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Fanfiction

Harry Potter und die Schatten der Vergangenheit - Eine Hand wäscht die andere

von Muggelchen

Auf Fußspitzen betrat Harry das Schlafzimmer. Am Fußende des Bettes stand Ginny, die sich die langen roten Haare bürstete, dabei verträumt aus dem Fenster blickte. Leise näherte Harry sich ihr. Er wollte sie von hinten umarmen, überraschen. Das verliebte Lächeln in seinem Gesicht blieb ihr verborgen. Federleicht berührten seine Hände ihre Taille. Unerwartet fuhr sie herum, machte erschrocken einen Schritt von ihm weg und holte gleichzeitig aus reinem Reflex mit einer Hand aus. Mit voller Wucht traf die flache Seite der Bürste seine Wange.

„Uff“, entwich ihm, bevor er das Gleichgewicht verlor und zu Boden ging. Als Ginny bemerkte, wen sie eben geschlagen hatte, hielt sie sich vor lauter Schreck eine Hand vor den Mund. Harry hingegen hielt sich die Wange. „Nimm das nächste Mal einen Baseballschläger“, riet er ihr. Um die Spannung zu lockern, von der Ginny eingenommen war, scherzte er: „Es sieht blöd aus, wenn im Tagespropheten steht 'Harry Potter mit Haarbürste niedergeschlagen'. Das macht einen schlechten Eindruck.“
Endlich fand sie ihre Stimme wieder, wenn die auch sehr leise war. „Das tut mir so leid.“ Die Bürste warf sie aufs Bett, bevor sie sich neben ihn kniete. „Tut es sehr weh?“
Es schmerzte, wie man es von einem Schlag ins Gesicht erwartete, dachte er. Sein Mund öffnete sich, schloss sich. Seine Finger befühlten die Stelle. „Meine Lippe ist etwas taub.“
„Harry, bitte entschuldige. Ich habe mich so erschrocken. Ich habe gar nicht überlegt ...“
„Schon gut“, unterbrach er.

Die Woche nach ihrer Befreiung war Ginny immer nervöser geworden, fuhr bei jedem Geräusch herum und schaute sofort nach, was es verursacht haben konnte. Es war seine Schuld, dass er jetzt am Boden saß. Er hätte sich nicht an sie anschleichen dürfen. Seiner Meinung nach war die Zeit gekommen, dass sie sich mit ihm über die Entführung unterhalten sollte.

„Was hast du heute vor?“, wollte er wissen.
„Ich treffe mich mit Pomona, Meredith und Gordian. Wir wollten mit Nicholas zum See gehen.“ Die Abwechslung wollte er ihr nicht nehmen. Das Gespräch könnte warten. „Möchtest du mitkommen, Harry?“
„Nein danke, ich bleib hier und“, er hob seine Hände, ließ sie wieder fallen, „hänge ein bisschen rum.“
Bevor Ginny fragen konnte, wie er sich den schulfreien Samstag um die Ohren schlagen wollte, klopfte es an der Tür. Ginny war startklar. „Oh, dass sind sie. Ich bin dann weg.“ Harry folgte ihr ins Wohnzimmer, wo Wobbel dem Jungen gerade noch die Schuhe zuband. Ginny gab Harry vorsichtig einen Kuss auf den Mund. „Noch immer taub?“
„Nein, es geht schon.“
Shibby ließ die Gäste eintreten. Es waren die zwei Schüler. „Hallo Professor“, grüßten beide. „Kommen Sie mit?“
„Nein, Gordian. Aber euch wünsche ich viel Spaß. Ach, und hier ...“ Harry griff sich die Kamera und reichte sie an den Schüler. „Macht ein paar schöne Fotos von heute.“ Es war seltsam, dachte Harry, dass man viel mehr fotografierte, wenn man Kinder hatte. Die Kamera hängte sich Gordian um den Hals. Als Nicholas zur Tür kam, ging Meredith in die Knie, um dem kleinen Mann Hallo zu sagen und ihn an die Hand zu nehmen.
„Bis dann, Harry.“ Ginny winkte, schenkte ihm dabei ein Lächeln, mit dem sie sich nochmals entschuldigen wollte.

Er wartete geduldig, bis die Tür von außen geschlossen wurde. Gleich darauf drehte er sich zu Wobbel und nickte ihm zu. Der Elf schnippte mit den Fingern, woraufhin der gesamte Couchtisch unter der Last unzähliger aufgeschlagener Bücher und Pergamente knarrte.

„Wo haben wir gestern aufgehört?“, fragte Harry, während er zur Couch ging und Platz nahm, sich einen Überblick über das Material verschaffte.
Wobbel deutete auf ein bestimmtes Buch. „Wir waren bei der Destillation angelangt.“
„Ach ja“, murmelte Harry, griff sich dann seine Notizen, auf denen er festgehalten hatte, wie man aus dem Stein der Weisen das Elixier des Lebens gewinnen konnte. Es gab wenig Informationen, aber aus den Andeutungen, die in den Werken von Nicholas Flamel versteckt waren, kam er der Sache immer näher. Gut, gestand sich Harry, es war Wobbel, der der Sache immer näher kam. Harry selbst hatte die Stelle großzügig überlesen, als Flamel die Herstellung des Elixiers haarklein mit der Herstellung eines guten Whiskys verglich. Das Zauberwort war Destillation. „Eines steht fest, Wobbel: Es ist leichter, das Elixier herzustellen als den Stein zu produzieren. Zum Glück haben wir den schon.“ Über die Herstellung des Steins hatten Wobbel und Harry gar keine Hinweise gefunden. „Meinst du, das Elixier könnten wir hier herstellen?“
„Ich befürchte, wenn Sie die Angelegenheit geheim halten wollen, wird das nicht funktionieren, Mr. Potter. Ein Destillierapparat in Ihren Unterkünften würde auffallen.“
„Ja“, Harry kratzte sich am Nacken, „da hast du wohl recht. Ich brauche eine Art Labor.“ Automatisch dachte er an Severus. „Ich werde doch jemanden fragen müssen, der mir dabei hilft.“
„Fragen Sie bitte die richtige Person, Mr. Potter.“ Nicht jeder wäre vertrauenswürdig, das wusste sogar der Elf.
„Keine Sorge, ich habe da schon jemanden im Auge.“

Severus wäre sein Mann, stellte Harry unumstößlich fest. Er würde weder viele Fragen stellen noch ihn für sein Vorhaben verurteilen, womit er bei Hermine rechnen müsste. Sie würde ihm einen Vortrag darüber halten, wie falsch es wäre, das Elixier des Lebens herzustellen. Seine Motivation wäre ihr egal. Harry beschloss, die Winkelgasse aufzusuchen.

In der Apotheke war einiges los. Wochenende. Bestellungen wurden abgeholt und aufgegeben. Kunden wollten beraten werden. Hermine verbrachte mehr Zeit bei Daphne im Verkaufsraum als im Labor, in das sich Severus zurückgezogen hatte. Im Sitzen, weil ihn das Stehen noch anstrengte, schnitt er Zutaten für einen Abschwelltrank. Bei jeder Bewegung der linken Hand verspürte er einen stechenden Schmerz. Der Verband, den Hermine ihm heute morgen erneuert hatte, war wieder feucht geworden. Blut und Wundflüssigkeit tränkten die Bandage. Es würde nach Poppys Diagnose noch mindestens zwei Wochen dauern, bis er nichts mehr von der Verletzung bemerken würde. Hinzu kam das Unbehagen zu wissen, dass neben Hermine noch jemand in der Apotheke war. Die Angestellte, der er heute morgen vorgestellt wurde. Er konnte sich sehr detailliert an die Begrüßung erinnern. Hermine hatte ihm nichts davon erzählt, dass die Verkäuferin ausgerechnet eine ehemalige Schülerin aus seinem Haus war; gleicher Jahrgang wie Hermine. Die Bekanntmachung nahm nicht viel Zeit in Anspruch. „Guten Morgen, Miss Greengrass“, hatte er kurz und knapp gesagt. Kein „Ich freue mich auf die Zusammenarbeit.“ oder „Willkommen an Bord.“ war ihm über die Lippen gekommen. Die Begrüßung ihrerseits war, wenn er es sich recht überlegte, genauso karg ausgefallen.

Plötzlich hörte er die beiden Frauen im Verkaufsraum erst kichern, dann lachen. Im ersten Moment überkam ihn der kränkende Gedanke, er wäre der Grund für die Heiterkeit, doch das war nur ein Gefühl, das ihn aus der Vergangenheit eingeholt hatte. Damals hatten seine Mitschüler ihn oft zum Gespött gemacht, weshalb er eine Zeit lang überaus empfindlich auf Gelächter reagiert hatte und sich immer persönlich angesprochen fühlte. Heutzutage würde sicherlich niemand über ihn lachen, besonders nicht Hermine.

Mit breitem Grinsen trat Hermine ins Labor. „Du glaubst es nicht, Severus. Da war eben ein Pärchen, das Vielsafttrank bestellt hat“, begann sie zu erzählen, während sie sich einen Behälter aus dem Regal nahm. „Daphne legt den beiden also das Formular vom Ministerium hin, das sie ausfüllen müssen. Der Mann hatte ein knallrotes Gesicht, nachdem beide es unterzeichneten. Weißt du, was in der Spalte als 'Grund der Verwendung' angegeben war?“
„Erotische Kreativität“, erwiderte er trocken.
Wegen der blitzschnellen Antwort stolperte Hermine über ihre eigenen Füße. „Woher weißt du das?“
„Das ist der häufigste Grund, der auf diesen Formularen genannt wird. Von Mr. Belby habe ich das einmal nebenher erfahren. Gleiches konnte man in einer Fachzeitschrift für Zaubertränke nachlesen, in der zusätzlich eine Auflistung der kuriosesten Kundenangaben gedruckt war.“ Er grinste. „Da gab es wirklich etwas zu lachen.“
„Das kann ich mir vorstellen. Die Ausgabe musst du beizeiten mal raussuchen. Ich will mich auch amüsieren.“ Sie stellte sich direkt neben ihn und legte eine Hand auf seine Schulter. „Wie geht es dem Arm?“
„Ich befürchte, du musst den Verband noch einmal wechseln.“ Er öffnete die Knopfleiste an seinem linken Ärmel und schob ihn hoch. Das Hemd darunter war mit Blut beschmutzt.
„Du solltest ihn noch nicht so belasten. Es verheilt langsamer, wenn die Wunde ständig wieder aufgeht.“

Sie ließ sich Zeit, als sie den Verband wechselte. Seit gestern Abend war jeder Zweifel ihrerseits wie weggefegt. Severus gegenüber musste sie sich nicht mehr verstellen. Sie durfte zeigen, was sie empfand, aber sie wusste auch, wie viel Wert er auf seine Privatsphäre legte. So nahm sie sich vor, ihn nicht vor anderen in Verlegenheit zu bringen. Das größte Verbot kam von ihr selbst. Keine unüberlegte Schäkerei während der Arbeitszeit. Als sie gerade wieder seinen Ärmel zuknöpfte, klopfte es zaghaft an der Tür zum Labor. Daphne steckte den Kopf hinein.

„Harry Potter ist hier und möchte mit Professor Snape sprechen.“
„Wieso kommt er denn nicht durch den Kamin?“, fragte sich Hermine selbst.
Severus richtete das Wort an die Verkäuferin. „Bitten Sie ihn herein.“
Einen Moment später war es Harrys Kopf, der ins Labor lugte. „Darf ich reinkommen?“
„Warum plötzlich so schüchtern?“, scherzte Severus. Hermine begrüßte ihren Freund, verschwand aber wieder in den Verkaufsraum, so dass die beiden allein waren.
„Ich wusste gar nicht“, begann Harry, während er sich eine Stuhl suchte, „dass Hermine eine ehemalige Mitschülerin eingestellt hat.“
„Damit wurde ich heute früh ebenfalls überrascht.“ Severus wartete, bis Harry einen Stuhl zum Tisch trug und sich setzte, bevor er wissen wollte: „Was führt dich zu mir?“
„Ich habe da eine Aufgabe für dich.“
Severus begutachtete ihn durch verengte Augenlider, beugte sich dann zu ihm und flüsterte: „Wen soll ich bespitzeln?“
„Was?“ Harry schüttelte den Kopf. „Nicht diese Art von Arbeit. Ich brauche einen erfahrenen Zaubertränkemeister und musste dabei zufällig an dich denken.“
„Ah“, Severus setzte sich wieder aufrecht hin und sprach in normaler Lautstärke. „Vielsafttrank kannst du bei Hermine bestellen. Natürlich zum Freundschaftspreis.“
Harrys Stirn schlug Falten. „Wozu sollte ich Vielsafttrank brauchen?“
„Keine Ahnung, sag du es mir.“

Bevor das Gespräch mit Severus noch verwirrender wurde, kam Harry zur Sache. Achtsam blickte er zur Labortür hinüber, um sich zu vergewissern, dass sie allein waren. Die Tür war geschlossen. Erst jetzt griff er in seine Hosentasche, was im Sitzen sehr umständlich war, doch er bekam ihn zu fassen. Seine Hand öffnete Harry so langsam, als würde sie einen kostbaren Schmetterling beherbergen, der nicht fort fliegen durfte. Auf der Handfläche ruhte der Stein der Weisen, den er Severus unter die Nase hielt.

„Ich möchte das Elixier des Lebens.“
Severus erstarrte in Ehrfurcht. Sein Blick war auf den roten Stein fixiert. Langsam hob er eine Hand, hielt jedoch inne. „Darf ich?“
Harry nickte. „Natürlich!“

Mit Daumen und Zeigefinger nahm Severus den unebenen Stein und hielt ihn gegen das Licht, um ihn betrachten zu können. In diesem Moment kam Hermine ohne anzuklopfen herein. Harry griff sich den Stein und versuchte, ihn zu verstecken, doch Hermine hatte ihn längst gesehen.

„Was soll das?“, fragte sie mit knurrigem Unterton. „Ist es das, für das ich es halte?“
Harry versuchte, sich zu rechtfertigen. „Hermine, es ist anders als du jetzt denkst.“
„Ach ja?“ Sie warf ihm einen bösen Blick zu. „Wie bist du überhaupt an den gekommen?“ In Windeseile stand sie bei ihm und hielt ihm ihre offene Hand entgegen, damit er ihr den Stein geben würde. Harry fühlte sich, als wäre er beim Stehlen erwischt worden. Er seufzte und legte den Stein in ihre Handfläche, blickte dabei bedripst zu Boden. „Ich glaub es ja nicht!“, schimpfte sie, als sie das rote Wunder betrachtete. „Was hast du mit ihm vor? Warum hast du ihn überhaupt? Das gefällt mir nicht, Harry.“ Ihr Zeigefinger wedelte rügend hin und her. „Das ist gar nicht gut!“
„Hermine, beruhige dich erst einmal.“
„Nein, ich will damit nichts zu tun haben!“ Sie war aus unerfindlichen Gründen wütend.
„Der Stein ist doch nichts Schlimmes! Was regst du dich überhaupt so auf?“
„Weil ich nicht gutheißen kann, dass jemand Gott spielt und sein Leben um weiß ich wie viele Jahre verlängert! Das ist unnatürlich und nicht richtig.“
Mit flinken Fingern entriss Severus ihr den Stein und fragte provozierend: „Hättest du auch so ein Theater gemacht, wenn du Flamel höchstpersönlich begegnet wärst? Würdest du dir herausnehmen, einen über 600 Jahre alten Mann zurechtzuweisen?“
Hermine schien verlegen. „Das hat doch mit Flamel überhaupt nichts zu tun!“
„Nicht? Ich dachte, du findest es unnatürlich, sein Leben zu verlängern, was Flamel und seine Gattin wohlweislich getan haben.“
„Aber ...“ Er hatte ihr den Wind aus den Segeln genommen. „Was, wenn der Stein in die falschen Hände gerät?“
„Wie sehen denn die richtigen aus?“, stellte Severus als Gegenfrage.

Hermine musste sich geschlagen geben. Sie fand keinen Grund, Harrys Vorhaben zu verunglimpfen, während sie gleichzeitig Flamels Handeln guthieß. Trotzdem konnte sie Harrys Vorhaben nicht nachvollziehen.

„Flamel war immerhin ein angesehener Alchemist“, sagte sie leise. „Er wusste, was er tat.“
„Ich weiß es auch, Hermine“, versicherte Harry. „Ich wollte dich da wirklich nicht mit belasten. Es war nur eine Idee von mir. Sollte eine Überraschung werden.“ Wieder seufzte er. Warum konnte nicht mal etwas so ablaufen, wie er es sich vorgestellt hatte? „Ich glaube, ich vergesse das Ganze lieber.“
„Nein“, widersprach Severus, „ich schlage vor, wir führen das Gespräch in meinem Zimmer fort. Ungestört. Von der Idee möchte ich zumindest erfahren, bevor sie vollends stirbt.“

Die Erste, die das Labor verließ, war Hermine. Sie wollte kein Wort mehr über den Stein verlieren. Als Severus und Harry auf den Flur traten, änderte sie kurzfristig ihre Meinung und drehte sich um.

„Severus, auf ein Wort?“ Ihr bestimmender Ton ließ kein „Nein“ zu.
Severus nickte, wandte sich dann Harry zu, während er die Treppe hinaufzeigte. „Oben, erste Tür rechts.“

Den Wink verstand Harry, also ließ er die beiden allein. Oben angekommen drückte er die Klinke hinunter und stemmte sich gegen das Holz. Die Tür zu Severus' Zimmer bewegte sich keinen Zentimeter. Weil er nicht eintreten konnte, wartete er ungesehen am Treppenabsatz und beobachtete, wie Hermine mit aufgebrachten Bewegungen ihres Kopfes redete. Er hörte kein Wort, kannte aber ihre Körpersprache. Die großen Augen, die hochgezogenen Brauen und das Zusammenpressen der Lippen während der kurzen Sprechpausen bedeuteten, dass Hermine sich große Sorgen machte und darüber hinaus eine Erklärung forderte. Für Harry kam es überraschend, als Severus mit Daumen und Zeigefinger ihr Kinn hielt und sich zu ihr beugte, während er leise etwas sagte. Man konnte nur Hermines Gesicht sehen und somit die Aufmerksamkeit, die sie Severus schenkte. Ihre Augenbrauen senkten sich langsam, ebenso die Augenlider und die Lippen entspannten sich. Das Vertrauen stand ihr ins Gesicht geschrieben. Severus hatte es geschafft, sie zu beruhigen, was Harry zum Lächeln brachte. Selbst bei ihm dauerte es länger, stichfeste Argumente zu liefern, um seine beste Freundin zu besänftigen. Sein Lächeln wurde mit einem Schlag vernichtet. Sein Unterkiefer gehorchte ihm nicht mehr, denn der schien von der Schwerkraft übermannt den Boden aufsuchen zu wollen. Der Grund war das, was Harry beobachten konnte. Er sah mit an, wie Severus ihr einen vertrauten Kuss auf die Wange gab. Eine Kuss! Was zum ...? Gleich darauf trennten sich die Wege der beiden. Severus betrat die erste Stufe und blickte zufällig die Treppe hinauf, bevor er zur Salzsäule erstarrte, weil er Harry mit offen stehendem Mund gaffen sah. Ein Schreck durchfuhr ihn, als der Tränkemeister seine Augen bedrohlich langsam zusammengekniff. Von irgendwoher hörte man ein klackendes Geräusch. Es waren Harrys Zähne, die aufeinander prallten, als er seinen Mund abrupt schloss.

Bei Harry oben angelangt fragte Severus missgestimmt: „Warum bist du nicht im Zimmer?“
„Ich, ähm, habe die Tür nicht aufbekommen“, gestand er kleinlaut. Harry wusste, dass seine Wangen rot waren – er fühlte sie glühen. Peinlich berührt sah er mit an, wie Severus die Tür mit Leichtigkeit öffnete. Harry lachte verlegen. „Oh, ich habe gedrückt.“ Ein gemurmeltes Wort, das ähnlich wie „Idiot“ klang, war zu hören.
„Geh schon rein!“, forderte Severus schroff. Kaum waren beide im Zimmer, drückte er Harry an die geschlossene Tür, presste den rechten Unterarm quer über dessen Brust. „Also?“

Ein kleiner Rückfall in alte Zeiten. Severus verhielt sich provokant, fast schon aggressiv. Genau diese Wesenszüge waren es, die auch Harry in die Vergangenheit schleuderten und für einen Moment in Severus den verhassten Lehrer von damals sehen ließen, anstatt den schwer zu handhabenden, aber dennoch lieb gewonnenen Freund.

Man konnte hören, dass Harry kräftig schluckte, bevor er beteuerte: „Ich verspreche, ich verliere kein Sterbenswörtchen darüber!“
Severus schien irritiert. Seine Stirn schlug Falten. „Was?“
„Über Hermine und ...“
„Weißt du“, unterbrach Severus, „wie egal es mir ist, ob oder wer davon erfährt?“ Die Situation entspannte sich ein wenig. Severus' Hand legte sich schwer auf Harrys Schulter. Mit seiner linken fischte er den Stein der Weisen aus der Tasche seines Gehrocks und hielt ihn Harry unter die Nase, wiederholte dann: „Also?“ Harry verstand nicht, woraufhin Severus deutlicher wurde. „Wie bist du zu dem gekommen? Hast du ihn von Albus gestohlen?“
„Wie bitte?“ War es das, was Hermine glaubte? Echauffiert schüttelte er den Kopf. „Was denkst du denn von mir?“
„Ich kombiniere lediglich. Albus war als Letzter im Besitz des Steins. Er hat ihn von Flamel erhalten – erst zur Aufbewahrung, dann zur Vernichtung. Da stellt sich mir die berechtigte Frage, wie du plötzlich in seinen Besitz kommst.“
„Fawkes hatte ihn.“
„Lüg mich nicht an!“
Harry hob seine Hände. Die Handflächen zeigten in beschwichtigender Geste zu Severus. „Ich lüge nicht!“

Als er seinen Griff an Harrys Schulter verstärkte, geschah etwas Außergewöhnliches. Severus fühlte einen Druck auf seiner Brust, wurde zwei Schritte zurückgedrängt, während Harry weiterhin an der Tür verweilte.

„Was sollte das?“ Severus legte eine Hand auf seine Brust, genau an die Stelle, wo er den Druck verspürt hatte. „Du hast mich gestoßen.“
„Unsinn! Ich hab dich ja nicht einmal berührt“, beteuerte Harry.
„Das ist es ja! Wie hast du das gemacht?“ Mit einem Male war Severus nicht mehr verärgert, sondern neugierig wie Schmidts Katze.
„Ich, ähm ...“, stammelte Harry. „Mein Elf bringt mir gerade ein paar Dinge bei.“
„Dein ...“ Severus schnaufte belustigt. „Dein Elf?“ Tief und brummig begann Severus zu lachen, was Harry amüsiert beobachtete.
„Was ist daran so lustig?“, fragte er, musste aber selbst grinsen.
„Ach nichts“, winkte Severus ab, stellte sich dennoch die fiktive Schlagzeile vom Tagespropheten vor, der darüber berichtete. „Was lehrt er dich? Reinigungszauber? Oder vielleicht Kochen?“
„Stablose Magie.“
Für ein paar Sekunden war Severus sprachlos. „Mmmh“, machte er einen Augenblick später. „Ich verstehe. Wer könnte einem stablose Magie besser beibringen als jemand, der tagtäglich stablos zaubert?“
„Ich habe ihn nicht einmal darum gebeten.“ Interessiert ließ Harry seinen Blick schweifen. In diesem Zimmer war er noch nie gewesen. Es war karg eingerichtet, aber wenigstens gab es hier schon eine Couch. „Wollen wir uns nicht setzen?“
Severus blickte zur Couch hinüber, dann zu Harry, dem er mit einer Kopfbewegung einen Sitzplatz anbot. Er selbst blieb stehen. „Fawkes soll also den Stein gehabt haben?“
„Weißt du noch von der harten Stelle an seinem Bauch?“, half Harry ihm auf die Sprünge.
„Ah“, Severus wirkte erleuchtet, „das war auch der Grund, warum der Vogel auf jeden eingehackt hat, der sich ihm näherte.“ Mit großen Schritten ging er auf und ab, blieb dann stehen und wandte sich an Harry. „Aber warum hatte Fawkes ihn? Wenn Albus nur wollte, dass er ihn aufbewahrt, hätte der Phönix nicht zu dir kommen müssen.“
„Ich habe keine Ahnung. Mein Elf hat eine Andeutung gemacht. Entweder vermutet er nur, dass Albus für lange Zeit das Elixier des Lebens eingenommen hat oder er weiß es aus mir unbekannten Quellen. Auf jeden Fall meinte er, ich sollte mich nicht hinreißen lassen zu ... Wie hat er das nochmal gesagt?“, murmelte Harry zu sich selbst. „Er meinte, es wäre schade, wenn ich nicht zur Ruhe kommen würde, weil ich nur noch das Wohl der Gemeinschaft im Kopf hätte. So ähnlich hat er sich ausgedrückt.“
„Wir wissen, dass Albus das Elixier hergestellt hat, um sich selbst und auch Sirius einen kleinen Vorteil zu verschaffen.“
„So klein war der aber nicht“, warf Harry scherzend ein.
Severus erinnerte sich an den ungefähren Zeitpunkt, als Fawkes zu Harry kam. Ein wenig später hatten Albus und Minerva geheiratet. Vielleicht hing das damit zusammen, fragte er sich selbst. „Es wäre gut möglich, dass Albus regelmäßig etwas eingenommen hat, auch nachdem Voldemort längst besiegt war. Möglicherweise hat der Phönix das nicht gebilligt“, reimte sich Severus zusammen.
„Warum sollte Fawkes was dagegen gehabt haben?“
„Das weiß ich doch nicht“, blaffte Severus ihn unerwartet an. „Es ist dein Vogel, frag du ihn.“ Harry traute seinen Ohren nicht. Hatte Severus ihm gerade geraten, den Phönix zu fragen? „Du kannst auch“, lenkte Severus ab, „deinen Elf fragen, was er mit seiner Andeutung meinte. Wenn er wirklich mehr weiß ...“
„Ist es am Ende nicht egal?“, fiel ihm Harry ins Wort. „Ich meine, der Stein ist hier, Fawkes lässt sich mittlerweile von Hedwig den Bauch vollstopfen und Albus ist der liebe Mensch wie früher.“
Mit dieser Aussage war Severus gar nicht zufrieden. „Sag mal, interessieren dich die Zusammenhänge überhaupt nicht?“
Er spitzte die Lippen und dachte kurz nach. Heiter und gelöst antwortete Harry einen Augenblick später mit nur einem Wort: „Nö!“
„Ich fasse es nicht! Kein Interesse an Geheimnissen?“
„Wenn ich ehrlich bin, dann spiele ich lieber mit der Lok von Nicholas, als irgendwelchen Geheimnissen auf den Grund zu gehen. Das letzte hat mir gereicht. Hat mir ziemlich zugesetzt.“ Ein bedeutungsschwangerer Blick seitens Harry. „Aber das ist jetzt gelöst und bald auch aus der Welt geschafft“, fügte er in dem Wissen hinzu, dass sein Gesprächspartner längst wusste, dass er von ihm sprach.
„Zurück zu dir“, wies Severus ihn in seine Schranken. „Was hast du vor? Soll ich für dich Blei in Gold verwandeln?“
Harrys Augenbrauen schossen über den Rand der runden Brille hinaus. „Das geht?“
Um sich selbst zu beruhigen schloss Severus für einen kurzen Moment die Augen, atmete kurz durch. „Ich kann es einfach nicht glauben. Du besitzt den Stein der Weisen und hast keine Ahnung, was man mit ihm alles anstellen kann?“
„Na ja, als Briefbeschwerer ist er zu leicht, da dachte ich, würde ich gern ein bisschen von dem Elixier des Lebens haben“, spielte Harry die Sache amüsiert runter. „Was interessiert mich Gold? Damit würde ich nur den Preis für Edelmetalle kaputt machen, was mir im schlimmsten Fall noch die Koboldmafia auf den Hals hetzt.“
„Können wir das Gespräch jetzt wieder in eine ernstere Richtung lenken?“ Endlich setzte sich Severus und betrachtete den Stein in seiner Hand. „Das Elixier des Lebens also. Wofür?“
„Ist eine Überraschung.“
Severus nickte. „Mit dieser Erklärung soll ich mich zufriedengeben?“
„Warum nicht? Reicht es, wenn ich hinzufüge, dass ich nichts Selbstsüchtiges vorhabe?“

Mit strengem Blick musterte Severus sein Gegenüber. Harry war eine Menge. Er war nervtötend – manchmal zumindest – und neugierig, nett, genügsam, hilfsbereit ... Die Liste ließe sich um unzählige Worte verlängern. Das Wort „selbstsüchtig“ fand sich nicht auf ihr. Severus verdankte Harry sehr viel. Hätte der damals nicht ständig nachgehakt und Hermine mit einbezogen, würde Severus nicht in naher Zukunft ein neues Leben beginnen können. Was waren da schon ein paar Tropfen vom Elixier des Lebens?

„Gut, wie viel möchtest du haben?“
Bei der Frage rutschte Harry auf der Couch herum. „Mit meinem Elf zusammen habe ich alles durchgerechnet, was die Menge und die zu erwartende Lebensverlängerung betrifft. Wir sind auf insgesamt fünf Liter gekommen.“
Es war selten, sehr selten, aber es war durchaus möglich, Severus aus dem Gleichgewicht zu bringen. „Fünf?“, blaffte Severus ihn versehentlich an. „Fünf Liter? Was hast du mit dieser Menge vor? Willst du ein neues Erfrischungsgetränk auf den Markt bringen?“
„Wir wollten ernst bleiben“, erinnerte Harry mit einem Schmunzeln.
„Fünf ...?“ Severus konnte sich gar nicht beruhigen. „Ich wüsste nicht einmal, wie ich auch nur einen Tropfen aus dem Stein herauspressen könnte und du verlangst gleich fünf Liter!“
„Wenn es dir zu schwer ist ...“ Harry streckte den Arm und wollte Severus den Stein aus der Hand nehmen, doch der zog sie weg. Severus' Können war angezweifelt worden, sein Stolz verletzt und das konnte er nicht auf sich sitzen lassen.
„Ich habe nicht gesagt, dass es mir zu schwer ist. Ich werde allerdings einige Zeit benötigen, muss viel lesen.“
„Wir haben schon eine Menge Vorarbeit geleistet!“, verkündete Harry selbstbewusst. „Mein Elf steht dir gern helfend zur Seite. Wir haben schon herausgefunden, wie man das Elixier gewinnt, nämlich indem man ein extra gemischtes Gemisch mischt ...“ Wegen seiner Wiederholung kam Harry ins Stottern. „Ein Gemisch also, das man extra anrührt ... und ... um ...“
„Es erstaunt mich immer wieder, wie beredt du bist. Ich brauche erst mal einen Drink!“

Geduldig wartete Harry, bis Severus mit einem Glas in der Hand zurückkommen würde. In der Zeit legte er sich Worte in Gedanken zurecht, damit er sich nicht wieder so verhaspelte.

„Ein besonderes Gemisch“, begann Harry, „das erhitzt wird. Was Destillation ist, weißt du?“ Severus rollte mit den Augen. Natürlich wusste er als Tränkemeister, was mit Destillation gemeint war. Auch Harry wurde sich seiner dummen Frage bewusst, fuhr aber einfach fort: „In diesem Destillierapparat wird der Stein befestigt. Der aufsteigende Dampf der erhitzten Flüssigkeit löst die“, er fuchtelte nervös mit seinen Händen umher, „Moleküle? Oder sowas ...“ Er wurde unsicher. Ohne seine Pergamente war Harry hilflos. Hätte er sie nur mitgenommen.
„Ich glaube, ich lese mich lieber selbst in das Thema ein. Aussagen wie 'oder sowas' sind nicht gerade Angaben, die auf eine erfolgreiche Arbeit hoffen lassen.“
„Wie du meinst. Jedenfalls ist das, was hinten rauskommt, das Elixier des Lebens.“
„Schön erklärt“, zog Severus ihn auf. „Wenn es andere Methoden gibt, werde ich sie finden.“
„Okay, aber mach nichts, was ich nicht auch tun würde.“
Abrupt senkte Severus sein Glas, blickte Harry in die Augen und beschwerte sich lauthals: „Unter solchen Einschränkungen kann ich nicht arbeiten!“
Vor Schreck hatte sich Harry tief in das Polster der Couch gedrückt. „Von mir aus ... Dann mach, was du willst, aber ich muss davon nichts erfahren.“
„Schon besser! Dein Elf kann mir die Unterlagen bringen. Ich werde mich damit beschäftigen, nachdem ich mir ...“
Einen Moment wartete Harry, falls Severus den Satz beenden würde, doch erwartete vergeblich. „Bis du dir was?“
„Ich muss noch ein Bekleidungsgeschäft aufsuchen.“
Eine neue Herrengarderobe für die Hochzeit, dachte Harry. „Nimm Hermine mit. Ich glaube, sie hat auch noch nichts.“

Harry blieb noch eine Weile. Er erkundigte sich nochmals nach Severus' Wohlbefinden und dieser erzählte endlich von dem unaufhörlich stechenden Schmerz, der Unbeweglichkeit der Finger und der Taubheit. Beide genossen das Gespräch. Es war wie früher, während des gemeinsamen Frühstücks, nur das Severus nicht mehr so wortkarg war. Harry gegenüber war er zwar noch immer auf unnachahmliche Art liebevoll sarkastisch, aber dennoch aufgeschlossen. Severus konnte über seine Befürchtungen sprechen, was beispielsweise die junge Verkäuferin betraf. Er tat sich schwer damit, sie in der Apotheke mit offenen Armen zu empfangen. Trotzdem, und das rechnete Harry ihm hoch an, war er gewillt, die Situation hinzunehmen – einfach zu sehen, wie es sich entwickeln würde.

Im Verlauf des Gesprächs äußerte Harry seine Bedenken wegen Ginny. Seiner Meinung nach fraß sie ihre Ängste in sich hinein.

„Das könnte böse enden“, hielt er Harry vor Augen, griff sich derweil an den Magen, weil Erinnerungen an die eigene Gastritis aufkamen, die er nur mit Poppys Mitteln in den Griff bekommen hatte.
„Was soll ich tun? Sie redet nicht mit mir.“
„Dann zwing sie. Bei anderen Menschen lässt du doch auch nicht locker“, warf Severus ihm mit gekräuselter Nase vor.
„Mal sehen“, Harry schlug sich auf die Oberschenkel, „ob ich vielleicht heute dazu komme. Ich werde langsam wieder gehen.“ Er stand auf. „Danke für den netten Tag.“
„Gern geschehen.“

Über den Kamin im Wohnzimmer verschwand Harry mit dem Vorhaben, Ginny zu einem Gespräch über die schlimme Zeit zu überreden. Die Apotheke hatte bereits um 16 Uhr geschlossen, als Severus nach unten ging und vorsichtig in den Verkaufsraum blickte. Hermine bemerkte ihn.

„Sie ist schon weg.“ Ihr fehlte das Verständnis für seine Zurückhaltung. Severus würde jeden, der sein Missfallen erregte, ungespitzt in den Boden rammen. Die Verkäuferin hatte ihm aber nichts getan. „Was hast du gegen sie?“, brachte sie seine Vorsicht auf den Punkt.
„Nichts Wirksames.“
Hermine schnaufte. „Sie macht ihre Arbeit gut und bleibt nicht länger als nötig.“
Ohne auf ihr Lob für die Angestellte einzugehen informierte er sie: „Ich werde die Filiale von Besenknechts Sonntagsstaat aufsuchen. Die Hochzeit von Harry ...“ Severus verlor die Konzentration, weil Hermines entgleisenden Gesichtszüge darauf hindeuteten, dass ihr Gehirn gerade eine Kernschmelze erfuhr. „Was hast du?“
„Ich bin Trauzeugin und habe kein Kleid!“ Aufgeregt fasste sie sich ans wild pochende Herz. „Muss ich etwas Besonderes tragen?“ Sie quengelte. „Hat man Pläne, was ich anziehen soll?“
„Harry meinte nur, du hättest noch nichts. Ich gehe davon aus, dass es dir freisteht.“
„Dann komme ich mit! Ich hol nur noch meine Tasche.“

Ein Glück war, dass manche Geschäfte auch samstags bis 18 Uhr geöffnet hatten. Besenknechts Sonntagsstaat war nicht gut besucht, was Severus nur recht war. Sofort war eine Dame bei ihnen, die zuvorkommend ihre Hilfe in Geschmacksfragen anbot.

„Danke“, winke Severus ab. „Ich möchte mich nur etwas umsehen.“
Nächstes Opfer der Verkäuferin war Hermine. „Darf ich Ihnen helfen? Was schwebt Ihnen vor?“
„Ich bin Trauzeugin und brauche dafür ein hübsches Kleid.“
„Wollen Sie es schneidern lassen? Wann findet die Hochzeit denn statt?“
„Ich ...“ Durch den ganzen Stress hatte sich Hermine überhaupt keine Gedanken gemacht. Würde Harry für ein Kleid aufkommen? Könnte sie es selbst bezahlen? „Ich weiß nicht!“ Panik.
Gelassen warf Severus ein: „Die Hochzeit findet am 26. Juni statt.“
„Das wird aber knapp, wenn Sie es schneidern lassen möchten.“
„Severus?“ Sie warf ihm einen Hilfe suchenden Blick zu. „Soll ich es anfertigen lassen?“
„Das fragst du mich?“ Demonstrativ schob er einen Bügel mit einem Herrenoberteil zur Seite. Er hatte sich vorgenommen, seine Sachen von der Stange zu kaufen. „Ich beschäftige mich mit solchen Dingen so wenig wie nur möglich.“
Hermine wandte sich an die Verkäuferin. „Wie lange würde das Nähen dauern und wie teuer wäre das?“
„Es kommt ganz drauf an, was Sie sich vorstellen.“

Ein Katalog mit bunten, beweglichen Bildern sollte dabei helfen, ihre Vorstellungen vom eigenen Kleid präziser zu gestalten. Severus hingegen war zufrieden, in Ruhe die Kleiderständer zu inspizieren. Als störend empfand er lediglich den Herrn – ebenfalls ein Angestellter von Besenknechts Sonntagsstaat –, dessen Hilfe Severus abgelehnt hatte, dafür nun von ihm beobachtet wurde. Es war lästig. Als Severus eine Hose und den dazugehörigen Gehrock vom Ständer nahm, um beides genauer zu begutachten, sah er aus den Augenwinkeln, wie der Verkäufer die Nase rümpfte und den Kopf schüttelte.

Hermines Stimme lenkte ihn ab. „Severus, welche Farbe soll ich ...?“
„Blau!“, bellte er zu ihr und der Verkäuferin hinüber, ohne zu wissen, was Hermine tatsächlich fragen wollte. Die Antwort schien ihr zu reichen.
„Sir?“ Geschmeidig wie eine Raubkatze hatte sich der Verkäufer, der nur halb so alt wie Severus war, an seinen Kunden herangeschlichen. „Wenn ich einen Vorschlag machen dürfte?“
„Dürfen Sie nicht.“ Severus würdigte ihn keines Blickes, während er sich einen schwarzen Gehrock überzog und an sich hinuntersah.
Der junge Mann ließ sich nicht einschüchtern. „Wie ich vernommen habe, suchen auch Sie etwas für eine Hochzeit?“ Weil Severus nicht antwortete, griff der Verkäufer zu dem Hosenbein des in Severus' Händen verbleibenden Kleidungsstücks. „Schwarz ist eher etwas für eine Beerdigung, meinen Sie nicht?“ Ein grunzendes Lachen begleitete die unüberlegt gesprochenen Worte.
Finster blickte Severus den Herrn an. „Wenn Sie mich nicht in Ruhe lassen“, säuselt er gefährlich leise, „dann trage ich das hier“, Severus warf ihm die Hose zu, „auf Ihrer Beerdigung! Soll ich es gleich anbehalten?“
Der Mann scheute zurück. Ein zaghaftes Lächeln zuckte über seine Lippen. „Wenn Sie Hilfe benötigen, Sie finden mich ...“ Ungenau deutete er auf den Bereich mit der Theke, in den sich der Mann sofort zurückzog.

Den Gehrock zog Severus wieder aus, räumte ihn aber absichtlich nicht weg, sondern legte ihn achtlos auf den Ständer. Der lästige Verkäufer sollte etwas zu tun haben, damit Severus sich ungestört umschauen konnte. Die vielen bunten Umhänge schreckten ihn ab. Jeder von ihnen erinnerte an Lockharts Garderobe oder schlimmer noch, an die von Albus. 'Wer außer Albus würde Sterne und Monde auf seinem Umhang tragen?', fragte sich Severus, als er entsprechendes Kleidungsstück mit gerümpfter Nase betrachtete. Plötzlich war Hermine bei ihm, hielt ihm einen Katalog hin.

„Was meinst du, Severus?“ Sie tippte auf ein beigefarbenes Kleid. „Das hier in blau?“
„Warum nicht?“
„Gefällt es dir denn?“
„Ich muss es nicht tragen.“
Sie stöhnte. „Hilf mir doch mal ein bisschen. Ist das Kleid in Ordnung?“
„Hermine, ich sagte schon, dass mich das einfach nicht interessiert.“
„Oh, vielen Dank für deinen Ratschlag!“, giftete sie ihn gereizt an, zeigte dann auf den Umhang mit Monden und Sternen. „Nimm doch den, steht dir bestimmt.“

Sauer war Hermine nicht, nur gestresst. Mit dem Katalog ging sie zurück zur Verkäuferin. Man konnte noch das Quietschen der Bügel hören, die Severus nacheinander zur Seite schob. Sie selbst hatte ihren Entschluss gefasst.

„Das hier in blau.“
Die Verkäuferin nickte. „Wir haben es vorrätig. Probieren Sie es an, dann können wir gleich mit den Änderungen beginnen.“
Peinlichkeiten wie auf der Hochzeit von Anne und Sirius sollten nicht noch einmal auftreten, weswegen Hermine forderte: „Auf jeden Fall möchte ich das Kleid rissfest haben.“
„Aber selbstverständlich. Das macht 45 Galleonen für zwei Jahre.“
„Das ist die Sache wert“, bestätigte Hermine die zusätzlichen Ausgaben.

In einer der Kabinen probierte Hermine das Kleid ihrer Wahl an. Es war um die Hüfte herum ein wenig eng, was ihr Komplexe bereitete. Die zusätzlichen Kilos von vor knapp zwei Jahren war sie bisher noch nicht losgeworden. Es hatte sie aber auch niemand daraufhin angesprochen. Sie selbst fühlte sich wohl. Hermine sah keinen Grund, ihr Gewicht zu reduzieren. Nach so langer Zeit aber ausgerechnet von einem Kleid darauf hingewiesen werden, dass sie schon mal schlanker war, war wie ein Schlag ins Gesicht.

„Passt es?“, hörte sie die Verkäuferin hinter dem Vorhang fragen. „Darf ich es sehen?“ Innerlich seufzte Hermine, ließ die Dame jedoch herein.
„Oh“, machte die Frau und beäugte die Stelle, wo die Taille zur Hüfte überging. „Das ist seltsam“, murmelte die Verkäuferin. „Das ist bei allen Kundinnen so, dass es hier“, sie legte beide Hände auf Hermines Taille, „enger ist. Das Kleid ist an dieser Stelle von Hause aus ungünstig geschnitten.“ Hermine wurde von der Dame einmal gedreht. „Ansonsten sehr hübsch, wirklich! Lassen Sie mich kurz ...“

Die Verkäuferin zog ihren Stab und hielt ihn an eine Naht an der Taille, sprach dann einen Zauber, um das Kleid auszulassen. Hermine konnte wieder anständig atmen. Mit einer Hand strich sie sich über den kleinen Bauch, der eben noch eingeengt war. Die Verkäuferin zupfte zaghaft an dem bisschen Stoff, der die Schultern halbherzig bedeckte, bis er an den Seiten der Oberarme seinen vorbestimmten Platz fand.

„Wunderbar!“, schwärmte die Verkäuferin. „Wie es aussieht, muss gar nichts mehr geändert werden.“
Hermine stimmte zu. „Es ist hübsch.“ Schulterfrei und ein großzügiger Ausschnitt, der jedoch nicht den guten Geschmack beleidigte. So hatte sie sich noch nie gesehen. Das Kleid, das sie auf der Hochzeit von Sirius getragen hatte, war unauffällig elegant gewesen, hochgeschlossen und langärmelig. Konservativ. Das hier war eher ... „Ist es für mich nicht zu aufreizend?“
Die Dame schüttelte den Kopf. „Finde ich nicht, Madam. Aber Sie sollten sich darin natürlich wohlfühlen. Wenn es Ihnen nicht zusagt, probieren Sie doch mal ein anderes.“
„Ich finde es schön, aber ich möchte nicht, dass ich gegen irgendwelche Hochzeitsregeln verstoße.“
„Wenn ich fragen darf: Wie alt ist das Brautpaar? Sie sagten, Sie wären die Trauzeugin.“
„Mein Alter.“
Die Dame strich über den fließenden Stoff des Rocks. „Dann sehe ich überhaupt keine Probleme, ein so modernes Kleid zu tragen.“
„Ich frage mal meinen Begleiter nach seiner Meinung.“

Hermine verließ die Umkleidekabine und suchte im Verkaufsraum nach Severus. Als sie zu ihm ging, kam sie an einer Kombination für Herren vorbei, die sie sofort ansprach, auch wenn es schwarz war. Bei ihm angekommen präsentierte sie sich.

„Severus? Was meinst du?“ Nachdem sie seine Aufmerksamkeit erregt hatte, drehte sie sich einmal. Er musterte sie von Kopf bis Fuß, während die Verkäuferin still neben den beiden auf einen Kommentar wartete. Gleich darauf betrachtete Severus sie nochmals, schien ein wenig nervös.
„Haben Sie nicht etwas, wo oben mehr ...?“ Er fuchtelte verlegen mit einer Hand an seinem eigenen Brustkorb herum, wandte sich gleich darauf direkt an die Verkäuferin. „Ist Ihnen während des Schneiderns der Stoff ausgegangen?“
„Das ist der letzte Schrei, Sir“, versicherte die Verkäuferin.
Hermine wurde unsicher. „Gefällt es dir nicht?“
„Ich befürchte, es wird für eine Vermählung ein wenig unpassend sein.“
„Da muss ich widersprechen, Sir“, wagte die Verkäuferin einzubringen. „Modisch gesehen ist es einwandfrei, keinesfalls anstößig oder gar aufdringlich. Für eine Dame in ihrem Alter spricht nichts dagegen.“
Severus schnaufte, richtete seinen Blick wieder auf Hermine. „Wie ich vorhin schon sagte, ich muss es nicht tragen.“ Für ihn war die Sache damit erledigt und er widmete sich wieder den vielen Kleidungsstücken für Herren.
Wäre sie doch lieber mit Luna einkaufen gegangen, schalt sich Hermine selbst. „Ich nehme es!“, machte sie nicht nur der Verkäuferin klar.
„Dann folgen Sie mir, damit ich es rissfest machen kann.“

Zumindest war Hermine noch vor Severus fündig geworden, was ihr eine gewisse Genugtuung bescherte. Von wegen, Frauen würden immer länger benötigen, dachte sie. Er suchte noch immer. Wäre er nicht so auf eine Farbe fixiert, würde die Auswahl für Severus nicht so karg ausfallen. Wieder fiel Hermines Blick auf die Herrenbekleidung, die gut sichtbar im Raum hing.

Hermine deutete auf die Kombination und sagte zur Verkäuferin, die gerade noch die Schutzzauber am Kleid anbrachte: „Das dort gefällt mir.“
Die Dame wusste, dass ihre Kundin dieses Ensemble für ihren Begleiter ins Auge gefallen war. „Der Herr sucht etwas Schwarzes“, erinnerte die Verkäuferin, woraufhin Hermine stutzte. Die Kleidung war ihrer Meinung nach schwarz. Zu ihnen gesellte sich der Verkäufer. Er würde sich hüten, dem grantigen Kunden nochmals seine Hilfe anzubieten, war aber sprungbereit, sollte der ihn zu sich winken.
Hermine war noch immer mit ihren Gedanken bei der Farbe. „Severus?“ Als er sich umdrehte und die drei in einiger Entfernung erblickte, fühlte er sich beobachtet. „Muss es unbedingt schwarz sein?“, rief Hermine quer durch den Raum.
Er schüttelte unerwartet den Kopf und entgegnete trocken: „Nein, muss es nicht. Wenn du etwas findest, das dunkler ist, würde ich auch das tragen.“ Sofort widmete er sich wieder den wenigen Stücken, an denen er Gefallen fand.
Hermine schmunzelte, schaute nochmals zu dem zusammengestellten Ensemble, was die Dame bemerkte und daraufhin erklärte: „Das ist nachtblau. Nur schwarz ist dunkler.“
„Es sieht schwarz aus“, beteuerte Hermine.
Der Verkäufer nickte. „Das liegt an dem Licht hier drinnen. Bei Tageslicht würde man den kleinen Unterschied aber sehen.“
„Geben Sie es mir bitte“, forderte Hermine mit frechem Grinsen.

Höflich kam der Verkäufer ihrem Wunsch nach und brachte das gesamte Kostüm: Hose, Weste, Hemd, Gehrock und Umhang. Der ganze Stoff lag schwer in ihren Armen, als sie sich damit Severus näherte. Im Vergleich zu dem Dunkelblau ihres Kleides sah der Umhang rabenschwarz aus.

„Severus“, er drehte sich zu ihr, „das hier gefällt mir.“ Er beäugte die Kleidung in ihren Armen, griff sich den Gehrock und nahm ihn in Augenschein. „Probier es an.“ Sie hoffte innig, dass er bei dem Licht in diesem Raum nichts bemerken würde. „Es sieht edel aus“, schwärmte sie.

Mehr Überredungskunst brauchte es nicht. Er fügte sich ihrem Wunsch und zog sich mit den Sachen in eine Kabine zurück. Hermine ging zurück zur Theke und ließ ihr Kleid weiter gegen Risse schützen, bevor sie sich wieder umzog. In der nebenan liegenden Umkleidekabine betrachtete sich Severus in kompletter Montur in dem riesigen Spiegel. Das Licht hier drinnen war schummriger als im Verkaufsraum, aber was er sah, gefiel ihm tatsächlich. Im Gegensatz zu Hermine benötigte er keine zweite Meinung – seine reichte ihm. Die Suche hatte ein Ende. Die Entscheidung war gefallen.

Dank des zusätzlichen Knitterschutzzaubers war es möglich, die Kleidung in Tüten mitzunehmen. Severus würde, das wusste Hermine, vor der Hochzeit nicht einen einzigen Blick auf die neuen Sachen werfen. In dieser Hinsicht war er sehr gleichgültig.

Andere Menschen machten sich ebenfalls Gedanken über ihre Hochzeitsbekleidung. Die Zwillinge wollten das Gleiche tragen, wie schon auf Sirius' Hochzeit. Nicht mit ihrer Garderobe wollten sie Aufmerksamkeit erregen, sondern mit dem geplanten Feuerwerk. Albus hingegen hatte bei einem Geschäft etwas Dunkelblaues mit Halbmonden und Sternen bestellt, während Molly ihr Kleid trotz der vielen Aufgaben, mit denen sie als Hochzeitsorganisatorin belastet war, mit viel Freude selbst nähte.

Narzissa besaß einen begehbaren Kleiderschrank, dessen Inhalt sie vorhin in Ruhe überflogen hatte. Unzählige Kleider machten ihr die Entscheidung schwer. Ein neues wollte sie nicht kaufen, denn viele von denen, die hier hingen, waren noch ungetragen. Neugierig warf sie einen Blick auf das eisblaue Kleid aus Seide und Tarlatan. Ihr Gatte hatte es vor vielen Jahren von einer seiner Geschäftsreisen als Geschenk mitgebracht. Narzissa zog es an, verließ den Kleiderschrank und stellte sich vor den großen Spiegel im Schlafzimmer. Unerwartet klopfte es.

„Herein.“
Mit Charles auf dem guten Arm öffnete Lucius die Tür. Im ersten Moment blieb er wie verzaubert stehen. „Wunderschön, meine Liebe.“ Mit diesem Kompliment zauberte er ein verlegenes Lächeln auf ihre Lippen. Er ging einmal um sie herum. „Das ist das Kleid, das ich aus Kanada mitgebracht habe“, erinnerte er sich. „Es passt ausgezeichnet. Wieso ziehst du es gerade jetzt an? Ist heute etwas Besonderes?“
„Nein, ich habe mir nur Gedanken gemacht, was ich zur Hochzeit tragen werde.“
Lucius kniff die Augen zusammen. „Hochzeit?“
„Die von Mr. Potter und Miss Weasley.“
„Ah“, jegliche Freude verließ seine Miene, „ich dachte eigentlich, wir würden nicht hingehen.“
Irritiert wandte sie ihren Blick vom Spiegel ab. „Aber warum denn nicht? Wir sind alle eingeladen, Lucius. Die gesamte Familie Malfoy. Das letzte Mal gehörtest du noch zu uns.“
„Ich werde mich nicht wohlfühlen.“
„Du weißt jetzt schon, dass du am Tag der Hochzeit unpässlich sein wirst? Ich dachte immer, deine Noten in Wahrsagen wären miserabel gewesen“, spottete sie.
„Was soll ich dort, Narzissa? Man hat mich nur höflichkeitshalber eingeladen, weil man dich nicht vor den Kopf stoßen wollte. Es wäre ein Eingeständnis, hätte man genauer dargelegt, dass du durchaus erwünscht wärst, nicht jedoch dein Gemahl.“
Der Stoff des Kleides schwebte elegant hinter ihr her, als sie sich Lucius näherte. „Was lässt dich glauben, du wärst unerwünscht?“
„Nun, ich würde meinen, es wären die Personen, die sich zum Bund der Ehe entschieden haben. Mr. Potter ist mir nicht gerade wohlgesinnt, genauso wenig wie seine Auserwählte, deren gesamte Familie mir eher den Tod wünscht.“
Mit einer Hand streichelte Narzissa die Wange von Charles. Ohne ihren Blick von dem Jungen abzuwenden, sagte sie zu Lucius: „Vergiss nicht, dass Mr. Potter ein Teil unserer Familie geworden ist. Du trägst gerade seinen Patensohn im Arm.“ Ihre Hand wanderte zu Lucius' Wange, um ihr die gleiche Aufmerksamkeit zu schenken. „Ich kann mir nicht vorstellen, dass Mr. Potter zugestimmt hätte, wenn ihm so viel daran liegen würde, mit dir nichts zu tun haben zu wollen.“
„Die Freunde“, er hielt kurz inne, um das Wort wirken zu lassen, „meines Sohnes sind nicht zwangsläufig die meinen.“
„Lucius“, ein Seufzer, „du hast dich nie darum geschert, was andere von dir denken. Ich bitte dich, begleite mich auf diese Feier, denn ohne dich wäre ich nur zur Hälfte dort.“
„Es wird ein Desaster werden. Die“, er rümpfte die Nase, „Weasleys werden mir deutlich zeigen, wie störend sie meine Anwesenheit empfinden. Dann wird da noch Dumbledore sein.“
„Ich mag Albus“, warf sie ein. Der alte Zauberer hatte sich rührend um sie gekümmert, als sie noch in Hogwarts lebte.
„Man wird spitze Bemerkungen machen, mich demütigen ...“
Seine Aufzählung unterbrach Narzissa. „Gehe einfach mit gutem Beispiel voran. Begegne den Menschen mit Freundlichkeit. Gib ihnen keinen Anlass, dich ins Visier zu nehmen und du wirst sehen, dass sie dich in Ruhe lassen. Jeder wird wollen, dass die Hochzeit für die beiden ein harmonisches Erlebnis wird. Niemand wird sich dazu hinreißen lassen, diese Harmonie absichtlich zu zerstören.“
Eine Schweigeminute seinerseits, in der er tief ein- und ausatmete. „Von mir aus, ich werde dich begleiten.“ Er schaute zu Charles, der sich in seinem Arm ruhig verhielt. „Außerdem wird Draco jemanden benötigen, der auf den Jungen aufpasst, wenn er das Tanzbein schwingt.“
Als Dankeschön erhielt er einen Kuss von seiner Frau. „Das ist mein Lucius!“
Sie glücklich gemacht zu haben war es wert gewesen. Verliebt beäugte er seine Frau. „Wirst du es tragen?“
„Ja, das möchte ich, es gefällt mir sehr.“ Nochmals schaute sie in den Spiegel, dann zu ihrem Gatten. „Warum bist du gekommen? Wolltest du etwas Bestimmtes von mir?“
„Das wollte ich tatsächlich.“ Lucius ging in die Knie, um Charles auf dem Boden abzusetzen. Das Wort richtete er an den Jungen. „Jetzt zeig deiner Großmutter mal, was du mir vorgeführt hast.“ Mit großen Augen blickte der Kleine seinen Großvater an, der ihm einen Finger reichte. Sofort umfasst Charles den Finger, grinste ihn dabei zahnlos an. „Komm schon, vorhin hast du es so schön vorgemacht.“ Der feste Greifreflex ließ den Finger nicht los, auch nicht, als Lucius ihn immer höher hielt und der Junge seinen Arm strecken musste. Narzissa schaute gespannt zu, ahnte schon etwas. Mit ein wenig Hilfe von Lucius, der mit einer Hand das Gesäß stützte, erhob sich Charles und stand wackelig auf den eigenen Beinen.
Narzissa strahlte über das ganze Gesicht. „Das ist ja wunderbar! Komm her, mein Liebes.“ Die kurze Strecke zwischen Lucius und Narzissa schaffte der Junge nicht, ohne auf das Hinterteil zu plumpsen. Trotzdem wurde er hoch gelobt.

Sie versuchten es noch einige Male, bis Charles vier Schritte gemacht hatte, ohne zu stolpern. Nach einer Weile schaute Lucius auf seine Uhr.

„Narzissa, ich muss noch weg.“
„Heute noch? Was hast du vor?“, fragte sie neugierig.
„Ich treffe mich mit Mrs. Adina von Gorsemoor.“
„Aber wozu?“ Eine Vermutung machte sich in Narzissa breit. „Es geht um eine neue Anstellung von Schwester Marie?“
„So ähnlich, ja. Ich möchte ein paar Dinge mit Mrs. Gorsemoor klären, bevor ich Marie das Angebot unterbreite.“
„Das ärgert dich richtig, nicht wahr?“ Weil Lucius sie fragend anblickte, wurde sie deutlicher. „Dass das Mungos sie einfach rausgeworfen hat.“
„Es ist eine Schande! Man könnte meinen, Professor Puddle hätte lieber meinen Tod in Kauf genommen, anstatt zuzulassen, dass eine Schwester ihre Kompetenzen überschreitet.“ Wütend schnaufte Lucius, stand wieder auf. „Es zählte bislang zu den Pflichten der Familie Malfoy, mit großzügigen Spenden einige der sozialen Einrichtungen zu unterstützen. Das Mungos steht nicht mehr auf meiner Liste.“
„Also suchst du dir eine andere Heilstätte, die zukünftig von uns begünstigt werden soll?“
„Ganz recht! Das Gorsemoor-Sanatorium ist zwar um ein vielfaches kleiner, aber gerade deshalb bestimmt auch dankbarer. Ich dachte mir, die könnten mit einer finanziellen Zuwendung mehr anfangen als eine alteingesessene Einrichtung, die schon seit Jahren nicht mehr auf Geld angewiesen ist.“
Diesmal war es Narzissa, die ihren Enkel auf den Arm nahm. Freudestrahlend blickte sie zu Lucius hinüber. „Es ist so schön zu wissen, dass du auch uneigennützig handeln kannst.“

Seine Lippen zuckten, bevor er sie zwang, sich zu einem Lächeln zu formen. So ganz uneigennützig wollte er das Gorsemoor-Sanatorium nicht unterstützen. Er verlangte etwas im Gegenzug und genau das wollte er mit Mrs. Gorsemoor klären.

Adina von Gorsemoor erwartete Lucius bereits. In ihrem bescheidenen Büro begrüßte sie ihn mit einer Mischung aus natürlicher Herzlichkeit und gesunder Skepsis.

„Guten Abend, Mr. Malfoy. Nehmen Sie doch Platz. Darf ich Ihnen etwas anbieten? Einen Sherry vielleicht?“ Die Dame, knapp über vierzig Jahre, schenkte bereits zwei Gläser ein, so dass Lucius nicht mehr abschlagen wollte.
Er nahm das Glas entgegen. „Vielen Dank, Mrs. Gorsemoor.“

Nach einer belanglosen Plauderei über das Wohlbefinden der Familienmitglieder wechselte Mrs. Gorsemoor zu den Geschehnissen, die man in den Tageszeitungen verfolgen konnte: das dunkle Mal, das bei allen Todessern gebrannt hatte. Auch in ihrer Einrichtung hatte es einen solchen Fall gegeben. Ein älterer Patient, seit Jahren nicht mehr Herr seiner Sinne, erlag der Wunde am Unterarm.

„Ich war“, begann sie zurückhaltend, „ein wenig besorgt, als mich Ihre Nachricht erreicht hat. Mir will kein Grund einfallen, warum gerade Sie mit mir sprechen möchten.“
„Ich bin lediglich auf der Suche nach einem Genesungsheim, dem ich guten Gewissens unter die Arme greifen kann.“
Mrs. Gorsemoor stutzte. „Bisher war das Mungos Ihre bevorzugte Einrichtung. Es ging immer durch die Zeitungen, wenn eine generöse Spende ...“
Mit einem Wink seiner Hand unterbrach er galant, ohne dabei unhöflich zu wirken. „Das Mungos ist weder auf Zuwendung angewiesen noch auf Publicity. Es ist das bekannteste Krankenhaus der magischen Gesellschaft und dazu noch das reichste. In meinen Augen allerdings nicht mehr das kompetenteste.“
„Wenn es nur um eine Spende geht, Mr. Malfoy, dann wäre unsere Finanzabteilung der richtige Ansprechpartner.“
„Ich gebe zu, ich erhoffe mir etwas von unserer“, Lucius legte den Kopf schräg, „Zusammenarbeit.“
Von dieser Aussage schien Mrs. Gorsemoor nicht beeindruckt, sondern angewidert. „Das habe ich mir gedacht und ich muss Ihnen in dieser Hinsicht eine Absage erteilen. Es ist bekannt – das weiß ich unter anderem von ehemaligen Mitarbeitern des Mungos –, dass deren Forschungsabteilung nur im Sinne der Geldgeber arbeitet, nicht aber zum Wohle der Gemeinschaft. Das wird hier nicht passieren!“
„Oh nein, davon spreche ich überhaupt nicht. Lassen Sie mich meine Bitte erst vortragen, bevor Sie sich ein Urteil erlauben.“
„Von mir aus, aber erwarten Sie nicht zu viel.“
„Sie bilden Heiler aus, nicht wahr?“
Mrs. Gorsemoor nickte. „Nicht nur Heiler. Wir bieten Ausbildungsstellen in verschiedenen Fachrichtungen an. Tränkemeister, Kräuterkundler, Experten für Fluchschäden, Gedächniszauber und Vergiftungen. Leider sind die von uns angebotenen Stellen sehr begrenzt.“
„Welche Vertragsbedingungen herrschen in Ihrem Sanatorium?“
„Wir können den Auszubildenden nicht mehr als Vertragsform E anbieten.“
Lucius zog die Augenbrauen in die Höhe. „Das bedeutet, dass Sie nicht einmal für die Lehrmittel Ihrer Schützlinge aufkommen können.“
„Ich weiß, dass das ein Problem ist. Sie können sich denken, Mr. Malfoy, dass ein Sanatorium wenig Geld einnimmt. Wir sind auf Spenden angewiesen. Hätten wir nicht unsere regelmäßigen Zuwendungen, könnten wir gar keine Ausbildungen finanzieren. Der kleine Verdienst, den wir mit dem Herstellen von Tränken erhalten, reicht gerade mal, um den reibungslosen Betrieb dieser Einrichtung aufrechtzuerhalten.“
„Und da wären wir schon bei dem Punkt, der mir am Herzen liegt. Ich würde gern, dass Sie einer Dame ermöglichen, ihre Ausbildung zur Heilerin zu absolvieren. Mit Vertragsform A.“
Mrs. Gorsemoor schüttelte den Kopf. „Das ist nicht möglich. Wir können es uns nicht erlauben, eine Auszubildende in allen Lebenslagen über drei Jahre zu unterstützen.“
„Und da komme ich ins Spiel. Ich möchte finanziell für diese Dame aufkommen.“
„Mr. Malfoy, es geht um die Begabung eines Bewerbers, nicht um die finanziellen Mittel. Wir können nicht jeden nehmen, nur weil wir das Geld dafür bekommen.“
Lucius nahm den letzten Schluck Sherry, stellte das Glas auf den Tisch und blickte der Dame in die Augen. „Sie verstehen mich völlig falsch, Mrs. Gorsemoor. Die Dame ist mehr als fähig, daran wird es nicht mangeln. Ich möchte jedoch für sämtliche Kosten der Ausbildung aufkommen, sozusagen als persönliches Dankeschön. Vertrag A wäre daher angemessen: keinerlei Ausgabe für die Auszubildende und darüber hinaus eine Vergütung, die sich sehen lassen kann.“
„Ich muss ausschlagen, Mr. Malfoy, obwohl mir die Idee gefällt. Es würde nur zu Streitereien unter den momentanen Angestellten kommen, sollten die erfahren, dass eine von ihnen bevorzugt wird, sprich: einen besseren Vertrag bekommen hat.“
„Oh“, machte Lucius einsichtig, „das ist ein Problem. Nun, wäre es vielleicht möglich, dass Sie einen Vertrag mit der Dame machen und ich als Mäzen eingesetzt werde? Dadurch würden gar keine Kosten auf Ihr Haus zukommen. Ich glaube mich zu erinnern, dass es solche Möglichkeiten vor etwa dreißig Jahren gab.“
„Die private Gönnerschaft ist selten geworden, das ist richtig. In unserem Haus gibt es sie schon lange nicht mehr.“
„Nun, ich könnte mit gutem Beispiel vorangehen. Möglicherweise würde das andere Menschen dazu veranlassen, ebenfalls für einen Protegé den Geldbeutel zu zücken.“

Adina von Gorsemoor blieb still und ließ sich den Vorschlag durch den Kopf gehen. Niemand könnte ihr vorwerfen, sie würde eine Angestellte bevorzugen, wenn das Sanatorium die Kosten für die Ausbildung gar nicht tragen müsste. Mehr Förderer von einzelnen Auszubildenden könnten zudem eventuell mehr Geldgeber für die Einrichtung selbst bedeuten.

„Ihr Vorschlag wäre eine Überlegung wert, Mr. Malfoy. Die Dame soll bei mir vorstellig werden.“
„Großartig! Ich danke Ihnen vielmals, dass Sie meine Bitte nicht von vornherein ausgeschlagen haben.“

Abrupt wurde Lucius von einem Gefühl übermannt, das er lange Zeit verdrängt hatte. Er befand sich hier, im Gunhilda-von-Gorsemoor-Sanatorium – dem Haus, in welches seine Mutter vor über vierzig Jahren eingewiesen wurde. Ein Schauer lief ihm über den Rücken.

„Kann ich noch etwas für Sie tun, Mr. Malfoy?“
Sein Anliegen war ihm so ernst, dass es ihm im ersten Moment die Kehle zuschnürte. Beinahe wollte er das Thema fallenlassen, da erinnerte er sich an einen Moment aus seiner Kindheit. Er war es ihr schuldig, wenigstens zu fragen. Lucius gab sich einen Ruck. „Ja, da ist noch etwas. Vor langer Zeit hat mein Vater meine Mutter in Ihr Sanatorium eingewiesen. Ich wollte mich erkundigen ...“ Jetzt war seine Kehle trocken. Er konnte nichts mehr sagen.
„Ihre Mutter? Wenn der Name auch Malfoy ist, dann ist sie keine Patientin hier. Wann in etwa wurde Sie eingewiesen?“
Lucius war im ersten Augenblick nicht einmal dazu in der Lage, korrekte Angaben zu machen. „Vor etwa vierzig Jahren.“ Kopfrechnen fiel ihm schwer, aber er brachte es zustande. Er würde bald fünfzig werden. Mit acht Jahren hatte er sie das letzte Mal gesehen. „Vor 42 Jahren“, verbesserte er.
„Nun, da wurde ich gerade geboren.“ Mrs. Gorsemoor lächelte zaghaft. „Wenn Ihre Mutter in unserem Haus Patientin war, dann wird sich darüber bestimmt etwas in den Akten finden. Ich werde mich erkundigen.“
„Vielen Dank.“ Zum Abschied küsste Lucius die Hand, die sie ihm entgegenhielt. „Und wenn Sie mir jetzt den Weg zu Ihrer Finanzabteilung schildern würden? Ich möchte mich noch um ein weiteres Anliegen kümmern, weshalb ich Ihre Einrichtung aufgesucht habe.“

Eine Spende von 15.000 Galleonen sollte vorerst reichen, entschied Lucius. Es wäre der erste große Betrag, mit dem er das Verlies belasten würde, das sein Sohn für ihn eingerichtet hatte. Das Mungos hatte damals weniger von ihm erhalten, dafür regelmäßig. Mit zufriedenem Lächeln überreichte Lucius dem Herrn von der Finanzabteilung des Gorsemoor-Sanatoriums den Scheck von Gringotts, der aufgrund der Koboldmagie auf der Stelle eingelöst wurde.

In Gringotts befanden sich Verliese, die große Schätze beherbergten. Einige von ihnen waren seit Jahrzehnten nicht mehr geöffnet worden. Manche enthielten magische Wunderwerke, die verborgen bleiben sollten und andere Verliese beinhalteten nur eine kleine Menge Erspartes, wie das von Marie. Für ein halbes Jahr, das hatte sie ausgerechnet, könnte sie von dem Geld leben, wenn sie keine neue Anstellung bekommen sollte. Gleich nächste Woche würde sie damit beginnen, ihre Bewerbungen an bekannte Einrichtungen zu schicken. Darunter war ein Genesungsheim, das von einem Mr. Panagiotis geleitet wurde. Zu lernen gab es dort wenig. Man würde sich um Patienten kümmern, bei denen jede Heilung ausgeschlossen war. Das Gorsemoor-Sanatorium war schon eher nach Maries Geschmack. In diesem Haus wurde nicht nur gepflegt und betreut, sondern auch behandelt und geforscht. Ihre Recherche hatte ergeben, dass in keiner der Einrichtungen eine Vertragsform angeboten wurde, die ihr die Möglichkeit geben würde, eine Ausbildung zur Heilerin zu absolvieren. Meist wurden gerade mal die eigenen Ausgaben für Lehrmittel gedeckt. Im schlimmsten Fall musste man für die Ausbildung noch draufzahlen. Beides konnte sich Marie nicht leisten. Nebenbei gab es etwas, das sich „laufende Kosten“ schimpfte. Die Wohnung gehörte zwar ihr, so dass die Miete wegfiel, aber sie musste für alle Nebenausgaben aufkommen. Wie sie es auch betrachtete, es würde hinten und vorne nicht reichen. Neben einer Ausbildung müsste sie einen Teilzeitjob annehmen, der sie wiederum am Lernen hindern würde.

Marie schmiss ihr Sparbuch auf den Tisch und seufzte. Den ganzen Tag Zuhause herumsitzen ... Das war sie nicht gewohnt. Selbst ihre Wellensittiche schienen durch ihre Anwesenheit verstört. Marie entschloss sich dazu, Sid zu besuchen. Er wohnte am Ende der Winkelgasse, gleich gegenüber von einem Bäcker. Es war ein kleiner Marsch. Die Straße war lang.

Der Mann, der Marie ständig in Gedanken umherschwirrte, saß gerade mit Sirius zusammen. Der Tisch war überfüllt mit Pergamenten, Gesetzesbüchern und -texten und den Anweisungen des Ministers.

„Ich frage mich wirklich, wie wir eine Lösung finden sollen, die beide Seiten zufrieden stellt“, zeterte Sirius, der gerade den Vorschlag des Ministers las, Muggel individuell zu handhaben. „Wie soll das gehen? Als Pettigrew damals die halbe Straße in die Luft gesprengt hat, wie hätte man die vielen Muggeln 'individuell handhaben' sollen?“
Sid kratzte sich an der Stirn. „Selbst wenn wir annehmen können, dass Vorfälle mit solchem Ausmaß die Ausnahme bleiben, hast du völlig Recht. Wenn den Muggeln nicht mehr einfach das Gedächtnis optimiert werden soll, dann benötigen wir eine Menge Hilfskräfte und zwar viele, falls so eine Notsituation eintreffen sollte.“ Mit seiner Feder fuhr sich Sid über die Lippen und dachte nach. „Die wesentlich härtere Bestrafung für unsere Bürger, die im Beisein von Muggeln zaubern, sollte fahrlässiges Verhalten stark eindämmen, aber wir wissen selbst, dass nicht alle magischen Bürger rechtschaffen sind und nicht alle sich von Strafen abhalten lassen. Wir drehen uns da im Kreis.“ Sid nahm ein bestimmtes Pergament in die Hand. „Wie der Minister schildert, gab es in der Vergangenheit Fälle, die von unserer Seite nicht einmal bekannt waren. Malträtierte Muggel, die nicht wussten, wie ihnen geschah und denen wir nicht helfen konnten, weil wir nichts von ihnen ...“ Es klopfte. Vor lauter Staunen zog Sirius beide Augenbrauen in die Höhe. Es war das erste Mal, dass Sid in seinem Beisein Besuch bekam. „Entschuldige.“ Sid erhob sich, um den Gast willkommen zu heißen.

Angestrengt lauschte Sirius, doch die Stimme im Flur konnte er nicht erkennen, nur dass es eine Frau war, die mit Sid sprach. Ein Grinsen konnte sich Sirius nicht verkneifen. Eine Ahnung hatte er. Die bestätigte sich, als Sid erneut das Wohnzimmer betrat und die Tür für den Gast aufhielt. Es war die Krankenschwester. Mit noch breiterem Grinsen stand Sirius auf, um ihr die Hand zu reichen.

„Miss Amabilis, nicht wahr?“
Sie schüttelte seine Hand. „Mr. Black, schön Sie wiederzusehen.“ Sein Grinsen trieb ihr die Röte ins Gesicht. „Ich glaube, ich muss mich bei Ihnen bedanken.“
„Müssen Sie?“, fragte er überrascht nach.
„Für das nette Essen, dass Sie organisiert haben.“ Ihr Gegenüber äußerte sich nicht mehr, doch seine frech funkelnden Augen sprachen Bände. Maries Blick fiel auf die vielen Schriftstücke auf dem Tisch. „Oh, Sie arbeiten. Das tut mir leid, dass ich ohne Anmeldung ...“
Sirius winkte ab. „Setzen Sie sich doch bitte.“

Nachdem Sid seinen Pflichten als Gastgeber nachgekommen war und alle drei mit einer Tasse Tee am Tisch saßen, überflog Sid die viele Arbeit.

„Da fällt mir wieder das ein, was Miss Amabilis neulich vorschlug.“
Sirius hörte aufmerksam zu. „Und das wäre?“
„Dass man mit dem anderen Minister absprechen könnte, Zugang zu sämtlichen Datenbanken zu erhalten. Die von der Polizei, wo sich die Muggel als Erstes hinwenden würden, wenn sie von einem Zauberer belästigt wurden. Auch die Akten von Krankenhäusern und psychiatrischen Einrichtungen, wo Muggel mit Fluchschäden sicherlich landen.“ Sid griff zu einem Pergament, das ihnen der Minister geschickt hatte. „Hier haben wir doch den Beweis, dass ein Muggel sich mit seinen verzauberten Körperteilen an ein Krankenhaus gewendet hat, um sie chirurgisch behandeln zu lassen. Er musste sich unter anderem eine angeschwollene Nase mit einem Skalpell verkleinern lassen. Hätten wir Zugriff auf solche Akten, könnten wir prüfen, ob Magie mit im Spiel ist oder nicht.“
Sirius staunte. „Das hat Miss Amabilis vorgeschlagen?“ Weil sie verlegen nickte, lobte er: „Das sind hervorragende Ideen. Ich hoffe, dass sie umgesetzt werden können. Wir müssen offenbar einen Fuß in die Muggelwelt setzen, damit die große Kluft überwunden wird.“
In den Unterlagen fischte Sid das Stück Pergament heraus, auf dem er diese Punkte schon ausgearbeitet hatte. Er reichte die schriftliche Form von Maries Vorschlägen an Sirius weiter. Der überflog die Punkte und erhob sich unerwartet. „Ich werde das gleich mit dem Minister besprechen. Wenn diese Aspekte erledigt sind, steht dem neuen Gesetzesbuch nichts mehr im Wege.“
„Aber ...“ Sid kam nicht dazu, einen Einspruch einzulegen, denn Sirius verabschiedete sich bereits, um die beiden allein zu lassen.
Nachdem beide hörten, wie die Tür geschlossen wurde, wandte sich Marie an Sid. „Kann es sein, dass Mr. Black alles daran setzt, damit wir uns näher kennen lernen?“
„Das könnte man meinen“, gab er zu, bevor er zögerlich ihre Hand ergriff. „Lust auf einen Spaziergang?“

Ein Spaziergang war etwas Erquickendes, bei dem die Seele die Beine baumeln lassen konnte. Sirius spürte nichts dergleichen, als er sich an den vielen Besucher des gut gefüllten Ministeriums vorbeidrängte. Der Weg war schwierig. Ständig musste er langsamer werden, weil eine Traube von Menschen einfach stehenblieb. Endlich war er in dem Nebenraum angelangt, hinter dessen goldenen Gittern sich die Fahrstühle befanden. Seiner war völlig überfüllt, aber er quetschte sich trotzdem rein und fuhr mit. Über seinem Kopf schwebten unzählige Memos, die nach und nach die verschiedenen Stockwerke aufsuchten, ebenso wie die Menschen im Fahrstuhl. Bis ganz nach oben, wo sich die Büroräume von Arthur befanden, fuhr niemand außer ihm und einem Memo. Zusammen mit dem fliegenden Stück Papier trat Sirius aus dem Fahrstuhl. Das Memo war schneller als er und sauste auf die Vorzimmerdame zu, um sich auf ihrem Schreibtisch zu entfalten und sich selbst in eine der Ablagen einzusortieren. Einige Sekunden später stand Sirius bei der Dame.

„Guten Tag“, er kannte sie bereits, „ich würde gern mit dem Minister sprechen.“
„Der hat gerade Besuch, Sir.“

In diesem Moment wurde die Tür geöffnet. Harry und Kingsley, gefolgt von Arthur, verließen das Büro.

„Harry! Was machst du denn hier?“ Die Begrüßung war herzlich. „Lass dich mal ansehen!“ Sirius wuschelte seinem Patensohn durchs Haar, bemerkte dabei die Stelle, die sonst immer durch eine Narbe verunstaltet war. Mit einem Daumen strich er darüber. „Glatt wie ein Babypopo.“
Kingsley schnaufte amüsiert, während Harry zwei rote Stellen auf den Wangen bekam. „Sirius, warum bist du hier? Wolltest du etwas von mir?“
„Nein, ich wollte mir den Minister zur Brust nehmen.“ Er zwinkerte Arthur zu. „Eine Viertelstunde, mehr brauche ich nicht.“
Arthur stöhnte. „Von mir aus.“ Seiner Vorzimmerdame gab er die Anweisung, alle folgenden Termine gleich um eine halbe Stunde zu verschieden, denn er kannte Sirius.
Kingsley legte eine Hand auf Harry Schulter. „Können wir?“
„Bin bereit.“
Sirius stutzte. „Wo soll es denn hingehen?“
„Wir besuchen eine Frau, einen Muggel. Außerdem will Kingsley mit einem Psychiater reden“, erklärte Harry.
„Du, Kingsley?“ Sirius versuchte, eine ernste Miene aufzusetzen und schüttelte vorwurfsvoll den Kopf. „Bei Alastor hätte ich das vermutet, aber bei dir?“
„Es ist nicht so wie es scheint. Ich werde dir später davon erzählen. Möglicherweise würde das bei der Problematik mit Muggeln helfen, die mit Magie in Berührung gekommen sind.“ Kingsley legte seine Hand auf Harrys Rücken und schob ihn an Sirius vorbei. „Wir müssen jetzt, wir haben einen Termin.“

Das Ziel von Kingsley und Harry war die Praxis eines Psychiaters der Muggelwelt, aber nicht irgendeines. Er war ein Squib, kannte sich also bestens in der magischen Gesellschaft aus. Sie wollten sich dort mit Miss Eleanor Monaghan treffen, der Dame, die ihren Sohn seit knapp vierzig Jahren suchte und sich nur Hopkins angeschlossen hatte, um überhaupt eine Verbindung zur Zaubererwelt aufzubauen. Der Psychiater, ein Dr. Fueller, könnte in Zukunft für weitere Muggel eine wichtige Anlaufstelle sein. Die Sprechstundenhilfe war eingeweiht und begrüßte Harry und Kingsley freundlich.

„Sie sind ein wenig zu früh, Mr. Shacklebolt. Die Dame ist schon hier, aber Dr. Fueller hat vorher noch für eine halbe Stunde einen Patienten. Sie können gern im Wartezimmer Platz nehmen.“

Der Sprechstundenhilfe nickte Kingsley dankend zu. Er überließ es Harry, den Weg ins Wartezimmer anzusteuern. Solche Einrichtungen gab es in der Zaubererwelt nicht. Die magische Welt wies große Krankenhäuser und Heilstätten auf, nur selten einzeln praktizierende Heiler, aber keine, die sich um das seelische Wohlergehen kümmerten. Harry hatte die Tür gefunden, auf der „Wartebereich“ stand. Er trat furchtlos ein und wurde sofort von einer weiblichen Stimme freundlich begrüßt. Als Kingsley an der Tür stand und sich einen Überblick verschaffte, rutschte ihm beim Anblick eines anderen, wartenden Patienten das Herz in die Hose. Der muskulöse Mann im Wartezimmer hatte seinen Blick auf Harry und die Frau gerichtet, schaute dabei mehrmals für den Bruchteil einer Sekunde auf seine Armbanduhr. Kingsley kannte ihn. Es war Geoffreys. Wie versteinert betrachtete er den Mann, mit dem er einmal zusammengearbeitet hatte. Auffällig war der wiederholte Blick auf die Uhr. Als Harry bereits ein Gespräch mit der Dame begonnen hatte, wandte Geoffreys seinen Blick von den beiden ab und bemerkte erst jetzt, dass noch ein Mann anwesend war. Ihre Blicke trafen sich.

Kingsley musste etwas sagen, irgendetwas. „Geoffreys?“
Das Flüstern hatte sogar Harrys Aufmerksamkeit erregt. Sein Blick wanderte von Kingsley zu dem anderen Patienten, dann wieder zurück zu Kingsley, bevor er von Miss Monaghan abgelenkt wurde.
Geoffreys erhob sich. Wieder huschte sein Blick auf die Armbanduhr, bevor er Kingsley fragend anblickte. „So, wie Sie aussehen, könnten wir uns vom Boxen kennen?“ Geoffreys war unsicher, konnte mit dem dunkelhäutigen Gesicht nichts anfangen.
„Wir ...“ Wut kam in Kingsley auf. Wut auf Abrahams, den ehemaligen Leiter der Abteilung für Magische Unfälle und Katastrophen, der nach Gutdünken über den Einsatz von Vergissmich verfügt hatte. „Sie haben mich einmal zu einem Boxkampf eingeladen“, bestätigte Kingsley ungewohnt zurückhaltend, „aber dazu kam es leider nicht. Wir haben uns aus den Augen verloren.“
„Aha ...“ Geoffreys setzte sich wieder, schaute auf seine Uhr. Er wirkte verloren, ganz anders als der selbstsichere Mitarbeiter des Inlandsgeheimdienstes, den Kingsley während der Evakuierung von Hogsmeade kennen gelernt hatte. Langsam näherte sich Kingsley dem Muggel, setzte sich auf den gepolsterten Plastikstuhl daneben. Geoffreys schaute abermals auf seine Uhr, dann zu seinem Sitznachbar. Er spielte nervös mit dem Armband an seinem Handgelenk, während er fragte: „Von woher kennen wir uns?“
„Wir ...“ Kingsley wurde unterbrochen, als ein sehr junger Mann mit zwei dampfenden Bechern in den Händen das Wartezimmer betrat. Einen von den Bechern Kaffee reichte er Geoffreys, bevor er Kingsley skeptisch musterte.
„Das ist mein Sohn“, stellte Geoffreys den jungen Mann vor.
Höflich erhob sich Kingsley und grüßte den Spross, der gleich wissen wollte: „Kennen Sie sich?“
„Ja“, gab Kingsley zu.
„Woher? Von der Arbeit?“ Der junge Mann war gesprächiger als sein Vater.
„Das kann man so sagen.“
Als der junge Mann nickte, fielen ihm die schulterlangen Haare ins Gesicht. „Hatten Sie so ein Geheimding am Laufen? Mein Dad durfte früher nie darüber reden.“
„Es war geheim, das stimmt.“ Zu geheim, fügte er in Gedanken hinzu, sonst wäre dem fähigen Geheimdienstler dieses Schicksal erspart geblieben.
Geoffreys hielt sich aus dem Gespräch raus, starrte lieber weiterhin auf seine Uhr. „Dad, lass das“, bat der junge Mann, den nicht älter als achtzehn Jahre sein konnte.
Kingsley wandte sich an seinen damaligen Muggelkollegen. „Warum sind Sie hier? Was ist mit Ihnen passiert?“
Nochmals blickte Geoffreys auf seine Armbanduhr, bevor er Kingsley ansah und ein paar Male blinzelte, doch er bekam kein Wort heraus. Sein Sohn brachte die erhoffte Erleuchtung. „Es gab angeblich einen Unfall, eine Explosion, aber ich glaub nicht dran.“
Man hatte Geoffreys und seinen Männern die Erinnerungen gelöscht und suggeriert, es hätte einen Unfall auf dem Sprengplatz gegeben, wusste Kingsley. „Warum glauben Sie das nicht?“, fragte er den neugierigen Burschen, den er unter anderen Umständen noch duzen würde.
„Kommen Sie ... Warum sollte eine Explosion einen Gedächtnisverlust nach sich ziehen? Mein Vater hatte nicht einen einzige Kratzer am Leib, also war er nicht mal gefährlich nahe dran.“ Ein Schluck Kaffee befeuchtete den Mund, bevor der junge Mann mutmaßte: „Ich tippe auf Gehirnwäsche! Leider weiß ich nicht genau, was mein Vater so gearbeitet hat, aber wenn er hinter irgendein Geheimnis gekommen ist, dann kann ich mir vorstellen, dass man ihn zum Schweigen bringen wollte.“
„Gehirnwäsche?“, wiederholte Kingsley fassungslos. Der Junge hatte den Nagel auf den Kopf getroffen.
„Ja, so wie die Russen das früher gemacht haben. Mein Vater ist seit seinem 'Unfall' ein ganz anderer.“ Nochmals sah er mit an, wie sein Vater auf die Uhr blickte und verzog deswegen den Mund. „Außerdem ist seine Phobie, jemand könnte ihm Zeit stehlen, nur ein weiteres Indiz dafür, dass man an seinem Gehirn rumgepfuscht hat.“ Plötzlich blickte der junge Mann Kingsley eindringlich in die Augen. „Warum erzähl ich Ihnen das eigentlich? Sie könnten einer von denen sein, die dafür verantwortlich sind!“
Gerade wollte sich Kingsley verteidigen, da warf Geoffreys mit müder Stimme ein: „Wir wollten nur zusammen zum Boxen gehen.“
„Mr. Geoffreys?“ An der Tür stand Dr. Fueller, gekleidet in einen braunen Tweed-Anzug und offener Krawatte. Die anderen Anwesenden waren ihm nicht entgangen. „Oh, Sie müssen Mr. Shacklebolt sein.“ Dr. Fueller begrüßte seine Gäste, auch Harry und Miss Monaghan. „Ich habe noch einen Termin, danach bin ich für Sie da.“ Er hielt Geoffreys die Hand entgegen. „Guten Tag, Mr. Geoffreys. Kommen Sie doch bitte ins Sprechzimmer.“

Geoffreys blickte zwanghaft auf seine Uhr, gehorchte aber ohne zu murren und folgte Dr. Fueller. Harry hatte in der Zwischenzeit ein nettes Gespräch mit Eleanor geführt. Man duzte sich bereits. Trotzdem war ihm Kingsleys Begegnung mit dem anderen Patienten nicht entgangen, aber er konnte sich bisher keinen Reim darauf machen. Der Auror saß neben dem Sohn von Geoffreys und reichte dem jungen Mann die Hand.

„Ich habe mich noch gar nicht vorgestellt. Ich bin Kingsley Shacklebolt.“
Der Heranwachsende schüttelte die kräftige Hand. „Joel Geoffreys.“ Joel wusste nicht recht, was er von Kingsley halten sollte. „Sagen Sie schon, was haben Sie mit meinem Dad zusammen erlebt? Sind Sie auch beim MI5 oder woher kennen Sie meinen Vater?“
„Von seiner letzten Mission“, beichtete Kingsley schuldbewusst.
„Heißt das, es geht Ihnen genauso wie ihm? Sind Sie deswegen hier bei Dr. Fueller in Behandlung?“ Weil Kingsley den Kopf schüttelte, wurde Joel einen Moment ganz still. Langsam begann er zu verstehen. „Sie wissen, was damals passiert ist!“ Wut schwang in dem Vorwurf mit. Er wurde lauter. „Erzählen Sie es mir auf der Stelle!“
„Hey“, Harry verschaffte sich Gehör, „alles in Ordnung da hinten?“
Kingsley nickte ihm zu, wandte sich gleich darauf an Joel, der sich unter Kontrolle gebracht hatte. „Ich denke, ich werde Ihrem Vater helfen können. Es ist eine prekäre Angelegenheit – nicht mit wenigen Worten zu erklären.“
„Versuchen Sie es! Ich bin mittlerweile für alles offen: Entführung durch Außerirdische, Gedankenmanipulation durch HAARP, geheime Tests der Pharmaindustrie, giftige Chemtrails am Himmel ... Ich habe mich eingelesen. Glauben Sie mir, ich kenne mich mittlerweile aus und all das scheint mir plausibler als die an den Haaren herbeigezogene Erklärung eines nicht rekonstruierbaren Unfalls, über den es nicht einmal Aufzeichnungen gibt.“
„Haben Sie bei Ihrer Recherche auch Hexen und Zauberer mit einbezogen?“ Kingsley lächelte Joel milde an, zeigte damit, dass er ihn nicht auf den Arm nehmen wollte.
„Von welcher Art Zauberer sprechen wir hier? Von den ganz Großen, wie Harry?“ Als Joel diesen Namen nannte, öffnete sich Kingsleys Mund von ganz allein, während Harrys Kopf herumschnellte. Joel wurde genauer: „Ich meine Harry Houdini! Der sollte eigentlich bekannt sein.“
„Ähm“, Kingsley räusperte sich, „den würde ich als Trickkünstler betiteln, aber als einen ausgezeichneten.“
„Erzählen Sie es mir endlich, Mr. Shacklebolt. Ich liege mit Gehirnwäsche richtig, oder?“ Der junge Mann hatte sich offensichtlich viele Gedanken darüber gemacht, was seinem Vater zugestoßen war. Er erinnerte sich noch daran, dass Abrahams seine eigene Idee mit dem Unfall lobte, obwohl Kingsley Zweifel gekommen waren, ob diese Lösung die richtige war.
„In gewisser Weise ...“ Ein Nicken sollte Joels Vermutung bestätigen. „Ich verspreche, dass ich Ihrem Vater helfen werde. Geben Sie mir Ihre Adresse und ...“
„Nichts da! Ich bin doch nicht wahnsinnig und gebe einem wildfremden Mann meine Adresse. Vielleicht wollen Sie nur das erledigen, was Ihre Kollegen bei meinem Vater verschlampt haben? Nein, nicht mit mir. Ich mache Ihnen einen anderen Vorschlag.“ Joel hielt seine Hand auf. „Sie geben mir Ihre Visitenkarte und wir melden uns bei Ihnen.“
„Sie sind ein harter Brocken“, scherzte Kingsley, um die Situation wieder zu entspannen.
Joel hob und senkte die Schultern. „Jeder, der behauptet, Paranoia würde nicht ansteckend sein, der lügt. Durch meinen Dad bin ich übervorsichtig geworden. Es ist nichts Persönliches, Mr. Shacklebolt, aber ich vertraue Ihnen einfach nicht. Ich würde mich nicht einmal mit Ihnen unterhalten, würden wir nicht in der Praxis eines Therapeuten sitzen.“ Joel spielte die Sache herunter. „Vielleicht sind Sie ja doch nur ein Patient.“
„Bin ich nicht, das versichere ich Ihnen.“ Aus seinem Umhang zog Kingsley ein Kärtchen. „Meine Visitenkarte ist eigentlich nicht für Ihre Augen bestimmt und Sie werden auch nicht viel damit anfangen können.“
Harry, der ein paar Stühle weiter saß und mit einem Ohr der Unterhaltung der Männer gelauscht hatte, gab sich einen Ruck und griff ein. „Kingsley? Nicht, dass du Ärger bekommst.“
„Schon gut, Harry. Ich nehme das auf meine Kappe.“ Die Karte in seiner Hand reichte er an den jungen Mann weiter.
Joel betrachtete die Geschäftskarte, las das Wort „Zaubereiministerium“ und schnaufte vor Lachen. „Sie wollen mich auf den Arm nehmen! Solche Visitenkarten kann sich jeder Scherzbold überall anfertigen lassen. An der Tankstelle gegenüber steht auch so ein Automat, wo man ...“ Plötzlich flackerte ein Licht auf der Karte. Eine Art bewegliches Passbild von Kingsley huschte von rechts nach links, was Joel staunend verfolgte. Das Bild blieb an der Seite stehen. Rechts davon erschienen ein paar Wörter, die Joel vorlas: „'Leiter der Autoren-', nein, 'Aurorenzentrale – Kingsley Shacklebolt'.“ Der junge Mann stutzte. „Ist das eine kleine LCD-Anzeige?“ Er drehte die Karte, fand auf der Rückseite aber nichts. „Wie geht das? Die Karte ist viel zu dünn.“
„Das Stichwort ist 'Magie'“, erklärte Kingsley gelassen und sah dabei zu, wie Joels Miene immer verbissener wurde, als er langsam verstand. Keine Außerirdischen, sondern Hexen.

Unerwartet sprang der junge Mann auf und lief nach draußen. Die Sprechstundenhilfe war zu hören, als sie Joel aufhalten wollte, doch der hatte längst die Tür zu Dr. Fuellers Büro aufgestoßen. Noch im Wartezimmer konnte man die Stimme des aufgebrachten Mannes hören.

„Komm, Dad. Wir müssen gehen, sofort!“
„Mr. Geoff...“
„Halten Sie Ihren Mund!“, ranzte der junge Mann den Arzt an. Eine kurze Pause, dann viel sanfter: „Zieh deine Jacke an, Dad.“
Vorsichtig ging Kingsley zum Flur hinüber und erreichte ihn in dem Moment, als Joel seinen Vater am Oberarm aus dem Sprechzimmer herausführte. Dr. Fueller war gleich hinter den beiden. Er schien genauso verwirrt wie Kingsley selbst.
Der Doktor wollte den jungen Mann aufhalten. „Wenn Sie mir erklären könnten, was hier ...?“
„Sein Sie still!“, zischte Joel angriffslustig. „Sie gehören doch zu denen. Sagen Sie, hat man Sie extra auf meinen Dad angesetzt oder war das nur Zufall?“
Dr. Fueller wurde ungeduldig. „Ich verstehe wirklich nicht, was Sie meinen!“
Joel konnte seine Lautstärke nicht mehr beherrschen, auch vergriff er sich bei der Wortwahl, als er schrie: „Ich meine die Scheiße, die Sie seit Monaten mit meinem Vater abziehen!“
„Ich versuche, Ihrem Vater zu helfen“, verteidigte sich Dr. Fueller.
„Sie versuchen ihm einzureden, dass alles nur ein Unfall war, aber es war keiner!“

Während Joel und Dr. Fueller sich in die Haare bekamen, ging Geoffreys ein paar Schritte zurück. Er wich den lauten Stimmen. Er suchte Ruhe und fand sie, als er zufällig neben dem immer so bedächtigen Kingsley stand. Der ehemalige Geheimdienstler blickte auf seine Uhr, um die Zeit immer im Auge zu behalten. Man hatte ihm schon einmal eine ganze Nacht gestohlen, davon war er überzeugt.

„Geoffreys?“ Als er seinen Namen hörte, blickte er dem dunkelhäutigen Mann in die Augen und hörte zu, als der leise sagte: „Es tut mir aufrichtig leid. Ich hätte das verhindern müssen.“
„Das ist doch nicht Ihre Schuld“, wisperte Geoffreys, der gleich darauf in seine Innentasche griff und ein Portmonee herausnahm. Aus dem hinteren Fach für Geldscheine zog er eine Freikarte, die er Kingsley reichte. „Wir können immer noch zum Boxkampf gehen. Seien Sie eine Viertelstunde vor Beginn am Eingang. Bloß nicht zu früh, sonst ...“ Ein vorsichtiger Blick auf seine Armbanduhr. „Die Zeit ist sehr kostbar, wissen Sie?“
Kingsley musste sich arg zusammenreißen. Betroffen legte er eine Hand auf Geoffreys Schulter und drückte ermutigend zu. „Ich verspreche, dass ich Ihnen helfen werde. Irgendwie ...“
Joel war plötzlich bei den beiden, nahm seinen Vater an die Hand und murmelte: „Komm, wir gehen. Das ist ja zum Aus-der-Haut-Fahren!“

Vater und Sohn verließen die Praxis. Dr. Fueller ahnte, dass er keinen von beiden wiedersehen würde.

„Was ist nur ihn den jungen Mann gefahren?“, fragte er in den Raum hinein. „So kenne ich ihn gar nicht.“
Kingsley war der Einzige, der die gesamte Situation erklären könnte, doch er schwieg. Zu sehr belastete ihn das Schicksal dieses Mannes, aber auch die Tatsache, dass ihm damals die Hände gebunden waren. „Hat er seinen Vater immer begleitet?“
„Ja, Mr. Shacklebolt. Dreimal die Woche und das seit über einem halben Jahr.“
„Wir müssen uns ...“ Kingsley schluckte kräftig. „Ich möchte mich später mit Ihnen über Mr. Geoffreys unterhalten, aber erst einmal sprechen wir mit Miss Monaghan und über eine weitere Zusammenarbeit wegen ähnlicher Fälle“, empfahl Kingsley, dem es schwerfiel, die besonnene Miene aufrechtzuerhalten.

Eigentlich hatte man sich heute hier getroffen, um mit Miss Monaghan den Anfang zu wagen – eine Gesprächstherapie mit jemandem, der all die Dinge verstand, die ihr auf dem Herzen lagen. Der Anblick von Geoffreys hatte ihn völlig aus der Bahn geworfen. Eine Sache gab es, um die sich Kingsley sofort kümmern wollte, wenn er nachher im Ministerium war: Er würde das Formular ausfüllen, auf welchem die Bürger der magischen Gesellschaft jene Muggel eintragen konnten, die sie als Freunde betrachteten und somit in magische Belange eingeweiht werden durften. Möglicherweise könnte er Arthur dazu überreden, ihm eines der ministeriumseigenen Denkarien zur Verfügung zu stellen. Kingsley wollte alles wiedergutmachen.


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