Forum | Chat | Galerie
 
Startseite | Favoriten
Harry Potter Xperts
Harry Potter Xperts
Startseite
Newsarchiv
Link us
Sitemap
Specials
Shop
Buch 7
Buch 6
Buch 5
Buch 4
Buch 3
Buch 2
Buch 1
Lexikon
Lustige Zitate
Gurkensalat
Hörbücher
Harry, A History
Steckbrief
Biographie
Werke
Erfolgsgeschichte
Interviews
Bilder
Harry Potter & Ich
JKRowling.com
Film 7, Teil 1 & 2
Film 6
Film 5
Film 4
Film 3
Film 2
Film 1
Schauspieler
Autogramme
Galerie
Musik
Videospiele
Downloads
Lesetipps
eBay-Auktionen
Webmaster
RSS-Feed
Geburtstage
Gewinnspiele
Twitter
Fanart
Fanfiction
User-CP
Quiz
Währungsrechner
Forum
F.A.Q.
Ãœber uns
Geschichte
Impressum

Fanfiction

Harry Potter und die Schatten der Vergangenheit - Nacht der Wunder

von Muggelchen

„Siehst du, Molly: Es hat dich niemand darauf angesprochen, dass der Tanz des Brautpaares ...“

Ein leises Schnarchen ließ Arthur mitten im Satz aufhören. Den langen Tag der Hochzeit spürten viele in ihren Knochen. Molly schien anfangs die Ausnahme zu sein. Gerade noch plauderte die auf dem Bett liegende Frau mit ihrem Mann über den ereignisreichen Tag, da übermannte sie der Schlaf. Er selbst war noch viel zu aufgekratzt, um sich hinzulegen. Aufmerksam blickte er sich im Hotelzimmer um. An jedem einzelnen Möbelstück erkannte man, wie edel die Schlossräume eingerichtet waren. Selbst das Badezimmer war mit seiner eingelassenen Wanne ein Traum. So verführerisch ein heißes Bad auch sein mochte, er wollte Molly um nichts in der Welt wecken. Ein Bad kam nicht in Frage, aber nicht, weil sie es hören würde – dagegen gab es Zaubersprüche. Molly würde merken, dass er nicht neben ihr lag. Damit sie nicht besorgt aufwachen und nach ihm suchen würde, legte sich Arthur neben sie und deckte sie zu, bevor er ihr noch einen Kuss auf die Stirn gab.

Die Weasleys waren im Schloss Schnatzer alle auf einer Etage untergebracht. Ein Zimmer weiter kam Fleur gerade aus dem Badezimmer. Sie zupfte sich das seidene Nachthemd zurecht und schaute danach zum Bett hinüber.

„Bill, lass bitte dein Gesicht in Ruhe“, bat sie, als sie sich neben ihn legte.
„Ich kann nichts dafür. Es juckt. Das muss vom Rauch kommen.“
„Es wurde auf der Hochzeit überhaupt nicht geraucht, mein Schatz.“ Weil er sich vorsichtig mit einer Hand über das Gesicht fuhr, fasste sie einen Entschluss. „Warte einen Moment.“ Aus ihrem Kosmetikkoffer holte sie eine kleine Dose, deren Deckel sie abschraubte, bevor sie sich wieder aufs Bett setzte. „Komm her, mein Schatz.“
„Was ist das?“ Als er sich aufsetzte, bemerkt er sofort den angenehmen Geruch, den der Inhalt der Dose verströmte.
„Eine Salbe mit Nachtkerzenöl.“ Daraus wurde Bill nicht schlau, also erklärte sie: „Das ist eine Blume. Die Salbe hilft bei juckender Haut.“ Mit einem Zeigefinger nahm sie etwas davon auf und führte es an Bills Wange.
„Ich kann das selbst machen“, sagte er beschämt.

Ihr Finger strich bereits über die Wange mit den knotigen Verwachsungen, die entstanden waren, weil Teile der Haut zusammenwachsen mussten, obwohl etwas von ihr fehlte. Ein Gruß von Greyback. Langsam massierte sie die vernarbte Stelle direkt unter dem Wangenknochen. Als sie fertig war, kam die andere Seite an die Reihe. Hier war sie vorsichtiger. Die Haut war dünn, könnte sogar reißen oder mit Leichtigkeit durchstochen werden, sagte damals ein Heiler im Mungos. Das war der Grund, warum Bill sich angewohnt hatte, besonders harte Sache wie die Kruste von Brot nur noch auf der anderen Seite zu kauen. Bill hatte die Augen mittlerweile geschlossen und genoss die wohlfühlende Gesichtsmassage, vor allem aber den abklingenden Juckreiz.

„Vielleicht war es nur der Stress des ‘eutigen Tages?“
Ganz selten vergaß sie bei ihrer Aussprache ein h, weshalb Bill lächeln musste. „Ich hatte keinen Stress“, hielt er mit sanfter Stimme dagegen. Stirn und Hals wollte sie nicht außen vor lassen. Entspannt warf er den Kopf nach hinten und ließ sich von ihr verwöhnen. Am Ende gab sie ihm je einen Kuss auf die geschlossenen Augenlider.
„Ist es besser?“, wollte sie wissen.
„Auf jeden Fall! Das Zeug wirkt Wunder. Ich hätte nie gedacht, dass du so etwas brauchst.“
Minimal beleidigt stellte sie richtig: „Ich brauche solche Cremes nicht. Ich habe sie wegen deiner Mutter mitgenommen. Sie bekommt manchmal diese“, sie fuchtelte vor ihrem Gesicht herum, „scheußlich roten Flecken, wenn sie sich überanstrengt.“
„Das ist lieb von dir. Weiß sie, dass du so an sie denkst?“
Fleur schraubte den Deckel auf die Dose und stellte sie auf dem Nachttisch ab. „Sie muss es nicht wissen.“ Dicht an ihn geschmiegt gab sie ihm einen Kuss auf die durch alte Wunden verformten Lippen. „Schlaf gut, mein Herz.“

Ein Zimmer weiter übernachtete Charlie, doch er lag noch nicht im Bett. Stattdessen stand er in der großen Wanne und ließ sich vom Duschkopf mit heißem Wasser berieseln. Zudem schrubbte er jede Stelle seines Körpers mit einer Bürste, sog dabei durch die Zähne Luft ein.

„Das ist ja nicht auszuhalten“, murmelte er genervt. Nicht gerade zaghaft navigierte er die Bürste mit drehenden Bewegungen über jede einzelne Partie seines Körpers, auch über die Narben, die er im Laufe der Jahre von seinen lieben Drachen davongetragen hatte. Lediglich eine Stelle packte er nicht grob ab. Die gerötete Haut trocknete er zaghaft mit einem der großen Handtücher. Auch Charlie kannte die Wirkung der Nachtkerzensalbe. Die gehörte zur Standardausrüstung der Reservatsangestellten. Großzügig verteilte er die gut duftende Salbe auf dem ganzen Körper. Danach ging er noch immer nicht ins Bett, sondern las sich zum siebten Mal die Verträge durch, die seine Vorgesetzten ihm für Snape mitgegeben hatten. Die ganze kommende Woche war Charlie noch im Land. Die Apotheke von Hermine wollte er unbedingt sehen, bevor er wieder nach Rumänien reisen müsste. Nur langsam kam die Müdigkeit. Charlie gab nach und legte sich ins Bett. Durch die Wand hindurch konnte er Stimmen hören. Es musste George sein, dachte Charlie, bevor er einschlief.

George und Percy teilten sich ein Zimmer. George hätte auch mit Charlie zusammen übernachten können, wie er es anfangs auch wollte, aber aus irgendeinem Grund glaubte er, Percy würde sich dann ausgeschlossen fühlen. Noch immer war Percys Vergangenheit, seine Arbeit unter Fudge und seine beinahe unverzeihlichen Handlungen, bei denen man nur mit dem Kopf schütteln konnte, ein wunder Punkt der Familie Weasley. Wenn George in sich ging und sich die Frage stellte, welchen Bruder er weniger mochte, dann wäre die Antwort Percy. Solche Fragen stellte man jedoch niemanden. Man sollte sich nicht einmal sich selbst stellen. Dieser eine Bruder schlug vom Wesen her völlig aus der Reihe. Er war ordnungsliebend, pflichtbewusst und – was die Familie fast entzweit hätte – viel zu ehrgeizig. Schon während des Krieges hatten sich Percys Ansichten geändert, aber seine Familie traute ihm nicht über den Weg. Erst nach dem Sieg über Voldemort wollten sie ihn empfangen. Ginny hat mit der Benennung ihres Jungen einen neuen Grundstein für die Familie gelegt. Percy gehörte dazu. Das wollte auch George ihm zeigen. Was ihm nur gegen den Strich ging war das ständige Nörgeln.

„George! Du kannst nicht einfach andere belauschen.“
George nahm das Ohr von der Wand und fragte mit frechem Grinsen: „Doch, das geht ganz leicht. Hast du doch eben gesehen.“
„Sowas macht man aber nicht.“ Percy schüttelte den Kopf, hielt George für unverbesserlich und das war er auch. Während Percy sich am hoteleigenen Schreibtisch wieder seinem Pergament widmete und nach Worten grübelte, die er niederschreiben wollte, drückte George erneut das Ohr an die Wand. Er hörte jemanden lachen, laut lachen. Es war Harry.
„Was treiben die nur in ihrer Hochzeitsnacht?“, fragte George in den Raum hinein, als er gelangweilt die halbherzige Observation sein ließ.

Es wäre witzig gewesen, morgen beim Frühstück gewisse Geräusche aus dem Nebenzimmer anzusprechen, um Harry einen gesunden Rotton auf die Wangen zu zaubern, aber sein Schwager schien sich auf ganz andere Weise zu amüsieren. Georges Interesse widmete er nun dem Bruder, mit dem er das Zimmer teilte. Stocksteif saß Percy an dem gemütlich wirkenden Tisch und strich sich mit der Feder über die Lippen, während er verträumt in die Gegend blickte. Er war mit seinen Gedanken woanders. Leise schlich sich George an und stierte Percy über die Schulter. Auf dem Pergament stand Liebe Penelope – mehr nicht.

„Wow!“ Bei dem einfachen Ausdruck der Überraschung fuhr Percy erschrocken zusammen, drehte sich um und bedeckte gleichzeitig das Geschriebene mit der freien Hand, obwohl es längst zu spät dafür war. „Hat es dich erwischt?“ Zwar bekam nicht Harry, dafür aber Percy rosige Wangen. Für George eine kleine Genugtuung. „Was willst du ihr schreiben?“
Percy überlegte, ob er offen sprechen wollte und gab sich einen Ruck. „Ob sie ...“ Er zögerte. „Ob sie sich mit mir treffen möchte.“
„Dann schreib doch einfach: Liebe Penelope, ich würde dich gern zum Essen einladen. Wie wäre es am kommenden Wochenende im – hier setzt du das Restaurant deiner Wahl und die Uhrzeit ein“, gab George an nett gemeinten Ratschlag.
Percy stutzte. „Ein wenig plump, oder?“
„Zumindest bringst du deine Absichten auf den Punkt, anstatt mit Zweideutigkeiten alles hinauszuzögern. Und“, George hob den Zeigefinger, „du erfährst es schneller, wenn sie nichts von dir möchte. Stell dir vor, du schreibst ihr monatelang – in deinem Fall wohl eher jahrelang – nette Briefe und wenn du den nächsten Schritt wagst, dann heißt es von ihr“, er verstellte die Stimme und sprach hoch, „oh Percy, ich dachte, wir wären nur gute Freunde.“
Irgendetwas regte sich in Percy. Er nickte. „Du hast Recht“, gab er leise zu. Nach einem kleinen Seufzer sagte er: „Ich schreibe ihr morgen. Langsam bin ich wirklich müde.“ Percy stand auf, doch bevor er ins Badezimmer ging, wollte er plötzlich wissen: „Ist das mit Gabrielle ernst?“
Regungslos blickte George ihn an, schien selbst nach einer Antwort zu suchen, die er geben wollte. „Ich weiß es nicht, kenne sie ja kaum. Sie ist nett.“
Sein zwei Jahre älterer Bruder musste schmunzeln. „Du bist ihr heute nicht von der Seite gewichen.“
„Was daran lag“, schob George als Erklärung vor, „dass sie von Fleur und ich von Fred dazu genötigt wurde, Schluss mit unserem Singleleben zu machen. Gabrielle war genauso genervt wie ich. Nachdem wir nur noch zusammen in Erscheinung traten, hatten wir plötzlich unsere Ruhe, also verbrachten wir den Rest des Abends zusammen.“
„Mmmh“, machte Percy nicht sehr überzeugt. „War also nur ein Mittel zum Zweck. Wirst du sie nochmal sehen?“
„Wir treffen uns Montag und am Mittwoch begleite ich sie ins Ministerium, wo sie ihren Portschlüssel für die Weiterreise abholt.“
Percy zog beide Augenbrauen nach oben. „Weiterreise?“
„Sie macht einen Abstecher nach Island, um einen Zauberstabhersteller zu besuchen. Ihre Ausbildung macht sie aber in Frankreich, bei Fernandi.“
„Du meintest doch, du kennst sie kaum.“

Diesmal war es George, bei dem sich ein Hauch Röte über die Wangen legte. Grinsend verschwand Percy im Bad. George wollte sich gerade hinlegen, da hörte er nebenan nochmals jemanden gackern.

Es war Harry, der vor lauter Lachen schon vom Bett gefallen war.

„Was hat er gesagt?“, wollte er nochmal von Ginny hören.
Ginny tat ihm den Gefallen und schilderte von vorn: „Als Seamus stolz herumerzählte, dass er auf dem Rückweg von Hermines Geburtstagsfeier zufällig auf Umbridge uriniert hat, da meinte Sirius ...“ Harry begann wieder kichern, obwohl sie es noch gar nicht gesagt hat. Bei seinem Anblick musste nun auch Ginny anfangen zu lachen. Sie riss sich zusammen, als sie völlig gelassen seinen Patenonkel imitierte: „Die würde ich nicht einmal anpinkeln, wenn sie brennen würde.“ Harrys Augen tränten. Zu gern hätte er seinen Patenonkel dabei gesehen. „Harry“, lachte Ginny, „der Witz ist uralt.“
„Mag sein“, er rückte seine Brille gerade, grinste dabei noch immer breit, „aber mit Seamus‘ Vorgeschichte passt das so wunderbar.“
„Dafür hätte er wirklich einen Orden verdient“, stimmte Ginny mit ein. Sie zog die Bettdecke zurück, um sich hinzulegen. „Kommst du auch ins Bett oder schläfst du daneben?“, stichelte sie. Langsam kroch er ins Bett, legte die eben noch geradegerückte Brille auf dem Nachttisch ab. Als er die Matratze berührte, begann Harry mit schlängelnden Bewegungen damit, seinen Rücken am Laken zu reiben. „Was wird denn das?“, wollte Ginny wegen der seltsamen Bewegungen wissen.
„Ich glaube, ich habe meine Hochzeitsgarderobe nicht vertragen. Es juckt überall.“
„Kann ich dir irgendwie behilflich sein?“ Ungenau deutete sie in eine Richtung. „Soll ich den Stuhl für dich in einen Kratzbaum verwandeln.“
„Sie sind ganz schön vorlaut, Mrs. Potter.“ Der Name klang in Harrys Ohren wie ein wahrgewordener Traum.
„Dreh dich mal um, und zieh vor allem deinen Pyjama aus. Was soll denn das?“, beschwerte sie sich scherzhaft. „Es ist unsere Hochzeitsnacht und du kommst in voller Montur ins Bett.“
„Entschuldige vielmals, werde es sofort ändern.“ Im Nu hatte er sich aufgesetzt und zog das Pyjama-Oberteil aus, das er kurzerhand ziellos in den Raum warf. Die Hose folgte. „Könntest du ...?“ Er drehte sich auf den Bauch und zeigte ihr den Rücken.
„Meine Güte, Harry. Hast du eine Allergie, von der ich nichts weiß? Dein Rücken ist ganz rot.“
„Wirklich? So rot wie mein Haare vorhin waren?“
Der Scherz ihrer Brüder ließ sie lächeln. „Nein, sieht eher aus, wie ein leichter Sonnenbrand.“ Mit den Fingern einer Hand strich sie sanft über die weißen Narben, die von geröteter Haut umgeben waren. Eine Menge Todesser hatten sich nicht getraut, Harry von Angesicht zu Angesicht gegenüberzustehen, weshalb sie ihn feige von hinten angriffen. „Juckt es schlimm? Ich könnte was besorgen, damit sich die Haut beruhigt.“
„Nein, wenn du bitte nur ein bisschen schubberst? Dann wird es schon gehen.“

Leicht wie eine Feder ließ sich Ginny auf seinem Allerwertesten nieder und legte ihre Handflächen auf seine Schulterblätter. Mit streichenden, teils kreisenden Bewegungen begann sie damit, gegen seinen Juckreiz anzugehen. Bei der zaghaften Berührung fing Harry an zu stöhnen.

„Oh, ja! Das ist genau das“, ein wonniger Seufzer unterbrach seinen Satz, „was mir jetzt gefehlt hat.“
„Dass wir verheiratet sind“, ihre Handflächen strichen mit leichtem Druck neben seiner Wirbelsäule hinunter bis zum Po, „bedeutet aber nicht, dass ich ab jetzt deine persönliche Masseurin bin.“
„Nicht?“, stichelte er vorgetäuscht irritiert. „Wozu habe ich dich dann geheiratet?“

Ginny konnte nicht anders. Seinen Scherz bestrafte sie aktiv, denn sie kitzelte seine völlig schutzlosen Seiten und brachte Harry auf diese Weise zum Schreien, bis er sich gackernd zusammenrollte, um ihrer Kitzelattacke zu entgehen. Er scheiterte kläglich.

Gleich im Zimmer nebenan saßen Fred und Verity am Kopfende ihres Bettes und starrten gemeinsam ungläubig zur Wand hinüber, hinter der jemand erneut in Gelächter ausgebrochen war – einmal sogar japsend nach Hilfe rief. Verity führte ihre Hand hinüber zu Freds und umfasste sie.

„Was treiben die da nur?“, fragte sie ihren langjährigen Freund.
„Jedenfalls nicht das“, begann er nüchtern, „was ich in einer Hochzeitsnacht treiben würde.“
Verity seufzte. „Du willst doch gar nicht heiraten. Dann wirst du auch nie erfahren, was in der Nacht danach passieren könnte.“
Aus ihren Worten hörte Fred einen Vorwurf heraus. „Haben wir das Thema nicht schon bis zum Erbrechen durchgekaut?“
Wütend richtete sich Verity im Bett auf, zog ihre Kopfkissen hinunter und schlug zweimal auf die unschuldigen Daunenfedern ein, während sie zischelte: „Bis zum Erbrechen ist genau die richtige Bezeichnung. Du konntest es ja nicht lassen, lieber eine Kotzpastille zu schlucken, als mit mir zu reden.“ Sie wandte ihm den Rücken zu und schmiss sich auf die Kissen.
„Verity …“
„Gute Nacht!“ Mit einer Handbewegung löschte sie das magische Licht auf dem Nachttisch.

Irgendetwas war während des kurzen Gesprächs schiefgelaufen, das war Fred klar geworden. Gespräche über eine mögliche Hochzeit hatte er immer gemieden, manchmal mit zugegebenermaßen sehr brachialen Methoden, als er beispielsweise erwähnte Kotzpastille eingenommen hatte, um sich nicht mehr zum Thema äußern zu müssen.

„Ich verstehe es nicht“, sagte er in die Dunkelheit hinein. „Warum ist eine Unterschrift so wichtig? Wir können auch so glücklich sein.“ Neben ihm schnaufte es, doch Verity hielt den Mund. „Es ist doch alles gut wie es ist, oder etwa nicht?“
„Unsere Beziehung stagniert, Fred! Alles um uns herum entwickelt sich weiter, wirklich alles. Mit dem Scherzartikelladen geht es kontinuierlich bergauf, in der Gesellschafft allgemein ändert sich vieles zum Positiven und sieh‘ nur mal die Menschen um uns herum! Da heiraten Leute, die sich nicht einmal so lange kennen wie wir uns. Bei uns ändert sich absolut nichts.“ Sie seufzte, bevor sie leise offenbarte: „Ich weiß ehrlich gesagt nicht, wie viele Hochzeiten und Geburten ich in unserem Bekanntenkreis noch ertragen kann, ohne in Selbstzweifeln zu ertrinken.“ Diesmal blieb Fred still, so dass sie sich zu ihm drehte. Im Dunkeln sah sie seine Augen glitzern. Er lag auf dem Rücken und blickte zur Decke, ließ sich ihre Worte durch den Kopf gehen. „Ich weiß“, begann sie leise, „warum du dich so sträubst.“
„Ach ja?“, fragte er unerwartet feindselig zurück.
Verity rückte näher und war froh, trotz seiner harschen Worte von ihm empfangen zu werden, denn er legte seinen Arm um ihre Schulter. „Kann es sein, dass du befürchtest, auf einen Schlag erwachsen sein zu müssen?“
„Unsinn!“
Von seinem Einwand ließ sie sich nicht irritieren. „Glaubst du, du dürftest nicht mehr Kind sein, wenn du selbst eines hast?“
„Man muss doch aber nicht heiraten, um Kinder zu bekommen“, hielt er ihr vor Augen.
„Muss man nicht, aber ich würde es schön finden.“
„Warum?“, wollte er ernsthaft wissen. „Damit du einen Ring herumzeigen kannst?“
„Mir ist egal, was andere denken. Der Ring ist nur für mich. Wenn ich Ware in die Regale sortiere, dann werde ich ihn sehen, oder wenn ich koche oder bade. Ich werde mich nie alleine fühle.“
„Du kannst auch so an mich denken. Dazu brauchst du keinen Ring“, versuchte er, seinen Standpunkt zu verteidigen.
Verity legte einen Arm um seinen Oberkörper. „Wenn ich plötzlich versterben sollte ...“
„Ich will sowas nicht hören!“
„So etwas es kann jederzeit passieren, Fred. Und wenn ich nicht mehr unter den Lebenden weilen sollte, dann wird alles, was ich besitze, automatisch meinen Eltern und meiner Schwester gehören.“ Gedanklich notierte sie, demnächst einen letzten Willen schriftlich zu gestalten, damit genau das nicht eintreffen würde. „Und wenn man mich böse verfluchen sollte und ich im bewusstlos Mungos liege“, sein Arm drückte sie leicht an sich, „dann wird man dich nicht zu mir lassen“, ihre Stimme bebte, „weil du nicht zu meiner Familie gehörst.“ Dieses fiktive Szenario ging ihr sehr nahe. „Dabei würde ich dich gerade in so einem Moment ...“

Der Rest des Satzes wurde erstickt, als Fred sie so sehr an sich drückte, dass ihr Gesicht sich an sein Schlüsselbein schmiegte. Um sich selbst wieder zu beruhigen, pflanzte sie einen Kuss auf die weiche Stelle unter seinem Adamsapfel. Der Kuss trug auf der Stelle Früchte, denn auf ihrer Stirn regnete es viele kleine Küsse.

Weit weg in Malfoy Manor lagen Narzissa und Lucius ganz ähnlich in ihrem Ehebett zusammen. Auch er küsste die Stirn seiner Frau, doch sein Atem dabei war nicht so ruhig wie der von Fred. Selbst Narzissa holte kräftig Luft. Während beide darauf warteten, dass ihre Herzen sich beruhigten, bedachten sie den anderen mit sanften Liebkosungen.

Nach einer Weile blickte Narzissa ihren Mann an. Ein seliges Lächeln hatte sich zu dem befriedigtem Gesichtsausdruck gesellt, als sie fragte: „Sagtest du nicht, deinem Rücken geht es heute nicht sonderlich gut?“
„Das war während der Feier“, hauchte er erschöpft, beinahe dem Einschlafen nahe. „Als ich vorhin vor dem Zu-Bett-Gehen sagte, ich würde mich wie ein junger Gott fühlen, war das nicht gelogen.“
„Ja schon, aber dass du auch wie einer liebst ...?“
Lucius fühlte sich geschmeichelt. Er lächelte nun ebenfalls, aber nicht nur mit dem Mund, sondern auch mit den Augen, was kaum jemand neben seiner Frau zu sehen bekam. Er blinzelte müde. „Vielen Dank für das Kompliment.“ Mit einem Kuss auf die porzellanhafte Stirn wollte er seine Worte unterstreichen. Blind griff er nach der Decke, die sie in ihrer stürmischen Leidenschaft ans Fußende geschoben hatten. Liebevoll deckte er sie und sich mit dem dünnen Federbett zu. „Ich habe Lust“, begann Lucius schläfrig, „morgen mit dir irgendwohin zu gehen.“
„Wohin denn?“
„Ich weiß es nicht. Vielleicht an einen verträumten See, den wir ganz für uns allein haben. Wir könnten uns ein paar schönen Stunden machen, nur du und ich.“
Sie kicherte. „Du möchtest mich aber nicht zum Nackbaden verführen, oder?“
Eine Erinnerung an die Hochzeitsreise blitzte auf. Der Indische Ozean. Narzissa, wie sie ihren Hut festhielt. Die freche Brise, die ihr Kleid gelüftet hatte und schlanke Beine freilegte – und der See, den sie mit niemanden teilen mussten. „Nur wenn du möchtest.“ Narzissa spürte an ihrer Stirn, wie Lucius grinste. „Niemand wird uns sehen, dafür sorge ich“, beruhigte er sie. „Schlaf gut, mein Täubchen.“

Bei der sentimentalen Bezeichnung, die Lucius damals gern während der Zeit des Werbens benutzt hatte, fühlte sich Narzissa in die Vergangenheit zurückversetzt, aber das erste Mal während ihres neuen Lebens hatte eine Erinnerung an alte Zeiten keinen bitteren Beigeschmack. Das war etwas, was sich nie geändert hatte: die Liebe zu ihrem Mann.

Im gleichen Herrenhaus kuschelte sich Draco an Susan – nicht umgekehrt, wie man meinen könnte. Nach dem entspannenden Techtelmechtel legte sie einen Arm um ihn und strich gedankenverloren über sein Schulterblatt bis hin zum Oberarm und wieder zurück. Eine ganze Weile verlor keiner von beiden ein Wort. Über Liebesnächte musste man nicht sprechen, man musste sie erleben.

Kurz vorm Einschlafen wollte Susan unbedingt in einem einzigen Satz den gesamten Tag umschreiben, denn sie flüsterte: „Die Hochzeit war wunderschön.“
„Mmmh“, stimmte er müde zu. „Ich bin ganz froh, dass wir beide vor Harry geheiratet haben.“
„Wieso denn das?“ Sie drehte ihren Kopf, damit sie ihm in die Augen sehen konnte, doch die waren geschlossen.
Dennoch antwortete er: „Weil jeder, der nach ihm heiratet, enorme Schwierigkeiten haben wird, seine Braut zu beeindrucken.“
„Wieso?“
„Versuch doch mal, den heutigen Tag zu übertrumpfen. Das wird schwer werden.“
„Ach“, sie schüttelte den Kopf, „ich glaube nicht, dass jemand sich an der Hochzeitsfeier eines Freundes orientieren muss, um eine eigene, wunderbare Vermählung zu erleben.“
„Man möchte seiner Zukünftigen doch aber etwas bieten.“
„Nach welchen Maßstäben soll man da gehen? Nicht jeder hat das Geld für so eine Feier. Ich will gar nicht wissen, was das alle gekostet hat.“
Draco war wieder putzmunter. Er küsste Susan knapp über der Achsel, wo die Haut besonders weich war, bevor er sie anschaute. „Ich habe Bilder von der Hochzeit meiner Eltern gesehen. Die Feier meiner Tante war noch pompöser. Jeder wollte den anderen übertreffen.“
„Das ist völlig bescheuert“, sagte sie mit einem Grinsen auf den Lippen. Mit ihrer freien Hand strich sie sich über die Schulter, die seit heute Abend unangenehm schmerzte. „Bei deinem Patenonkel kann ich mir zum Beispiel nicht vorstellen, dass ihm an einer großen Hochzeitsfeier mit unzähligen Gästen etwas liegt. Er würde viel mehr im kleinen Kreis feiern.“
„Severus? Der würde gar nicht heiraten“, sagte Draco sehr von sich überzeugt.
„Da habe ich heute aber etwas anderes gehört.“
Von ihren Worten neugierig gemacht stützte er sich auf seinem Ellenbogen ab, damit er sie gut sehen konnte. „Wie meinst du das?“
„Ich habe gehört, wie dein Vater deiner Mutter von der Neuigkeit erzählt hat, Severus hätte sich verlobt.“ Völlig verdutzt öffnete Draco seinen Mund, doch es kam kein einziges Wort heraus. „Du kannst mir glauben, Schatz“, versicherte sie ihm. „Dein Vater war nicht gerade begeistert, aber deine Mutter hat sich gefreut wie ein Schneekönig.“
„Severus ...“ Er riss die Augen auf, schluckte kräftig. „Severus ist verlobt? Seit wann? Und mit wem?“ Die Antwort fiel ihm sofort ein. „Nein, sag nichts. Es ist Hermine, oder?“ Es war weniger die Tatsache, dass Hermine die Auserwählte war. Viel überraschender war die Aussage, dass Severus überhaupt jemanden heiraten wollte. „Hermine?“
Susan lachte. „Wer denn sonst?“
Ein gedanklicher Vergleich bestätigte, dass Severus zwar durchaus ein paar andere Frauen kannte, aber keine von denen so gut, dass er sie ehelichen würde. Es blieb nur ... „Hermine“, wiederholte er überrascht. „Warum hat er mir nichts erzählt? Und vor allem: Warum hat Hermine mir nichts erzählt? Sie war meine Trauzeugin, verdammt.“
„Warum regst du dich so auf? Es kann doch sein, dass sie es nur nicht vor allen Leuten sagen ...“
„Ich bin doch nicht ‚alle Leute‘, Susan. Ich bin sein Patenkind!“
„Und er sehr gnatziges noch dazu.“
„Nun werden Sie mal nicht beleidigend, Mrs. Malfoy.“
Bei der Anrede mussten beiden lächeln. „Draco, du bist ein Schatz, wirklich. Trotzdem ist es Sache deines Patenonkels, wann er wem irgendwelche Neuigkeiten aus seinem Leben preisgibt.“
„Hermine hätte mir doch sagen ...“
„Für sie gilt das Gleiche.“ Mit beiden Armen wollte sie ihn an sich drücken, da strich sie ihm über den Brustkorb, woraufhin er Luft durch die Zähne einsog. „Was hast du?“
„Ach, nichts. Die Narbe juckt nur ganz furchtbar.“ Myrthes Toilette. Harry. Eine Menge Wut und Sectumsempra. „Mr. Moody meinte vorhin, wenn seine Narben jucken, dann schneit es bald.“
Susan stutze. „Wir haben Juni.“
„Das habe ich ihm auch gesagt. Daraufhin meinte er, es wären ja nicht seine Narben, die jucken würden.“ Draco seufzte. „Ich kann ihn irgendwie nicht ausstehen.“
„Er ist doch aber ganz nett.“ Mit einem Male huschte Susan ein Bild Mr. Moody als Lehrer für Verteidigung durch den Kopf. „Ist es wegen dem falschen Moody, bei dem wir Unterricht hatten?“ Draco winselte, was einem Ja gleichkam. „Das war doch ein anderer.“
„Bei Merlin, erinnere mich bloß nicht Crouch junior. Ich habe nicht mal gewusst, dass er ein Todesser war. Und ich habe ihn gehasst, als er mich in ein ...“
Stille trat ein. Susan konnte nichts dagegen unternehmen, ständig das Wort „Frettchen“ in Gedanken zu wiederholen. „Crouch junior war ein Idiot. Der echte Moody hätte das niemals getan.“
Draco schnaufte. „Weißt du, was mich damals wirklich überrascht hat?“
„Was?“
„Dass Professor McGonagall für mich eingetreten ist. Sie hat ihn für sein Verhalten zurechtgewiesen. Das war das erste Mal, dass sie mir sympathisch war.“ Trotzdem lachten die anderen Schüler. Draco konnte das Gelächter noch heute hören. Die Situation war peinlich gewesen, kränkend.
Susans verträumte Stimme riss ihn wieder aus den unangenehmen Gedanken. „Ich hätte dich gern als weißes Frettchen gesehen“, sagte sie ohne jeden Spott in der Stimme. „Frettchen sind niedlich.“

Damit brachte sie ihn sogar dazu, diesen verletzenden Moment seines Lebens in einem anderen Licht zu sehen. Susan lachte nicht über ihn, hätte auch damals nicht gelacht, wäre sie dabei gewesen. Als Dankeschön strich er ihr übers Haar.

Mit einer Strähne spielte er verliebt, als er sagte: „Weißt du eigentlich, wie sehr mir dein Haar gefällt? Es sieht aus wie der Himmel bei einem Sonnenaufgang.“
„Oh, du Schmeichler.“ Mit einem Kuss auf die Lippen bedankte sie sich für sein Kompliment.

Nicht nur die Malfoys hatten das Angebot ausgeschlagen, im Schloss Schnatzer übernachten zu dürfen. Die meisten Lehrer waren zurück nach Hogwarts gegangen, aber auch Neville und Luna. Beide waren erst jetzt aus dem Mungos zurückgekehrt, nachdem sie wegen der späten Uhrzeit eine Rüge von der Nachtschwester über sich ergehen lassen mussten. Manchmal war Neville froh, dass seine Großmutter selten ein Blatt vor den Mund nahm, denn selbiges wendete sich, als Augusta Longbottom der Nachtschwester die Leviten las und auf einige Missstände hinwies, die man, wenn man Böses vermuten würde, der Unfähigkeit besagter Nachtschwester zuschreiben konnte. Die Nachtschwester ließ die Longbottoms ohne weitere Worte ihre Arbeit verrichten. Zusammen mit Schwester Kathleen wurden Alice und Frank entkleidet, gewaschen, in baumwollende Nachthemden gewandet und letztendlich ins Bett gesteckt.

Seine Eltern waren unruhig gewesen. Als Neville sich in seinem Zimmer im Hufflepuff-Terrain aufs Bett setzte und die Socken auszog, rief er sich den Anblick seines Vaters ins Gedächtnis. Immer wieder hatte Frank mehrmals die Augen zusammengekniffen, was er normalerweise tat, wenn ihm etwas schmeckte. Ein Glas Wasser rief diese Reaktion nicht hervor, doch das war es gewesen, was Frank vor dem Schlafengehen noch bekommen hatte. Neville bemerkte nicht, wie er mit seiner Bewegung innehielt. Zeige- und Mittelfinger waren in den elastischen Bund der Socke genauso gefangen wie Nevilles Geist, der für dieses sonderbare Verhalten seines Vaters eine Erklärung suchte. Auch seine Mutter war rastlos gewesen. Sie hatte ihre Arme umhergeworfen. Der Kopf legte sich von links nach rechts, wieder und wieder, und ihre Augen waren weit aufgerissen, wenn sie auch nichts mit ihnen fixiert hatte. Es wäre die Aufregung des Tages gewesen, hatte seine Großmutter gesagt. An Kathleens Mimik konnte Neville jedoch ablesen, dass sie das Benehmen der beiden Patienten nicht nur ebenfalls für auffällig hielt, sondern dass sie sich sorgte. Also sorgte sich Neville auch.

„Der Blick steht dir“, hörte er plötzlich Lunas Stimme sagen.
Neville schüttelte unmerklich den Kopf, um ihn klar zu bekommen. Die Hand taute auf und führte die eingefrorene Bewegung an der Socke automatisch fort. Er schaute zu Luna, die im Schneidersitz direkt vor ihm auf dem Boden Platz genommen hatte. Sie war längst in ihr Nachthemd geschlüpft. „Was für ein Blick?“ Die Socke flog von dannen.
„So verträumt.“
Er lächelte. Gerade sie musste das sagen. Seine Sorge teilte er ihr nicht mit. Morgen würde er seine Eltern sowieso besuchen. Dann könnte er sich davon überzeugen, dass alles wie immer war. Ihm fiel auf, dass Luna sich mit den Fingern einer Hand über den Kopf fuhr und einen unsichtbaren Scheitel zog. „Was machst du da?“
Sie legte beide Hände auf den Kopf, spreizte die Finger und strahlte. „Es fühlt sich an, als würden Engel mich berühren.“
„Wie fühlt sich denn sowas an?“, fragte er völlig ernst, während er damit begann, sein Hemd aufzuknöpfen.
„So“, veranschaulichte sie ihm, denn mit einer Handfläche strich sie sich langsam über den Kopf.
Nevilles Hemd fand auch einen Platz am Boden, bevor er vor Luna auf die Knie sank, damit sie auf gleicher Höhe waren. „So?“, wiederholte er und ersetzte ihre Hand durch die eigene.

Liebevoll streichelte er ihren Kopf. Luna schloss die Augen, als sie seine Berührung genoss. Sie blieb nicht lange passiv, denn sie legte ihre Handflächen auf seine nackte Brust, nur um zu fühlen. Sie fühlte gern. Manchmal kniete sie sich während eines Spaziergangs im Park einfach hin, um ihre Hände von Gräsern kitzeln zu lassen. Wenn sie Neville im Gewächshaus besuchte, kam es nicht selten vor, dass Luna ihre Hände in der feuchten Erde vergrub. Weiches mochte sie, wie Ginnys Minimuff Arnold, aber auch fließendes Wasser oder die rosigen Nasen von Abraxanern. Sie liebte Kieselsteine, Federn, Blüten, sogar Hufeisen. Besonders gern fühlte sie die samtene Haut von Thestralen. Am liebsten von allem war aber das Gefühl von Nevilles Herzschlag, den sie fühlen konnte. Immer wieder aufs Neue war sie davon fasziniert, wie es stetig schneller schlug, sobald sie sich nahe waren. Völlig unverhofft legte sie, noch immer mit geschlossenen Augen, ein Ohr an sein Herz. Neville ließ sich nicht beirren und strich ihr weiterhin über den Kopf.

„Gehen wir ins Bett, Neville.“ Mit ihrer romantisch angehauchten Stimme fügte sie noch hinzu: „Heute ist eine Nacht voller Wunder.“
Neville grinste. „Eine Nacht voller Wunder? Ich glaube, du erwartest ein bisschen zu viel von mir, Luna.“
Langsam entfernte sie sich wieder von ihm. „Ich erwarte einen Gutenachtkuss“, den bekam sie von ihm sofort, „ein wenig Schlaf und eine Überraschung.“
„In der Reihenfolge?“
„Hab ich die Liebe vergessen? Die kommt vor dem Schlaf“, versicherte sie, bevor sie aufstand und ihm ihre Hände entgegenhielt, um ihm aufzuhelfen.

Während die meisten Hochzeitsgäste sich bereits zum ersten Mal in der Nacht im Schlaf umdrehten, kämpften andere damit, ein Auge zuzutun. Obwohl der Körper dringend Erholung forderte, war der Geist hellwach.

Ein solches Sorgenkind war Severus. Im Bett hatte er sich still verhalten, die Augen geschlossen, doch der Schlaf wollte einfach nicht kommen. Der Griff zum Trank der lebenden Toten könnte Abhilfe schaffen, doch Severus fand die Gedanken, die ihn wachhielten, viel zu interessant, als dass er sie in Bewusstlosigkeit ertränken wollte. Am heutigen Tag war eine Menge geschehen. So viel, dass er sofort darüber nachdenken wollte und nicht erst morgen oder übermorgen. Er hatte es wirklich getan, bestätigte er sich in Gedanken selbst. Er hatte den Antrag einer Frau angenommen. Seine Mutter würde jetzt schimpfen „Das gehört sich aber andersherum!“, würde ihn im gleichen Moment herzlich an sich drücken und sehr wahrscheinlich in Freudentränen ausbrechen. Er vermisste sie. Hermine hätte ihr gefallen, auch wenn seine Mutter im ersten Moment – im Gegensatz zu den Grangers – gegen den Altersunterschied gewettert hätte. In solchen Dingen war seine Mutter immer altmodisch gewesen. Severus versuchte sich vorzustellen, wie sein Vater reagiert hätte. Der Mann war schwer einzuschätzen. Wäre er nüchtern, würde er bei dem Gedanken, womöglich bald noch mehr Zauberer und Hexen in der Familie zu haben, sehr wahrscheinlich angewidert die Nase rümpfen. Wäre er betrunken, würde er die zukünftige Schwiegertochter von oben bis unten mustern, flegelhaft aufstoßen und irgendeinen einen nicht salonfähigen Kommentar von sich geben, für den Severus sich in Grund und Boden schämen würde. Es war ganz gut, dass er keinen Kontakt mehr zu diesem Mann pflegte. Noch besser war, dass Hermine seinen Vater nicht kannte. Weniger als eine Handvoll Menschen aus seinem Bekanntenkreis waren jemals Tobias Snape begegnet. Albus stand ihm einmal gegenüber, gezwungenermaßen auch Poppy, die alte Schulfreundin seiner Mutter. Lange musste Severus nicht überlegen, denn es gab sonst niemanden, der diesen ungebildeten, rüpelhaften Gewohnheitstrinker mit ihm in Zusammenhang bringen konnte.

Immer wieder, Severus bemerkte es kaum, kratzte er sich an den gleichen Stellen: unter den Rippen und am Bauch. Neben ihm lag Hermine. Zwar schlief sie, aber merklich unruhig. Sie hatte sich so häufig umgedreht, dass Severus nach dem achten Mal aufgehört hatte zu zählen. Ihre Beine waren besonders lebhaft. Manchmal stieß sie ihn versehentlich mit dem Knie oder Fuß an, was ihn aus seinen Gedanken riss, denn dann blickte er hinüber zu der Frau, die er guten Gewissens seine nennen durfte. Ihre buschigen Haare bedeckte das weiße Kopfkissen vollständig. Bis zum Ende seines Lebens würde er diesen Anblick genießen dürfen – hoffte er.

Diesmal war es nicht ein leichter Tritt von der Seite, sondern ein leises Geräusch an den Scheiben, das ihn daran hinderte, sich eine Zukunft auszumalen. Neugierig stand er auf und ging zu den Fenstern hinüber. Es nieselte. Severus bückte sich ein wenig, um den Himmel besser betrachten zu können. Es war bedeckt. Nach dem warmen Tag würde frische, kühle Luft guttun und so öffnete er die Fenster. Das unregelmäßige Plätschern, das immer stärker wurde, wirkte sich auf unerklärliche Weise beruhigend auf ihn aus. Nach langer Zeit war das der erste Moment, den er bewusst damit verbrachte, dem Regen zu lauschen. In den Kerkern hatte er vom draußen herrschenden Wetter nie Kenntnis gehabt – es war immer gleichbleibend kühl und klamm gewesen.

Plötzlich stieß etwas an seine Wade. Hermines Kater schmiegte sich an ihn, schnurrte dabei. Fellini strich um die Beine und wollte anfangs, wie Severus es oft bei Hermine beobachtet hatte, zwischen den Beinen hindurchlaufen, um eine unsichtbare Acht zu gehen. Der Weg des Haustieres wurde durch das knöchellange, weiße Nachthemd versperrt, weswegen der Kater seine Gewohnheit änderte und außen um Severus‘ Beine herumstrich. Severus nahm das Tier auf. Als er den Kniesel kraulte, dabei aus dem Fenster in die verregnete Nacht starrte, hatte er ein Déjà-vu. Eine Erinnerung an seine damaligen Haustiere aus Kindertagen drängte sich seinem Bewusstsein auf. Kater und Katze – nicht unbedingt originellen Namen für Haustiere, aber sie hatten ihren Zweck erfüllt. Seine Mutter hatte sie vor einem tierfeindlichen Nachbarn gerettet. Seitdem lebten die beiden bei ihm, seit er fünf Jahre alt war. Katze war von einem Auto überfahren worden, als sie drei war, was ihm einen so großen Schock versetzt hatte, dass er sich schwor, nie wieder ein neues Haustier aufzunehmen, bis Harry kam, der vergessene Welpe aus dem Verbotenen Wald. Nach Katzes Tod hing Severus an ihrem Bruder. Der lebte, wenn Severus Hogwarts besuchte und sein Vater nicht nüchtern genug war, um das Tier zu füttern, gern von den Mäusen, die es in den leerstehenden Häusern der heruntergekommenen Nachbarschaft zur Genüge gab. Kater war elf Jahre alt geworden und dankte während Severus‘ sechstem Schuljahr ab. Zum Sterben hatte sich das Tier unter Severus‘ Bett verkrochen und wollte nicht angefasst werden, wollte ganz allein sein Leben beschließen. An den Brief von seinem Vater, der ihm sonst niemals geschrieben hatte, konnte er sich noch sehr gut erinnern. Die Muggelpost hatte ihn per Eule weitergeleitet. Es war ein Freitag gewesen, als Severus während des Frühstücks in der Großen Halle die schlechte Nachricht in der krakeligen Handschrift seines Vaters las, gespickt mit den unzähligen Rechtschreibfehlern. Sie lautete: Kater ist tod Hab ihn im park beerdigt beim Findling wo Katze ligt. An diesem Tag hatte Severus die Arbeit in Zaubertränken mit der Note Mies verhauen. Slughorn hielt das für einen schlechten, leicht durchschaubaren Scherz der Gryffindors und ließ seinen besten Schüler die Arbeit am Montag darauf nachschreiben – mit Ohnegleichen bestanden.

Severus seufzte und blickte auf das lebendige, laut schnurrende Tier in seinen Armen. Der Wind war angenehm kühl, aber zu kalt, um sich weiterhin direkt am Fenster aufzuhalten. Langsam schlenderte Severus hinüber zum Bett, in dem Hermine wieder auf der Stelle trat und sich damit der eigenen Decke beraubte. Damit sie keinen Zug bekommen würde, entschloss sich Severus dazu, sie zuzudecken. Fellini setzte er auf seiner Seite des Bettes ab, bevor er herumging. Hermine lag auf dem Bauch, winkelte im Schlaf das rechte Bein an, bevor sie es Sekunden später wieder von sich streckte. Vorsichtig entwirrte er die Decke, die er ihr bis zum Hals hochzog. Der Kater, nun putzmunter, lief über Hermines Beine zu Severus hinüber und rieb sein Gesicht an ihm.

„Was?“, fragte Severus das Tier. Fellini legte sich hin, rollte sich auf den Rücken. Der Bauch lag frei und verführte zum Streicheln. Langsam, damit die Matratze sich nicht zu sehr bewegen würde, setzte sich Severus an Hermines Fußende und führte die Hand an Fellinis schwarzen Bauch. Der Kater streckte sich und genoss die nächtliche Streicheleinheit sichtlich und hörbar.

Eine leise Stimme, die seinen Namen sagte, riss ihn erneut aus seinen Erinnerungen.

„Severus?“
Er sah, wie Hermines Hand im Dunkeln auf seiner Seite des Bettes herumtasteten. „Ich bin hier“, machte er so ruhig wie möglich seine Anwesenheit präsent, um sie nicht zu erschrecken.
Sie drehte sich um und rieb sich die Augen. „Was tust du denn da?“, murmelte Hermine verschlafen. „Ist etwas?“ Man hörte ihre Befürchtung, der letzte Trank könnte ein Fehlschlag gewesen sein.
„Alles in Ordnung. Ich kann nur nicht schlafen“, beruhigte er sie, kraulte Fellini dabei seelenruhig weiter.
Als sich Hermines Augen in der Dunkelheit zurechtfanden, erblickte sie den Kater. „Du lässt es dir ja vielleicht gut gehen. Lässt dir einfach die Wampe kraulen.“ Plötzlich sog Hermine Luft durch die Zähne ein. Weil es sich anhörte, als würde sie fauchen, nahm Fellini augenblicklich Reißaus.
„Was hast du?“
Sie fasste sich an die Wade. „Ein Krampf. Oh Himmel, tut das weh!“
Severus behielt die Ruhe. „Setz dich auf.“
„Es geht nicht.“ Mit brummenden, knurrenden Lauten versuchte sie, ihrem Schmerz Ausdruck zu verleihen. Kaum berührte sie ihr Bein, ließ sie wieder los und stöhnte laut und schmerzerfüllt.
Vorsichtig entfernte Severus die Bettdecke. Sein Blick fiel sofort auf den verzerrten Unterschenkel. Die Muskeln waren so angespannt, dass sie sich gut sichtbar unter der Haut abzeichneten. Ein Anblick, den er von einem Cruciatus gewohnt war, denn der wirkte ähnlich unkoordiniert auf sämtliche Muskeln des Körpers wie ein Krampf. „Komm, setzt dich hin. Ich helf dir.“
Zaghaft umfasste er ihren Knöchel, um das Bein zu drehen, da schalt sie ihn: „Fass es ja nicht an! Es tut weh!“ Jammernd wiederholte sie den letzten Satz mehrmals. Sie spürte nun am eigenen Leib, wie hilflos ein Taucher sich fühlen müsste, wenn er in hundert Metern Tiefe mit solchen Beschwerden zu tun bekam. Die spasmischen Bewegungen der Wade waren die Hölle.
„Du musst auftreten“, riet er ihr. Jetzt verkrampften sich sogar ihre Zehen. Sie warf den Kopf zurück und öffnete den Mund, als wollte sie schreien. „Jetzt ist es genug!“ Gelassen zog er seinen Stab unter dem Kopfkissen hervor und sprach: „Mobilcor...“
„Nein, nein, nein!“
„Hermine“, Severus seufzte und überlegte sich eine andere Taktik. „Ich kann dir einen Trank holen.“
Der Krampf in der Wade ließ mit einem Male nach, so dass sie sein Angebot ausschlug. Hermine atmete erleichtert aus. „Mannomann!“ Um keinen weiteren Krampf zu provozieren, setzte sie sich mit Bedacht aufrecht hin. Mit einer Hand betastete sie die beanspruchten Muskeln im Unterschenkel. „Ich fühle mich wie nach einem Marathonlauf.“ Ihre Beine zog sie ganz gemächlich über den Rand des Bettes. „Gott, hab ich einen Muskelkater. Das kann doch nicht wahr sein! Wie spät ist es überhaupt?“
„Kurz vor sechs.“
„Na prima, da können wir schon mal ausschlafen und dann wach ich um sechs auf“, verkündete sie schlecht gelaunt.
Nörgeleien mochte Severus gar nicht, also ignorierte er ihre Worte und wechselte das Thema. „Ich mache mir einen Kaffee. Möchtest du etwas Tee?“
„Um diese Zeit?“
„Ich werde sowieso nicht mehr schlafen können.“
Sie nickte. „Ich nehme einen Tee.“

Bevor er in die Küche ging, zog sich Severus einen Morgenmantel über. Hermine schloss das Fenster im Schlafzimmer. Es regnete noch immer. So kurz nach dem Aufstehen fand sie es unangenehm kühl, weshalb sie ihre Decke mit ins Wohnzimmer nahm. Auf der Couch zog sie die Beine an. Mit kreisenden Bewegungen beruhigte sie den Schmerz im Muskel. Von unten hörte sie den Hund einmal bellen. Severus schien den beiden etwas zu Fressen zu geben, denn normalerweise war Harry ruhig. Wenn er bellte, dann nur kurz, weil er sich über etwas freute, was selbst bei einem frisch gefüllten Fressnapf der Fall war. Geschirr klimperte. Der Duft von Tee wurde von starkem Kaffeegeruch in den Hintergrund gedrängt. Und schon kam Severus zurück. Er trug ein Tablett in der Hand. Hermine lächelte. So dürfte es gern jeden Morgen sein, dachte sie. Andererseits würde sie auch gern für ihn das Frühstück machen, denn wie es aussah, hatte er neben den heißen Getränken auch ein paar Leckereien gezaubert. Speck mit Eiern, Schinken, Brot und natürlich Käse. Zuvorkommend rückte sie Zaubertränkezeitschriften beiseite, damit er das Tablett abstellen konnte. Severus wirkte nicht anders als gestern. Bisher hatte er auch nicht verlauten lassen, dass er sich anders fühlen würde und sie hütete sich davor, ihn zu fragen.

„Hast du Lunas Geschenk eigentlich schon aufgemacht?“, fragte sie, obwohl ihr sein Wohlbefinden viel mehr am Herzen lag.
„Nein.“ Er schenkte Hermine Tee ein und schien dabei nicht ein kleines bisschen neugierig.
„Willst du denn nicht wissen, was es ist?“
„Nicht sofort, aber offensichtlich kannst du es nicht abwarten, das Päckchen zu öffnen.“
„Darf ich?“, bat sie mit glänzenden Augen.
Ihre vorweihnachtliche Vorfreude im Juni amüsierte ihn. „Mach es auf.“
„Accio ...“
„Moment! Wie willst du es herbeirufen? Vielleicht mit ‚Accio Miss Lovegoods’s Geschenk an Severus?‘.“
Hermine grinste. „Vielleicht klappt es ja?“

Ohne ein weiteres Wort zu verlieren ging Severus in sein Schlafzimmer, um aus der Innentasche seines Umhangs die kleine Überraschung zu herauszuziehen. Als er zurück war, überreichte er es Hermine.

„Es ist doch aber dein Geschenk“, sagte sie, während ihre Finger schon eine Ecke des Papiers öffneten.
„Wie wäre es, wenn du es erst wieder vergrößerst?“
„Ach ja, richtig.“ Beinahe hätte sie vergessen, dass Luna das Geschenk verkleinert hatte. Hermine legte es auf den Boden und bemerkte eine klitzekleine Wichtigkeit. „Ich habe meinen Zauberstab nicht hier.“ Severus rollte mit den Augen, musste jedoch schmunzeln. Er zog seinen Stab aus dem Morgenmantel, was Hermine stutzig werden ließ. „Wie kannst du deinen Stab im Morgenmantel mit dir herumführen? Der hat doch keine Innentaschen, oder?“
„Es gibt Zaubersprüche“, er näherte sich dem Geschenk, „die dafür sorgen, dass der Stab sogar an der nackten Haut hält.“
„Hui“, Hermine ließ die Augenbrauen auf und ab tanzen, „den musst du mir beizeiten mal zeigen.“
Severus schluckte, rang sich ein zurückhaltendes Lächeln ab. Den Stab richtete er auf das Päckchen, als er sagte: „Finite!“ Das kleine Päckchen verwandelte sich in eine große, flache Box, die so lang wie ein Arm von Severus war und so breit wie sein Unterarm.
„Na ja, ein Buch ist es zumindest nicht“, mutmaßte Hermine scherzhaft. „Luna meinte, sie hätte es nie veröffentlicht. Ich dachte an einen Text, weil sie doch für die Muggelpost schreibt.“
Severus hob das viereckige Geschenk auf und wollte es gerade Hermine reichen, da fiel sein Blick auf das Geschenkpapier. „Spielen hier etwa Hunde miteinander?“ Er gab es weiter, so dass Hermine sich davon überzeugen konnte.
Mit einem Nicken stimmte sie zu. „Ist doch niedlich. Vielleicht hat sie das Papier gewählt, weil du einen Hund als Haustier hast.“
„Vielleicht wollte sie sich auch einfach nur über mich lustig machen.“
„Unfug! Du kennst Luna nicht so gut wie ich. Sie nimmt niemanden auf den Arm.“

Das an einer Ecke bereits angerissene Papier zog Hermine vorsichtig ab. Da sie wegen ihrer auf der Couch angewinkelten Beine leicht schräg saß, konnte Severus zwar ihr Gesicht sehen, nicht aber das, was sich unter dem Papier befand. Er wollte keinesfalls interessiert wirken, auch wenn er sich den Kopf zerbrach, was seine ehemalige Schülerin ihm wohl schenken könnte. Das Papier war endlich entfernt und legte einen Bilderrahmen frei, den Severus allerdings nur von hinten sah. Dafür konnte er Hermines Augen sehen, die beim Anblick des Geschenks ganz weich geworden waren. Ihr Blick huschte interessiert über Details, die Severus verborgen blieben.

„Jetzt verstehe ich“, begann Hermine mit verzückter Stimme, „warum Luna meinte, es könnte ein falscher Eindruck entstehen.“ Sie legte ihren Kopf schräg, wie sie es oft tat, wenn ihr etwas gefiel. „Ich finde es schön.“

Severus war froh, dass er sie nicht bitten musste, das Geschenk umzudrehen. Sie kam von ganz allein darauf. In einem Rahmen aus Palisanderholz offenbarte sich ihm ein bewegtes Bildnis seiner selbst, aufgenommen in jener Nacht, in der man Peter Pettigrew fangen konnte – in der Nacht, in der der Fuchsbau brannte. Mit seiner schwarzen Gestalt zeichnete sich Severus deutlich vom orangeroten Hintergrund ab. Das züngelnde Feuer hinter ihm schien ihn gerade ausgespuckt zu haben. Vielen Menschen würden das Bild so interpretieren, als wäre er aus dem Tor der Hölle herausgetreten. Seine Freunde hingegen würden es ganz anders deuten, würden das Feuer mit den Flammen eines Phönixes vergleichen, aus denen er wiedergeboren worden war. Die zweite Assoziation gefiel ihm sehr viel besser.

„Hängen wir es auf?“, fragte sie begeistert. „Hier im Wohnzimmer vielleicht.“
„Ich weiß nicht.“
„Darf ich es dann in meinem Schlafzimmer aufhängen?“
Severus wandte seinen Blick von dem Bild ab, um ihr in die Augen zu schauen. „In deinem Schlafzimmer? Wann hast du es überhaupt zuletzt betreten?“ Sie dachte so lange nach, dass er schmunzeln musste. „Dachte ich es mir. Du kannst dich nicht mal mehr daran erinnern.“
Unsicher erklärte sie: „Das war irgendwann vor zwei Wochen?“
„War das eine Frage?“ Er hatte sie kalt erwischt, denn sie schaute beschämt auf ihre nackten Füße, die nicht weit von seinen Schenkeln entfernt waren. „Wie geht es deiner Wade?“
„Muskelkater“, quengelte sie.
„Möglicherweise leidest du an einem Ungleichgewicht deines Mineralstoffhaushaltes.“
Hermine grinste verstohlen. „War das eine Diagnose?“
„Hast du das öfter?“, wollte er wissen, womit er ihre schelmische Frage ignorierte. „Wenn ja, dann solltest du das untersuch...“
„Das letzte Mal hatte ich so einen Krampf vor fünf oder sechs Jahren, nachdem wir zwei Tage ohne Stopp vor“, sie zögerte, „Todessern fliehen mussten. Ich denke, es liegt an ...“
„Den Schuhen“, unterbrach Severus sie punktgenau. „Du hattest am See bereits geschwollene Füße! Das konnte ja nicht gut gehen.“ Er meckerte nur halbherzig, während er zu seiner Kaffeetasse griff. „Frauen und ihr unverständlicher Drang nach Selbstverletzung“, murmelte er in die Tasse, bevor er einen Schluck nahm.
„Das muss unbedingt jemand sagen, der sich in enge Kleidung einschnürt“, hielt sie scherzhaft dagegen.
„Das hat einen Grund.“
Jetzt wurde sie hellhörig. „Welchen?“ Severus blieb stumm. „Was für einen Grund?“ Noch immer erwiderte er nichts. „Erst neugierig machen und mich dann wie dumm dastehen lassen.“
„Ich ...“, er zögerte, atmete tief durch. „Ich wurde in der Schule Opfer eines Scherzes. Seit diesem Tag trage ich Kleidung, die sich nicht leicht entfernen lässt.“
Hier endete seine Erklärung. „Ich bin genauso schlau wie vorher“, gab sie kleinlaut zu. Sie konnte sich nicht vorstellen, was für ein Scherz ihn dazu animiert haben könnte, Kleidung mit unzähligen Knöpfen zu tragen.
„Black“, zischte er, als würde die Nennung dieses Namens die absolute Erleuchtung bringen.
„Dass Sirius oft Unsinn angestellt hat, das ist mir beka...“
„Unsinn?“, unterbrach er. „Der Mann hat zusammen mit Potter Freude dabei empfunden, seine Mitschüler öffentlich zu demütigen.“
Sie nickte. Die Auszüge aus Remus’ Tagebuch haben bei ihr genau dieses Bild von Sirius entstehen lassen. „Ich verstehe den Zusammenhang trotzdem nicht“, gab sie offen zu.
„Levicorpus“, sagte er kurz und knapp.
Angestrengt dachte sie nach. Levicorpus ließ einen Menschen kopfüber baumeln – ein ihrer Meinung nach völlig sinnfreier Zauberspruch. Wenn ein Schüler sich, wie es damals üblich war, an die eingebürgerte Kleiderordnung halten würde und nichts unter seiner Robe ... „Oh“, machte sie peinlich berührt, obwohl sie nicht wusste, ob er unter seiner Schuluniform etwas getragen hatte oder nicht. Selbst mit Unterwäsche wäre es unangenehm. Würden alle ihr Höschen sehen, würde sie vor Scham im Erdboden versinken. Verlegen rieb sie ihre Wade.
„Tut es noch weh?“, wollte er wissen. Das vorherige Thema wurde begraben.
„Der Muskelkater wird wohl noch ein paar Tage bleiben. Wo wir uns gerade nach dem Wohlbefinden erkunden: Wie geht es eigentlich deinem Arm?“
Severus stellte die Tasse auf den Tisch und krempelte den Ärmel hoch. Zu sehen war ganz wenig Schorf. „Wie du siehst, ist es fast vollständig verheilt.“
Neugierig rückte sie auf, zog dabei ihre leichte Bettdecke mit. Seinen Unterarm legte sie auf ihren Oberschenkeln ab. Hermine betrachtete die helle Haut. „Man sieht rein gar nichts mehr.“ Sie musste nicht erwähnen, dass sie das dunkle Mal meinte. Ihr Finger strich um den Schorf herum. „Die Haut wird mit der Zeit nachdunkeln.“ Weil sich die Haare am Arm aufstellten, strich sie mit der flachen Hand mehrmals darüber, um den Schauer zu vertreiben. Dass Hermine mit einer Decke auf der Couch saß, konnte er gar nicht nachvollziehen. Ihm war ganz warm. „Ich würde gern etwas ausprobieren“, sagte sie und sprang von der Couch auf.

Ihr leichtes Nachthemd bedeckte wenig, die Beine schon gar nicht. Als sie aus dem Wohnzimmer eilte, dachte er für einen Moment, etwas auf ihrer Wade auszumachen. Der Gedanke an ihren Unterschenkel nahm ihn jedoch nicht so sehr ein wie ihr gesamtes Erscheinungsbild. Er kam in den Genuss, ihre vollständige Gestalt zu betrachten, als sie erneut das Wohnzimmer betrat. Ihre Haare ließen sie unbändig erscheinen. Ein kleiner Wildfang. Im Nu saß sie wieder neben ihm. Er drehte sich auf der Couch, damit sie sich direkt gegenübersitzen konnten und legte wie sie ein angewinkeltes Bein auf das Polster. Sie hielt ihm etwas entgegen. Eine Phiole. Ihr Farbtrank. Das Einzige, das dazu imstande war, die erfolgreiche Wirkung des letzten Heiltranks zu offenbaren. Es war nicht zu übersehen, dass Hermines Hand zitterte, als sie ihm den Trank reichte. Er nahm nicht nur die kleine Flasche, sondern auch ihre Hand in seine. Ihr Lächeln zuckte nervös, flammte auf und verschwand wieder. Sie war unsicher.

„Mein Herz schlägt wie verrückt“, gestand sie. „Fühl mal.“

Auch ohne Farbtrank wollte er ihr eine Bestätigung seines gesunden Gefühlszustandes geben, denn er fühlte sich unmerklich anders, fühlte sich gut, befreit. Langsam lehnte er sich vor. Sie erschrak nicht, beobachtete aber jede seiner Bewegungen. Wie in Zeitlupe kam sein Gesicht dem ihren näher. Seine Wange strich über ihre, bevor er sich noch mehr zu ihr neigte, vorbei an ihrem Ohr und hinunter zu ihrem Hals, an dessen Puls er nippte. Ein kurzer Schauer durchfuhr sie, doch ihre Hand, die seine Schulter fand und ihn an Ort und Stelle hielt, bekräftigte ihn in seinem Vorhaben. Ihr Herz raste, ihr Brustkorb bebte. Genauso bedächtig trat er den Rückzug an, vermisste es dabei nicht, ihre Wange abermals mit seinen Lippen zu streifen.

„Ja“, sagte er leiser als gewollt, „dein Herzschlag geht schnell.“

Mit verklärten Augen schaute sie ihn an. Der Farbtrank schien unwichtig, doch Severus wollte auch einen sichtbaren Nachweis haben. Er öffnete seine Phiole. Das quietschende Geräusch des Korkens machte sie auf seine Hände aufmerksam. Mit seinem gläsernen Behälter stieß er an ihren, als wollte er ihr zuprosten. Hermine verstand den Hinweis und öffnete ihr Fläschchen. Gleichzeitig stürzten sie den Trank hinunter, der für mindestens eine halbe Stunde die Farben ihrer Magie zeigen sollte. Noch immer schwer atmend stellte sie die leere Phiole auf den Tisch und richtete den Blick auf ihr Gegenüber. Innerlich flehte sie. Es musste etwas kommen. Das letzte Mal hatte sich ein blassroter Schimmer an seinem Brustbein gezeigt. Spannung lag in der Luft, denn auch Severus hoffte innig, das Grau würde ein für allemal der Vergangenheit angehören.

Hermine leuchtete als Erste. Ihr kräftiges Orange stach sogar die warmen Sonnenstrahlen aus, die mit dem Tagesanbruch durch die Fenster lugten, als würden auch sie es kaum abwarten können, Severus in voller Pracht zu erleben. Hermines Strebsamkeit schlug sich auch diesmal in goldbraunen Farbtönen nieder, während Hingabe und Opferbereitschaft ihre Beine dunkelblau bedeckten. Kaum begannen die Vögel der aufgehenden Sonne ihren Morgengruß entgegenzusingen, da machte Severus dem hellsten Stern mit lichtgelber Farbe Konkurrenz. Wie eine wundersame Korona erstrahlte das helle Gelb um den roten Fleck herum, der sich im Zentrum befand – am Herzen. Vor lauter Verwunderung legte eine Hand auf das eigene Herz, das nur noch heftiger schlug. Severus blickte an sich herab, sah auch neben den neuen Farben das bekannte, blasse Rot, das in den Hintergrund gedrängt wurde. An seinen Beinen fand sich ein dezenter Grünton und – das gefiel ihm besonders – das gleiche, kräftige Orange wie bei Hermine. Er war sich sicher, auch wenn das niemals nachgewiesen werden könnte, dass sie ihm etwas von sich gegeben hatte.

„Oh, mei...“ Ihre Worte starben, noch bevor sie geboren wurden. Ihr Staunen, ihre Erleichterung und ihre Freude konnte Hermine sowieso nicht mit Hilfe der Sprache ausdrücken. Gebannt starrte sie auf den roten Fleck an Severus’ Herzen, wo der Thymus eine neue Seele wiegte. Sie hörte einen Schluchzer und erschrak, als sie sich selbst als Ursache ausmachen konnte, denn Severus – und das berührte sie – lächelte, als er sich über die Brust strich. Unbemerkt von Hermine erkundete ihre Magie auf eigene Faust das umliegende Gebiet. Hauchdünne Fäden schlängelten sich von ganz allein hinüber zu Severus, um Kontakt mit seiner sichtbaren Magie aufzunehmen.
„Du bist wie immer aufdringlich“, scherzte er mit hörbarer Rührung.
„Was?“ Sie folgte seinem Blick und bemerkte, wie sich etwas von ihren blau umhüllten Oberschenkeln dem Grün seiner Beine näherte, um Guten Tag zu sagen. Eine Geste, die sehr wahrscheinlich in den vergangenen Wochen und Monaten bereits unsichtbar getätigt worden war. Hermine streckte eine Hand aus und legte sie auf sein Knie. Sofort wurde ihre Hand von der grünen Farbe ergriffen, als wollte man sie das erste Mal offiziell begrüßen. „Das ist atemberaubend“, hauchte sie fasziniert von dem Schauspiel.

Severus strich ihr über die Wange. Beim letzten Mal hatte seine Magie einen schmutzig wirkenden Schleier hinterlassen, doch diesmal war es ein farbenfroher Strich, als hätte er ihr mit Fingerfarben eine Indianerbemalung aufgetragen. Als er ihre Hände auf seiner Brust fühlte, blickte er erneut an sich herab. Goldbraun floss ihre Magie in ihn, während sein Herz ein wenig Rot spendete. Es war ein beidseitiges Geben und Nehmen von Farbe, von Magie. Unerwartet fühlte er einen Kuss auf seiner Wange.

„Wofür war der?“
Überglücklich erwiderte sie: „Weil du lächelst.“
„Das tu ich gar nicht“, leugnete er lächelnd.

Seine Hand fuhr an ihrem Unterarm hinauf bis zur Schulter, zum Hals und hinterließ dabei einen farblichen Nebel in Regenbogenfarben. Hermine hingegen strich über seinen Brustkorb. Mit dem Zeigefinger zeichnete sie den Umriss des roten Zentrums nach, das ihm mehr als zwanzig Jahre fehlte. Beide hatten alle Zeit der Welt, erkundeten und betasteten sich gegenseitig in aller Ruhe. Überall war Farbe. Wo sie sich berührten, entstanden neue Töne, als würden die in der Farbpallette eines himmlischen Malers neu gemischt.

Nach dreißig Minuten begannen die Farben langsam zu verblassen. Hermine war darüber zwar traurig, wusste aber, dass sie sich nur ihrer Wahrnehmung entzogen und nicht tatsächlich verschwanden. Euphorisch fiel sie Severus um den Hals und drückte ihn an sich, freute sich über den leichten Druck, den seine Hände an ihrem Rücken ausübten, als er die Umarmung erwiderte. Sie hörte ein leises Danke an ihrem Ohr. Vielleicht sprach sie dieses Wort aber auch nur im Geiste, um sich bei überirdischen Mächten zu bedanken. Der sichtbare Heilerfolg machte Severus mutig. Zaghaft rieben seine Hände ihren Rücken. Seine Wange strich über ihre Haare, über die Stirn, bis seine Lippen der Form ihrer Augenbrauen nachfuhren. Ein Kuss an der Schläfe, einer auf die Wange. Erwartungsvoll drehte sie ihren Kopf und bekam das, was sie erhoffte. Er küsste sie auf den Mund, erst sanft, wie beim ersten Mal, dann stürmischer. Sie hieß sein Feuer willkommen, konnte sich selbst nicht mehr beherrschen. Nachdem sich ihre Magie vorhin schon ausgiebig kennen lernen durfte, begrüßten sich nun ihre Zungen das erste Mal auf französische Art.

Die Frage, was ein Kuss in seelischer Hinsicht bewirkte, hatte noch nie jemand beantworten können. Bei Zauberern und Hexen sowie bei Muggeln war es pure, unerklärliche Magie, die freigesetzt wurde. Die Euphorie, die man bei einem Kuss verspürte, ließ Hermine beispielsweise gerade die hochmütige Behauptung aufstellen, das Universum bis ins kleinste Detail erklären zu können. Das war eine völlig einfache Aufgabe, denn es gab ja nur sie beide. Bei Severus hingegen war ein kleiner Teil seines Gehirns – einer, mit dem er trotz der Überflutung durch Adrenalin noch denken konnte – mit der Aufgabe beschäftigt, sämtliche Küsse seines Lebens mit diesem einen zu vergleichen. Als er zu dem Ergebnis kam, dass kein Einziger diesem besonderen auch nur annähernd das Wasser reichen konnte, ergab er sich vollends der neuen Erfahrung, dass ein Kuss nicht gleich ein Kuss war. Manchmal war es viel mehr.

Keiner von beiden bemerkte, wie der Hund genüsslich den Speck von den Tellern stibitzte oder wie Fellinis kleine Zunge hurtig über die Butter leckte.

Die Sonnenstrahlen schauten nicht nur bei Hermine und Severus nach dem Rechten. In einem Zimmer der Janus Thickey-Station schien die Sonne durch einen Spalt des Vorhangs. Durch die Wärme im Gesicht erwachte die dort liegende Frau, öffnete die Augen. Heute war irgendetwas anders. Der Blick zum Fenster war nicht unkontrolliert wie sonst – er war gewollt. Die Frau blinzelte. Schon oft hatte sie die Sonne gesehen, aber lange Zeit nicht als solche erkannt. Die heutige Besonderheit bestand darin, dass sich das Wort Sonne in ihrem Gedächtnis wiederholte. Das Licht, das durch die Fenster drang, war nicht mehr nur mit dem Empfinden von Wärme und Wohlbehagen verknüpft, sondern mit einer dazugehörigen Bezeichnung. Verunsichert schaute sich die Frau im Zimmer um. Alles war ihr vertraut und trotzdem fühlte sie sich fremd, weil jeder Gegenstand erst heute einen Namen trug. Das war es, was die Frau aus der Fassung brachte. Verängstigst schloss sie die Augen, doch es hörte nicht auf. Das eben Gesehene huschte über verschiedene Nervenbahnen, deren Enden nicht mehr verbrannt, zerrissen oder verkümmert waren. Nach langer Zeit wurden die Informationen, die das Auge übermittelten, wie in einem gut organisierten Büro bis zur richtigen Tür getragen, um dort weiterverarbeitet zu werden. Im ersten Moment schmerzte es, wenn sich laut quietschend eine dieser verstaubten Türen öffnete, die seit so langer Zeit stillgestanden hatten. Das Wort Gardine stieß eine Tür in ihrem Kopf auf, ließ ein Bild vor ihrem inneren Auge entstehen. Ein kleiner Junge, der geradeso laufen konnte, lachte fröhlich, als er mit einer wehenden Gardine spielte und sich hinter ihr versteckte. Erschrocken öffnete sie die Augen und blickte sich um, doch hier war kein Kind. Sie schaute nach rechts. Ein Nachttisch, registrierte ihr Gehirn mit Worten. Ein Bilderrahmen mit einer alten Frau und einem jungen Mann, den sie nicht kannte. Die Frau im Bett stöhnte. Ihr Kopfschmerz wurde mit jedem neu erfahrenen Begriff größer. Augusta Longbottom. Der Name zu der Dame auf dem Bild war schnell gefunden. Es gab viele, schöne Erinnerungen mit dieser älteren Frau.

Die gegenüberliegende Wand zierte ein magischer Kalender. Die Zahl 27 war hervorgehoben, aber weder Monat noch Jahr konnte man von hier aus erkennen. Das Bild neben ihr ließ sie nicht in Ruhe. Sie war sich sicher, dass auch ihr eigener Nachname Longbottom war. In Gedanken sah sie plötzlich einen Mann. Von ganz allein verknüpfte ihr Gehirn die Erinnerung an das spielende Kind mit dem Mann, von dem es stammte. Ihr Mann. Frank.

Alice winselte. Ihr Kopf schien kurz davor zu zerbersten, als sie sich den eigenen Lebenslauf vor Augen halten wollte. Dass sie ein Leben gehabt hatte, wusste sie, aber weder konnte sie ahnen, wo sie war noch weshalb sie dieses Zimmer nicht mit dem Wort Zuhause verbinden konnte. Es war nicht ihr Zuhause, aber sie wollte dorthin, an den Ort, an dem ein kleiner Junge auf sie wartete. Alice wollte aufstehen, doch kaum ein Muskel in ihrem Körper gehorchte. Nicht einmal ihren Arm konnte sie heben. Erneut blickte sie zum Nachttisch, zum Bild. Augusta sah alt aus, viel älter als in ihrer Erinnerung. Der junge Mann irritierte sie besonders. Die Gesichtszüge sahen vertraut aus. Eine schlimme Ahnung versetzte sie in Panik. Sie wollte das Bett verlassen, doch sie konnte sich höchstens hin und her bewegen, so dass das metallene Gitter leicht zu quietschen begann. Heftig atmend wollte sie sich ihrem unbestimmten Schicksal ergeben und daran glauben, dass alles sich zum Guten wenden würde. Ihr Vorhaben wurde von den Gedanken an die Bedrohung durch Voldemort und seine Todesser vereitelt. Ihr Sohn war womöglich in Gefahr. Alice versuchte zu schreien, japste aber nur. Das Bild. Sie schaute es sich nochmals an, aber sie konnte keine Erinnerung finden, die den jungen Mann erklärte. Neben dem Bild stand ein Fläschchen auf dem Nachttisch, auf dem Stärkungstrank stand. Darunter befand sich ein Symbol: ein Zauberstab, der einen Knochen kreuzt. Sie war im St.-Mungo-Hospital für Magische Krankheiten und Verletzungen. Die Erleichterung über ihren möglicherweise sicheren Aufenthaltsort hielt nur kurz an. Sie wollte mit jemandem reden, wollte sich erkundigen, warum sie sich kaum bewegen konnte und warum ihre Stimme versagte. Wie sollte sie mit einem Heiler reden, wenn sie kein Wort herausbrachte? Tränen der Hilflosigkeit formten sich in ihren Augen und liefen an ihren Schläfen herab.

Ihren Kopf drehte sie langsam zur anderen Seite. Dort stand sehr dicht neben ihr ein Bett, fast komplett an das ihre gerückt, und ein Mann lag darin. Sie erinnerte sich an ihn, obwohl er jetzt älter war und viele graue Haare hatte, die zu kurz geschnitten waren. Sofort wusste sie, wer das war. Frank, ihr Ehemann, schoss es ihr durch den Kopf. Frank schien eben erst erwacht zu sein, schaute sich im Zimmer genauso verwirrt um wie sie selbst vor wenigen Minuten.

Sie wollte seinen Namen sagen, wollte Frank direkt ansprechen, doch ihre Stimme spielte ihr einen Streich. Es kam kein Wort heraus. Sie konnte sich nicht flüssig artikulieren, obwohl sie wusste, dass sie früher sprechen konnte. Alice versuchte es nochmals. Sie konzentrierte sich auf seinen Namen und auf ihre Atmung.

„Fan“, kam bei ihrem Versuch heraus. Es war gehaucht, fast nicht zu hören. Sie versuchte es erneut. „Fran?“
Das leise Geräusch hatte sich bis zum Ohr ihres Mannes durchgekämpft. Langsam drehte er den Kopf. Als er sie sah, betrachtete er ihr Gesicht, die Haare, die Augen. Er erkannte sie als seine Frau und lächelte, was ihm ohne Probleme gelang. Sein Mund formte ungehörte Worte. Eines, das ihrem Namen ähnelte, ließ sie vor Freude schluchzen, denn er sagte: „Äls.“

Unter größter Kraftanstrengung bewegte Frank seine Hand, zog sich mit den Fingern am Laken immer mehr in Alice’ Richtung. Sie kam ihm entgegen. Die Muskeln im ganzen Körper waren schwach, so auch die in den Fingern, aber am Ende waren sie beieinander angelangt. Die erste Berührung nahm ihr all die Ängste, und als die Hände endlich kraftlos ineinander lagen, spürte sie, wie die Hoffnung wuchs, denn sie war nicht allein. Frank war bei ihr.


Wenn Du Lob, Anmerkungen, Kritik etc. über dieses Kapitel loswerden möchtest, kannst Du einen Kommentar verfassen.

Zurück zur Übersicht - Weiter zum nächsten Kapitel

Twitter
HPXperts-Shop
Soundtrack: Der Hobbit 3
Top-News
Suche
Updates
Samstag, 01.07.
Neue FF von SarahGranger
Freitag, 02.06.
Neue FF von Laurien87
Mittwoch, 24.05.
Neue FF von Lily Potter
Zitat
Er gibt alles und ist voller Ernst und Konzentration dabei.
Gary Oldman über Daniel Radcliffe