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Harry Potter und die Schatten der Vergangenheit - Eine Kunst für sich

von Muggelchen

Als sich die vielen Zauberstäbe zu seinen Füßen mit einem Male bewegte, zuckte Harry erschrocken zusammen, blickte nach links, um die Ursache auszumachen. Kingsely beförderte sie mit seinem Stab auf einen Haufen und ordnete sie so an, dass er sie als Beweismaterial mitnehmen konnte. Irgendetwas weckte Deans Interesse, denn er näherte sich dem Stapel und ging in die Knie, legte den Kopf schräg, um etwas zu betrachten. Seine Hand schoss nach vorn und zog einen beigefarbenen Stab heraus.

Tonks fühlte Mitleid, fragte daher vorsichtig: „Kanntest du den Besitzer?“
„Nein“, Dean betrachtete den Gegenstand, „das hier ist kein Zauberstab.“
Endlich hatte Harry fürs Erste den Schrecken überwunden. „Nicht?“
Dean schüttelte den Kopf. „Das ist ein Drumstick von Vater.“
„Vater?“
„Der Hersteller heißt so.“ Dean stand auf und zeigte Kingsley, Tonks und Harry das V-Logo am Ende des Handgriffs. „Ist zwar schon leicht abgenutzt, aber man sieht es noch. Der Mann“, Dean nickte zu Hopkins hinüber, „hat einen Schlagzeuger auf dem Gewissen.“
Kingsley musste sich Mühe geben, seine Stimme ruhig zu halten. „Wir haben über einige Jahre verteilt 95 Todesfälle von Zauberern und Hexen verzeichnet. Man hat sie sterbend oder tot gefunden, doch kein Einziger hatte noch einen Stab bei sich.“ Mit der Spitze seines Stabes deutete er auf den Haufen, der sich zu seinen Füßen gebildet hatte. „Das hier sind mehr als 95 Stäbe. Wir nehmen alle mit, auch den ...“ Ihm war das Wort entfallen und zeigte er auf den Stab, den Dean hielt.
„Drumstick.“
Kingsley nickte. „Das ist bestimmt für den anderen Minister interessant. Wer weiß, wieviele mysteriöse Mordfälle in der Muggelwelt damit aufgelöst werden können.“
Bevor Harry fragen konnte, musste er kräftig schlucken. „Wieviele Stäbe sind das?“
„Nicht jetzt, Harry“, bat Kingsley, dem der Fund sehr Nahe ging. Er wollte sie mitnehmen und später zählen.

Jedem von der DA gingen beim Anblick der Stäbe Namen durch den Kopf. Namen von Menschen, von denen sie wussten, dass sie seit dem Krieg vermisst wurden. Auch Harry. Auf der Hochzeit von Draco und Susan hatte er sich kurz mit Blaise unterhalten, hatte etwas von seiner Flucht zusammen mit Pansy erfahren, aber auch darüber, dass seine Mutter nicht auffindbar wäre und die von Pansy ebenfalls nicht.

Seinen Stab hob Harry nur unmerklich. Von Neugier getrieben flüsterte er: „Accio Mrs. Zabinis Zauberstab.“

Ein melodisches Klimpern wie von einem Xylophon war zu vernehmen, als sich der Stab von Mrs. Zabini einen Weg durch die anderen bahnte, um dem Aufrufezauber zu folgen. Er landete in Harrys Hand. Die Gewissheit, dass Blaise' Mutter mit größter Wahrscheinlichkeit nicht mehr unter den Lebenden weilte.

„Harry, bitte ...“ Kingsley wollte das nicht hier klären. „Ich nehme die Stäbe mit ins Ministerium.“ Als er sich umdrehte, bemerkte der dunkelhäutige Auror, dass die gesamte DA hinter ihm stand. Einige mit Besen in der Hand, andere ohne. Die Thestrale flogen mit sanftem Flügelschlag weit über ihnen und erwarteten den Heimflug. „Ihr solltet jetzt gehen und ...“ Er zog Harry und Dean weiter nach hinten, damit ihn niemand außer die DA hören würde. „Ich erwarte, dass die Geschichte von jedem von euch mit der des anderen übereinstimmt. Es wäre doch ärgerlich, wenn in meinem Bericht Unstimmigkeiten auftauchen und man euch vielleicht noch irgendwas vorwirft.“
„Ist doch ganz einfach“, warf Ron ein. „Wir haben alle einen Ausflug gemacht, eine Art Klassentreffen. Und als wir zufällig hier drübergeflogen sind, haben wir Hilferufe gehört. Da sind wir natürlich runter, um nachzusehen und ...“
Kingsley stoppte ihn mit hochgehaltener Hand. „Ja, das dachte ich mir.“ Er musste lächeln. „Ginny würde ab einem gewissen Punkt eure Aussagen sicherlich bestätigen können.“ Indirekt machte er ihnen klar, dass sie ihre Aussagen untereinander wasserdicht machen sollten. „Ich werde euch im Laufe des Tages verhören.“ Kingsley blickte nach oben. „Charlie muss sich etwas sehr Gutes überlegen. Es ist strafbar, ein magisches Tier den Muggeln zu zeigen.“
Besorgt erkundigte sich Harry: „Der Drache ist aber nicht in Gefahr, oder? Ich will nicht, dass ihm etwas ...“
„Es wird eine saftige Geldstrafe auf ihn warten“, winkte Kingsley ab. „Auf Charlie, versteht sich.“
Erleichtert nickte Harry. „Schick die Rechnung zu mir, okay?“ An seine Freunde gewandt forderte Harry: „Ab auf die Besen und die Thestrale. Wir treffen uns in Hogwarts.“
„In der großen Halle“, nahm Ron vorweg.
„Von mir aus auch dort. Wir haben einiges zu bereden. Geht schon vor, ich komme nach.“
Ron wurde stutzig. Während die anderen alle aufsaßen und sich schon in die Lüfte erhoben, stellte er sich neben seinen besten Freund und zupfte an dessen Umhang. „Warum kommst du nicht mit, Harry?“
„Ich möchte noch etwas mit Kingsley bereden.“
„Und da darf ich nicht dabei sein?“
Harry musterte seinen Freund, bevor er nickte. „Doch, darfst du.“ Seinen Blick ließ er über den Innenhof schweifen. Die meisten Muggel waren schon weggebracht worden, auch Hopkins. Der Heiler, der die Diagnose gestellt hatte, war nicht mehr da und Harry vermutete, dass er Hopkins direkt ins Mungos begleitet hatte. „King?“
„Was ist, Harry?“
„Gib mir bitte die Stäbe.“
Der Wunsch war außergewöhnlich. „Das kann ich nicht machen, Harry. Das ist Beweismaterial.“
„Du bekommst sie nachher alle wieder, wenn du uns verhörst. Sogar mit den Namen der Besitzer“, versicherte Harry mit ernster Miene.
„Harry, ich kann dir nicht einfach ...“
Tonks schaltete sich ein. „Ich geh mit und geb Acht.“
Kingsley war überredet. Wenn es ihm eine Menge Arbeit ersparen würde, war er bereit, Harry die vielen Zauberstäbe zu überlassen. Er hatte schon eine Ahnung, was Harry damit anstellen wollte und nur deshalb gab er nach. „Gut, aber dass ich sie ja nachher zurückbekomme!“
„Kein Problem.“

Das Bündel Zauberstäbe hatte mehr Umfang als ein Quaffel. Harry vergrößerte sein unbenutztes Taschentuch und wickelte es um das Bündel. Seinen Besen ließ er von Seamus mitnehmen, der von Ron wurde von Dean in Obhut genommen.

Nachdem die anderen abgezogen waren, wandte sich Harry an die anderen beiden. „Wir apparieren.“
Mit hochgezogener Augenbraue wollte Tonks wissen: „Und wohin geht es?“ Sie wollte nur eine Bestätigung haben, denn wie auch Kingsley wurde sie von einem bestimmten Gefühl heimgesucht.
„In die Winkelgasse.“ Harrys Antwort bestätigte ihre Vermutung.

Bis nach London war es von Clova aus eine weite Strecke. Über 800 Kilometer. Harry legte drei Zwischenstopps ein. Er selbst hätte diese Strecke wahrscheinlich am Stück geschafft, aber die anderen beiden nicht. Nach dem dritten Stopp materialisierten sie sich in der Winkelgasse. Eine ältere Dame, die mit ihrem Hund spazieren ging, erschrak sich kurz, führte ihren Weg aber unbeirrt weiter, als sie die drei einmal betrachtet hatte. Im Vorbeigehen bemerkte Harry, dass der Hund der Frau sein Geschäft auf dem Gehweg verrichtete, doch wie von Zauberei verschwand das Häufchen. Das war also das Geheimnis der immerzu sauberen Winkelgasse, dachte sich Harry. Weil es Sonntag war, hatte kein Geschäft geöffnet, bis auf die Restaurants, Bäckereien und natürlich Florean Fortescues Eissalon, von dessen Inhaber sie im Vorbeigehen persönlich gegrüßt wurden. Das Ziel war bald erreicht. Zögerlich blieb Harry an einem Geschäft stehen, das jeder Zauberer und jede Hexe im Land kannte. Ollivanders.

„Harry, der hat heute geschlossen.“ Das Schild an der Tür war kaum zu übersehen.
„Er wird da sein“, murmelte Harry und klopfte dreimal. Nach einer kurzen Pause klopfte er nochmals. Nebenbei blickte er ins Schaufenster und beäugte einen Zauberstab, der auf einem roten Kissen ausgestellt wurde. Bevor er nochmal anklopfte, sah er drinnen bereits einen Schatten. Mr. Ollivander kam zur Tür, spähte durch die Scheibe und zog erstaunt beide Augenbrauen in die Höhe.
Kaum hatte er die Tür geöffnet, sagte er: „Jeder von Ihnen kann lesen, da bin ich mir ganz sicher, also muss es etwas Dringendes sein, wenn Sie trotzdem Einlass begehren.“
Harry nickte. „Guten Tag, Sir. Da haben Sie Recht, es ist dringend. Dürfen wir eintreten?“
„Nun, bevor man mich für unhöflich hält, wünsche ich Ihnen auch erst einmal einen guten Tag.“ Er ging von der Tür weg. „Treten Sie doch bitte ein.“ Als er die Tür weiter öffnete, läutete die Ladenglocke mit hellem Klang. „Wir gehen besser nach hinten durch, dort kann ich Ihnen einen Platz anbieten.“

Mittlerweile wusste auch Ron ganz genau, was Harry vorhatte. Mr. Ollivander führte die drei in einen Raum, den keiner von ihnen bis dato betreten hatte. Im Vergleich zum Verkaufsraum war die Werkstatt nicht von beengender Atmosphäre. Hier war es hell und geräumig. Zwischen den Schränken hingen Bilder an den Wänden, Bilder von Bäumen und Sträuchern: Ulme, Robinie, Pappel. Auf dem Tisch und dem Boden lagen lauter Späne. Überall fand man fein sortiert Äste und größere Holzscheite, dazu viele Messer, Gartenscheren und Fräsgeräte, aber auch fremdartige Werkzeuge, die Harry nicht benennen konnte. Am Tisch in der Mitte waren Schraubzwingen verschiedenster Größen befestigt. In einem hatte Mr. Ollivander einen Stab eingespannt, um den Kern einzuarbeiten. Harry hatte sich schon immer gefragt, wie das vonstatten gehen würde. In diesem Raum roch es so frisch wie in einem Wald. Weiter hinten in der Werkstatt hatte Mr. Ollivander eine kleine Sitzecke eingerichtet, falls er sich während der Arbeit mal ausruhen wollte. Eine Tasse mit Tee dampfte vor sich hin.

„Setzen Sie sich doch bitte“, bot er an und deutete auf die Stühle.
Harry schüttelte den Kopf. „Ich würde lieber stehen.“ Als der Gastgeber nickte, dabei seine Tasse vom Tisch nahm, ergriff Harry die Gelegenheit, das schwere Bündel auf die freie Fläche zu legen. Das weiße Taschentuch verkleinerte er wieder. Den Zauber von Kingsley hob er auf, damit er die Stäbe in Reih und Glied präsentieren konnte. Mr. Ollivander hörte man erschrocken Luft holen.
„Was soll das werden?“, fragte der alte Zauberstabmacher. Seine Augen überflogen die Stäbe. Viele waren aus seinem Haus, auch der dunkelste, den er in die Hand nahm. „Kamerun-Ebenholz, Drachenherzfaser, 15 Zoll, unbiegsam. Mr. Priscum hat ihn vor 109 Jahren bei mir erworben.“

Der Name war Tonks ein Begriff. Mr. Priscum war Anfang des Jahres von Madam Rosmerta als vermisst gemeldet worden. Er alte Zauberer hatte die Drei Besen verlassen und war nicht mehr gesehen worden.

Mr. Ollivander nahm einen Stab anderen in die Hand. „Kastanie, Einhornhaar, 12 ¼ Zoll, sehr steif.“ Er blickte Harry in die Augen. „Das ist der Stab von der jungen Miss Bobbin! Woher haben Sie all die Stäbe?“ Wütend griff er zum nächsten Stab. „Eschenholz, Fwuuperfeder, 8 ¾ Zoll, federnd. Ein wunderschöner Stab, genauso edel wie seine Besitzerin Mrs. Zabini.“ Alle drei Stäbe legte er wieder auf den Tisch. Seine runzligen Hände zitterten, so aufgebracht war er. „Wenn Sie die Güte hätten mich aufzuklären?“ Seine Stimme deutete darauf hin, dass er mit dem Schlimmsten rechnete.
„Diese Stäbe“, begann Harry vorsichtig zu erklären, „gehören vermissten Zauberern und Hexen. Wir brauchen die Namen, Sir. Ich dachte mir, Sie könnten sich vielleicht an die Käufer erinnern, falls die Stäbe von Ihnen stammen.“
„Natürlich kann ich mich an jeden einzelnen Stab erinnern, den ich je verkauft habe!“ Mr. Ollivander schien beinahe beleidigt. „Vermisst sind diese Personen, sagen Sie? Warum glaube ich Ihnen nicht, Mr. Potter?“ Die blasssilbernen Augen des alten Mannes leuchteten nicht wie sonst.
Tonks war so frei, die Gesprächsführung zu übernehmen. „Wir vermuten, dass die Besitzer dieser Stäbe tot sind.“
„Tot?“ Nochmals blickte er auf den Tisch und erkannte das volle Ausmaß des Unglücks. Hinter jedem Stab verbarg sich ein Mensch, dessen Schicksal unbestimmt war. Das Schlimmste für Mr. Ollivander war jedoch, dass er mit jedem einzelnen Stab aus seinem Haus das strahlende Gesicht eines fröhlichen Kindes vor Augen hatte.
„Sir?“, Tonks riss ihn aus seinen Erinnerungen. „Wir benötigen die Namen, um das Schicksal derer ...“
„Tot“, unterbrach Mr. Ollivander murmelnd. Die Worte von Tonks hörte er nicht mehr, als sein Blick über sein Handwerk huschte, seine Kinder. „Alle tot?“ Seine Finger glitten liebevoll über die Hölzer, bevor er bei einem innehielt. „Der ist nicht von mir.“ Den Stab nahm er in die Hand, um die Stelle am dicken Ende zu begutachten. „Der Stabkern ist schlecht verarbeitet. Der hier stammt von 'Stock und Stab' in Ullapool.“

Tonks begann damit, sich Notizen zu machen. Den Stäben verpasste sie nach und nach ein fest anhaftendes Fähnchen aus Pergament, auf dem die Informationen zu lesen waren, die Mr. Ollivander ihnen gab. Der alte Zauberstabmacher riss sich zusammen, als er nacheinander die Stäbe in die Hand nahm. Zu jedem Stab hatte er das Gesicht eines jungen Schülers vor Augen, der sich auf seinen ersten Stab freute. Er konnte eine Menge identifizieren. So viele Namen, so viele Tote. Für Harry war es wichtig, all das zu erfahren, selbst mitzuerleben, wie Ollivander litt, auch wenn das nur schwer zu ertragen war. Am eigenen Leib spürte Harry, wie der Tod einer Person auch Menschen berühren konnte, die schon lange nicht mehr Teil des eigenen Lebens waren. Ollivander erging es so. Mit jedem Stab wurde eine schöne Erinnerung mit einer traurigen Fußnote versehen.

„Walnussholz, Abraxanerhaar, 9 ½ Zoll, biegsam, Mrs. Parkinson.“ Mr. Ollivander nahm den nächsten Stab in die Hand. „Kirschholz, Drachenherzfaser, 12 Zoll, steif, Mr. Goyle junior.“
„Moment“, sagte Tonks, „der ist am Leben. Er liegt im Mungos.“
„Und seine Mutter?“ Mr. Ollivander hielt Tonks den anderen Stab entgegen.

In diesem Moment wurde Harry klar, dass Gregory dort gewesen sein musste, bei Hopkins und dass er sich aus den Klauen der Hexenjäger befreit haben musste. Was seine ehemaliger Schulkamerad dort erlebt hatte, wollte er sich nicht einmal in Gedanken ausmalen. Es war bedrückend zu wissen, dass Gregory mit sehr großer Wahrscheinlichkeit seine Mutter verloren hatte. Und dem Vater, der in Askaban saß, könnte das Lauffeuer des dunklen Mals zum Verhängnis geworden sein.

Gregory hatte keine Eltern mehr, aber er dachte an sie, denn von ihrem Verbleib wusste er nichts.

In seinem Bett liegend starrte Gregory an die Decke, folgte mit dem Blick immer wieder dem kleinen Riss, den er dort sehen konnte, während er seine Gedanken schweifen ließ. Seine Mutter war ihm immer lieb gewesen. Sie hatte ihn nie zu etwas gezwungen, hatte ihn immer beschützt und ihm stets Leckereien zugesteckt. Sie würde er wiedersehen wollen, doch nicht seinen Vater. Für Gregory war es schwer zu ertragen, ausgerechnet Mr. Malfoy, einen guten Bekannten seines Vaters, als Zimmergenossen zu haben. Er konnte sich beim besten Willen nicht vorstellen, dass der Mann sich geändert haben sollte. Es war auch schwer vorstellbar, dass Dracos Wesen sich so korrigiert haben sollte, dass er sogar ein Halbblut ehelichte. Aber das war es gewesen, was Mrs. Malfoy ihm gesagt hatte. Ihre freundliche Art war ähnlich wie damals. Freunden der Familie hatte sie immer eine ungeahnte Herzlichkeit an den Tag gelegt, doch wehe, ein Halbblut lief ihr über den Weg. Ob Blaise und Pansy ihn besuchen würden? Mrs. Malfoy hatte genau diese Hoffnung in ihm geweckt. Gregory wünschte sich etwas Abwechslung.

Eine gutherzige Fee schien seinen Wunsch vernommen zu haben. Es klopfte und nach einem kräftig gesprochenen „Herein!“ von Mr. Malfoy öffnete sich die Tür. Zwei große Gestalten betraten das übelriechende Zimmer. Das klackende Geräusch eines Gehstocks war zu hören. Lucius wünschte sich, es würde Draco sein, obwohl der nie einen Gehstock verwendet hatte. Vielleicht würde er diese Eigenart eines Tages von ihm übernehmen. Es war jedoch nicht Draco. Blaise und Pansy, die an Krücken lief, betraten das Zimmer. Ein kleines Mädchen mit braunen Kulleraugen kam hinterhergerannt. Demonstrativ hielt sie sich bei dem üblen Geruch im Zimmer die Nase zu. Kinder waren unempfindlich, was peinliche Situationen betraf.

Blaise schaute zu einem der Betten hinüber und nickte höflich. „Mr. Malfoy.“
„Guten Tag, Mr. Zabini, Miss Parkinson.“ Lucius nickte zurück, erblickte erst dann das kleine Mädchen, das er schon auf der Quidditch-Siegesfeier gesehen hatte, doch damals wollte sie ihren Namen nicht verraten. „Hallo, junge Dame.“
„Hallo“, kam fröhlich zurück.

Mr. Malfoy war schnell vergessen, denn Blaise und Pansy waren auf Gregory aufmerksam geworden. Die Freude war groß.

„Blaise!“ Gregory hielt ihm die rechte Hand entgegen, die der junge Mann umfasste. In der Schule waren sie nie Freunde gewesen. Der eine war zu arrogant und wählerisch, der andere zu einfältig und manipulierbar. Erst in Kriegszeiten, während des unerwarteten Wiedersehens, waren sie durch ein gemeinsames Ziel eng verbunden. „Ihr seid entkommen!“ Das Überleben war das Ziel gewesen. Gregory blickte von Blaise hinüber zu Pansy, bemerkte gleich die Krücken. „Was ist mit dir passiert?“
„Das ist eine lange Geschichte. Die heben wir uns für später auf, wenn du das Krankenhaus verlassen hast.“ Ihre sanfte Berührung an seiner guten Hand war kein normaler Gruß, es war die Erleichterung, die sie zum Ausdruck brachte.
Gerade mal so groß wie das Bett war das Mädchen, das neugierig über die Matratze blickte. Gregory musste lächeln, als er allein durch ihr hübsches Gesicht die Eltern bestimmen konnte. „Und wer bist du?“
Schüchtern blickte die Kleine zu Blaise hinüber, der ihr zunickte. Die Erlaubnis war erteilt, den eigenen Namen nennen zu dürfen. „Berenice.“
Von Gegenüber hörte man Lucius plötzlich sagen: „Das war zu laut, meine Liebe. Jetzt hat der böse Mann im Nebenbett auch deinen Namen erfahren.“ Mit weit aufgerissenen Augen schaute Berenice zu ihrem Vater, der Lucius mit einem strengen Blick zurechtweisen wollte, dann aber grinsen musste. Für seine Tochter war das eine Entwarnung. Schon früh hatte sie gelernt, dass böse Menschen mit einem Namen böse Dinge anstellen konnten.
„Berenice“, wiederholte Gregory leise. „Du machst deinem Namen alle Ehre.“ Die Siegbringerin. Gregory fühlte eine ungewohnte Erleichterung. „Der Krieg ist vorbei, habe ich gehört?“, fragte er ein wenig unsicher, denn den Worten von Mrs. Malfoy traute er nicht ganz.
„Es ist alles vorbei, keine Angst.“ Mit einer Hand tastete Pansy nach dem Stuhl an Gregorys Bett. Stehen konnte sie nicht sehr lange. Die Muskeln an einem Bein waren teilweise beschädigt, doch mit viel Übung würde sie eines Tages auf Krücken verzichten können. „Wir haben auch viel zu spät erfahren, dass der Krieg längst passé ist.“
Gregory schluckte. „Minard Castle?“

Dieser Begriff war für die drei einen Schlüsselmoment im Leben. In der Nähe des Schlosses hatten die Todesser Pansy mit Schlafes Bruder vergiftet, die Muggel hatte Gregory entführt. Die Gruppe war auseinander gerissen worden. Eines Tages, um die Angst zu verlieren, würden sie sich die Gegend bei Minard Castle bestimmt zusammen ansehen. Im Moment reichte die Erinnerung daran, um allen dreien eine Gänsehaut zu bescheren.

In Blaise' Stimme war Schuld zu hören. „Du warst plötzlich verschwunden.“
„Die Muggel.“ Das sollte vorerst als Antwort genügen. Gregory war noch nicht bereit, über die schlimme Zeit im Hexenturm zu berichten.

Die drei Freunde hatten sich eine Menge zu erzählen, was Berenice zu langweilig wurde. Sie ging hinüber zum Fenster, war aber zu klein, um hinausschauen zu können. Der Stuhl war zu schwer, um ihn ans Fenster zu schieben. Berenice seufzte. Ihr Blick fiel auf Lucius, der sie die ganze Zeit mit einem Lächeln beobachtet hatte. Vorsichtig ging sie an sein Bett heran, hielt aber einen kleinen Sicherheitsabstand.

„Bist du böse?“, fragte sie unerwartet offen.
Lucius stutzte. Er entschied sich dafür, eine Taktik anzuwenden, die sich immer bewährt hatte: die Gegenfrage. „Sehe ich denn böse aus?“ Die Kleine strahlte über das ganze Gesicht. Der Schmerz in seinem Arm war plötzlich wieder erträglich geworden.
„Nein“, erwiderte sie ehrlich. Ein Blick zu den Eltern versicherte ihr, dass man sie im Auge behielt, also gab sie sich einen Ruck und kam noch näher ans Bett heran. Ihre winzigen Hände legte sie auf die Matratze. Überraschend streckte sie ihre Hand und griff nach ein paar blonden Strähnen, die auf dem weißen Kissen lagen. „Schöne Haare!“ Eine kindliche Feststellung, für die sich Lucius revanchieren wollte. Das Schmeicheln hatte er nie verlernt.
„Vielen Dank. Und du, meine Kleine, hast schöne Augen. Sie erinnern an die Früchte einer Edelkastanie – groß, rund und braun.“
Berenice grinste, auch wenn sie nur die Hälfte des Kompliments verstand. „Besucht dich denn keiner?“
„Oh doch, meine Frau war schon hier. Morgen kommt sie vielleicht mit meinem Enkelsohn.“
„Ist der noch klein?“ Als sie fragte, betrachtete sie mit leuchtenden Augen seine langen Haare.
„Kleiner als du. Er kann noch nicht laufen.“
„Ich kann laufen!“, versicherte sie stolz.
Lucius lächelte. „Ja, das habe ich gesehen. Wie alt bist du denn schon?“
Eine kleine Hand mit gekrümmten Fingern kam in sein Sichtfeld. Der Daumen war eingeknickt, doch der kleine Finger auch. Sie zeigte drei Finger und sagte selbstbewusst: „Vier!“
„Dann fehlt aber noch der Kleine, der sie alle isst.“ Erschrocken zog sie ihre Hand weg und hielt sie schützend an die Brust, woraufhin er verspielt fragte: „Kennst du das etwa nicht?“ Weil sie den Kopf schüttelte, hob er seine rechte Hand und nahm ihre. Lucius ergriff ihre Daumen und begann: „Das ist der Daumen“, er wechselte zu ihrem Zeigefinger, „der schüttelt die Pflaumen ...“

Der Reim ließ Erinnerungen an seine Mutter aufkommen und Lucius fragte sich, ob sie noch am Leben war.

Die Frage nach Leben und Tod beschäftigte einige Zauberer und Hexen, wie beispielsweise die Heiler im Mungos, die Angehörigen der Todesser oder auch Tonks, die nun eine lange Liste mit Namen in der Hand hielt. Ein paar Namen kannte sie bereits aus den Akten des Ministeriums. Die Personen waren tot aufgefunden worden. Nun hatte man auch ihre Zauberstäbe entdeckt. Von den insgesamt 238 Stäben stammten 198 aus Ollivanders Geschäft. Sie hatten 198 Namen. Genau vierzig Stäbe konnten nicht identifiziert werden, doch dank Mr. Ollivander, der aufgrund der Verarbeitung und Qualität der Stäbe die Hersteller ermitteln konnte, hatte man zumindest eine Anlaufstelle, um weitere Nachforschungen anzustellen. Ein Geschäft lag sogar in Spanien.

Der Sonntagnachmittag war für den Zauberstabhersteller alles andere als erholsam gewesen. Harry erkannte an dem zerfurchten Gesicht, dass der alte Mann sehr litt. Ihm selbst ging es nicht anders, was sich in seiner Stimme niederschlug. „Vielen Dank, Mr. Ollivander.“

Selbstvergessen nickte Mr. Ollivander. In Gedanken sah er noch immer die jungen Hexen und Zauberer, die bei ihm noch rechtzeitig vor Schulbeginn ihre ersten Stäbe gekauft hatten. Die Gesichter würde er nie vergessen.

Tonks, Ron und Harry verließen das Geschäft. Die Aurorin nahm Harry das Bündel ab. „Ich bringe die schon ins Ministerium. Wir sehen uns nachher bestimmt nochmal.“
„Okay“, brachte Harry bedrückt heraus.
Beide schauten Tonks noch nach, bis sie apparierte. Ron legte freundschaftlich seine Hand auf die Schulter seines Freundes. Die Laune seines Freundes war ihm nicht entgangen. „Was ist los?“
„Ach ...“ Harry wusste nicht, wie er sich ausdrücken konnte. Der heutige Tag trübte seine Stimmung. Über all die Jahre war so viel zwischen Muggeln und Zauberern schiefgelaufen.
„Es hat doch alles wunderbar geklappt, Harry.“ Ron schüttelte ihn leicht, doch aus Harry war nichts herauszubekommen. „Ginny ist in Sicherheit.“ Das war das Wichtigste. „Und bei den Muggeln haben wir die Spreu vom Weizen getrennt. Es kann nur noch bergauf gehen. Außerdem habe ich vorhin von Tonks gehört, dass sie Greyback geschnappt haben!“
„Was?“ Irritiert blickte Harry seinen Freund an, der bestätigend nickte. „Sirius und Seidenschnabel sollen ihm das Leben mächtig schwer gemacht haben.“
„Wie bitte? Wann soll das gewesen sein?“
„Als wir mit Hopkins beschäftigt waren.“ Mit der Hand an der Schulter drängte er Harry dazu, in Richtung „Zum Tropfenden Kessel“ zu gehen, von dem aus sie nach Hogwarts flohen wollten. „Dein lieber Patenonkel wird uns ganz sicher brühwarm von seine Heldentaten berichten! Ich sag dir, Harry, das sind Geschichten, die werden wir noch unseren Urenkeln erzählen.“

Die Wand, die in den Hinterhof des Pubs führte, war im Nu geöffnet. Der Tropfende Kessel war gut gefüllt. Reisende, Geschäftsleute, Stammkunden. Wie immer war die Luft so dick, dass man sie schneiden konnte.

„Mr. Potter!“ Der Wirt Tom lehnte sich über den Tresen. „Alles in Ordnung?“ Toms Augen wanderten zu seiner Stirn, an der Harry eine Verletzung unter dem weißen Pflaster versteckte, die nicht einmal schmerzte.
„Danke der Nachfrage, alles okay. Dürfen wir Ihren Kamin benutzen?“
„Natürlich! Wie kann ich Ihnen etwas abschlagen?“

Mit einer Hand machte Tom eine präsentierende Bewegung zum Kamin, grinste dabei bis über beide Ohren. Viele im Pub schauten verstohlen zum berühmten Harry Potter hinüber. Harry mochte solche Blicke überhaupt nicht.

„Lass uns gehen“, bat er seinen Freund, der gerade damit liebäugelte, einen Drink oder sogar etwas zu essen zu bestellen. Zumindest studierte Ron die große Menükarte, die an die Wand hinter der Theke geschrieben war. Harry zupfte an seinem Ärmel. „Schon die Schlemmereien in Hogwarts vergessen? Komm schon!“
„Flohen wir zu dir?“
„Nein, direkt in den Krankenflügel. Ich will Ginny sehen, bevor wir in die große Halle gehen.“

Im Krankenflügel war ohne Ron und Harry bereits eine Menge los, auch wenn Alicia längst gegangen war. Andere waren zu Besuch gekommen. Arthur drückte seine Tochter schon seit Minuten an sich, wollte gar nicht mehr loslassen. Molly schluchzte wieder und wieder. Es würde eine Weile brauchen, bis die Aufregung sich gelegt haben würde. Vor einer Viertelstunde hatte auch Narzissa den Krankenflügel erreicht. Sie saß an der rechten Seite ihres Sohnes, damit sie seine Hand halten konnte, während sie ihm von seinem Vater erzählte. Susan ließ den beiden einen Moment allein und wanderte mit einem dösenden Charles im Arm langsam zu Hermine hinüber, um nach dem Rechten zu sehen. Sie ließ Severus in Ruhe, lächelte ihn höchstens freundlich an.

Nicht Harry und Ron kamen durch die Tür, sondern Wobbel, mit einem sehr agilen Nicholas an der Hand. Die andere Hand des Jungen hielt die Stoffeule, das erste Geschenk von Onkel Ron. Der Junge wollte am liebsten losrennen und diesen Raum, den er noch nie gesehen hatte, mit leuchtenden Augen inspizieren.

„Hallo, mein Süßer!“ Die Stimme seiner Mutter ließ den Jungen umhersuchen. Dann hatte er sie ausfindig gemacht. Ein glucksendes Geräusch war Ausdruck seiner Freude, und genau dieses Geräusch weckte Charles, der sich irritiert umblickte. Es sah ulkig aus, wie Nicholas versuchte, mit nach oben gerissenen Armen zu rennen. Dann die Schwerkraft. Nicholas plumpste auf den Boden, richtete sich wieder unter größten Anstrengungen auf und setzte seinen Weg unbeirrt fort – die Eule immer fest im Griff.

Severus verdrehte die Augen. Der Krankenflügel war zu einem Kindergarten mutiert. Lediglich der Anblick einer schlafenden Hermine verhinderte, dass er seiner schlechten Laune nachgab, um nach Poppy zu rufen, damit sie für Ruhe sorgen würde.

Von Mutter und Großeltern wurde Nicholas herzlich begrüßt. Als er jedoch zu quengeln begann, ließ man ihn wieder auf den Boden. Jetzt war seine Zeit gekommen, diesen Raum zu erobern. Er wanderte zu Dracos Bett hinüber, wo man ihn freundlich begrüßte. Nicholas mochte es, wenn die Großen lächelten und in hohem Tonfall zu ihm sprachen, auch wenn er nichts verstand. Plötzlich hörte Nicholas ein Geräusch, das ihm sehr bekannt war – es war seine Sprache. Ein gurgelndes Quieken. Bei ihm bedeutete das „Ich will ... !“. Nicholas schaute sich um und da, bei einer von den Großen, da war auch ein Kleiner. Einer seinesgleichen. Und der bekam etwas.

Weil Charles nörgelte, gab Susan ihm einen von den Keksen, die sie immer in ihrer Tasche mitführte. Charles wollte aber keinen Keks, er wollte runter auf den Boden. Den Keks bekam er trotzdem in die Hand gedrückt. Hier half nur noch wimmern. Warum verstand sie ihn nur nicht?

„Setzt ihn doch ab, Susan.“ Draco hatte den weinerlichen Charles beobachtet. „Der Boden hier ist bestimmt der sauberste in ganz Schottland.“

Dem Rat kam Susan nach. Sie setzte Charles ab, der sofort aufhörte zu klagen. Jetzt wollte er sich in Ruhe seinem Keks widmen. Er nahm ihn in den Mund und ließ seinen Speichel die Vorarbeit besorgen, damit das Gebäck schön weich werden würde. Plötzlich war jemand bei ihm, beinahe so groß wie er selbst.

Nicholas blickte neugierig auf Charles herab, setzte sich Sekunden später wegen der dicken Windel wenig graziös vor ihm auf den Boden. Er streckte eine Hand nach dem Keks aus, doch Charles reagiert schnell und zog die eigene Hand weg. Dabei achtete er nicht auf die Kraft seiner Finger, denn um den Keks zu schützen drückte er so stark zu, dass die Süßigkeit zerbröselte. Trostlos blickte er auf die krümeligen Stücken am Boden, nahm eines davon und hielt es dem fremden Kind entgegen. Nicholas nahm es, steckte es sich in den Mund. Die beiden Kinder, die sich zwar schon gesehen hatte, aber damals viel zu klein waren, hatten heute einen unvergesslichen Erstkontakt aufgenommen. Susan war so nett, die Kekskrümel gegen zwei neue Kekse zu tauschen.

Als Harry in den Krankenflügel trat, sah er zuerst seinen Sohn und sein Patenkind auf dem Boden sitzen. Der Anblick dieser unschuldigen Jungen machte die Ereignisse bei Hopkins und die bedrückende Stimmung bei Mr. Ollivander fast wieder wett. An den beiden vorbeigehend tätschelte er sie am Kopf, bevor er sich auf zu Ginny aufs Bett setzte. Trotz ihrer übermüdeten Augen konnte er in ihnen all das sehen, was sie als Menschen ausmachte. Alles war noch da, sie war noch dieselbe. Man hatte Ginny nicht gebrochen, ihr nicht so viel Leid angetan, dass sie daran vergehen würde. Das Gleiche sah sie in seinen Augen. Erst als diese Angst genommen war, umarmten sie sich, drückten sich eng aneinander, um den anderen zu spüren. Die Zeit blieb stehen, um ihnen einige Augenblicke für sich selbst zu schenken. Nach einer halben Ewigkeit lösten sie die Umarmung. Ihr Blick fiel auf sein Pflaster.

„Harry ...“ Mit ihren Fingerspitzen strich sie über das weiße Pflaster. „Was ist passiert?“
Die eigene Hand führte er ebenfalls an die Stirn. „Ach, das tut nicht weh. Habe ich längst vergessen.“ Mit dem Nagel von Daumen und Zeigefinger suchte er eine Stelle, an der er es abziehen konnte. Ginny half ihm dabei. Sie hatte eine Ecke gelöst. „Mit einem Ruck“, bat er, damit es nicht zu lange wehtun würde. Sie gehorchte. Ratsch! Ab war das Pflaster, das er gleich betrachtete. Das kleine Stück Wundauflage war mit Blut getränkt. Fürsorglich nahm Ginny ein Taschentuch, befeuchtete es in ihrem Wasserglas.
„Halt still, ich mach es sauber.“ Mit einer warmen Hand umfasste sie seine Wange. Er schloss verträumt die Augen, während sie sich an seiner Stirn zu schaffen machte. Es tat nicht weh. Sie wollte nur das restliche Blut abwaschen. Als sie fertig war, öffnete er die Augen und bemerkte, dass sie irritiert auf die Stelle blickte, die sie eben gesäubert hatte.
„Was ist?“ Vorsichtig befühlte Harry die zarte Haut auf der Stirn. Da, wo er schon immer eine Unebenheit gefühlt hatte, war nichts mehr zu spüren. Es war glatt. „Was ...?“ Er schaute zu seinen Schwiegereltern in spe. „Molly, hast du einen Spiegel dabei?“

Natürlich führte sie in ihrer Tasche immer einen mit sich, den sie ihm reichte. Den kleinen Kosmetikspiegel hielt er sich vor das Gesicht. Sie war nicht da, die Narbe, die ihn einst als Ebenbürtigen gekennzeichnet hatte. Ungläubig strich er mit einem Zeigefinger über die unversehrte Stelle. Sie war wirklich weg. Die Besonderheit, die ihm jeden Morgen seine Vergangenheit im Spiegel zeigte, war einfach verschwunden. Die tägliche Erinnerung an Voldemort war ausgelöscht. Hinter sich im Spiegelbild sah er Severus, der neugierig zu ihm hinübersah. Den Spiegel gab er zurück an Molly, die fasziniert seine Stirn begutachtete. Nie wieder würde dieses blitzförmige Zeichen ihn verraten, ihn nie wieder auf die Begegnung mit Voldemort reduzieren. Harry war jetzt nur noch Harry.

„Ginny“, er nahm ihre Hände in seine, „Ron und ich müssen in die große Halle. Kingsley will uns zum heutigen Vorfall befragen. Wir ...“
„Die Narbe ...“
„Sag es niemandem. Mal sehen, wem es auffällt.“ Er grinste, zwinkerte ihr zu. „Die DA muss ihre Aussage machen, Ginny.“
Ich komme mit!“
„Schatz“, Einspruch von Frau Mama, „fühlst du dich auch gut genug? Du solltest besser liegenbleiben.“
„Mum, es gab Quidditch-Spiele, die mich mehr mitgenommen haben als die Zeit im Turm.“ Ein Lächeln umspielte ihre Lippen. „Ich will mich ins Leben stürzen. Mir fehlt nichts, nur eine Mütze voll Schlaf und die bekomme ich nachher.“
„Aber Liebes ...“
Arthur unterbrach seine Frau. „Das geht in Ordnung, denke ich. Ich werde sowieso mitgehen, will mir die Befragung ja nicht entgehen lassen.“
Damit war Harry einverstanden. Über seine Schulter schaute er zu Severus hinüber, der den Blickkontakt hielt. „Mach dich in Ruhe fertig“, sagte er zu Ginny, „ich will noch kurz ...“ Mit einem Nicken deutete er zu Severus.

Drüben bei Severus war Harry leise, weil im Nebenbett Hermine schlief. Auf Severus Nachttisch fiel ihm ein Glas Wasser auf, das einer rosafarbenen Blume mit ungeahnter Anmut als Vase diente.

„Und?“, begann Severus amüsiert. Die Veränderung auf der Stirn hatte er bemerkt, sprach es aber noch nicht an. „Wie war der kleine Ausflug nach Clova? Mit dem Wetter hattet ihr ja leider etwas Pech.“
„Wenn man zaubern kann, dann ist der Regen gar nicht so schlimm.“ Auf dem Stuhl, der noch immer an Severus' Bett stand, nahm Harry Platz. „Wie geht’s?“
„Es würde mir wesentlich besser gehen, dürfte ich in meine Räume zurück, aber die Heilerin hier ist ein echter Drache!“
Leise lachte Harry auf. Beide wussten, dass Poppy lieb und nett war. Sein Blick fiel auf den linken Arm, der durch ein Tuch geschützt war. „Tut es weh?“
Severus schwieg einen Moment, bevor er flüsterte: „Es ist die Hölle! Ich hätte nicht geglaubt, dass ich das überlebe. Ich finde keine Schlaf, nicht einmal Ohnmacht. Ich kann von Glück sagen, dass ich den Arm nicht verloren habe.“ Der Tränkemeister betrachtete Harrys Gesicht, dessen Stirn. „Der Grund für das Verschwinden von Narbe und Mal ist offenbar derselbe. Es ist ein wenig ungerecht, dass du kein riesiges Loch im Schädel hast.“
Wie von allein befühlte Harry die narbenfreie Stelle. „Das hätte ich kaum überlebt.“ Die Hand ließ er wieder in seinen Schoß fallen. „Das war das Letzte, das mich mit ihm verbunden hat. Ich fühle mich jetzt irgendwie ...“
Harry fehlten die Worte, aber Severus glaubte zu verstehen und schlug vor: „Frei?“
„Ja, frei! Das wird morgen früh ein komisches Gefühl sein, in den Spiegel zu schauen und mich ohne Narbe zu sehen.“
„Ähm, Harry?“ Ron war an Severus' Fußende getreten. Als Harry sich zu ihm umdrehte, zeigte Ron auf Ginny und Arthur. „Wir wären dann soweit.“ Für unhöflich wollte Ron nicht gehalten werden, grüßte daher seinen ehemaligen Tränkelehrer. „Hallo, Snape“, er verbesserte, „ähm, guten Tag“, Ron kam vollends ins Stottern, „ich meine Professor Snape, Sir.“
„Tun Sie mir einen Gefallen, Mr. Weasley.“
Ron horchte auf. „Ja, Sir?“
„Besuchen Sie mich nicht noch einmal. Ihr Gebrabbel raubt mir den letzten Nerv.“
Verlegen lachte der Rotschopf auf. „Ja, verstehe. Wie ich sehe, geht es Ihnen wieder ganz gut. Na ja“, er nickte zum verletzten Arm, „ich kann nur hoffen, dass das irgendeinen Vorteil hat.“
„Ach ja? Sie erstaunen mich, Mr. Weasley, dass Sie in so einer schwerwiegenden und vor allem schmerzhaften Verletzung auch noch einen Vorteil vermuten wollen. Was für ein Vorteil wäre das wohl?“
Ron wollte nur nett sein, fand sich aber plötzlich in einer sehr unangenehmen Situation wieder und musste sich schnell etwas einfallen lassen. „Ja, was für ein Vorteil?“, murmelte er zu sich selbst, bevor er laut erwiderte, „Sie können endlich mal was Kurzärmeliges tragen!“
Severus war sprachlos, während Harry grinste und den genannten Vorteil mit nur einem geflüsterten Wort kommentierte: „Touché!“
Ein Grummeln war von Severus zu hören. „Gehen Sie endlich – alle –, ich will meine Ruhe haben!“ Trotz der harschen Worte erkannte Harry die Dankbarkeit, dass man ihm ein wenig Zeit gewidmet hatte. „Und Harry ...“ Er drehte sich nochmals zu Severus um. „Ich möchte später alles haarklein erfahren!“
„Natürlich, das lässt sich einrichten.“

Geduldig warteten die DA-Mitglieder auf Harry und Ron, damit Kingsley mit seiner Befragung beginnen konnte.

Im Zaubereiministerium war Dawlish längst dabei, die Inhaftierten auszuhorchen. Allen vorweg diejenigen, die als gewalttätig bezeichnet wurden. Bei seiner Vernehmung von einem Mr. Tyler wurde er jedoch gestört.

„Was ist denn, Brooks?“ Der junge Auror hielt ihm zwei Formulare unter die Nase, die Dawlish überflog. „Und was ist mit denen?“
„Die beiden sind vorher schon hergebracht worden und haben nichts mit dem Hopkins-Vorfall zu tun.“
„Aha“, Dawlish las die Namen in Gedanken. Mr. Autolykos Stringer und Mr. Mercutio Fogg. Bei den Vornamen war es kein Wunder, dass die beiden Freunde sich immer nur mit dem Nachnamen ansprachen. „Und warum stören Sie mich, Brooks?“
„Weil die beiden Herren fragen, wann sie ihre Aussage machen können. Sie waren im Fall 'Greyback' beteiligt.“
„Tatsächlich?“ Dawlish spitze die Lippen und nickte einmal Respekt zollend. „Dann werden wir die beiden Gentlemen mal nicht warten lassen. Stellen Sie eine Wache vor Mr. Tylers Verhörzelle auf. Wir wollen doch nicht“, er blickte Tyler in die finsteren Augen, „dass der gute Mann entwischt.“
Auf dem Flur teilte ihm sein Kollege noch etwas anderes mit. „Der andere Minister hat sich über das magische Bild gemeldet. Er will wissen, ob er uns helfen kann.“
Abrupt blieb Dawlish stehen. „Woher weiß der andere Minister so schnell von dem Hopkins-Vorfall?“
„Nein, nicht deswegen. Er hat den Tagespropheten gelesen. Sie wissen doch, dass die Schlagzeile lautete: 'Die Seuche der Todesser'.“
„Das war keine Seuche“, murmelte Dawlish verärgert. Er stand unter Strom. Viele gute Mitarbeiter waren ausgefallen, weil sie das dunkle Mal trugen und sich jetzt im Krankenhaus aufhielten. „Lassen Sie durch das Gemälde mitteilen, dass der Zaubereiminister sich schnellst möglich bei ihm melden wird.“ Bevor Dawlish um die Ecke bog, wo sich ihre Wege trennten, fügte er noch hinzu: „Und bedanken Sie sich beim anderen Minister für die Hilfsbereitschaft, die wir gern annehmen, wenn wir erst einmal das tatsächliche Ausmaß erfasst haben. Und Brooks, tun Sie mir einen Gefallen. Verschaffen Sie sich einen Überblick über die vorhandenen Ministeriumsmitarbeiter, besonders die von der Abteilung für Informationswiederbeschaffung.“ Er stutzte wegen seiner eigenen Worte. „Blödsinn, ich meine das Amt für Desinformation, damit die einen einleuchtenden Grund für die Zerstörung der Festung ausklamüsern können, falls die Bevölkerung von Clova darauf aufmerksam geworden sein sollte. Irgendein Bericht über die Baufälligkeit sollte reichen. Schicken Sie aber keine Informationen an die Muggelpresse heraus, bevor die nicht vom Minister, von Mr. Shacklebolt oder von mir geprüft wurden!“
„Ja, Sir.“ Brooks rannte so schnell er konnte.

Im Gehen blickte Dawlish nochmals auf die Informationsbögen von Stringer und Fogg, suchte die Nummer der Verhörzelle: AA23. Die war ganz in der Nähe. Als Dawlish die Zelle erreicht hatte, öffnete er sie mit seinem Stab. Die beiden Gefangenen tranken eine Tasse Kaffee und aßen ein Hörnchen.

„Wie ich sehe, geht es Ihnen ausgezeichnet“, stichelte der Auror.
„Danke, Sir. Es ist sehr freundlich von Ihnen, dass man uns ...“
Fogg hielt inne, weil Dawlish sichtlich die Nase rümpfte und die Hörnchen im Verdacht hatte, übel zu riechen. Als er auch noch den Mund verzog, ergriff Stringer das Wort. „Tut mir leid mit dem Geruch. Das bin ich.“ Er zuckte mit den Schultern. „Ein Fluch.“
„Bei Merlin“, mit einem Wutsch war eines der Fenster geöffnet, das an einen Lüftungskanal angeschlossen war, denn das Ministerium lag unter der Erde. „Haben Sie es schon einmal im Mungos versucht? Die haben ein paar tolle Spezialisten für Fluchschäden.“
„Die konnte mir damals nicht helfen.“
„Damals? Wie lange ist das her?“
Stringer dachte einen Moment lang nach. „In etwa vierzehn Jahre.“
„An Ihrer Stelle würde ich es dort nochmals versuchen. Da sind mittlerweile andere Heiler beschäftigt.“ Dawlish rümpfte die Nase, setzte sich dennoch an den Tisch. Die beiden schienen friedliche Gesellen zu sein. Gemächlich versuchte er das zu entziffern, was Kingsley mehr flüchtig als leserlich in die verschiedenen Spalten eingetragen hatte. „Also, weswegen sind Sie hier?“ Er konnte kaum ein Wort lesen, was er aber nicht zugeben wollte.
„Wir ...“ Foggs ehrliche Haut hinderte ihn daran, eine Lüge zu erdenken, was herzlich gern sein Freund übernahm.
„Mr. Fogg wollte sagen, dass wir durch Zufall am richtigen Ort waren. Wir konnten die Tochter des Ministers und ihre Freundin vor dem gesuchten Greyback retten.“
„Ach ja?“ Angestrengt versuchte Dawlish in der unleserlichen Handschrift zu erahnen, ob Kingsley etwas Ähnliches geschrieben haben könnte. Warum sollten die beiden Männer festgenommen worden sein, wenn sie eine Heldentat vollbracht hatten?
„Es waren auch keine verbotenen Flüche, die wir benutzten.“
„Nicht, Mr. Stringer? Welche Sprüche haben Sie angewandt?“ Dawlish packte seine Feder und ein Formular aus. „Ich warte.“
„Lassen Sie mich nachdenken“, bat Stringer. „Ja, ich habe zuerst einen Impedimenta gesprochen und Mr. Fogg gleich darauf einen Beinklammerfluch.“
„Mmmh“, summte Dawlish, um zu vertuschen, dass er über den Vorfall keinerlei Kenntnis hatte. „Dann sehen wir uns mal Ihre Stäbe an.“

Die beiden Stäbe der Inhaftierten zeigten nach einer Prüfung durch den erfahrenen Auror genau die Sprüche, die von Stringer genannt wurden. Sie hatten die Wahrheit gesagt.

„Warum hat Auror Shacklebolt Sie hergebracht?“
Spätestens jetzt war Stringer ein Licht aufgegangen. Sein Gegenüber hatte keine Ahnung. „Ich glaube, er wollte uns nur in Sicherheit bringen. Nebenan in der Festung war ja auch ganz schön was los.“ Ohne Mühe gab Stringer ein falsches Lachen als ein echtes aus und lockerte damit die Stimmung. „Ein Drache! Junge, Junge“, grinsend schüttelte Stringer den Kopf. „So ein Tier habe ich das letzte Mal gesehen, als meine Mutter mit mir ein Reservat besucht hat. Und dann noch Greyback! Ich glaube, Mr. Shacklebolt war in dem Moment nur etwas überfordert. Erst findet er die Tochter des Ministers, dann dieser widerliche Werwolf und zusätzlich das Durcheinander auf der Festung.“
Das klang einleuchtend, dachte Dawlish. Kingsley und Tonks hatten die ganze Nacht durchgearbeitet. „Haben Sie sonst noch eine Aussage zu machen?“ Dawlish kniff die Augen zusammen, um Kingsleys Gekrakel in der Zeile erkennen zu können. „Wer von Ihnen wurde von einem Werwolf gebissen?“
„Das war er“, Stringer buffte Fogg mit dem Ellenbogen an, „ist aber nicht so schlimm. Er ist schon ein Werwolf.“
„Tatsächlich?“ Das stand nirgends auf dem Formular und Dawlish ärgerte sich darüber, behielt nach außen hin aber die selbstsichere Miene bei. „Darf ich Ihren Tränkepass sehen?“

Bis hierher hatte Fogg nichts tun müssen, doch jetzt wurde er nervös, als er in seinem Umhang nach dem Pass suchte. Er wusste, dass er ihn immer bei sich trug. Dawlish bemerkte die Nervosität von Fogg und Stringer wiederum bemerkte, dass der Auror skeptisch wurde.

„Lass gut sein.“ Seelenruhig griff Stringer in Foggs Innentasche, wo der Tränkepasse immer aufbewahrt wurde. Während er ihn hinauszog, erklärte er dem Auror: „Der heutige Tag hat meinen Freund sehr mitgenommen, müssen Sie wissen. Greyback war derjenige, der ihn vor elf Jahren zum Werwolf machte. Ihn zu sehen war“, er legte die andere Hand mitfühlend auf Foggs Schulter, „ein Schock.“ Der Tränkepass war gefunden. Seine Hand zitterte nicht ein bisschen, als er den Pass an den Auror reichte. Mit wachem Blick studierte Dawlish die roten Stempel des Ministeriums.
„Verstehe ich richtig?“ Der Auror blickte Fogg in die Augen. „Sie sind seit über elf Jahren ein Werwolf und haben erst seit Anfang des Jahres einen Pass?“
„Ja, wissen Sie“, Stringer sprang rettend ein, „aus Angst, die Todesser – allen voran Greyback – könnten ihn aufsuchen, hat Mr. Fogg es vermieden, sich zu registrieren.“ Von den Wachen hatte Stringer vorhin einige interessante Dinge erfahren, die er gleich zur Verteidigung einbringen wollte. „Die Vermutung lag nahe, dass auch das Ministerium von Voldemorts Männern infiltriert war. Mein Freund hatte einfach nur Angst. Ich kann Ihnen aber versichern, denn ich habe ihn immer begleitet, dass er monatlich seine Tränke eingenommen hat, auch ohne Pass.“
„Gut!“ Dawlish klang erleichtert. Er hatte schon befürchtet, es würde eine Debatte über die Missstände im Ministerium folgen, was er tunlichst vermeiden wollte. Dass das Ministerium von Todessern unterwandert war, war schlimm genug. Dass diese Männer davon wussten, war noch viel schlimmer. „Ich bin beeindruckt, Mr. Fogg, dass Sie all die Jahre so umsichtig und gewissenhaft gehandelt haben.“
„Das ist doch selbstverständlich.“ Peinlich berührt fummelte Fogg an seinem Ärmel. „Ich will niemandem etwas Böses.“
„Verstehe, verstehe“, murmelte Dawlish, blätterte derweil in den Formularen. „Sagen Sie mir bitte noch, warum Sie sich beide im Verbotenen Birkenwald aufgehalten haben.“
Bei Fogg setzte Stille ein. Er war nicht gut im Erfinden von Ausflüchten, aber Stringer umso mehr. Außerdem war Mr. Shacklebolt so nett gewesen, die Vorlage für seine Lüge zu liefern. „Wir waren seit der frühen Morgenstunde im Wald gewesen, um Pilze zu sammeln.“
„Pilze?“ Mit der Feder strich sich Dawlish über die Nase. „Werden die nicht erst später gesammelt? Zu Herbstbeginn?“
„Das stimmt schon“, stimmte Stringer nickend zu, „aber der Verbotene Birkenwald ist in dieser Hinsicht unberührt. Da geht niemand hinein. Und manche Pilzarten kann man jetzt schon finden.“
Dawlish belehrte die beiden mit autoritärer Stimme. „Der Verbotene Birkenwald ist ein Reservat für Zentauren und andere magische Wesen. Es ist gefährlich, dort ...“
„Wir hielten uns nur am Rande des Waldes auf, Sir. Die magischen Wesen meiden die Behausungen der Menschen und die Festung, die man von unserem Standpunkt aus sehen konnte, war definitiv bewohnt. Wir haben nicht einmal die Spuren von Zentauren gefunden. Dass wir auf Greyback treffen würden, war für uns genauso überraschend wie für Auror Shacklebolt.“

Irgendetwas an den beiden kam Dawlish seltsam vor. Andererseits hatten sie bisher nicht gelogen, was die verwendeten Zaubersprüche betraf, die sie zuletzt angewendet hatten oder den Tränkepass. Er konnte nicht mit dem Finger drauf deuten, aber etwas schien nicht richtig. Leider war einzig ein warnendes Bauchgefühl kein handfester Grund, um jemanden festhalten zu dürfen.

„Mr. Fogg?“ Verängstigt blickte Fogg dem Auror in die Augen, als der fragte: „Müssen Sie ins Krankenhaus?“ Mit einem Finger tippte sich Dawlish ungenau ans Schlüsselbein. „Ich meine, wegen der Bisswunde an der Schulter.“
„Oh nein, Sir. Die Auroren haben sie an Ort und Stelle geheilt.“
Stringer war der Meinung, ein lobendes Wort anbringen zu müssen. „Ihre jungen Auroren sind wirklich sehr kompetent, Sir.“
„Ja, das war nach dem Krieg nicht so einfach, solche Leute zu finden. Wir durften ja nicht zulassen, dass ohne ausgebildete Auroren die magische Welt im Chaos untergeht und Diebe und Gauner die Gelegenheit für sich nutzen.“ Dawlish lachte kräftig drauf los, was die beiden im ersten Augenblick schockierte, denn sie glaubten sich entlarvt. Als Stringer ebenfalls zu lachen begann, war die Situation gerettet. Am Ende seufzte Dawlish amüsiert, warf nochmals einen Blick auf die Formulare, bevor er todernst fragte: „Was hatten Sie mit den Muggeln zu schaffen?“
Sie durften nicht zögern, dachte Stringer. Es war nur eine Fangfrage. Der Auror wusste absolut nichts. „Muggel, Sir?“
„Mr. Hopkins zum Beispiel“, half Dawlish ihm auf die Sprünge.
„Ich weiß, dass Leute in der Festung waren. Ich habe welche gesehen, aber wir hatten keinen Kontakt zu ihnen. Wir wussten nicht einmal, ob es Muggel oder Zauberer waren. Ich dachte eigentlich letzteres, weil doch ein Drache dort war.“ Stringer drehte den Spieß um. „Ist es nicht verboten, den Muggeln ein magisches Wesen vorzuführen?“
In dieser Angelegenheit wäre es für Dawlish besser, nicht mehr nachzuhaken, denn der Drache war von einem der Söhne des Ministers gelenkt worden. Außenstehende sollten davon keine Kenntnis erlangen. „Das wird noch geklärt, Mr. Stringer. Sie sagen also, Sie kannten keinen der Muggel und haben sich nur durch Zufall im Wald aufgehalten.“
„Das ist korrekt!“
Mit der Feder schrieb Dawlish die Aussage gut leserlich, in Schönschrift, auf sein Pergament. „Sie wohnen weiterhin im ...“ Der Auror las Kingsleys Notiz und stutzte. „Den Laden gibt es noch? Sie wohnen im Gehängten?“
„Ja, Sir.“
„Gut, ich denke, das war es schon. Falls Sie noch Fragen haben?“ Die beiden schüttelten den Kopf. „Dann dürfen Sie jetzt gehen.“
Fogg schien der Sache nicht zu trauen. „Gehen?“
„Du hast den Herrn doch gehört“, sagte er an Fogg gerichtet. Stringer stand auf und reichte Dawlish die Hand, die der wegen des strengen Geruchs nur widerstrebend ergriff und schüttelte. „Danke, Sir. Ich werde mich jetzt besser um meinen Freund kümmern. Die Begegnung mit Greyback hat ihn sehr mitgenommen.“
„Das verstehe ich.“ Dawlish reichte auch Fogg die Hand. „Mr. Fogg, möchten Sie Anzeige erstatten?“
Völlig verunsichert erhob sich Fogg ebenfalls. „Ich weiß nicht.“ Hilfe suchend schaute er zu Stringer. „Soll ich?“
Dawlish schritt erklärend ein und versicherte: „Greyback wird sowieso nicht mehr aus Askaban herauskommen. Es wäre nur ein weiterer Punkt auf der langen Anklageliste. Auf Schmerzensgeld wird man nicht hoffen können. Der Mann lebte immerhin jahrelang in einem Wald.“
Fogg schüttelte den Kopf. „Dann lieber nicht, Sir. Ich möchte nur noch meine Ruhe haben.“
„Das kann ich gut nachvollziehen. Folgen Sie mir bitte, ich bringen Sie bis zur Eingangshalle. Von dort aus können sie die Kamine nutzen oder die Telefonzellen.“

Die beiden gingen dem Auror nach, vorbei an Zellen mit schreienden Muggeln, die an den Türen rüttelten und jedem Zauberer den Tod wünschten. Fogg und Stringer hofften innig, dass sie nicht an den Zellen von Arnold und Alex vorbeikommen würden, denn dann würden sie auffliegen. Das Glück meinte es jedoch gut mit ihnen. Im Eingangsbereich angekommen verabschiedete sich der Auror. Sie waren frei.

Als Stringer die Telefonzellen ansteuerte, wollte Fogg wissen: „Flohen wir denn nicht nachhause?“
„Nein“, er winkte seinen Freund heran, „wir gehen erst einmal nach Muggel-London. Ich brauche eine Verschnaufpause.“ In kürzester Zeit standen die beiden in einer unbelebten Seitenstraße Londons.
„Wie machst du das nur immer?“, murmelte Fogg, erwartete aber keine Antwort.
„Ach, das mit dem Auror war leicht.“ Er strahlte übers ganze Gesicht, atmete einmal tief durch, bevor er Fogg auf die Schulter schlug. „Der Donut hat Appetit auf mehr gemacht. Ich fühle mich jetzt irgendwie spendabel.“ Stringer blickte sich um und erspähte am Ende der Straße eine Konditorei, zeigte mit dem Finger in die Richtung. „Komm, ich klau dir was vom Bäcker.“
„Nein!“, fauchte Fogg seinen Freund an. „Ich habe genug davon! Keine Diebstähle mehr!“
„Das ist doch nicht der Rede wert. Es lohnt doch kaum, für ein bisschen Gebäck den Geldbeutel zu zücken und ...“
„Keine Diebstähle mehr, egal wie klein die sein mögen!“, wiederholte Fogg. „Sonst gibt’s für dich am Ende nichts vom 'großen Kuchen' ab.“
„Du ziehst die Sache knallhart durch, oder?“ Weil Fogg nickte, seufzte Stringer resignierend. „Von mir aus, aber wenn unser Geld knapp wird und wir den Wirt nicht mehr bezahlen können, dann ...“
„Dann werden wir arbeiten gehen müssen, bis die Gesetzesänderungen durch sind und ich mein Vermögen zurückverlangen kann.“
Wütend schnaufte Stringer. „Du weißt ganz genau, dass mich niemand nimmt. Die können mich nicht riechen. Und du als Werwolf? Das haben wir doch alles schon hinter uns. Wer würde dich schon nehmen? Die Leute sind alle voller Vorurteile.“
„Alle? Da muss ich wohl widersprechen. Was ist mit unserem Wirt? Der hat uns beide aufgenommen.“
„Weil er dafür Geld bekommt! Schon bemerkt, dass wir seine einzigen Gäste sind?“
Fogg winkte den Kommentar mit einer Hand ab. „Miss Granger hatte anfangs auch keine Vorurteile.“
„Wir haben Hausverbot bei ihr! Setzt du einen Fuß in ihren Laden, dann wanderst du doch noch nach Askaban.“
„Mr. Black!“
Stringers Stirn schlug Falten. „Was ist mit dem?“
„Er hat gesagt, er könnte mir zu einem Job verhelfen. Ich werde ihn aufsuchen und ...“
„Moment, Moment! Mr. Black ist mit Miss Granger bekannt, außerdem ist er der Patenonkel von demjenigen, den wir entführen sollten. Glaubst du nicht, du steckst mächtig in der Klemme, sollte Miss Granger ein Wort über uns verlieren?“
„Ich werde später sowieso Mr. Black aufsuchen müssen, wegen meiner Vermögensangelegenheiten. Vielleicht sollten wir uns bei Miss Granger einfach entschuldigen?“
Skeptisch musterte Stringer das Gesicht seines Freundes und stutzte. „Du meinst das ernst! Bist du denn von allen guten Geistern verlassen?“
„Ich lege mir nur neue Steine für den ehrlichen Weg, den ich in Zukunft gehen werde.“
„Du spinnst!“ Aufgebracht ging Stringer ein paar Schritte, drehte sich dann abrupt um. „Wenn man lügt, dann sollte man das auch konsequent durchziehen. Lass es sein! Lass alles, wie es ist, inklusive Lügengebäude. Fängst du nämlich jetzt an, einige der Lügenknoten zu lösen, dann verhedderst du dich nur und dein ganzes Leben bricht in sich zusammen wie ein wackliges Kartenhaus.“
„Aber ...“
Stringer ließ seinen Freund nicht zu Wort kommen. „Du willst ehrlich sein? Okay, nachdem du dein Vermögen wiederbekommen hast, brauchst du nie wieder lügen und betrügen. Nie wieder! Aber lass die Vergangenheit um Himmels Willen Vergangenheit sein. Lass sie hinter dir und fang einfach neu an, verdammt nochmal! Es gibt keinen Grund, sich für vergangene Handlungen zu rechtfertigen.“
„Mein Gewissen ist ein Grund“, flüsterte Fogg vorsichtig.
Mit einem Male war Stringer bei ihm, packte ihm am Schlafittchen und zischte: „Dann stopf ihm das Maul! So viel hast du doch gar nicht auf dem Kerbholz, mein Guter. Ich war bei all deinen Missetaten mit dabei, schon vergessen?“
Fogg verstand, auf was sein Freund hinaus wollte. „Ich aber nicht bei deinen.“ Stringer war schon ein Gauner gewesen, als sie sich kennen lernten. Ertappt schaute er zu Boden. Seine Augen huschten ziellos über die Steine des Gehwegs. „Autolykos ...?“
„Nenn mich nicht so!“ Stringer schäumte vor Wut. „Ich hasse diesen Namen.“
Vorsichtig betrat Fogg mit seinen Fragen Neuland. „Gibt es etwas aus deiner Vergangenheit, das du mir nie erzählt hast?“ Nervös fuhr sich Stringer durchs Haar, antwortete jedoch nicht. „Warst du nur ein Dieb, bevor wir uns getroffen haben oder warst du etwas Schlimmeres. Vielleicht ein ...?“, Stringer warf ihm einen warnenden Blick zu, aber Fogg ließ sich nicht beirren. „Ein Mörder?“
„Ich fasse es einfach nicht!“
„Was?“, hakte Fogg nach. „Dass ich frage oder dass ich dahinter gekommen bin?“
„Hinter gar nichts bist du gekommen!“, schrie Stringer, womit er die Aufmerksamkeit eines Muggels auf sich zog, der in der Nähe mit einer Dame spazieren ging. Stringer sah den Mann und drosselte seine Lautstärke, bis nur noch ein wütendes Flüstern übrig war. „Wenn du in deiner Vergangenheit stochern willst, dann ist das dein Ding, aber lass meine aus dem Spiel! Ich habe alles getan, um diese Scheiße zu vergessen.“ Fogg wagte es nicht, Stringer wegen seiner derben Ausdrucksweise zu rügen. Es blieb nichts anderes übrig, als ihn weiterreden zu lassen. „Es war ein verdammter Unfall! Mein Bruder musste ja unbedingt am Treppenabsatz über das Schoßhündchen meiner Frau stolpern.“ Die Erinnerung wühlte Stringer auf. Er atmete heftig, fuhr sich mit zitternden Händen immer wieder durchs Haar. „Als ich meine Hände ausgestreckt habe ...“ Er schüttelte den Kopf, blickte auf die erhobenen Hände. „Ich weiß bis heute nicht, ob ich ihn festhalten wollte oder ihm einen Stoß gegeben habe. Ich weiß es nicht mehr!“ Durch zusammengebissene Zähne stellte er klar: „Ich weiß nur, dass er einen Stoß verdient hätte!“
Nach außen hin blieb Fogg die Ruhe in Person, doch innerlich bekam er für einen kurzen Moment Angst vor dem Mann, den er seit elf Jahren seinen Freund nannte. „Hat er das? Warum?“
„Ach, lass mich doch in Ruhe!“
Als Stringer kurz davor war zu apparieren, hielt Fogg ihn auf. „Wenn du jetzt gehst, dann weißt du, was für einen Eindruck du damit bei mir hinterlässt.“
Stringer platzte der Kragen. „Selbst wenn ich dir die Wahrheit sagen sollte, würdest du es nicht glauben. Es war von Anfang an so eingefädelt, dass ich als der Dumme dastehen würde!“
„Eingefädelt von wem?“
„Von meiner Frau, der Schlampe!“
„Ich verstehe nicht ... Du hast mir erzählt, du hast sie mit deiner Schwägerin betrogen und dafür hat sie dich verhext und rausgeworfen.“
Ein hysterisches Lachen konnte Stringer nicht verkneifen. „Klingt auch einleuchtend, oder? Ihre Version hätte für die Polizeibrigade auch einleuchtender geklungen als meine. Der Anfang stimmt sogar.“
„Das mit deiner Schwägerin ...“
„Ja, der Teil stimmt. Meine liebe Gattin“, er spuckte das Wort wie einen verdorbenen Happen aus, „hat ihre eigene Schwester manipuliert. Ich weiß nicht wie. Ein Trank oder Zauber. Du hättest meine Schwägerin auch nicht von der Bettkante gestoßen, das kannst du mir glauben. Leider stand in meinem Ehevertrag, dass bei Untreue das gesamte Vermögen an den anderen Ehepartner fällt. Zufällig kam meine Frau viel früher von ihrer 'Reise'“, Stringer zeichnete mit den Fingern unsichtbare Anführungszeichen in die Luft, „nachhause und hat uns in flagranti erwischt.“
„Und was spielte dein Bruder für eine Rolle?“
„Das ist eine gute Frage. Manchmal ist das Einzige, was gefährlicher als eine Frage ist, eine Antwort. Als ich hinter die Antwort gekommen bin, habe ich meinen Bruder zur Rede gestellt. Er schien nämlich meinen Platz einnehmen zu wollen.“
„Dein Bruder hat mit deiner Frau gemauschelt?“
„Nicht nur gemauschelt. Ihre Beziehung war wesentlich fester, wie er es mir im Streit an den Kopf warf. Er war nämlich ihr Geliebter!“
Für einen Augenblick war Fogg sprachlos, fand seine Stimme aber schnell wieder. „Das ist unglaublich!“
„Eben! Es klingt unglaublich“, gab Stringer mit gequältem Lächeln zu. „Als Handlung für einen Kriminalroman vielleicht höchst interessant, aber es taugte leider nicht als Aussage bei der Magischen Polizeibrigade. Meinen Bruder gab es nicht mehr, meine Schwägerin hat geglaubt, ich hätte sie verführt und meine Frau war sowieso gegen mich. Glaubst du wirklich, ich würde dieses beschissene Leben führen, nur weil ich Untreu war und sie mich verhext hat? Nein, ich hätte mich gewehrt, aber leider hat sie mir eine Karte in die Hand gedrückt, auf der nicht 'Joker', sondern 'Schwarzer Peter' stand.“
„Mannomann“, Fogg machte Pausbacken und atmete hörbar aus. „Da kann ich ja froh sein, dass meine Familie mich 'nur' verstoßen hat, weil ich ein Werwolf bin.“
„Ja, da hast du wirklich Schwein gehabt“, scherzte Stringer, der wieder ausgeglichen schien, nachdem er sich ausgesprochen hatte.
„Gibt es außer dem Unfall sonst noch etwas, das du mir vielleicht sagen möchtest?“
„Nein, da ist nichts anderes. Das reicht auch. Mann, wir sind schon zwei arme Gestalten. Es kann nur noch bergauf gehen oder? Ich meine“, er hob fragend seine Hände, „wie tief kann jemand sinken?“
Eine junge Stimme hinter den beiden befahl unerwartet: „Keine Bewegung.“ Trotzdem drehten sich Fogg und Stringer um. Ein junger Mann, nicht mal volljährig, hielt ihnen ein Messer unter die Nase. Nervös verlagerte er das Körpergewicht von einem Bein aufs andere. Es sah fast aus, als müsste er dringend auf die Toilette. Zwei seiner Begleiter zückten ebenfalls ein Messer, während der dritte sich eine Tüte an die Nase hielt und an einer undefinierbaren Substanz schnüffelte. „Her mit dem Geld! Und die Handys auch.“
Fogg war sich nicht sicher, worauf die Jungen aus waren. „Was bitte?“
Der junge Mann wurde nervös, fuchtelte mit seinem Messer herum. „Schnauze! Her damit oder ...“
„Ach halt's Maul, Rotznase!“ Verächtlich spucke Stringer den Jugendlichen vor die Füße.

Bevor die Bande reagieren konnten, packte Stringer seinen Freund an der Schulter und apparierte in die Winkelgasse. Als sie dort ankamen, sahen sie als Erstes zwei Kinder, die ihre Nasen am Schaufenster von Weasleys zauberhafte Zauberscherze platt drückten. Stringer hielt es für besser, sofort ins Wirtshaus zu gehen, bevor sie noch einem Weasley über den Weg liefen. Die Angst war jedoch unbegründet, denn die gesamte Familie befand sich in Hogwarts.

In der großen Halle saßen die DA-Mitglieder bereits an einem Tisch der Gryffindors. Tonks war kurz nach Kingsley eingetroffen und nahm sich eine Süßigkeit aus der dreistöckigen Schale. Die Hauselfen waren so freundlich gewesen, die überraschenden Gäste zu bewirten. Kingsley blickte sich um. Sie warteten noch auf Ron und Harry. Als sich die Flügeltür öffnete, wanderten alle Augenpaare hinüber. Als Erster trat Arthur ein, gefolgt von Ron und Harry. Die beiden hatten Ginny in ihre Mitte genommen. Sie war blass, aber unversehrt. Jeder war froh, sie wohlauf zu sehen, was sie lauthals mitteilten. Am Ende konnte man gar nicht mehr sagen, wer damit angefangen hatte, denn Jubelschreie, Pfiffe und Applaus dröhnten durch den Saal. Einige standen sogar auf. Seamus klatschte, pausierte nur kurz, um mit den Fingern zu pfeifen. Plötzlich sah sich Harry von einer Meute Rothaariger abgedrängt. Ginny wurde von ihren Brüdern gedrückt. Man wuschelte ihr durchs Haar, gab ihr Küsse und drückte ihre Hände. Eine große Familie war schon was Schönes, dachte Harry mit einem Lächeln.

„Jungs!“ Der Vater sprach ein Machtwort. „Jungs, lasst eure Schwester Platz nehmen. Sie ist noch nicht ganz auf dem Damm.“

Im Moment fühlte sich Harry ein wenig abgemeldet, doch er überließ Charlie und Percy die Aufgabe, Ginny zum Tisch zu führen. Sie setzten sich neben sie und es machte ihm nichts aus, sich selbst zwischen Ron und Dean zu platzieren. Noch hatte niemand die Änderung an Harry bemerkt, was kein Wunder war. Jeder blickte zu Ginny hinüber.

„Was haben die nur mit dir gemacht?“, wollte Colin wissen.
„Moment“, Kingsley stand auf, „dafür ist später noch Zeit. Wir sind hier, um eure Aussagen aufzunehmen. Habt ihr einen Sprecher bestimmt oder muss ich jeden einzeln vernehmen?“
Seamus erhob sich. „Die Wahl fiel auf mich. Immerhin habe ich vor etwa einem Jahr Dolores Umbridge heldenhaft zur Strecke gebracht.“
Einspruch von Fred, der mit einem neckischen Grinsen im Gesicht erklärte: „Du hast vom Besen gepinkelt und sie getroffen, woraufhin sie die aus lauter Dummheit Polizeibrigade gerufen hat!“
Dean schnaufte vor Lachen. „Für Seamus ist das heldenhaft!“ Die Gruppe grölte, klatschte. Sie waren in guter Stimmung. Der heutige Siegestaumel war viel angenehmer als früher, weil die Opferzahl so niedrig war. Keine Verluste in den eigenen Reihen. Die Menge verstummte wieder, als Kingsley mit seiner Hand zur Ruhe aufforderte. Plötzlich öffnete sich die Tür. Herein kam Neville, der von seinen euphorischen Freunden mit unerwartetem Applaus begrüßt wurde. Verschüchtert blickte Neville hinter sich, sah dort aber niemanden. Aus lauter Verlegenheit fasste er sich ans Herz.
„Neville!“ Luna winkte ihn zu sich heran, damit er neben ihr Platz nehmen konnte.

Es dauerte nicht lang, da begann Kingsley mit seinen Fragen, die Seamus zur Befriedigung aller beantwortete. Sie hatten sich bereits ohne Ron und Harry eine wasserdichte Geschichte von einem gemeinsamen Ausflug ausgedacht, bei dem sie Hilferufe vernahmen. Kingsley notierte sich alles. Seine Hand war um einiges ruhiger als nach dem Angriff von Greyback.

„Dann gehe ich recht in der Annahme“, Kingsley blickte in die Runde, „dass die Hilferufe von Ginny stammten?“
„Ähm ...“ Einen kurzen Augenblick schauten sich alle gegenseitig an. Einige nickten sich zu.
Es war jedoch Ginny, die das Wort ergriff. „Es kann sein, dass ich nach Hilfe gerufen habe. Zu der Zeit befand ich mich an der Außenwand des Turms. Ich wollte runterklettern, aber mittendrin ging mir die Puste aus.“
„Das war der Moment“, warf Seamus ein, „als wir Halt machten. Wir waren uns klar darüber, dass wir die Entführer gefunden haben.“
Mit seiner Gänsefeder nahm Kingsley die Aussage auf, blickte kurz darauf zu Seamus hinüber. „Und da habt ihr euch entschlossen was zu tun?“
Diesen Punkt hatte die DA schon für sich geklärt, so dass Seamus selbstsicher sagen konnte: „Wir wollten Hilfe holen, einen Patronus schicken, aber das war nicht möglich. Die Muggel hatten bereits das Feuer eröffnet. Wir mussten höllisch aufpassen!“ Mit einer Handbewegung forderte Kingsley dazu auf fortzufahren, was Seamus auch tat. „Wir wollten mit den Muggeln reden. Ein paar von uns sind deswegen im Innenhof gelandet. Harry hat Kontakt zu einem Mr. Hopkins aufgebaut, der ihn ins Innere der Festung eingeladen hat.“
Arthurs Stirn schlug Falten. „Eingeladen?“
„Ja, Sir. Wenn nicht eingeladen, dann auf zumindest dazu aufgefordert.“
„Stimmt das, Harry?“, fragte Kingsley nach und bekam daraufhin von Harry ein Kopfnicken. „Gut, damit ist der Vorwurf des Hausfriedensbruchs schon mal erledigt. Wie ihr euch nämlich denken könnt, wird dieser Fall auch mit dem anderen Minister geklärt werden müssen. So eine große Auseinandersetzung zwischen Muggeln und Zauberern gab es meines Wissens noch nie. Was mir nur Sorgen macht“, Kingsley schaute zu Charlie hinüber, „ist der Drache. Charlie, du darfst so ein magisches Wesen keinem Muggel zeigen. Das ist mit Knieseln schon strafbar, aber ein Drache ...!“
Einen Augenblick wartete Harry ab, ob Charlie oder Seamus dafür eine Erklärung abgaben, aber diesen Punkt hatten sie nicht überdacht. Rettend griff Harry ein und beteuerte: „Der Drache war anfangs unsichtbar.“
„Ah“, machte Kingsley erleichtert. „Und danach?“
„Ich weiß nicht mehr, wann er sichtbar wurde. Vielleicht als die ersten Schüsse fielen?“, schlug Harry indirekt den anderen DA-Mitgliedern vor.
„Möglich“, stimmte Alicia zu.
„Aha“, Kingsley fixierte nochmals Charlie. „Warum warst du überhaupt mit dem Drachen unterwegs?“
„Im Forest of Atholl fand eine Versammlung für die Mitarbeiter der Drachenreservate statt. Der Wald liegt ...“
„Ich weiß, wo sich das Gebiet befindet“, beteuerte Kingsley. Es war ein großes Stück Land, bestehend aus Bergen und Wäldern. Muggel hatten kein Interesse daran, denn es war nicht zu kultivieren. „Es liegt in etwa zwischen Hogwarts und Clova.“
Seamus meldete sich wieder zu Wort. „Ja, das war auch der Grund, warum wir Charlie gefragt haben, ob er uns begleiten wollte. Wir waren sowieso in seiner Nähe. In dem Gebiet lebt niemand und die A9, die wir überflogen haben, war unbefahren. Erst als wir die Festung gesehen haben, wollten wir wieder umdrehen, aber dann ... Na, das haben wir ja schon erzählt.“

Nach und nach hatte Kingsley die Situation rekonstruiert und zu Papier gebracht. Er ging davon aus, dass das meiste der Wahrheit entsprach, nur der Vorsatz, bei Hopkins einzudringen, war kreativ umgestaltet worden. Mit der Aussage war Kingsley zufrieden. Besonders die Tatsache, dass Harry mit einigen von den Muggeln gesprochen hatte, sich um ihr Wohlergehen erkundigte, würde sich positiv auf den anderen Minister auswirken. Man würde nicht mehr glauben, dass die DA absichtlich die Festung aufsuchen wollte. Es war ein Zufall gewesen.

Kingsley packte seine Sachen zusammen. „Ginny, wir reden morgen. In Ordnung? Ruh dich aus.“
„Danke.“

Die beiden Auroren und der Minister verließen Hogwarts, um ihrer Arbeit nachzugehen. Die Freunde blieben noch am Tisch sitzen und tauschten ihre persönlichen Erfahrungen aus, die sie mit den Muggeln gemacht hatten. Besonders was im Innern der Festung passiert war, wollten diejenigen wissen, die nicht dabei waren. Harry ließ Ron die meiste Zeit erzählen. Er selbst hörte lieber zu. Immer wieder traf sein Blick den von Ginny. Sie kommunizierten still, nur mit ihrer Mimik. Ein Augenzwinkern hier, ein Lächeln da. Nur nebenbei hörte er Charlies Geschichte, wie er mit ansehen musste, als der Boden unter Harrys und Pablos Füßen einfach weggebrochen war.

„Aber das Schärfste war, als Harry plötzlich mit dem Teppich geflogen ist.“ Davon schien Charlie ganz begeistert.
„Ja, Harry. Wie hast du das gemacht?“, hakte Ron nach. „Du hattest keinen Stab.“
„Keine Ahnung, es ist einfach passiert. Ich wollte nicht fallen und plötzlich schwebte der Teppich. Den zu lenken war alles andere als leicht“, erzählte er seinen Freunden.
„Verboten ist es auch noch“, warf Percy ein, der wegen seines Berufs die Gesetze auswendig kannte. „Zum Glück hat Kingsley das mit keinem Wort erwähnt.“

Die Tür zur großen Halle ging auf. Einige Schüler schauten verschüchtert hinein. Es war Zeit zum Abendessen, doch sie trauten sich nicht, die Halle zu betreten.

„Besser, wir gehen“, schlug Ron vor. „Später treffen wir uns nochmal, damit wir in Ruhe reden können.“
„Wir sehen uns spätestens auf der Hochzeit.“ Dean stieß Harry mit dem Ellenbogen an, bevor er ihm freundschaftlich auf den Rücken schlug und aufstand. „Kommt noch einer mit in die Drei Besen?“

Einige meldeten sich, andere gingen lieber nachhause, weil sie am nächsten Tag früh aufstehen mussten. Die Freunde verließen die große Halle und verschwanden nach und nach. Ron vertröstete seine Freundin und sagte, er würde später kommen, weil er noch nach Hermine schauen wollte. Nachdem die Aufbruchstimmung wieder abgeflaut war, standen lediglich Luna und Neville bei Harry und Ginny. Luna trat an Harry heran und musterte ihn mit entrücktem Blick. Wegen dieser Eigenart musste Harry lächeln. Früher war es ihm unangenehm gewesen, von jemandem auf diese Weise betrachtet zu werden, aber bei ihr war es etwas anderes.

Als Luna sprach, hörte er ganz genau zu. „Ich glaube, Harry, dass allein schon der Drang zum Guten alles Schlechte vertreiben kann.“
Neville blickte verstört drein und bat mit einem einzigen Blick, man möge das Gesagte für ihn übersetzen. Harry machte es sich leicht, denn er führte eine flache Hand an seine Stirn und hob den Pony. „Harry, deine Narbe ...“
„Ja, Neville, sie ist weg. Das muss passiert sein, als Draco meinen Stab auf sein Mal gedrückt hat.“ Durch die Narbe konnte Harry immer das Böse spüren, was er das erste Mal bei Professor Quirrell bemerkt hatte. „Wir gehen jetzt besser zu Bett. Es war ein aufregender Tag.“
„Harry, Ginny?“ Die beiden drehte sich zu Neville um, der am heutigen Tag nicht der DA beistehen konnte. „Ich bin froh, dass alles gut gegangen ist.“ Er schaute Ginny in die Augen. „Dass es dir gut geht.“
„Danke, Neville. Gute Nacht, ihr beiden!“

Der Abendgruß war ein wenig verfrüht, aber Harry war sich sicher, dass sie heute nicht lange aufbleiben würden. Er nahm Ginnys Arm und legte ihn um seinen, während sie gemächlich zu ihrem Zimmer gingen.

Endlich daheim.

Es war ein seltener Anblick, Severus' Hund und Hermines Kniesel im Wohnzimmer zu sehen. Warum die Tiere hier waren, fragte Ginny nicht. Schnurstracks steuerten die beiden die Couch an, um sich dicht aneinander gekuschelt zu setzen. Viele Worte brauchte es nicht, um zu zeigen, wie glücklich man war. Gemeinsam im Wohnzimmer zu sitzen schien das Normalste auf der Welt zu sein, doch beide wussten, dass es auch anders hätte kommen können. Sie genossen den Moment und nahmen ihn keinesfalls als selbstverständlich hin.

Ihrem Herzen wollte sie ein paar Minuten später Erleichterung verschaffen, weswegen sie zu erzählen begann: „Für einen Augenblick dachte ich, ich würde es nicht überstehen.“ Er drückte sie noch fester an sich. „Als dieser Tyler bei mir war ... Ich hatte Angst.“
„Jetzt ist alles vorbei, Ginny.“ Er nahm ihre Hand, deren Fingerspitzen jeweils in einem Pflaster endeten. „Tut es weh?“
„Nicht sehr, ich hab eine Salbe bekommen und die Pflaster. Sollte in einer Woche nichts mehr zu sehen sein. Einen Fingernagel musste mir Madam Pomfrey entfernen, aber der wird nachwachsen.“
In Erinnerung daran, wie sie diese Wunden erhalten hatte, sagte er Respekt zollend: „Ich wäre nie darauf gekommen, an einem Turm runterzuklettern.“
„Das war pure Verzweiflung. Die Muggel dachten, ich wäre weg – appariert. Sie haben den Turm nicht einmal abgesucht. Die Tür führte in den Innenhof und wer da wartete, muss ich dir ja nicht sagen. Es blieben nur noch diese Schießscharten.“
„Hättest du es geschafft? Ich meine, ohne uns?“
Stille. Ginny überlegte, führte sich vor Augen, wie die Situation gewesen war. „Ich bin mir nicht sicher.“ Der Regen, der starke Wind, die verkrampften Muskeln. „Vielleicht.“ Nein.
Niemand sprach an, dass die DA genau im richtigen Moment gekommen war. „Woher habt ihr gewusst, wo ich bin?“
„Das ...“ Harry versuchte sich, diesen Moment ins Gedächtnis zurückzurufen. „Severus hat es gesagt. Er hat das vor irgendjemandem gehört. Werde ihn morgen mal fragen.“ Er seufzte erleichtert. „Hast du Hunger? Ich habe nämlich mächtig Kohldampf!“
Man hatte ihr bei Hopkins nichts zu essen gegeben. „Ich auch. Abendessen wäre nicht schlecht.“ Bei einem Hauself der Küche bat Harry um zwei Mahlzeiten, während Ginny sich umblickte. „Wo ist Nicholas?“
Harry schaute sich flüchtig um, erblickte beiläufig die leere feuerfeste Schale des Phönix. „Der wird noch im Krankenflügel sein und mit seinem neuen Freund spielen.“ Nachdem er ihr geantwortet hatte, schaute er sich nochmals um. Etwas stimmte nicht. „Fawkes ist weg!“ In diesem Augenblick kam Hedwig durchs offene Fenster geflogen. In ihrem Schnabel trug sie etwas. „Nein, Hedwig, keine Maus. Ich habe mir eben was zu essen bestellt.“ Doch Hedwig flog gar nicht ihn an, sondern landete in der Schale. Neugierig stand Harry auf und ging hinüber. Kaum hatte Hedwig die Schale erreicht, schnappte der Schnabel eines kleinen Vogels auf, den man über den Rand der Schale hinweg nicht sehen konnte. „Nein, das gibt es nicht. Ginny, komm mal her!“
„Was ist denn?“ Langsam trottete sie zu ihm hinüber und lehnte sich an seine Seite, während sie in die Schale schaute. „Das heißt wohl, dass du von Hedwig keine Geschenke mehr bekommst.“ Fawkes war der neue Günstling. „So klein sieht der Phönix wie ein normales Vogelbaby aus.“
Harry streckte eine Hand aus und strich dem Phönix über die nackte Haut. „Wart ab, bis die ersten Federn kommen.“ Es hatte etwas Beruhigendes mit anzusehen, wie Hedwig den kleinen Vogel fütterte, auch wenn es teilweise ein unappetitlicher Anblick war, der Mitgefühl für die Maus weckte. Mit einem erleichterten Seufzer legte er einen Arm um Ginny und sagte: „Wenn das kein Zeichen für einen Neuanfang ist, dann weiß ich auch nicht. Schade, dass keiner von uns dabei war, als es passiert ist. Hermine hätte das gern gesehen.“
„Wie der Phönix brennt?“, fragte Ginny nach.
„Ja, das sieht man nicht oft. Ich weiß nicht mal, ob neben Fawkes noch andere seiner Art existieren.“
„Ob ich ihn anfassen darf?“ Der Phönix hatte häufig nach Fingern geschnappt, die nicht Harry gehörten.
„Probier es. Selbst wenn er zulangt, wird es bei dem kleinen Schnabel kaum wehtun.“
Mit nur einem Finger kraulte Ginny den kleinen Phönix behutsam am Hals und der ließ sich das gefallen, schloss dabei die Augen. „Wie niedlich!“
„Ich bin froh, dass er es endlich hinter sich hat. Das muss eine Qual für ihn gewesen sein, sich so lange an der Erneuerung zu hindern.“
Ginny wurde stutzig. „Meinst du, er hat es absichtlich hinausgezögert?“
„Das ist meine Vermutung, die ich allerdings mit nichts untermauern kann, außer mit meinem Bauchgefühl. Apropos Bauch: Du erinnerst dich, dass er etwas Hartes am Bauch hatte?“ Ginny nickte. „Ich glaube nicht, dass es ein Ei war, aber was immer es war, es ist jetzt weg und macht ihm nicht länger das Leben schwer.“

Als die Hauselfe das Abendessen brachte, setzten sich Harry und Ginny an den Tisch, den eine weibliche Elfe gerade deckte. Derweil fiel ihr Blick mehrmals auf Ginnys Hände, die sie mitfühlend beäugte.

„Danke, Shibby.“
„Nichts zu danken, Harry Potter, Sir.“ Die Elfe zögerte, ging noch nicht weg.
Höflich fragte Harry: „Kann ich etwas für dich tun?“ Sie spielte hektisch mit ihren langen Fingern, bevor sie in den Stofffetzen griff, den die Elfen normalerweise trugen, um ihr niederes Ansehen darzustellen. Sie reichte Harry eine Pergamentrolle, die mit einer edlen, roten Samtschleife zusammengehalten wurde. „Für mich?“ Er war überrascht. Sofort entrollte er das Pergament.
„Harry, was ist das?“
Er überflog das Schriftstück und antwortete seiner Verlobten irritiert: „Das ist eine Besitzurkunde.“ Mit einem Finger fuhr er über einige Sätze, die er laut vorlas: „... wird die Hauselfe namens Shibby“, der Name war mit der Hand eingetragen, „an den neuen Meister Harry Potter“, die Handschrift war ihm vertraut, „gegen einen Betrag von 'Null' übertragen.“ Die Zahl war ebenfalls in das freie Feld des vorgefertigten Ministeriumsformulars eingetragen. Ganz unten konnte man die Unterschrift entziffern. „Gezeichnet: Albus Percival Wulfric Brian Dumbledore.“
Ungläubig las Ginny die Worte selbst. „Professor Dumbledore hat dir eine Hauselfe geschenkt?“
Harry war völlig perplex. Er las das Formular nochmals, bevor er Shibby mit Fragen bombardierte: „Was soll das? Warum macht Albus das? Wozu schickt er dich? Ich brauche keinen zweiten Hauself!“
Shibby blickte ihn unsicher an. „Harry Potter hat zugestimmt, Sir.“
„Hab ich? Wann?“
Die Elfe schien nervös, als würde sie eine Strafe erwarten. „Harry Potter hat der Verbindung zugestimmt, Sir.“
„Verbindung?“
„Harry“, Ginny legte eine Hand auf seinen Unterarm, „ich glaube, ich verstehe. Du hast deinem Elf doch erlaubt, eine Frau zu nehmen.“
„Ah“, machte Harry, der trotz der einleuchtenden Erklärung noch immer ein wenig fassungslos war. „Dann bist du die, ähm, Frau von meinem Hauself?“ Die Elfe nickte verschüchtert. „Okay, schön! Gut, dass wir das geklärt haben. Ich war nur etwas überrascht.“ Begeistert hielt er ihr seine Hand entgegen. „Freut mich, dich in unserer Familie willkommen heißen zu können. Ich hoffe, wir werden gute Freunde.“
„Freunde, Sir?“ Voller Furcht streckte sie ihm die zitternde Hand entgegen. Sie war es nicht gewohnt, dass Menschen sie berühren wollten. Nur der Direktor dieser Schule schreckte davor nicht zurück.
Die ausgestreckte Hand umfasste Harry, schüttelte sie sanft. „Ja, Freunde.“ Harry bemerkte, dass ihr die Situation unangenehm war und wollte ihr etwas Ruhe gönnen. „Da hinten“, er zeigte auf das Zimmer, in welchem Sirius anfangs geschlafen hatte, „ist dein Zimmer. Du teilst es dir mit ...“ Er wollte den Namen nicht sagen, sonst würde Wobbel sofort erscheinen. „Du teilst es dir mit deinem Mann. Er ist gerade noch im Krankenflügel, glaube ich zumindest. Du kannst zu ihm gehen, wenn du möchtest.“ Shibby nickte schüchtern. „Lass dir am besten von ihm erklären, wie das Leben hier abläuft. Es wird dir hoffentlich gefallen.“ Innerlich ahnte Harry, dass es ihr nicht gefallen würde. In Zukunft würden sich beide Elfen bei ihm beschweren, dass sie zu viel Freizeit hätten, aber damit konnte er leben.
„Was soll Shibby jetzt tun?“
Er wusste, es würde schwierig werden. „Du kannst zu ihm gehen. Oder auf dein Zimmer, wenn du magst. Mach einfach, was du möchtest.“
Die Augen der Elfe weiteten sich vor lauter Unverständnis. „Was ...?“ Sie schluckte kräftig. „Was soll Shibby jetzt tun?“

Es klang wie ein Flehen, eine Bitte um Anweisung. In ihren großen Augen sammelten sich bereits Tränen. Harry mochte es gar nicht, wenn Elfen weinten. Das fand er bei Dobby schon immer anstrengend. Er seufzte leise. Einer Elfe die Entscheidung zu überlassen musste ein Horrortrip für diese Wesen sein. Wenn sie aber einen Elf liebte, der Kleidung trug, würde sie auch mit anderen ungewöhnlichen Dingen zurecht kommen. Sie brauchte nur ein wenig Zeit, um sich an den neuen Lebensstil zu gewöhnen.

„Geh zu deinem Mann und höre auf das, was er sagt, in Ordnung?“ Eine klare Aussage, die ihr gefallen müsste, dachte Harry.
„Ja, Sir. Danke, Sir.“ Sie war erleichtert. „Shibby wünscht einen guten Appetit.“

Schon war sie verschwunden und erschien wenige Sekunden später im Krankenflügel. Wobbel drehte sich um. Seine Augen leuchteten. „Shibby!“ Sie hatte ihm viel zu erzählen. Flüsternd unterrichtete sie ihn davon, dass sie Harry Potter endlich die Urkunde gegeben hatte. Nur noch mit einem Auge überwachte Wobbel das Spiel von Charles und Nicholas, was seiner Meinung nach ausreichend war, denn die Mutter des anderen Jungen war auch noch im Raum.

Wobbel bemerkte nicht, dass Nicholas sich wieder die Beine vertreten wollte. Seinen Keks, noch immer nicht ganz aufgegessen, aber an sämtlichen Stellen feucht, hielt er weiterhin in der Hand, als er sich im Zimmer umschaute. Zwei Betten bemerkte er, die er noch nicht mit seiner Anwesenheit beglückt hatte. In dem einen lag eine Frau, die er kannte. Hermine. Oder „Mimm“, wie er sie nannte. Vorsichtig setzte er einen Fuß vor den anderen und steuerte Hermines Bett an. Sie bemerkte ihn nicht, was er sehr schade fand. Er mochte ihre hohe Stimme. Vielleicht würde sie ihn begrüßen, wenn er sie anfasste?

„Lass sie schlafen!“, zischte es plötzlich hinter ihm. Nicholas drehte sich erschrocken um. Ein Mann lag dort. Das Gesicht zu einer mürrischen Miene verzogen. Die meisten Großen lächelten, wenn sie ihn sahen, aber dieser Mann nicht. Das wollte Nicholas ändern. Mutig näherte er sich dem anderen Bett. „Was willst du?“ Was der Mann sagte, verstand Nicholas nicht, aber er wusste, dass die Großen nett wurden, wenn man ihnen etwas schenkte. Freudestrahlend hielt er dem Mann seinen Keks hin. „Was soll ich denn damit?“, grummelte der Mann. Entmutigt zog Nicholas seine Hand zurück und seufzte. Vielleicht hatte der Mann nicht verstanden, dass er den Keks haben konnte? Ein neuer Versuch. Nicholas streckte die Hand aus und hielt ihm den Keks vor die Nase. „Der ist ja voller Spucke, den kannst du behalten!“ Der Miesepeter war ein harter Brocken. Ein wenig geknickt legte Nicholas seinen Keks auf dem Bettzeug ab. „Nimm das weg! Ich will mein Bett nicht voller Krümel haben!“ Die Bedeutung der Worte war dem Jungen nicht klar, aber der Tonfall zeigte Nicholas sehr deutlich, dass der Mann verärgert war. Mama hatte genauso geknurrt, als er ihre Hausaufgaben mit seinen Fingerfarben verschönerte. Wenn der Mann keinen Keks wollte, dann musste etwas anderes her. Neugierig schaute sich Nicholas um. Eine metallene Schale vom Nachttisch könnte den Mann zufriedenstellen. Nicholas griff nach der Nierenschale und hievte den schweren Gegenstand auf die Matratze, um sie dem Mann zu schenken. „Kannst du nicht einer anderen Person auf den Geist gehen? Es sind doch genügend anwesend!“ Nicholas strahlte, zeigte dem Mann seine ersten Milchzähne. Ein missgelauntes Brummen war zu hören. Endlich regte sich der Mann. Er nahm den Keks von der Decke und legte ihn in die Nierenschale. Nicholas fischte den feuchten Keks sofort wieder heraus und hielt ihn dem Mann hin. „Du bist schwer von Begriff, nicht wahr? Muss an den Eltern liegen.“
„Severus?“ Narzissa hatte sich seinem Bett genähert. „Brauchst du“, sie grinste breit, „vielleicht Hilfe?“
„Ja, ich werde aufs übelste belästigt.“
„Von einem Kleinkind?“
„Das sind die Schlimmsten!“, versicherte er ihr mit ernster Miene.
Die helle Stimme ließ Nicholas aufhorchen. Er mochte die Frau auf Anhieb, denn sie lächelte. Fröhlich reichte er ihr den feuchten Keks, den die Frau tatsächlich annahm. „Oh, ich dank dir vielmals!“ Nicholas klatschte zweimal in die Hände und grinste, bevor er sich auf zu Wobbel machte. „Siehst du, Severus. Du hättest ihn nur nehmen müssen und dann hättest du deine Ruhe gehabt.“ Er schnaufte verächtlich, woraufhin sie ihm den Keks reichte. „Möchtest du?“
„Jetzt fängst du auch noch an.“
Lachend legte sie das Gebäck in die Nierenschale und stellte es auf den Nachttisch. Die Krümel fegte sie mit der flachen Hand von seiner Decke, bevor sie sich zu ihm auf den Stuhl setzte. Ihr Gesicht wurde ernst. „Ich war vorhin bei Lucius.“
„Wie geht es ihm?“ Severus ahnte – nein, er wusste, dass Lucius das Gleiche erlitten hatte.
„Den Umständen entsprechen. Es geht ihm wie dir. Die Wunde am Arm ist bei ihm viel größer als bei Draco.“
„Das ist merkwürdig“, murmelte Severus. „Vielleicht hat es damit etwas zu tun, wie lange man das Mal schon getragen hat?“
„Ich weiß es nicht. Ich weiß nur, dass ihr beide besonders viel Glück hattet. Wäre Lucius nicht wegen seiner Augenuntersuchung im Mungos gewesen ...“ Sie schüttelte den Kopf. „Eine Schwester war bei ihm, als es passierte. Sie hat sofort gehandelt, sonst wäre er ...“ Narzissa konnte keinen Satz beenden, der zum Inhalt hatte, dass ihr Gatte hätte sterben können.
„Bei mir war es ähnlich“, bestätigte Severus. „Ich war nicht allein. Wäre das der Fall gewesen, hätte ich die Kerker nicht lebend verlassen.“ Narzissa legte ihre schmalen Finger auf seinen Handrücken. „Es schmerzt“, gestand er. Ermutigend umfasste sie seine Hand und beugte sich zu ihm.
„Du wirst es ertragen, Severus, wie auch Lucius und Draco es ertragen werden. Das Leid ist das Geringste, das du geben kannst, um neu beginnen zu dürfen. Das ist der Preis, Severus. Als ich im Krankenhaus war, sah ich Menschen sterben, weil in ihnen nichts Gutes mehr war, womit sie ihre Schuld begleichen konnten. Wie sagte Merlin einst: 'Schmerz ist nicht die Wahrheit; Schmerz ist, was man durchmachen muss, um die Wahrheit zu finden.'“
Severus lächelte nicht, aber seine Augen zeigten Verständnis, bis der Schalk durch ihn sprach: „Ich hätte trotzdem gern mit Galleonen bezahlt.“ Sie schmunzelte amüsiert. „Du hast zu viel Zeit mit Albus verbracht, Narzissa. Du sprichst schon wie er.“
„Ich habe mich vorhin mit ihm unterhalten.“
„Das dachte ich mir.“
„Seine Worte haben Gewicht. Ich sehe es genauso wie er. Der Preis für den Umgang mit den Dunklen Künsten ist hoch, das weißt du selbst. Schwarze Magie teert Herz und Verstand, entzweit Freundschaften und Familien. Wer nicht bereut, das Zeichen Voldemorts angenommen zu haben, bekommt keine zweite Chance.“
„Dann muss ich für meinen jetzigen Zustand wohl dankbar sein“, flüsterte er resignierend.
Weil sie in seinen Augen eine Gefühlsregung sah, die sie nicht kannte, fragte sie nach: „Was bedrückt dich?“ Er erwiderte nichts. „Wovor hast du Angst?“
„Angst? In Hogwarts bin ich sicher. Wovor sollte ich mich fürchten? Vielleicht davor, dass ich die ganze Nacht über kein Auge zutun werde?“
Das war es, dachte Narzissa. „Das wäre der richtige Zeitpunkt, um darüber nachzudenken, warum der Schmerz dich nicht schlafen lässt.“ Zum Abschied gab sie ihm einen Kuss auf die Stirn. „Wir sehen uns, mein Lieber. Ich wünsche dir eine gute Besserung.“
„Danke. Auf Wiedersehen, Narzissa.“

Als Narzissa und Susan sich zusammen mit Charles auf den Heimweg machten und auch Wobbel und Shibby mit Nicholas den Krankenflügel verließen, kehrte endlich Ruhe ein. Ruhe, die für Severus fast nicht zu ertragen war, denn der Arm meldete sich wieder und erinnerte unentwegt an das dunkle Mal, das er nun nicht mehr trug. Poppy sah noch einmal nach dem Rechten, fragte nach dem Wohlbefinden. Sie betrachtete einen Moment lang Hermine und schien mit dem Gedanken zu spielen, sie zu wecken und nachhause zu schicken. Sie entschied sich dafür, sie ausnahmsweise schlafen zu lassen, auch wenn sie kein Patient war. Das Licht wurde gelöscht.

„Gute Nacht, Severus“, kam es von gegenüber.
„Gute Nacht, Draco.“

Dunkelheit kehrte ein und Stille, damit auch das beklemmende Gefühl, allein zu sein. Narzissas Ratschlag war nett gemeint, aber Severus kam nicht dahinter, warum sein Körper keinen Schlaf finden wollte. Er war müde, mehr als müde. Wie lange konnte man ohne Schlaf auskommen? Irgendwann hatte er gehört, dass man als gesunder Mensch maximal elf Tage durchhalten könnte. Severus wollte sich weniger Gedanken darüber machen, wieviele Tage er ohne geistige Erholung ertragen könnte. Viel mehr war ihm Narzissas Bemerkung im Kopf geblieben. Sollte er Einsicht und Reue zeigen, gute Vorsätze für die Zukunft haben? Was bereute er? In einem war sich Severus sicher. Er bereute nicht, das dunkle Mal angenommen zu haben, denn nur auf diese Weise war es möglich gewesen, den Feind auszuhorchen; als Spion zu handeln und zu agieren, wie Albus es für richtig hielt. Es war, so verwerflich es auch sein mochte, notwendig gewesen, das Zeichen des Dunklen Lords anzunehmen. Niemand würde ihm das zur Last legen. Im Gegenteil. Die Magische Gesellschaft hatte ihm mit der Verleihung des Ordens längst verziehen. In seiner Vergangenheit gab es noch andere Situationen, auf die Severus nicht stolz war. Er bereute zutiefst – damals schon und noch heute –, dass er die Potters nicht vor ihrem Schicksal bewahren konnte. Es war nicht abzuwenden, war nicht sein Fehler gewesen. Die Gräueltat, die er an seiner eigenen Seele begangen hatte, war das Einzige, was er als Fehler betrachtete. Die Flucht in die Gefühlslosigkeit aus Angst vor der Trauer. Severus blickte zu dem Bett hinüber, in welchem Hermine selig schlief. Er befürchtete, dass der Heiltrank mehr Schaden als Nutzen anrichten könnte. Die Gefühle von damals würden mit voller Wucht zurückkehren und ihn in die Knie zwingen. Die Trauer waren nie vollständig verflogen, nur aufgeschoben. Anstatt einen Weg zu finden, um den Druck von der Seele zu nehmen, hatte er die Axt an die Wurzel gelegt. Severus musste sich eingestehen, aus lauter Hilflosigkeit überreagiert zu haben. Nicht die Seele war das Übel gewesen, sondern sein Mangel an Freunden. Anstatt die Hand zu ergreifen, die Albus ihm mehrmals gereicht hatte, war er dem Wahn verfallen, das störende Empfinden auf radikale Weise zu beseitigen. Wenn Trauer nur eine Mauer zwischen zwei Gärten wäre, was würde er auf der anderen Seite finden? Wer würde ihn auffangen, sollte er springen? Wäre er auch dort allein, um welken Blumen nachzuweinen, würde er vergehen.

Severus seufzte, blickte nach vorn. Das Licht des zunehmenden Mondes umhüllte Dracos ruhende Gestalt. Er fragte sich, ob sein Patensohn ähnlich quälenden Gedanken ausgesetzt war, denn auch er fand keine Schlaf, das konnte Severus am Rhythmus der Atmung ausmachen. Im Vergleich dazu verriet die Atmung von Hermine, dass sie tief und fest schlief. Nochmals blickte er zur Seite, wo die Hoffnung auf ein geordnetes Leben lag. In der Apotheke würde er Ruhe finden. Die Arbeit bereitete ihm Freude. Er sehnte sich nach festen Brauplänen, nach geregelten Arbeitszeiten und nach den vielen kleinen Gewohnheiten, die sich von ganz allein einschleichen würden. Er sehnte sich nach all dem, aus dem die Menschen gewöhnlich ausbrechen wollten, weil ihnen ihr Leben zu langweilig war. Nach aufreibenden Abenteuern strebte er nicht. Ein normaler Alltag wäre Abenteuer genug. Eigenen Pflichten nachgehen, für sich selbst arbeiten – das war Neuland für ihn. Von großer Wichtigkeit war vor allem, diesen Weg nicht allein gehen zu müssen, sondern mit jemandem, der aus freien Stücken entschieden hat, ihn zu begleiten.

Ein leises Schnarchen war zu vernehmen. Draco hatte endlich seinen Frieden im Land der Träume gefunden, denn er hatte sich bereits das Leben geschaffen, das Severus sich wünschte. Trotz aller Bedenken nahm sich Severus vor, Stärke zu zeigen, wenn Hermine den Trank gebraut hatte. Er würde ihn nehmen und sich von denen führen lassen, die im Buch der Freunde standen.

Bald hörte man im Krankenflügel die ruhigen Atemzüge von drei Schlafenden.

Im Erdgeschoss war es nicht anders. Ginny hatte sich dicht an Harry geschmiegt und schlief mit ihrem Kopf an seiner Schulter ein, gefolgt von Harry. Ob sie sich auch im Traum so nahe waren, konnten nur die beiden beantworten.

In der Nacht erwachte Ginny mit einem schaurigen Gefühl der Hilflosigkeit, die ihr die Tränen in die Augen trieb. In ihrem Traum hatte man sie vom Turm hinaus zu einem Scheiterhaufen geführt. Beim Anblick der Fackel, die das Reisig entzündete, wachte sie auf. Harry spürte die wackelnde Matratze, als sich Ginny im Bett aufsetzte.

„Was ist denn?“, murmelte er verschlafen. „Schlecht geträumt?“ Im Dunkeln tastete er nach ihrem Arm. Als er ihn fühlte, zog er sie langsam zu sich hinunter. Mit Albträumen kannte er sich aus. Damals gab es niemanden, der ihn gehalten hatte, obwohl das das beste Heilmittel war. Harry drückte sie wortlos an sich, legte ihren Kopf in seine Halsbeuge, so dass sie gemeinsam wieder einschlafen konnten.

Am nächsten Morgen vernahm Harry ein glucksendes Geräusch. Wobbel war gerade dabei, Nicholas leise aus dem Kinderbett zu nehmen, bevor der seine Eltern wecken konnte. Mit dem Kind im Arm empfahl Wobbel: „Schlafen Sie ruhig weiter, Sir.“

Harry war aber nicht mehr müde und stand vorsichtig auf, damit er Ginny nicht störte. In Windeseile war er angekleidet und begab sich nach der Morgentoilette ins Wohnzimmer. Er traf auf Shibby, die den Tisch deckte, während Wobbel den Jungen mit püriertem Essen fütterte. Die Elfe verhielt sich in der Anwesenheit ihres Herrn unsicher und achtete penibel genau darauf, dass alles auf dem Tisch korrekt angeordnet war.

„Guten Morgen, Shibby“, er nickte ihr zu, „Wobbel.“
„Guten Morgen, Sir. Haben Sie einen besonderen Wunsch?“, wollte Wobbel wissen, während er Nicholas den Löffel an den Mund hielt, doch der verzog nur das Gesicht.
Mit wachem Auge überflog Harry das Gedeck. „Nein, ich mach das schon selbst.“ Er nahm eine der Servietten in die Hand, die er faltete und vor sich auf den Teller stellte. Als nächstes zog er seinen Stab und sprach einen Zauber. Plötzlich war das gesamte Gedeck rosarot. „Huch.“
„Ich nehme an, Sie wollten eine Rose formen?“ Das Grinsen konnte sich Wobbel nicht verkneifen.
„Richtig geraten. Warum gehen mir die leichten Zauber nur so schwer von der Hand?“ Er konnte Räume absichern, Inferi aufhalten oder Todesser zur Strecke bringen, schaffte es aber nicht einmal, eine Serviette in eine Rose zu verwandeln. Solche Sprüche hatte er während des Krieges nie gebraucht. Es hätte auch albern ausgesehen, mit Blumen nach Feinden zu werfen.
„Sie könnten endlich mal versuchen, das aus der Hand zu legen, was Sie behindert.“
Harry stutzte aufgrund der Worte, blickte dann auf seinen Stab. „Das kann ich nicht! Es ist nur bedingt möglich, ohne Stab zu zaubern.“
„Ach ja?“ Wobbel schnippte mit seinen Fingern und das Gedeck war wieder weiß.
„Ha ha, du bist ja auch ein Elf, Wobbel. Deine Magie ist anders.“
„Ist sie das?“, entgegnete der Elf. Mit großen Augen verfolgte Shibby die Unterhaltung ihres Gatten mit dem Herrn. Sie konnte nicht gutheißen, dass Wobbel sich so provozierend verhielt, doch dem Herrn schien es nichts auszumachen.
„Ihr braucht keinen Stab, genauso wenig wie Kobolde. Die zaubern auch nur mit den Händen.“
„Versuchen Sie es doch einfach mal, Sir. Möglicherweise“, Wobbel lächelte schief, „färbe ich ja auf Sie ab?“
Harry gab auf. „Ich kann mich nicht einmal an den Spruch nicht erinnern, wie man aus Stoff eine Rose formt.“
„Wie Sie schon sagten, Mr. Potter, zaubern wir anders. Haben Sie uns je einen Zauberspruch sagen hören?“ Einen Moment lang dachte Harry angestrengt an die Zeit mit Dobby und Wobbel, musste am Ende aber den Kopf schütteln. „Nein“, bestätigte Wobbel, „keine Zaubersprüche, nur der pure Wille.“
„Ich bin aber keine Elfe, auch wenn ich etwas kleiner geraten bin als meine Freunde.“
Wobbel lachte, steckte damit den Jungen auf seinem Schoß an. „Wie sagte Ihr rothaariger Freund einmal so nett? 'Versuch macht kluch.'“
„Ja, das hört sich sehr nach Ron an.“

Seufzend musterte Harry die Serviette auf dem Tisch. Er würde versagen, das wusste er. Einen Accio bekam er ohne Stab hin, manchmal auch einen Alohomora, aber mehr? Andererseits konnte er gestern einen Teppich fliegen. Da musste etwas in ihm stecken, was das veranlasst hatte. Es könnte aber auch ein Spontanzauber aus der Not heraus gewesen sein. Die Situation war ähnlich gewesen wie bei Nevilles erstem Zauber. Im Fall hatte die Angst die Magie aktiviert und verhindert, dass man sich etwas tat. Neville war als Kind wie ein Ball bis zur Straße gehüpft und Harry hatte einen Teppich geflogen. Beides passierte während eines Sturzes. Es waren Kräfte, die man nicht kontrollieren konnte, genau wie diese Wahrnehmungsveränderungen, über die Harry auch keine Kontrolle hatte.

„Ich kann es ja mal probieren.“ Harry legte den Stab beiseite und hob die Hand, atmete einmal tief durch und wünschte sich eine Rose. Es trat leider nicht der gewünschte Effekt ein. Die Stoffserviette fiel lediglich in sich zusammen. „Es funktioniert nicht.“
„Oh, Mr. Potter. Nicht gleich aufgeben. Die Serviette ist nicht von allein zusammengefallen, das waren Sie!“
„Wirklich?“ Stolz blickte Harry zu dem Stück Stoff hinüber, kam sich aber nach ein paar Sekunden reichlich dämlich vor. „Toll, ich habe eine Serviette zum Einsturz gebracht.“
„Wo eine Serviette einfallen kann, könnte auch ein ganzes Gebäude einstürzen.“
„Und dann mache ich meine eigene Abrissfirma auf!“
„Mr. Potter ...“ Wobbel schnalzte mit der Zunge, als wollte er Harry rügen. „Das Problem ist, dass Sie mich einfach nicht ernst nehmen.“
„Ich nehme dich immer ernst, Wobbel, das weißt du, aber ich weiß auch, dass die menschliche Magie ohne Zauberstab genauso beweglich ist wie ein Einbauschrank! Was du vorschlägst, ist ein wirklich interessanter Gedanke, aber ich muss dir widersprechen. Es geht nicht! Wir brauchen den Zauberstab.“ Deprimiert schob sich Harry ein Stück Toast in den Mund.
„Sie hören schon auf? Wo ist Ihr Glaube an die eigenen Fähigkeiten geblieben?“
„Warum sollte ich es versuchen, wenn die Aussicht auf Erfolg gleich null ist?“
Wobbel gab Nicholas an Shibby ab, die ihn weiter füttern sollte, so dass er sich neben seinen Herrn setzen konnte. „Mr. Potter?“
„Ja?“ Skeptisch beäugte Harry seinen Elf, der neben ihm Platz genommen hatte.
„Kann jeder Zauberer Okklumentik?“
Harry erinnerte sich an Hermines Versuche, doch sie beherrschte nur die Konzentrationsübungen, nicht aber die Abschirmung gegen Legilimentik. „Nein, nicht jeder.“
„Besitzt jeder die gleichen Fähigkeiten im Brauen von Zaubertränken?“, wollte Wobbel wissen.
„Nein, Neville ist der lebende Beweis dafür. Du fragst nicht nur aus Jux und Tollerei, Wobbel. Auf was willst du hinaus?“
„Ich will Ihnen vor Augen halten, dass nicht jeder Zauberer in allen Gebieten gleich gut ist. Wie ich einmal von Miss Granger erfahren habe, waren Sie beide mit vereinten Kräften nicht einmal dazu in der Lage, einen Kakaofleck aus ihrem Pyjama zu entfernen.“
„Na ja“, verlegen rieb sich Harry den Nacken, „Haushaltszauber sind nicht ganz mein“, er stutzte, „Gebiet.“
„Wie können Sie dann mit Sicherheit sagen, dass stablose Magie nicht Ihr Gebiet wäre, wenn Sie es gar nicht probieren?“

Mit gespitzten Lippen musterte Harry das Gesicht seines Elfs, um einen Scherz ausfindig zu machen, doch Wobbel blieb todernst. Nach einer Weile richtete Harry seinen Blick wieder auf die Serviette und hob seine Hand. Er wünschte sich, eine Rose zu zaubern. Er war ganz erstaunt, als der weiße Stoff plötzlich ein Rosenmuster aufwies, aber das war noch nicht das, was er wollte.

„Versuchen Sie es nochmal, Mr. Potter.“
„Sag mal, geht das nur, weil ich in deiner Nähe bin?“ Eine andere Erklärung hatte Harry nicht, es sei denn, Wobbel würde sich herausnehmen, ihn zu veralbern, doch dafür war der Elf viel zu ernst.
„Wer weiß?“
„Schöne Antwort. Von Albus bin ich sowas gewohnt, aber von dir?“ Harry grinste, konzentrierte sich dann wieder auf die Serviette. Vielleicht könnte er später mit Hermines Farbtrank einen Test machen, notierte er sich in Gedanken. Er hob die Hand, fixierte die Serviette. Ein roter Nebel umgab sie, obwohl Harry nichts anderes tat, als seine Hand zu heben und sich etwas zu wünschen. Als der Nebel verschwand, fiel sein Blick auf eine rote Rose, die aber unecht aussah. Neugierig beugte er sich nach vorn und roch dran. „Die ist auch Marzipan!“
„Dann noch ein Versuch?“
„Nein, Ginny mag Marzipan und ich möchte jetzt lieber Zeit damit verbringen, dich zu fragen, wie das möglich ist. Ich glaube nämlich, du nimmst mich nur auf den Arm.“
„Oh, Mr. Potter, wie können Sie so etwas von mir denken? Ich glaube aber, Sie haben für heute genug. Eine Sache noch ...“ Wobbel griff in die Innentasche seines legeren Jacketts und zog etwas hinaus. „Ich habe hier etwas, das wohl Ihnen gehören dürfte, zumindest aber für Sie bestimmt ist.“
Neugierig blickte Harry auf die noch geschlossene Faust von Wobbel und fragte: „Was ist es?“

Der Elf öffnete seine Hand. In der Handinnenfläche lag ein roter Stein. Völlig verdattert nahm er den Stein von Wobbel entgegen.

„Das ist ...“

Unfassbar. Unglaublich. Unwirklich.

„Woher hast du den?“ Harry fühlte das Gewicht des Steins, betrachtete die Unebenheiten. Den Stein der Weisen hielt er schon einmal in der Hand. Er war es. Harrys Blick fiel auf die Feuerschale des Phönix. „Das war die Verhärtung! Der Stein war in Fawkes' Körper.“ Harry stand auf, um zum Vogel hinüberzugehen. Er betrachtete den schlafenden Fawkes, als er sprach, doch er sprach zu sich selbst. „Hast du ihn für Albus verwahrt?“ Diese Frage beantwortete Harry für sich selbst. „Nein, du hast ihm den Stein genommen. Deswegen bist du auch zu mir zurückgekommen und nicht zu ihm.“

In diesem Moment hatte Harry eine Idee. Er wusste ganz genau, was er mit dem Stein anfangen wollte.


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