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Fanfiction

Harry Potter und die Schatten der Vergangenheit - Schwarzlicht

von Muggelchen

Der Fuchsbau war ein Synonym für Familie, Gastfreundlichkeit und Verbundenheit. Arthur hatte sein Versprechen gehalten und das durch einen Brand übel zugerichtete Heim wieder errichten lassen. Lediglich auf das oberste Stockwerk verzichtete man. So viele Räume benötigte keine Familie, deren Kinder längst aus dem Haus waren. Lange überlegte man hin und her, ob der Fuchsbau nach der Fertigstellung wegen der Gefahr durch Muggel mit einem Fidelius geschützt werden sollte, entschied sich jedoch dagegen. Alejandro Abello, Hopkins' rechte Hand, war tot. Dessen Sohn Pablo würde viele Jahre im Muggelgefängnis verbringen, genauso wie der Mörder Tyler. Die Gefahr, die durch Hopkins' Anhänger ausgegangen war, gab es nicht mehr. Ein starker Muggelabwehrzauber sollte reichen, zudem magische Schutzwälle, die eines Ministers würdig waren. Völlig verstecken wollten Molly und Arthur sich nicht. Einige Bürger aus dem in der Nähe liegenden Muggel-Dorf Ottery St. Catchpole kannten sie, von zwei Bauern bekam Molly sogar regelmäßig Milch, Wurst und Eier.

Das Erste, was Molly in ihrem neuen, alten Heim in Angriff nahm, war keinesfalls die Arbeit in der Küche. Auch ordnete sie die Möbel nicht neu an, kümmerte sich nicht um ihr Strickzeug und schon gar nicht machte sie sauber. Nein, Molly nahm sofort den Kamin in Anspruch. Die Organisation einer Hochzeit brachte eine Menge Strapazen mit sich. Für ihre Tochter und Harry nahm sie den Stress gern auf sich. Sollte später einer ihrer Buben auf die Idee kommen zu heiraten, müssten die sich an einen professionellen Organisator wenden. Noch einmal würde sie sich nicht in so eine aufwendige Arbeit stürzen, aber für ihr Töchterchen machte sie diese Ausnahme.

Vor dem Kamin hatte sie das dickste Kissen des Hauses gelegt, auf dem sie kniete, während sie mit der Dame von der Papeterie sprach.

„Hat sich Mr. Montalban bei Ihnen mit dem Menü gemeldet?“, fragte sie die junge Dame, die um einige Jahre jünger war als Ginny.
„Hat er, Mrs. Weasley. Wir haben probehalber eine Menükarte gefertigt, die wir ... Einen Moment bitte.“ Die junge Dame blätterte in Unterlagen. „Wir haben sie Freitag losgeschickt. Sie müsste heute bei Ihnen eintreffen.“
„Gut“, Molly war erleichtert, „ich melde mich bei Ihnen, wenn die Menükarte meinen Wünschen entspricht. Was ist mit den Platzkarten?“
„Die sind schon fertig und werden rechtzeitig direkt ins Schloss geliefert. Das ist schon mit dem Schlossbesitzer ausgemacht, Mrs. Weasley.“
„Prima!“ Es lief alles wie am Schnürchen. Am Fenster des Fuchsbaus klopfte es plötzlich. Molly schaute über ihre Schulter, dann wieder in den Kamin. „Ihre Eule ist gerade angekommen.“
„Dann sehen Sie sich die Karte in Ruhe an und melden Sie sich später nochmal. Sie können uns bis 20.00 Uhr erreichen.“

Es war nicht nur eine Eule, die auf dem Gartenzaun sitzend wartete – es waren zwölf. Nacheinander bezahlte Molly die Eulen, gab ihn eine Zwischenmahlzeit und nahm die Päckchen und Briefe entgegen, die sie allesamt auf dem riesigen Küchentisch ausbreitete. Da war sie auch, die sehnlichst erwartete Menükarte. Sie war ein Traum. Die Schrift war kitschig schnörkelig, ganz wie sie es sich erhofft hatte. Die Gäste hatten die Wahl zwischen einem Fleischgericht, Fisch, Geflügel oder etwas Vegetarischem. Dazu drei verschiedene warme Gerichte sowie drei kalte als Vorspeise und nochmals als Nachtisch. Das Essen war schon einmal perfekt. Die Aufzählung der Getränke war auch nicht zu beanstanden. Auf der Stelle gab Molly ihre Zustimmung, dass die Menükarten gedruckt werden konnte.

Der Service, bei dem Molly ein paar Kellner organisiert hatte, hatte ebenfalls einen Brief geschickt. Das Restaurant im Schloss Schnatzer, wo die Hochzeit stattfinden sollte, beschäftigte nicht genügend Kellner, die für die Bewirtung der Gäste herangezogen werden konnten. Für Musik war ebenfalls gesorgt. Die älteren Gäste durften sich an einem kleinen Orchester erfreuen, während für die jüngeren zwei Musikbands gebucht waren. Erst später würde jemand Musik auflegen. Außerdem hatte Molly etwas aus der Muggelwelt besorgt, dass laut des Geschäfts großen Anklang finden würde, aber so viel wusste sie von Muggeldingen nicht, als dass sie das bestätigen könnte. Das war auch erledigt, dachte sie und machte einen Haken auf ihrer To-do-Liste.

Der nächste Brief war die Auftragsbestätigung von dem Geschäft „Blumenmeer“. Die Dekoration war bestätigt, die Lieferung ebenfalls, der Brautstrauß und der für die Trauzeugin, die kleinen Gestecke für die Tische und die großen Kübel für die dezente Raumtrennung, damit man an den Tischen noch sein eigenes Wort verstehen würde. Alles würde pünktlich einen Tag vor der Hochzeit ins Schloss Schnatzer geliefert werden.

Das Unternehmen, das die Betreuung der Gäste übernehmen sollte, hatte Mappen mit Bildern ihres Personals gesandt, damit Molly diese Personen wenigstens schon einmal im Vorfeld zu Gesicht bekam. Zwei Teams schickte man ihr, insgesamt waren es vierzehn Herren und Damen. Sie hätte für die große Anzahl von Gästen lieber vier Teams gehabt, doch dafür war es zu spät. An ein mögliches Chaos glaubte sie dennoch nicht. Die meisten Gäste waren vom Wesen her geduldig und koordiniert – kurz gesagt: leicht zu handhaben. Die Zusagen der Personen, die eine Rede halten wollten, waren ebenfalls gekommen wie auch die Bestätigung der Personen, die sich bereit erklärt hatten, übliche Hochzeitsspiele zu organisieren. Nevilles Großmutter war eine von ihnen. Einzig auf die traditionelle Entführung der Braut hatte man aus aktuellem Anlass einstimmig verzichtet.

Molly atmete einmal tief durch und streckte die Beine von sich, zog sich unter dem Tisch sogar die Schuhe aus. So eine Planung, die keinerlei körperliche Anstrengung mit sich brachte, zehrte dafür umso mehr an den Nerven. Für Unterhaltung war gesorgt, für Kinderbetreuung ebenfalls und es waren auch sämtliche Zimmer im Schlosshotel frei, die kurzfristig für Gäste gemietet werden konnten, die nicht schon im Vorfeld eine Übernachtung angekündigt hatten. Fehlte noch ...

Mit einer Hand tippte sie sich auf die Lippen. Was fehlte noch? Es war etwas Wichtiges, das wusste sie. Mit einem Male machte sie große Augen und schlug sich eine Hand über den Mund, bevor sie in die leere Küche rief: „Die Portschlüssel!“

Die Portschlüssel sollten die Gäste sicher zum Schloss bringen. Damit sparte man Zeit und Geld. Aufgeregt rannte Molly zum Kamin und flohte ihren Mann an, der ausnahmsweise persönlich den Ruf entgegennahm, weil er einen Augenblick Zeit hatte.

„Molly, Schatz ...“
Sie unterbrach mit hektischer Stimme: „Arthur, sind die Portschlüssel genehmigt worden? Die für die Hochzeitsgäste?“
„Natürlich, Liebes. Nicht jeder bekommt einen, aber es gibt Gruppenportschlüssel. Ich bringe sie heute Abend mit, zusammen mit der Liste.“
Erleichtert atmete sie aus. „Da bin ich aber beruhigt!“ Viele Gäste kannten sich untereinander. Da war es günstig, dass sich einige Freunde trafen, um gemeinsam per Portschlüssel zum Schloss zu reisen.

Nachdem das Gespräch beendet war, machte sich Molly daran, die letzten Vorbereitungen für die Hochzeit zu treffen.

Arthur hielt sich am Kaminsims fest und stand gerade wieder auf, da klopfte es an seine Bürotür. „Herein!“ Der ungewöhnliche Anblick von Kingsley in Muggelkleidung brachte ihn ein wenig ins Wanken.
„Störe ich?“, fragte der dunkelhäutige Auror.
„Keineswegs. Habe nur eben mit Molly gesprochen. Sie organisiert doch die Hochzeit.“ Arthur grinste breit. „Ach, da möchte ich dich auch um etwas bitten, Kingsley. Pass auf der Hochzeit ein bisschen auf Alastor auf, ja? Er fühlt sich nicht wohl, wenn so viele Menschen auf einmal ...“
„Kein Problem, mach ich gern“, sagte Kingsley wie selbstverständlich zu.
„Danke. Ich befürchte nämlich, dass er sonst gleich nach der Trauung wieder verschwinden wird. Vielleicht wird Albus ihn auch etwas unter seine Fittiche nehmen.“ Arthur näherte sich seinem Besuch und fragte, als er an Kingsley herabblickte: „Du besuchst Mr. Geoffreys?“
„Das hatte ich vor, ja.“
„Dich könnte interessieren“, begann Arthur mit freundlichem Lächeln, „dass Dr. Fueller sich bereit erklärt hat, Muggel zu betreuen, die durch Zauberunfälle, ähm, beeinträchtigt wurden. Außerdem wird er in seinem Arbeitsumfeld Augen und Ohren offen halten, falls er andere Ärzte findet, die sich ebenfalls mit beiden Welten auskennen.“
Die Idee fand bei Kingsley Anklang. „Wir könnten in unseren Akten wühlen und nachsehen, welche Squibs in der Muggelwelt im Bereich der Medizin tätig sind. Das sollte nicht schwer sein, sie für so ein Projekt zu begeistern.“
„Ja.“ Arthur schaute betreten zu Boden. „Weil sie dann nicht nur das Gefühl haben, endlich gebraucht zu werden, sondern weil wir sie wirklich brauchen.“ Er rückte seine Brille gerade, bevor er anfügte: „Vielleicht kann man damit auch das Unrecht wiedergutmachen, das einige von ihnen durch ihre reinblütigen Familien erfahren mussten.“
„Eine Verbannung kann man nicht Wiedergutmachen.“
Arthur schüttelte den Kopf. „Nein, das kann man nicht. Aber die Ächtung, die ihnen von bestimmten Gruppierungen der Gesellschaft entgegengebracht wird, die könnte zurückgehen.“
„Hoffen wir das Beste.“ Kingsley reichte Arthur ein Pergament. „Deswegen bin ich eigentlich hier. Pablo Abello hat tatsächlich aus dem Gefängnis heraus das Sorgerecht für sein Kind beantragt.“ Weil Arthur erschrocken die Augen aufriss, winkte Kingsley ab. „Ist nur für die Akten, Arthur. Keine Sorge, der Antrag wurde von den Muggeln längst abgelehnt. In solchen Dingen sind sie manchmal schneller als wir.“
„Am besten erwähne ich diesen Versuch“, Arthur wedelte mit dem Pergament umher, „Unfrieden zu stiften, überhaupt gar nicht erst. Ich möchte Ginny nicht belasten.“
„Das wäre die klügste Lösung. Dann will ich mich wieder verabschieden. Ich werden Geoffreys aufsuchen und mit seinem Sohn und ihm nach einer Möglichkeit suchen, die ganze Angelegenheit wieder ins Reine zu bringen.“

Es würde keine leichte Sache werden, das wusste Kingsley. Absichtlich hatte sich er sich nicht bei den Geoffreys angemeldet, weil er davon ausgehen musste, bei Joel auf Ablehnung zu stoßen. Die Adresse des ehemaligen Geheimdienstlers war in den Unterlagen der Auroren festgehalten – in der Akte „Malfoy Manor“. Die Pentonville Road war Kingsley Ziel. Sie lag eine Straße von Kings Cross entfernt, was ein Vorteil war, denn das hieß, er kannte sich dort einigermaßen aus.

In London war es warm, aber bewölkt. Das Haus von Geoffreys lag in der Nähe einer Schauspielschule, deren Werbung Kingsley nicht übersehen konnte. Noch ein paar Schritte, dann stünde er vor dem Haus des Muggels. Seine Arbeit als Auror hatte ihm schon lange eingebläut, dass man mit allem rechnen musste; dass man sich nie auf einen möglichen Ablauf verlassen durfte, auch wenn man noch so logische Schlussfolgerungen zog. Es kam immer anders als man dachte. So gern sich Kingsley auch ein positiv verlaufenden Gespräch mit Geoffreys wünschte, er befürchtete, dass es eine Katastrophe werden würde. Er hoffte, dass Geoffreys und sein Sohn ihn wenigstens anhören würden, bevor sie ihn dahin wünschten, wo der Pfeffer wächst.

Vor dem gesuchten Haus macht Kingsley Halt. Er zögerte. In den Fenstern brannte Licht. Jemand war Zuhause. Die Schwierigkeit bestand darin, unauffällig die Gesprächsführung zu übernehmen, ohne sich anzubiedern. Kingsley gab sich einen Ruck und ging die paar Stufen hinauf. Auf dem Türschild stand der Name der Familie. Eine Mrs. Geoffreys hatte er noch nicht zu Gesicht bekommen. Innerlich stellte er sich drauf ein, dass jemand öffnen könnte, dem er noch nie begegnet war. Sein Zeigefinger fand die Klingel und betätigte sie. Die ertönende Melodie war ihm bestens bekannt. Man vernahm den Westminsterschlag. Als Erstes hörte er hinter der Tür ein grüßendes Miauen, dann Schritte auf quietschenden Dielen. Die Tür wurde geöffnet. Joel stand vor ihm, der das dunkelhäutige Gesicht vor sich erst zuordnen musste, bevor sich in dessen Mimik abzeichnete, wie wenig willkommen der Zauberer war.

„Ich weiß“, begann Kingsley mit bedächtiger Stimme, „dass Sie mir nicht trauen und mich für eine Menge verantwortlich machen.“
Joel schnaufte herablassend. „Ich mache Sie für das verantwortlich, was meinem Vater widerfahren ist.“
Ohne weitere Worte wollte Joel die Tür wieder schließen, da bot Kingsley an: „Ich kann Ihrem Vater die Erinnerungen an den Auftrag zurückgeben.“ Die Tür stoppte, doch Joels junges Gesicht war längst dahinter verschwunden. „Bitte, lassen Sie mich Ihnen einige Dinge erklären. Ich kann mir vorstellen, dass Sie viele Fragen haben. Ich bin bereit, Ihnen alles zu beantworten.“

Die Tür wackelte unentschlossen hin und her, bis sie letztendlich ins Schloss gedrückt wurde. Man wollte Kingsley kein Ohr leihen. Die Schritte auf den Dielen entfernten sich. Gerade überdachte er, ob er einen weiteren Versuch starten sollte, da kamen die Schritte wieder näher. Abrupt öffnete sich die Tür ein zweites Mal. Eine Sekunde später fand sich Kingsley plötzlich mit einer Handvoll getigertem Fell wieder. Joel hatte ihm aus unerfindlichen Gründen eine Katze in den Arm gedrückt, die erst verunsichert den fremden Mann beäugte, dann aber laut zu schnurren begann und sich kraulen ließ. Joel hatte alles genau beobachtet.

„Okay, Sie können von mir aus reinkommen“, gestattete Joel barsch. „Aber Sie halten sich hier an meine Regeln.“
Mit der Katze im Arm trat Kingsley ein, blickte sich in dem kleinen Flur um. Eine Menge Uhren waren hier angebracht. Ein Wecker stand auf dem Tisch, auf dem ein Telefon seinen Platz hatte. Eine Uhr hing an der Wand, die dritte hing gleich neben der Garderobe. Kingsley streichelte die Katze. „Was hat das für eine Bedeutung?“ Dem kleinen Tiger schaute er einmal in die bernsteinfarbenen Augen, dann blickte zurück zu Joel.
„Sie mag keine Menschen, die irgendetwas im Schilde führen. Versicherungsvertreter überleben die Begegnung mit ihr nur mit Kratzern im Gesicht.“
„Oh“, voller Ehrfurcht betrachtete Kingsley die liebe Katze, „da habe ich wohl Glück gehabt.“
Weitaus weniger angetan von dem überraschendem Besuch war der junge Mann, der ihn schroff anfuhr: „Also, was wollen Sie hier?“
„Mit Ihrem Vater reden.“
„Über was?“
„Über das, was nach unserer Zusammenarbeit passiert ist.“ Behutsam ließ Kingsley die Katze hinunter, die schnurstracks in ein Zimmer lief. Dabei stieß sie an eine Tür, die ein paar Zentimeter aufschwang. Dort im Wohnzimmer saß Geoffreys bewegungslos auf der Couch und starrte auf einen Fernseher, auf dessen Bildschirm gelbe Zeichentrickfiguren agierten.
„Und was ist damals passiert?“, wollte Joel wissen, der keine Anstalten machten, Kingsley aus dem Flur in eines der anderen Zimmer zu bitten. Das Misstrauen des jungen Mannes war so groß, dass Kingsley keine Ahnung hatte, wie er das Vertrauen gewinnen könnte.
„Einer unserer Ministeriumsmitarbeiter hat in einer Art und Weise gehandelt, die nicht notwendig war. Er hat Ihrem Vater und dessen Kollegen die Erinnerungen an den gesamten Einsatz genommen.“
„Alles klar“, spottete Joel. „Hat er sie in eine Papiertüte gesteckt und mitgenommen oder was?“
„Sie wurden gelöscht.“

Nach Kingsleys Geständnis herrschte betretenes Schweigen auf dem Flur. Nur dumpf konnte man die Stimmen aus dem Fernseher hören – die krächzende Stimme eines Clowns. In Joels Gesicht zeichneten sich nacheinander so viele verschiedene Gefühle ab, dass Kingsley kurz davor war, eine Hand auf die Schulter des jungen Mannes zu legen. Er stoppte sich selbst, weil diese Geste sehr wahrscheinlich falsch verstanden werden würde.

„Gelöscht ...“, wiederholte Joel in traurigem Tonfall. „Wenn die Erinnerungen gelöscht sind ...“ Nervös fuhr er sich durch die Haare, schüttelte dabei den Kopf. „Ich glaub einfach nicht, dass ich so ein Gespräch führe.“
„Joel“, seine bedächtige Stimme hatte so manch einen Kriminellen beruhigen können und Kingsley hoffte, bei diesem Muggel würde sie ebenfalls helfen. „Es war Unrecht, was man Ihrem Vater angetan hat.“ Joels Unterlippe bebte, als er Kingsley Erklärung hörte. „Der Mann, der das getan hat, handelte nicht im Sinne des Zaubereiministers.“
„Sie haben einen Minister?“
„Sicher“, bestätigte Kingsley. „Was wir nicht wussten: Der Angestellte gehörte einer Gruppierung an, die in unserer Welt verfolgt wird. Es sind Verbrecher.“
„Und solche Leute stellt man bei Ihnen ein? In einem Ministerium?“ Unverhofft erinnerte sich Joel an die vielen Schlagzeilen, die er in seinem Leben schon gelesen hatte. Sex, Drogen und Korruption gab es überall. „Manche Dinge sind bei Ihnen wohl doch nicht so anders.“
Kingsley lächelte erleichtert, als er ein wenig Verständnis in Joels Stimme ausmachen konnte. „Ich stehe Ihnen gern zur Verfügung“, bot er dem jungen Mann an. „Löchern Sie mich mit Fragen, Joel.“
„Vielleicht sollten wir uns lieber setzen.“

Joel ging voran ins Wohnzimmer und bedeutete Kingsley mit einer Geste, auf dem Sofa Platz zu nehmen. Geoffreys hatte den Gast natürlich bemerkt, doch er schien nicht erfreut, sondern verunsichert.

„Herrje, habe ich den Boxkampf vergessen?“ Aufgelöst suchte Geoffreys nach seinem Portmonee, um Datum und Uhrzeit von seiner Freikarte fürs Boxen abzulesen.
„Dad, setzt dich wieder hin. Es ist alles in Ordnung.“
Geoffreys ignorierte seinen Sohn und zog das Eintrittsticket aus der Geldbörse. „In zwei Tagen“, murmelte er. „Sind die etwa schon um?“ Ein Hilfe suchender Blick in Richtung Sohn. „Wo sind Sie hin? Sie können noch nicht vorüber sein!“
„Dad, schau mal!“ Joel drückte einen Knopf auf der Fernbedienung und im Nu zeigte er Fernseher am oberen Rand Datum und Uhrzeit an, darüber hinaus auch die weniger interessante Information einer Sexhotline. „Siehst du? Heute ist noch heute, also keine Sorge.“
„Gut!“ Geoffreys setzte sich wieder, den Blick dabei starr auf das Datum am Fernseher fixiert. „Gut“, wiederholte er viel leiser. Als er sich vergewissert hatte, dass keine zwei Tage ohne sein Wissen vergangen waren, stellte er wieder da normale Fernsehbild mit den gelben Zeichentrickfiguren ein.

Die Zeit hatte Kingsley genutzt, sich ein wenig im Wohnzimmer umzusehen. Wie schon im Flur waren auch hier an vielen Stellen Uhren angebracht. Manche mit Datum, manche ohne. Einige waren digital, andere zum Aufziehen.

„Sie müssen entschuldigen, dass mein Vater Sie im Moment ignoriert“, sagte Joel, als er sich Kingsley näherte. „Er hat das Fernsehen als verbindliche Zeitangabe entdeckt. Er prüft nach, ob auch die Sendungen laufen, die laut Zeitung laufen müssten. Auf diese Weise geht er sicher, dass die Zeit normal verläuft.“
Kingsley war fassungslos. Niemals im Leben hätte er gedacht, dass ein Vergissmich-Zauber solche Auswirkungen mit sich bringen könnte. „Ich weiß gar nicht, was ich sagen soll ...“, flüsterte er verlegen.
„Sie sagten, Sie beantworten mir alle Fragen.“ Joel betrachtete seinen Vater, der wie üblich die Uhrzeit im Fernsehbild aktiviert hatte. „Er stößt sicher zu unserem Gespräch dazu, wenn die Sendung vorbei ist. Dann weiß er genau, wie spät es ist. Also ...“ Er wandte sich wieder dem Gast zu. „Diese Zaubersache ist echt?“
Kingsley Stirn schlug Falten. „Ich dachte, das wüssten Sie?“
„Nein, ich wusste es nicht. Ich war skeptisch. Als ich Ihre Visitenkarten Stück für Stück auseinander genommen habe, da wurde mir ganz anders. Kein Chip, keine LCD-Anzeige. Ein Freund von mir meinte, das wäre gar nicht möglich, dass sich ein Bild von ganz allein ...“
Kingsleys Alarmglocken schrillten. „Sie haben meine Visitenkarte herumgezeigt?“
„'türlich. Außer meinem besten Freund kann ich ja sonst niemandem trauen.“
„Tun Sie das bitte nicht“, bat Kingsley eindringlich, denn sonst könnten die Vergissmich dem Freund von Joel einen Besuch abstatten.
„Sie ist dabei sowieso kaputt gegangen. Das Bild fror irgendwann ein. Ich habe die Streifen weggeworfen“, winkte Joel ab. „Im Internet habe ich nichts über eine echte Zauberwelt gefunden, nicht mal bei den Verschwörungstheorien. Erzählen Sie mir, was es damit auf sich hat und vor allem, wie Sie meinem Vater helfen wollen.“
„Ich beginne am besten bei dem zweiten Punkt. Erinnerungen können, wie es bei Ihrem Vater getan wurde, in unserer Welt gelöscht werden. Genauso gut kann man sie auch aus dem Gedächtnis herausnehmen und anderen zeigen.“

Diese Information musste der junge Mann zunächst verarbeiten. Auf Kingsley wirkte es so, als würde er in Gedanken einige Fragen formulieren, damit aber Schwierigkeiten haben, weil er nicht genau wusste, wie er sie stellen konnte.

„Joel, fragen Sie einfach drauf los“, forderte Kingsley ihm mit einem Lächeln auf.
„Warum? Damit Sie meinem Vater und mir nach dem Gespräch die Erinnerungen löschen können?“ Jetzt war er wieder in Angriffslaune. „Warum machen Sie so einen Blödsinn in Ihrer Welt überhaupt? Ich meine, wozu ist das gut?“
'Ja, warum eigentlich?', dachte Kingsley. „Es ist gut, um denen, die nicht zaubern können, seltsame Erfahrungen zu ersparen, die unter Umständen traumatisch sein können. Sprechende Mülltonnen, beißende Toiletten ...“
„Jetzt scherzen Sie aber“, unterbrach Joel schnaufend.
„Nein, wirklich nicht. Es gibt leider Zauberer, die sich Späße mit Mugg...“ Kingsley biss sich auf die Zunge, doch das halbe Wort war längst gesagt.
„Mugg? Was ist damit gemeint?“, bohrte der junge Mann nach.
„Als Muggel bezeichnen wir diejenigen, die nicht zaubern können. Es ist einfacher und schneller gesagt als“, er zuckte mit den Schultern, „'diejenigen, die nicht zaubern können'.“
„Aha“, Joel klang nicht sehr überzeugt. „Für mich hört es sich eher wie das Wort 'Nigger' an“, Joel blickte dem dunkelhäutigen Auror demonstrativ in die Augen, „was man auch nicht sagen sollte, weil es ein Schimpfwort ist. Bei dem Wort Muggel habe ich irgendwie das gleiche, ungute Gefühl.“

Dem provokanten Vergleich konnte Kingsley im ersten Moment nichts entgegenbringen. Hatte Joel etwa Recht? War 'Muggel' ein Schimpfwort? Es war nicht zu leugnen, dass einige Zauberer und Hexen mit der Verwendung der eingebürgerten Bezeichnung für nicht-Zauberer eine Diskriminierung beabsichtigten. Bei diesen Leuten konnte aber auch „Halbblut“ ein Schimpfwort sein, je nachdem, wie abwertend man es aussprach.

„Was soll ich darauf antworten?“, fragte Kingsley rhetorisch. „Es kommt drauf an, wer das Wort sagt, nicht wahr? Wenn ich von Muggeln spreche, dann meine ich nur die Bürger, die nicht der magischen Gesellschaft angehören.“
„Diese magische Gesellschaft empfindet sich selbst nicht zufällig als eine Art Herrenvolk, die mit den Muggeln machen können, was sie ...?“
„Jetzt gehen Sie wirklich zu weit, Joel! In unserer Welt gibt es Verbrecher genauso wie in Ihrer Welt. Bei uns herrschen Missstände wie überall auf der Welt. Es gibt anders Denkende, es gibt freundliche und es gibt gefährliche Menschen unter uns. Die meisten mögen Muggel, stammen sogar von ihnen ab oder haben einen geheiratet. Wir müssen unsere Gesellschaft trotzdem geheim halten.“
„Wieso das?“
„Wegen vieler Dinge. Es könnte Panik auf der ganzen Welt ausbrechen, wenn man von der Existenz von Zauberern und Hexen wüsste. Im schlimmsten Fall könnte sich die Geschichte wiederholen.“ Wie Hopkins es angestrebt hatte, fügte Kingsley in Gedanken hinzu.
Joel dachte einen Moment nach. „Da haben Sie vielleicht sogar Recht.“ Immer wieder war in Zeitungen zu lesen, dass man irgendwo in kleinen Dörfern in Afrika Mädchen oder Kinder als Hexen bezeichnete und sich ihrer auf brutale Weise entledigte. Solche Dinge geschahen in der großen, weiten Welt, aber das passierte doch nicht in der Zivilisation. „Großbritannien ist ein fortschrittliches Land. Wir würden niemanden verfolgen und umbringen. Warum also die Angst, erkannt zu werden?“
„Man könnte unsere Kräfte missbrauchen.“
„Ach ja? Für was zum Beispiel?“, hakte Joel nach.
„Bei uns dauert es keine drei Tage, bis wir ein Haus mit Magie erbaut haben.“
Sofort feuerte Joel zurück: „Wir können fertige Häuser kaufen und sie innerhalb eines Tages aufstellen.“ Sein harscher Tonfall tat Joel gleich darauf leid, weshalb er viel ruhiger anfügte: „Aber ich verstehe, was Sie meinen. Es ist vielleicht wirklich besser, dass sich Ihre Welt im Verborgenen hält. Es gibt eine Menge Spinner. Fanatiker, Sekten und so einen Krempel. Mir macht nur ein wenig Angst, dass Sie hier bei mir sitzen. Wenn wir nichts von Ihnen wissen dürfen, warum ...?“
„Ich habe Sie und Ihren Vater offiziell als Freunde eingetragen. Niemand wird Ihnen etwas tun dürfen, nur weil Sie von mir und meiner Welt erfahren.“
Nachdem Joel diese Information begriffen hatte, atmete er einmal tief durch. „Mir fällt ein Stein vom Herzen. Im ersten Moment habe ich nämlich geglaubt, Sie wollten uns die Erinnerung an das Treffen im Wartezimmer nehmen.“ Mitleidsvoll blickte Joel zu seinem Vater hinüber. „Aber wie wollen Sie ihm seine Erinnerungen wiedergeben?“
„Nicht direkt seine Erinnerungen“, verbesserte Kingsley, „sondern meine!“

Mit großen Augen schaute Joel sein Gegenüber an, weil er nicht verstehen konnte, was Kingsley damit meinte.

Einige Straßen von dem Haus der Geoffreys entfernt blickte ein Zauberer mittleren Alters genauso verständnislos drein, bevor er sich wieder fing.

„Was soll das heißen“, schimpfte Fogg, „dass Sie keinen Wolfsbanntrank mehr anbieten?“
Der Apotheker, ein Squib, überflog die anwesende Kundschaft – alles Muggel –, bevor er sich zu Fogg beugte und leise sagte: „Wir führen ihn schon seit zwei Monaten nicht mehr. Uns sind die Kunden weggeblieben, Sir. Ich muss Sie also bitte, eine andere Apotheke aufzusu...“
„Ich glaub es nicht!“ Wütend schlug Fogg mit der flachen Hand auf die Theke. „Sie stellen den Trank gar nicht mehr her?“
„Sir, bitte etwas leiser“, mahnte der Squib, dem aufgefallen war, dass ein Muggel-Ehepaar auf den Zauberer aufmerksam geworden war. Fogg war der Einzige, der bei der Wärme einen Umhang trug. „Ich habe gehört, dass die neue Apotheke in der Winkelgasse einen ganz vorzüglichen“, der Verkäufer dämpfte seine Stimme, „Wolfsbanntrank herstellen soll.“
„Verflixt und zugenäht!“
„Wenn Sie Ihre Lautstärke nicht drosseln, dann möchte ich Sie bitten, das Geschäft zu verlassen.“
„Können Sie mir das schriftlich geben?“, fragte Fogg völlig unerwartet.
„Was soll ich Ihnen schriftlich geben?“
„Dass Sie den Trank nicht mehr herstellen. Ich will das schriftlich haben!“
Der Verkäufer war es leid, mit so einem unangenehmen Kunden zu verhandeln. „Ich bin nicht dazu verpflichtet, Ihnen in irgendeiner Form ...“
„Sie“, zischte Fogg bedrohlich leise, „geben mir eine schriftliche Bescheinigung mit dem Stempel Ihrer Apotheke“, eine kurze Pause, in der sich Fogg über den Tresen lehnte, „oder ...“
„Oder was?“, blaffte der Apotheker zurück. „Hören Sie, es tut mir ja furchtbar leid, aber ...“
„Tun Sie es doch einfach. Geben Sie mir die schriftliche Mitteilung, dass Sie aufgrund mangelnder Kundschaft den Trank nicht mehr brauen. Was ist denn schon dabei?“
Der Apotheker bebte vor Wut. „ Wenn ich es mache, verlassen Sie dann die Apotheke?“
Grinsend nickte Fogg. „Sogar auf der Stelle!“

Der Squib ging an seinen PC und öffnete eine schriftliche Vorlage mit Logo und Adresse der Apotheke. Nach ein paar geschriebenen Sätzen druckte er das Geschriebene aus. Fogg betrachtete alles sehr genau, weil ihm Technik vollkommen unbekannt war und nahm am Ende das Stück Papier, das ihm der Apotheker überreichte. Fogg las unter dem Briefkopf folgenden Text:

„Bezüglich Ihrer Nachfrage müssen wir Ihnen leider mitteilen, dass wir aufgrund mangelnder Nachfrage von der Herstellung und Vergabe des Wolfsbanntranks absehen. Wir empfehlen Ihnen, für diesen speziellen Trank einen anderen Tränkemeister aufsuchen. Beim Ministerium können Sie kostenlos die Liste mit verfügbaren Abholstellen für den Wolfsbanntrank anfordern.

Mit freundlichem Gruß,
Ihre Merlin-Apotheke“

Der Text wurde wortlos von Fogg abgenickt, bevor er sich auf zur nächsten Apotheke machte. Die Merlin-Apotheke war die dritte gewesen, die ihm eine Abfuhr erteilte. Den Wolfsbanntrank bekam man nicht mehr überall. Es lohnte für die Apotheken nicht, ohne vorherige Bestellung von Kunden nur auf gut Glück einen ganzen Kessel von diesem hoch komplizierten Gebräu herzustellen, nur um festzustellen, dass es keine Käufer gab. Am Ende wurden die teuren Zutaten mit einem Evanesco vernichtet. Ein Verlust. Einige Apotheken hatten sich daher von den Ministeriumslisten streichen lassen, auf denen alle Tränkemeister verzeichnet waren, die diesen Trank anboten. Geld bekam man für jede Unterschrift auf den Tränkepässen – es fehlten jedoch die Tränkepässe. Nur vereinzelt besuchten diese speziellen Kunden die Apotheken. Bei der Merlin-Apotheke hatten den ganzen Monat über nur drei Personen nachgefragt, ob der Wolfsbanntrank erhältlich sei. Das war nichts im Vergleich zu Zeiten, in denen man den normalen Ablauf der Apotheke für drei Tage aussetzen musste, um sich komplett dem Wolfsbanntrank zu widmen. Da hatte es noch Gedränge gegeben, wenn die Werwölfe sich anmeldeten. Für einige Apotheken lohnte es sich mittlerweile viel mehr, die drei Tage dem normalen Geschäftsablauf zu widmen. Der Wolfsbanntrank wurde wegen des hohen Produktionsaufwands und des finanziellen Verlusts aus dem Angebot entfernt.

Die Inhaber der Granger-Apotheke wussten nicht, ob es nur bei ihnen so einen Ansturm auf den Wolfsbanntrank gab. Besonders Hermine wäre nie in den Sinn gekommen, dass ihre Vanille-Variante der Grund für viele Werwölfe sein könnte, den Pflichttrank trotz langer Wartezeit bei ihr einzunehmen. Weil ihr Trank angenehm roch und schmeckte, löste er nicht wie üblich starke Übelkeit aus oder – schlimmer noch – tagelange Magenkrämpfe. Der Aromastoff hatte ihn verdaulicher gemacht, wobei sich sicherlich eine gute Handvoll Kunden ausschließlich von der psychologischen Perspektive her von allen Nebenwirkungen geheilt sah. Was so gut duftete, konnte nicht krank machen.

Nur einmal war Hermine der Gedanke gekommen, dass der plötzliche Anstieg der Kunden möglicherweise mit einer größeren Ansteckung mit dem Werwolffluch zusammenhängen könnte. Der Gedanke war grauenvoll, wenn man davon ausging, ihre Kunden würden als Durchschnitt für alle Apotheken des Landes stehen. Multipliziert würde die Population der Werwölfe auf ein überwältigendes Gesamtergebnis von ... Den Gedanken schüttelte Hermine so schnell von sich ab wie er gekommen war. So viele Werwölfe könnte es nicht geben. Man konnte nur die Möglichkeit in Betracht ziehen, dass sie mehr Kunden in ihre Apotheke lockte. Die Vorstellung, ihr verbesserter Wolfsbanntrank könnte so viel Anklang bei den Werwölfen finden, machte sie sprachlos. Konnte sie sich deshalb nicht mehr vor Bestellungen retten? Kamen wirklich so viele zu ihr, nur weil der Trank Geschmack hatte? Sie nahm sich vor, ihre Kunden das nächste Mal zu fragen. Der kommende Vollmond war für den zweiten Juli angekündigt – sechs Tage nach der Hochzeit. Schon am Montag nach der Trauung ihrer Freunde würde es einen Ansturm auf die Listen mit den Vorbestellungen des Wolfsbanntranks geben. Zum Glück, dachte Hermine, hatte sie in diesem Monat eine junge Frau, die dabei helfen würde, den normalen Geschäftsbetrieb aufrechtzuerhalten. Daphne würde sich um die Bestellungen und die normale Laufkundschaft kümmern, während Hermine und Severus rund um die Uhr den Wolfsbanntrank brauen würden. Aber bis dahin war es noch etwas Zeit.

Während sie in Gedanken versunken war und eine Affodillwurzel zwischen den Fingern drehte, kam Severus ins Labor. Der Anblick überraschte ihn, so dass er wie angewurzelt an der Tür stehenblieb und dabei zusah, wie sich Hermine mit dem Oberkörper auf den Tisch gelegt hatte, lunaesk in die Gegend blickte und mit einer Zutat spielte, die eigentlich vor einer halben Stunde hätte verarbeitet werden sollen. Hermine träumte. Sie bemerkte ihn nicht einmal, was er ausnutzte. Er stellte sich selbst die Aufgabe, aus ihren Gesichtszügen den Grund für ihre Träumereien auszumachen, doch er scheiterte. Sie war glücklich, das konnte er durchaus sehen. Auslöser könnte alles sein. Die bevorstehende Hochzeit ihrer besten Freunde könnte sie in so eine Hochstimmung versetzen, vielleicht aber auch die Gewissheit, in wenigen Tagen mit dem Brauen des Heiltranks beginnen zu können. Sie könnte sich auch nur darüber freuen, eine so frische Zutat in der Hand zu halten. Wenn Hermine sich an irgendetwas erfreute, auch wenn es nur eine Kleinigkeit war, dann zeigte sie auch, wie froh sie war. Ihre Gefühle zum Ausdruck zu bringen war ihr nie schwergefallen. Ihre negative Gefühle stellte sie genauso leidenschaftlich dar wie ihre glücklichen. Bei Hermine wusste Severus immer, woran er war. Sie verstellte sich nie und teilte ihm auch schon mal mit erhobener Stimme mit, über was sie sich aufregte. Diese Momente waren häufig am Anfang ihrer Zusammenarbeit aufgetreten. Anstatt sich wutentbrannt von ihm abzuwenden, hatte sich Hermine alles von der Seele gesprochen und sich ihm und seinen Launen gestellt, was nicht immer einfach war. Mittlerweile achtete jeder darauf, den anderen nicht zu verletzen, weder mit Herumschnüffelei noch mit spitzen Bemerkungen. Wenn Hermine persönliche Fragen hatte, dann stellte sie diese freiheraus. Es lag jedes Mal ausnahmslos an ihm, ob er darauf antworten wollte oder nicht. Sie drängte nicht. Vielleicht war gerade dieser gelassene Umgang mit ihm der Grund, warum er häufig über Dinge aus seiner Vergangenheit sprach, die er normalerweise wie die Pest mied. Niemanden ging es etwas an, wie er aufgewachsen war. Seine Eltern waren kein Thema, das er mit anderen teilen wollte.

Trotzdem hatte er auf Hermines Frage geantwortet, die da lautete: „Hattest du jemals wieder Kontakt mit deinem Vater, nachdem er in das Pflegeheim überwiesen wurde?“
„Nein!“, antwortete er ehrlich.

Es war ihm ein Rätsel, warum sie gerade diese Frage stellte. Als sie seine zusammengefügten Erinnerungen – sein Vermächtnis – gesehen hatte, war ihr sicherlich der Brief von der Sozialversicherung aufgefallen, die die Übernahme aller Pflegekosten für Tobias Snape bestätigte. Für Hermine bedeutete Familie sehr viel. Sie hatte freundliche Eltern, kam mit beiden wunderbar aus. Severus hingegen stammte aus zerrütteten Verhältnissen. Er brachte dem eigenen Vater zwar keinen Hass entgegen, dafür aber Verachtung wegen der Trunksucht und der daraus resultierenden, ärmlichen Verhältnisse, in denen er aufwachsen musste.

„Warum fragst du?“ In der Regel wäre er froh gewesen, wenn das Thema unter den Teppich gekehrt wurde, doch diesmal war er neugierig.
„Nur so“, erwiderte sie, als hätte sie keine Motivation, weiter herumzustochern. „Ich kann mir nur nicht vorstellen, wie das ist. Wie man wissen kann, dass der eigene Vater irgendwo lebt.“
„Deine Familie ist intakt. Ihr sorgt euch um den anderen, pflegt regelmäßigen Kontakt und dergleichen. Das war bei mir etwas anders.“

Eine Stille trat ein, die ihm mittlerweile vertraut war. Jetzt war er dran. Vorher würde sie das Thema nicht wieder ansprechen. Ihr war wichtig, dass er bereit war, darüber zu reden.

„Ich glaube nicht, dass er mich sehen möchte.“ Damit ließ er ihr eine Menge Möglichkeiten für Erwiderungen.
„Du könntest ihm doch mal schreiben. Vielleicht zu Weihnachten.“
„Und wie sollte so ein Brief deiner Meinung nach aussehen? Ein Einzeiler mit den Worten 'Ich wollte mich nur erkundigen, wie es dir geht.' oder soll ich vielleicht eine chronologische Abhandlung über mein Leben vorausschicken? Ich müsste erklären, was mich dazu bewegt hat, so plötzlich ein Lebenszeichen von mir zu geben.“ Missgelaunt murmelte er im Anschluss. „Ich mag es nicht, mich vor jemandem rechtfertigen zu müssen.“
„Das war auch gar nicht so gemeint.“ Hermine kam mit ein paar eingelegten Wasserhyazinthen zurück zum Arbeitstisch und öffnete das Glas. „Du musst dich vor niemandem rechtfertigen. Besonders nicht vor mir.“
„Aber du erwartest doch von mir, dass ich Kontakt mit ihm aufnehme!“
Erstaunte blickte sie ihm in die Augen. „Das erwartete ich überhaupt nicht. Aber“, sie legte den Kopf schräg, „wenn dir dieser Gedanke gekommen, dann musst du dich bereits eine ganze Weile damit beschäftigt haben.“

Über diese Worte ließ sie ihn nachdenken, während sie sich um die Zubereitung der Wasserpflanzen kümmerte. Es waren nicht immer die anderen, gestand sich Severus ein, die ihm irgendeinen Floh ins Ohr setzten. Es war sein eigenes Gewissen. Tatsächlich hatte er sich oft Gedanken über seinen Vater gemacht und sich vorgestellt, wie ein Treffen nach all den Jahren verlaufen könnte. Er kam jedes Mal zu der Ansicht, dass er auf diese vermutlich demütigende Erfahrung getrost verzichten konnte.

„Ich habe heute übrigens die Pflanzen im Gewächshaus geerntet.“ Ihre Stimme flatterte so zaghaft durch den Raum wie ein Spatz. „Wenn es dir passt, würde ich gern heute mit dem ersten Trank beginnen, Severus. Dreieinhalb Stunden benötigte ich zum Brauen.“
Das große Projekt – seine Heilung. Erst die jahrelange Suche seinerseits, gefolgt von hoffnungsloser Resignation. Zwanzig Jahre später Harrys freundliches Wesen, das ihm sein Geheimnis entlockte, Hermines Vermutungen, ihre Recherche und nun viel zu plötzlich ... „Heute schon?“ Ein paar Bedenken wegen der voraussichtlich unangenehmen Momente der Heilung schob er schnell wieder beiseite.
Ein flehendes Lächeln ihrerseits sollte ihm die Entscheidung erleichtern. „Nur, wenn du bereit bist.“

Sie meinte es so wie sie es sagte. Es lag an ihm. Sollte er unerwartet einen Rückzieher machen, würde sie traurig nicken und ihm auf nette Weise nahe legen, es nicht ganz aufzugeben, sondern nur zu verschieben. Sollte er tatsächlich zusagen, würde er noch heute vor dem Zu-Bett-Gehen den ersten Trank einnehmen, der in der Nacht hoffentlich Wunder wirkte und ihn am nächsten Morgen mit viel mehr Zuversicht und emotioneller Wärme aufwachen ließ. Es war eine Wunschvorstellung, dass alles so reibungslos verlaufen würde. Severus wusste, dass er genauso gut an dem Trank und der zu erwartenden Flut an Gefühlen zerbrechen könnte, wenn er keinen Halt fand.

Er räusperte sich. „Kann ich dir dabei helfen?“
Über seine indirekte Zusage gleichzeitig erstaunt und erfreut hörte Hermine auf, die Wasserhyazinthen zu schneiden. Stattdessen blickte sie ihm in die Augen. Mit einem warmen Lächeln brachte sie – das war wieder einer dieser Momente – ihre Freude zum Ausdruck. Sie räumte bereits ihren Tisch frei und sagte derweil: „Bei den Vorbereitungen kannst du mir helfen. Nur brauen muss ich laut Berechnung ganz allein.“
„Womit soll ich anfangen?“

Seine Hilfsbereitschaft war so sehr willkommen, dass Hermine ihre Arbeit mit den Wasserhyazinthen auf nächste Woche verlegte, um die frischen Zutaten für Severus' Heiltrank zu holen. Sie reichte ihm ein hölzernes Schneidebrett und legte das Tränende Herz darauf ab, mit dem er den Anfang machen sollte.

Gemeinsam begannen sie mit der Arbeit. Sie schnitten, zerrieben und zerdrückten die neun Zutaten nach der errechneten Anleitung. Der erwartete Smalltalk blieb aus, so dass er selbst die Initiative ergriff und ein Gespräch begann.

„Mr. Worple und Mr. Sanguini werden am 25. vorbeikommen. Mr. Worple sprach von großartigen Neuigkeiten.“
Hermines riss vor lauter Freude ihre Augen weit auf und strahlte dabei übers ganze Gesicht. „Dann war dein Trank bei Sanguini erfolgreich!“
„Das hat er nicht gesagt. Ich denke aber, dass ich nur noch wenige Modifizierungen vornehmen muss, bevor ich mir überlegen kann, wie ich diesen Trank auf den Markt bringe, ohne mich der verbotenen Forschung mit Blut schuldig zu machen.“
„Ach“, winkte sie lachend ab, „das bekommen wir schon irgendwie hin. Ich werde mal mit Percy sprechen.“ Sie seufzte erleichtert. „Ich glaube, du hast es geschafft!“ Weil er sie irritiert anschaute, erklärte sie: „Der Trank war ein Erfolg, da bin ich mir ganz sicher. Du hast es geschafft! Dank dir wird kein Vampir mehr dem Zwang unterliegen, Blut trinken zu müssen.“
„Warten wir es ab.“
„Sei doch nicht immer so pessimistisch. Was sollte Mr. Worple denn sonst für gute Neuigkeiten haben, außer dass der Trank wirkt? Du siehst immer alles so schwarz. Ein einziges Mal in deinem Leben solltest du einfach daran glauben, dass du Erfolg haben wirst.“
„Im Moment“, sagte er mit Bedacht, als er das Pfeilkraut vorsichtig auf dem Schneidebrett ausbreitete, „bin ich optimistischer als es mir gut tut, Hermine.“

Nicht der Erfolg mit dem Bluttrank war ihm wichtig, sondern der Trank, den seine Freunde nach langer Recherche und vielen Strapazen endlich erschaffen hatten. Severus musste unweigerlich an Remus denken, der völlig blauäugig die äußerst gefährlichen Samenkapseln des Gespenstischen Steinregens in einem Glas mit sich herumtrug, als wären sie liebliche Schmetterlinge. So lange schon war Remus ein stiller Helfer gewesen. Als Severus die Farbenpracht im Gewächshaus gesehen hatte, da war ihm klar geworden, das auch Neville und selbst Luna mit ihrem uneigennützigen Wesen einen Teil zu seiner Genesung beisteuerten.

Für Hermine war sehr deutlich geworden, wie viel ihm das Gelingen des Trankes bedeutete. Laut der Arithmantikaufgabe konnte man fest damit rechnen, dass die hinterm Brustbein gelegene Wachstumsdrüse – der Thymus –, die den Rest der Seele hielt, durch den Tank wieder aktiv werden würde; dass sie neue Teile zum alten Kern produzieren würde. Es wäre allein Hermines Versagen, sollte sich keine Besserung bei Severus zeigen. Ihre größte Angst war, ihn in dieser Hinsicht zu enttäuschen. Es durfte nichts schiefgehen.

Severus bemerkte nach einiger Zeit, dass Hermines Hände zitterten.

„Hermine, vielleicht solltest du einen Augenblick ausruhen?“
„Was?“ Aufgescheucht warf sie ihm einen Blick zu. Die Spannung war ihr anzusehen. Sie hatte hässliche Falten auf der Stirn. „Mit mir ist alles okay“, wollte sie ihm weismachen.
Während Severus den Mohn verarbeitete, riet er ihr: „Ein paar Minuten. Mach eine Pause und ...“
„Severus, pass auf!“

Hermine wedelte wild mit ihren Händen und deutete auf das Schneidebrett. An sich herabblickend bemerkte er die Klinge des Messers, das im zweiten Fingerglied seines linken Zeigefingers steckte. Noch blutete es nicht. Um die Zutaten nicht zu beschmutzen, ging er einen Schritt zur Seite, zog dann das Messer heraus. Er hatte die Schnittwunde nicht bemerkt, auch jetzt tat sie nicht weh. Auf der Stelle war Hermine bei ihm, nahm ihn am Oberarm und führte ihn zum Waschbecken.

„Komm, halt ihn unter kaltes Wasser.“ Das Blut landete in dem Becken aus Emaille und hinterließ rosafarbene Schlieren, als es hinuntergespült wurde. Es sah beinahe so aus wie die Magiefarben, wenn sie verblassten. Eine Hand griff nach seiner. Mit einem kitzelnden Zauberspruch hatte Hermine die Schnittwunde im Nu behandelt. Die geheilte Stelle betrachtend fragte sie: „Wie konnte das passieren?“
„Ich ...“ Es war sicherlich nur vorübergehend. „Die Finger sind taub“, gestand Severus flüsternd.
„Du fühlst nichts?“ Unbewusst drückte sie seine Hand viel fester. „Seitdem das dunkle Mal brannte?“
„Ja, nach der Behandlung der Wunde fühle ich nur wenig. Greifen kann ich, aber das ist nur mechanisch.“
Hermine strich über seine Hand. Er verfluchte diesen Moment, weil er nichts spüren konnte. Als sie ihm in die Augen blickte, versprach sie: „Darum kümmere ich mich später. Lass mich erst den Trank brauen.“

Alle Zutaten waren vorbereitet, das Feuer unter dem Kessel entfacht. Severus' Hilfe wurde nicht mehr benötigt. Er fragte nicht einmal, ob er dabei bleiben sollte. Hermine war schon, auch ohne dass er ihr auf die Finger schaute, nervös genug. Severus verabschiedete sich mit den Worten, noch im Verkaufsraum einige Artikel in die Regale einzusortieren, bevor er sich in sein Zimmer zurückziehen würde. Dreieinhalb Stunden lang würde er unter Herzrasen leiden, bis sie mit dem Becher zu ihm kommen und der Trank das erste Mal seine Lippen benetzen würde.

In diesen dreieinhalb Stunden passierte auch an anderen Orten eine Menge.

Zusammen mit Eleanor Monaghan wartete Harry in „Dirk Willems' Stube“, einem auserwählten Restaurant in der Zaubererwelt, auf ihren Sohn. Schon während des Gesprächs mit Dr. Fueller und Kingsley hatte sich Harry bereiterklärt, Eleanor zu begleiten, wenn sie ihren als Kleinkind geraubten Sohn nach fast vierzig Jahren wiedersehen würde. Eleanor war verständlicherweise das reinste Nervenbündel. Ständig blickte sie in den Spiegel ihrer Puderdose und überprüfte ihr Äußeres.

„Du siehst gut aus“, kam Harry ihr mit seiner Bestätigung zuvor, als sie ihre Puderdose erneut öffnen wollte. Diesen Hinweis hatte sie verstanden. Das goldene Accessoire landete in der Handtasche. Wieder und wieder blickte sie zur Tür, dann auf ihre Armbanduhr.
„Es ist schon zehn vor halb“, stellte sie mit bebender Stimme fest.
„Der Termin ist doch erst um halb, Eleanor. Keine Sorge, er kommt schon pünktlich.“
Die Tür öffnete sich. Eleanors Herz blieb beinahe stehen, doch es trat nur ein alter Mann ein, der von seiner Frau begrüßt wurde. „Ich weiß nicht“, verlegen nahm sie ein Schluck Wasser, „ob ich das überstehe.“
„Warum nicht? Du hast mir doch erzählt, dass er dir sehr schnell geantwortet hat und sofort dieses Treffen arrangierte. Er will dich sehen und er ist mit Sicherheit genauso nervös wie du.“
„Deine Worte in Gottes Ohr.“ Sie holte tief Luft und versuchte, sich zu beruhigen. „Und wenn ich ihn enttäusche?“, fragte sie kleinlaut.
Harry schenkte ihr ein warmes Lächeln. „Das kannst du gar nicht. Und wenn doch, dann liegt es an ihm und nicht an dir. Ich glaube aber, dass er dich sehr willkommen heißen wird. Zumindest war er nicht von der Tatsache abgeschreckt, dass du keine Hexe bist. Das ist schon ein großer Pluspunkt, wenn du mich fragst.“
„Dass das Ministerium ihn überhaupt so schnell ausfindig machen konnte ...“
„Wenn mein Freund“, er dachte an Kingsley, „etwas anpackt, dann muss man nicht lange warten. Es gab nur zwei Kinder mit dem Geburtsdatum deines Sohnes, bei denen keine Mutter angegeben war – das andere war ein Mädchen. Außerdem stimmte der Name des Vaters, den du angegeben hast.“
„Ich sterbe gleich vor Aufregung.“
Harry tätschelte ihren Unterarm. „Bitte nicht, ich bin in Erster Hilfe nicht sonderlich gut.“

Die Tür des piekfeinen Restaurants öffnete sich erneut. Harrys Blick fiel auf einen gutaussenden Mann in Sirius' Alter, den er seit langer Zeit nicht mehr gesehen hatte. Dieser Mann, den Harry nicht sonderlich leiden konnte, hielt in einer Hand einen üppigen Blumenstrauß, in der anderen zwei verpackte Geschenke, deren Form auf Bücher hinwiesen. Innig hoffte Harry, dass es nicht dieser Mann war, der den verlorenen Sohn von Eleanor darstellte, denn das würde bedeuten, er müsste einen ganzen Abend mit ihm verbringen. Der Mann blickte sich neugierig um. Sein Blick traf den von Harry. Erstaunlicherweise kam er nicht sofort auf ihn zugestürmt, sondern nickte ihm nur grüßend zu, bevor er sich erneut umschaute. Er suchte jemanden und kam nicht auf die Idee, dass die Frau an Harrys Seite die Person sein könnte, die er suchte.

„Ist er das?“, fragte Eleanor. „Er sieht aus wie mein Ex!“
„Tatsächlich? Dann mache ich mal auf uns aufmerksam“, bot Harry freundlich an, obwohl er unter normalen Umständen lieber heimlich das Restaurant verlassen hatte.

Harry suchte erneut den Blickkontakt. Es dauerte einen Moment, bis der Mann ihn anschaute und auch die Handbewegung korrekt deutete, denn Harry winkte ihn heran. Unsicher bahnte sich der ehemalige Kollege einen Weg durch die vielen Tische, bis er bei Harry stand.

„Guten Abend, Mr. Potter“, grüßte der Herr galant, doch das falsche Lächeln fehlte, das sonst immer sein Gesicht zierte.
„Mr. Svelte“, Harry nickte ihm zu, „gehe ich recht in der Annahme, dass Sie hier Ihre Mutter erwarten?“
„Woher …?“ Valentinus' Blick wanderte von Harry hinüber zu der älteren Dame, deren Augen bereits mit Tränen gefüllt waren. „Sie sind …?“, hauchte er überwältigt. Er selbst musste kräftig schlucken. Die Geschenke und die Blumen legte er auf dem Tisch ab, bevor er seiner Mutter aufhalf. „Miss Monaghan? Eleanor Monaghan?“ In ihrem Gesicht wechselten sich Trauer und Freude ab. Trauer darüber, dieses Kind erst als erwachsenen Mann an die Brust drücken zu können und Freude darüber, dass es am Ende endlich passierte. Ohne dass er sich wehrte, fiel ihm seine Mutter um den Hals und drückte einmal fest zu, bevor sie sofort wieder losließ.
„Es tut mir leid“, schluchzte sie. Für ihn war sie eine Fremde. Dieser Gedanke löste eine Träne aus dem Kanal, die über ihre Wange rollte. Eine Entschuldigung nahm Valentinus nicht an. Stattdessen wiederholte er ihre Geste.
„Setzen wir uns doch“, schlug er vor, damit sie nicht die Aufmerksamkeit der anderen Gäste erregten. „Ich ...“ Jetzt war es wieder da, das Lächeln von Valentinus, doch diesmal, das gestand sich Harry, war es echt. Valentinus schluckte erneut, kämpfe mit den aufgewühlten Gefühlen. „Ich bin völlig überwältigt.“
Seine Mutter schien ihn trotz der langen Zeit der Trennung zu verstehen. „Es geht mir genauso. Wir haben uns eine Menge zu erzählen.“
Vor sich hin lächelnd betrachtete Valentinus seine Mutter, bemerkte dabei, dass er von Harry beobachtet wurde. „Mr. Potter, warum …?“
„Ich habe Ihre Mutter begleitet. Sie kennt sich in der Zaubererwelt doch nicht aus.“
„Ah!“ Strahlend weiße Zähne machten Lockhart den Titel für das charmanteste Lächeln streitig. „Dafür danke ich Ihnen ganz herzlich.“

Ab jetzt war Harry nur noch ein stiller Beobachter. Er sah dabei zu, wie Valentinus seiner Mutter die Blumen überreichte, auch die beiden Geschenke. Eines davon war ein Bilderrahmen mit einem uralten Muggel-Foto, an dem der Zahn der Zeit genagt hatte. Man konnte sich bildlich vorstellen, wie Valentinus dieses Foto in den Unterlagen seinen Vaters gefunden hatte und es wie einen Schatz hegte, weil es das einzige Bild seiner Mutter war. Es stellte sich heraus, dass Valentinus die ganze Zeit über nicht einmal mit Genauigkeit sagen konnte, ob die Frau auf dem Bild tatsächlich seine Mutter war, aber das Gefühl, schilderte Valentinus, war so stark, dass er davon ausgegangen war.

Harry beobachtete, wie Eleanor das zweite Päckchen auspackte. Hier lag Harry mit seiner Vermutung richtig. Es war ein Buch. Valentinus hatte es selbst verfasst. Ein Buch über ...

„Kniesel?“, fragte Eleanor verdutzt. „Was sind Kniesel?“
„Du hast nie einen gesehen?“ Natürlich nicht, schalt er sich in Gedanken selbst und fragte auf der Stelle: „Magst du Katzen?“
„Aber ja, ich habe fünf!“, bestätigte Eleanor.
Valentinus lächelte selig. „Dann wirst du meine Rabauken lieben.“

Ja, dachte Harry mit einem Schmunzeln, Mutter und Sohn hatten sich wahrlich gefunden. Die beiden nahmen nur am Rande wahr, dass er sich von ihnen verabschiedete. Er verließ die zwei nach einer Stunde, als man gerade den Vater von Valentinus als Gesprächsthema entdeckt hatte. Der war während des Krieges vor vier Jahren gefallen, hatte nie über die Muggel-Mutter gesprochen. Das war das Letzte, was Harry noch hören konnte, bevor er den Kellner aufsuchte und im Voraus die Rechnung für den Tisch beglich, an dem man eine kleine Wiedervereinigung feierte.

Über den Kamin flohte Harry nachhause. Wie üblich landete er sehr unsanft auf dem Boden. Er hatte sich schneller wieder aufgerichtet als Ginny gucken konnte. Sie blickte von der Couch über ihre Schulter.

„Bist du gestolpert?“
„Ich doch nicht“, winkte er beschämt ab und klopfte sich die Asche vom Umhang. Er hörte ein Schluchzen. „Weinst du?“
„Ich doch nicht“, wiederholte sie seine Worte, während Harry um das Sofa herumging und Nicholas angekuschelt in ihren Armen sah. Die roten Wangen, die verstopfte Nase und die Atmung des Jungen verrieten Harry, dass er gerade lauthals geweint haben musste. „Was ist denn passiert?“
„Ach, er ist beim Spielen an die Kante gerannt“, sie deutete auf einen Schrank, „und hat sich den Kopf gestoßen.“
„Beim Spielen? Da muss es ja wild zugegangen sein. Was habt ihr denn gespielt?“ Seinen Umhang hängte er an die Garderobe, bevor er sich neben Ginny setzte.
„Wir haben Löwendompteur gespielt. Ich war der Löwe“, verkündete sie stolz. Weil er verblüfft dreinschaute, erklärte sie: „Ich habe einen Löwen nachgemacht – habe dabei gebrüllt und mit den Tatzen gedroht – da ist weggelaufen und vor lauter Lachen hat er nicht drauf geachtet, wohin er läuft. Der Schrank war im Weg.“
„Hört sich trotz des kleinen Unfalls nach Spaß an.“ Er kitzelte Nicholas, der seinen Tränen beinahe dadurch vergaß. „Zeigst du mir, wie du den Löwen machst, Ginny?“
„Wie bitte? Kommt gar nicht in Frage!“
„Ach, bitte“, nörgelte er lang gezogen.
„Nein!“
„Wie hast du das gemacht? Bist du auf allen vieren am Boden gekrochen?“ Harry stand auf, nur um in die Knie zu gehen. „Und hast du dabei wild geknurrt?“

Harry schüttelte den Kopf wie ein Löwe, der mit seiner prächtigen Mähne für Respekt sorgen wollte. „Grrr“, machte er, womit er sofort Nicholas' Aufmerksamkeit erregte. Der Junge drehte sich in Ginnys Armen, um dem verspielten Vater zuzusehen, wie der langsam auf allen vieren um den Tisch schlich. Harry knurrte dabei, musste aber auflachen, als Nicholas fröhlich quiekte und mit einem Finger auf ihn zeigte. Am Sessel angekommen versteckte sich Harry einen Moment dahinter, bevor er – sofern es in dieser Position möglich war – einen Hechtsprung machte. Der Junge schrie so laut, dass Ginny um ihr Trommelfell bangen musste. Nicholas rutschte von Ginnys Schoß hinunter und suchte hinter einem Beistelltisch Schutz.

„Du“, er näherte sich Ginny, „hättest dich auch besser in Sicherheit bringen sollen.“ So schnell konnte Ginny gar nicht von der Couch springen. Sie fand sich plötzlich unter Harry begraben, der sie kitzeln wollte. Seine Hände strichen an ihren Seiten entlang, um eine geeignete Stelle zu finden, die auch sie zum Quieken bringen würde. Für wenige Sekunden war es spaßig, bevor ein beklemmendes Gefühl sie übermannte. Grob packte sie ihn an den Oberarmen und drückte ihn von sich, verlor aber gegen sein Körpergewicht, auch wenn er nicht gerade schwer war. Im Hintergrund hörte man Nicholas' lachen. Als Ginny sich heftig zu wehren begann, hielt er inne und blickte auf sie herab. „Ginny?“ Ihre Augen waren weit aufgerissen, sie atmete flach. Flüsternd versprach er: „Ich tu dir doch nicht weh.“ Wie in Zeitlupe schloss sie ihre Augen, nur um sie kurze Zeit wieder zu öffnen, weil sie noch mehr Gewicht auf sich verspürte. Nicholas hatte erst die Couch erklommen, dann seinen Vater, um es sich auf dessen Rücken gemütlich zu machen. Ginny hatte sich wieder unter Kontrolle und begann zu lachen. Als es klopfte, bat Harry den Gast herein.
Minerva, die wegen einer schulischen Angelegenheit mit Harry sprechen wollte, trat ein und blieb einen Moment wie angewurzelt stehen, um das skurrile Bild in sich aufzunehmen. Einen Augenblick später empfahl sie trocken: „Bei einer menschlichen Pyramide machen in der Regel die Herren den Anfang, dann kommen die Damen und erst zum Schluss ganz oben die Kinder.“

Über menschliche Pyramiden dachte Hermine im Moment gar nicht nach, durchaus aber über eine bestimmte Reihenfolge – und zwar die, in der sie die Zutaten in den Kessel werfen musste. Die zerstoßenen Sonnenblumenkerne kamen hinzu, gleich darauf zog sie eine acht mit dem Löffel, rührte einmal im Uhrzeigersinn, bevor die zerhackten Mohnblüten in den Kessel wanderten. Eines ihrer Augen war immer auf ihre Berechnung gerichtet. Jeden Handgriff hatte sie aus der Arithmantik in die Tränkebrauerei übersetzt.

Der Schweiß ließ ihr an den Schläfen herab. Immer wieder tupfte sie ihre Stirn ab wie ein Chirurg, der bei einer wichtigen Operation zugange war. Bei Hermine sah es ganz ähnlich aus. Ihr Projekt war genauso wichtig wie eine lebensrettende Operation, sogar noch viel wichtiger. Das Zittern ihrer Hände hatte sie unter Kontrolle bekommen, dafür schwitzte sie wie in einer Sauna. Trotzdem wagte sie es nicht, den Kessel zu verlassen, um das Fenster zu öffnen. Es könnte in genau diesem Moment etwas geschehen, das den Trank zunichte machte. Drei Stunden hatte Hermine bereits hinter sich gebracht. Die letzten dreißig Minuten waren die Hölle, nicht nur wegen der schwierigen Aufgabe, minutengenau die Zutaten unterzumengen und dabei ständig die Temperatur des Feuers zu verändern. Jetzt, so kurz vor dem Ziel, lagen Hermines Nerven blank. Immer wieder kam die Frage auf, was sie tun sollte, wenn der Trank nicht wirken würde? Sie würde es wieder versuchen. Und wieder und wieder.

Das Tränende Herz kam an die Reihe. So viele Erinnerungen fluteten ihren Geist. Die Prophezeiung, in der diese Pflanze erwähnt wurde, ohne sie man ihre Bedeutung verstand. Die vielen Nachforschungen und die Nächte, die sie sich um die Ohren gehauen hatte. Die Hilfe ihrer Freunde, die zur Stelle waren, wenn sie gebraucht wurden. Die umfangreichen Berechnungen, die dafür gesorgt hatten, dass Hermine tagelang nur von Zahlen und Formeln träumte. Das brennende Mal, das alle Todesser beinahe das Leben gekostet hätte. Und am Ende die letzte Zutat für den Heiltrank – jene, deren Blütenblätter sie gerade in den Händen hielt. Für einen Moment schwamm die rosafarbene Masse oben auf, bevor Hermine sie mit wohl überlegten Rührbewegungen dem Trank untermischte. Es fehlte nur noch eines. Die schwarzen, weichen Schwungfedern des Sekretärs beinhalteten die wertvollste Zutat: die Kopie einer Seele, die ein Teil von Severus war und die den Thymus anregen sollte, die Seele erneut wachsen zu lassen. Sich der sakralen Bedeutung bewusst, die diese Federn nicht nur für den Trank, sondern auch für Severus hatten, blickte Hermine hoffnungsvoll in den Kessel. Rühren durfte sie nun nicht mehr. Die klein geschnittenen Federn mussten von allein zergehen. Mit Hilfe der beseelten Animagusform durfte Severus endlich auf ein normales Leben hoffen, vor allem auf ein normales Gefühlsleben.

Die Zeit war um.

Hermine löschte das Feuer. Jetzt lag es an Severus. Er konnte den Trank innerhalb der nächste sechs Stunden zu sich nehmen – warm oder kalt, wie er wollte. Nach diesen sechs Stunden würde die verdoppelte Seele des Sekretärs verfliegen, den Trank damit unbrauchbar machen. Behutsam füllte sie den Heiltrank in einen der Becher, in denen sie normalerweise den Wolfsbanntrank verteilte. Diese stabilen Gefäße konnte man mit einem Deckel schließen, was sie vorsichtshalber auch tat, damit ihr auf dem Weg zu Severus' Schlafzimmer nicht noch ein Malheur passierte.

Mit jeder Stufe, die sie hinaufstieg, fühlte sie sich wie jemand, der mit einem Gnadenerlass in der Hand einen Mann aufsuchte, der für über zwanzig Jahre schuldlos in einem dunklen Verlies dahinvegetierte. Dieser Gedanke berührte sie so sehr, dass sie sich vor seiner geschlossenen Zimmertür mit dem Ärmel erst die Augen trocknete, bevor sie klopfte. Der Hund grüßte mit einem einzigen Bellen. Man hörte das Quietschen eines Stuhls, gefolgt von Schritten. Die Tür öffnete sich weit.

„Komm rein“, bot er an, als würde er sie jeden Abend in seinem Zimmer erwarten.
Wortlos trat sie ein und fand erst ihre Stimme wieder, als er die Tür schloss. Der Hund rannte ihr um die Beine, aber davon ließ sie sich nicht irritieren. Sie blickte Severus in die Augen. „Der Trank ist fertig.“ Er hatte den Becher in ihren Händen längst bemerkt. Severus war vollkommen steif. Es schien, als hätte die Erlösung, die nach so langer Zeit endlich zum Greifen nahe war, ihm einen großen Schock versetzt. Er nickte. Mit zarter Stimme erklärte sie: „Innerhalb von sechs Stunden muss er genommen werden.“ Wieder konnte er nur nicken. „Severus?“
Seine Schweigsamkeit war auffällig geworden, so dass er sie überspielen wollte und endlich den Mund aufmachte. „Stell ihn dort ab“, er deutete auf den Beistelltisch neben seinem Stuhl, in dem er gerade gelesen hatte.
Seiner Bitte kam sie nach. Vorsichtig platzierte sie den Becher neben einem Sachbuch mit dem Titel „Blut und seine Kraft“. Weil sie noch bei ihm bleiben wollte, nahm sie das Buch und begann mit leichter Konversation. „Ist es gut?“
„Verbesserungswürdig.“
Hermine blätterte in den ersten Seiten und bemerkte rote Stellen, die sehr an die damaligen Zaubertränkehausaufgaben von Ron und Harry erinnerten. „Was markierst du hier?“
„Die Fehler.“
„Warum frage ich eigentlich?“, murmelte sie belustigt. „Ist es für deine Arbeit mit dem Bluttrank?“
„Nein, nur interessehalber. Ich habe noch nicht alle meine Bücher hier. Einige benötige ich noch in Hogwarts, bis die Schule ...“ Der Anblick des Bechers auf dem Tisch, bei dem sie stand, ließ ihn stocken, was Hermine nicht entgangen war.
„Nimmst du den Trank gleich?“
„Ich weiß nicht“, erwiderte er unsicher. „Vielleicht nachher, wenn ich zu Bett gehe.“
Hermine befeuchtete sich die Lippen, bevor sie sie leicht zusammenpresste. Er hatte Angst. Sie achtete auf ihren Tonfall und darauf, dass er keine Sorge in ihrer Stimme ausmachen würde, als sie fragte: „Soll ich bei dir bleiben?“
„Das ist nicht notwendig, danke.“
Sie hatte ihm an seinem Krankenbett sehr deutlich gemacht, dass sie wegen möglicher Komplikationen bei ihm bleiben wollte. „Ich werde nach dir sehen.“ Nochmals blickte sie auf den Becher, bevor sie anfügte: „Es wäre eine Schande, die ganze Mühe wegzukippen. Da steckt eine Menge Herzblut und Schweiß drin.“
Angewidert verzog er das Gesicht und fragte trocken: „Darf ich die Zutatenliste vorher nochmal sehen?“
Hermine lachte und damit fiel eine Menge Last von ihr ab. „Das war doch nur so eine Redensart.“ Erleichtert über seinen Humor atmete sie einmal tief durch. „Ich komme vor dem Schlafengehen nochmal vorbei.“

Eine einzige Stunde verging langsamer als die dreieinhalb, in denen sie den Trank gebraut hatte. Nervös blätterte sie sich durch unzählige Bücher, fand aber keines, dass ihren Gedanken Ruhe gönnte. Fellini hatte sich im Schlafzimmer vor dem hektischen Frauchen in Sicherheit gebracht. Als die erste Stunde um war, hielt Hermine es nicht mehr aus. Sie wollte zu ihm. Vielleicht benötigte er längst ihre Hilfe? Wenn nicht, würde er sich womöglich belästigt fühlen, weil sie durch ihre Fürsorge so aufdringlich war – oder gar zu neugierig, weil sie sehen wollte, ob er den Trank schon genommen hatte. Mit einem Male hatte sie eine Idee, die ihren Besuch bei ihm rechtfertigen würde. Aus dem Badezimmer, das sie sich mit ihm teilte, holte sie eine Plastikflasche mit flüssigem Inhalt, mit der sie schnurstracks zu seiner Tür lief. Sie klopfte und wie vorhin bellte auch dieses Mal der Hund, doch die Tür öffnete sich nicht. Als er auf das zweite Klopfen auch nicht antwortete, überkam sie die Angst. Aufgeregt betätigte sie die Klinke. Es war tatsächlich geöffnet. Drinnen brannte Licht. Der Stuhl, auf dem er gesessen und gelesen hatte, war leer. Der Becher stand nicht mehr auf dem Beistelltisch.

'Er hat ihn genommen!', schrie ihr Innerstes wiederholt. „Severus?“ Keine Antwort. Ihre Beine trugen sie von ganz allein hinüber zum Bett, dessen Vorhänge bereits zugezogen waren. „Severus?“ Auf dem Nachttisch konnte sie den leeren Becher ausmachen. Ihre Hände teilten den Vorhang. „Seve...“ Er lag nicht im Bett. Stattdessen saß er, bereits mit einem Nachthemd bekleidet, auf der gegenüberliegenden Seite, so dass sie nur seine Rückseite sehen konnte. Ebenfalls konnte sie sehen, dass er den Kopf hängen ließ. „Severus“, hauchte sie in der Hoffnung, er würde irgendein Lebenszeichen von sich geben. Langsam ging sie um das Bett herum und betrachtete ihn. Er war sich ihrer Anwesenheit bewusst, doch mit geschlossenen Augen schien er zu wünschen, dass sie fortgehen würde. Diesen Wunsch erfüllte sie ihm nicht. Ihr lag daran, die Falten aus seinem Gesicht zu vertreiben, die für so viele Sorgen standen. Sie setzte sich links neben ihn, doch noch immer öffnete er seine Augen nicht. Mit einer Hand ergriff sie seine linke und zog sie auf ihren Schoß. Weil er neugierig wurde, blinzelte er. Hermine schob den Ärmel hoch und löste den schmalen Verband an seinem Unterarm. Die kleine Wunde betrachtete sie sehr genau.

„Ich glaube, ab heute kann es an der Luft heilen. Du bist hoffentlich nicht einer von den Patienten, die sich gern den Schorf abpulen?“, scherzte sie mit vorgetäuschter Heiterkeit. „Es wird von allein heilen.“ Seine Hand wollte er wieder wegziehen, da griff sie nach seinem Handgelenk. Hermine setzte sich weiter aufs Bett, winkelte dabei ein Bein an, das sie auf die Matratze legte. Auf diese Weise war sie Severus zugewandt. Seine Hand legte sie auf ihr Knie. „Ich hab doch versprochen, ich kümmere mich darum.“
„Um was?“ Seine Stimme schockierte sie. Sie klang so verletzlich. Er litt.
„Um die Taubheit.“ Um nichts in der Welt würde sie fragen, wie der Trank bei ihm wirkte. Sie war bei ihm und konnte ein Auge auf ihn werfen. Das genügte ihr. Sie öffnete die Verschlusskappe der Flasche und tat sich etwas von der klaren Flüssigkeit auf die Hand.
Der seltsame Geruch, der auch ein wenig in den Augen brannte, ließ ihn fragen: „Was ist das?“
„Franzbranntwein.“
„Hast du das selbst gebraut?“
Sie rieb beide Hände aneinander und schüttelte dabei den Kopf. „Habe ich aus einer Muggelapotheke. Mir stinkt das zu sehr, um es selbst zu machen.“ Mit ihren Fingerspitzen strich sie vorsichtig an seinem Unterarm entlang, umging dabei großzügig die wunde Stelle, als sie den Franzbranntwein einmassierte. „Das fördert die Durchblutung.“ Ihre Daumen glitten an den Seiten seines Unterarms hinab zum Handgelenk. „Hast du Kopfschmerzen oder Schwindel? Seh- oder Sprachstörungen?“
„Nein.“
„Da bin ich erleichtert. In der Regel können solche Missempfindungen wie Taubheit mit einem Schlaganfall einhergehen. Was die taube Stelle betrifft: Im Mungos gab es ähnliche Fälle. Patienten, denen großflächig Gewebe des Körpers nachgewachsen war, kämpften anfangs mit Taubheitsgefühlen. Das Gleiche wird bei dir aufgetreten sein. Morgen werde ich es aber genauer unter die Lupe nehmen.“ Sie knetete bereits seinen Handballen. „Ist es immer taub oder nur manchmal?“
„Nicht immer, aber zu oft. Manchmal kribbelt es.“
„Kribbeln ist in deinem Fall gut“, beteuerte sie. „Das bedeutet, dass das Gefühl langsam wiederkommt.“ Da hatte sie das Thema, ohne es zu wollen, doch angesprochen. Innig hoffte sie, dass er ihre Worte auf den Arm münzte. Severus äußerte sich jedoch gar nicht, blieb völlig still. Sein Blick war auf seine Hand gerichtet, deren Finger von ihr zaghaft gestreichelt wurden, so dass sie neugierig fragte: „Fühlst du noch immer nichts?“
Wie in Zeitlupe schloss er seine Augen, das Gesicht vor lauter Gram verzogen, bevor er flüsterte: „Ganz im Gegenteil.“
Von seinen Worten besorgt wollte sie wissen: „Tut es weh?“ Allein seine Mimik sprach Bände. „Was fühlst du?“ Ihre Frage war unnötig, denn sie sah, wie ratlos er mit dem war, was der Trank in ihm ausgelöst hatte. „Möchtest du dich nicht hinlegen?“
Severus' Bewegung, als er den Kopf schüttelte, war genauso schwach wie seine Stimme. „Dann wird es nur noch schlimmer.“
„Was wird schlimmer?“ Langsam machte sie sich sorgen. „Severus, wenn du mir nicht genau sagst, was mit dir ist ...“
„Ich lege mich hin“, unterbracht er, um sie zu beruhigen oder ihr einen Gefallen zu erweisen, doch damit ließ sie sich nicht hinhalten.

Der schwere Stoff am Ärmel seines Nachthemdes rutschte von allein wieder hinunter. Wie ein betagter Mann, der nichts mehr zu verlieren hatte, zog er bedächtig die Decke zurück und stieg ein. Bis zur Nasenspitze deckte er sich zu und schloss die Augen. Hermine verweilte noch einen Moment an seiner Seite und überlegte, ob sie die Rolle der Freundin übernehmen sollte, die an seinem Fußende sitzend über ihn wachen würde. Unerwartet sprang Harry aufs Bett und kuschelte sich am Fußende zusammen. Die Rolle hatte er ihr genommen, also wurde sie waghalsiger.

Hermine ging zurück ins Bad, nahm eine schnelle dusche und machte sich für die Nacht fertig. Mit einem Schlafanzug bekleidet suchte sie erneut sein Zimmer auf und steuerte zielsicher auf das Bett zu. Severus fuhr zusammen, als er eine Bewegung auf der Matratze vernahm. Ungefragt legte sie sich neben ihn.

„Hermine?“ Er rollte sich auf die Seite.
„Schlaf weiter“, riet sie ihm, obwohl ihr bewusst war, dass er nicht ein Auge zugemacht haben konnte. Von Harry hingegen hörte man schon ein leises Pfeifen aus der Nase. Der Hund schlief.

Im schwachen Schein des zunehmenden Mondes glitzerten Severus' Augen. Er blickte sie an. Einige Minuten lang. Nicht mehr. Er betrachtete ihr Haar, das sich – sonst so widerspenstig – an ihren Hals schmiegte, an die Schulter und den Busen. Bei dem Anblick fühlte er einen Flügelschlag in seinem Herzen. Ein Gruß des Sekretärs. Unerwartet, aber von ihm willkommen griff sie nach seiner Hand, die neben dem Kopfkissen lag. So wäre er gern eingeschlafen: Mit seinem Gesicht dem ihren gegenüber ruhend, doch an Schlaf war nicht zu denken.

Um den Hund nicht zu wecken, fragte Hermine ganz leise: „Tut es sehr weh?“ Die Antwort war ein leichter Druck an ihrer Hand. „Wie ist das?“ Sie konnte es sich nicht in ihren kühnsten Träumen vorstellen, wie es ihm gerade erging.
„Es ist ...“ Eine Weile suchte er nach den richtigen Worten, bis er sie gefunden hatte. „Meine Gedanken kommen nicht zur Ruhe. Ich erinnere mich an Dinge, an die ich schon oft zurückdenken musste, nur diesmal ...“ Einer dieser Gedanken lenkte ihn ab und er verlor den Faden.
Sie glaubte zu verstehen. „Du siehst alles in einem anderen Licht?“
„Ja.“ Er seufzte leise. „Wie in einem Licht, dass ich nicht sehen kann.“
„Wie Schwarzlicht“, sagte sie geistesabwesend.
„Es sind die gleichen Erinnerungen, aber doch sind sie anders. Ich kann es nicht beschreiben.“
„Die Gedanken bedrücken dich?“
Sie hörte ihn leise durchatmen. „Es ist, als hätte ich vor Jahren ein Buch gelesen und jetzt stellt sich heraus, dass alles wahr ist.“
Hermine nahm ihre andere Hand und umfasste mit beiden die seine. „Du siehst deine Erinnerungen nicht mehr distanziert. Jetzt berühren sie dich.“ Ihr Kommentar passte optimal zu seinem Gefühlszustand. Er äußerte sich nicht. „Erzähl mir, an was du denkst?“

Severus kämpfte mit sich, versuchte schweigsam, sich seinen Gefühlen zu stellen. Nicht mehr sein Unterarm war verwundet, es war sein Inneres. Der Trank hatte sein Kernstück angeraut und empfindlich gemacht, damit neue Seelenteile an ihm haften bleiben konnten. Noch ein klägliches Seufzen.

„An früher“, hauchte er als späte Antwort.
Sie fühlte mit ihm. „Wenn ich dir nur helfen könnte ...“

Hermines Worte blieben ihr im Hals stecken, als sie einen schwachen Schein unter der Bettwäsche bemerkte. Sie ließ seine Hand los und tastete im Dunkeln nach der Decke. An seinem Hals bekam sie den Stoff zu fassen. Langsam zog sie den leichten Stoff hinunter. An seinem Brustkorb machte sie die Quelle des Schimmers aus. Der Heiltrank, der ihn von einem Wesen hinüberwandeln sollte zum anderen, wirkte. Seine Seele war wie der Nachthimmel – nicht schwarz, aber finster und durchwachsen mit den Umrissen heller Wolken, hinter denen der Mond wartete, bis er hindurchbrechen konnte.

Voller Staunen blickte Severus an sich hinunter und griff nach dem fahlen Licht. Die Pflanzen hatten Hermines Erfindung in sich aufgenommen und die Fähigkeit, Magie sichtbar darzustellen, selbst noch als Zutat bewahrt. Der aktive Thymus zeichnete sich flimmernd ab. Wie eine Fackel flackerte das magische Licht hin und her, wurde größer und kleiner und spiegelte Severus' eigenes unruhiges Gemüt wider. Den Mund zu einem stummen Wort geformt betastete er das leuchtende Brustbein mit zitternder Hand. Das, was er damals nicht mit den Händen greifen konnte, als es sich nach seiner schrecklichsten Tat in Nichts auflöste, war endlich wieder da – zwar noch unvollständig, biegsam und zerbrechlich wie ein junger Bowtruckle, aber bereit zu wachsen.

„Vielleicht fühlst du dich besser, wenn du an das Heute denkst“, legte ihm Hermine ans Herz. Ihre Hand fand die gleiche Stelle an seinem Körper, als sie nach seiner Hand griff, um mit ihm gemeinsam die Reise ins Traumland anzutreten. Dankbar wünschte er eine gute Nacht.

Sein letzter Gedanke, fernab von all den Scheußlichkeiten seines Lebens, war der an Hermine. Sie war alles andere als eine Schönwetterhexe, denn sie nahm nicht Reißaus, wenn das Leben ungemütlich wurde. Auf sie könnte er zählen, wenn der Funke, den Freunde entzündet hatten, in den nächsten Tagen zum schmerzenden Feuer werden würde.


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