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Fanfiction

Harry Potter und die Schatten der Vergangenheit - Der hellste Stern von allen

von Muggelchen

Noch einen kurzen Augenblick betrachtete Harry sein frühes Meisterwerk, in welchem er den harmonischen Zauber der Familienbande festgehalten hatte. Es gab Wunden, die waren tiefer als die des Krieges – sie brannten auch stärker, ebenso diese eine Frage, die sich ihm stellte.

„Warum?“ Die Frage war kurz, das musste er selbst zugeben. Einen Moment ging er in sich, bevor er seiner Tante schilderte, was ihm auf dem Herzen lag. „Warum bist du gekommen? Bitte versteh mich nicht falsch. Ich bin überrascht – positiv überrascht –, dass du hier bist, zwischen all den Zauberern und Hexen und das freiwillig. Ich weiß sehr wohl, was das für eine Überwindung für dich gewesen sein muss. Die Magische Welt war euch immer ein Dorn im Auge. Ich war euch …“ Beinahe hätte er sich in Rage geredet, da fühlte er an seinem Finger den Ring. Eine zufriedenstellende Bestätigung, dass sein Traum von einer Familie längst in Erfüllung gegangen war. Harry atmete einmal tief durch, beruhigte sich. „Ich möchte es nur verstehen können. Warum bist du hier, wenn ich die ganze Zeit doch nur ein Klotz am Bein war?“

Petunias Lippen zitterten, aber nicht vor Angst. Es tat immer weh, die eigenen Fehler an den Kopf geworfen zu bekommen. Sie konnte ihm nicht einmal mehr in die Augen sehen, weil sie in ihnen den Vorwurf der verstorbenen Schwester sehen würde. Die geliebte Schwester. Lily. Allein der Brief von Hogwarts hatte die beiden entzweit. Der Abschied zum Schulantritt war schmerzhaft gewesen, weil ihm böse Worte vorausgegangen waren. Nicht besser wurde es mit dem neuen Freund aus der anderen Welt. Petunia hatte James einen Tunichtgut geschimpft, während Lily kein gutes Haar an dem beleibten Vernon lassen wollte. Wenn sie zu Besuch kam, hatte sich Petunia stets zu ihrem Verlobten zurückgezogen. Das Pendeln zwischen beiden Welten hörte nach dem Tod der Eltern abrupt auf. Erst Jahre später hörte die zu dem Zeitpunkt hochschwangere Petunia wieder etwas von ihrer Schwester. Lily lud zur Hochzeit mit James ein. Vernon war ebenfalls willkommen. Zu dem Zeitpunkt war es längst zu spät gewesen. Petunias Rechthaberei war von Vernon von Anfang an nur noch gestärkt worden. Am Ende waren sie nicht zur Feier gegangen. Petunia wollte nicht nachgeben, wünschte sich aber insgeheim, ihre Schwester würde – überdramatisiert dargestellt – vor der Haustür auf den Knien rutschend um Verzeihung bitten. Es war jedoch nicht ihre Schwester gewesen, die sie auf den Stufen ihrer Haustür fand, sondern …

„Harry.“ Der Kummer um die Schwester war ohne die gehässigen Zwischenbemerkungen des Ehemanns nicht zu unterdrücken.
„Warst du nur neugierig?“, fragte er ohne jeden Vorwurf nach. „Das würde ich verstehen. Mich würde auch interessieren, wen Dudley mal ehelicht.“
Petunias Mund formte ein bebendes Lächeln. „Dann sorge ich dafür, dass du beizeiten eine Einladung erhältst.“ Ein Versprechen, das ihr leicht über die Lippen kam, denn das würde noch sehr lange dauern. Dudley war nicht unbedingt ein Charmeur. Petunia war wieder ruhiger geworden. Sie war bereit, einen Grund zu nennen. „Die Hochzeit deiner Mutter habe ich nicht miterlebt“, gestand sie, überließ die Deutung der Worte jedoch Harry. „Dudley hätte jeden Moment kommen können.“ Die halbe Wahrheit. Petunia hätte die Einladung trotzdem wahrnehmen können. Der glasige Blick ließ Harry glauben, seine Tante würde gerade in Erinnerungen abtauchen. „Sie hat ihn nie gesehen.“ Der Sohn, der Petunia so viel bedeutete, war ein Stolz gewesen, der von allen unbeachtet blieb. Die Eltern waren tot, die beiden Schwestern unversöhnbar.
„Da fällt mir ein: Du hast meinen Sohn auch noch nicht gesehen“, sprudelte es aus Harry heraus. Das Überraschungsmoment war voll und ganz auf seiner Seite. Petunia entgleisten die Gesichtszüge.
„Du hast einen …?“ Er hatte es gerade gesagt, warum sollte er lügen?
„Ich stelle ihn dir vor, einen Moment.“

Harry blickte sich um. An den Stufen stand Ron. Er schien die beiden beobachtet zu haben. Womöglich hatte Ron längst den Beton angerührt, falls Harrys Tante sich danebenbenehmen würde. In Windeseile war er bei seinem besten Freund, nur wenige Meter von Petunia entfernt.

„Ron, du musst mir einen Gefallen tun!“
„Soll ich sie für dich erledigen?“, fragte er ernst.
„Quatsch nicht, Ron. Such Ginny und sag ihr, sie möchte mit Nicholas herkommen.“
Sein Freund stutzte. „Meinst du, das ist eine tolle Idee?“
„Ron!“
„Schon gut, ich geh schon.“

Zurück bei Tante Petunia überbrückte Harry die Wartezeit mit ein paar erklärenden Worten.

„Das ist mein bester Freund und ab heute auch mein Schwager.“
„Das habe ich mir gedacht“, merkte sie an. „Er war ja einer der Trauzeugen.“
„Ja, richtig. Eigentlich logisch, dass man seinen besten Freund darum bittet.“ Das Warten wurde unerträglich. Seichte Konversation mit seiner Tante lag ihm überhaupt nicht. „Ich kenne ihn seit der ersten Klasse.“ Petunia blinzelte einige Male, bis sie verstand, dass er die erste Klasse von Hogwarts meinte und nicht die der Grundschule, die er besucht hatte. „Und die Trauzeugin war …“
„Die beste Freundin deiner Frau?“, vervollständigte Petunia unsicher.
„Nicht nur die meiner Frau, auch meine. Ich kenne sie genauso lange wie Ron.“

Seine Tante war plötzlich abgelenkt und blickte über seine Schulter hinweg, so dass sich Harry umdrehte. In ihrem schulterfreien Hochzeitskleid sah Ginny traumhaft aus. Mit Nicholas im Arm schwebte sie geradezu die Treppen hinunter. Zielsicher näherte sie sich Harry. Derweil suchte sie selbstbewusst den Blickkontakt zu seiner Tante. Als sie bei ihm war, musste Harry erst einmal lächeln. Nicholas lutschte an einem Schokoladenmännchen am Stil. Sein Mund war völlig verschmiert, aber in seinen Augen spiegelte sich wider, wie sehr sich der Kleine an der Süßigkeit ergötzte. Harry hatte keine Ahnung, wen man in solchen Situationen zuerst vorstellte, also hielt er sich an das Sprichwort „Alter geht vor Schönheit.“

„Das ist meine Tante, Petunia Dursley.“ Während sich die beiden Frauen bereits die Hände reichten, erledigte er den zweiten Teil der Vorstellung. „Das ist meine Frau Ginevra und mein Sohn Nicholas.“ Nichtigkeiten wie die Erklärung bezüglich der leiblichen Vaterschaft ließ Harry absichtlich außen vor.
Ginny machte gute Miene zum bösen Spiel. „Freut mich sehr, Ihre Bekanntschaft zu machen.“ Es freute sie nicht, denn sie kannte die Geschichten von Besenkammern und Gittern vor den Fenstern.
„Freut mich ebenfalls.“ Petunias Neugierde war auf einen Schlag gestillt. Die Braut war wunderschön. Mit so einer hübschen Schwiegertochter dürfte Petunia nicht rechnen, denn Dudley konnte niemals so viel Glück haben. Wie von selbst musterte sie den Knaben auf Ginnys Arm. Die pechschwarzen Haare waren auffällig, doch die Augen hatten einen warmen, bräunlichen Ton. „Er sieht aus wie du, wo du noch klein warst“, rutschte es Petunia heraus. Keinesfalls wollte sie auf Harrys Kindheit zu sprechen kommen. Zum Glück ging niemand darauf ein, weil sie zur Ablenkung dem Jungen den kleinen Finger entgegenhielt.

Oben, in dem Gang zwischen Treppe und Eingangstür, hielten sich trotz des frischen Schattens überrachenderweise einige Personen auf. Durchweg standen diese Menschen hinter den Säulen, um dann und wann ein Blick auf Harrys Tante zu werfen. Der Erste, der sich die Säule mit dem besten Blick gesichert hatte, war Ron. Ihm lag viel an dem Wohl seines Freundes, vor allem aber daran, dass der heutige Tag von niemandem gestört werden durfte. Es reichte schon, dass Fred und George offensichtlich einen Scherz geplant hatten, in den man ihn nicht eingeweiht hatte. Angelina stand bei Ron, doch sie schien gelangweilt, weil er jedes Mal, wenn sie sich mit ihm unterhalten wollte, hinter die Säule lugte.

Hinter der zweiten Säule hatten sich Remus und Tonks positioniert. Hier waren es beide, die Schlimmes befürchteten, doch bisher schien Harry mit seiner Tante kein Problem zu haben. Die Unterhaltung blieb ruhig, aber die eisige Kälte dieser Begegnung schien bis zu ihnen auszustrahlen. Es könnte jedoch auch an dem Wind liegen, der auf diesem schattigen Gang besonders kühl empfunden wurde.

Weiter hinten, wo kaum noch Licht vordringen konnte, bewegte sich etwas. Severus hatte sich den dunkelsten Platz ausgewählt. Von hier aus konnte er die Situation gut überblicken. Streng musterte er Petunia. Sie war mit ihren perfekt hergerichteten Haaren, dem vornehmen Kostüm und dem gestrengen Gesichtsausdruck genauso unsympathisch wie früher. Zu gern hätte er Petunia für all die bösen Worte, mit denen sie ihn als Kind geärgert hatte, zurechtgewiesen, doch dann würde er den Anschein erwecken, er wäre nachtragend.

Als Hermine von der Eingangshalle hinaus auf den überdachten Gang trat und nach rechts schaute, schüttelte sie schmunzelnd den Kopf. Dass Ron hier anzufinden war, hätte sie nicht überraschen sollen. Heute war sein Beschützerinstinkt gegenüber seiner Schwester und Harry besonders ausgeprägt. Vor wenigen Minuten noch, als Hermine mitgehört hatte, wie er Ginny auf Harrys Wunsch hin nach draußen schickte, hatte er seiner Mutter gegenüber geäußert, dass es „eine blöde Idee war, Harrys Tante einzuladen“ – so ähnlich war sein Wortlaut gewesen. Die Menschen im Umkreis von etwa sieben Metern konnten das hören. Viktor fragte, nachdem Ron gegangen war, zaghaft bei Molly nach, was damit gemeint wäre. Auch Hermines Eltern hatten diese Bemerkung vernommen und wollten von Hermine wissen, was er mit dieser Tante auf sich hatte. „Später“, wurden sie von Hermine vertröstet. Nicht heute sollten die Gäste von Harrys Vergangenheit erfahren – vor allem aber nicht von Dritten, sondern von ihm persönlich und nur, wenn er dazu bereit war. Hermine hatte ihre Eltern mit denen von Seamus bekanntgemacht, dessen Vater ein Muggel war. Der Draht war sofort da, was bei ihren Eltern in der Regel keine Schwierigkeit darstellte. Sie waren umgänglich.

Jetzt stand Hermine hier und betrachtete Ron, der während seiner Observation nicht einmal mitbekam, dass es Angelina zu langweilig wurde und sie zurück ins Schloss ging, dabei mit den Augen rollte, als sie an Hermine vorbeiging. Ein wenig weiter waren sich Tonks und Remus einig bei ihrer Beschäftigung. Hermine ließ Ron in Ruhe und näherte sich der Aurorin und ihrem Verlobten.

„Hallo Hermine“, grüßte Remus ertappt. Die beiden machten wenigstens kein Geheimnis daraus, Harry zu beobachten, während sie sich nebenher ein wenig unterhielten. Ron hingegen fehlten nur noch das Fernglas und ein hochgeschlagener Kragen, dann wäre seine Motivation für jedermann sichtbar.
„Hallo Remus.“ Demonstrativ blickte Hermine an der Säule vorbei und sah Harry Tante, wie die zu Nicholas sprach. „Und? Alles noch im grünen Bereich?“
Remus grinste. „Nichts Besorgniserregendes. Als ich Petunia vorhin sah, machte sie einen verängstigten Eindruck. Im Moment sehe ich davon gar nichts mehr.“
„Dann noch viel Spaß euch beiden“, wünschte Hermine, die im Anschluss das Ende des Ganges ansteuerte. Sie hatte sich nicht geirrt. Im dunkelsten Fleck des überdachten Ganges hielt sich Severus auf. Als sie bei ihm war, grinste sie. „Die Anwesenheit von Harrys Tante scheint große Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen.“
„Das kann man so sagen.“ Er wandte seine Augen von besagter Person ab. „Ich hätte gut Lust, ihr für all ihre damaligen Beleidigungen die Meinung zu sagen.“
Hermine sah aus, als hätte sie einen Geist gesehen. Vorsichtig fragte sie nach: „Löst ihr Anblick bei dir etwas Negatives aus?“
„Natürlich, was denkst du denn?“
„Ich meinte eigentlich …“ Sie stoppte sich selbst, führte stattdessen eine Hand an die Stelle, an der ihr Herz schlug.
Severus schien verlegen. „Nein, glücklicherweise hält sich das in Grenzen, aber der Tag ist noch jung. Ich – Möchtest du mit mir zum Pavillon gehen?“

Verdutzt über den schnellen Themenwechsel nickte Hermine. Sie hakte sich bei ihm unter und ließ sich den Gang zurückführen, vorbei an Remus und Tonks. Ron war verschwunden. Der Weg zum Pavillon führte am Brautpaar und somit an Harrys Tante vorbei. Severus suchte den Blickkontakt zu Petunia, nur um böse dreinzuschauen. Für dem einen Moment, in welchem Petunia ihn erkannte, schüttelte sie sich. Ein kalter Schauer lief ihr über den Rücken. Der Junge in Ginnys Arm lenkte mit seinem monotonen Sprechgesang ab, denn während er mit einem Finger auf Hermine und Severus zeigte, sagte er immerfort „dadada“.

„Ich frage mich, wann er beginnt zu sprechen.“ Ein wenig Konversation konnte nicht schaden, dachte Hermine. „Wenn ich meinen Eltern glauben darf, habe ich sehr früh damit angefangen.“
„Das glaube ich deinen Eltern aufs Wort“, kommentierte er ihre Aussage.

Am Pavillon angekommen betraten sie die Stufen. Zwei Pärchen hielten sich hier auf. An den Gesprächsfetzen hörte Hermine heraus, dass sie wieder nach drinnen gehen wollten, was sie wenige Minuten später in die Tat umsetzten. Hermine und Severus hatten das runde Gebäude für sich allein. Auf einer der kunstvoll verzierten Bänke nahmen sie Platz. Gerade drehte sich Hermine zu Severus, um etwas zu fragen, da fiel ihr Blick auf eine fette Spinne, die nur wenige Zentimeter von ihren nackten Armen an der Balustrade entlangschlich. Severus bemerkte ihren Gesichtsausdruck.

„Das ist ein Nachteil, wenn man sich im Freien befindet.“
Hermine schüttelte den Kopf. „Ach, die stört mich eigentlich gar nicht. Ich bin nur froh, dass Ron nicht hier ist.“ Sie musste sich ein Grinsen verkneifen. „Der würde sofort aufspringen und das Weite suchen.“
„Wegen einer kleinen Spinne?“
„Er hasst die Viecher. Ich habe nie herausgefunden, warum. Keiner von den Weasley hat Angst vor Spinnen. In der Regel wird so ein Verhalten von klein auf abgeschaut. Woher Ron aber seine Abneigung hat …?“ Sie zuckte mit den Schultern. Angst vor Spinnen hatte Ron schon weit vor seiner Begegnung mit Aragogs Nachkommen.
„Die einzigen Tiere, die ich persönlich widerlich finde, sind freilebende Ratten.“ Bei seinen Worten horchte Hermine auf. „Ich spreche hier keinesfalls von zahmen Haustieren“, stellte er schnellstens klar. „Ratten sind Überträger todbringender Krankheiten, darüber hinaus vollkommen nutzlos. Selbst Kellerasseln haben eine Aufgabe: Sie ernähren sich von organischen Abfällen, von toten Insekten.“
Hermine nickte. „Wenn ich also eines Tages meine Animagusgestalt suchen sollte, darf es weder eine Ratte noch eine Spinne werden.“
„Spinnen sind nützliche Tiere“, warf er ein. Ihm würde es nichts ausmachen.
„Mag sein, aber ich habe keine Lust, dass Ron immer mit einer gerollten Zeitung hinter mir her ist, sollte ich in meine Animagusform wechseln.“
„Hast du es vor?“, fragte er interessiert. Ihre mögliche Tiergestalt machte ihn neugierig.
„Ich weiß nicht. Wenn Harry es macht, dann werde ich mich ihm anschließen.“
„Dann kann ich dir versichern, dass du keinesfalls zur Spinne wirst.“ Besagtes Insekt hatte die Balustrade endlich erklommen und ruhte sich von den kraftraubenden Strapazen ein wenig aus. „Die Eigenschaften dieser Tiere weichen enorm von deinen ab.“
„Ich weiß, dass die Animagusform, ganz ähnlich wie ein Patronus, der Persönlichkeit des Menschen entspricht. Trotzdem könnte es eine negative Überraschung geben. Da mache ich mir nichts vor.“
„Ach, das glaube ich nicht. Ich habe eher das Gefühl, dass die Animagusform der eines Patronus‘ gleicht. Sicherlich nicht in jedem Fall hundertprozentig, aber im Grunde sind sie sehr ähnlich.“
Hermine wurde hellhörig. „Hast du in dieser Hinsicht mal Nachforschungen angestellt?“
„Nein, dazu kenne ich zu wenig Menschen, die eine Animagusgestalt haben. Aber es wäre durchaus ein Projekt wert. Man müsste Vergleiche ziehen. Nimm Minerva als Beispiel: Patronus sowie Animagusgestalt sind bei ihr eine Katze. Vielleicht ist das kein Zufall?“
Sie stimmte ihm zu. „Dein Patronus ist ein Vogel, genau wie dein Animagus.“
„Ganz recht. Daher kam mir die Überlegung.“
Hermine ging einen Moment in sich, bevor sie enthusiastisch offenbarte: „Mit einem Otter als Animagus könnte ich gut leben. Ich werde später mal mit Harry sprechen. Dann können wir zusammen bei Minerva Unterricht nehmen.“ Sie machte eine kurze Pause, bevor sie etwas aufgriff, was er zuvor angesprochen hatte. „Von wem kennst du noch die Animagusgestalt?“
„Neben Minerva kenne ich natürlich die von Black und Konsorten“, er verzog das Gesicht. „Aber auch die von Lucius ist mir bekannt.“
„Der hat eine Animagusform? Welche ist das?“
„Das, Hermine, kannst du am heutigen Tag gern versuchen herauszubekommen. Ich habe mich schon damals verpflichtet zu schweigen. In Kreisen wie den seinen zählen solche Informationen zu den sehr privaten Dingen.“
„Ich habe keine Lust, mich heute damit zu befassen“, nörgelte sie.
„Schade, denn ich würde als Gegenleistung einen Tanz anbieten, aber wenn du nicht …“
„Höre ich richtig? Du verknüpfst das Normalste auf so einer Hochzeitsfeier mit einer Aufgabe?“
Severus lächelte einseitig. „Sieh es als Herausforderung an.“ Selbst wenn sie es nicht herausbekommen sollte, wollte er sich am Abend gütig zeigen.
„Kann ich seinen Animagus auch erraten? Ich hätte da einige Ideen …“
„Bösartige Ideen, wie ich vermute?“
„Stachelschwein, Skorpion, Stinktier … Ist das bösartig?“ Ein fieses Lächeln legte sich auf ihr Gesicht. „Hast du wenigstens einige Hinweise?“
„Durchaus! Da wäre die Tatsache, dass seine Animagusform genauso auffällig ist wie meine, sprich: Sie passt nicht in die hiesige Landschaft.“
„Schau mal!“ Hermine zeigte unerwartet zum Schloss. Offensichtlich wollte Harrys Tante doch noch bleiben. „Sie gehen wieder rein.“
Die Spinne neben Severus und Hermine hatte genug geruht und machte sich auf den Weg, die Balustrade am anderen Ende hinunterzuklettern, was Severus nicht entgangen war. „Vielleicht ist das ein Zeichen und wir sollten auch wieder hineingehen. Ich befürchte, dass noch einige alberne Programmpunkte folgen und …“
„Mach nicht alles nieder, Severus. Es gibt Menschen, die durchaus Spaß an kleinen Spielchen haben. Wollen wir reingehen?“
„Nein“, ein Arm legte sich um ihre Taille, „lass uns noch ein wenig hier sitzen.“

Im Schloss war George gerade dabei, seinem Bruder das Verkuppeln auszutreiben. Warum Fred so einen Spaß daran hatte, ihn auf diese Weise auf den Arm zu nehmen, war ihm ein Rätsel.

George zeigte auf Charlie, der neben den beiden stand und den brüderlichen Twist grinsend verfolgte: „Da, der ist auch noch Single. Geh ihm auf die Nerven!“
„Der hat seine Drachen. Da hat keine Frau mehr einen Platz“, erwiderte Fred.
„Dann kaufe ich mir eben auch einen.“ George seufzte. „Lass es einfach. Ich möchte hier meinen Spaß haben.“
„Es kann doch aber nicht schaden, wenn du dir die Mädels mal anschaust, die ich dir empfehle“, hielt sein Zwillingsbruder dagegen.
„Deine Empfehlungen sind aber überhaupt nicht durchdacht! Zwei von den dreien waren in Begleitung hier und die eine“, George verzog das Gesicht, „konnte ich früher schon nicht ausstehen, also lass es gut sein.“
„Aber …“

Fred kam nicht mehr dazu, etwas zu entgegnen, denn George suchte das Weite. Im Nu war er in der Menschenmenge untergetaucht. Sein Weg führte ihn nach draußen. Auf der überdachten Terrasse bog er nach links, hinten an der Ecke nochmal nach links. Prompt stieß er mit jemandem zusammen. Das Erste, das ihm auffiel, war der angenehme Duft. Es war eine junge Frau, die er angerempelt hatte. Bevor sie das Gleichgewicht verlieren würde, hielt er sie an den Oberarmen fest.

„Du ‘ast es aber eilig“, sagte die junge Frau mit einem leichten, französischen Akzent.
„Sag mal, kennen wir uns nicht?“ Die Wiedererkennung in Georges Gehirn funktionierte mit wenigen Sekunden Verspätung. „Du bist Gabrielle!“ Sie lächelte. Ihre Nase kräuselte sich dabei. „Wo hast du denn gesessen? Beim Essen habe ich dich gar nicht gesehen.“
„Neben meiner Schwester gehe ich meistens unter“, gab die junge Frau zu.
George konnte gar nicht glauben, dass sie mit am Tisch gesessen haben soll. Andererseits hat er auch Fleur nicht wahrgenommen, aber die hatte ihren Platz definitiv neben Bill gehabt. „Gehst du eigentlich noch zur Schule?“, wollte er wissen.
„Die Schule ‘abe ich letztes Jahr beendet.“
Im Kopf rechnete George nach und kam zu einem Ergebnis, dessen Bestätigung er mit einer Frage suchte. „Du bist jetzt achtzehn, oder?“ Sie nickte. „Mensch, wie die Zeit vergeht. Ich erinnere mich noch an …“
„Das Trimagische Turnier? Das werde ich auch nie vergessen“, beteuerte sie. Noch heute war sie Harry für ihre Rettung dankbar. „Gehst du ein Stück mit mir?“

Diese Bitte wollte er ihr nicht abschlagen. Gabrielle wollte weiter nach vorn laufen, zu dem Balkon, von dem aus man einen guten Ausblick auf den prächtigen See hatte. Auch wenn Veelablut in ihren Adern floss, fühlte er sich nicht magisch zu ihr hingezogen. Seinen klaren Kopf hatte er behalten. Am Balkon mit seinem steinernen Geländer machten sie Halt. Gabrielle betrachtete die herrlichen Gartenarbeiten. Jetzt, Ende Juni, standen viele der Blumen in voller Blüte.

„Mit dem Scherzartikelladen läuft alles?“, fragte sie interessiert.
„Ja, er läuft bombig. Kennst du unsere Produkte?“
„Nur das, was Bill ab und zu mitbringt, wenn er uns in Frankreich besucht. Besonders schön finde ich die Tagtraumzauber.“ Sie lächelte. „Dabei kann man so schön entspannen.“
„Und was machst du jetzt so nach der Schule?“
„Ich bin in der Ausbildung. Die wird noch acht Jahre dauern.“
George stutzte. „Jahre? Was für eine Ausbildung machst du denn?“
„Zauberstab-Herstellung. Es kann sein, dass Fernandi nach drei oder vier Jahren zu der Erkenntnis kommt, dass der Job nichts für mich ist, aber das wird sich noch ‘erausstellen. Ich bin einfühlsam genug für diesen Beruf und die Kenntnisse werde ich erwerben.“
„Fernandi? Das ist der Ollivander Frankreichs, oder?“
Gabrielle lachte. „Ja, der Vergleich hinkt nicht. Jedes Land hat seine Meister. Er ist bei uns der Beste. Unsere ganze Familie hat die Stäbe bei ihm machen lassen. Eine besondere Beziehung haben wir zu ihm, seit er Fleurs Stab hergestellt hat. Es gab anfangs Probleme mit dem Kern, bis er auf die einzigartige Idee kam, ein Haar unserer Großmutter einzuarbeiten. Das gab es vorher noch nie, musst du wissen. Ich glaube, deswegen will er mir eine Chance geben.“
„Du wirst das schon schaffen“, beruhigte George, der seltsamerweise der festen Überzeugung war, Gabrielle könnte den Stabmacher gar nicht enttäuschen. Aus dem Augenwinkel sah er etwas Großes unten auf dem Rasen. Es waren Olympe und Hagrid. „Sag mal, ist Hagrid einen Kopf größer geworden?“
Gabrielle blickte in die Richtung. Sie kicherte, als sie mit eigenen Augen sah, was er meinte. „Nein, er trägt ein Kind auf den Schultern.“

Besagtes Kind wedelte mit den Armen und quiekte vor Freude. So weit oben war es noch nie gewesen. Nicholas ließ sich von Hagrid tragen. Das Ziel war die Spiel-Zone. Viele Eltern brachten ihre Sprösslinge in die Obhut der Betreuer, bevor das Programm beginnen würde. Berenice tollte bereits mit einem anderen Mädchen umher, während Charles sich unter dem Umhang seines Großvaters versteckte.

Lucius lugte unter seinen Umhang und fragte mit freundlicher Stimme: „Willst du denn nicht spielen?“ So viele Kinder auf einen Haufen hatte der Junge noch nie gesehen. „Dann gehen wir mal zur Schaukel. Komm.“ Mit unsicherem Gang tapste Charles seinem Großvater hinterher. Als der Kleine ein Glucksen hörte, drehte er sich um. Charles sah seinen neuen Freund auf den Schultern des Riesen. „Was hast du denn?“, fragte Lucius, sah aber gleich darauf den Grund für die strahlenden Augen seines Enkels. Der Riese trug Potters Kind auf den breiten Schultern. „Na ja, fürs Ponyreiten als Amüsement hat es wohl nicht gereicht“, murmelte er zu sich selbst. Er hielt Charles fest, als der zu Hagrid laufen wollte, um auch hochgenommen zu werden. Seinen Unmut darüber tat Charles lauthals kund, denn er begann zu schreien und zu weinen. „Na, na, na, wer wird denn gleich so traurig sein. Schau mal“, versuchte er ihn abzulenken, „ein Karussell!“

Harry war Hagrid nachgegangen. Als er vor ihm stand, schaute er hinauf zu Nicholas, der fröhlicher gar nicht sein konnte.

„Vielen Dank, Hagrid, jetzt wird er immer enttäuscht sein, wenn ich ihn mal auf die Schultern nehme, weil es nicht so hoch sein wird wie bei dir.“ Der Riese winkte ab, griff dann blind nach oben, um Nicholas zu fassen zu kriegen, damit er ihn auf dem Boden absetzen konnte. Harry musste die ganze Zeit über grinsen. „Mich hat nie jemand auf seinen Schultern getragen“, erinnerte er sich mit plötzlich aufkommender Wehmut. Hagrid hatte ihn gehört. Mit einem Male wurde Harrys schlanker Oberkörper von zwei mülltonnendeckelgroßen Händen umfasst. „Was …?“ Die Luft, die er für den Rest des Satzes benötigte, entwich ihm bei dem Druck auf den Brustkorb, den beide Hände ausübten, als sie ihn hochhoben. „Nicht doch …!“ Harry musste lachen, weil er wusste, was Hagrid vorhatte. Der Halbriese hatte keine Probleme, Harry auf seine Schultern zu setzen. „Hagrid!“ Vor lauter Lachen konnte Harry nichts anderes mehr sagen. Oben angelangt hielt er sich an Hagrids Stirn fest, damit er Halt hatte.
„Was denn, Harry? Jetzt kannst’e nich‘ mehr sagen, du wärst nie auf die Schultern genommen worden.“
Harry giggelte genauso vergnügt wie sein Sohn zuvor. „Bin ich nicht zu schwer?“
„‘n Fliegengewicht bist‘e. Und? Wo soll es hingehen?“

Voller Staunen blickte Nicholas zu Hagrid auf, weil sein Vater dort oben saß und zu ihm hinunterwinkte. Auch Lucius schaute hinüber und schüttelte verachtungsvoll den Kopf. In seinen Augen machte Potter sich mit diesem kindischen Verhalten nur lächerlich. Hagrid lief mit Harry ein wenig umher, was Wobbel und Shibby amüsiert verfolgten. Manch einer schoss ein Foto von diesem seltsamen Anblick, der es wert war, festgehalten zu werden. Die Grangers winkten Harry zu, damit er in ihre Richtung schauen würde und sie ein gutes Bild von ihm machen konnten. George und Gabrielle hatten sich derweil zur Spiel-Zone begeben.

„Harry?“ Ginny klang überrascht. „Was machst du denn da oben? Du wolltest Nicholas doch nur herbringen.“
„Ich, ähm …“
Wobbel schritt helfend ein. „Mr. Potter wird nur die Sicherheit testen, so wie ich es vorhin bei den Spielgeräten getan hat. Falls Nicholas nochmals auf seine Schultern …“ Er deutete zu Hagrid.
Ginny wurde ganz bleich. „Nicholas war auf Hagrids Schultern? Meine Güte, wenn da was passiert wäre.“
„Ich war ja die ganze Zeit hier“, spielte Wobbel die Sache hinunter. „Und Mr. Potter hält sich auch gut, auch wenn er im Gegensatz zu Nicholas ein paar Probleme mit der Balance hat.“
„Das kommt davon, wenn man das Besenfliegen vernachlässigt“, spottete Ginny mit zwinkerndem Auge. An Harry gewandt fragte sie: „Wollen wir nicht langsam rein? Nevilles Großmutter hat irgendwas Gemeines für uns geplant.“
„Was?“, fragte er von oben zurück. „Du musst schon lauter reden. Man versteht hier kaum etwas.“

Aus etlichen Metern Entfernung zeigte Hermine in eine Richtung. Mit dem Ellenbogen stieß sie Severus an.

„Da schau! Das ist Harry, oder?“
Severus konnte gerade noch sehen, wie der Halbriese Harry wieder auf dem Boden absetzte. „Und?“
„Hast du es nicht gesehen? Harry saß auf Hagrids Schultern!“
Sie zerrte an ihm, damit er ihr folgen würde. Unsicher fragte er: „Muss ich dazu einen Kommentar abgeben?“
Sie lachte. „Nein.“ Bei Harry angelangt, der sich gerade noch über den edlen Hochzeitsumhang strich, damit der wieder saß, fragte Hermine grinsend: „Na, hat es Spaß gemacht?“
„Und wie!“ Von diesem völlig neuen Erlebnis war Harry hellauf begeistert. „Musst du auch mal machen!“
Hagrid wollte sich bereits anbieten, da verneinte sie. „Mein Dad hat mich früher oft genug herumgetragen. Ich weiß, wie toll das ist.“
Als Brautpaar waren Harry und Ginny natürlich ein begehrter Gesprächspartner. Mr. Granger und seine Frau näherten sich. Er fummelte an der Digitalkamera herum, bevor er das Bild auf dem Display hatte, das er Harry zeigen wollte. „Hier, sieh mal … Ach, verdammt.“
„Was ist denn los?“, fragte Hermine ihren Vater.
„Jedes Mal, wenn jemand in der Umgebung zaubert, geht die Kamera einfach aus. Gelöscht wird aber zum Glück nichts. Trotzdem nervt es.“

Alle sahen sich um und tatsächlich fanden sie eine Dame mit einem Stab in der Hand. Sie hatte den guten Anzug ihres Sohnes gegen Schmutz resistent gemacht, damit er spielen gehen konnte. Es waren Mr. und Mrs. Diggory. Wie an dem Tag, an dem seine Freunde ihm ein Quidditch-Spiel organisiert hatten, bemerkte Harry auch diesmal, dass der Junge Cedric wie aus dem Gesicht geschnitten war. Älter als acht Jahre konnte er nicht sein. Damals hatte er keine Zeit gefunden zu fragen, wer der Junge war, doch diesmal lag es auf der Hand. Er war der Sohn der Diggorys, der nach Cedrics Tod zur Welt gekommen sein musste. Severus war zu dem gleichen Schluss gekommen. Nach dem Trimagischen Turnier hatte er die Leiche des Schülers gesehen, den Harry auf dessen Wunsch mit nachhause gebracht hatte, doch erst jetzt empfand er das, was er damals hätte empfinden müssen.

Der Seufzer war Hermine nicht entgangen. Sie schaute neben sich und bemerkte, dass mit Severus etwas nicht in Ordnung war. Er atmete unruhig ein und aus, während sein Blick auf dem Ebenbild von Cedric verweilte. Vor seinem inneren Auge spielte sich die Szenerie ab, die damals auf dem Festplatz vor dem Labyrinth geherrscht hatte. Die Schüler hatten geschrien und geweint. Mr. Diggory war über dem toten Körper seines Sohnes unter Tränen zusammengebrochen. Mitfühlend hatte Albus ihm Trost spenden wollen, obwohl er selbst viel zu schockiert über den Tod des jungen Mannes war. Und Severus? Er hatte damals nichts gefühlt, hatte einen kühlen Kopf bewahrt, aber jetzt …

„Severus?“ Allein bei der Nennung seines Namens schwang die Frage mit, ob es ihm gut gehen würde. „Möchtest du reingehen?“ Er war nicht fähig zu antworten. „Du siehst traurig aus.“ Beschämt schloss er die Augen. Jetzt war es also schon so weit, registrierte er mit Unbehagen, dass er Gefühle dieser Art nicht mehr erfolgreich verbergen konnte. Innig hoffte er, dass sich dies nur während des Zeitraums des Heilprozesses zeigen würde und er später wieder mehr Kontrolle hätte. Er musste die Gewalt über sich zurückerlangen, sonst wäre er für den Rest seines Lebens nur noch ein bemitleidenswertes Häufchen Elend, das sich bei schlimmen Erinnerungen in eine Ecke zurückzog, um sich in Ruhe der Qual zu ergeben.

Mr. Granger hatte wieder die Kontrolle über seine Technik erlangt. „Hier, Harry!“ Er zeigte ihm eines der Bilder mit Hagrid, blätterte dann auf dem Display nach vorn, um auch von der Trauung welche zu zeigen. Somit war wenigstens Harry von dem Gedanken an Cedric abgelenkt.
„Ich hoffe doch, davon kann man Abzüge machen, wenn das alles digital ist.“
„Keine Sorge, Harry, ich lass die besten auf Fotopapier ausdrucken.“
Bei einem der ersten Bilder musste Harry grinsen. Hermine und Severus mit Nicholas im Arm. Ein Bild davor war noch Mrs. Granger dabei. „Davon möchte ich auch welche.“
„Ich sorge dafür, dass du dir alle vorher anschauen kannst“, versicherte Mr. Granger. Die Kamera stellte er wieder so ein, dass er weitere Bilder schießen konnte.

Unbemerkt hatte Severus Abstand zwischen sich und den anderen gebracht. Hermine wäre ihm gefolgt, hätte ihr Vater sie nicht dazu angehalten, sich mit Harry und Ginny zusammen fotografieren zu lassen. Gedankenverloren stolperte Severus über den Rasen. Ein Ziel hatte er nicht. Er wollte nur weg von dem, das ihn erinnerte. Weg von den Zündhölzern, die ihn entflammen könnten. Er wagte nicht aufzublicken, als ihm bewusst wurde, dass der Anblick von jedem einzelnen Gast wie Öl wirken könnte, dass man ins Feuer goss. Soweit seine wackligen Beine es hergaben, stürmte er die Stufen zum Schloss hinauf und stieß dabei jemanden versehentlich an. Das Geräusch von berstendem Glas ließ Severus unbewusst aufschauen. Sirius Black. Zorn. Name und Emotion waren eng miteinander verknüpft. Der ehemalige Rumtreiber betrachtete die Scherben des fallengelassenen Glases.

Sirius hob die Schultern und schnaufte vorwurfsvoll. „Das Leben ist einfach nicht fair.“
Die fehlende Kontrolle machte Severus noch rasender. „Nein, das Leben ist nicht fair“, keifte er aufgebracht. Über den garstigen Tonfall waren Sirius und Remus gleichermaßen verwundert. „Und sein Sie besser froh darüber, denn wenn es fair wäre, Black“, er spuckte den Namen aus wie einen alten Kaugummi, „würden Ihnen eine Menge schrecklicher Dinge widerfahren, die sie allesamt verdient hätten!“
Nach einer Schocksekunde feuerte Sirius im gleichen Tonfall zurück: „Hey! So lasse ich nicht mit mir reden, hörst du?“
Schlichtend ging Remus dazwischen und flüsterte mahnend: „Ich glaube, wir sollten den Ton ein wenig drosseln.“

Ein Blick über die Schulter bestätigte, dass ein paar Gäste bereits auf sie aufmerksam geworden waren. Auf keinen Fall wollte er als Störenfried auffallen, also unterließ Sirius es, die vielen bösen Worte zu verlieren, die bereits auf seiner Zunge tanzten. Es wäre auch längst zu spät, dem plötzlich wieder so griesgrämigen Tränkepanscher um die Ohren zu hauen, dass er hinter dem Bild mit Hermine und der auf der Rückseite befindlichen Notiz verantwortlich war. Das Gesicht hätte Sirius nur zu gern gesehen.

„Dem werde ich nochmal helfen“, murmelte Sirius verärgert.
„Was war das?“
„Ich sagte, ‚Dem werde ich helfen!‘“, schwindelte er. „Wenn er sich nochmal so benehmen sollte, dann …“
„Dann wirst du es schlucken, hörst du?“ Wenn Remus drohte, war etwas im Busch.
„Wieso?“
„Weil es … Es geht ihm heute nicht besonders, deswegen. Geht euch einfach aus dem Weg, dann ist alles in Ordnung.“
„Ich hab doch überhaupt nichts getan! Er hat mich angestoßen und nicht …“
„Es ist doch nichts geschehen, Sirius.“ Remus klatschte in die Hände und rieb sie, setzte dabei sein alles-wird-gut-Lächeln auf. „Lass uns heute feiern! Ohne Knatsch und Zank.“

Severus war längst über alle Berge. Vielleicht nicht ganz so weit, aber in seinem Herzen hatte er bereits die eisige Kälte von Oimjakon gespürt sowie die todbringende Hitze von Death Valley. Diese seelischen Temperaturschwankungen von minus siebzig Grad bis hinauf zu plus sechzig Grad Celsius konnte niemand ertragen. Für einen Augenblick fragte er sich, ob seine fast vollständige Seele bei dem ständigen Wechsel nicht Schaden erleiden könnte. Vielleicht würde sie erneut zerbersten wie dünnes Glas, wenn die Extreme von negativ und positiv so stark fluktuierten?

Er schlug den gleichen Weg ein, denn George vorhin genommen hatte, um vor seinen Brüdern zu fliehen. Als Severus um die Ecke bog, rannte auch er in eine Person hinein. Bei ihm war es keine reizende, junge Dame, sondern ein alter Freund.

„Albus …“ Severus‘ Befürchtung bewahrheitete sich. Ohne Hermine an seiner Seite war er den Erinnerungen ausgesetzt, die der alte Freund in ihm auslösen würde.

Anstatt mit Severus zu reden, lächelte Albus ihn freundlich an, schlug ihm zweimal ermutigend auf die Schulter und verschwand durch eine der Terrassentüren nach drinnen. Von dieser Reaktion völlig verdutzt vergaß Severus die aufwühlenden Erinnerungen. Möglicherweise hielt sich Albus absichtlich von ihm fern. So genau konnte man den alten Zauberer nie einschätzen. Zumindest hatte Severus diese Terrasse nun für sich allein. So konnte er entspannt die Augen schließen und die frische Luft atmen. Er roch den See, der nicht allzu fern lag, die feuchte Erde und die blühenden Gräser. Ein angenehmer Duft. Vögel zwitscherten ganz in seiner Nähe, doch als er die Augen öffnete, konnte er keine sehen, aber noch immer hören. Gelöst von üblen Gefühlen, die ihm vorhin noch den Verstand rauben wollten, schaute Severus gelöst gen Himmel. Ganz kurz blickte er in die Sonne, doch er schloss die Augen sofort, blinzelte dann einige Male. Die Flecken auf seiner Netzhaut verblassten nur langsam, da sah er dicht bei sich etwas Goldenes auf der Brüstung, direkt neben einem der Blumenkübel. Es war so groß wie eine Walnuss und kugelrund. Severus blinzelte nochmals. War ein Teil der Sonne zu Boden gefallen? Unmöglich! Vielleicht war es eine von Harrys Magiekugeln? Kaum machte Severus einen Schritt auf das glitzernde Etwas zu, um es unter die Lupe zu nehmen, da war es schon wieder lautlos verschwunden. Möglicherweise griff jetzt der Wahnsinn nach ihm. Es könnte ein Fehler gewesen sein, Hermine seinen persönlichen gordischen Knoten durchschlagen zu lassen. Er musste das Gesicht wahren, sich zusammenreißen. Trotzdem sorgte sich Severus, ob es das Richtige war, sich heute und hier mit so vielen Menschen konfrontiert zu sehen. Andererseits könnte gerade das wichtig für seine Genesung sein. Dank Hermines Farbtrank wussten sie, dass die Magie der anderen auf einen übergehen konnte.

„Severus?“ Wieder die besorgte Stimme. Hermine hatte ihn gefunden. „Du warst plötzlich nicht mehr da.“ Sie gesellte sich zu ihm, legte die Hände auf die Brüstung. „Ich habe von Remus gehört, es gab eine kleine Reiberei?“
„Nur eine klitzekleine, nicht der Rede wert.“
„Alles in Ordnung?“
„Ja.“ Wie aus der Pistole geschossen verbesserte er: „Nein, nichts ist in Ordnung. Ich glaube, ich habe Halluzinationen.“
„Tatsächlich? Wie äußern die sich?“
„Wie sollen sich Halluzinationen schon äußern?“, giftete er sie an, was ihm auf der Stelle leid tat. Viel ruhiger erklärte er: „Ich sehe Dinge, die nicht da sind.“ Goldene Lichtkugeln, die vom Himmel fallen. Würde er das sagen, fände er sich morgen in der geschlossenen Abteilung des Mungos wieder.
„Das kommt unerwartet …“, murmelte sie. „Möchtest du nachhause gehen?“
Das Angebot meinte sie ernst, doch er wollte sie nicht des heutigen Tages berauben, der nicht nur Harry und Ginny viel bedeutete. „Nein, das ist nicht notwendig. Wenn es schlimmer werden sollte, dann nehmen wir einfach ein Zimmer im Schloss und du bindest mich an einen Stuhl.“
„Wäre das Bett nicht bequemer?“, scherzte sie mit frechem Lächeln. „Keine Sorge, Severus. Ab jetzt lass ich dich nicht mehr allein.“
Vorgetäuscht erbost hielt er ihr vor Augen: „Das hört sich wie eine Drohung an! Vielleicht sollte ich lieber noch einmal die Waschräume aufsuchen, bevor du Ernst machst und mir wie eine Klette ...“
„An deiner Stelle würde ich aufpassen, was ich sage.“
„Schon wieder eine Drohung.“ Er schnalzte dreimal mit der Zunge. „Pass auf, dass ich dich nicht zu einem Duell auffordere.“
„Ach, es muss kein Duell sein. Ein Tanz genügt mir schon.“ Sie lächelte verlegen, bevor sie nochmals sein Problem ansprach. „Was hast du gesehen, dass du glaubst, zu halluzinieren?“
„Es war“, er deutete auf die Stelle neben Hermine, „dort. Ein kleines, goldenes Etwas. Es verschwand, als ich mich genähert habe.“
Hermine untersuchte die Stelle. „Vielleicht sind hier im Mauerwerk irgendwelche glitzernden Steine eingearbeitet?“ Sie fand nichts. „Womöglich nur eine Spiegelung?“ Ihr Blick verriet ihm, dass sie sich nun ernsthaft Sorgen machte.
Severus wollte sich einreden, die Sonne, in die er geblickt hatte, könnte damit zu tun haben, aber das würde nicht alles erklären. „Es fing vorhin schon an, als ich mit dem Jungen unterwegs war. Ich habe Schatten gesehen.“
„Severus, jetzt machst du mir richtig Angst! Was für Schatten und wo war das?“
„Im Erdgeschoss. Ich sah aus dem Fenster und bemerkte mehrere dieser kleinen Schatten, die vom Dach zum Boden huschten.“
Einmal musste Hermine kräftig schluckte. „Wie groß waren die?“ Severus führte Daumen und Zeigefinger zusammen. Das entstandene Loch zeigte die ungefähre Größe. „Meine Güte, das wird langsam gruselig. Aber zum Glück waren es keine Dementoren.“ Sie lachte befangen. „Allerdings weiß ich nicht, wie groß die sind, wenn die aus ihrem Ei schlüpfen.“
„Mal bitte den Teufel nicht an die Wand. Vielleicht sollten wir doch wieder hineingehen? Gehe ich nun Recht in der Annahme, dass man für Harry und Ginny einige peinliche Spiele organisiert hat?“
„Ja, das stimmt.“ Endlich kam ihr sanftes Lächeln wieder, das sie für den heutigen Tag gepachtet hatte. „Ich habe Mrs. Longbottom zugesagt, mich von Harry befingern zu lassen.“
„Wie bitte?“
„Das ist eines dieser peinlichen Spiele. Harry muss durch das Befühlen der Waden von fünf Frauen herausfinden, welche die von Ginny ist.“
„Ich glaube, ich bleibe doch lieber hier draußen. Auf diese Art sinnloser Pseudo-Unterhaltung kann ich gut verzichten.“
Sie nickte verständnisvoll. „Ich finde es auch albern, aber wenn man erst einmal dabei ist, macht es doch Spaß. Ich kenn mich doch. Außerdem sind nicht alle 450 Gäste gleichzeitig anwesend. Du kannst dich doch die Zeit lang an einen der Tische setzen. Ich stoße danach zu dir.“
Er stimmte zu.

Die Spiele waren nicht annähernd so unangenehm wie vermutet. Es wurde viel gelacht. Severus hatte sich auf den Platz gesetzt, den er vorhin schon zum Essen eingenommen hatte. Viele der Gäste hatten einige Habseligkeiten über ihre Stuhllehne gehängt oder auf dem Tisch liegen lassen. Auch Hermines Tasche war bei ihm – eine kleine Tasche, die nicht mehr als eine Packung Taschentücher und einen Lippenstift beinhalten konnte. Für Hermine, deren Tasche sonst immer vollgestopft mit Büchern, Notizen, Trankzutaten und unendlich vielen Kleinigkeiten war, musste es eine enorme Einschränkung darstellen, vermutete Severus. Zum Glück lag der Tisch des Brautpaares weit weg vom Geschehen, und außerdem hatte er ihn ganz für sich allein, weil die anderen entweder vorn beim Brautpaar standen oder sich noch immer die Beine vertraten. Manche nutzten welche von den Unterhaltungselementen, die man für Gäste bereitgestellt hatte. Welche das waren, wusste Severus nicht. Er wollte nur seine Ruhe.

„Darf es etwas sein, der Herr?“, fragte einer der zuvorkommenden Kellner.
„Nein, oder doch! Vielleicht noch ein Stück Nougattorte?“
„Kommt sofort.“

Lieber aß Severus noch etwas, bevor es auffiel, dass er sich die Zeit mit dem Zerfleddern einer Papierserviette vertrieb. Zum Kuchen verlangte Severus noch einen Kaffee. Nachdem der gekommen war, war sein Tag gerettet. Der Kaffee war göttlich. Beim zweiten Stück Torte, eigentlich dem dritten, wenn man das erste Dessert mitzählte, gesellte sich Lucius zu ihm. Er nahm den Stuhl, auf dem vorhin Remus gesessen hatte. Sein alter Schulfreund hob den Enkel auf den Schoß. Der Junge musste geweint haben. Die große Schürfwunde auf der Stirn war sicherlich der Anlass dafür gewesen, mutmaßte Severus. Lucius tunkte sein seidenes Taschentuch in ein Wasserglas und säuberte die kleine Wunde. Beim Anblick des Kuchens auf Severus‘ Teller war all der Schmerz offenbar wie weggefegt. Charles lehnte sich nach vorn und wollte nach dem angefangenen Stück Torte greifen.

„Nicht doch, du bekommst ein eigenes Stück“, versprach der stolze Großvater.
Als hätte der Kellner es gehört, kam er auf den Gast zu und nahm eine Bestellung auf. Lucius nahm das Gleiche wie Severus, dazu ein extra Stück Torte für den Jungen. „Und einen Tee. Fencheltee, aber bitte trinkwarm.“ Er blickte zu Charles. „Keinesfalls heiß!“ Nachdem der Kellner gegangen war, blickte Lucius das erste Mal seinem Tischnachbar ins Gesicht. „Amüsierst du dich auch so prächtig?“, spottete der alte Freund. Severus unterließ es, diesen Hohn auch noch mit entsprechender Antwort zu schüren, also erwiderte er nichts. „Hast du meine Schwiegertochter irgendwo gesehen?“
Severus ließ seinen Blick schweifen. „Ja, sie lässt sich vom Bräutigam gerade die Wade befühlen.“
Davon überzeugte sich Lucius selbst. Als er es mit eigenen Augen sah, wurde er wütend. „Und das in unserer Familie. Meine Güte, sind wir tief gesunken. Möchte mal wissen, was Draco dazu sagt.“
Erneut blickte sich Severus um und erspähte seinen Patensohn. „Der amüsiert sich köstlich darüber.“
„Na wunderbar, wenigstens einer hat Spaß an diesem Unfug. Ich frage mich, wie lange man die Gäste noch mit Langeweile quälen möchte?“ Lucius seufzte. „Kannst du mal bitte kurz auf ihn acht geben?“
„Auf den Jungen?“, fragte Severus schockiert nach.
„Auf wen denn sonst? Ich muss seine Flasche organisieren und die hat meine Schwiegertochter.“
„Warum nennst du sie nicht beim Namen? Susan. Ist doch gar nicht so schwer. Sind auch nur zwei Silben anstatt vier.“
Lucius schnaufte. „Soweit kommt es noch. Also, passt du kurz auf?“
„Ich … Nein, lieber nicht.“
Enttäuscht schaute Lucius ihn an, presste dabei die Lippen zusammen, als würde er eine Beleidigung zurückhalten. „Ach, aber auf den Potter-Balg hast du ein Auge geworfen.“
„Das war nicht beabsichtigt. Es hat sich so ergeben.“
Kaum hatte Severus zu Ende gesprochen, erhob sich Lucius und setzte den Jungen auf den Stuhl neben Severus. „Dann ergibt es sich jetzt auch gerade.“

Schon war Lucius gegangen und überließ Severus die Aufsichtspflicht. Noch war der Knabe still. Das Kuchenstück hypnotisierte Charles geradezu. Severus beobachtete, wie Lucius erst Draco etwas fragte, dann Susan. Derweil kam der Kellner und stellte die Bestellung auf dem Tisch ab. Sofort wollte Charles mit den Händen nach der Torte greifen, da hielt Severus ihn davon ab.

„Dein Großvater wird es bestimmt nicht gern sehen, wenn du dich überall beschmierst. Andererseits hätte er es verdient, dich wieder sauberzumachen.“ Charles blinzelte ein paar Mal, während er Severus anschaute. Verstehen konnte er ihn nicht, aber er wusste, dass der Mann mit ihm sprach. Nochmals versuchte Charles, an die Süßigkeit zu gelangen. „Nein!“ Wieder hielt er die kleinen Finger davon ab, sich in den Teig und die köstliche Füllung zu graben. Charles versuchte eine andere Taktik. Was er oft gesehen hatte, wollte er nachahmen, als er zur Gabel griff, doch auch die wurde ihm weggenommen. „Ich glaube nicht, dass du schon allein damit essen darfst.“ Der unbenutzte, kleine Löffel, der ihm zum Kaffee gereicht worden war, war in Severus‘ Augen ungefährlich genug, so dass er ihn an Charles weitergab, doch damit konnte der Junge nichts anfangen, außer sein Spiegelbild in ihm zu erblicken und fröhlich zu lachen. „Sag nicht, dass du noch nicht allein essen kannst.“ Hilfesuchend schaute sich Severus um. Zum Glück kam Lucius gerade zurück, durchstöberte aber erst ein paar Stühle weiter eine Tasche, aus der er eine leere Babyflasche nahm. In diese Flasche füllte er den Tee um, den der Kellner gebracht hatte.
„Na? War es so schlimm, für nicht einmal fünf Minuten auf ihn aufzupassen?“
„Du kannst dich gleich woanders hinsetzen“, drohte Severus, „wenn das die ganze Zeit so schnippisch weitergehen soll.“

Lucius hielt den Mund. Die beiden Freunde wussten, wie man den jeweils anderen handhaben musste, auch wenn sie sich ein wenig voneinander entfernt hatten. Ein bisschen sticheln war immer erlaubt. Nur die neu gesteckten Grenzen mussten nach all den Jahren neu abgegangen werden, um sie kennen zu lernen. Lucius gab erst Charles einen Happen Kuchen, bevor er selbst zur Tasse Kaffee griff.

„Mmmh, wenigstens etwas an diesem Tag ist gut.“
Severus seufzte. „Wenn du nicht hier sein möchtest, was hindert dich daran, dich zu verabschieden und nachhause zu gehen?“
„Meine Frau“, war die knappe, aber ehrliche Antwort. Für Lucius gehörte es zu seiner Pflicht, seine Frau zu solchen Anlässen zu begleiten. „Ich hoffe nur nicht, dass die Nichte meiner Frau auch eines Tages heiraten wird.“
„Das wird sie mit Sicherheit. Ich weiß auch schon wen.“
Genervt rollte Lucius mit den Augen. „Das fehlte mir noch, dass so jemand in meine Familie einheiratet.“
„So jemand ist zufällig ein reinblütiger Zauberer. Ist es nicht das, was dich an der Hochzeit deines Sohnes am meisten störte? Dass Susans Mutter“, ein flüchtiger Blick zur besagten Dame, „ein Muggel ist?“
„Wir sollten dieses Gespräch auf der Stelle abbrechen, Severus, sonst wird es übel enden.“
„Ich frage mich nur ernsthaft, was du tun würdest, sollte Narzissa – Merlin bewahre – eines Tages von einem Werwolf angefallen werden. Würdest du sie verstoßen?“
„Was bezweckst du mit solchen unhaltbaren Horrorszenarien, Severus?“
„Du weißt ganz genau, auf was ich anspiele. Was ist mit der Dame, mit der du dich vorhin so lange unterhalten hast?“ Severus erntete einen unschuldigen Blick, ließ sich davon aber nicht verwirren. „Sie ist ein Halbblut, wie mir Mr. Krum mitgeteilt hat. Du schienst trotzdem bestens mit ihr auszukommen. Deshalb die gerechtfertigte Frage, wo – und vor allem warum – du Unterschiede machst.“
„Ich möchte gern in Ruhe meinen Kuchen essen.“ Vorher reichte er aber seinem Enkel noch die Flasche mit dem Gummisauger, die Charles bereits selbst halten konnte, auch wenn sie ihm manchmal aus den kleinen Händen gleiten wollte.
„Und wenn ich so darüber nachdenke, wie freundlich du mit deinem Enkel umgehst …“
„Severus!“, zischte Lucius bedrohlich leise. „Ich kann mich gern wegsetzen, wenn du es wünscht. Eigentlich erhoffte ich mir, wir beide könnten gemeinsam gegen die Langeweile angehen, aber ich habe keine Lust, mir irgendwelche Vorwürfe anhören zu müssen.“
„Es reicht mir, wenn ich diese Sache einmal angesprochen habe“, beteuerte Severus, der gewillt war, weitere zynische Bemerkungen zu unterlassen. „Vielleicht denkst du eines Tages mal darüber nach, aber wechseln wir jetzt lieber das Thema. Mit was vertreibst du dir so die Zeit, wo du nicht mehr im Ministerium arbeitest?“
„Interessiert dich das wirklich oder willst du nur wieder Giftpfeile in meine Richtung abschießen?“
„Es interessiert mich wirklich.“
„Nun, dann möchte ich gern antworten. Meine beiden Steckenpferde haben sich in Luft aufgelöst. Draco war so frei, meine kostbare Sammlung antiker“, er wurde leiser, „schwarzmagischer Gegenstände zu veräußern.“
„Ah, daran erinnere ich mich. Einen Gegenstand darf ich jetzt mein Eigen nennen.“
„Tatsächlich? Was hast du ihm abgeschwatzt?“, wollte Lucius wissen.
„Es war ein Geschenk. Der goldene Apfel.“
„Der Zankapfel!“ Ein fieses Grinsen breitete sich auf Lucius‘ Gesicht aus. „Du hast ihn nicht zufällig bei dir? Damit könnte man etwas Schwung in die lahme Gesellschaft bringen.“
„Ich habe nicht vor, ihn eines Tages zu benutzen. Ich möchte die Zauber ergründen, die auf ihm liegen.“
„Ach“, Lucius seufzte theatralisch, „du hast nie begriffen, dass man mit Magie dieser Art auch ein wenig Spaß haben kann. Aber egal, erzähl mir, was du so den lieben, langen Tag treibst.“
Severus wich aus. „Erst noch dein zweites Steckenpferd. Du hast nur eines genannt.“
„Meine andere Passion war ebenfalls eine imposante Kollektion. Ich sammelte Geheimnisse.“ Betrübt starrte Lucius auf seine Tasse Kaffee. „Die Sammlung ist jedoch unbrauchbar geworden. Ich kann keine Vorteile mehr daraus ziehen. Mein lieber Sohn hat mir in dieser Hinsicht einen Riegel vorgeschoben.“
„Was hast du jetzt für Hobbys?“
„Nein, Severus, erst du. Wir haben kaum miteinander gesprochen, nachdem …“ Voldemort besiegt worden war. „Da war doch etwas mit einer Apotheke, die dieser Granger gehört.“
Severus war sich sicher, dass Luicus davon wusste, aber vielleicht fragte er nur nach, um ein wenig Konversation zu betreiben. „Nun gehört sie zur Hälfte auch mir.“
Lucius war sichtlich erstaunt. „Oh, tatsächlich? Dann hörst du in Hogwarts auf?“
„Ab nächster Woche bin ich voll und ganz in der Winkelgasse anzutreffen.“
„Na ja, ich weiß zwar, dass dein Verhältnis zu Dumbledore im Vergleich zu meinem sehr gut war, aber ich finde es richtig, dass du nicht mehr tag ein, tag aus unter seiner Aufsicht stehst. Lehrer zu sein war nie deine Berufung.“ Nachdem Charles noch einen Happen Torte bekommen hatte, wollte Lucius wissen: „Wo wirst du wohnen? Die Winkelgasse ist sicherlich zu teuer.“
„Das ist zwar richtig, aber wir hatten das Glück, über der Apotheke noch die dazugehörige Wohnung zu erwerben.“
Die Tasse auf dem Weg zum Mund stoppte abrupt, als Lucius innehielt und große Augen machte. „Wir?“, wiederholte er ungläubig.
„Du hast richtig gehört. Wir teilen uns die Wohnung. Wozu soll ich mir etwas Eigenes suchen, wenn ich die meiste Zeit sowieso in der Apotheke verbringe? Die Gelegenheit war günstig und ich habe zugeschlagen.“
„Aber das gehört sich nicht!“
Severus runzelte die Stirn. „Was gehört sich nicht?“
„Zusammen in einer Wohnung! Meine Güte …“ Zufällig blickte Lucius zum Brautpaar hinüber. Potter hatte Ginny mit verbundenen Augen am Unterschenkel erkannt. „Aber wenn ich mir die jungen Leute so ansehe. Schon ein Kind haben und erst danach heiraten. Gewisse Reihenfolgen werden wohl schon lange nicht mehr eingehalten. Ich glaube, ich werde alt.“
„Du hast bald Geburtstag, nicht wahr?“ An Lucius‘ Gesichtsausdruck erkannte Severus, dass er richtig lag. „Dein fünfzigster.“
„Erinnere mich bloß nicht daran. Narzissa drängt mich, eine Feier zu organisieren. Wenn ich ehrlich bin, wüsste ich nicht, wen ich einladen könnte. Entweder sitzen diejenigen, die ich normalerweise geladen hätte, in Askaban oder sie sind …“ Er schluckte kräftig.
„Tot“, vervollständigte Severus ganz richtig. „Wie wäre es dann mit einer schlichten Familienfeier?“
„Ha! Dass ich nicht lache. Zu einer Familienfeier würden mittlerweile auch die Tonks’ und der dämliche Cousin meiner Frau zählen und die möchte ich nicht in meiner Nähe haben, wenn es sich vermeiden lässt.“ Eine neue Möglichkeit tat sich auf. „Würdest du kommen?“, fragte Lucius hoffnungsvoll. „Wir könnten einen Herrenabend veranstalten, mit ein wenig Billard und dem Schwelgen in der Vergangenheit.“
„Es gibt wenig, in dem ich schwelgen möchte. Außerdem würde ich nicht allein kommen und meine Begleitung dürfte deinen hohen Ansprüchen nicht genügen.“
Mit gesummten M-Lauten tat Lucius kund, dass er Severus‘ Standpunkt verstand. „Ist das wirklich was Ernstes?“ Severus nickte unbewusst, weil er die Frag ein Gedanken bejahte. „Dann werde ich mich in Zukunft mit Äußerungen zurückhalten, die dich verärgern könnten.“ Zur Hälfte hatte Charles seinen Kuchen verputzt. Der Tee hingegen war geleert. „So, mein Kleiner. Wollen wir uns frisch gestärkt noch einmal auf die Schaukel wagen?“ Charles grinste breit und schaute dabei seinem Großvater in die Augen. Hautnah erlebte Severus, wie sich sein alter Freund von dem Kind umgarnen ließ, denn Lucius lächelte glücklich zurück. „Severus, wir sehen uns bestimmt noch oder möchtest du uns in die Spiel-Zone begleiten.“
„Aus dem Alter bin ich raus.“
Ein amüsiertes Schnaufen entwich Lucius. „Dann bis später und danke für die abwechslungsreiche Unterhaltung.“

Eine halbe Stunde, nachdem Mrs. Longbottoms Spielchen ein Ende gefunden hatten, kämpfte sich Hermine durch die Menschenmassen. Es dauerte eine Ewigkeit, bis sie all den ehemaligen Mitschülern, denen sie begegnete, eine Antwort auf die vielen Fragen geben konnte, die man sich normalerweise stellte, wenn man sich einige Zeit nicht gesehen hatte. Im Moment benötigte Hermine eine Pause. Bei Severus angelangt fragte sie, ob er sie nach draußen begleiten wollte. Beide schlenderten zum See. Hermine kam dabei einige Male ins Straucheln. Den Grund dafür fand er, nachdem sie sich auf eine steinerne Bank gesetzt hatten. Hermine blickte sich um. Da niemand anderes in der Nähe war, nahm sie sich die Freiheit, ihren Füßen Freiheit zu schenken.

Die Schuhe waren kaum ausgezogen, da seufzte sie. „Himmel, das tut gut!“
„Nie wird ein Mann hinter das Geheimnis der Frauen kommen, warum sie Schuhe tragen, die ihnen Schmerzen bereiten.“
„Als ich sie gekauft habe, passten sie wunderbar, aber jetzt“, sie streckte die Beine von sich und wackelte mit den Zehen, „ist der Druck einfach zu groß geworden.“
„Sie sind geschwollen“, stellte Severus trocken fest. „Halt sie ins Wasser. Das ist sicher erfrischend.“ Er begleitete sie zum Ufer und blieb dann stehen, während sie noch zwei, drei Schritte hinein ins Wasser machte, dabei erleichtert ausatmete.
„Das tut wirklich gut. Ist angenehm, Severus. Solltest du auch machen!“
„Ich habe für den heutigen Tag ein angemessenes Schuhwerk gewählt und habe es sehr gemütlich.“
Sie lachte, deutete dann auf das Schilf in der Nähe. „Schau mal, Schwäne!“ Zwei Schwäne glitten über das Wasser. Einer von ihnen bemerkte Hermine und steuerte auf sie zu. „Sind die nicht schön?“, schwärmte sie. „Wie romantisch!“
„Hermine, du solltest besser …“
„Schau mal, da schwimmen ja auch die Kleinen!“ In ihrer Begeisterung war sie etwas zu laut, womit sie den Frieden auf dem Wasser störte.
„Komm besser raus, sonst …“
„Der kommt mir für meinen Geschmack etwas zu dicht heran“, bemerkte sie ganz richtig. Langsam ging sie zurück, doch der gut genährte, 15-Kilo-Höckerschwan hatte sie längst anvisiert. Er breitete seine Flügel und fauchte angriffslustig, bevor er auf sie zustürmte. „Hilfe!“ Hermine nahm die Beine in die Hand und verließ das Wasser in Windeseile. Freundlicherweise kümmerte sich Severus um das Tier. Er jagte ihm mit einem harmlosen Zauber einen kleinen Schrecken ein, so dass das weiß gefiederte Tier zurück ins Wasser ging. „Danke, Severus.“
„Hättest du mich nicht zweimal unterbrochen, wäre es mir möglich gewesen, dich über die Brutzeit von Schwänen zu unterrichten. Die Küken schlüpfen im April. Diese dort“, er zeigte auf die nun wieder friedlich auf dem Wasser schwimmende Familie, „sind in etwa zwei Monate alt. Da ist es verständlich, dass Schwäne ihr Revier gegen so einen großen Eindringling verteidigen.“
„Ich bin doch nicht groß.“
„Im Vergleich zu einem Schwan schon.“

Drinnen hörten viele Gäste der kurzen Rede von Albus Dumbledore zu, doch keinesfalls alle. Albus wollte die Worte, die er an Harry und Ginny richtete, nicht als festen Programmpunkt für die Feierlichkeit sehen. Er hätte die beiden auch in einem ruhigen Moment beiseite nehmen können. Es war ihm aber auch Recht, wenn Harrys engste Vertraute seine Glückwünsche für das gemeinsame Leben verfolgten.

Die Patil-Schwestern hatten sich derweil gut mit Blaise und Pansy unterhalten, selbst mit Gregory. Es gab Fragen, die sogar Seamus auf der Zunge brannte. Eine Sprechpause nutzte er für sich, um das Wort an Pansy zu richten.

„Sag mal, wie konntest du überhaupt den Hogwarts-Express verlassen?“ Seamus‘ Frage machten auch Parvati und Padma neugierig sowie Dean und einige andere Gryffindors. „Du bist mit uns allen eingestiegen, aber nie in King’s Cross angekommen. Wie geht das?“
Dean machte die erste Idee, die jedem durch den Kopf ging, zunichte. „Apparieren aus dem Zug ist nicht möglich. Der ist wie Hogwarts‘ selbst geschützt.“
„Das stimmt“, gab Pansy zu.
„Auf dem Bahnhof“, begann Pavarti, „war eine Menge los. Deine Mutter hat die Pferde scheu gemacht. Die Polizeibrigade hatte keine Spur. Du warst wie vom Erdboden verschluckt.“
Padma nickte heftig. „Es stand sogar in den Zeitungen. Man vermutete, du bist Todessern in die Hände gefallen.“
„Es war nicht leicht“, gab Pansy zu. „Den ganzen Sommer über habe ich mit meiner Mutter geübt.“
„Was geübt?“, wollte Seamus wissen.
„Die Apparation im freien Fall.“
„Was?“, fragten die Zwillinge zeitgleich. „Du bist aus dem Zug gesprungen?“
„Ja, ich musste untertauchen. Die Todesser waren noch nicht hinter mir her, wären es aber bald gewesen. Meine Mutter hat sie wieder und wieder vertröstet, bis sie ihnen nach meinem Verschwinden die Stirn geboten hat.“ Die Erinnerung ließ Pansy kräftig schlucken. Ihre Mutter war wahrscheinlich nicht mehr am Leben. Gefunden hatte man lediglich den Vater und der lag noch immer mit schweren Gebrechen im Mungos, seit die Todesser ein Exempel an ihm statuiert hatten. Niemand sagte „Nein!“ zu Voldemort. „Meine Mutter kam auf die Idee, bei einer der Brücken aus dem Zug zu springen und im Fall zu apparieren. Geübt haben wir Zuhause. Ich bin vom Balkon im zweiten Stock gesprungen, wieder und wieder, unzählige Male, bis es funktionierte. Das Schlimme ist nämlich, dass die Konzentration getrübt ist, wenn du dich in so einer Situation befindest. Der Bedacht geht flöten, wenn du fällst, aber wie heißt es so schön? Übung macht den Meister. Ich habe es geschafft und der Plan ging am Ende auf.“
„Und wohin wolltest du?“
Es war Gregory, der unerwartet antwortete. „Zu einem Gutshof in Peninver. Es hieß, es wäre ein Zufluchtsort für diejenigen, die Voldemort eine Abfuhr erteilt haben. Das Gebäude würde unter Fidelius stehen. Es hieß, wenn man sich lange genug in der Nähe aufhielt, würde eine Kontaktperson kommen.“
„Gregory hatte das gleiche Ziel wie wir“, erklärte Blaise. „Auf dem Weg dorthin haben wir uns zufällig getroffen. Apparation war nicht mehr möglich, weil sämtliche magische Aktivitäten überwacht wurden.“
Dean nickte verständnisvoll. „Dann war zaubern auch nicht mehr möglich?“
„Nein“, erwiderte Pansy. „Wir mussten wie Muggel leben und reisen. War nicht immer leicht, aber wir haben auf unserem Weg ein paar sehr hilfsbereite Menschen kennen gelernt.“

Die der Grund dafür waren, dachte sie, dass sich die Ansichten von Blaise und ihr geändert hatten. Muggel waren keine Idioten. Natürlich gab es auch unter ihnen ein paar zwielichtige Gestalten, aber die meisten stellten keine Fragen, wenn sie darum gebeten wurden, ihre Scheune für eine Nacht zur Verfügung zu stellen. Nicht selten wurde ihnen ein Gästebett im eigenen Haus angeboten. Manchmal hatten die beiden von einer erdachten Geschichte über eine familiäre Fehde berichtet, wegen der sie zusammen durchgebrannt wären. Bei dem einen oder anderen netten Ehepaar tat es ihnen leid, gelogen zu haben.

„Die Todesser hatten von dem Versteck erfahren und lagen in Kintyre auf der Lauer. Wir sind ihnen direkt in die Arme gelaufen, aber die waren gerade anderweitig beschäftigt“, erzählte Blaise, der sich noch sehr lebhaft an dem Kampf zwischen Todessern und Muggeln erinnern konnte. „Hätte nie gedacht, dass Muggel es den Todessern schwermachen könnten, aber so war es.“

Gregory hätte an dieser Stelle weitererzählen können. Hätte davon berichten können, wie er von Blaise und Pansy getrennt wurde, wie man ihn mit einem übel riechenden Taschentuch überwältigt hatte und in Ohnmacht versetzte. Wie er in dem Turm erwachte, angekettet an der Wand. Tagelang drangsaliert von einem Sadisten, der ihm Frage stellte über das Zaubereiministerium, über den Minister, über Harry Potter. Er könnte die Hitze schildern, die er unter sich wahrgenommen hatte, als man das Feuer entzündete. Der letzte Versuch der Flucht durch Apparation, dann ewige Dunkelheit. Das Erwachen kam von einem brennenden Schmerz, der ihn glauben ließ, noch immer auf dem Scheiterhaufen zu stehen, doch es war nur das dunkle Mal, das loderte und ihn aus der Besinnungslosigkeit holte. Das war eine andere Geschichte, die nicht dazu geeignet war, sie an so einem freudigen Tag wie heute zu erzählen. Später.

„Haben die Auroren es überprüft?“, fragte Dean neugierig.
Blaise stutzte. „Was überprüft?“
„Na, ob in Peninver tatsächlich ein Gutshaus mit Flüchtlingen steht?“
„Das ist eine gute Frage. Ich habe es in meiner Aussage erwähnt. Es liegt nahe, dass sie …“
„Da kommt gerade einer!“ Dean zeigte auf Kingsley, einen der Auroren, die Blaise verhört hatten. „Wir könnten ihn fragen.“

Gesagt, getan. Dean winkte Kingsley heran. Der wusste von Peninver, doch bisher mangelte es an Zeit für eine ausführliche Suche. Der Ort war leicht auszumachen, aber man wusste nicht, wo sich das alte Gutshaus befinden sollte. Für weitere Fragen verwies Kingsley kurzerhand an den Minister, damit er selbst nicht mehr Rede und Antwort stehen musste.

Grinsend marschierte Kingsley nach vorn zum Brautpaar, um wenigstens eine persönliche Gratulation loszuwerden, bevor sich 449 andere Gäste auf sie stürzten.

„Ginny, meinen Glückwunsch zur Hochzeit!“ Erst wollte er ihr die Hand geben, winkte aber seinem eigenen, formellen Ich ab und umarmte sie. „Und Harry, dir natürlich auch alles Gute für die Zukunft.“ Seinen Worten folgten ein kräftiger Händedruck und ein beruhigendes Klopfen auf die Schulter.
„Danke, King. Sag mal, wie war es eigentlich beim Boxen?“ Vergessen hatte Harry es nicht.
„Es war fantastisch. Geoffreys hat mich nochmal eingeladen, diesmal in ein Muggel-Fitnessstudio. Ich denke, das wird mir gefallen. Ach ja, Joel lässt schön grüßen und übermittel seine Glückwünsche zur Hochzeit.“
„Mensch, wenn hier sogar die Cousine von Krum und der verlorene Slytherin eingeladen sind, dann hättest du auch die beiden mitbringen können.“
King schüttelte den Kopf. „Geoffreys ist noch nicht so weit, Harry.“ Kingsley Stimme war sehr ernst. „Und Joel auch nicht. Das muss langsam beginnen.“
„Kein Problem. Würde mich freuen, Joel nochmal zu treffen“, gestand Harry.
„Wieso? Habt ihr die gleichen Hobbys?“
„Nein, aber er weiß nicht, was der Name ‚Harry Potter‘ alles mit sich bringt. Für ihn bin ich nur ein junger Mann, der zaubern kann.“
King lachte. „Er wird es im Laufe der Zeit aber rauskriegen.“
„Möglich, aber es wird keine Bedeutung mehr haben. Es ist alles vorbei.“
Jeder, der das Gespräch mithörte, verstand Harry sehr gut, allen voran Kingsley, von dem Harry damals einige Tipps und Tricks in Sachen körperliche Fitness erhalten hatte. „Übrigens“, Kingsley deutete auf Harrys Stirn und grinste, „schicker Haarschnitt!“

Aus einem Reflex heraus griff sich Harry mit einem Lächeln an die Stelle, an der ihn einst eine Narbe als letzte Hoffnung auf Frieden gekennzeichnet hatte. Bevor er sich den anderen Gästen stellte, entschuldigte er sich. Harry musste mal dringend auf die Herrentoilette, doch die wollte erst gefunden werden. Mit mächtigem Druck auf der Blase irrte er in einem Gang umher, bis ein Angestellter des Schlosses Mitleid mit ihm hatte und ihm den Weg zur Toilette nicht nur beschrieb, sondern ihn hinführte.

„Danke.“ Die Toilette hatte er bei der Menge an Gästen natürlich nicht für sich allein. Es war Draco, der eines der Becken belegte. Ein Anstands-Pissoir ließ Harry zwischen sich und Draco frei, bevor er endlich den Kaffee herauslassen konnte.

„Ist eine tolle Feier“, kam es von rechts.
„Danke, es ist aber verdammt anstrengend. Ich glaube, die Gäste haben am meisten Spaß. Irgendwie artet die Hochzeit in Arbeit aus.“ Harry stutzte, weil er so offen und ehrlich seine Meinung kundgetan hatte.
Draco war bereits fertig und ging zum Becken hinüber. Er wusch sich die Hände und antwortete, ohne Harry dabei anzusehen: „Es ist aber angemessen für einen Mann deines Kalibers. Mit dem heutigen Tag wird alles anders.“
„Hast du dich auch so gefühlt?“ Harry hatte sein Geschäft ebenfalls erledigt und ging der Hygiene nach.
„Offen gestanden: ja! Das war ein großer Schritt für mich. Ich habe mit den Traditionen gebrochen, die in unserer Familie gelehrt und gelebt wurden.“ Während sich Draco die Hände abtrocknete, musste er lächeln, doch es war ein trauriger Ausdruck, der in seinem Gesicht Überhand gewonnen hatte. „Das letzte Mal, als wir uns auf einer Toilette getroffen haben, sah die Sache noch anders aus.“

Brodelnde Wut. Zischende Flüche. Sectumsempra.

„Ich …“ Harry war verlegen. „Hermine hat mir erzählt, dass sie eine große Narbe bei dir gesehen hat.“ Mit einer Hand zeigte Harry vom Brustbein bis hinunter zur Leistengegend.
„Mach dir darüber mal keine Gedanken“, spielte Draco die alte Verletzung herunter. „Das liegt so lange zurück. Die anderen Wunden haben nichts hinterlassen und mit dieser einen Narbe kann ich leben.“ Draco erinnerte sich an ein Gespräch, das er eines Tages mit Susan gehabt hatte. „Susan sagte, dein Rücken sei übersät mit Narben.“
„Ja, so ein feiger Hund hat mich von hinten … Ach, Schwamm drüber. Sie sind ja auf den Rücken. Ich sehe sie nicht und sie tun auch nicht weh.“ Nachdem Harry sich die Hände getrocknet hatte, verließ er den Waschraum nicht sofort, denn draußen würde ihn wieder eine Menschenmenge erwarten. „Wie macht sich dein Vater hier so?“
Draco verzog den Mund, legte den Kopf schräg. „Ich glaube, er will sich langweilen.“
„Ihm ist langweilig?“
„Nein“, verbesserte Draco, „ich sagte, er will sich langweilen. Du könntest hier die beste Unterhaltung der Welt anbieten und er würde trotzdem sagen, es wäre öde.“
„Ah, verstehe. Ich kann es ihm nicht verübeln. Es sieht so aus, als wäre er gern überall, nur nicht hier.“
„Damit liegst du absolut richtig. Mein Sohn ist das Einzige, das ihn hier auf der Feier noch hält. Selbst meine Mutter kann ihn nicht aufheitern. Ich befürchte, sie werden heute nicht einmal zusammen tanzen, obwohl sie sich so darauf gefreut hat.“
„Nicht tanzen? Was für ein Partykiller“, beschwerte sich Harry mit einem Schmunzeln, womit er Draco ansteckte. Unerwartet ernst schlug Harry vor: „Ich kann ja mal mit ihm reden.“
„Du kannst es auch lassen. Die Wahrscheinlichkeit ist gering, dass er dir zuhören wird. Er hört auch nicht auf mich.“
„Und Severus? Kann der ihn nicht …?“
Draco schnaufte. „Vergiss es. Die beiden müssen erst wieder zueinander finden. Die Zeit ist eine Barriere, die viele Veränderungen mit sich bringt. Ich meine, schau dir Gregory an! Er vermeidet es, mit mir zu sprechen. Bei Blaise war es anfangs genauso. Nur Pansy hatte keine Berührungsängste. Sie kannte mich damals schon gut genug, um zu erkennen, dass ich heute anders bin.“
„Und ich erst!“ Harry lachte.
„Das ist der Knackpunkt, Harry. Ich hätte die gleichen Probleme wie mein Vater, wenn …“
Draco stoppte sich selbst, so dass Harry raten musste, wie der Satz ausgegangen wäre. Als Vorschlag nannte er: „…wenn ich dich noch genauso behandeln würde wie früher?“
„Ja, so in etwa. Ich kann es schwer in Worte fassen. Viele Menschen glauben, man könnte sich nicht ändern. Bei meinem Vater fällt selbst mir schwer zu glauben, er könnte eines Tages seine Ablehnung gegenüber Muggeln und Halbblütern vergessen.“
„Aber Charles …?“
„Das ist wieder etwas ganz anderes – und genauso schwer zu erklären. Mein Vater blendet es bei ihm absichtlich aus. Ich habe heimlich zugehört, wie Severus und er miteinander gesprochen haben. Alles habe ich nicht gehört, aber ich habe mitbekommen, wie mein Vater über bestimmte Dinge einfach nicht sprechen möchte, sich wahrscheinlich nicht mal Gedanken darüber machen will, sonst würde es nämlich Realität werden.“
Harry schaute völlig verdutzt drein. „Aber es ist doch Realität, dass Charles nicht mehr das ist, was dein Vater als reinblütig bezeichnet.“
„Und da beißt sich der Hund in den Schwanz, Harry. Mein Vater ist voller Widersprüche und versucht krampfhaft, sich seine Welt so zurechtzubiegen, wie er sie braucht. Ich lasse ihn gewähren, weil ich befürchte, ohne das würde er sich nicht mehr im Leben zurechtfinden.“
Lucius stellte sich für Draco als schwere Bürde heraus. „Wie kommst du mit ihm klar?“, wollte Harry wissen.
Die erste Antwort war ein Schulterzucken. „Es geht. Aber sobald Susan in der Nähe ist, bekomme ich zu spüren, was ich in seinen Augen für einen großen Fehler begangen habe. Wir sind dann beide gleichermaßen Opfer seiner Zwietracht.“
Harry atmete einmal durch und fragte sich derweil, wie er auf solche familiären Missstände reagieren würde. „Ich hoffe, das legt sich eines Tages.“
„Das wird es, da bin ich zuversichtlich. Die Zeit ist auf meiner Seite.“ Draco schlug Harry auf die Schulter und beließ sie dort, als er sagte: „Ich bin froh, dass alles so gekommen ist.“
Das Wörtchen ‚alles‘ stand offensichtlich für die Gesamtheit des Lebens. Dracos Satz wäre für dieses Gespräch ein perfektes Ende, wenn nicht der Schalk in Harrys Nacken sitzen würde. Er blickte auf Dracos Hand, die noch immer auf seiner Schulter verweilte und sagte mit schelmischen Grinsen, als er seinem Gegenüber in die Augen schaute: „Und ich bin froh, dass du dir nach dem Pinkeln die Hände gewaschen hast.“
Draco lachte, klopfte ihm nochmal auf die Schulter, bevor er Harry die Tür aufhielt.

Die Gunst der Stunde nutzte Harry, um das Schloss zu verlassen und allein ein wenig durch die wunderschöne Gegend zu streifen. Früh genug würde er wieder die Hände der Gäste schütteln und in Gespräche verwickelt werden. Er wollte nicht unhöflich sein. Trotzdem hätte er sich lieber eine kleine und viel gemütlichere Hochzeit gewünscht, doch Draco hatte Recht. Von einem Mann seines Ansehens erwartete man so ein überschwängliches Fest. Heute war der richtige Zeitpunkt, in einer kleinen Rede zu verkünden, dass es so etwas Großes wie heute nie wieder geben würde. Harry Potter, wie man ihn aus Zeitungen kannte, hatte seine Schuldigkeit getan. Er durfte und vor allem wollte er jetzt damit beginnen zu leben. Harry wollte endlich das haben, was für die meisten Menschen selbstverständlich war – einen Alltag. Einen normalen, ruhigen Alltag, der beinhaltete, das Frühstücksgeschirr abzuwaschen, das Kinderzimmer aufzuräumen und einen Einkaufsbummel mit Ginny und Nicholas zu machen. Windeln wechseln, dem Jungen das Sprechen beibringen, Märchen vorlesen, Ginny beim Quidditch anfeuern, mit Ron einen Trinken gehen, mit Hermine Museen besuchen, mit Remus Karten spielen und mit Severus interessante Diskussionen führen.

Kaum dachte Harry an jemanden, erschien der auch schon vor ihm. „Severus, hallo! Und? Amüsierst du dich?“
Severus stand an einer der Bänke im Garten und wartete offensichtlich auf Hermine, die von ein paar ehemaligen Mitschülern zu einem kurzen Gespräch angehalten wurde. Mit Severus wollte entweder niemand reden oder er blockte sämtliche Versuche ab. „Ich amüsiere mich prächtig, danke der Nachfrage. Gerade eben wurde Hermine von einem Schwan angegriffen.“ Ein Mundwinkel hob sich. „Glaub mir, es war zum Schreien komisch, aber ich habe mich zurückgehalten, sonst hatte sie es mir vermutlich übel genommen.“
„Ein Schwan?“ Harry lachte schadenfreudig.
„Was gibt es zu lachen?“, hörte man unerwartet Hermines Stimme fragen. Sie kam gerade von Hannah und Justin zurück.
Mit ernster Miene erwiderte Severus: „Ich habe Harry eben geschildert, was vorhin am See vorgefallen ist.“ Den sarkastischen „Dank“ in Harrys Blick übersah er absichtlich.
„Ach, und du findest das wohl komisch?“
„Irgendwie schon“, spottete er auf freundliche Weise. „Ich weiß aber zu gut, wie kräftig die zwacken können. Dudley und mich hat es auch mal erwischt, aber ich konnte zum Glück schneller rennen als er.“
Hermine gesellte sich zu den beiden. „Ich sollte einen Beschwerdebrief an die Königin schicken.“
„Wieso denn das?“, fragte Harry irritiert nach.
„Na, weißt du denn nicht, dass alle wilden Schwäne in Großbritannien dem regierenden Monarchen gehören? Das ist seit dem 12. Jahrhundert so.“
Harry lachte, legte eine Hand auf ihre Schulter und schüttelte seine Freundin zaghaft. „Mensch, bei Hermine, da haben wir was gelernt!“
„Jetzt veralber mich nicht.“
„Ich meine das völlig ernst, Hermine! Die ganzen Kleinigkeiten, die du so vom Stapel lässt – und das kam in der Vergangenheit nicht gerade selten vor –, bleiben einem im Gedächtnis. Flamel, Teufelsschlingen … Die Liste ist unübersichtlich lang.“
Seine Bemerkung machte sie glücklich, auch wenn sie es nicht zeigen wollte. „Oh, da ist Draco!“, bemerkte sie aufgescheucht. „Ich werde mal zu ihm rübergehen und wegen dem Animagus fragen.“
Weg war sie und Harry blickte ihr verdattert hinterher, bevor er eine Erklärung von Severus forderte: „Was denn für ein Animagus?“
„Sie versucht herauszubekommen, welche Gestalt Mr. Malfoy senior innehat.“
„Aber warum?“
„Weil ich es als kleine Herausforderung vorgeschlagen habe.“ Plötzlich huschte etwas an Severus und Harry vorbei. Ein Schatten, schnell wie der Wind. Severus Herz begann zu rasen. Mit Sinnestäuschungen dieser Art wollte er nicht konfrontiert werden. Erst Harrys Worte ließen ihn aufhorchen.
„Was zum Teufel war das eben?“
„Du hast es auch gesehen?“ Weil Harry nickte, schloss Severus die Augen und atmete erleichtert aus, bevor er offenbarte. „Merlin sei Dank! Ich habe schon befürchtet, die Hand des Wahnsinns greift nach mir.“
„Mmmh“, machte Harry mitfühlend. „Ich weiß sehr gut, wie sich das anfühlt. Aber was war das?“
„Ich habe keinen blassen Schimmer.“
„Dann sollten wir jemand fragen, dem das in all den Jahren auch aufgefallen sein müsste: den Schlossherrn!“

Etliche Meter weiter hatte Hermine endlich Draco erreicht.

„Darf ich dich was fragen?“
Draco zuckte mit den Schultern. „Sicher, aber ob ich dir antworte, hängt ganz von der Frage ab.“
„Es geht um ein kleines Spielchen zwischen Severus und mir. Für mich hängt eine Menge davon ab zu erfahren, was die Animagusgestalt deines Vaters ist.“
„Severus weiß das doch, warum will er es wissen?“
„Nein, er möchte, dass ich es herausfinde. Als Belohnung … Na ja, ich bekomme eine Belohnung und …“ Sie kam ins Stottern. „Sagst du es mir?“
Draco musste sich arg zusammenreißen, nicht in Gelächter auszubrechen, obwohl er keine genaue Vorstellung davon hatte, was gerade zwischen Severus und ihr ablief. „Ich würde dir gern helfen, Hermine, aber damit würde ich das Vertrauen meines Vaters mit Füßen treten.“
„Wer könnte es mir sagen?“ Ihr flehender Blick ließ ihn nicht kalt.
„Meine Mutter. Und natürlich mein Vater, aber ich glaube nicht, dass einer von beiden …“ Er seufzte. „Es tut mir leid.“
„Und Susan?“
„Sie weiß es nicht.“
Hermine bohrte nicht nach, erhoffte sich aber etwas anderes, denn sie fragte: „Hast du wenigstens einen Tipp für mich? Vielleicht komme ich ja selbst drauf.“
„Gegen einen Hinweis ist wohl nichts einzuwenden. Lass mich nachdenken, was ich dir für ein Merkmal nennen kann.“ Draco ließ seinen Blick schweifen und sah, wie Severus und Harry gerade an ihnen vorbeigingen, um mit Mr. Van Tessel ein Wort zu wechseln. Mit einem anderen Teil seines Gehirns suchte er nach passenden Hinweisen, die er Hermine geben konnte. „Das Tier begleitet die großen, gefährlichen Tiere, um über Beutereste herzufallen.“
„Wie passend“, murmelte sie nachdenklich.
„Bitte?“ Sein Kopf wanderte von Harry, Severus und Van Tessel zurück zu Hermine. „Ich habe dich nicht verstanden.“
„Ich, ähm, meinte nur …“
„Reicht der Hinweis nicht?“ Draco fragte sich, ob er damit selbst auf das richtige Tier kommen würde und verneinte. „Er passt sich an. Die Farbe wechselt.“
„Ein Chamäleon?“
Draco schüttelte den Kopf. „Hängt von den Jahreszeiten ab.“

Narzissa trat aus der Eingangstüre heraus und blickte sich um. Als Erstes sah sie Severus, der zusammen mit Harry und Van Tessel sprach. Unten am Treppenabsatz stand derjenige, den sie suchte.

„Draco?“ Narzissa schaute Hermine mit freundlichem Lächeln an. „Ich hoffe, ich störe nicht.“
„Auf keinen Fall, Mutter. Was gibt es denn?“, fragte ihr Sohn.
„Susan sucht dich. Sie möchte mit dir zusammen ein Los kaufen. Der Hauptgewinn ist eine Reise nach Hawaii für die gesamte Familie.“
„Hier findet eine Lotterie statt?“, fragte Draco verwundert nach.
Hermine nickte. „Das war Mollys Idee. Der Erlös geht an ein Heim für Waisenkinder.“
„Dann nichts wie ran.“ Er schaute Hermine an. „Oder kann ich noch etwas für dich tun?“
„Nein, ich werde wohl weiterhin im Dunkeln tappen, aber vielen Dank für die Hinweise.“

Nachdem Draco gegangen war, spielte Hermine mit dem Gedanken, Narzissa zu fragen. Andererseits kannte sie die Frau nicht sonderlich gut. Die Frage könnte Abneigung aufkommen lassen. Wie Severus schon gesagt hatte, gehörte es bei Reinblütern zum guten Ton, nicht über so persönliche Dinge wie Animagusgestalten zu reden. Sie brachten zu viel Einblick in den Charakter des Menschen.

„Haben Sie Probleme?“, fragte Narzissa sie unerwartet. „Vielleicht kann ich Ihnen weiterhelfen?“
„Das wäre nett, aber ich glaube nicht, dass Sie mir …“
„Fragen Sie!“, bot Narzissa hilfsbereit an.
„Es ist sehr persönlich“, warnte Hermine vor. „Es geht um eine kleine Aufgabe, die mir Severus aufgetragen hat. Ich soll die Animagusform Ihres Mannes herausfinden.“
„Oh“, machte Narzissa überrascht. „Das ist eine Aufgabe, die sehr schwer zu lösen ist. Ich frage mich, warum Severus das getan hat, wo die Aussicht auf Erfolg so gering ist.“ Hermine machte plötzlich eine bedrückte Miene, die Narzissa nicht übersehen konnte. „Was haben Sie?“
Hermine presste einen Augenblick beleidigt die Lippen zusammen. „Ach nichts. Ich bin nur gerade dahintergekommen, dass Severus nicht mit mir tanzen möchte. Warum sonst gibt er mir eine unlösbare Aufgabe auf?“
„Das ist der Preis für die Lösung des Rätsels?“ Narzissa empfand Mitleid mit Hermine. „Mein Sohn hat Ihnen schon Hinweise gegeben, wie es scheint.“
„Ja, hat er. Das Tier soll gefährliche Tiere begleiten, um von deren Beute etwas abzubekommen. Und es kann durch die Jahreszeiten bedingt eine andere Farbe haben.“
„Das ist korrekt. Lassen Sie mich einen Moment nachdenken.“ Auch Narzissa machte sich Gedanken darüber, welche Eigenschaften hilfreich wären. „Das gesuchte Tier“, Hermine hörte ihr gebannt zu, „bleibt ein Leben lang mit seinem Partner zusammen.“ Diese Eigenschaft wurde von Narzissa hoch geschätzt, was sich in einem verträumten Lächeln niederschlug. „Die Kinder werden zwischen Mai und Juni geboren.“
„Draco ist im Juni geboren!“, stellte Hermine erstaunt fest.
„Ja, das stimmt. Mehr Hinweise möchte ich nicht geben, um meinen Mann nicht zu verärgern. Verzeihen Sie mir …“
„Nein, es muss Ihnen nicht leid tun. Sie haben mir schon geholfen. Ich muss nur noch die Informationen kombinieren. Vielleicht schaffe ich es tatsächlich, die Antwort zu finden.“
„Er hätte es nicht anders verdient, als dass Sie ihm ein Schnippchen schlagen. Ich wünsche viel Glück.“ Narzissa wandte sich bereits zum Gehen ab, da drehte sie sich noch einmal um. „Ach ja, die Anmeldung beim Zaubereiministerium hat damals Professor McGonagall erledigt, als sich seine Form offenbarte.“

Ein Wink des Schicksals. Minerva würde sicherlich mehr Hinweise geben können, wenn sie nicht sogar so dreist sein würde, ihr ohne Umwege die Gestalt von Lucius zu nennen. Draco war nicht hineingegangen. Irgendetwas, wie Hermine bemerkte, hatte ihn an der Unterhaltung mit Van Tessel interessiert. Auch Narzissa blieb stehen. Um nachzusehen, wo ihr Mann blieb, war Susan hinausgegangen und auch sie schloss sich der Traube an. Neugierig näherte sich Hermine und hörte die letzten Worte von Van Tessel.

„… in der Regel nur im Winter, aber bei Ihnen, weil heute Ihr Ehrentag ist, Mr. Potter, mache ich eine Ausnahme. Wenn Sie Ihre frisch angetraute Gattin noch dazurufen möchten? Ich bin sicher, sie möchte es nicht missen.“ Diese Aufgabe übernahm Susan, denn sie wusste, wo Ginny sich gerade aufhielt. Sie rannte schnurstracks in die Spiel-Zone. Van Tessel zog sich zurück, um etwas zu besorgen.
„Um was geht es denn?“, fragte Hermine neugierig.
Harry drehte sich zu ihr um. „Die Schatten, die hier überall zu sehen sind. Offensichtlich sind Severus und ich nicht die Einzigen, die etwas in den Augenwinkeln bemerken.“
Narzissa stimmte zu. „Ich habe es auch gesehen, dachte aber, ich bilde mir das nur ein.“
„Ich verstehe nicht, warum ich nicht …“ In diesem Moment huschte es an ihr vorbei, das kleine Ding. Sie drehte den Kopf, aber da war nichts als der leichte Windhauch, den es an ihrer Wange hinterlassen hatte.
„Ha!“, machte Harry triumphierend und zeigte mit einem Finger auf sie. „Ist es dir auch gerade passiert?“
Eine Hand legte Hermine erschrocken auf ihre Brust. „Was war das?“
„Das will Van Tessel uns gleich zeigen. Vielleicht sollten wir noch den anderen Bescheid geben?“

Das brauchten sie gar nicht. Einerseits hatte Van Tessel auf seinem Weg einige der Gäste gebeten hinauszugehen, weil es gleich etwas zu sehen geben würde. Andererseits hatte Susan die Besucher der Spiel-Zone informiert, allen voran Ginny, die sich Nicholas schnappte und zum Schlosseingang zurücklief. Nicht jeder machte sich die Mühe, nach draußen zu gelangen, doch trotzdem waren es an die hundert Gäste, die sich auf dem Rasen und der Terrasse verteilten oder einfach nur aus den geöffneten Fenstern im Erdgeschoss schauten. Lucius hatte sich bei seiner Gattin eingefunden und stand mit ihr auf den steinernen Stufen, während sich Severus mit vor der Brust verschränkten Armen unten direkt neben der Treppe positioniert hatte. Er schaute skeptisch drein, ebenso wie Moody, der von der überdachten Terrasse hinunterschaute. Harrys Freunde waren alle anwesend. Mr. Van Tessel kam freudestrahlend zurück. In seiner Hand hielt er eine Papiertüte mit unbekanntem Inhalt, die Lucius neugierig beäugte. Leichtfüßig hatte Van Tessel den Weg zum saftig grünen Rasen eingeschlagen.

„Wenn das Brautpaar sich bitte zu mir stellen möchte?“, bat der Schlossherr höflich. Ginny gab Nicholas an Remus ab, bevor sie mit Harry der Aufforderung des Schlossherrn folgte. Sie wurden angefeuert durch die zaghaften Pfiffe und den Zurufen ihrer gemeinsamen Freunde. „Genau hier.“ Beide stellten sich auf die von Van Tessel gezeigte Stelle in dem großräumigen Kreis, den die neugierigen Zuschauer freigehalten hatten. „Was jetzt wunderbar passen würde wäre eine Geschichte, die mir damals meine Gouvernante schrieb, nachdem ich sie fragte, was das für Schatten wären, die ich immer sehe. Möchte jemand, dass ich die Geschichte erzähle?“
„Nein!“, kam es unerwartet von Severus. Für ihn war lediglich die Antwort wichtig, doch sein Veto wurde übertönt von den freudigen Rufen von Berenice.
„Ja, ja! Eine Geschichte!“ Das Mädchen hüpfte auf und ab, klatschte dabei in die Hände, womit sie alle anwesenden Kinder ansteckte. Nicholas und Charles wussten nicht, um was es ging, aber klatschen konnten sie schon, wenn auch feinmototisch noch nicht sehr koordiniert. Viktors Kinder stimmten ein und selbst Harry nickte aufgeregt.
Van Tessel musste lächeln. „Tut mir leid, Sir. Sie sind überstimmt worden“, teilte er Severus mit, der sich jetzt demonstrativ gelangweilt gegen die Mauer lehnte und seine gleichgültigste Miene zum Besten gab. Van Tessel richtete sich an die Interessierten. „Meine Gouvernante war keine Dichterin, das gleich vorweg, aber sie hat viele Nächte wachgelegen und darüber nachgedacht, wie sie mir eine Antwort in kindgerechter Form geben kann. Das Resultat lässt sich in meinen Augen noch heute sehen, aber vielleicht bin ich auch nur voreingenommen, weil ich viel von ihr gehalten habe.“

Ein paar Gäste machten Fotos, als Van Tessel neben dem Brautpaar stand und in die Menschenmenge schaute. Aus dem Gedächtnis trug er vor, verstellte dabei die Stimme und brachte, weil Kinder es so mochten, mit seinem Ausdruck Spannung hinein.

„Da flattert es, und so geschwind,
durch die Wipfel. ‚Sieh, mein Kind!‘
Sie werden sogar begrüßt vom Hahn.
Oder haben sich meine Augen vertan?
War es nicht wirklich? Nur ein Wicht?
Ein Schatten vom letzten Abendlicht?

‚Da ist es wieder, schau schnell hin!‘
Hoch oben auf dem Baldachin.
Es ist golden, lässt sich hernieder,
putzt keck sein strahlendes Gefieder.
Es blickt auf, schaut her und flieht,
kaum dass mein Auge es richtig sieht.

Was war es nur? Ist es bekannt?
Als Mythos ja – im ganzen Land.
Ihr Gold kennt niemand, nicht mal Chimisten.
Wo mögen wohl diese Wesen nisten?
Kein Phönix war’s, kein Jobberknoll.
Das Tier ist wahrlich eindrucksvoll.“

Van Tessel führte eine Hand in die Tüte, doch noch beließ er sie dort drinnen. Er sah die Kinder an, die ihm mit großen Augen ihre Aufmerksamkeit und Bewunderung schenkten, als er seinen Dialog mit Körpereinsatz für die kleinen Zuhörer noch aufregender gestaltete. Auf eines der Kinder, Viktors ältesten Sohn, zeigte Van Tessel, als er mit dem Text fortfuhr.

„‚Hol mir einen! Kannst du sie fangen?
Bleib auf dem Besen! Ich will nicht bangen,
dass du fällst. Oh weh, schon geschehen.
Ich helf dir auf. Kannst du noch gehen?‘
Mensch gegen Tier – so rasend schnell.
Viel spannender als ein Duell.“

In Gedanken rief Harry: ‚Ich kann sie fangen!‘ Er hatte Spaß an der Geschichte und fühlte sich genauso von ihr angesprochen wie die Kinder, die ihre Hände hoben und „Ich! Ich!“ schrien. Auch Van Tessel hatte sichtlich Spaß an der nicht geplanten Vorführung, die er nur wegen der Zwischenrufe der hellauf begeisterten Kinder kurz unterbrach. Er hob einen Finger. Es wirkte, denn die Kinder waren auf der Stelle ruhig. Niemand wollte etwas verpassen. Harry sah, dass in Van Tessels erhobener Hand etwas von dem Inhalt der Tüte zu sehen war: Sonnenblumenkerne.

„Nur Übung soll den Meister machen
beteuern Wächter großer Drachen.
‚Rauf mit dir, rauf auf den Besen!
Besorg mir eines der flotten Wesen.
Jage sie durch Sturm und Regen,
für Stolz und Ruhm – und meinetwegen.‘

Kann man Sonnenstrahlen fangen?
Darf ich mehr von dir verlangen?
‚Es ist ein Wettkampf, bleib bei Sinnen,
denn schließlich willst du doch gewinnen!
Trainiere dich, studiere sie,
werd Herr über das Federvieh.‘“

Harry fühlte Ginnys Hand an seiner, so dass er sie anblickte. Sie lächelte, ahnte das Gleiche wie er, doch den Zauber wollte keiner von beiden brechen. So lauschten sie den letzten Strophen, die Van Tessel von sich gab, während er damit begann, rund um das Brautpaar ein paar Sonnenblumenkerne zu streuen.

„Erschöpft nach all den vielen Wochen,
dein Kampfgeist ist noch nicht gebrochen,
da rufst du laut und aus der Luft:
‚Ein Vogel ist’s, aus Sonnenduft!‘
Ein gold‘ner Schatz und ohne Kratzer.
‚Dich nenn ich meinen kleinen Schnatzer!‘

Kaum benannt flog er von dannen,
geradewegs zur Edeltannen.
Geblieben nur der Name mir.
‚Mein schönes Schloss tauf ich nach dir.‘
‘s scheint unmöglich, gegen sie zu siegen,
denn diese Sonnen können fliegen.“

Mit einer deutlichen Handbewegung forderte Van Tessel die Gäste auf, auf den bereits zaghaft beginnenden Applaus zu verzichten. Langsam entfernte er sich von Harry und Ginny, zeigte dabei den Kindern mit einem Zeigefinger vor dem Mund, dass sie still sein sollten. Einige der jungen Zuhörer machten die Geste nach. Es war ruhig. Da war es plötzlich, so ein Flattern, wie es in dem Gedicht beschrieben war. Jeder blickte sich um, schaute in die Baumwipfel und in den Himmel, aber niemand konnte etwas sehen. Völlig unerwartet hockte ein goldener, kugelrunder Vogel im Gras und betrachtete das Brautpaar skeptisch mit seinen rubinroten Augen. Das Tierchen war nicht größer als eine Walnuss und wurde nicht von jedem der Anwesenden sofort gesehen, denn es schien aus dem Nichts gekommen zu sein. Ginny drückte Harrys Hand, sagte jedoch kein Wort, um das zierliche Tier nicht zu erschrecken. Der Vogel pickte auf einen der Kerne ein und fraß das Innere. Als er es für genießbar erachtete, zwitscherte er in den höchsten Tönen. Alle blickten erwartungsvoll zu Harry und Ginny. Selbst wenn sie den kleinen Vogel zu ihren Füßen im Gras nicht ausmachen konnten, so war es unmöglich, die ganze Schar zu übersehen, die der Vorkoster mit seinem Gesang herbeigerufen hatte. Unzählige Flügelschläge und das hohe Zwitschern einer bisher ungehörten Melodie erfüllten die Lüfte. Ein beeindruckend großer Schwarm goldener Schnatzer umkreiste das Brautpaar und setzte im Bruchteil einer Sekunde kollektiv zur Landung an, um über die Sonnenblumenkerne herzufallen, die sie normalerweise nur in den kalten Monaten des Winters vom Schlossherrn bekamen. Die gefiederten Geschöpfe, flinker als Kolibris, zeigten keine Angst vor den Menschen, sonst würden sie nicht so dicht an ihnen vorbeifliegen oder sich nun hier zu Harrys Füßen tummeln. Ihre Schnelligkeit raubte ihnen die Furcht, ohne zu ahnen, dass ein Sucher unter ihnen weilte. Harry, von dem Anblick vollkommen verzückt, kam nicht einmal auf den Gedanken, die Hand nach einem auszustrecken. Die Landschaft rund um das Schlosshotel herum gehörte nicht den Menschen, es gehörte den Vögeln.


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