von Muggelchen
In Unterwäsche saß Ginny vor einem altmodischen Frisiertisch, den man in ihr Zimmer gebracht hatte. Sie trug noch immer den Waschumhang, weil die Dame meinte, sie würde wenigstens auch die Spitzen schneiden wollen.
„Haben Sie einen besonderen Wunsch?“, fragte die junge Friseurin, die sich vorhin als Marlene vorgestellt hatte.
Ginny schüttelte den Kopf, warf dann einen Blick zu Hermine hinüber, um sich eine Anregung zu holen. „Hochgesteckt wäre ganz schön.“ Über eine Frisur hatte sie sich überhaupt keine Gedanken gemacht.
„Wird erledigt“, beteuerte Marlene und begann damit, Strähnchenweise die Spitzen des roten Haars zu schneiden, bevor sie mit dem Trocknen und Auftürmen beginnen würde. In der Zwischenzeit schaute Hermine aus dem Fenster. In Gedanken war sie bei Severus. Sie hoffte innig, dass es ihm gut ging.
Hermine hörte Ginny fragen: „Machen Sie mir auch das Make-up? Ich habe nämlich nichts dabei.“
„Keine Sorge“, beruhigte die Dame, „ich hab mein Köfferchen mit. Da ist alles drin, was man braucht.“
„Hermine?“ Sie drehte sich zu Ginny um, die mit frechem Grinsen fragte: „Ob Harry jetzt auch gerade die Haare gemacht bekommt?“
Es war Marlene, die die Antwort übernahm. „Mein Vater ist gerade bei ihm.“
Im Nebenzimmer saß auch Harry vor einer Friseurkommode und kam sich allein deswegen schon reichlich dämlich vor. Im Spiegelbild konnte er beobachten, wie Mr. Stiles hinter ihm in einer Hand eine Bürste, in der anderen eine Schere hielt, während er mit einem Ausdruck des absoluten Horrors auf Harrys wirre Haarpracht starrte.
„Ist eine echte Herausforderung, nicht wahr?“, fragte Ron den Friseur mit einem Schmunzeln.
Der Friseur ignorierte den Kommentar und wagte, die Haarbürste – angefangen von der Stirn – einmal von vorne bis hinten über Harrys Kopf zu ziehen. Nur für den Moment, indem die Bürste ihre Schuldigkeit tat und die Haare zwischen ihren Borsten glättete, sahen sie einigermaßen ordentlich aus, doch kaum hatte die Bürste den Kopf wieder verlassen, zwangen die vielen Wirbel das Haar in eine vorgegebene Position, die man nur als Chaos bezeichnen konnte.
„Man könnte mit etwas Haarcreme …“, murmelte Mr. Stiles.
Ron riet sofort davon ab. „Bloß nicht, Harry! Sonst siehst du aus wie Percy, als der noch bei Fudge geschleimt hat. Keine Haarcreme!“
Mr. Stiles verzweifelte. „Aber irgendetwas muss ich doch tun! Dafür werde ich schließlich bezahlt.“ Der Friseur blickte Harry durch den Spiegel in die Augen. „Irgendeinen Wunsch, der Herr?“
„Ich würde sagen, wir lassen die Haare einfach so, wie sie sind. Sie sind frisch gewaschen. Das reicht.“
„Man wird glauben, ich könnte meinen Job nicht anständig machen“, äußerte Mr. Stiles seine Bedenken.
„Dann könnten Sie vielleicht etwas Haar an der Stirn wegnehmen, damit jeder die Narbe sieht.“
Mr. Stiles beäugte besagte Stelle. „Was für eine Narbe?“
„Eben! Sie ist nicht mehr da!“, freute sich Harry und wurde gleich im Anschluss stutzig. „Sind Sie kein Zauberer?“
„Meine Tochter ist die Hexe in der Familie“, erklärte Mr. Stiles, der sich jetzt schon vorstellte, wie er hier und da die Schere ansetzen würde.
„Machen Sie die Stirn einfach etwas freier, wenn das möglich ist.“
Mr. Stiles nickte. „Ich werde mein Bestes geben.“ Ein Kamm setzte an, dann die Schere. „Kann ich den Herrn auch für dezente Kosmetik begeistern?“
Weil Harry wegen des Haareschneidens still sitzen musste, blickte er nur aus den Augenwinkeln zu Ron hinüber, der die Nase rümpfte und wie irre den Kopf schüttelte. Harry unterdrückte das Lachen, weswegen ihm nur ein Schnaufen entwich, bevor er antwortete: „Ich glaube nicht, dass ich mir etwas ins Gesicht klatschen möchte.“
„Oh, das machen aber viele junge Männer heutzutage.“ Eine weitere Strähne fiel zu Boden. „Man achtet eben auf ein gepflegtes Äußeres.“
Diesmal schnaufte Ron. „Was stimmt denn mit Harry nicht?“
„Es geht doch nur darum …“ Mr. Stiles unterließ es lieber, weiter auf Kosmetik für den Herrn einzugehen. Ein dritter Schnitt mit der Schere folgte und Harry schaute in den Spiegel. Die Stirn war frei.
„Das gefällt mir!“ Er wuschelte sich selbst durch die Haare, was einen ausgeprägten Ordnungssinn in Mr. Stiles aufkommen ließ. Sofort griff der Friseur zur Bürste und vertrieb die Unordnung bringenden Finger vom Kopf. Nach dem Bürsten standen auch diesmal wieder die Haare nach allen Seiten ab.
Rons Kommentar dazu war kurz: „Perfekt!“
„Na, ich weiß ja nicht“, sprach der von Selbstzweifeln geplagte Friseur.
„Das ist in Ordnung“, versicherte Ron. „So kennt man und so liebt man ihn.“
„Und was soll ich jetzt den Rest der bezahlten Zeit machen?“, wollte Mr. Stiles wissen.
Ron nahm die Sache gelassen. „Gehen Sie an die Bar und genehmigen Sie sich ein paar Drinks.“
„Wir haben nicht mal Mittag!“
Auch Harry hatte einen Vorschlag: „Gehen Sie doch rüber zu Ihrer Tochter und helfen Sie da.“
„Ja, das werde ich tun. Mr. Potter, Mr. Weasley“, der Friseur nickte ihnen zu, „wenn Sie meine Dienste doch noch benötigen, dann wissen Sie, wo Sie mich finden können.“
Mr. Stiles schien erleichtert, dass er doch noch etwas Arbeit bekam. Harry und Ron legten erst einmal die Beine hoch, als sie allein waren.
„Ich kann es immer noch nicht glauben“, begann Ron. „Meine kleine Schwester und du.“
„So klein ist sie aber nicht mehr, Ron.“
„Ach, du weißt, wie ich das meine. Sie wird für mich immer die kleine Schwester sein, die ich mit Brei gefüttert habe“, Ron grinste, „und die ich dazu angestachelt habe, die frischen Kekse von Mum zu klauen.“
Gelassen lachte Harry drauf los. „Du bist mir ja ein feiner großer Bruder.“
„Das haben Fred und George mit mir auch gemacht.“
„Was? Dich zum Kekse-Klauen vorgeschickt?“ Sein Freund grinste, was Antwort genug war. „Wie die Zeit vergeht“, kam Harry ins Schwärmen. „Eben noch habe ich deine Familie auf dem Bahnhof kennen gelernt und jetzt …“
„Eben noch?“, wiederholte Ron spöttelnd. „Du bist gut. Das ist auch schon wieder ein paar Jahre her. Mein Alter merke ich auch langsam.“ Theatralisch fasste sich Ron an den Rücken.
„Du bist dreiundzwanzig, genau wie ich!“
„Das Quidditchspielen lässt mich mein Alter fühlen, Harry. Glaub mir, so haben mir die Knochen nicht mal nach einer Auseinandersetzung mit Todessern wehgetan. Lass mal, Ginny wird es auch noch merken, wenn das Training für sie beginnt.“
„Was für ein Training?“, fragte Harry nach.
Für einen Moment schien Ron geschockt. „Ich hoffe, ich hab da nichts verraten. Hat Ginny dir nicht erzählt, dass sie nächste Woche ihr Probespiel bei Eintracht Pfützensee hat?“
„Nein.“ Weil Ron ganz blass wurde, lockerte Harry die Stimmung wieder ein wenig. „Vielleicht wollte sie mich damit überraschen?“
„Dann hast du wirklich nichts dagegen, dass sie professionell Quidditch spielt?“
„Warum um Himmels Willen soll ich was dagegen haben?“
„Weil du dann Zuhause bleiben und auf Nicholas aufpassen musst“, hielt ihm Ron vor Augen.
Harry konnte nicht anders, als diese Bedenken ins Lächerliche zu ziehen: „Was für eine Strafe.“
„Dann stehst du drauf?“
Harry kniff die Augen zusammen. „Auf was?“
„Na ja, den Hausmann zu spielen.“
„Den …“ Das Wort wollte Harry nicht wiederholen. „Wenn es so genannt wird, dann ja, ich stehe drauf.“
„Hörst du wirklich in Hogwarts auf?“ Ron konnte eine Menge Fragen stellen, dachte Harry, aber das konnte daran liegen, dass er seinen besten Freund nicht mehr jeden Tag zu Gesicht bekam. Gerade wollte er antworten, da schob Ron noch hinterher: „Du hast mal gesagt, du würdest gern mit kleinen Kindern arbeiten.“
Ron war ein aufmerksamer Zuhörer, denn oft hatte Harry seine Zukunftsträumereien nicht mitgeteilt. „Ja, so dachte ich mir das. Wird aber schwer werden. Soweit ich von Hermine erfahren habe, gibt es in der Zaubererwelt keine Kindergärten oder Vorschulen.“
„Es gibt Kinderheime“, warf Ron ein.
„Ja, und die gibt es auch nur wegen Voldemort.“
Die Stimmung drohte zu kippen, so dass Ron schnell ablenkte und fragte: „Wo ist Nicholas jetzt überhaupt?“
„Den habe ich mit meinem Elf in die Spiel-Zone geschickt, kurz bevor du gekommen bist.“
„Spiel-Zone? Hört sich nach Spaß an.“
Harry lachte. „Ich glaube, dafür bist du schon ein bisschen zu alt.“
Besagte Spiel-Zone befand sich im Erdgeschoss, ein wenig abgelegen vom Eingangsbereich. Ein Betreuer, Mr. Bennett, war schon anwesend und grüßte Wobbel und Nicholas freundlich. Der Elf ließ sich die aufblasbare Hops-Burg zeigen, die draußen auf der Wiese aufgebaut war. Kritisch suchte er sie nach möglichen Gefahren für Nicholas ab.
„Selbst wenn alle Kinder auf einer Stelle hüpfen“, erklärte Mr. Bennett, „bleibt dank eines Zaubers die Verteilung der Luft gleich. Es kann zu keinem Unfall kommen, bei dem alle Kinder auf einen Fleck zusammenpurzeln.“ Wobbel nickte zufrieden. Eine Sorge weniger. Nicholas durfte gleich als Test-Hopser fungieren. Der Junge nahm seine Aufgabe sehr ernst. Den Spaßfaktor brachte er derweil mit lautem Kreischen zum Ausdruck. Trotzdem war dem Elf nicht wohl bei dem Gedanken, die Aufsichtspflicht an einen Fremden abzugeben. Nicholas war das Kind seines Herrn und oblag seiner Fürsorge. „Weiter hinten haben wir ein kleines Karussell.“ Der Betreuer deutete in eine Richtung. „Schutzzauber sorgen dafür, dass die Kinder nicht aus den Fahrzeugen oder von den Besen und Einhörnern fallen können.“ Es drehte sich noch nicht, weil außer Nicholas noch kein anderes Kind hier war.
„Dürfte ich wohl in Erfahrung bringen“, begann Wobbel höflich, „ob hier nur Schutzzauber zum Tragen kommen oder man die Kinder auch wirklich im Auge behält?“
Der Mann schien ein wenig erbost. „Ich kann Ihnen versichern, dass jeder Spielbereich von einem Betreuer überwacht wird.“ Er musterte Wobbel abschätzig. „Dürfte ich im Gegenzug fragen, wessen Elf Sie sind?“
Stolz erwiderte Wobbel: „Harry Potters.“
„Oh.“ Ein Moment des Schweigens. Mit Harry Potter wollte sich der Betreuer nicht anlegen, auch nicht mit dessen Elf. „Dann darf ich Ihnen die anderen Spielgeräte zeigen?“, bot er mit zusammengebissenen Zähnen an.
„Aber gern doch.“
Wobbel ließ sich durch die Spiel-Zone führen und wagte es, über das Planschbecken zu nörgeln. Es wäre zu viel Wasser darin, meinte der Elf. Mr. Bennett schluckte daraufhin seinen eigenen Stolz hinunter und nahm sich die Beschwerde zu Herzen. Nicholas war den beiden immer gefolgt. Er hatte die hölzernen Pferde des Karussells gegrüßt, die in seiner lebhaften Fantasie freundlich wieherten und ihre Mähnen schüttelten. Dem Betreuer half er sogar dabei, das überschüssige Wasser aus dem Becken zu lassen, indem er kräftig mit den kleinen Händen auf die Oberfläche schlug.
„Was für ein süßer, kleiner Fratz“, sagte der Betreuer mit eingefrorenem Grinsen, während er seine Kleidung mit einem Trocknungszauber wieder richtete.
„Ja, das ist er“, bestätigte Wobbel. „Er wird sich hier sicherlich wohl fühlen.“
Manche Missverständnisse konnten so klein sein, dass man sie nicht einmal als solche erkannte. Die großen hingegen bargen Gefahren in sich. Wie es zu der Fehlinterpretation nach dem Gespräch zwischen Wobbel und dem Betreuer kam, konnte man im Nachhinein nicht mehr nachträglich rekonstruieren. Fest stand nur, dass Wobbel den Jungen schon jetzt in die Obhut von Mr. Bennett übergeben wollte, während Mr. Bennett glaubte, man würde den Jungen erst später bringen.
Nicholas versuchte gerade, die Rutsche verkehrt herum hinaufzuklettern, da sah er, wie Wobbel durch die Terrassentür wieder nach drinnen verschwand. Aus einem Instinkt heraus ließ Nicholas von seinem Spiel ab und folgte ihm.
Aus den Augenwinkeln sah Mr. Bennett, wie der Junge eine Tür aufstieß und dahinter verschwand. Er machte sich keine Gedanken, weil er der festen Überzeugung war, der Bub würde dem Elf nachgehen.
Für Kleinkinder bedeutete es bereits eine große Freiheit, wenn man sie in einem Laufgitter absetzte. Nicholas war im Moment jedoch von so überwältigend viel Freiheit umgeben, dass es ihm angst und bange wurde. Jeder seiner kleinen Schritte hallte in dem Gang wider, der zur Küche führte. Nicholas erschrak, als viele Leute mit Wagen und Tabletts aus einer Tür stürmten, also schlug er eingeschüchtert den entgegengesetzten Weg ein.
Nicht nur Nicholas lief alleine durchs Schloss, sondern auch Severus. Der Unterschied bestand lediglich darin, dass Severus schon ein großer Junge war und auf sich aufpassen konnte. Vorhin kamen ihnen Bill und Fleur entgegen, denen sich Remus angeschlossen hatte. Man wollte die eintreffenden Gäste zusammenhalten und darauf achten, dass sie sich nicht so sehr verstreuten. Er, so versicherte ihm Remus mit einem Schmunzeln, dürfte sich natürlich weiterhin umschauen. Alles war Severus Recht, wenn er damit verhindern konnte, irgendwelche Nachbeben von längst vergangenen Ereignissen zu spüren. Mit so einer ergreifenden Erschütterung rechnete er bei Albus, vielleicht sogar bei Black oder Lucius. Um einem solchen Treffen aus dem Weg zu gehen, schaute sich Severus im Schloss um, genauso wie ein kleiner Junge, der räumlich gar nicht mal so weit von ihm entfernt umherirrte.
Das Schloss war groß, die kleinen Beine längst erschöpft. Das erste Mal in seinem Leben war Nicholas mit der Situation konfrontiert, sich verlaufen zu haben. Allein zu sein. Es war ein grauenvolles Gefühl. In der Regel konnte man aus voller Kehle nur schreien, doch Kinder konnten in dieser Kombination auch sehr gut weinen. Ohrenbetäubend laut, fast schon sirenenartig echote in einem sonst stillen Teil des Schlosses das Weinen von Nicholas wider. Blind vor Tränen stolperte der Junge Schritt für Schritt weiter, bis der kindliche Notruf auch an Severus‘ Ohren drang.
Dem Geräusch folgend nahm Severus zwei Biegungen und drei Gänge, bis er auf Nicholas traf, der noch immer weinte, obwohl längst jemand bei ihm war – oder gerade deswegen? Ein Mann stand bei dem Knirps.
„Was machen Sie da mit dem Kind?“, blaffte Severus den jungen Mann an, der sich vorhin noch als Urenkel des Schlossbesitzers vorgestellt hatte.
Nicholas‘ Kopf fuhr herum. Den großen Mann in Schwarz kannte er. Ihm hatte Nicholas einmal einen Keks und eine Nierenschale geschenkt.
„Was ich mit dem Kind mache?“, wiederholte Van Tessel echauffiert. „Ich habe ihn weinen hören und wollte nur nachsehen.“
Beide blickten zu dem Jungen, dessen Gesicht knallrot und feucht war. Die Nase lief. Wie ein Bach rann ein durchsichtiges Sekret über die Lippen des todtraurigen Kindes. Eines gab Severus zu denken. Der Junge kam auf ihn zugelaufen, mit ausgestreckten Armen! Mit Nicholas näherte sich gleichzeitig die Gefahr, einem dieser schrecklichen Momente ausgesetzt zu sein – mit einem Fremden als Zeugen – und auf der anderen Seite war die Wahrscheinlichkeit sehr hoch, dass Severus‘ Garderobe auf widerlichste Weise beschmutzt werden würde. Da stand er nun, der Junge, der nicht einmal mit Harry verwandt war und trotzdem einen wunderbaren Vater in ihm fand.
Und da war es auch wieder, das Abdriften in die Erinnerungen, die ihn in die eigene Kindheit zurückwarfen. Er durfte jetzt keinesfalls an seinen Vater denken; an jenes Übel in seinem Leben, das nach der Kennzeichnung durch Voldemort am zweitstärksten brannte. Sein Vater war ein trügerisch negatives Beispiel für einen Muggel, so dass es Severus in jungen Jahren nicht schwergefallen war, alle Muggel nach seinem Vater vorzuverurteilen. Mit dieser Einstellung war es auch leicht gewesen, sich dem Dunklen Lord anzuschließen. Gleich Gesinnte wurden von Voldemort durchaus empfangen, was nicht bedeutete, dass sie auch gleich behandelt wurden. Greyback war so ein Beispiel. Voldemorts Bluthund war nie ein Todesser gewesen. So dicht wollte der Dunkle Lord keine minderwertigen Geschöpfe an sich heranlassen. Bei Severus gab es eine Ausnahme. Vielleicht hatte er Voldemort sich an sich selbst erinnert. An jemanden, der seine Abstammung verfluchte und sie standhaft leugnete. Severus hatte sich so sehr von seinem Muggel-Vater distanziert, dass er ins gegenüberliegende Extrem geschliddert war.
Mental schwang Severus die Sense, um die vielen Erinnerungsfäden zu durchtrennen, die sich seiner Wahrnehmung bemächtigen wollten. Mit Herzrasen schaute er in das Gesicht eines besorgt dreinblickenden Schlossherrn.
„Sir, geht es Ihnen gut?“, wollte Richard Van Tessel wissen.
Severus nickte, um zu sehen, ob er wieder vollständig Herr seiner Sinne war und sein Körper ihm gehorchte. Jetzt testete er das Sprachzentrum: „Ich habe nur überlegt“, ein Schlucken sollte erlaubt sein, „wem ich das Kind in die Arme drücke.“
„Ach, wegen der Ähnlichkeit dachte ich …“ Van Tessel blickte auf. „Der Spatz gehört nicht Ihnen?“
Spätestens nach diesem Satz war Severus sich darüber bewusst, dass er auch wieder klare Entscheidungen treffen konnte und eine davon war, dass er sich mit diesem Mann nicht mehr länger unterhalten wollte. Das ging am besten mit einer Prise Spott. „Ich versichere Ihnen: Mr. Potter besitzt zwar eine Eule und einen Phönix, aber keinen einzigen“, Severus verzog das Gesicht und betonte: „Spatz.“
„Das ist der Sohn von Mr. Potter?“, fragte Mr. Van Tessel freudestrahlend.
Nur als Gedanke formte sich die Frage ‚Was habe ich denn gerade gesagt?‘. Severus holte für eine hörbare Antwort gerade Luft, da zupfte etwas an seinem Umhang. Ein Blick nach unten brachte den unglücklichen Jungen zum Vorschein, der wegen irgendetwas wieder kurz davor war, mit an- und abschwellenden Heultönen die Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen.
„Ich glaube, er möchte auf den Arm genommen werden“, kommentierte Van Tessel das Offensichtliche, denn Nicholas streckte schluchzend die Arme empor – erneut oder immer noch. In den Augen des Kindes war ein Flehen zu sehen. Solche Blicke, die er von einem sehr jungen Draco kannte, konnte man in zwei Worten zusammenfassen: Hilf mir! Die Not des Jungen war aus Severus‘ Perspektive nicht groß, für Nicholas selbst jedoch gewaltig, geradezu katastrophal. Eine Sache hielt ihn davon ab, dem Jungen die Hilfe zu gewähren.
„Mr. Van Tessel, hätten Sie vielleicht ein Taschentuch?“ Sein eigenes Stofftaschentuch würde er für so eine schmutzige Kindernase nicht hergeben.
Der Schlossherr nahm drei kleinen Stoffservietten, die neben ihm auf einem Tisch lagen und reichte sie Severus. „Die tun es sicherlich auch.“
Severus entfaltete eine Serviette und bückte sich. Nicholas ging davon aus, endlich auf den Arm genommen zu werden und verschränkte in Sekundenschnelle seine Finger hinter Severus‘ Nacken. Erschrocken richtete sich der Tränkemeister auf und fand sich plötzlich mit dem Jungen auf dem Arm wieder. Die Verabschiedung von Van Tessel war kurz. Severus stabilisierte den Jungen mit einem Arm und stürmte um die nächste Ecke. Das Malheur stand kurz bevor. Aus Nicholas Nase hing sogar schon ein Faden, und vom Kinn auch. Im nächsten Gang nahm Severus eine der Servietten zu Hilfe und drückte sie dem Kind zaghaft aufs Gesicht, tastete im Anschluss nach der kleinen Nase, die sich irgendwo unter dem Tuch befinden musste. Die Nase lief und lief und auch Tränen kullerten vereinzelt über die roten Wangen.
„Wehe, wenn auf meinem Umhang auch nur ein einziges …“ Severus‘ Drohung, noch bevor sie ausgesprochen war, wurde von einer Träne aus den Kinderaugen mit Füßen getreten. Sie war gefallen und versickerte im schweren Stoff des teuren Umhangs. Zum Glück nur eine Träne. „Das lass ich gerade noch so durchgehen“, rügte Severus mit ungewohnt sanfter Stimme. Endlich fing das rettende Taschentuch das bereits Blasen schlagende Sekret ab. Severus hielt inne, als er bemerkte, dass Nicholas kräftig ausatmete. Man hatte ihm bereits beigebracht, leuchtete es Severus ein, ein wenig zu schnauben. Rechts und links blickte der Retter in der Not über seine Schultern, um sich zu vergewissern, dass niemand zuschaute, während der Junge unter höchster Kraftanstrengung versuchte, die Nase freizubekommen.
Auf unerklärliche Weise fühlte sich Severus besänftigt, weil Nicholas bei ihm ruhig war, die Gefahr vorüber glaubte. Was wäre es für ein Drama gewesen, hätte Nicholas bei seinem Auftauchen nur noch mehr geschrien? Für ein Kind stellte Severus höchstwahrscheinlich den personifizierten, bösen schwarzen Mann dar. Vermutlich waren weit über achtzig Prozent seiner ehemaligen Schüler der gleichen Meinung. Der Junge auf seinem Arm sah das anders. Severus blickte an sich herab.
Nach dem äußerst Kraft raubenden Akt des Naseputzens seufzte Nicholas, der seine Wange bereits auf Severus‘ Schlüsselbein gelegt hatte und einzudösen drohte. Severus tat es ihm gleich und seufzte, blickte dabei aus dem Fenster. Hier und da erschienen Gäste auf dem Rasen. Er erkannte Poppy. Von hier aus konnte er auch den weißen Pavillon zwischen den Bäumen sehen. Plötzlich wieder – wie schon vorhin – nahm Severus eine blitzschnelle Bewegung wahr. Nicht nur an den Bäumen, sondern auch direkt vorm Fenster. Klein und flink. Rauf zum Dach, runter zur Wiese. Severus konnte sich nicht erklären, was das war. Zu schnell flog „es“ an ihm vorbei, um es erkennen zu können, aber bedrohlich wirkte es auf keinen Fall.
Mit dem schläfrigen Kind im Arm machte sich Severus langsam auf den Weg zur Eingangshalle. Irgendwer würde sich schon finden, dem er den Jungen in den Arm drücken konnte. Remus oder Arthur, Molly oder überhaupt einer von den Weasleys. Immerhin waren sechs Onkel des Kindes vor Ort. Einem von denen würde er die Verantwortung übergeben. Er hoffte innig, er könnte sich danach vor Gesprächen mit anderen Gästen wenigstens solange drücken, bis in den Festsaal gebeten wurde. Während einer Trauung sprach man nicht, was ihm sehr entgegenkam. Auf diese Weise könnte er in Ruhe die anderen Gäste beobachten. Das wiederum, stellte er gerade erschrocken fest, könnte in der so gefürchteten Zerstreutheit enden. Ob es jemand bemerken würde, wenn er während der Zeremonie mit glasigem Blick auf den Boden starrte und sich nicht rührte? Böse Zungen könnten behaupten, er würde sich über Miss Lovegood lustig machen. Severus hatte, das musste er zugeben, Angst. Er konnte nicht im Geringsten einschätzen, wie er während der Hochzeitsfeierlichkeiten auf bestimmte Menschen oder Situationen reagieren würde – und das war es, was ihm Angst machte. In den letzten Tagen war er nicht mehr Herr seiner Sinne, was ihn verletzlich machte. Aber gleich nach der Trauung wäre Hermine wieder stärkend an seiner Seite. Dieser Gedanke machte ihm wiederum Mut.
„Wau!“ Severus wurde durch diesen Laut aus seinen Gedanken gerissen. Mit ausgestrecktem Arm deutete der Junge auf die Wand und wiederholte dabei: „Wau!“
Dem Kinderfinger folgte Severus mit dem Blick, bis er das Gemälde an der Wand bemerkte, in welchem ein betagter Bluthund den Kopf drehte. „Genau“, bestätigte Severus, „das ist ein Hund. Dazu noch einer mit einer hässlichen Pinselführung.“
„Wau!“, verbesserte Nicholas.
„Hund!“ Ein bisschen Hoffnung schwang mit, dem Kind in der gerade erst fünf Minuten anhaltenden Freundschaft das Sprechen beizubringen. Nicholas zeigte weiterhin fröhlich auf das Gemälde und bellte dabei. Die portraitierte Variante des Vierbeiners beschwerte sich über die Beleidigung bezüglich der Pinselführung und kläffte im Takt mit. Der Junge und der gemalte Hund stachelten sich gegenseitig an, bis es Severus zu viel wurde. „Es reicht!“, sagte er ein wenig lauter, damit man ihn bei dem hohen Geräuschpegel überhaupt noch hören könnte.
Abrupt herrschte Stille. Der gemalte Bluthund fiepte eingeschüchtert, drehte sich dann einmal im Kreis und nahm auf seiner Decke Platz, während Nicholas mit großen Augen zu Severus aufblickte. Angst zeigte der Junge keine, höchstens Respekt vor der lauten Stimme, denn er blieb ganz ruhig auf Severus‘ Arm. Keine Tränen, kein Schreien. Alles war in Ordnung.
Seinen Weg hatte Severus fortgesetzt. Gerade war er durch die Tür gegangen, hinter der schon eine Menge Hochzeitsgäste versammelt waren, da griff Nicholas ihm völlig unerwartet an die Nase, nahm die andere Hand noch zur Hilfe, und er lachte dabei. Es musste ausgerechnet Black sein, dem er als Erster begegnete, und der musste sich unbedingt zu dem Szenario äußern. Im Subtext glaubte Severus die alt bekannte, gehässige Art herauszuhören.
„Ja“, sagte Sirius schelmisch grinsend zu dem Jungen, „die packt man nur mit beiden Händen.“
Hohn und Spott zu ernten machte Severus rasend. In Windeseile blickte er sich um, damit er sehen konnte, wer alles anwesend war – wer über den Scherz lachen würde. Dank Nicholas schlug die angespannte Situation von einer Sekunde zur anderen um.
Der Junge zeigte breit grinsend auf Sirius und sagte wiederholt: „Wau!“
„Ja, du hast Recht“, lobte Severus die Äußerung des Kindes mit sanfter Stimme. „Das ist auch ein Hund.“
Mit halbseitigem Grinsen nickte Severus seinem damaligen Feind zu, bevor er mit dem Kind im Arm an ihm vorbeiging. Diesmal hatte Nicholas‘ Ablenkungsmanöver ihm aus der Patsche geholfen, auch wenn es keine Absicht war. An den vielen Menschen vorbei flüchtete Severus nach draußen auf die Seitenterasse. Zu seinem Bedauern war er hier nicht allein. Vom Regen in die Traufe. Ein alter Bekannter hielt sich ebenfalls draußen auf, um sich vor den anderen Gästen in Sicherheit zu bringen. Eines hatte dieser Freund sogar mit ihm gemeinsam: Er trug ein Kind auf dem Arm, ein rotblondes.
Lucius schaute zu Severus hinüber, erblickte das Kind in dessen Arm und sah weg, als wollte er mit niemandem reden. Einen Moment später schaute Lucius nochmals zu Severus hinüber, doch diesmal war es nur das Kind, das er musterte. Die Muskeln in Lucius Kiefer spannten sich an. Er blickte nochmals weg, schüttelte resignierend den Kopf.
„Lucius.“ Es hatte Severus viel Mühe abverlangt, die Stimme so kühl zu halten.
Als er sich ihm näherte, blickte Lucius wieder auf das Kind. „Ich denke nicht“, er klang enttäuscht und erbost zugleich, „dass eine kleine Auseinandersetzung zwischen dir und mir“, Lucius spielte auf die gebrochene Nase an, „damit enden muss, dass du mir so etwas verschweigst.“ Er nickte zu Nicholas.
Severus benötigte einen Augenblick, um sich zu fassen, bevor er aufklärte: „Das ist das Kind des Brautpaars!“
Ein verlegenes „Oh“ entwicht Lucius‘ Lippen, bevor er nochmals das schwarzhaarige Kind mit den braunen Augen betrachtete. „Ich dachte schon …“
„Das hätte ich dir bestimmt mitgeteilt“, versicherte Severus. Lucius war ein Freund, auch wenn er nicht immer mit ihm einer Meinung war. Das Kind in Lucius‘ Armen hatte Severus eine Weile nicht gesehen. Charles war ganz schön gewachsen. „Warum hältst du dich hier draußen auf?“
„Die Frage kann ich wohl an dich zurückgeben.“
Lucius hatte sich seinem Schicksal ergeben. Das jedenfalls konnte Severus sehen – und vor allem fühlen. Der Reinblüter würde eine gute Miene zum bösen Spiel machen. Vielleicht würde Lucius sogar mit jemandem Konversation betreiben, doch innerlich wären ihm die anwesenden Halbblüter und Muggelstämmigen, der Werwolf und die Blutschänder noch immer ein Gräuel. Offensichtlich war Lucius aber lernfähig. Sein Enkel bekam kein bisschen von dieser Abneigung zu spüren. Das Gegenteil war der Fall, denn er trug seinen Enkel liebevoll im Arm, obwohl der ein Produkt dieser Blutschande war.
Beide Männer beobachteten, wie Charles und Nicholas sich die Hände entgegenstreckten. Ein kindlicher Gruß, der unschuldiger nicht sein konnte. Der Spielkamerad für später war gefunden. Die Spiel-Zone konnte kommen. Die Jungen grinsten sich an, ihr noch nicht sehr ausgeprägtes Erinnerungsvermögen versicherte ihnen, sich schon einmal begegnet zu sein. Plötzlich ging die Tür zur Terrasse auf. Gleichzeitig blickten Lucius und Severus sich um, und im gleichen Moment dachten sie dasselbe: ‚Bitte nicht der!‘ Lucius wollte sich keinesfalls in ein unangenehmes Gespräch mit Dumbledore verwickeln lassen, und Severus hatte nicht vor, vor diesen beiden Männern eine geistige Kernschmelze zu erleben. Aus diesen beiden Gründen war Albus‘ Anwesenheit im Moment nicht erwünscht. Beide Männer hofften innig, Albus würde verschwinden.
„Oh, guten Tag, Severus“, Albus kam näher, „und Mr. Malfoy.“ Der alte Zauberer stand nun genau zwischen den beiden und streckte Lucius die Hand entgegen. Nachdem Lucius das Gewicht des Kindes im Arm verlagert hatte, ergriff er die Hand und schüttelte sie verbissen. Gleich darauf bückte sich Albus ein wenig, um das Kind anzusprechen. „Und da ist ja auch der ganz kleine Mr. Malfoy“, sagte er mit warmer Stimme zu dem Kind, der mit großen Augen zuhörte und dabei bis über beide Ohren grinste. An Lucius gewandt fragte Albus: „Charles war der Name, nicht wahr?“
„Ja“, erwiderte Lucius mit arroganter Miene, bevor er vervollständigte, „Charles Erasmus.“
„Ah“, machte Albus weise und richtete sich wieder auf. „Sofern ich mich recht entsinne, war Erasmus auch der Name von Arthurs Weasleys Vater.“
„Wirklich?“ Missgelaunt rümpfte Lucius die Nase und hoffte, somit als Gesprächspartner uninteressant zu wirken.
„Und ich habe das starke Gefühl, er wird einmal in das gleiche Haus kommen wie sein Vater und sein Großvater.“
Lucius schnaufte, nicht aber wegen der Frage, sondern wegen der Tatsache, dass Albus gerade im Versuch war, ihm wie befürchtet ein Gespräch aufzudrängen. „Da kann man sich jetzt ja nicht mehr so sicher sein“, wagte Lucius zu entgegnen. Immerhin war die Mutter eine Hufflepuff.
Über seine Halbmondbrille hinweg schauend hielt Albus dagegen. „Das würde ich nicht sagen. Die Mutter hat ein paar sehr ausgeprägte Eigenschaften, die man in der Regel den Slytherins zuschreibt.“ Von Charles ließ er seinen kleinen Finger greifen, bevor Albus beide informierte: „In etwa zehn Minuten wird zur Trauung hineingebeten. Ich wollte nur Bescheid geben.“ Ein Blick zu Nicholas, der sich offensichtlich wohl fühlte. „Dann werde ich auch gleich drinnen die Kunde verbreiten, dass Nicholas wohlauf ist. Er ist nämlich dem Kinderbetreuer entwischt.“
Severus stutzte und beteuerte im Anschluss: „Ich versichere, es liegt in diesem Fall keine Entführung vor.“
„Das hat auch niemand behauptet. Es lag wohl ein Missverständnis vor. Gut zu wissen, dass nichts passiert ist.“
Zu Lucius‘ Erleichterung ging Dumbledore nach diesen Worten wieder hinein. Stumm blickten sich die beiden Männer mit den Kindern im Arm kurz in die Augen. Sie duldeten sich gegenseitig, obwohl jeder von ihnen allein sein wollte. Bei Lucius fühlte sich Severus aus unbekannten Gründen sicher. Von der Terrasse aus betrachteten sie die letzten Gäste, die per Portschlüssel anreisten und auf der Wiese vor dem Schloss landeten. Lucius stellte sich plötzlich auf die Zehenspitzen, um an einem Blumenkübel vorbei die neusten Ankömmlinge zu betrachten. Seine Augen war auf ein Paar gerichtet, das von einem Kind, aber auch einem jungen Mann mit Krücken begleitet wurde.
„Severus?“ Lucius nickte in die Richtung des Paares. „Ist das da hinten bei Miss Parkinson etwa …“
Bei dem Paar handelte es sich tatsächlich um Miss Parkinson, die wegen der Nervenschädigung durch Schlafes Bruder noch eine Gehhilfe benötigte, und Mr. Zabini nebst Tochter. Der Mann neben ihnen war ihm ebenfalls bekannt. „Wie es aussieht, ist Mr. Goyle aus seinem Schlaf erwacht“, kommentierte Severus die Gäste.
„Warum ist er eingeladen worden?“, fragte Lucius mit hörbarem Staunen. Der junge Mann hatte lange Zeit bei ihm im Krankenzimmer gelegen. „Ich kann mir nicht vorstellen, dass er gut Freund mit Potter ist.“
Severus warf ihm einen Blick zu, der verdeutlichte, dass Lucius in dieselbe Sparte von Gästen gehörte, bevor er mit den Schultern zuckte und laut vermutete: „Mr. Zabini wird gefragt haben, ob Mr. Goyle sie begleiten darf. Wie ich vorhin gehört habe, war Mrs. Weasley bei der Gästeliste nicht unbedingt kleinlich.“ Er erinnerte sich an Rons Aussage, dass Krums Frau ihre Cousine mitbringen wollte, was Molly auch gestattete. „Entspann dich, Lucius“, gab Severus als Ratschlag. „Je mehr Gäste anwesend sein werden, desto weniger wird man auf dich aufmerksam.“
Während Severus und Lucius sich unterhielten, sprachen auch die Jungen in einer gurgelnden Kindersprache miteinander, fast so, als wollte Nicholas dem anderen Jungen klarmachen, dass sie nachher die Hops-Burg gegen alle anderen Kinder gemeinsam verteidigen müssten.
„Wir gehen besser rein“, sagte Severus, der zur Terrassentür hinüberblickte. „Ich muss vor der Trauung noch das Kind loswerden.“
„Meinst du nicht, man würde es vermissen?“ Lucius war der Einzige, der über seinen Scherz lachte. „Von mir aus“, Lucius wandte sich bereits ab, „dann gehen wir rein.“
Severus ließ seinen ehemaligen Schulfreund vorgehen, der drinnen gleich von seinem eigenen Sohn in Beschlag genommen wurde. Draco war zu ihm hinübergegangen.
„Da bist du ja, Vater. Ich dachte schon, du hättest …“
Lucius unterbrach mit Spott in der Stimme: „Diese wunderbare Feier einfach verlassen? Das würde ich mir nie erlauben.“
Dass sein Vater sich einen besseren Zeitvertreib vorstellen könnte als Gast auf der Hochzeit eines Mannes zu sein, den er nicht ausstehen konnte, war Draco nichts Neues, aber er sprach es nicht an. Stattdessen blickte er zu Severus, der Nicholas im Arm hielt. Von dort oben konnte der Junge wenigstens die Gäste überblicken. „Hallo Severus“, grüßte Draco seinen Patenonkel. „Wie geht es dir?“
„Es geht mir gut, danke der Nachfrage.“
Im Moment war Severus damit beschäftigt, jemanden ausfindig zu machen, dem er Nicholas geben konnte. Molly schwirrte hier herum, aber Zeit für ihren Enkel hatte sie momentan nicht. Wo waren die ganzen Onkel? Systematisch suchte er den Eingangsbereich nach roten Haaren ab und fand welche. Susan. Sie stand direkt neben Narzissa und blickte zu ihm hinüber. Höflichkeitshalber nickte er zum Gruß, bevor er seine Suche fortsetzte. In der Menge machte er nochmals rote Haare aus, doch diese gehörten Tonks. Sie war dafür verantwortlich, die Gäste in den Saal zu bitten. Der Stress schlug sich in ihrer Haarfarbe nieder und war somit für jeden sichtbar. Keiner wagte es, ihr ein Widerwort zu geben. Remus war ganz in der Nähe. Auch er gab den Gästen Bescheid, dass die Trauung gleich beginnen würde und man bitte hineingehen sollte. Einige Meter weiter stand ein Mann, den Severus vorhin noch meiden konnte.
Black.
Böse Erinnerungen an damalige Streiche kamen zum Glück nicht auf, weil Black kreidebleich war und in eine ganz andere Richtung schaute. Der Eingangsbereich war dank Tonks und Remus immer leerer geworden, so dass auch Severus sehen konnte, welcher Anblick so eine Reaktion bei Black auslöste. Durch eine der vielen Türen trat gerade Augusta Longbottom und eine junge Frau, die die bekannte Krankenhauskluft des Mungos trug. Den beiden Damen folgten Luna und Neville, die beide jeweils einen Rollstuhl vor sich herschoben. Nevilles Eltern. Severus kannte sie aus der Schule. Es war eine Ewigkeit her, dass er die beiden gesehen hatte. Spinnefeind waren sie sich nie, auch wenn besonders Frank ihn damals misstrauisch im Auge behalten hatte. Severus schaute nochmals zu Black hinüber, der bei dem Anblick der beiden Cruciatus-Opfer ein Gesicht machte, als würde er selbst mit einem Unverzeihlichen malträtiert werden. Überraschend verließ Black seine Frau und flüchtete ins Freie.
„Warum hat man die beiden hergebracht?“, fragte Lucius abschätzig. Es war ihm unangenehm, mit den Opfern seiner Schwägerin konfrontiert zu werden. „Die bekommen doch sowieso nichts mit.“
Severus machte seinen Standpunkt klar, indem er einen Vergleich zog. „Warum hat man dir im Mungos ein Zimmer mit Fenster gegeben, wo du doch blind warst?“
„Vater“, Draco beugte sich zu ihm vor, „bitte halt dich mit solchen Äußerungen zurück.“ Zurechtgewiesen vom eigenen Sohn verstummte Lucius beleidigt. Draco zeigte auf Charles. „Soll ich ihn nehmen?“
„Nein, ich kümmere mich um ihn“, versicherte Lucius noch immer gekränkt.
„Aber wenn er mal während der Trauung raus muss?“
Severus konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen. „Das käme deinem Vater wohl sehr gelegen.“
„Ich würde sagen“, Lucius blickte sich im fast leeren Eingangsbereich um, „wir können geschlossen hineingehen und Platz nehmen.“ Ein Blick zu Severus und Nicholas. „Was ist mit dir? Begleitest du uns?“
„Nein, ich möchte das Kind vorher abgeben.“
Lucius schnaufte. „Versuch es an der Rezeption. Die verwalten sicherlich auch ein Fundbüro.“
„Vater …“
„Was?“, blaffte Lucius seinen Sohn an. „Ich darf doch wohl noch Scherze machen!“
„Ich wollte dich auch nur bitten, mir zu folgen. Severus, wir sehen uns später.“
Seinem Patensohn nickte Severus bestätigend zu. Er sah der Familie Malfoy noch hinterher, die den Raum betraten, in welchem die Trauung stattfinden sollte. Lucius blieb – unbeabsichtigt oder nicht – dicht bei Narzissa. Zusätzlich klammerte er sich an Charles. In dem Jungen sah er die einzige Möglichkeit, die Hochzeit kurzfristig unter dem Vorwand zu verlassen, die Wasch- oder Windelräume aufsuchen zu müssen.
Weiter hinten stand Remus, der sich im Eingangsbereich umschaute. Er hatte Severus registriert, überließ es jedoch voll und ganz ihm, wann oder ob er hineingehen würde. Stutzig wurde er nur, weil Severus den Knaben hielt.
„Wo hast du ihn denn gefunden?“, wollte Remus wissen. „Hier war für eine halbe Stunde lang Panik ausgebrochen, weil Harrys Elfs den Jungen in der Spiel-Zone nicht gefunden hat.“
„Er irrte im Schloss umher.“
Voller Mitleid blickte Remus den Jungen an. „Was denn, etwa ganz allein?“
„Nicht lange. Würdest du ihn nehmen?“
Remus betrachtete Nicholas, der sehr schläfrig wirkte. „Sieht aus, als hättest du alles fest im Griff. Ich muss mal eben nach Sirius schauen.“ Remus warf einen besorgten Blick zur Doppeltür, hinter der besagte Person verschwunden war. „Ich glaube, Alice und Frank haben ihm ein wenig zugesetzt.“ Ein Seufzer, bevor Remus zugab: „Geht mir nicht anders. Ich habe auch nicht gewusst, dass ich ihnen heute begegnen werde. Das weckt Erinnerungen.“ Viele schöne und natürlich auch einige schlimme.
Remus machte sich auf den Weg, seinen Freund zu suchen. Als er die Tür nach draußen öffnete, stand er zwei Damen gegenüber, denen er den Vortritt ließ. Die eine war Mrs. Figg, die er herzlich begrüßte. Die andere Frau kannte Remus nur flüchtig. Ihm rutschte das Herz in die Hose, als er sie erkannte. Wenige Meter entfernt erging es Severus genauso. Mrs. Figg hatte Petunia Dursley untergehakt, was auch notwendig war. Allein der Gesichtsausdruck von Petunia bezeugte, dass sie bereit zur Flucht war. Sie fühlte sich in der Magischen Welt nicht wohl, hatte Angst.
Nachdem die beiden Damen eingetreten waren, ging Remus vor die Tür. Er musste nicht lange suchen. Sirius stand direkt neben dem Eingang und wandte den Kopf, als er Schritte hörte.
„Remus“, grüßte er mit flatteriger Stimme. Er blickte zur Tür. „Hast du gesehen, wer da eben gekommen ist?“
„Ja. Ich hoffe nur, dass Harry davon weiß. Es könnte sonst … Na ja, unangenehm werden.“ Er legte eine Hand auf Sirius‘ Schulter. „Warum bist du hier draußen?“, fragte er, obwohl er den Grund kannte. Weil Sirius sich nicht äußerte, formulierte Remus seine Vermutung aus und sagte: „Wegen Frank und Alice.“
Sirius nickte. „Das hat mich sehr überrascht, sie zu sehen.“
„Wohl eher überwältigt“, verbesserte Remus mit einem Schmunzeln. „Das ist in Ordnung. Mich hat es auch sehr mitgenommen. Trotzdem finde ich es schön, sie nach all den Jahren mal wiederzusehen. Nachher werde ich mich zu ihnen gesellen und sie begrüßen.“
„Die beiden erkennen doch niemanden!“ Sirius musste einmal kräftig durchatmen. „Sie so zu sehen …“
„Ich weiß, was du meinst. Andere sind da weniger befangen als wir. Hast du gesehen, wie Alastor die beiden begrüßt hat?“ Remus musste lächeln. „Er hat Frank auf die Schulter geklopft und ihm gesagt, dass der Haarschnitt ihm gar nicht steht.“
„Frank kann auch schwerlich mitteilen, was für ein Haarschnitt ihm gefallen würde“, hielt Sirius dagegen. Gleich darauf schloss er die Augen und legte eine Hand über sie. Sein kleiner Finger zitterte.
„Sirius …“ Diesmal seufzte Remus.
Gerade wollte er Sirius einen gut gemeinten Rat geben, da fuhr der ihm verzweifelt klingend über den Mund. „Ich weiß einfach nicht, wie ich mich ihnen gegenüber verhalten soll. Soll ich mit ihnen reden? Soll ich ihre Hand nehmen? Ich weiß nicht, wie ich mit Frank und Alice umgehen soll, Remus.“
Diese offen gelegte Unsicherheit verblüffte Remus, denn es lag nicht in Sirius‘ Natur, sich selbst als schwach darzustellen. Eine Antwort hatte er für Sirius parat. „Sei Ihnen einfach ein Freund.“
Der Satz wirkte nach. Sirius verstand, was Remus im Grunde damit aussagen wollte. Er grinste frech, als er das Beispiel gab: „Dann soll ich Frank auch einfach auf die Schulter klopfen und mir von Alice einen Kuss stibitzen? Ganz wie früher?“
Remus lachte gedämpft. „Bei Alice solltest du dich lieber zurückhalten. Ihre Schwiegermutter ist auch hier.“
Die beiden hörten, wie sich die Tür öffnete und drehten sich zeitgleich um. Annes Kopf lugte hervor. Sie hielt Ausschau. „Ah, Sirius. Hier steckst du.“ Sirius und Remus kamen auf sie zu. „Wollen wir nicht auch langsam reingehen?“, fragte sie besorgt. Warum er vorhin so abrupt gegangen war, konnte sie sich nicht erklären. „Es sind nicht mehr viele Leute in der Halle.“
Seine Unsicherheit wegen Frank und Alice überspiele er mit einem breiten Lächeln. „Dann sollten wir uns beeilen, sonst verpassen wir noch etwas.“
Remus folgte den beiden in den Eingangsbereich, nicht jedoch in den Festsaal. Stattdessen blickte er sich um. Noch immer trug Severus den Jungen, hielt sich ansonsten von den anderen fern. Mit Tonks und ihm wollte Remus ganz zum Schluss gemeinsam eintreten, wenn Harry startklar war. Vorher aber würde er sich noch um Mrs. Figg kümmern. Die fächelte momentan einer schwächelnden Petunia Luft zu. Harrys Tante hatte sich auf einen der gut gepolsterten Sessel gesetzt. Eine Hand war auf das Brustbein gelegt. Sie atmete heftig.
Bei den Damen angekommen fragte Remus höflich: „Darf ich Ihnen irgendwie behilflich sein?“ Petunia kannte er nur von Bildern und vom Sehen, doch gesprochen hatte er mit ihr noch nie. Sie würde mit seinem Gesicht nichts anfangen können. Trotzdem oder gerade weil sie ihn nicht kannte, reagierte sie ängstlich.
Mrs. Figg griff ein, wedelte derweil mit einer Stoffserviette vor Petunias Gesicht herum. „Ach, meiner Bekannten ist nur ein wenig flau.“
„Oh, das tut mir leid“, richtete Remus das Wort an Petunia. „Darf ich Ihnen etwas dagegen bringen?“
Erschrocken riss Petunia nicht nur die Augen auf, sondern Mrs. Figg auch noch die Serviette aus der Hand, die sie sich vor den Mund hielt, bevor sie mit bebender Stimme erwiderte: „Ich nehme nichts von Ihren seltsamen Tränken.“
Remus lächelte weiterhin freundlich, schüttelte den Kopf. „Ich dachte eher an einen Sherry?“
Auf einem kleinen Wagen in der Nähe warteten einige alkoholische Getränke bereits darauf, von den Gästen vernascht zu werden. Remus nahm die dunkelrote Flasche, auf deren Etikett eine runde Kirsche zu sehen war und schenkte ein kleines Glas davon ein. Er reichte es Petunia.
„Ein Schlückchen Alkohol beruhigt die Nerven“, versicherte er ihr, als sie zaghaft an dem Inhalt des Glases roch und den Duft als bekannt und darüber hinaus genießbar einstufte. Den Sherry trank sie auf ex. „Besser?“
Petunia nickte und holte Luft. „Mein Herz rast“, gab sie zu und schloss dabei einen Moment die Augen.
„Keine Eile, Madam.“ Mit einem Lächeln wollte Remus ihr zeigen, dass sie nichts zu befürchten hätte. „Gehen Sie erst rein, wenn Sie sich wohl fühlen.“
Mrs. Figg tätschelte Petunias Unterarm. „Keine Sorge, ich kümmere mich schon um sie.“
Langsam schlenderte Remus zu Severus hinüber. Als er dicht bei dem Tränkemeister stand, fiel ihm eine Sache sofort auf.
„Nicholas schläft!“, bemerkte er leise.
„Kannst du ihn nicht …“
„Oh nein, er würde sonst aufwachen.“ Remus presste einen Zeigefinger auf die Lippen. Aus den Augenwinkeln sah er, wie Mrs. Figg Petunia auf die Beine half und beide im Saal verschwanden.
Die Tür ging nochmals auf und eine bekannte Persönlichkeit trat ein. Es war nicht Slughorn, der war schon im Saal. Es handelte sich um keinen Geringeren als Viktor Krum samt Familie. Der Lautstärkepegel war wegen der vielen, aufgeregten Kinder in null Komma nichts von zehn auf hundert Dezibel gestiegen. Nicholas‘ Kopf bewegte sich im Schlaf, als seine Ohren die Kinderstimmen vernahmen. Krums jüngste Kinder, die Zwillinge, waren nicht viel Älter als Nicholas. Bei Krum untergehakt sah Severus dessen Ehefrau, die Schwester des Hüters Zograf. Um deren Beine herum tollten sechs Jungen und Mädchen. Hinter ihnen stand ein anderes Paar. Die junge Frau glaubte Severus schon einmal gesehen zu haben – im Krankenhausflügel von Hogwarts, aber sie war keine von Poppys Schwestern. Neben der jungen Frau stand ein schwarzhaariger Mann, der sich unsicher umblickte. Beide wurden von Molly begrüßt.
„Mr. Krum.“ Sie reichte ihm die Hand, die er nahm und schüttelte.
„Wie oft muss ich noch darauf bestehen, dass Sie mich Viktor nennen?“ Er lächelte. „Freut mich, Sie zu sehen.“ Severus fiel auf, dass Krum kaum noch einen Akzent hatte. Das konnte natürlich an der festen Zusammenarbeit mit der Firma Nimbus Rennbesen liegen, für die der ehemalige Sportler unter anderem Werbung machte und neue Besen entwarf. „Darf ich vorstellen?“ Krum zeigte auf die junge Dame hinter seiner Frau. „Das ist die Schwester meiner Cousine, Marie Amabilis.“
Die Dame, die eben vorgestellt wurde, reichte Molly die Hand und lächelte freundlich. „Vielen Dank, dass ich kommen durfte. Es ist schön, dass ich so einen einzigartigen Moment wie heute zusammen mit meiner Familie erleben darf.“
„Sie sind herzlich willkommen, Miss Amabilis“, beteuerte Molly, die den Zusammenhalt einer Familie sehr zu schätzen wusste.
Krum deutete auf den Herrn daneben: „Das ist Mr. Duvall. Marie hat selbst uns damit überrascht, dass sie den Hinweis wahrgenommen hat, eine Begleitung mitbringen zu dürfen.“ Diese Stichelei ließ Marie nicht auf sich sitzen, denn sie knuffte ihn für diese Bemerkung am Oberarm.
Severus wusste es endlich. Lange genug hat er der Dame ins Gesicht geschaut, damit sein mentales Gesichtswiedererkennungsprogramm eine Antwort ausspuckte. Wenn er diese Miss Amabilis aus dem Krankenflügel kannte, konnte es nur die Dame gewesen sein, die vom Mungos gekommen war, um seinen Arm zu retten. Die Ärztin oder die Schwester, eine von beiden. Der Rückblick auf diesen unendlichen Schmerz barg das Risiko, wegen der Erinnerung ans dunkle Mal auch in den gesamten Horror einzutauchen, den dieses schwarze Zeichen symbolisiert hatte.
Mit aller Kraft wehrte sich Severus gegen die Schandtaten, die er selbst begehen oder denen er beiwohnen musste. Er dachte, wie Hermine es einmal erwähnt hatte, lieber ans Heute. Ein guter Ratschlag. Es ging ihm sofort besser. Das Mal war Vergangenheit. Nur noch wenig Schorf war der letzte Beweis für sein Dasein als Verbrecher gegen die Menschheit. Mit dem letzten Trank, der seine Seele vervollständigen würde, wäre er endgültig geläutert. Morgen wäre es soweit, es sei denn Hermine würde sich gleich nach der Feierlichkeit spät abends ins Labor stellen, um den siebten Trank zu brauen. Severus freute sich jetzt schon auf das Leben, das vor ihm lag. Es versprach geregelt zu verlaufen, entspannend und inspirierend, vor allem aber nicht einsam.
Vor Severus stand plötzlich ein Mann.
„Mr. Granger?“ Natürlich, dachte Severus. Harry würde auch Hermines Eltern einladen. Einmal hatte er erwähnt, dass sie bei ihnen untergeschlüpft waren, als sie den Tipp bekommen hatten, die Todesser wollten den Grimmauldplatz Nr. 12 beim nächsten Ordenstreffen überfallen.
„Wir waren schon bei den Vornamen angekommen“, erinnerte Joshua Granger ihn.
Zu den dreien gesellte sich Remus. Severus fühlte sich genötigt, das Wort zu ergreifen. „Kennen Sie sich?“ Als alle drei verneinten, deutete Severus mit einer Geste seiner Hand auf Jane. „Mrs. Granger und Ihr Gatte.“ Hermines Vater räuspert sich, so dass Severus anfügte: „Oder auch Jane und Joshua, Hermines Eltern. Das“, Severus nickte zu seinem Freund, „ist Remus Lupin.“
„Ah, wir haben uns ganz kurz mal gesehen“, erinnerte sich Remus, der die beiden herzlich begrüßte. „Das war auf Hermines Geburtstagsfeier.“
Jane nickte. Sie erinnerte sich an ihn. „Wir konnten leider nicht so lange bleiben. Heute feiern wir aber bis in die Puppen.“
„Das ist wunderbar, dass Sie beide kommen konnten. Darf ich Ihnen schon den Weg nach drinnen zeigen? Es dauert nicht mehr lange bis zur Zeremonie.“
Tonks hatte gerade die Familie Krum, samt der zwei eigenen Kindermädchen in den Trausaal geführt und hielt für Jane und Joshua noch höflich die Tür auf. Severus blickte sich um. Molly ging irgendeine Liste durch. Kellner waren anwesend, doch keine Gäste mehr.
Als der freiwillige Helfer wieder bei ihm war, fragte Severus. „Wann beginnt die Trauung?“
Remus nickte in Richtung Treppen. „Wenn Harry runterkommt. Er geht als Erster, gefolgt von Arthur, der ihm Ginny überreicht.“
„Ah, also die altmodische ‚der Vater übergibt die Braut an den Bräutigam‘-Zeremonie.“
„Ganz recht“, stimmte Remus leise zu, um Nicholas nicht zu stören.
Die Wange des Jungen lag auf dem weichen Stoff von Severus‘ neu aussehendem, blauem Umhang. Remus stutzte. Blau? Dann hatte er vorhin gleich nach der Landung mit dem Portschlüssel doch richtig gesehen, als die Garderobe bei Sonnenlicht bläulich aufblitzte, durch die vielen Falten im Stoff aber weiterhin schwarz wirkte.
Severus blickte hinauf zur Treppe. „Harry kommt“, verkündete er, so dass auch Molly und Tonks es hörten.
In seinem reich verzierten Festgewandt eilte Harry die Treppen hinunter. Auf seinem Gesicht lag ein Ausdruck der totalen Zufriedenheit.
„Harry, mein Schatz. Alles bereit?“, fragte seine sehr baldige Schwiegermutter. Im gleichen Moment kam Ron die Stufen wenig graziös hinuntergepoltert. Glücklicherweise gehörte dieser Teil noch nicht zur Zeremonie.
„Ich muss nur noch ganz schnell eine Sache erledigen! Eine Minute bitte“, bat Harry und grinste dabei übers ganze Gesicht.
Harry ging in eine Ecke und bückte sich. Gleich im Anschluss stand Wobbel plötzlich bei ihm, der ganz offensichtlich gerufen worden war. Leicht vorgebeugt flüsterte er seinem Elf eine Frage ins Ohr und erwartete eine Antwort, die Wobbel ihm mit einem kräftigen Nicken gab. Der Elf winkte ab, schien Harry damit zu beruhigen. Alles – was auch immer von Harry als Überraschung geplant war – würde heute perfekt ablaufen. Das Gespräch könnte sich allerdings auch um Windeln für den Jungen gedreht haben. Severus verlor sich nicht in Überlegungen über Harrys Machenschaften. Diesmal, obwohl er Überraschungen nicht ausstehen konnte, vertraute er das erste Mal nach langer Zeit einer Person blind. Er vertraute Harry.
Es war Arthur, der die Aufmerksamkeit aller auf sich zog. Der stolze Brautvater zeigte mit seiner Kleidung erstmalig, dass er als Zaubereiminister ordentlich verdiente. Ein Blick zur Treppe verriet Severus, dass die Braut bereits am von hier unten aus nicht gut sichtbaren Absatz wartete. Da war auch Hermine, die sich von der Treppe aus im Eingangsbereich umschaute und ihn erspähte. Sie flüsterte jemandem – vermutlich der Braut – etwas zu, bevor sie die Treppe ganz hinunter ging und sich ihm näherte. Im gleichen Moment ging Arthur wieder nach oben zu seiner Tochter. Ganz aufgebracht war Molly, die Harry zu sich heranpfiff und wie beim Quidditch das Startzeichen gab. Der Bräutigam umarmte Molly und dann, ganz unerwartet, stand jemand mit einer Hochsteckfrisur vor Severus und versperrte ihm die Sicht auf das Geschehen.
Erstaunt blickte er sich herab. „Hermine.“ Sie lächelte zufrieden und betrachtete dabei Nicholas, der im Halbschlaf ein Auge rieb. Der Junge blinzelte und streckte verschlafen eine Hand nach ihr aus.
„Bekomme ich ein Küsschen?“, fragte sie ihren Patensohn, der gleich darauf die Lippen spitzte und zu einem feuchten Kinderkuss ansetzte. Gleich danach lehnte sich Nicholas wieder an den weichen Umhang. „Oh, du bist ja ganz müde“, erkannte Hermine richtig.
„Hermine, willst du ihn nicht nehmen?“
In dieser Bitte glaubte sie Panik zu hören. „Geht es dir gut, Severus?“
„Ja, ich möchte nur nicht mit ihm auf dem Arm …“ Er presste die Lippen zusammen. „Alle werden starren.“
„Ich begleite gleich die Braut“, rief sie ihm ins Gedächtnis zurück. „Vielleicht könnte Molly ihn nehmen.“
Zeitgleich blickten beide hinüber zu Ginnys Mutter, die gerade von Arthur gestützt wurde, weil ihr schwindelig war. Severus wollte Molly nicht noch mehr aufbürden. „Sie hat sich für heute genug vorgenommen.“
Hermine nickte und dachte dabei nach, wie sie zaghaft nachfragen konnte, ob Nicholas eine negative Auswirkung auf ihn hätte. „Wäre es so schlimm, wenn du ihn nimmst? Ansonsten könnte ich ihn auch in die Spiel-Zone bringen lassen. Es wäre aber schöner, wenn er dabei ist.“
„Ich kann nicht gut mit Kindern umgehen“, offenbarte er das, was sowieso jeder wissen dürfte.
Hermine musste wegen seiner Worte lächeln und blickte auf das dösende Kind auf seinem Arm, welches sich offensichtlich geborgen fühlte. „Der ist doch aber genau so, wie du dir deine Schüler immer gewünscht hast. Er ist ruhig“, scherzte sie. „Es dauert doch nur knapp eine halbe Stunde, Severus.“
Er stutzte. „Nur eine halbe Stunde? Also keine schwülstigen Reden und Liebesschwüre?“
„Darauf hatten beide keine Lust. Gleich wird Arthur ein paar Worte sagen, wenn er Ginny an ihn übergibt. Dann kommt eine kurze Rede von dem Herrn, der die Trauung durchführt und danach …“
„Danach?“
„Danach wird gefeiert. Zwischendurch möchte der ein oder andere sicherlich auch noch ein paar Worte loswerden, aber ansonsten“, sie zuckte mit den Schultern, „war es das.“
Severus kam es nicht einmal in den Sinn, nach Harrys Elf zu fragen, der für Nicholas ebenfalls die Verantwortung hatte. „Wenn es nur eine halbe Stunde ist …“
„Danke, Severus. Ist nicht mehr lange, dann bin ich bei dir“, versprach sie, während sie eine Hand auf seinen Arm legte. „Ich werde mal für dich einen Blick auf die freien Sitzplätze werfen. Irgendwie hat sich nämlich die Platzordnung in Wohlgefallen aufgelöst.“
Schon war Hermine bei der Tür und öffnete sie einen Spalt. Weil sie von dort keinen großen Überblick hatte, ging sie hinein. Nicht mal eine Minute später stand sie wieder bei ihm.
„Also, vierte Reihe von hinten sitzen auf der linken Seite Ted und Andromeda, gleich davor die Malfoys. Neben Lucius ist noch ein Platz, direkt am Gang. Sieht aus, als würde er ihn freihalten“, schilderte Hermine. „Auf der rechten Seite ist ein Platz neben Poppy. Allerdings liegt der mittig.“ Severus verzog das Gesicht. Er hatte keine Lust darauf, dass zwanzig Gäste aufstehen mussten, nur um ihn vorbeizulassen. „Hinten rechts hat man einige Stühle entfernt, damit die Rollstühle Platz haben. Außerdem steht Alastor gleich dahinter an der Wand neben dem Eingang. Du würdest ihn direkt im Nacken haben.“ Als sie hinter sich die Tür hörte, schloss sie kurz die Augen, weil sie ahnte, was jetzt kommen würde. Ihre Eltern. Die hatten nämlich gesehen, wie Hermine den Raum abgesucht hatte.
„Schatz“, ihr Vater drückte ihr einen Kuss auf. „Du siehst fantastisch aus. Lass dich mal richtig anschauen.“ Geduldig ließ sie sich von ihrem Vater einmal drehen, damit er sie mustern konnte. „Wirklich hübsch!“ Joshua winkte seine Frau heran. „Stell dich bitte hier hin.“ Der Aufforderung kam Jane nach. „Und jetzt du, Mine.“
„Ich bin schon aufgeregt genug. Es fängt jede Sekunde an!“ Sie sah Harry und Ron durch die Tür treten, die beide bis zum Altar gehen würde. Gleich danach waren Ginny, Arthur und sie an der Reihe. „Ich möchte jetzt nicht fotografiert werden.“
„Ich habe doch gar nicht vor, dich zu fotografieren. Ich möchte deine Mutter ablichten. Du bist nur ein Accessoire, also wenn ich bitten darf?“
Ihr Vater forderte sie mit einem Nicken auf, sich zur Mutter zu stellen, die sie mit offenen Armen erwartete und versprach: „Dauert nicht lange.“
Hermine grinste. Besonders ihr Vater konnte ihr immer die Aufregung nehmen. Deswegen war sie damals, als man sie im Mungos abgelehnt hatte, auch zu ihren Eltern gegangen, um sich von ihnen aufheitern zu lassen. Die Fotos waren mit der Digitalkamera schnell geschossen.
„Und jetzt zusammen mit Severus.“
„Bitte was?“ Die Erwähnung seines Namens hatte ihn aufgeschreckt.
„Ein Foto“, erklärte Joshua knapp.
Joshua winkte ihn zu Hermine hinüber. Es war nur ein Foto, dass Joshua mit einem extrem kleinen Muggelfotoapparat schießen wollte, dachte Severus. Wozu aufregen? Der Begriff Bild ließ ihn an das Foto denken, das auf der Rückseite eine Botschaft von Hermine enthielt. Er hatte ihr eine Menge Körbe gegeben, das stimmte. Severus nahm sich ganz fest vor, Hermine heute für die vielen Absagen und das lange Warten zu entschädigen. Hoffentlich entschädigte sie ihn im Gegenzug für die Nötigung ihres Vaters, für ein Foto stillstehen zu müssen.
„So!“ Remus klatschte in die Hände. „Ich würde sagen, dass alle, die nicht mit der Braut zusammen nach vorn gehen, jetzt drinnen einen Sitzplatz einnehmen.“ Er wandte seinen Kopf. „Du auch, Molly.“
Zusammen mit Tonks, Remus und Molly betrat Severus mit einem fest schlafenden Nicholas den Saal. Die Augen der Gäste waren durchweg nach vorn gerichtet, so dass Severus die freien Plätze begutachten konnte. Er fand alles vor, wie Hermine es beschrieben hatte. Ein Platz neben Lucius war frei.
„Bei Mr. Malfoy ist etwas frei“, wies Remus ihn auf den Stuhl hin. „Ich sitze mit Tonks gleich hinter dir, wenn das in Ordnung ist.“
Severus nickte. Zielsicher steuerte er die Malfoys an. Lucius nahm auf der Stelle seinen Gehstock vom Nebenstuhl, so dass sich Severus setzen konnte. In dieser halb sitzenden Position konnte Nicholas noch viel entspannter schlafen. Offensichtlich erging es Charles auf dem Schoß seines Großvaters ganz ähnlich. Es war nun einmal ihre Mittagsschlafzeit und daran hielten sie rigoros fest. Neugierig schaute sich Severus um. Die Kinder von Krum waren bestens erzogen, bemerkte Severus. Keines nörgelte oder machte Lärm. Natürlich könnte er sich umdrehen und Remus oder Tonks fragen, ob einer von ihnen den Jungen nehmen wollte, aber Severus sah keine Veranlassung. Es war keine Frage der Bequemlichkeit, er hatte es sogar sehr bequem. Der leichte Junge störte kein bisschen. Unter den anderen Gästen fand Severus eine Menge bekannter Gesichter. Molly schien die Hälfte der damaligen Mitschüler von Harry eingeladen zu haben, egal welchem Haus sie angehört hatten. Rosmerta von den Drei Besen war hier, genauso wie die Ordensmitglieder. Sogar Mundungus Fletcher lümmelte sich auf einem Stuhl. Der Langfinger wurde dabei von Alastor misstrauisch beobachtet. Selbst die Lehrer von Hogwarts waren anwesend, nur Filch fehlte, was sicher keine böse Absicht war. Hätte der eine Einladung bekommen, dann war die Wahrscheinlichkeit groß, dass er den Brief zerrissen hatte, sein Squib-Dasein verfluchte und sich mit einer Flasche Feuerwhisky, vielleicht auch zweien, tröstete.
Ganz vorn bei dem Herrn vom Ministerium stand Harry, den Blick gespannt auf die Tür gerichtet, durch die seine Braut jeden Moment treten würde. Die Vorfreude stand ihm ins Gesicht geschrieben. Sein Freund und Trauzeuge flüsterte ihm manchmal mit einem Schmunzeln auf den Lippen ein paar Worte ins Ohr, woraufhin Harry noch viel breiter grinste. Severus fiel sofort die Stickerei auf den beiden breiten Kragen auf, die in ihrer Verzierung die Buchstaben H und G sehr gut verbargen, aber nicht gut genug für ein so geschultes Auge wie das seine.
Die Tür öffnete sich im gleichen Moment, in dem die Musik erneut zu spielen begann. Es war schwierig, mit einem Kind auf dem Schoß über die eigene Schulter zu blicken, aber das war an diesem Abend nur die kleinste Hürde, die er zu nehmen hatte. Severus‘ Blick fiel nicht sofort auf die Braut, sondern auf Arthur. Dessen sichtbare Freude war so ungewohnt für Severus, dass es einer kurzen Observation bedurfte. Der Zaubereiminister in seinem edlen Gewand hatte den Arm seiner Tochter um den eigenen geschlungen, damit er den ganzen Weg nach vorn ihre Hand streicheln konnte. Hinter der Braut fand er Hermine, die einen Strauß Blumen in der Hand hielt, was ihr ganz recht war. Ihre nervösen Finger fummelten beinahe unerkannt das Grünzeug vom Stil des Gebindes, doch auch das entging Severus nicht. Sie hatte ihn gesehen und lächelte nur für ihn.
„Sie ist hübsch, nicht wahr?“, flüsterte Remus, der sich zu Severus nach vorn gebeugt hatte.
„Mmmh“, gab Severus als bestätigende Antwort.
Erst als Remus klar wurde, dass er missverstanden worden war, fügte er schelmisch hinzu: „Und die Braut selbstverständlich auch.“
Severus äußerte sich nicht zu Remus‘ Worten, weil die drei gerade im Takt der Musik direkt an ihnen vorbeigingen. Als Arthur seinen friedlich schlafenden Enkel bei Severus bemerkte, stieß er seine Tochter unmerklich an, damit auch sie dieses ungewöhnliche Bild sehen konnte. Ihr Gesichtsausdruck war dem von Harry sehr ähnlich. Sie war glücklich.
Vorn angelangt schlug Arthur Harry auf die Schulter, drückte väterlich zu und überreichte ihm die Hand seiner Tochter.
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