war. Er würde ihn nicht fragen. Solche Informationen waren nicht wichtig. Woher also kam sein plötzliches Interesse am Schicksal fremder Leute, fragte sich Severus. Die Antwort lag womöglich in seiner Heilung. Bevor er sich seiner Seele beraubt hatte, waren ihm andere Menschen nicht durchweg gleichgültig. Ohne jedes romantische Interesse an der Mitschülerin hatte er damals Linda geholfen, die im Eis des Sees eingebrochen war. Selbst das bevorstehende Attentat auf die Potters und die Möglichkeit, dass die Longbottoms mit der Prophezeiung gemeint sein könnten, hatte ihn nicht kalt gelassen.

Severus entschloss sich dazu, Mr. Lyon nicht auf die sichtbare Verletzung anzusprechen. Stattdessen ging er die Unterlagen durch.

„Sie haben bei Professor Slughorn gelernt“, entnahm er der beigefügten Referenz, die vor über dreißig Jahren geschrieben wurde.
„Ja, er war damals auf seinem Gebiet der Beste.“
Severus nickte, während er die anderen Papiere durchging. „Sie haben sogar Ihren Meister in Kräuterkunde?“
„Beides hat mich als Jugendlicher interessiert, weil diese beiden Fachrichtungen so eng miteinander verknüpft sind.“
„Das ist wahr“, murmelte Severus, und es hätte Vorteile. Im Lebenslauf suchte er nach dem Alter des Bewerbers. Mr. Lyon war 52 Jahre jung. Es waren die anderen Kopien, die Severus’ Interesse an dem Mann weckten. Ihm fielen Stempel und Briefköpfe von Institutionen auf, die in der Zaubererwelt bekannt und angesehen waren. „Sie haben sich regelmäßig fortgebildet, wie ich sehe.“
Mr. Lyon nickte. „Man rostet schnell ein, wenn man nicht auf dem Laufenden bleibt. Die ganzen neuen Entdeckungen …“
„Und Sie sind Mitglied der Körperschaft der Tränkemeister.“ Hier blickte Severus auf. „Waren Sie auf dem letzten Treffen?“ An das Gesicht hätte sich Severus erinnert.
„Ja.“
„So? Ich habe Sie nicht gesehen.“
Mr. Lyon druckste nicht herum und sagte die Wahrheit: „Ich habe mit einem Personatus-Zauber mein Gesicht verborgen und mit einem Abduco zusätzlich davon abgelenkt.“ Mr. Lyon lächelte, ließ es aber gleich wieder bleiben, weil er zu wissen schien, dass er damit noch grotesker aussah. „Ich habe Sie gesehen, und auch den Vortrag Ihrer Partnerin gehört. Sie haben mir damals eine Visitenkarte in die Hand gedrückt.“
Wem nicht, dachte Severus. „Warum heute kein Maskierungszauber?“
„Ich sah keinen Grund.“

Die Tür zur Küche ging auf. Als Hermine eintrat, lächelte sie. Höflich stand Mr. Lyon auf und wandte sich ihr zu. Hermine strauchelte bei dem Anblick eine Sekunde lang, reichte ihm jedoch die Hand und stellte sich ihm vor. Ihr fachmännischer Blick musterte die Verletzung des Augenlides, des oberen Bereichs der Wange und der zerrissenen Oberlippe.

„Ein Spinnenfeuer?“, fragte sie unverblümt.
Mr. Lyon war sichtlich erstaunt. „Woher …?“
„Ich habe das auch mal ge...“ Rechtzeitig fiel ihr ein, wie sie den Satz anders beenden konnte, denn solche Wunden wurde man nicht mehr los, wenn man sie – was selten genug vorkam – tatsächlich überlebte. „Ich hab das auch mal gesehen.“ Nicht gehabt, sonst würde es Fragen aufwerfen. „Wie ist das passiert?“

Severus stöhnte leise. In wenigen Sekunden hatte Hermine aus einem distanzierten Bewerbungsgespräch ein nettes Plauderstündchen gemacht.

„Todesser“, war die knappe Antwort von Mr. Lyon.

Dieser eine Begriff stand für vieles. Er war ein Synonym für Verlust, für Schmerzen, für Kampf und für Brutalität. Severus zog eine Augenbraue in die Höhe. Es wäre besser, Mr. Lyon auf einen Umstand aufmerksam zu machen, bevor er mit dem Gespräch fortfuhr.

„Sie wissen sicherlich aus den Medien, dass auch ich einmal …“
„Sicher weiß ich das“, unterbrach Mr. Lyon und zog etwas Flaches, Bedrucktes aus seiner Hemdtasche. „Ich lese immer auch die Rückseite der Schokofroschkarten.“ Er drehte entsprechende Karte mit Severus’ Bild darauf um. „Ich bin also bestens über Sie informiert“, scherzte Lyon. Die unverletzte Wange formte ein Grübchen, als Mr. Lyon lächelte. „Es muss ja einen Grund geben, warum Sie eine Apotheke führen, anstatt in Askaban zu sitzen.“
„Wissen Sie, wer es getan hat?“, fragte Hermine.
„Ein Mann namens Macnair. Soweit ich unterrichtet bin, ist der im Gefängnis gestorben.“ Die Schokofroschkarte, die Lyon offenbar sammelte, steckte er zurück in die Brusttasche.
„Da das geklärt ist“, begann Severus, „möchte ich Sie bitten, einen Felix Felicis zu brauen, damit ich mich von Ihrem Können überzeugen kann.“
„Ist der nicht zu einfach?“, fragte Mr. Lyon.
„Nicht, wenn ich Ihnen nur eine halbe Stunde Zeit gebe.“
„Oh, verstehe. Arbeit unter Zeitdruck.“ Lyon rieb sich die Hände. „Ich bin bereit.“

Hermine wartete nicht im Labor. Sie vertrieb sich anderweitig die Zeit, während Severus den Bewerber prüfte.

Schnell, sicher und vor allem korrekt braute Mr. Lyon in nur 28 Minuten einen Felix Felicis. Die goldenen Tropfen des Trankes flogen hoch in die Luft und landeten zielsicher wieder im Kessel. Severus hatte jeden Handgriff genau beobachtet. Lyon wirkte nicht ein einziges Mal unsicher.

Sein zufriedenes Urteil über den fertigen Trank teilte Severus nicht mit. Stattdessen wollte er wissen: „Kennen Sie sich mit Dracheneischalen aus?“
„Nicht nur mit den Schalen, auch mit dem Dotter verschiedenster Drachenarten.“
„Wie steht es mit Außergewöhnlichem? Kennen und brauen Sie nicht alltägliche Tränke?“
„Wie zum Beispiel …?“
„Sagen wir“, Severus zuckte mit den Schultern, „den Adlerauge?“
„Kenne ich, habe ich sogar einmal gebraut, als ich in China einen Kurs belegt habe.“

Es gab nur eine Möglichkeit herauszufinden, ob Mr. Lyon auch im schwarzmagischen Bereich tätig geworden war.

„Wie sieht es aus mit dem Cogamor?“ Ein übler Liebestrank, der totale Unterwürfigkeit zur Folge hatte. „Schlafes Bruder? Der Ewige See? Haben Sie jemals mit dem Gespenstischen Steinregen gearbeitet?“

Mr. Lyon blieb einen Augenblick lang vollkommen still. Nur seine Augen bewegten sich und musterten die Gesichtszüge seines potenziellen Arbeitgebers, um herauszufinden, wie die Antwort zu dessen Zufriedenheit ausfallen musste. Er fand nichts und traf die Entscheidung, weiterhin ehrlich zu bleiben.

„Alle Tränke sind mir bekannt, auch die Kapseln des Steinregens kenne ich.“ Mr.Lyon zog es vor, zusätzlich seine Meinung zum Thema kundzutun. „Es gibt eine Menge übler Tränke, mit denen man viel Unheil anrichten kann. Ich bin nicht bereit, ausnahmslos alles zu brauen, wenn ich das nicht mit meinem Gewissen vereinbaren kann.“
Mit der Aussage war Severus zufrieden. „Füllen Sie den Felix ab und folgen Sie mir in die Küche.“

Hermine wartete dort bereits mit frisch gebrühtem Kaffee. Sofern sie nicht noch Kuchen auftischte, würde Severus nichts sagen.

Als sie die beiden Männer bemerkte, fragte sie: „Na, wie ist es gelaufen?“
Weil sie Mr. Lyon anblickte, wagte er zu vermuten: „Ganz gut, würde ich meinen.“ Unsicher blickte er zu Severus, um eine Meinung zu hören.
Gerade öffnete dieser den Mund, da warf Hermine ein: „Ich habe etwas Kuchen hier.“

Dem geöffneten Mund entwich ein leiser Seufzer, jedoch laut genug, dass Mr. Lyon es hören konnte. Der Gast verkniff sich ein Lächeln.

„Sie mögen doch Kuchen?“, fragte Hermine.
Lyon nickte. „Durchaus, ich werde heute auch genug bekommen. Meine Nichte feiert nämlich Geburtstag.“
„Oh, dann möchten wir Sie nicht aufhalten.“
An den Gastgeber gewandt fragte der Bewerber: „Wann darf ich mit einer Antwort rechnen?“ Unsicher fügte er hinzu: „Oder habe ich es vermasselt?“
Es war Lyon anzusehen, dass er nicht mit einer Zusage rechnete. Severus blieb gelassen, während er etwas in einer Mappe suchte. „Sofern während des Brauens keine Teile Ihres Gesichts in den Kessel fallen“, Lyon ballte die Hände zu Fäusten und Hermine wusste ebenfalls nicht, was sie von Severus’ Worten halten sollte, „können Sie regulär am 1. September hier anfangen.“
Mr. Lyon blinzelte einige Male. Seine Fäuste lockerten sich wieder. „Am 1. September?“
„Das passt Ihnen hoffentlich?“, fragte Severus mit regungsloser Miene nach. „Wir erwarten Sie pünktlich um halb acht. Allerdings würden wir es zu schätzen wissen, wenn Sie am Freitag, den 27. August bereits einträfen. Am 31. haben wir Vollmond. Die Apotheke wird das gesamte Wochenende für die Werwölfe geöffnet haben. Die vier Tage würden wir Ihnen als Überstunden anrechnen.“ Endlich hatte Severus das gefunden, was er gesucht hatte. Einen vorbereiteten Vertrag, den er Mr. Lyon reichte. „Lesen Sie sich alles in Ruhe durch. Wenn Sie am Freitag hier erscheinen, können wir das mit den Unterschriften erledigen.“

Durch die Blume gab Severus damit zu verstehen, dass er von dem neuen Angestellten die Ãœberstunden erwartete und nicht etwa als Option anbot.

Verdutzt griff Lyon nach dem Vertrag und überflog das erste Blatt, doch er hatte keinen Kopf dafür, den Inhalt zu verstehen. Er war noch immer überwältigt, dass er ab dem nächsten Monat eine Anstellung haben würde.

„Ach, Mr. Lyon?“
„Ja, Professor Snape?“
„Befinden sich in Ihrem Bekanntenkreis womöglich andere Zaubertränkemeister, die ebenfalls auf der Suche nach einer Anstellung sind?“
Lyon dachte nach. Zu seinen Freunden zählten sieben Tränkemeister. „Ein Freund hört Ende September im Mungos auf. Die Tätigkeit dort findet er ermüdend. Und meine Nichte ist Ende dieses Monats mit ihrer Ausbildung fertig. Die Prüfung vorm Ministerium hat sie bereits bestanden.“
„Beide können sich hier vorstellen, falls Interesse besteht.“ Weil Mr. Lyon abzuwägen schien, ob er sich damit womöglich selbst Konkurrenz schaffte, wies Severus darauf hin: „Meine Unterschrift ist auf Ihrem Vertrag bereits vorhanden. Es fehlt nur noch die von Miss Granger.“
„Gebt mir Tintenfass und Feder und ich erledige das gleich“, versicherte Hermine lächelnd. Auch sie setzte ihre Unterschrift unter den Vertrag. „Wir sollten Ihnen noch sagen“, begann Hermine, „dass wir ab dem 1. September einen Auszubildenden beschäftigen. Das wäre zunächst das Team: Sie, Mr. Foster, Professor Snape und ich. Im Verkauf ist Miss Greengrass tätig.“
Mr. Lyon nickte. „Hört sich übersichtlich an.“
„Das wird es vorerst auch bleiben.“ Severus nahm den von Hermine unterschriebenen Vertrag und reichte ihn an Mr. Lyon mit den Worten weiter: „Können wir am Freitag mit Ihnen rechnen?“
„Selbstverständlich.“

Nachdem Mr. Lyon gegangen war, griff Severus zu dem Kuchen, den Hermine besorgt hatte. Offenbar war ihr in Erinnerung geblieben, dass er Nougattorte mochte.

„Was macht Mr. Lyon für einen Eindruck auf dich?“, wollte er wissen.
Hermine plapperte gleich drauf los. „Rein vom menschlichen her finde ich ihn sehr sympathisch, allein schon, weil ich mit ihm etwas gemeinsam habe.“ Weil Severus die Stirn runzelte, erklärte sie: „Das Spinnenfeuer. Ich weiß, wie höllisch das wehtut. Und er ist auch noch im Gesicht getroffen worden. Ich frage mich, wie er das abwehren konnte. Er ist auf jeden Fall sehr umgänglich. Ich habe zwar seine Fähigkeiten nicht getestet, das warst du, aber ich vertraue deinem Urteil blind.“
„Dann werden wir Freitag sehen, wie er sich mit dem Wolfsbanntrank macht. Ich werde ab morgen übrigens einige Apotheken aufsuchen“, warnte Severus sie vor. „Ich werde zur Mittagszeit außerhalb speisen.“
„Was hast du vor?“
„Ich werde die Lizenzen für das Vanillearoma im Wolfsbanntrank an den Mann bringen.“
Hermine nickte. „Was nehmen wir dafür?“
„Einmalig drei Sickel. Allerdings werde ich allen das Angebot unterbreiten, die zusätzliche Zutat für geringen Aufschlag auf den Einkaufspreis bei uns zu erwerben. Ich glaube nicht, dass viele der Zauberer und Hexen wissen, wie sie sonst an Aromastoffe aus der Muggelwelt gelangen könnten.“
„Meinst du nicht, dass die meisten froh sind, keinen Wolfbanntrank mehr brauen zu müssen?“
Selbstsicher schüttelte Severus den Kopf. „Das hat mit Kundenbindung zu tun, Hermine. Niemand wird es sich erlauben können, einen bestimmten Kreis von Kunden zu verlieren. Werwölfe sind außerhalb des Vollmonds ganz normale Kunden, auf die man nicht verzichten sollte.“

Wie geplant stellte Severus die ganze Woche über persönlich die Lizenzen für die interessierten Apotheken und freiberuflichen Tränkemeister aus. Er war gut darin, Leuten Honig ums Maul zu schmieren, wenn er etwas von ihnen wollte. Diese Fähigkeit hatte er sich von Lucius angenommen, der schon in der Schule genau wusste, wie er mit Mitschülern und sogar mit dem Lehrpersonal umgehen musste, um seine Ziele zu erreichen. Keiner der Apotheker war glücklich gewesen, einen festen Kundenstamm zu verlieren. Das Angebot der Granger-Apotheke schien mehr als nur fair.

Von Montag bis Donnerstag hatte Severus alle in der Nähe liegenden Anlaufstellen für den Wolfbanntrank aufgesucht und für die Lizenz begeistern können, selbst die Apotheke in der Muggelwelt, die von Squibs geführt wurde.

Am Freitag war es soweit.

Mr. Lyon fand sich überpünktlich in der Apotheke ein und kam in den Genuss einer frisch gebrühten Tasse Kaffee. Bevor er jedoch den ersten Schluck nahm, reichte er den unterschriebenen Vertrag zurück.

Severus nahm Notiz von der Unterschrift, händigte Mr. Lyon die Kopie aus und sagte kurz und knapp: „Willkommen an Bord.“
„Mein Bekannter aus dem Mungos und meine Nichte hätte großes Interesse an einem Vorstellungsgespräch, Professor Snape. Soll ich Ihnen die Adressen geben?“
Severus stellte als Gegenfrage: „Könnten Sie auch einen Termin übermitteln? Das würde sicherlich schneller gehen.“
„Sicher“, stimmte Mr. Lyon zu. „Meine Nichte würde, wie schon erwähnt, nächsten Monat zur Verfügung stehen. Mein Bekannter ab Oktober.“

Unerwartet musste Hermine an die Zeit denken, in der sie bei Snape ihren Vertrag unterzeichnet hatte. Vor gut zwanzig Monaten lernte sie das erste Mal den Mann kennen, der sich hinter Severus Snape verbarg. Anfangs rauften sie sich wegen Harrys Problem zusammen, später wurde sie seine Schülerin. Ihr Vertrag war ab Oktober letzten Jahres gültig gewesen, obwohl sie schon Monate vorher mit ihm gearbeitet hatte. Im Februar dieses Jahres hatte sie vorm Ministerium ihre Prüfung erfolgreich absolviert. Die Zeit verging wie im Flug.

„Hermine?“ Severus Stimme riss sie aus ihren Gedanken. Sie blickte ihn fragend an, so dass er wiederholte: „Tee oder Kaffee?“
„Ich … Kaffee!“

Ihre Antwort erstaunte ihn, da sie normalerweise Tee trank. Allerdings begann heute die nervenaufreibende Arbeit, den Wolfsbanntrank zu brauen. Die ersten Kunden standen um neun Uhr vor der Ladentür und begehrten Einlass. Vorausschauend hatte Severus Informationsblätter auf der Theke ausgelegt, in denen auf die anderen Apotheken aufmerksam gemacht wurde. Einige der Werwölfe überlegten es sich anders und trugen sich nicht in der Liste der Granger-Apotheke ein, sondern suchten einen der anderen Anbieter auf. Dennoch war der Ansturm gerade noch zu bändigen.

Daphne hatte alle Hände voll zu tun, und Mr. Lyon schuftete im Labor zusammen mit Severus und Hermine wie ein Pferd.

Die ersten Tränke in den wiederverwendbaren Bechern mit Deckel waren bereit, in den Verkaufsraum getragen zu werden.

„Hermine, hilfst du mir?“ Severus nahm eines der Tabletts und fragte Mr. Lyon gar nicht erst, ob der sich vor unzähligen Kunden zeigen wollte.
Mit dem anderen Tablett in der Hand ging Hermine vor. „Warte, ich öffnet die Tür.“

Die Bezeichnung rammelvoll traf die Situation im Verkaufsraum sehr genau. Daphne vierteilte sich, um die Anliegen der normalen Kunden und der Werwölfe gleichzeitig zu vollster Zufriedenheit zu erledigen. Kaum hatte man Severus und Hermine bemerkt, rückte eine Gruppe Kunden heran, die heute schon den ersten Trank einnehmen wollten. Jeder hielt seinen Pass in der Hand.

„Unterschreibst du?“, flüsterte Severus.
„Den ersten Schwung können wir gemeinsam machen, dann geht es schneller.“

Severus war ungeduldig. Der nächste Kessel müsste aufgesetzt werden. Würde er Hermine jetzt nicht mit den Unterschriften helfen, würde sie heute gar nicht mehr ins Labor zurückkehren. Es lief wie folgt ab: Ein Werwolf zeigte seinen Pass und bekam daraufhin einen Trank. Der Tränkemeister musste warten, bis der Trank vollständig geleert worden war und das dauerte bei einigen. Erst danach durfte der Tränkemeister seine Unterschrift geben.

Ein kleiner Junge, der schon einmal von seiner Mutter begleitet worden war, guckte über die Theke zu Severus hinauf. Als er Augenkontakt hergestellt hatte, hielt er seinen Pass in die Höhe und sagte laut, um den Geräuschpegel aller anderen Kunden zu übertrumpfen: „Einen Vanilleshake, bitte!“ Die Mutter hatte ihm beigebracht, selbstständig nach dem Trank zu fragen und lächelte zufrieden.
Severus hob eine Augenbraue und fragte mit ernster Stimme zurück: „Mit oder ohne Sahnehäubchen?“

Der Junge war mit der Frage überfordert und versteckte sich scheu hinter den Beinen der Mutter. Mit einem der Tränke verließ Severus die Theke und ging auf den Jungen zu, der den Becher mit beiden Händen abnahm. Severus drehte den Verschluss ab, und der Junge trank.

Kurz vor Feierabend kam Remus vorbei, um ebenfalls den ersten Trank einzunehmen. Severus war derjenige, der die letzten Tränkepässe unterzeichnete.

„Ihr kommt am 1. September?“, wollte Remus wissen, nachdem er seinen Pass wieder eingesteckt hatte.
Severus nickte. „Sicher, aber wir können nicht lange bleiben, da es mitten in der Woche …“
„Oh, kein Problem. Die Feier soll gar nicht so lange dauern. Ich muss am nächsten Tag auch früh raus und den Kindern etwas beibringen.“ Remus’ Blick fiel auf die Informationsbroschüren. Eine nahm er in die Hand. „Ah, ihr teilt das Patent.“
„Es wurde zu viel Arbeit, selbst wenn wir zu dritt sind.“
Remus wurde neugierig. „Zu dritt?“
„Das letzte Mal half Popovich aus. Jetzt haben wir einen Herrn namens Lyon, der uns im Labor unterstützt.“
„Nur für den Wolfsbanntrank?“
„Nein, wir haben ihn unter Vertrag genommen. Außerdem habe ich ab nächsten Monat einen Lehrling.“
Remus war mehr als nur erstaunt, da Severus niemand war, der sich gern mit anderen Menschen umgab. „Tatsache?“
„Du kennst ihn sogar. Mr. Foster.“
Hier stutzte Remus. „Gordian Foster?“
„Korrekt!“
„Mit seinen Noten kein Wunder. Es gefällt mir zu wissen, wo der Junge nach der Schule untergekommen ist. Von einigen Schülern hört man nie wieder etwas.“

Am Montag, den 30. August, wanden sich alle Menschen, die an dem Fluch litten, unter größten Schmerzen, bis die Verwandlung abgeschlossen war.

In seiner Wolfsgestalt fiepte der kleine Junge erschöpft, woraufhin seine Mutter ihm die Ohren kraulte. Auf der Decke, die sie ihm bis zur Schnauze hinaufzog, befanden sich keine Monde, sondern Sonnen. Moony hechelte, und Tonks wünschte nicht zum ersten Mal, dass irgendjemand etwas erfinden würde, damit den Betroffenen die Schmerzen dieser Metamorphose genommen werden würde. Fogg hingegen bekam wie immer von Stringer einen großen Napf mit Hähnchenkeulen, Wildbraten und was die Küche im Gehängten sonst noch zu bieten hatte. Nicht jeder Werwolf bekam so großen Appetit wie Fogg. Fenrir Greyback, dem man den Wolfsbanntrank drei Tage hintereinander per Zwangsernährung eintrichtern musste, weil er sich gegen die Einnahme gewehrt hatte, spielte in seiner Zelle in Askaban völlig verrückt. Er kam nicht damit klar, in seiner Wolfsgestalt noch immer den menschlichen Verstand zu beherbergen. Seine Pritsche nahm er komplett auseinander, aber an den eisernen Gittern, die ihn von der Freiheit trennten, biss er sich im wahrsten Sinne des Wortes die Zähne aus.

In der Vollmondnacht fand auch Lucius keinen Schlaf. Magenschmerzen hielten ihn wach und sorgten dafür, dass er sich in der Nähe der Toilette aufhielt.

Auch am Dienstag, den 31. August, kniffen die Eingeweide. Der Grund dafür war eine stärkere Produktion von Magensäure, die wiederum Lucius’ Magenschleimhäute reizte. Die Bauchschmerzen rührten jedoch vom Kopf her, sie waren stressbedingt. Die Redewendung, dass einem etwas auf den Magen schlug, war keineswegs erdacht. Morgen schon würde er Hogwarts besuchen. Das allein war kein Grund für seine Leiden. Der Gedanke an Dumbledore machte ihm zu schaffen. Schon in der Schule konnte Lucius den Direktor nicht ausstehen. Der alte Zauberer schien durch einen hindurchzusehen, direkt in das Innerste zu blicken. Unbehaglich war gar kein Ausdruck für das, was Lucius empfand. Mit Sticheleien müsste er sich im Zaum halten, denn Dumbledore schoss gern auf gleiche Art und Weise zurück.

Am Morgen des 1. September fasste Lucius den Entschluss, die Winkelgasse aufzusuchen. Sein Ziel war die Granger-Apotheke. Bis heute verstand er nicht, warum sein alter Freund nicht auf eine Namensänderung des Geschäfts bestand, wo es ihm doch zur Hälfte gehörte.

Die kleine Klingel über der Tür kündigte den Kunden an. Daphne blickte auf und nickte Lucius freundlich zu.

„Kann ich Ihnen behilflich sein?“
Lucius trat an die Theke heran und betrachtete die Dame. Mit einem Male überkam ihn das Gefühl, er würde sie kennen. Er kniff die Augen leicht zusammen und legte den Kopf schräg. „Waren Sie nicht mit meinem Sohn in einer Klasse?“ Von Severus wusste er lediglich, dass eine Verkäuferin eingestellt war. Sein Gehirn hatte erfolgreich mit den Erinnerungen abgleichen können, so dass er sich die Frage selbst beantworten konnte. „Miss Greengrass, nicht wahr?“ Höflich hielt er ihr die Hand entgegen, die sie ergriff, aber ihr Gesichtsausdruck blieb kühl. Auch sie hatte ihn erkannt.
„Mr. Malfoy.“
„Ganz Recht!“
Er holte gerade Luft, um über Belangloses zu plaudern, da schnitt sie ihm das Wort ab: „Wie darf ich Ihnen helfen?“
Bei ihrer distanzierten Art verging ihm die Lust auf einen Plausch unter Reinblütern. „Ich suche etwas gegen Magenschmerzen.“
„Etwas Bestimmtes?“, fragte sie nach. „Waren Sie bei einem Heiler oder handelt es sich um …?“

In diesem Moment trat Severus in den Verkaufsraum. Die Überraschung hielt sich für Lucius in Grenzen, denn sein Freund arbeitete nun einmal hier. Severus hingegen war im ersten Moment sprachlos.

„Lucius, guten Tag.“ Severus schaute zu Daphne. „Ich kümmere mich um den Herrn.“ Die Angestellte schien erleichtert, holte einmal tief Luft und nickte. Severus klappte an einer Stelle die Theke auf, damit er sich seinem Freund nähern konnte. „Lucius, was führt dich her?“
„Mein Magen“, nörgelte der alte Freund wie ein quengelndes Kind. Um die Qual zu unterstreichen legte er eine flache Hand auf den Bauch. „Er rebelliert!“
„Hast du etwas Scharfes gegessen?“
Lucius schüttelte den Kopf. „Es liegt nicht am Essen. Mir ist seit einigen Tagen einfach nicht wohl.“
„Musst du aufstoßen?“
Empört wies Lucius seinen Freund zurecht: „Was soll diese Fragerei?“
Auf den Einwand ging Severus überhaupt nicht ein. „Hast du Stress?“
„Möglich …“, murmelte Lucius.

Seine Mutter. Die beinahe täglichen Besuche bei ihr erfreuten ihn, aber sie zerrten auch an seinen Nerven, nicht zuletzt wegen der dürren Schwester, die ihn immerzu im Auge behielt. Als Erstes hatte Lucius seine Frau mitgenommen, um sie der Mutter vorzustellen. Einen Tag später war Draco sein Begleiter. Mit wachsendem Neid stellte Lucius fest, dass sein Sohn und seine Mutter vertrauter und gelassener miteinander umgingen als es ihm vergönnt war. Vielleicht lag das nur an der Familie Malfoy. Man hatte sich zu mögen. Selbst im Nachhinein würde Lucius es nicht wagen, schlecht über seinen Vater zu sprechen. Eine Person hielt Lucius seiner Mutter noch vor: Susan. Sie würde bis spät abends arbeiten, hatte er ihr erzählt. Gelogen war es nicht, aber eine oder zwei Freistunden hätte sie sich durchaus nehmen können. Der Enkel, Lucius’ ganzer Stolz, hatte schon bei der ersten Begegnung mit der lang vermissten Urgroßmutter eine so inniges Verhältnis aufgebaut, dass seine Mutter – über ihre aktuellen Ansichten war er nicht im Bilde – auch mit einem Halbblut in der Familie auskommen würde.

Das war der Stress, den Lucius sich selbst machte, denn es lag ihm daran, alle formellen Dinge so schnell wie möglich zu erledigen, damit seine Mutter das Heim verlassen und bei ihrer Familie unterkommen dürfte. Auf andere Ereignisse, die seine Nerven strapazierten, hatte Lucius überhaupt keinen Einfluss. Der Werwolf. Die Nichte seiner Frau heiratete heute Abend einen Werwolf. Allein bei der Bezeichnung dieser Bestien drehte sich ihm der Magen um. Der Mann mochte freundlich sein, aber was war mit der Bestie in ihm? Das Ministerium hatte diese Kreaturen nicht ohne Grund als Tierwesen der höchsten Gefährlichkeitsklasse eingestuft. Jeder, der sich vorurteilsfrei gab und großzügig über dieses Manko hinwegsehen wollte, war ein Narr. Ganz besonders Dumbledore – und der brachte das Fass zum Überlaufen oder in Lucius’ Fall die Magensäure zum Kochen.

Plötzlich geschah etwas, was Lucius in Gesellschaft immer tunlichst vermieden hatte. Er musste aufstoßen.

Angewidert verzog Severus das Gesicht. „Ach du meine Güte“, sagte er leise, „am besten gebe ich dir etwas Säurebindendes. Oder besser noch etwas, das die Produktion der Magensäure reduziert.“

Lucius war sich sicher, dass auch Severus den strengen Geruch bemerkt haben musste, der die Speiseröhre hinaufgekrochen kam. Wahrscheinlich stank es genauso beißend wie es schmeckte. Er war so peinlich berührt, dass er lediglich nicken konnte. Er beobachtete, wie Severus zielsicher durch die überschaubaren Gänge ging, Halt machte und etwas in die Hand nahm. Nach einem kurzen Blick zu Lucius entschied sich Severus für einen weiteren Trank.

Als sein Freund sich wieder zu ihm gesellte, zeigte Lucius auf sein Brustbein und sagte leise, damit die Angestellte es nicht hören würde: „Ich habe hier so einen dumpfen Druck. Nicht dass es das Herz ist.“
„Unfug, das kommt vom Magen“, beteuerte Severus, der es nicht für möglich hielt, nach der Einnahme des Elixiers des Lebens schlimmere Beschwerden zu bekommen als Sodbrennen. „Bist du morgens heiser?“
„Jetzt, wo du es erwähnst …“ Lucius nickte. „Woran mag das liegen?“
„An der Magensäure, die bei der horizontalen Lagerung des Körpers in die Speiseröhre zurückfließt. Nimm das hier“, Severus hielt eine braune Flasche in die Höhe, „dreimal täglich. Und das hier“, er zeigte die durchsichtige Flasche, „bei akutem Unwohlsein.“
„Wie viel schulde ich dir?“
„Das macht Miss Greengrass.“
„Mmmh“, summte Lucius zustimmend.
„Wenn es nächste Woche nicht besser ist, gehst du zu einem Heiler!“
„Jawoll!“, scherzte Lucius, doch Severus’ Miene rührte sich nicht.
„Ich meine es ernst. Wenn du etwas verschleppst, werde ich es nicht mehr behandeln können. Ich frage mich, was das verursacht, wenn es nicht am Essen liegt.“

Nicht nur die eigene Mutter und die bevorstehende Vermählung mit einem Werwolf, der somit auch in die Familie Malfoy einheiratete, machten ihm zu schaffen. Die Aussicht auf ein unangenehmes Gespräch mit …

„Dumbledore“, hörte Lucius seinen Freund plötzlich sagen, als hätte der seine Gedanken gelesen. Severus nickte verständnisvoll. „Du weißt, dass ich heute Abend auch dort sein werde?“
„Ja, und das ist, wenn ich das mal so offen sagen darf, der einzige Lichtblick. Ich kann mir nicht vorstellen, dass es unterhaltsam wird.“
„Von Harry weiß ich, dass sie das Kind mitnehmen. Du kannst deinen Enkel …“
„Den müssen wir sowieso mitbringen. Wir haben keinen Elf, der sich um ihn kümmern könnte.“
„Dann sehen wir uns heute Abend“, sagte Severus mit einem Kopfnicken. „Ach, und eh ich’s vergesse: Keinen Alkohol.“
„Hast du Angst, ich könnte mich nicht benehmen?“, fragte Lucius beleidigt nach.
„Nein, nicht deswegen.“ Severus deutete auf die beiden Mittel in Lucius Händen. „Die Tränke vertragen sich nicht mit Alkohol.“
Severus ging zurück hinter die Theke und sagte zu Daphne: „Machen Sie dem Herrn einen Freundschaftspreis.“

Zurück im Labor stellte er sich an den Tisch und betrachtete den Inhalt eines Kessels. Der Wermut war schon zu einem Sud zerkocht. Danach blickte er auf das Holzbrett, auf dem junge Hände alle Mühe hatten, eine Schlafbohne zu schneiden.

„Zerdrücken Sie sie mit der Klinge, Mr. Foster.“
„Aber in der Schule …“
„Wir sind hier nicht in der Schule. Zerdrücken Sie die Schlafbohne. Den Vorteil werden Sie schon noch bemerken.“

Mr. Lyon und Hermine schauten ab und an von ihrem eigenen Schneidebrett oder Kessel auf und blickten hinüber zu Severus und seinem Schüler. Severus selbst braute nebenher Tränke, die nicht ständig seiner Aufmerksamkeit bedurften. So konnte er sich Gordian besser widmen.

„Haben Sie schon die Affodillwurzel geschnitten?“ Gordian zeigte auf ein Brett, dass er von sich weggeschoben hatte. „Ah“, machte Severus zufrieden, als er neben der feingehackten Affodillwurzel auch die geschnittene Baldrianwurzel bemerkte. „Der Sud ist bereit, Mr. Foster. Dann beginnen Sie mit dem Hinzufügen der Zutaten und achten Sie auf die Rührbewegungen.“

Den Trank der lebenden Toten hatte Gordian im Nu fehlerfrei gebraut. Severus war zufrieden.

Gegen Mittag lugte Daphne ins Labor hinein. „Ich habe abgeschlossen.“ Mittagspause. Das bedeutete nicht, dass man sofort alles stehen und liegen lassen durfte. Zuerst wurde das zu Ende gebraut, was man begonnen hatte.
„Mr. Foster, wie haben Sie sich vorgestellt, die Mittagspause zu verbringen?“ Weil Gordian nicht antwortete, lag es Severus’ Meinung nach auf der Hand, dass er sich keine Gedanken darüber gemacht hatte. „Sie können mit uns in der Küche essen.“
„Das ist nett von Ihnen, Sir. Soll ich etwas kochen?“
Severus hob eine Augenbraue. „Können Sie denn kochen?“
„Ich hab es von meiner Großmutter gelernt.“
„Dann gehen Sie doch schon in die Küche und zaubern etwas für fünf Personen.“

Gordian hatte aus wenigen Lebensmitteln ein schmackhaftes Mittagessen zubereitet, sodass Severus ihm anbot, gegen einen Obolus jeden Tag für die kleine Belegschaft zu kochen. Das sparte einerseits die Kosten für ein auswärtiges Mittagessen und war andererseits verträglicher als das, was Hermine zustande brachte.

Am Abend warf sich Hermine in Schale. Severus hingegen wechselte lediglich von einem schwarz ins andere.

„Wir werden viel zu früh da sein“, nörgelte Severus.
Hinter der angelehnten Schlafzimmertür vernahm er ihre Stimme. „Ich möchte die Erstklässler sehen. Remus hat gesagt, Dumbledore hätte nichts dagegen, wenn wir als Gäste am Lehrertisch sitzen.“ Sie hörte ein lang gezogenes Stöhnen. „Es kann dir doch egal sein“, beschwichtigte sie ihn. „Du bist dort nicht mehr Lehrer.“
„Das ist auch bess…“

Mitten im Satz hielt er inne, weil sie aus dem Schlafzimmer heraustrat. Das Kleid hatte ihm glatt die Sprache verschlagen. Er räusperte sich.

„Muss das hier oben so“, er wedelte mit einer Hand vor seiner Brust herum, „offen sein?“
Skeptisch blickte Hermine an sich herab und fand nichts, was sie bemängeln könnte. „Wo?“, wollte sie genauer wissen.
„Man kann alles sehen.“
„Was sehen?“
„Das Dekolleté!“
Hermine hob und senkte die Schultern. „Das darf man sehen.“ Um ihr Erscheinungsbild zu überprüfen, stellte sie sich vor einen Spiegel. Es sah ihrer Meinung nach alles bestens aus. „Sieht doch gut aus“, redete sie sich selbst ein, denn Severus’ Einwand hatte sie unsicher gemacht.
„Wenn du meinst.“

Sie nahmen den Kamin und trafen überpünktlich bei Harry und Ginny ein. Der Phönix begrüßte sie mit einer gezwitscherten Tonreihenfolge, bevor er sich wieder dem Fressnapf widmete.

„Hermine, Severus“, grüßte Harry, der mit seinen Händen am Hals herumfummelte, weil er sich eine Fliege binden wollte. „Gut, dass ihr da seid. Kennt sich einer von euch mit dem Binden einer Fliege aus?“
„Wie steht es mit deiner Frau?“, fragte Severus. „Sie hat sechs Brüder. Da müsste sie eigentlich …“
Ginny unterbrach ihn. „Keiner von denen hat jemals eine Fliege getragen.“ An Harry gerichtet sagte sie: „Warum keine Krawatte?“
„Weil die nicht zu dem Anzug passt“, knurrte Harry gemeingefährlich. Er blickte Hermine an. „Bitte, du kannst das bestimmt, oder?“
„Bedaure, Harry. Ich habe noch nie eine Fliege gebunden.“
Harry wirkte verzweifelt. „Gibt es dafür denn keinen Zauber?“
„Bestimmt gibt es einen“, versicherte Hermine, „aber den kenne ich nicht.“
Severus schüttelte den Kopf. „Das kann alles nicht wahr sein.“

Schnurstracks ging er auf Harry zu und schlug dessen Hände weg, damit er die Fliege ergreifen konnte. Einen Moment schaute er irritiert drein, bevor er die Fliege losließ und Harry zu dem kleinen Spiegel neben der Eingangstür schubste. Severus stellte sich hinter Harry und band ihm die Fliege, den konzentrierten Blick auf das Spiegelbild gerichtet. Aufmerksam versuchte Harry, sich die Vorgehensweise zu merken, aber als Severus ein Ende der Fliege im Zickzack faltete, kam er schon nicht mehr mit.

„Voilà!“
„Danke, Severus.“

Gleichzeitig drehten sich die beiden zu den Frauen um, nur um festzustellen, dass Ginny und Hermine jeweils das Dekolleté der anderen betrachteten.

„Ist das zu weit ausgeschnitten?“, fragte Hermine unsicher.
„Nein, finde ich nicht. Und bei mir?“
„Nein, auch nicht.“

Severus flüsterte, sodass nur Harry es hören konnte: „Man kann alles sehen.“
„Ja“, stimmte Harry zu, „aber sie hört ja nicht auf mich.“

Als man fertig war, ging man zusammen hinaus auf den Flur. Von einem Fenster aus sah man Licht auf dem See.

„Die Erstklässler kommen“, verkündete Harry. „Dann werden die anderen Schüler schon hier sein.“

Er hatte richtig vermutet. Die Eingangshalle war voller Schüler, die sich nach den langen Sommerferien begrüßten und sich über ihre Abenteuer unterhielten.

„Professor Snape“, sagte plötzlich eine Schülerin hinter ihm. Er drehte sich um und blickte in das Gesicht von Meredith Beerbaum. „Guten Abend, Sir. Ich wollte mich nur erkundigen, wie Gordian sich an seinem ersten Tag gemacht hat.“
„Es gab nichts zu bemängeln“, erwiderte er knapp.
„Das ist schön zu hören. Dann viel Spaß, Sir.“

In der Großen Halle hatten einige Schüler Platz genommen. Harry und die anderen wurden nett gegrüßt, wenn man sie überhaupt bemerkte. Vorn konnte man sehen, dass der Lehrertisch um zwei Tische verlängert wurde. Die beiden zusätzlichen Tische waren schräg angebracht, nicht U-förmig, sondern von den Flügeln her wie ein umgedrehtes V angeordnet, so dass man genau sehen konnte, wer Lehrer und wer Gast war.

„Sieh mal, Andromeda ist auch schon da“, sagte Harry und deutete mit dem Kopf in Richtung Hinterausgang der Großen Halle. Durch eine Tür kamen die Familie Tonks, auch Remus und Nymphadora. Ihr Hochzeitskleid war schlicht, aber nichtsdestotrotz wunderschön anzusehen. Sirius hielt die Tür auf und ließ alle eintreten.

Nacheinander trudelten die Lehrer ein. Durch die Platzkarten wussten Hermine, Harry, Ginny und Severus, wo sie sitzen sollten. Sie verhielten sich so ruhig wie möglich, nur Nicholas, der auf Harrys Schoß saß, sah keinen Grund zur Ruhe. So viele Menschen auf einmal musste er lauthals besingen. Als endlich alle Schüler eingetroffen waren, ging Minerva nach draußen, um die Erstklässler hereinzuholen.

Wie immer waren viele Kinder dabei, die von der Großen Halle und den vielen Menschen eingeschüchtert waren und ängstlich dreinblickten. Andere wiederum schienen von Geschwistern und Eltern genau zu wissen, was sie erwartete und strahlten daher über das ganze Gesicht. Bevor den Kindern der Sprechende Hut aufgesetzt werden würde, durfte der sein Begrüßungslied singen:

Ei der Daus! Ist’s schon so weit?
Vorbei ist ein Jahr Schulweisheit.
Ein neues beginnt ab sofort
in Hogwarts, hier an diesem Ort.

Die Häuser waren einst verkracht,
Rivalitäten wurden vermacht.
Dies Erbe habt ihr ausgeschlagen,
habt euch am Ende gut vertragen.

Egal in welches Haus ihr kommt,
einen Freund findet ihr prompt,
denn unabhängig von den Noten
wird Freundschaft häufig angeboten.

Die Vergangenheit hat’s gezeigt,
ihr seid der Zukunft zugeneigt.
Lasst euch die Gegenwart nicht entgehen,
nur sie enthält die größten Höhen.

Mut, List, Treue oder Eifer,
das alles macht einen jeden reifer.
Zu lernen ist – ganz ohne Frage –
eure wichtigste Aufgabe.

Begrüßt sie nun, die Neulinge,
seid nett zu ihnen und guter Dinge.
Helft dort, wo man nur helfen kann,
zur Not spielt ihr den Mittelsmann.

Nach und nach wurde den Schülern der Sprechende Hut aufgesetzt, damit sie an den Tischen ihrer Häuser Platz nehmen konnten. Mit Freude, die er nach außen hin natürlich nicht zeigte, stellte Severus fest, dass sein Haus in diesem Jahr besser besucht war als im letzten.

Bevor Albus das Festmahl begann, gab er zunächst einige Veränderungen bekannt. Er deutete auf Severus.

„Einigen von euch wird im letzten Schuljahr die Information nicht entgangen sein, dass Professor Severus Snape sich aus dem Lehreramt zurückgezogen hat. An seiner Stelle“, Albus deutete auf den neuen Lehrer, „wird Professor Georgi Popovich das Fach Zaubertränke übernehmen.“ Einige Schüler applaudierten, aber nicht zu heftig, damit ihr ehemaliger Lehrer nicht glaubte, man würde sich über den Wechsel freuen. „Weil mit Professor Snapes Abschied die Slytherins ohne Hauslehrer dastehen, übernimmt diese Aufgabe ab heute Professor Aurora Sinistra, eure Lehrerin für Astronomie.“ Professor Sinistra wurde von ihrem Haus mit stürmischem Applaus begrüßt. Viele der ehemaligen Schüler wussten nicht einmal, dass diese Lehrerin damals im Hause Slytherin war. Zu ihnen zählten auch Harry, Ginny und Hermine. „Da Professor Harry Potter“, Albus nickte Harry zu, „sich ebenfalls aus den schulischen Angelegenheiten zurückgezogen hat, darf ich an seiner Stelle Professor Remus John Lupin begrüßen, der euch fortan als Lehrer durch das Fach Verteidigung gegen die Dunklen Künste führen wird.“ Wieder applaudierten die Schüler, diesmal etwas großzügiger. „Und weil Professor Lupin sich nicht noch zusätzlich um die Pflege magischer Geschöpfe kümmern kann, darf ich ganz herzlich einen Lehrer begrüßen, der schon damals dieses Fach unterrichtete: Professor Rubeus Hagrid.“

Die Schüler waren nicht mehr zu bremsen. Den größten Applaus an diesem Abend erhielt Hagrid. Die Kinder aus dem Vorjahr kannten ihn als Wildhüter und Hüter der Schlüssel von Hogwarts. Mit seinem großen Herz für Kinder war er ihnen natürlich nicht entgangen. Wie sollte man auch einen Halbriesen übersehen können? Selbst Harry klatschte, obwohl dieser Umstand sich in keinster Weise auf sein Leben auswirken würde.

Als der Direktor seine Rede beendet hatte, klatschte er zweimal in die Hände. Auf den Tischen erschien das üppige Essen, das die Elfen in der Küche hergerichtet hatten. In der Mitte der Bühne, auf der die Lehrertische standen, materialisierte sich eine riesige Torte auf einem Beistelltisch, der für das Gewicht zu schwach schien. Das Holz knarrte unter der Last des fünfstöckigen Backwerks.

Der Direktor erhob sich von seinem Stuhl und blickte neben der Torte vorbei auf die Schüler, während er sagte: „Das war nicht geplant. Es scheint mir so, als wäre das ein Geschenk der Hauselfen, denn ihr müsst wissen, dass Professor Lupin heute früh im Ministerium geheiratet hat.“

Diesmal klatschten die Schüler nicht nur, sie verstärkten ihren Applaus noch mit den Füßen, indem sie heftig trampelten. Einige pfiffen, andere jubelten dem Brautpaar zu.

Harry war verwirrt. „Sie haben heute früh schon geheiratet?“
„Offensichtlich ja“, sagte Hermine. „Und jetzt wird gefeiert. Ist doch in Ordnung.“

Die Hochzeitstorte war so groß, dass selbst jeder Schüler ein Stück abbekommen würde. Remus und Tonks wurden nach vorn gebeten, um sie anzuschneiden. Gerade rechtzeitig trafen die Malfoys samt Kleinkind ein. Sie nahmen die Hintertür, die direkt zu den Lehrertischen führte. Weil alle Augen auf das Brautpaar gerichtet waren, bemerkte niemand, dass sich Lucius samt Familie neben Severus setzte.

„Die Schüler sind ja noch alle da“, flüsterte Lucius, dem dies unangenehm war.
„Eine Idee der Elfen“, erklärte Severus. „Die Schüler werden sicherlich verschwinden, nachdem sie ein Stück Torte bekommen haben.“

Lucius nickte, bevor er sich langsam umschaute. Gegenüber saßen die Blacks und Tonks, die ihre Augen auf Remus und dessen Braut gerichtet hatten. Am Lehrertisch, wie überraschend, saßen die Lehrer.

„Der dort“, Lucius nickte zu Popovich, „ist der dein Nachfolger?“
„Ja, du kennst ihn vielleicht. Er war in meinem Jahrgang. Georgi Popovich, Ravenclaw.“
„War er nicht in dieser Arbeitsgruppe, die Slughorn ins Leben gerufen hatte?“
„Ganz recht.“
„Ja, dann kenne ich ihn. Etwas mopsig geworden, nicht wahr?“
„Nicht jeder kann im Alter sein Gewicht so halten wie du oder ich.“

Lucius schaute sich die anderen Personen an und stand mit einem Male in Blickkontakt mit Albus Dumbledore, der ihm auch noch zunickte. Höflich wie Lucius war erwiderte er den nonverbalen Gruß. Wenn Dumbledore ihn jetzt schon im Visier hatte, würde er um ein Gespräch mit dem alten Mann nicht herumkommen. Lucius stieß leise auf, doch Severus und Narzissa hörten es.

„Möchtest du von deinem Trank nehmen?“, fragte die Gattin fürsorglich und holte bereits das Fläschchen heraus, das Lucius erst heute früh bei Severus erworben hatte.
„Ja, das wäre nett.“

Als Lucius seine zwanzig Tropfen auf den Teelöffel tröpfeln ließ, kam Remus an ihren Tisch.

„Schön, dass ihr kommen konntet“, sagte er in die Runde. „Was für Torte möchtet ihr?“ Remus drehte sich um und zeigte zur Hochzeitstorte. „Ganz oben haben wir Erdbeere, darunter Marzipan, dann Nuss, Schokolade und ganz unten Nougat.“
Gelassen fragte Severus: „Muss ich mich von oben nach unten durchessen, um an Nougat zu gelangen?“
„Natürlich nicht. Also Nougat. Nachher, wenn die Schüler in ihren Gemeinschaftsräumen sind, wird es etwas gemütlicher.“

Die Hauselfen halfen, den Kuchen an die Schüler zu verteilen. Lucius hatte sich Charles auf den Schoß gesetzt, damit er mit ihm zusammen essen konnte. Harry machte das Gleiche mit Nicholas. Als die Jungen sich gegenseitig bemerkten, winkten sie sich zu und grinsten dabei bis über beide Ohren.

„Übrigens …“, läutete Lucius eine Unterhaltung mit Severus ein. „Ich habe meine Mutter besucht. Mehrmals sogar.“
„Wie ist es gelaufen?“, erkundigte Severus sich.
„Ganz wunderbar. Zu meinem Erstaunen hatte sie nicht einmal etwas gegen meine Schwiegertochter einzuwenden.“
Severus stutzte. „Warum sollte sie auch? Sie wurde in ihrem Leben sicherlich häufig von Halbblütern oder Squibs versorgt.“
„Da hast du auch wieder Recht.“ Einen Moment lang zögerte Lucius, bis er schließlich zugab: „Sie ist erblindet.“ Er hatte leise gesprochen, aber Severus hatte es gehört. „Das Gleiche, was mir widerfahren ist. Es liegt an den Genen, weißt du?“ Severus hörte die Reue aus Lucius’ Worten. „Im Gegensatz zu mir ist sie zu alt für eine Behandlung. Sie wird nie wieder sehen können.“
„Das ist bedauerlich, Lucius. Ich bin mir sicher, dass sie dennoch ein erfülltes Leben haben wird.“
„Hast du im Mungos die kostenlose Untersuchung in Anspruch genommen?“
Severus verneinte. „Ich habe nichts zu befürchten.“
„Ah, verstehe. Dein Vater ist ein Muggel. Du hast Glück, Severus. Wirklich viel Glück. Wenn ich so darüber nachdenke …“ Gedankenverloren schüttelte Lucius den Kopf. „Darwin ging es ganz ähnlich wie einigen Reinblütern. Er ehelichte seine Cousine. Drei seiner Kinder starben, andere waren unfruchtbar – und der Mann hat etwas von Vererbung verstanden.“

Severus nickte. Die reinblütigen Familien hatten sich, ähnlich wie einige Königsfamilien der Muggel, stets untereinander verheiratet. Über diesen Nachteil war sich Lucius endlich klargeworden. Er nahm eine kleine Hand von Charles in seine. Der Junge war rundum gesund, würde niemals unter einer vererbbaren Krankheit leiden müssen.

„Meine Mutter wird demnächst bei uns einziehen“, gestand Lucius. „Sie hat sich mit Draco auf Anhieb verstanden, auch mit Narzissa. Mit Charles sowieso, nicht wahr, mein Kleiner?“ Er wippte mit seinen Oberschenkeln auf und ab, woraufhin sein Enkel anfing, fröhlich zu glucksen. „Vielleicht wird uns dann ein Hauself genehmigt. Zumindest aber suche ich eine Dame, die im Haushalt helfen kann. Wie sieht es eigentlich mit deinem Vater aus, Severus?“
„Wie soll es mit ihm aussehen? Er ist in einem Heim, ich bin hier. Da gibt es nicht mehr zu wissen.“
„Du solltest Kontakt mit ihm aufnehmen.“
„Ich werde mich hüten.“
Hermine lauschte, tat jedoch so, als würde sie Harry zuhören. Lucius hörte nicht auf zu fragen: „Weißt du überhaupt, wie es ihm geht?“
„Es interessiert mich nicht die Bohne!“, sagte Severus mittlerweile sehr aufgebracht.
„Das sollte es aber, Severus. Weißt du, was mich nach all den Jahren endlich nicht mehr quält, seit ich meine Mutter besucht habe?“
„Du wirst es mir sicher gleich verraten, obwohl ich es nicht hören möchte.“
„Sei nicht so abweisend“, mahnte Lucius. „Ich spreche von etwas, das dir sicherlich ebenfalls zu schaffen macht. Ein schlechtes Gewissen.“
„Mein schlechtes Gewissen kommt bestimmt nicht davon, dass ich einen alten Trunkenbold nicht besuche. Ich habe ganz andere Sorgen, mit denen ich fertigwerden muss.“
Lucius nickte. „Ich verstehe, was du meinst, aber dennoch: Es würde dir gut tun.“
„Schließ nicht von dir auf andere. Im Gegensatz zu dir weiß ich, warum mein werter Herr Vater im Heim vor sich dahinvegetiert – ich hoffe jedenfalls, dass er vegetiert, denn etwas anderes hat er nicht verd…“
„Wie kannst du nur so reden?“, unterbrach Lucius. „So würde ich nicht einmal von meinem Vater sprechen, obwohl der auch kein Heiliger war, wie du weißt.“
Severus hatte genug. Vor Wut zuckte bereits sein linkes Augenlid. „Ich rede so von ihm“, zischte er durch die Zähne, „weil eine der bewusstesten Erinnerungen, die ich an meinen Vater habe, daraus besteht, wie ich mit einem Mob hinter ihm herlaufe, um seine Kotze aufzuwischen, deswegen interessiert er mich einen Dreck!“
„Severus!“, mahnte diesmal Hermine wegen der unangemessenen Wortwahl. „Man schaut schon zu uns hinüber.“
„Dann lass sie gaffen!“

Um sich zu vergewissern, wen Hermine meinte, blickte sich Severus um. Wenige Schüler schauten zum Lehrertisch hinauf. Wenn sein Adlerblick auf sie fiel, sahen sie schnell weg. Am Lehrertisch war es Remus, der zu ihm schaute, nicht verärgert, sondern besorgt. Und auch Albus bedachte ihn mit einem väterlich verständnisvollen Blick, mit dem er gleichzeitig zur Ordnung rief. Severus schluckte all seine Wut hinunter und widmete sich seinem Stück Torte. Lucius unterließ es, seinen Freund nochmals auf den Vater anzusprechen, denn das Thema stellte ganz offensichtlich einen wunden Punkt dar.

Nachdem die Schüler die Große Halle verlassen hatten, veränderte Albus per Zauberspruch die Anordnung der Tische. Eine runde Tafel entstand. Endlich waren auch die fehlenden Gäste gekommen: Arthur, Molly und Kingsley. Die Feier fand, wie Remus es versprochen hatte, im kleinen Rahmen statt. Es blieben nicht alle Lehrer, nur Minerva, Filius, Pomona und Georgi, mit dem sich Remus bestens verstand. Kingsley stand gerade beim Brautpaar und unterhielt sich mit beiden.

„Ich gehe mal rüber“, warnte Hermine vor, „und überreiche ihnen unser Geschenk.“
„Was schenken wir denn?“ Darüber hatte sich Severus überhaupt keine Gedanken gemacht.
„Geld.“ Weil Severus die Nase rümpfte, weil er die Idee für gewöhnlich hielt, fügte sie hinzu: „Beide sind erwachsen, haben längst ihren eigenen Haushalt. Was kann man da sonst zur Hochzeit schenken?“
„Ja, du hast Recht.“
„Du gratulierst nachher selbst, oder?“
„Sicher.“

Hermine hatte Glück, dass sie gleich nach Kingsley mit dem Brautpaar sprechen konnte, denn langsam bildete sich eine Schlange von Gratulanten hinter ihr.

„Wir wünschen alles Gute zur Hochzeit, viel Glück im Leben, reichlich Kindersegen und eine Menge Geld und Zufriedenheit“, sagte Hermine strahlend, bevor sie Tonks um den Hals fiel. Als sie Remus umarmte und ihm einen Kuss auf die Wange gab, flüsterte sie: „Ich freue mich so für euch.“
„Danke, Hermine. Vielen Dank.“

Schon wurde Hermine von einer weinenden Molly versehentlich zur Seite gedrängt, so dass sie Kingsley fast auf den Fuß trat, ihn zumindest aber anrempelte.

„Entschuldige bitte.“
„Macht doch nichts, Hermine.“
Das Gespräch zwischen Lucius und Severus hatte sie auf einen Gedanken gebracht und vielleicht könnte Kingsley dabei helfen. „Darf ich mit dir kurz mal unter vier Augen sprechen?“
Zwar war Kingsley sichtlich erstaunt, dennoch deutete er ihr, dass sie ihm folgen sollte. Sie standen etwas abseits von den anderen, direkt neben dem Hintereingang. „Wie kann ich dir helfen?“
„Kannst du dir erklären, warum man einen Muggel in eine Einrichtung steckt, die vom Zaubereiministerium unterhalten wird?“
„Werde bitte etwas genauer. Ansonsten kann ich dir nur versichern, dass so etwas üblicherweise nicht stattfindet.“
„Es geht um Severus’ Vater. Er wurde von einem Muggelpflegeheim nach Dii Penates verlegt.“
„Ah“, machte Kingsley. „Das war Scrimgeours Idee. Er dachte, wenn Severus seinen Vater aufsuchen würde, dass er ihn auf diese Weise dingfest machen könnte.“
„Das Ministerium hat Tobias Snape als Köder benutzt?“
„Ja, allerdings wusste niemand, dass die beiden seit Jahren nicht mehr miteinander gesprochen haben. Trotzdem war eine winzige Chance vorhanden, den flüchtigen Todesser eventuell in die Finger zu bekommen.“
„Und nach dem Krieg hat sich nichts geändert?“
„Wenn du damit meinst, dass Mr. Snape zurück in ein anderes Heim muss? Nein, muss er nicht. Als Vater eines Zauberers hat er das Recht auf magische Hilfe.“
„Weißt du, wie es ihm geht?“
„Nein, das war nie mein Gebiet. Ich hab nur aus Akten davon erfahren, weil Scrimgeour unbedingt zwei Auroren von mir haben wollte, die sich tag ein, tag aus in Dii Penates aufhalten. Ich war nie dort, habe den alten Snape nie gesehen. Außerdem habe ich nicht geglaubt, dass Severus vom neuen Aufenthaltsort seines Vaters überhaupt wusste, denn die Eulen kamen immer zurück.“
„Ja, der Brief ist neulich erst angekommen. Er lagerte jahrelang beim Postamt zwischen.“
„Scrimgeour war damals etwas hilflos. Er wollte unbedingt handeln und Erfolge erzielen, aber das war nicht so leicht, deshalb kamen ihm solche Ideen in den Sinn, selbst wenn die Chancen gering waren. So konnte er wenigstens behaupten, dass er etwas unternahm.“
„Weißt du vielleicht aus den Akten, ob Severus’ Vater einen Vormund hat oder ob er selbst noch geschäftstüchtig ist?“
Kingsley schüttelte den Kopf. „Tut mir leid, so tief war ich nie in der Materie drin. Severus kann Kontakt zum Heim aufnehmen, wenn er mehr erfahren möchte.“
„Ich befürchte, er möchte gar nichts erfahren“, murmelte Hermine.

Einige Plätze weiter suchte Nicholas Kontakt zu Charles, der noch immer bei Lucius auf dem Schoß saß. Der rotblonde Junge räkelte sich, damit sein Großvater ihn hinunterlassen würde.

„Ist ja gut. Geh schon spielen“, sagte Lucius, setzte den Jungen ab und gab ihm noch einen liebevollen Klaps auf den gewindelten Po. „Meine Mutter hat ihn sofort ins Herz geschlossen.“
Severus stöhnte. „Fang nicht wieder mit dem Thema an, sonst setze ich mich woanders hin.“
„Neben Black ist gerade ein Platz frei. Nur zu, Severus“, stichelte Lucius.

Severus stand tatsächlich auf, aber nicht, um neben Sirius Platz zu nehmen, sondern um sich für die Gratulationen anzustellen. Zwei Stühle neben Lucius waren frei und auf dem dritten saß …

„Mr. Potter.“
„Mr. Malfoy“, grüßte Harry im gleichen, monotonen Tonfall zurück. „Vielen Dank übrigens für die Karte.“
„Für was bitte?“
„Die Ansichtskarte aus Mauritius.“
„Ah, nichts zu danken.“

Eine unangenehme Stille kehrte ein. Verlegen schauten Harry und Lucius umher. Zu Lucius Entsetzen näherte sich ihm Albus Dumbledore. Sein Magen begann zu brodeln. Vielleicht, mit etwas Glück, würde er so viel Magensäure produzieren, dass er diese wie Gift ausspeien konnte, um seinen Feind auf Abstand zu halten. Leider wirkte das Mittel, das er in der Apotheke gekauft hatte, sehr gut.

„Lucius“, grüßte der Direktor, als wären sie alte Freunde. Man hatte sich zu einer Zeit, in der Lucius noch im Schulbeirat tätig war, durchaus mit Vornamen angesprochen.
„Professor Dumbledore, wie nett Sie wiederzusehen“, log Lucius mit einem falschen Lächeln auf den Lippen. Sein Albtraum wurde wahr. Er musste sich mit Dumbledore unterhalten.
„Wie ich sehe“, Albus deutete zu Charles, „kann Ihr Enkel schon ein paar Schritte allein gehen.“
„Ja, aber wenn möglich, dann lässt er sich lieber herumtragen.“
„Ich hoffe, ich werde in einigen Jahren erfahren, in welches Haus der Junge kommt. Bei den Eltern“, Dumbledore blickte zu Susan und Draco, „wahrlich eine schwierige Überlegung.“
„Möglicherweise kommt er nach Durmstrang“, wollte Lucius dagegenhalten, doch sein Sohn fiel ihm in den Rücken.
„Nein“, widersprach Draco, „er kommt nach Hogwarts.“ Er wandte sich an den Direktor. „Susan und ich haben auch schon überlegt. Wir tippen auf Ravenclaw.“
„Ravenclaw wäre eine gute Wahl.“ Der Direktor sah einen Augenblick dabei zu, wie Charles und Nicholas zusammen spielten, bevor er mutmaßte: „Womöglich kommen die beiden sogar ins gleiche Haus? Eine Freundschaft wie diese kann den Sprechenden Hut durchaus beeinflussen.“

Solange Dumbledore nur oberflächliches Gerede von sich gab, würde ein Kopfnicken genügen, dachte Lucius. So schlimm war es am Ende nicht. Ein paar freundliche Worte wechseln, dem Brautpaar gratulieren und sich hinter dem Enkel verstecken. So brachte Lucius diesen Abend, der ihm im Vorfeld eine Menge Nerven gekostet hatte, mit beinahe spielerischer Leichtigkeit über die Bühne.

Der erste September verlief auch für zwei andere Personen trotz übelster Befürchtungen sehr ruhig, vor allem aber erfolgreich. Niemand hatte damit gerechnet, dass das Ministerium den eingereichten Antrag von Fogg sofort bearbeiten würde. Selbst Sid war davon positiv überrascht. Mr. Fogg hatte nicht nur in allen Punkten Recht erhalten. Man beteuerte ihm sogar schriftlich, dass er nach den neuen Gesetzen sein Eigentum am ersten September zurückerhalten würde.

So standen sie hier, Fogg, Stringer und Duvall, und schauten aus der Distanz dabei zu, wie die Damen und Herren der Magischen Polizeibrigade Foggs Ehefrau samt Schwiegereltern aus seinem Haus begleiteten.

„Mr. Fogg?“ Sid Duvall hatte sämtliche vom Ministerium beglaubigten Papiere dabei, die ihm die Befugnis gab, die in diesem Haus wohnende Familie Fogg auf die Straße zu setzen.
„Ja, Mr. Duvall?“
„Sie können schon in ihr Haus hineingehen, wenn Sie möchten. Die Polizeibrigade wird nur noch dafür sorgen, dass ihre Verwandten keine Gegenstände entwenden.“
„Nein, ich bleibe erst einmal hier. Dabei ist mir wohler.“
„Wie Sie meinen.“

Duvall marschierte mit seinen Unterlagen zum Einsatzleiter, um mit dem etwas zu bereden.

Stringer stand neben seinem Freund Fogg und beobachtete die Frau mittleren Alters, die ihre Tränen nicht zurückhalten konnte. „Ist das da deine Frau?“
„Nicht mehr lange. Die Scheidungspapiere habe ich vor ein paar Tagen unterzeichnet und ihr zugeschickt.“
„Muss ein scheiß Gefühl sein, einfach so vor dem Nichts zu stehen“, sagte Stringer und fügte sofort hinzu, „jetzt wissen sie endlich, was sie dir angetan haben.“
„Leider etwas spät.“

Zu Foggs Frau gesellten sich die Schwiegereltern und ein weiterer Herr.

„Ach, sieh mal einer an“, zischte Fogg gereizt. „Der Hausheiler der Familie. Ich hätte wissen müssen, dass sie was mit dem anfängt. Somit steht der Scheidung zumindest nichts mehr im Weg. Dieses hochnäsige, kleine Lud…“
„Willst du sie mal richtig schockieren?“
„Gern, aber wie?“
„Schaut sie her?“

Stringer vergewisserte sich, dass Foggs noch-Ehefrau gerade in ihre Richtung blickte, bevor er den Kopf seines Freundes mit beiden Händen stillhielt und ihm einen Kuss auf den Mund gab. Davon völlig überrascht reagierte Fogg überhaupt nicht, bis auf seine Augen, die mit einem Male weit aufgerissen waren. Stringer schaute gleich darauf nochmals zu Foggs Gemahlin.

„Ha, sieh mal! Sie ist ohnmächtig geworden“, freute Stringer sich. Dann schlug er Fogg auf die Schulter. „Komm, zeig mir dein Haus.“ Neugierig ging Stringer vor, während Fogg sich zunächst aus der Fassungslosigkeit lösen musste.


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