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Fanfiction

Harry Potter und die Schatten der Vergangenheit - Ihm ist, als ob es tausend Stäbe gäbe

von Muggelchen

Im Krankenflügel von Hogwarts hatte sich Hermine heiß geredet. Es hatte sie vollkommen berauscht, das Tränenden Herz gefunden zu haben. Als stünde sie unter einer Droge – oder unter der Wirkung von Plappersaft – redete und redete sie wie ein Wasserfall. Das Lächeln hatte sich in ihrem Gesicht eingebrannt und wäre nicht mal mehr mit einem Zauber zu entfernen. All das machte Severus nichts aus. Verzückt beobachtete er, wie sich manchmal ihre Nase beim Sprechen kräuselte oder wie ihr das buschige Haar ins Gesicht flog, weil ein Windstoß durchs offene Fenster kam. Man könnte sagen, dachte er amüsiert, dass sie ihm ein Ohr abkaute, was er ihr jedoch nicht übel nahm. Solange nämlich sein Ohr von ihrer beruhigenden Stimme eingenommen war, verspürte er keinen Schmerz am Arm. Er hörte sogar genau zu, was sie sagte, denn er vernahm so häufig das Wort „wir“, was ihm sehr gefiel.

„Wenn dein Arm besser ist, dann können wir den Trank doch zusammen brauen! Natürlich nur, wenn du möchtest. Um die Apotheke müssen wir uns vorerst nicht groß kümmern. Wir könnten kurzfristig jemanden einstellen, der beim Verkauf hilft, damit wir nach dem Brauen Zeit für uns haben. Draco hat uns schon so etwas angeboten.“

Das Wort „uns“ mochte er ebenfalls. Mit ihrem Stuhl war sie immer dichter an sein Bett gerückt. Eine angenehme Wärme breitete sich auf seinem linken Unterarm. Ihre Hand war dort gelandet, vermeintlich zufällig.

„Wie könnten später mit Professor Panagiotis zusammenarbeiten. Vielleicht können wir den Menschen helfen, die Opfer von einem Dementor geworden sind. Das würde ich zu gern!“ Sie strahlte ihn an. „Und mit Takeda sollten wir beide unbedingt in Kontakt bleiben. Wenn du wieder auf der Höhe bist, dann müssen wir mit unserem Farbtrank weiterexperimentieren.“ Ihre Hand drückte seinen Unterarm. „Ich würde auch gern mehr über deinen Bluttrank erfahren. Arbeiten wir doch gemeinsam dran! Zwei schlaue Köpfe schaffen mehr als einer.“ Im Hintergrund sah Severus, wie sich die Flügeltür zum Krankenzimmer öffnete, doch Hermine bemerkte davon nichts. „Was ich aber verlange, Severus: Ich will dabei sein, wenn du das Gegenmittel einnimmst!“ Gerade wollte er ihr sagen, wer eingetreten war, da unterbrach sie: „Keine Widerrede! Ich lasse dich nicht allein. Wer weiß, was da alles passieren könnte?“
„Hermine ...“
„Nein, Severus. Das wirst du mir nicht ausreden können. Ich bleibe an deiner Seite, wenn nicht als Freundin, dann als Heilerin. Denk daran, dass noch nie ein Mensch so etwas gewagt hat. Wenn deine Seele ...“
„Hermine!“ Er kam nicht gegen sie an, jedenfalls nicht verbal.
„Ich will nicht, dass du dich in deinem stillen Kämmerlein einschließt und leidest! Du bleibst nicht allein, wenn du den Trank ...“
Die Finger seiner gesunden Hand legte Severus auf ihre Lippen, die auf diese Weise endlich ihre Bewegungen einstellten. „Bei Merlin, wo ist bei dir der Aus-Knopf?“ Hätte er die Augen geschlossen, würde er ihr Lächeln sogar mit seinen Fingerspitzen spüren können, aber er fühlte nicht nur ihre Freude, sondern auch ein Gefühl tiefer Zuneigung, das sich in seiner Brust gesammelt hatte. Mit Daumen und Zeigefinger an ihrem Kinn hatte er ihre ganze Aufmerksamkeit erlangt. „Ich wollte dir nur nahelegen, dich mal umzudrehen. Schau mal, wer hier ist.“

Mit ihren beiden Händen umfasste Hermine seine, bevor sie seiner Empfehlung nachkam und sich umdrehte. Ihr Herz rutschte ihr in die Hose, dann wieder hinauf in den Hals, wo es ihre Sprachorgane daran hinderte, in Jubelgeschrei auszubrechen. Der Anblick von Alicia, die eine unversehrte Ginny stützte, sorgte für Erleichterung.

„Sie braucht eine Heilerin“, suggerierte Severus, der seine Hand befreite, damit Hermine zu Ginny gehen konnte. Mit erleichtertem Gesichtsausdruck versprach sie Severus, so schnell wie möglich wieder zu ihm zu kommen. Gleich darauf stürmte sie auf Ginny zu.

Ihre Freundin war blass, die Kleidung schmutzig und zerrissen, mit Blut besudelt. An den Füßen trug sie gar nichts.

„Ginny“, hauchte Hermine und erst da wurde sie von den beiden bemerkt. „Wie ...“

Die Frage nach dem Wohlbefinden wurde von einem Schluchzer unterbrochen. Der lang anhaltende, an den Nerven zehrende Stress, die große Sorge, die Ungewissheit um Ginny – als all das mit einem Male wie eine große Last von Hermine abfiel, konnte sie die Wiedersehensfreude kaum noch verarbeiten. Einzig ihrer vermissten Freundin um den Hals zu fallen brachte sie noch zustande. Und das tat sie auch. Mit beiden Armen drückte sie Ginny an sich und vergrub ihr Gesicht in der Halsbeuge ihrer Freundin. Die warme Haut und der Puls, den Hermine an der Wange fühlte, bedeuteten ihr so unbeschreiblich viel. Das Licht der Freundschaft strahlte gleißender und war wärmer als alles, was Hermine bisher fühlen durfte. Ginny war am Leben. Sie zu herzen war wie die Einnahme eines Euphorieelixiers und wirkte als sofortige Bekämpfung allen Übels. Hermine weinte, fühlte plötzlich einen Arm um sich, der ihr tröstend über den Rücken strich.

Hermine vernahm Ginnys Stimme an ihrem Ohr. „Ist ja gut, Hermine. Ich bin okay.“
Eine andere Stimme war zu hören; die von Poppy. „Gehört das zur Ersten Hilfe, Miss Granger?“ Eiligen Schrittes hatte sich die Heilerin von Hogwarts den beiden genähert. „Die Wiedersehensfreude muss ein wenig warten.“ Poppy löste Hermines Umarmung, um Ginny zu einem Bett zu führen. Hermine war noch im Taumel der Seligkeit gefangen, der sie zum Schwanken brachte. Ihre Beine gehorchten nicht, gingen ganz von allein ein paar Schritte zurück. Mit rudernden Armen suchte sie Halt und fand ihn am Bettgestell von Severus' Fußende. Ihr drehte sich alles vor Augen. Nur als Widerhall hörte Hermine Mollys Stimme „Mein Kind, mein Kind!“ rufen. Auch Albus war zu hören. Irgendjemand rief sogar ihren Namen, doch Hermines Bewusstsein gaukelte ihr längst vor, Zuhause im Bett zu liegen und zu träumen. Die belastende Situation, für die ihr Körper, besonders aber ihr Geist die ganze Zeit über keine Bewältigungsstrategie parat hatte, war ein zu starker Druck auf ihrer Seele gewesen. Jetzt, mit einem Male von diesem Kummer befreit, forderte ihr Körper seinen Tribut.

Von seinem Bett aus hatte Severus gesehen, dass Hermines Kreislauf Karussell fuhr. Sie torkelte wie angetrunken, ihr Blick ging ins Leere. Auf sein Rufen reagierte sie nicht. Die anderen im Raum waren durch Ginny abgelenkt und bemerkten nicht, dass Hermine in die Knie ging, weil ihre Beine sie nicht mehr halten wollten.

Nachdem Alicia die verletzte Freundin in sicheren Händen wusste, der Heilerin und der besorgten Mutter das Vorrecht für die Umsorgung gab, suchte sie einen Stuhl. Dabei fiel ihr Blick auf Hermine. Sofort eilte sie zu ihr hinüber. Alicia kniete sich neben sie, fühlte den Puls. Eine weitere Person war unerwartet zur Stelle. Susan.

„Hilf mir, sie auf ein Bett zu legen“, bat Alicia. „Ich habe keinen Stab.“ Susan nickte und zog ihren eigenen Stab, um Hermine – unter den wachen Augen von Severus – per Zauber in das Nebenbett zu transportieren. Nochmals fühlte Alicia den Puls. „Ihr Herz rast.“
„Die Aufregung war wohl zu viel für sie.“

Während Alicia der nicht ansprechbaren Hermine die Schuhe auszog, damit sie es bequemer haben würde, füllte Susan eine Schale mit Wasser, in welches sie ein Tuch eintauchte. Sie kühlte Hermines Stirn, die hitzigen Wangen und den Hals. Hermine öffnete die Augen, blinzelte. Anstatt zu fragen, wo sie sich befinden würde, wartete sie einen Moment ab, bis das Bewusstsein zurückkam. Alicia und Susan waren bei ihr. Hohe Fenster, Steinverzierungen an den Wänden. Sie war im Krankenflügel.

„Du bist umgekippt“, flüsterte Alicia.
„Ginny ...“
„Ihr Daumen wird gerade gerichtet.“
„Dann hab ich es doch nicht geträumt.“ Es war nicht ihrer Fantasie entsprungen. Ginny war tatsächlich hier, in Sicherheit. Endlich Ruhe. Müde schloss Hermine die Augen. Mit der Erleichterung im Herzen konnte sie ihren verdienten Schlaf finden.

Weniger Glück hatten andere. Der dringend benötigte Schlaf wollte nicht kommen, weder zu Severus noch zu Draco oder Lucius.

Narzissa hielt die Hand ihres Gemahls. Flüsternd tauschten sie verliebte Worte, sprachen von der Zukunft, die nur Gutes bringen sollte. Durch ihre Anwesenheit war sein Zustand gestärkt worden. Der Schmerz war geblieben, war aber erträglich.

Die Tür wurde nach einem kurzen Klopfen aufgerissen. Eine Schwester sprach hektisch: „Mrs. Malfoy?“
„Ja?“
„Die Heiler würden gern eine Visite durchführen. Besucher sind während dieser Zeit nicht erlaubt.“ Schwester Ellen trat ins Zimmer hinein. „Professor Puddle empfiehlt auch, dass Sie morgen wiederkommen sollen. Mr. Malfoy braucht Ruhe.“
Bissig fragte Lucius: „Und ich habe dabei gar nichts zu sagen?“
„Tut mir leid, Mr. Malfoy. Ich kann nur ausrichten, was der Heiler sagt. Sie können alles andere gern mit ihm klären.“
Lucius schnaufte missgestimmt. „Dann lassen Sie uns noch einen Moment zum Verabschieden.“
„Natürlich.“ Schon verließ Schwester Ellen den Raum.
Narzissa drückte seine Hand. „ Vielleicht sollte ich wirklich gehen. Ich werde dich morgen besuchen, Schatz.“
Nur widerwillig nickte Lucius. Seine Frau bedeutete ihm alles. „Wenn du zu Draco gehst, dann wünsche ihm auch von mir eine gute Besserung. Ohne meine Schuld würde er nicht das gleiche Schicksal erleid...“
„Shht“, machte Narzissa, bevor sie ihm einen Kuss auf den Mund gab. „Morgen werde ich dir von Draco berichten. Vielleicht bringe ich auch Charles mit?“ Sie zwinkerte ihm zu, denn Narzissa wusste, wie sehr ihr Gatte den Enkel lieb gewonnen hatte.
„Das wäre schön.“

Als Narzissa gehen wollte, warf sie einen flüchtigen Blick zu Gregory Goyle. Seine verloren wirkende Gestalt sprach ihr Herz an, weshalb sie zu ihm ans Bett ging. Verschüchtert schaute er auf. Natürlich kannte er sie.

„Mrs. Malfoy?“ Er schien die Situation nicht richtig einschätzen zu können, dachte womöglich, sie hätte etwas Schlechtes im Sinn.
„Guten Tag, Mr. Goyle. Wie geht es Ihnen?“
Ihre Worte klangen freundlich, so dass er antworten wollte, auch wenn seine eigene Stimme ihm sehr fremd vorkam. „Mir geht es den Umständen entsprechend, danke der Nachfrage.“
„Gibt es jemanden, der über Ihre Situation benachrichtigt werden könnte?“

Skeptisch legte Gregory den Kopf schräg und dachte nach. Seinen Vater wollte er nicht sehen, seine Mutter war verschwunden. Er wusste nicht einmal, was alles geschehen war, während er das Leben verschlafen hatte. Vage erinnerte er sich an die Strafe, weil er keinen Avada Kedavra anwenden konnte. Sein Vater hatte ihn verprügelt, ihn eine Schande für die Familie genannt. Die Flucht aus der Residenz des Dunklen Lords war gelungen. Todesser waren hinter ihm her, jagten ihn. Immer auf der Hut, immer auf der Flucht. Gedankenfetzen fluteten seinen Geist. Blaise und Pansy, die er auf seiner ziellosen Reise getroffen hatte und die von dem Gutshof in Peninver erzählten, wo sie sicher wären. In der Nähe von Minard Castle plötzlich ein Kriegsschauplatz. Die Todesser, die ihm gefolgt waren, wurden von mutigen Muggeln überwältigt. Auch er selbst fiel ihnen in die Hände. Von Blaise und Pansy keine Spur. Sie waren sicher. Die Erinnerung von Schmerz kam auf. Ein Turm. Handfesseln. Schläge und Tritte. Metallene Instrumente, die jeden Nerv zum Brennen brachten. Nadeln, Daumenschrauben. Dem Tode nahe. Ein Scheiterhaufen, den er durch geschwollene Augenlider sehen konnte. Jemand zündete das Reisig unter ihm an. Nichts mehr zu verlieren. Apparation mit letzter Kraft. Dunkelheit.

An mehr erinnerte sich Gregory nicht, denn die Dunkelheit wurde von dem Feuer auf seinem Arm durchbrochen, erweckte ihn.

„Der Krieg?“, hauchte er unsicher.
Narzissa legte den Kopf schräg. Ihre Worte sprach sie mit Bedacht, um dem jungen Mann nicht zu schockieren. „Der Krieg, Mr. Goyle, ist seit über zwei Jahren vorbei.“
„Wer ...“ Gregory musste kräftig schlucken. Ein falsches Wort und man würde ihm zum Feind erklären. „Wer hat gewonnen?“
Ein zuversichtliches Lächeln begleitete ihre Worte, als sie erwiderte: „Mr. Potter war so frei, die Angelegenheit für uns zu entscheiden.“

Ein Paradoxon, dachte Gregory. Harry Potter entschied den Sieg für die Todesser?

„Ich habe mich wohl missverständlich ausgedrückt“, lenkte Narzissa ein, der Gregorys Verwirrung nicht entgangen war. „Harry Potter hat den Sieg für die gute Seite gebracht. Voldemort ist tot.“ Gregory atmete auf und lauschte, als Narzissa erklärte: „Es hat sich einiges zum Positiven gewandelt, Mr. Goyle, aber das werden Sie nach und nach selbst erfahren. Also“, sie wiederholte ihre Frage, „gibt es jemanden, den man benachrichtigen könnte? Ich würde Ihnen diesen Gefallen gern erweisen.“
Der geschwächte Patient nickte. „Mr. Zabini und Miss Parkinson vielleicht? Ich habe die beiden lange nicht gesehen.“
„Oh, ich habe sie gesehen. Auf der Hochzeit meines Sohnes und während des Quidditch-Spiels in Hogwarts“, erzählte sie gut gelaunt.
Gregorys Stirn schlug Falten. „Draco hat geheiratet? Wen?“
„Sie kennen die junge Dame bestimmt noch, war mit Ihnen in einem Jahrgang. Susan Bones.“

Würden Gregorys Augen nicht fest im Griff der Sehnerven sein, wären sie ihm nach dieser Erkenntnis herausgefallen.

Das Leben war voller Ãœberraschungen.

Das dachten auch Fogg und Stringer, als sie Schutz an dem dicken Baum suchten und zitternd warteten, was die nächste Minute bringen würde. Weiter hinten sahen sie die vier Auroren, die immer wieder einen Ortungs-Zauberspruch in eine Richtung abfeuerten. Von Greyback keine Spur. Der Angreifer hatte keinen Stab bei sich, hatte ihn womöglich schon vor Jahren verloren. Trotzdem war der gefürchtete Werwolf schnell und geschickt.

„Sieh nur!“ Stringer zeigte mit einem Finger zu den vieren hinüber. Greyback kam aus einem Gebüsch geschossen und schlug der jüngsten Frau den Zauberstab aus der Hand, doch bevor er der Aurorin oder dem Stab etwas tun konnte, griffen die anderen drei an.

Kingsley fluchte. „Wir brauchen Verstärkung! Der ist zu schnell.“ Er wollte nicht erwähnen, dass er Tracey und Kevin stets im Auge behielt, was ihn an seiner Arbeit hinderte. Die beiden waren jung, unerfahren. Gegen Greyback, mit dem man nicht gerechnet hatte, wären sie ohne Stab machtlos und genau das war es, was der Kriminelle im Auge hatte: Die Feinde entwaffnen, um sie dann mit seiner Körperkraft zu überwältigen. Die schnelle Auroren-Ausbildung bei Tonks hatte kaum die körperliche Verfassung gestählt. Kevin und Tracey waren schmächtig und im Nahkampf nicht geübt. Greyback hatte vorhin sogar die beiden ausgewachsenen Männer entwaffnet und angefallen. Was der Wilde mit den beiden Auroren anfangen würde, daran wollte Kingsley nicht einmal denken. Es war bekannt, dass Greyback das Fleisch junger Menschen vorzog.

Ein Krächzen war zu hören. Erschrocken drehten sich alle um. Nicht Greyback war zu sehen, sondern ein Hippogreif – ein Hippogreif mit einem Mann auf dem Rücken.

„Sirius!“ Tonks rannte auf ihn zu, vergaß dabei all ihre Höflichkeit und wurde deswegen beinahe von dem Greif getreten. Schnell gewann sie wieder Abstand.
Kingsley näherte sich ein paar Schritte, damit er Sirius warnen konnte. „Greyback ist hier. Du solltest gehen, aber schleunigst!“
„Greyback?“ Sirius' Augen funkelten freudig. Er zog seinen Stab. „Ich kann euch helfen! Brauche sowieso noch ein Weihnachtsgeschenk für Remus.“
Tonks musste für einen Moment lächeln, bis die ernste Lage wieder ihre Muskeln anspannte. „Nein, mein lieber Cousin. Du machst eine Fliege!“
„Hör auf sie!“, stimmte Kingsley zu. „Aber tu uns den Gefallen und gib Arthur Bescheid, dass wir ihn tatsächlich gefunden haben. Wir brauchen mehr Leute!“
„Ich könnte doch ...“
„Sirius!“, fuhr Tonks ihn böse an. „Du verschwindest sofort! Ich könnte mir nie verzeihen, sollte dir etwas pass...“

Die Ablenkung hatte Greyback genutzt. Mit Wucht sprang er Kevin auf den Rücken. Aus den Augenwinkeln sah der junge Mann die scharfen Zähne. Sie waren gefährlich nahe an seinem Nacken. Der massige Körper drückte ihn zu Boden. Die Angst um ihren Liebsten ließ Tracey unvorsichtig werden. Sie sprach einen Fluch. Die roten Funken trafen nicht Greyback, sondern Kevin. Ohnmächtig sackte er durch den Stupor in sich zusammen, den Werwolf noch immer auf dem Rücken. In Sekundenschnelle hatten Tonks und Kingsley ihre Stäbe erhoben, um Greyback von dem bewusstlosen Auror fernzuhalten. Die Bestie wich dem Impedimenta und dem Expelliarmus behände aus. Mit gefletschten Zähnen sprang er erneut auf den regungslosen Mann. Er biss jedoch nicht zu, denn ein raschelndes Geräusch ließ ihn irritiert aufblicken. Was er noch sehen konnte, war ein aufgebrachter Hippogreif mit aufgestellten Nackenfedern. Die kräftigen Krallen trafen Greyback im Gesicht. Blut floss. Um sich zu schützen, hob er seine Arme – sie waren vom nächsten Schlag zerschunden. Der dritte traf am Oberschenkel, hinterließ tiefe Schnitte. Der Kampf schien aussichtslos. Der Werwolf wollte erneut fliehen, wandte sich um. Den Weg versperrte ihm ein großer schwarzer Hund. Tatze.

„Warum kann der Hitzkopf keine Anweisungen befolgen?“, murmelte Kingsley missgelaunt, bevor er einen Zauberspruch sprach, der Greyback fesseln sollte. Der Werwolf duckte sich, der Zauber ging daneben und wirbelte das Laub am Boden auf. Die fliegenden Blätter nutzte Greyback zur Tarnung. Er wich seitlich aus. Der Hund folgte und schnitt ihm den Weg ab, knurrend und zähnefletschend. Das Beißwerk des schwarzen Ungetüms war gefährlicher als das eigene in Menschengestalt. Greyback huschte nach rechts, konnte einen Baum zwischen sich und die Auroren bringen. Der schwarze Vierbeiner hielt vor ihm Stellung, hielt ihn in Schach. Zur Ablenkung der Auroren flüchtete Greyback wieder nach links. Damit lief er dem Hippogreif direkt in die Arme – oder besser gesagt in die riesigen Adlerklauen, die sofort zuschlugen. Ein kehliger Laut entwich Greyback, als er zur Beute des Mischwesens wurde. Der Hippogreif trat auf den Mann ein, wollte ihn tottreten wie ein Sekretär es mit einer Schlange tun würde.

„Seidenschnabel!“ Das Tier zögerte, schüttelte den Kopf und plusterte die Federn auf, bevor es nochmals zutrat. „Seidenschnabel, hör auf!“ Die Stimme des Herrn, des Freundes. Seidenschnabel gehorchte.

Der Hippogreif krächzte unbefriedigt, machte dennoch ein paar Schritte zurück. Die Adleraugen waren starr auf den Mann am Boden gerichtet, beobachteten ihn wachsam. Rechts und links neben dem Baum kamen Tonks und Kingsley hervor. Letzterer fesselte Greyback magisch, auch wenn der schwer verletzt war und kaum noch fliehen konnte. Sicher war sicher.

Kingsley ging auf den Gefesselten zu. Das Schnaufen des Mischwesens ließ ihn inne halten. „Bring den Hippogreif weg, Sirius.“ Im Umgang mit Greifen war Kingsley nicht geübt.
Sirius schnalzte mit der Zunge. Das Geräusch, auf das auch Pferde und Thestrale reagierten, wirkte bei Seidenschnabel genauso. Das riesige Tier hob den Kopf und stapfte neugierig seinem Freund entgegen. „Eine Belohnung gibt es Zuhause.“ Damit musste sich Seidenschnabel zufriedengeben.

Kingsley begutachtete seinen Fesselungszauber. Er hielt. Sein nächster Gedanke war Kevin. Tracey hockte bereits neben ihm. Mit einem Enervate hatte sie den Schockzauber aufgehoben. Der junge Mann blinzelte.

Kevin rieb sich den Nacken. „Tut mir leid, ich habe nicht aufgepasst. Ist er ...?“
„Wir haben ihn. Sirius' Freund war so nett.“
„Was für ein Freund?“ Kevin ließ sich von Tracey aufhelfen. Gleich darauf sah er das gefederte Tier, das mit Sirius schmuste, dabei immer wieder mit dem Schnabel an die Schulter des Mannes stieß und nach Futter bettelte. „Ein Hippogreif?“
Kingsley klopfte Kevin auf die Schulter. „Bei der Ausbildung haben wir euch eingetrichtert, immer mit allem rechnen zu müssen.“
„Ja schon, aber ein Hippogreif?“
„Mit allem, Kevin.“ Kingsley versuchte, ein Grinsen zu unterdrücken, weshalb er schief lächelte.
Während die beiden älteren Auroren sich um Greyback kümmerten, entschuldigte sich Tracey bei Kevin. „Verzeih mir bitte, dass ich dich getroffen habe.“
„Da kannst du nichts für. Wäre ich nicht zusammengesackt, hätte er mich bestimmt gebissen. Ich würde dir lieber danken, dass du mich erwischt hast. Damit hast du ihn kurzfristig von mir abgelenkt.“ Kevin legte einen Arm um Traceys Schulter. „Wie wäre es, wenn du mir heute bei einem Abendessen erzählst, was danach passiert ist?“
„Mach ich doch gern.“ Sie strahlte breit. „Wir müssen sowieso unseren Bericht fertigmachen. Das können wir auch zusammen tun.“
„Bei dir oder bei ...“
„In Tonks' Büro.“ Weil er das Gesicht verzog, fügte sie schelmisch hinzu: „Und nach der Arbeit gehen wir essen.“

Mit dieser Aussicht war auch Kevin wieder milde gestimmt. Bis dahin sollte der Muskelkrampf in den Schultern Vergangenheit sein.

Auf Seidenschnabels Rücken verließ Sirius den Schauplatz im Wald, um Remus die gute Neuigkeit zu übermitteln. Seinen Freund würde es sicher mächtig freuen, dass derjenige, von dem er als Kind gebissen wurde, nun gefasst war. Die großen Schwingen des Hippogreif zeichneten einen Schatten im Innenhof der Festung ab, weswegen Harry und Hopkins gleichermaßen neugierig nach oben blickten. Durch den Regen blinzelten sie schnell.

„Monster“, murmelte Hopkins, als er dem Greif nachschaute.
„Ein mythologisches Wesen“, verbesserte Harry zähneknirschend, womit er wieder Hopkins' Aufmerksamkeit erhielt. Der blickte ihn durch zusammengekniffene Augen an, tat und sagte jedoch nichts. Die Waffe hatte er noch immer nicht auf Harry gerichtet, also sah Harry keinen Grund, den Stab zu erheben. Er war in friedlicher Absicht hier, aber ein wenig piesacken wollte er doch. „Es ist nicht die feine englische Art, eine junge Frau zu entführen.“
Feuer flammte in Hopkins Augen auf, bevor diesmal er korrigierte: „Eine Hexe!“
„Eine junge Frau! Und wie das Leben so spielt, zufällig auch mein Zukünftige. Darf ich wissen, was wir verbrochen haben?“
Mit gepflegter Konversation schien Hopkins nicht gerechnet zu haben. In Gedanken schien er Harrys Frage zu wiederholen, um die Situation zu begreifen. „Eine ganze Menge“, war seine unzureichende Antwort.
„Beispiele wären nett“, forderte Harry furchtlos. „Mich würde auch sehr interessieren, warum Sie offensichtlich mich herlocken wollten. Was hatten Sie mit mir vor?“

Als würde die Phrenesie sich für einen Moment zur Seite schieben sah Harry in den Augen Hopkins' Verwirrung und die nicht gestellte Frage „Was mach ich eigentlich hier?“. So schnell dieser lichte Moment gekommen war, so geschwind war er auch schon vorübergezogen. Der Unverstand war zurückgekehrt. Wie von einem Gott verflucht hatte sich der Wahnsinn wie ein unsichtbarer Nebel über den wachen Geist gelegt, der gegen das Irrereden der inneren Stimmen nicht anzukommen vermochte. Hopkins wollte sich von dem teuflischen Fluch befreien, der seit Studientagen auf ihm zu lasten schien. Er wollte sich von den Schmerzen lösen, die er ertragen musste und die Stimmen in seinem Kopf zum Schweigen bringen. Harry Potter sollte sein ganz persönlicher Nemëischer Löwe werden; die erste zu bewältigende Aufgabe, die ihn seinem klaren Verstand näher bringen sollte.

Der innere Zwist seines Gegenübers war für Harry deutlich zu erkennen. In all den Jahren, die er mit Feind und Freund verbringen musste, waren ihm Feinheiten der Körpersprache nicht fremd. So sahen Lügner gern nach links oder kratzten sich im Gesicht, während ihre rechte, kreativen Gehirnhälfte die Ausflüchte erdachte. Die Aufrichtigen blickten hingegen nach rechts, scheuten auch nicht den direkten Augenkontakt. Eine Abneigung gegen Menschen und Situationen oder, wie Harry es früher oft bei Severus erleben musste, die totale Verschwiegenheit wurde unbewusst mit verschränkten Armen oder übergeschlagenen Beinen unterstrichen. Bei Hopkins konnte er wenig erkennen. Die Nervosität fiel ihm als Erstes auf, denn Hopkins spielte mit der Waffe, schüttelte sie leicht, um ihr Gewicht zu fühlen und sich in Sicherheit zu wiegen. Die freie Hand öffnete und schloss sich im Takt, was bedeutete, dass Hopkins unsicher war. Unsichere Menschen, die sich zusätzlich bedroht fühlten, waren gefährlich. Harry wollte Hopkins keinen Grund geben, sich angegriffen zu fühlen.

„Mr. Hopkins, was haben wir Ihnen getan?“, versuchte er es nochmals, die Stimme dabei ruhig und einfühlsam gehalten.
Hopkins war nicht mehr zu halten. Er regte sich so sehr beim Sprechen auf, dass er sogar spuckte. „Ihr raubt Kinder! Ihr tötet Menschen! Ihr lasst Körperteile mutieren. Leute wie ihr fügen aus Spaß Schmerzen zu!“
„Das ist nicht wahr!“, rechtfertigte sich Harry, der sich persönlich angegriffen fühlte.
„Es ist wahr! Hier“, er deutete mit seiner Waffe hinter sich auf die Festung, „leben eine Menge Menschen, die von euresgleichen drangsaliert wurden. Mich nicht ausgeschlossen! Wir können ja hineingehen, Mr. Potter.“ Hopkins wandte sich bereits um und ging völlig unverhofft zum Eingang hinüber. „Dann werden Sie sehen“, brüllte er aus einiger Entfernung, „was Sie angerichtet haben!“
„Mr. Hopkins ...“ Harry wurde nicht mehr gehört. Der Regen wurde immer stärker. „War das eine Einladung?“, sprach Harry zu sich selbst.
„Harry“, Ron erschien hinter ihm, „du willst da doch nicht allein rein?“
„Was tust du hier? Habe ich nicht gesagt, du sollst verschwinden?“
„Ähm ...“ Sein Freund blickte betreten zu Boden. „Ich habe nur ein Auge auf dich geworfen.“ Weil Harry zum Eingang der Festung blickte, wiederholte Ron: „Du willst da nicht rein, oder?“
„Ich muss! Irgendwas ist mit dem Mann los. Hast du gehört, was er gesagt hat? Über das, was 'wir' getan haben sollen?“
„Das ist bestimmt eine Falle, Harry. Ich an deiner Stelle würde ihm nicht in die Höhle des Löwen folgen. Du kennst doch die Fabel?“ Harry blickte ihn irritiert an, woraufhin Ron erklärte: „Der alte Löwe fragt den Fuchs, warum er denn nicht in seine Höhle kommen will und der Fuchs antwortet, weil zu viele Spuren hinein, aber keine hinausführen.“
„Du vergisst aber, Ron, dass ich hier der Löwe bin.“
„Haarryyy ...“ Rons nörgelnde Tonfall erinnerte sehr an Mrs. Weasley. „Es ist gefährlich! Machen wir es doch so wie es geplant war. Du kannst da nicht alleine rein.“
Harry schnaufte. „Ich kann! Habt ihr die Männer im Griff?“ Sein Blick richtete sich auf die Stellen hinten am Eingang, wo die aggressiven Anhänger gekämpft hatten.
„Sind alle gefesselt. Das waren die, die du noch sehen konntest. Die anderen haben eine Fliege gemacht, sind alle hineingerannt.“
„Das passt doch bestens!“, wollte Harry seinem Freund weismachen. „Dann gehe ich als Erster rein und der Bodentrupp folgt mir in einigem Abstand – unsichtbar!“
„Und du willst sichtbar bleiben? So war das aber nicht gedacht! Soll ich dir vielleicht gleich eine Zielscheibe auf den Rücken malen?“ Ron zuckte mit den Schultern. „Nur damit die Muggel es noch einfacher haben.“
„Ron!“, mahnte Harry mit fester Stimme. „Sieh dir mal die Fenster an.“

Ron folgte dem Deut von Harry und schaute zur Festung. Nicht nur ein weißes Kopfkissen war an einem der Fenster zu sehen, sondern noch zwei weitere. Die Muggel gaben nach und nach auf.

„Toll, Harry. Drei Muggel geben auf und du glaubst dich schon als Sieger? Was ist mit dem Harry geschehen, der sich erst nach dem dritten Rundgang sichtbar machte, wenn wirklich alle Feinde in die Knie gezwungen wurden?“
„Das hier sind doch keine Feinde. Wenn ein paar von den Dingen stimmen, die Hopkins uns anlastet, dann kann ich verstehen, warum manche Muggel was gegen Zauberer haben.“
„Die haben Ginny entführt!“, rief Ron ihm aufgebracht ins Gedächtnis zurück.
„Aber doch nicht alle auf einmal! Und jetzt ist sie frei. Was nun, Ron?“ Harry legte seinen Kopf schräg. „Rache? Das ist das, was sie von uns erwarten und auch das, was Voldemort getan hätte. Sollen wir einfach alle überrennen?“
Ron verzog das Gesicht. Harry hatte Recht. Man konnte den Muggeln auch auf andere Art zeigen, dass sie überlegen waren, aber auch, dass sie Güte großschrieben. Er hob seinen Stab und richtete ihn auf Harry: „Metallissulto.“
Harry tastete seinen Körper ab, spürte jedoch keine Veränderung. „Was war das?“
„Metall prallt jetzt an dir ab. Pass aber auf, wenn sie mit Steinen nach dir werfen sollten, dagegen hilft der Spruch nämlich nicht. Wir folgen dir und halten Abstand.“ Mit einem freundschaftlichen Schlag auf den Rücken verließ Ron seinen Freund, bevor er den Bodentrupp, bestehend aus den Zwillingen, Luna, Angelina, Colin und Dennis, Bescheid gab. Später, so war es geplant, würden die anderen vom Himmel kommen und den Innenhof einnehmen.

Nur kurz blickte Harry seinem besten Freund nach. Der Zauberspruch, der Metall abprallen lassen sollte, hatte offensichtlich den Schutzzauber gegen den Regen aufgehoben, denn Harry wurde nass. Er setzte sich in Bewegung, das dunkle Gemäuer behielt er immer im Auge. Er kam an Muggeln vorbei, die von seinen Freunden gefesselt wurden. Höflich, wie die DA-Mitglieder waren, hatten sie auch einen Regenschutzzauber auf die Überwältigten gelegt, damit sie sich keine Lungenentzündung holen würden. Der Eingang mit seiner dunkelbraunen Flügeltür kam immer näher. Bis auf die Gefesselten war niemand zu sehen. Rechts von den Stufen, die zur Eingangstür führten, sah er ein Fenster am Boden. Nachdem Harry die paar Stufen hinaufgegangen war und er an der nur angelehnten Tür stand, blickte er sich um. Seine Freunde sammelten sich langsam hinter ihm, um ihm zu folgen. Durch diesen Gedanken gestärkt legte er eine Hand an das feuchte Holz und stieß eine Seite der Tür auf. Ächzend gab sie den Weg zur Halle frei.

Im Eingangsbereich hielt sich niemand auf. Seine Schritte waren dank seiner einfachen Turnschuhe dumpf. Von hier aus führte eine Treppe nach oben in den ersten Stock. Rechts, links und vor ihm – vorbei an der Treppe – lagen Türen. Die rechte war geöffnet, der Raum dahinter dunkel. Harry wollte dort einen Blick hineinwerfen, um einen möglichen Hinterhalt zu zerschlagen. Immer wieder huschten seine Augen zur Treppe, falls man ihn von oben aus angreifen wollte, aber jeder schien sich ängstlich verkrochen zu haben. Man hörte keinen Mucks. Die offene Tür führte ein paar Stufen hinunter. Harry fand sich in einer riesigen Küche wieder, einem halbrunden Anbau der östlichen Wehrmauer. Ein Blick nach links zeigte das Fenster, das er schon vor dem Betreten der Festung gesehen hatte. Von hier aus führten Stufen zum Doppelfenster hinauf. Wahrscheinlich, dachte Harry, nutzte man dieses große Fenster, wenn Lebensmittellieferungen kamen. Die Küche war offenbar nie restauriert worden, schien aber voll funktionstüchtig. Der Boden, die Wände, die Säulen – alles war grau. In der Mitte gab es eine viereckige Erhöhung, die als Feuerstelle diente. Ein Rost hing noch über der Asche. An den Wänden waren Leisten angebracht, von denen Kellen, Löffel und Töpfe herabhingen. Harry kam an einem hüfthohen, hölzernen Gegenstand vorbei, auf dem eine breite Axt eingeschlagen war. Wahrscheinlich hatten eine Menge Hühner hier ihr Haupt verloren. Langsam ging Harry einige Schritte weiter. Hinten war ein Kamin angezündet. Es wurde heller und wärmer. Zwischen zwei Säulen war ein langer Tisch platziert und dort – Harry erschrak – saß jemand. Dieser Jemand blickte ihn durch schwere Lider an. In einer Hand hielt der Mann mit dem grau melierten Schläfen einen metallenen Becher, auf dem Tisch vor ihm stand ein Krug. Der Becher war auf dem halben Weg zu Mund in der Luft eingefroren – wahrscheinlich seit dem Zeitpunkt, als der Mann Harry bemerkt hatte.

„Guten Tag, Sir“, grüßte Harry höflich, „mein Name ist ...“
„Harry Potter“, säuselte der Herr, der einige Becher zu viel intus hatte. „Ich kenne Ihren Namen.“
„Und Sie, Sir? Mit wem habe ich die Ehre?“
„Mein Name ist Mr. Andersen, ich bin Arzt.“
„Was tun Sie hier?“
Mr. Andersen stieß mit dem Fuß seines Bechers an den Krug. „Mich betrinken. Der Wein in diesen Kellern ist fast genauso alt wie das Gebäude. Unbezahlbar ...“
Langsamen Schrittes näherte sich Harry dem Mann, bis er ihm gegenüber stand. Nur der Tisch war zwischen ihnen. „Und was genau haben Sie mit Mr. Hopkins zu tun?“
„Nicht viel, Mr. Potter. Eigentlich sehr wenig.“
„Warum unterstützen Sie ihn dann?“
Mr. Andersen schüttelte den Kopf. „Das mache ich gar nicht.“
„Aber er muss Ihnen irgendwas versprochen haben. Warum sonst ...?“
„Hören Sie“, unterbrach Mr. Andersen, „ich bin nur hier, um jemanden auf Schmerzensgeld zu verklagen.“
Harry stutzte. „Verklagen? Warum?“
Mr. Andersen nahm einen letzten Schluck und stellte den leeren Becher auf dem Tisch ab, winkte Harry danach zu sich heran. „Kommen Sie her, ich zeig es Ihnen.“

Seinen Stab immer in der rechten Hand haltend ging Harry langsam um eine der Säulen herum, die beide Tischenden abschlossen. Er stand nun direkt bei Mr. Andersen, der noch immer auf seinem Stuhl saß und sich nun bückte, um seinen rechten, schwarzen Slipper auszuziehen. Die Socke folgte. Harry blickte auf einen Fuß, dessen Zehen keine Zwischenräume mehr hatten – sie waren zusammengewachsen. Die Zehennägel waren noch vorhanden.

„Wer hat das getan?“ Es musste ein Zauberer gewesen sein, das war logisch, dachte Harry.
„Ein Zauberer“, erwiderte Mr. Andersen, als hätte er Harrys Gedanken gelesen. „Er war betrunken und hat seine Späßchen mit mir getrieben.“
„Wann war das?“
„Vor etwas über drei Jahren.“
Seit so langer Zeit lief dieser Muggel schon mit einem Scherzzauber herum, der mit einem einfachen Spruch, den jedes Kind kannte, beendet werden konnte. Als Nevilles Beine damals durch einen Tarantallegra zum unkontrollierten Tanzen gezwungen wurden, hatte Remus den Scherzzauber mit einer leichteren Variante dieses Gegenzaubers aufgehoben. „Das tut mir sehr leid, Mr. Andersen.“ Ohne zu fragen wutschte Harry mit seinen Stab und sprach: „Finite Incantatem.“

Völlig aufgebracht, weil Mr. Andersen mit einer Verschlimmerung zu rechnen schien, fuchtelte er wild mit seinen Händen umher. Er zog auch noch den zweiten Schuh und die Socke aus, um mit anzusehen, wie die Zehen sich langsam schmerzfrei teilten und wieder ihre ursprüngliche Form annahmen. Mr. Andersen hatte sich beruhigt, als er bewusst registrierte, dass Harry lediglich den Fluch aufgehoben hatte. Außerdem hatte ihn diese Aufregung auf einen Schlag wieder nüchtern gemacht. Vorsichtig wackelte er mit dem großen Zeh des rechten Fußes. Er hatte keine Bewegungseinschränkung zurückbehalten, wie er es befürchtet hatte. Ein zufriedenes Lächeln ergriff Besitz von seinem Gesicht. Mr. Andersen blickte auf.

„Vielen Dank, Mr. Potter! Hätte ich gewusst, dass das so schnell und ohne Komplikationen vonstatten geht, hätte ich mich nicht unters Messer gelegt, sondern mir einen Zauberer gesucht.“
Harry blinzelte. „Wieso mussten Sie sich operieren lassen?“
„Der 'Herr' hat meine Nase ums dreifache wachsen lassen. Die Schönheitschirurgie ist in der heutigen Zeit glücklicherweise zu einigem fähig.“ Mit einem Finger strich sich Mr. Andersen über die kleine, formschöne Nase. „Bei den Ohrläppchen gab es auch keine Probleme. Das überschüssige Gewebe wurde einfach entfernt. Probleme machte nur der Ringelschwanz, den mir der Mann angehext hat. Der war mit der Wirbelsäule verbunden und konnte nur teilweise entfernt werden.“
„Das ist grauenvoll“, flüsterte Harry, doch Mr. Andersen hatte ihn gehört.
„Sie“, er zeigte einmal auf Harry, „sind auch zu solchen Dingen in der Lage.“
„Aber warum sollte ich so etwas tun? Das ist Körperverletzung!“
„Genau deshalb hätte ich den Zauberer, der mir das angetan hat, gern verklagt. Sie können sich aber denken, wie überaus schwierig es war, meinen Zustand den entsprechenden Behörden glaubhaft zu schildern. Ich habe meine Aussagen zurückgezogen, weil ich bemerkte, dass ich so kurz davor war“, er zeigte eine kleinen Abstand mit Daumen und Zeigefinger, „in eine Nervenklinik eingewiesen zu werden. Also war es kein Zauberer, der mit das angetan hat, sondern eine unerklärliche Generkrankung, die gewisse Körperstellen mutieren ließ. Ich hab fast selbst schon dran geglaubt, unter psychischen Störungen zu leiden, bis ich eines Tages Mr. Hopkins kennen lernte. Bei ihm fand ich Gehör und auch Verständnis, Mr. Potter. Das ist der Grund, warum einige von uns seinen Worten Glauben schenken, denn er war für uns da.“

Harry nickte verständnisvoll. Die Geschichte von Mr. Andersen konnte er nachvollziehen, den Grund für die Abneigung der Magischen Welt verstehen. Für einen Augenblick fragte er sich, was man eigentlich mit Dudleys Ringelschwanz getan hatte. Er würde beizeiten Hagrid fragen, ob der Zauber damals zeitlich beschränkt gewesen war, denn über diesen Vorfall hatten seine Verwandten nie wieder ein Wort verloren.

„Ist allen Leuten, die hier sind, etwas Ähnliches passiert wie Ihnen?“, fragte Harry, befürchtete aber gleichzeitig, die Antwort würde positiv ausfallen.
„Vielen, keinesfalls allen. Hier laufen leider eine Menge Spinner rum. Wünschelrutengänger, selbsternannte Wahrsager und andere Menschen, die man höchstens auf dem Rummel erwartet. Aber die, Mr. Potter, die tatsächlich mit Zauberern und Hexen in Berührung kamen ...“ Mr. Andersen atmete tief durch, als er an Claudine und Jakob dachte, die noch immer um ihre Söhne trauerten. Sein Blick fiel auf die beweglichen Zehen. Seine Stimme drückte Bedauern aus, als er sagte: „Einige Dinge lassen sich nicht rückgängig machen.“

Hopkins' Worte hallten in Harrys Gedächtnis wider. 'Ihr raubt Kinder! Ihr tötet Menschen! Ihr lasst Körperteile mutieren. Leute wie ihr fügen aus Spaß Schmerzen zu!' In dieser Hinsicht hatte Hopkins wohl die Wahrheit gesagt und das machte Harry Angst. Kinder rauben und Menschen töten? Unmöglich war die Vorstellung nicht, wenn er an Todesser dachte.

„Wir ...“ Harry wusste gar nicht, was er sagen sollte. Sollte er fragen, ob es tatsächlich Tote gegeben hat? „Wir haben nichts Böses vor, Mr. Andersen. Wir möchten nur in Ruhe gelassen werden.“
Mr. Andersen wurde kurz laut. „Dann sollen die Zauberer uns in Ruhe lassen! Es passiert doch offensichtlich immer wieder, dass wir nur als Belustigung herhalten. Das muss man unterbinden! Haben Sie denn keine Gesetze gegen solche“, er zeigte auf seine Füße, „Späße?“
„Das ist ... Nicht jeder ist so! Sie können nicht alle verurteilen, weil ein paar von uns gegen die Gesetze zum Schutz der Muggel verstoßen.“
„Ich verurteile gar nicht alle, Mr. Potter. Die junge Frau zum Beispiel, die Hopkins' Handlanger hier angeschleppt haben, die war sehr nett.“
„Ginny? Sie haben sie gesehen?“
„Und mit ihr geredet. Man wollte sie ruhigstellen. Als Arzt sollte ich das übernehmen.“ Mr. Andersen setzte sich wieder und schenkte sich von dem Wein ein. „Sie wird es Ihnen selbst erzählen können, denn sie ist ja geflohen.“
„Mr. Andersen?“ Der Mann blickte auf. Seine Augen wirkten müde. „Was kann ich tun, damit die Menschen verstehen, dass es auch in unserer Welt Verbrecher gibt?“
„Was meinen Sie?“
„Unter den Muggeln gibt es auch Mörder, aber niemand würde auf die Idee kommen, alle Muggel mit diesen Kriminellen gleichzusetzen. Die magische Bevölkerung ist der der Muggel sehr ähnlich. Wir gehen einkaufen, jäten den Garten, kochen und putzen, gehen zur Schule oder haben Berufe. Viele von uns mögen Muggel, haben sogar welche als Eltern.“
Mr. Andersen nickte. „Ja, das stand auch im Tagespropheten.“ Wieder war Harry erstaunt. Diese Muggel lasen die Zeitungen der Zaubererwelt. Da war es kein Wunder, dass Hopkins ihn kannte. „Den meisten hier ist klar“, fuhr Andersen fort, „dass nicht alle so sind. Wir wissen von Todessern und dass die auch euch schwer zu schaffen machten. Aber was sollen wir denn tun?“ Mr. Andersen hob beide Hände in fragender Geste, bevor er sie auf seine Schenkel legte. „Wir haben keine Anlaufstelle, kein Amt, wo man sich beschweren könnte, wo man gerechte Strafen erzielen könnte. Wir sind den Zauberern hilflos ausgeliefert.“
„Ich verstehe, was Sie meinen. Bei uns werden gerade die Gesetze geändert. Ich kenne die Leute, die daran arbeiten. Ich werde dafür sorgen, dass das Gesetz zum Schutz der Muggel ausgeweitet wird. Es muss möglich sein, die Opfer von magischen Übergriffen als solche zu erkennen und deren Aussagen ernst zu nehmen. Da muss der Muggel-Premier noch enger mit uns zusammenarbeiten.“
„Das ist auch so eine Sache.“ Mr. Andersen kam ins Grübeln. „Unser lieber Premierminister weiß über alles Bescheid. Warum weiß die Bevölkerung nichts über die Magische Welt?“
Die Antwort wägte Harry überlegt ab. „Es könnte Panik ausbrechen. Bei Hexen denken doch alle sofort an hässliche, Menschen fressende Weiber mit einer schwarzen Katze auf dem Buckel.“
„Wie dem auch sei ...“ Mr. Andersen betrachtete seinen Becher. Er war offenbar gewillt, sich weiterhin zu betrinken. „Es geht einfach nicht, dass man uns so behandelt.“
„Da stimme ich Ihnen zu. Ich möchte einige Dinge mit Mr. Hopkins klären. Wissen Sie, wo er hin ist?“
Der Arzt schüttelte den Kopf. „Sein Zimmer hat er im ersten Stock ganz hinten. Ich habe ihn seit vorhin nicht mehr gesehen.“
„Dann werde ich ihn mal suchen.“
Harry war schon ein paar Schritte, da stand Mr. Andersen auf und ging ihm nach, hielt ihn am Oberarm fest. „Mr. Potter, Sie müssen Obacht geben. Hier laufen ein paar gefährliche Typen rum, besonders dieser Tyler.“ Der Arzt drosselte seine Stimme, damit nur Harry ihn hören würde. „Ich bin mir sicher, der Mann hat schon ein paar Leichen im Keller.“
„Tyler? Wie sieht der aus?“
„Sie erkennen ihn bestimmt sofort. Die Pistole ist ihm an der Hand festgewachsen. Ohne werden Sie ihn keinesfalls antreffen. Er hat eine fliehende Stirn, kurze, braune Haare und einen fiesen Blick; ist so groß wie Sie.“
„Ich werde aufpassen.“
Andersen nickte und hob seinen Becher, mit dem er ihm zuprostete. „Bereiten Sie dem Wahnsinn ein Ende.“

Während Harry zur Tür ging, fragte er sich, ob er Hopkins ein Ende bereiten sollte oder der Tatsache, dass manche Zauberer sich an Muggeln vergriffen. Beides wird der Fall sein, dachte er. Zurück im Eingangsbereich traf er auf seine Freunde, die artig warteten, wie er es verlangt hatte. Sie waren für andere unsichtbar, nur untereinander konnten die Mitglieder der DA sich sehen.

„Wir dachten schon“, flüsterte Ron, „wir müssen dir nachkommen.“
„Bisher alles im grünen Bereich“, versicherte Harry. „Hopkins' Zimmer ist im ersten Stock ganz hinten. Ich gehe hoch. Ihr folgt mit etwas Abstand. Und immer die Nerven behalten! Achtet auf einen bestimmten Typen, meine Größe. Er hat eine fliehende Stirn und kurze, braune Haaren. Er heißt Tyler. Soll besonders gefährlich sein.“

Die Stufen der Treppe waren ein Hindernis, das die DA-Mitglieder nur mit einem Zauberspruch, der die Schritte lautlos machen sollte, geräuschlos überwinden konnten. Oben angekommen blickte Harry sich zunächst um. Zwei Gänge führten von hier aus weiter. Der eine nach links, einer gerade aus. Ganz hinten bemerkte er eine große Doppeltür: Hopkins' Zimmer. Rechts und links in dem Gang befanden sich mehrere Türen. Harry schritt voran. Vorbei an der ersten Tür, an der zweiten und der dritten. Hinter der vierten hörte er ein Geräusch und hielt inne, um zu lauschen. Jemand weinte. Mutig klopfte Harry an. Das Weinen hörte abrupt auf. Da keine Aufforderung zum Eintreten kam, öffnete er die Tür sehr vorsichtig. Kugeln konnten ihm wegen Rons Schutzzauber gegen Metall nichts anhaben, aber sollte jemand auf andere Weise handgreiflich werden, könnte er sich verletzten. Die Tür ließ sich leicht öffnen. Sofort bemerkte Harry die ältere Dame, die auf dem Boden hockte und schwer atmete. Ihre Augen waren weit aufgerissen, als er eintrat. Nach dem ersten Schritt machte er Halt, weil er ihre Angst erkannte.

„Guten Tag, Madam. Mein Name ist Harry Potter.“ Die Dame atmete nun noch heftiger. Der Name war ihr bekannt. „Ich wollte ...“ Als Harry einen Schritt machte, fuhren ihre zitternden Hände in die Jackentasche. Sie zog eine Waffe, mit der sie ungenau auf ihn zielte. „Ich werde Ihnen nichts tun.“ Die Frau sprach einfach nicht, war völlig verängstigt. Harry machte noch einen Schritt auf sie zu, da erhob sie sich vom Boden und drückte sich an die Wand. Den Griff der Pistole umfasste sie nun mit beiden Händen. Trotzdem schlackerte die Waffe so stark, dass irgendein Teil klappernde Geräusche machte. Weil er Kugel nicht fürchten musste, machte er einen weiteren Schritt. Jetzt streckte sie beide Arme, um die Waffe ruhig zu halten, was ihr jedoch nicht gelang. Bei seinem nächsten Schritt schloss sie die Augen, wandte den Kopf zur Seite. Sie wollte schießen, doch man hörte nur ein klickendes Geräusch. Erschrocken über ihre eigene Hilflosigkeit drückte sie nochmal und nochmal, doch kein Schuss löste sich. Harry behielt die Ruhe, als er sich ihr näherte. Sie musste die Arme einziehen, sonst hätte sie ihn berührt. Sie wirkte auf ihn wie ein in die Ecke gedrängtes Tier, das keinen Fluchtweg mehr sah. Harry führte eine Hand an ihre, die noch immer die Waffe hielt.

„Hier“, er zeigte auf einen kleinen Schieber, „das ist die Sicherung.“ Er betätigte den Regler. Rote Farbe kam unter der freigewordenen Stelle zum Vorschein. „Habe ich im Fernsehen gesehen. Jetzt ist sie entsichert. Sie können schießen.“

Seine Stimme war so ruhig gewesen, sein Wesen so bedächtig und harmlos, dass die arme Frau ganz verwirrt war. Scheu blickte sie ihm in die Augen und sah dort all das Gute, dass er verkörperte. Eleanor kam sich schlecht vor, einen so freundlichen, jungen Mann bedroht zu haben. Die Waffe legte sie vorsichtig neben sich auf dem Nachttisch ab, legte danach beide Hände ineinander, als würde sie beten.

„Warum sind Sie hier?“, fragte er in einem Tonfall, der erahnen ließ, dass er diese Frage schon jemand anderem gestellt hatte.
„Mein ...“ Sie schluckte kräftig und begann von vorn. „Mein damaliger Freund hat die Verlobung gelöst.“ Sie hob und senkte die Schultern. „Das hätte ich überwunden, aber er hat“, ihre Stimme brach, „unseren kleinen Sohn ...“ Eleanor legte eine Hand über den Mund, um den Schmerz zu verdecken.
„Er hat ihn mitgenommen?“ Sie nickte nur, brachte kein Wort mehr heraus. „Ihr Verlobter war ein Zauberer.“ Es war eine Tatsache, sonst wäre sie gar nicht hier, wusste er. Wieder nickte sie, holte zittrig Luft. Harry nahm sie am Arm und führte sie die zwei Schritte zum Bett. „Setzen Sie sich.“ Direkt neben ihr nahm er Platz. „Und Sie wissen nichts über seinen Verbleib?“
„Nein, nur ...“ Eleanor langte zum Nachttisch.

Im ersten Moment glaubte Harry, sie würde sich die Pistole nehmen. Sie öffnete jedoch eine Schublade und holte eine Mappe heraus, die sie auf ihren Schoß legte. Harry beobachtete interessiert, was die Mappe offenbaren würde. Alte Bilder kamen zum Vorschein, pfleglich behandelt und in Schutzfolien verpackt. Ihr ganz persönlicher Schatz. Schwarz-weiß-Bilder aus alten Tagen. Sie suchte ein bestimmtes Foto und hielt es ihm entgegen. Harry nahm es in die Hand und betrachtete in Ruhe die drei Personen darauf. Eine hübsche Frau Anfang zwanzig in einem in den 50er Jahre wieder in Mode gekommenen, hellen Prinzesskleid stand in einem blühenden Park vor einer Picknickdecke und hielt freudestrahlend ein Baby im Arm. Ein ebenso junger Mann hatte seine Arme seitlich um die Frau gelegt, drückte sie und das Baby zufrieden lächelnd an sich. Irgendwas an dem Strahlemann auf dem Bild erinnerte Harry an jemanden. Die Gesichtszüge des Vaters waren ihm bekannt.

„Das war Flavius.“ Eleanor deutete auf den Mann im Bild. „Es bedeutet ...“
„Der Blonde“, vervollständige Harry. Der Name stammte von Flavio ab; so viel verstand er auch noch von Latein. Die Haarfarbe auf dem Foto war hell, aber wegen fehlender Farbe nicht genau zu deuten. „Und das Kind?“
„Wir haben ihn nach einem heftigen Streit Brian genannt. Ich bin mir sicher, er hat ihn umbenannt, nachdem er mich verlassen hat. Flavius hatte ganz seltsame Namen vorgeschlagen – altmodische. Ich habe ihm gesagt, das Kind würde später Probleme mit einem so alten Namen haben, würde gehänselt werden und erst da erzählte er mir, dass das in 'seiner Welt' vollkommen normale Vornamen wären, wie der seine auch.“
„Er hat Ihnen so spät erst gesagt, dass er ein Zauberer ist?“
Die ältere Dame nickte. „Wir haben uns seitdem nur noch gestritten. Ich war wütend, weil er mich von Anfang an belogen hat. Er stammte gar nicht aus Italien, war kein Werftarbeiter und seine Eltern waren auch nicht verstorben. Die Basis unserer Beziehung bestand aus einem wackeligen Gerüst aus Lügenmärchen.“ Eleanor stoppte sich. Ihr Blick fiel auf das Baby auf dem Foto. Von ihrem damals noch so fröhlichen Lächeln war heute nichts mehr bei ihr übrig. Die letzten vierzig Jahre hatte der Gram ihr Gesicht gezeichnet.
„Und dann?“, fragte Harry vorsichtig nach.
„Wir haben uns dazu entschlossen, uns zu trennen. Was ich nicht wusste, war ...“
„Dass er das Kind mitnimmt.“
Die Frau nickte, presste dabei fest die Lippen zusammen, weil die vor lauter Trauer bereits bebten. Einem Seufzer gleich atmete sie aus und wieder ein. „All die Zeit ... Ich habe mich jeden Tag, jede Stunde gefragt, was der Junge wohl gerade macht. Ob er lacht oder weint, ob er krank im Bett liegt, ob er Freunde hat, ob er“, sie wischte eine Träne weg, „glücklich ist.“ Sie atmete tief durch. „Die Ungewissheit ist das Allerschlimmste, wissen Sie? Bis jetzt. Ich weiß nicht einmal, ob er noch am Leben ist.“

Als Harry das Schicksal der Frau auf sich projizierte und sich vorstellte, jemand hätte Nicholas entführt, da konnte er mit ihr mitfühlen. Auch Ginny und er würden ihr Leben lang keine Ruhe finden. Das, was in wenigen Sekunden in seiner reinen Vorstellung schon unermesslich Schmerz bereitete, hatte diese Frau über vierzig Jahre ertragen müssen.

„Mrs. ...?“
„Eleanor Monaghan. Aber immer noch Miss.“

Die Frau hatte seit der aufgelösten Verlobung niemals geheiratet. Jetzt erst verstand Harry, wie sehr ihr Leben durch den Verlust des Sohnes zerrüttet worden war. Sie konnte nicht vergessen, konnte mit einem anderen Mann keine Familie gründen, weil sie glaubte, ihren verlorenen Sohn auf diese Weise noch in den Rücken zu fallen.

„Es wird eine Weile dauern, Miss Monaghan, aber ich bin der festen Überzeugung, dass wir Ihren Sohn finden können. Man müsste nur in unserem Ministerium die Geburtsurkunden durchgehen.“
Eleanor machte große Augen, schien seinen Worten nicht zu glauben. „Das ist möglich?“
„Bestimmt! Sie als Mutter haben ein Recht zu erfahren, was mit Ihrem Sohn geschehen ist. Ich bin mir auch sicher, dass der Vater eine Strafe erwarten kann.“
Sie schnaufte, zeigte damit ihre ganze Gleichgültigkeit. „Was mit dem Vater passiert, ist mir egal.“ Sie betrachtete das Baby auf dem Bild. „Hätte ich nur gewusst, wie ich das anstellen könnte, wie ich nach ihm hätte suchen können. Unsere Behörden konnten mir nicht helfen, haben ihn in den Akten einfach als vermisst geführt.“
„Das tut mir sehr leid, dass Ihnen so viel Unglück wiederfahren ist, Miss Monaghan. Ich werde mich später dafür einsetzen, dass Ihre Suche schnell vonstatten geht.“
Überglücklich nickte Eleanor, rang sich ein Lächeln ab. „Danke, Mr. Potter.“
„Ich werde mich später noch mit Ihnen unterhalten. Ich habe jetzt einiges mit Hopkins zu klären.“
„Mr. Potter“, sie machte eine Handbewegung, so dass er wartete, was sie zu sagen hatte. „Geben Sie acht. Mit Mr. Hopkins ist etwas nicht in Ordnung. Er ist nicht richtig im Kopf.“
„Das habe ich schon bemerkt“, winkte er ab.
„Ich meine es ernst!“, sie stand vom Bett auf. „Er ist gemeingefährlich. Manchmal nimmt ihn ein Wahnsinn ein, der selbst uns unheimlich ist. Ich weiß nicht, ob es ein Fluch ist, wie er immer behauptet.“
„Was für ein Fluch?“
„Einmal war es ganz schlimm. Er bekam Nasenbluten und es hörte einfach nicht mehr auf. Er wurde ganz jähzornig, war völlig außer sich und sagte immer wieder, dass die Hexen ihn quälen, weil er von ihnen weiß.“
Das hörte sich mehr als nur seltsam an, dachte Harry. „Danke für die Information. Ich werde jetzt Mr. Hopkins aufsuchen, hatte vorhin schon kurz das Vergnügen.“

Zurück auf dem Flur war es Harry ein Rätsel, warum Hopkins ihn einfach so hatte stehenlassen. Wollte der Mann, dass Harry selbst in Erfahrung brachte, was den Menschen widerfahren war? Im Flur schluchzte jemand und Harry drehte sich um. Nacheinander blickte er seinen Freunden ins Gesicht. Das von Luna zeugte von Tränen, die sie verloren haben musste, als sie Eleanors Geschichte lauschte.

„Alles okay?“ Alle nickten, auch Luna. „Dann weiter.“
„Harry?“ Er drehte sich um, so dass Ron empfehlen konnte: „Du musst nicht jede Tür hier öffnen. Wir wissen doch, wo Hopkins' Zimmer ist.“
„Aber ist es nicht einer der Gründe, weshalb wir hier sind? Um zu erfahren, warum diese Menschen uns so hassen?“
Ron zuckte mit den Schultern. „Eigentlich wollten wir Ginny befreien und das ist erledigt. Mach kurzen Prozess mit Hopkins und ...“
„Und was? Wieder gehen und die Leute sich selbst überlassen?“ Harry schüttelte den Kopf. „Nein, Ron. Du hast es doch eben gehört. Zwischen Muggeln und Zauberern läuft hier etwas mächtig schief und es liegt an uns, das wieder geradezubiegen.“
„Wie du meinst.“ Ron gab sich mit Harrys Aussage zufrieden.
Harry blickte in die Runde. „Oder ist jemand dafür, dass wir jetzt gehen sollten?“ Niemand rührte sich, nicht einmal sein bester Freund. „Habt ihr alle gehört, was die Frau da drinnen erzählt hat?“ Diesmal nickten sie im Einklang. „Sollen wir gehen und sie bis zu ihrem Tode in Ungewissheit lassen?“
„Harry macht es schon richtig“, hörte man unerwartet Lunas sanfte Stimme sagen. „Wir können denen helfen, denen man Unrecht getan hat.“
„Das kann das Ministerium auch“, warf Ron ein. „Wir können sie abholen lassen, dann machen sie eine Aussage.“
„Ron, Ron“, mit einer Hand machte Harry eine beschwichtigende Geste, „es liegt aber mir daran, etwas über diese Missstände zu erfahren, weil ich glaube, etwas ändern zu können. Das Ministerium wird sich später mit ihnen befassen müssen, aber erst ... Wie kann man besser die Gründe erfahren, als von den Leuten selbst?“
„Und Hopkins?“
„Der kommt auch noch dran, keine Sorge!“

Plötzlich hörte Harry Schritte hinter der Tür, die gegenüber von Eleanors Zimmer lag. Vorsichtig ging er näher heran und lauschte. Er hörte ein paar Personen tuscheln, konnte aber nicht einschätzen, wieviele es waren. Höflich klopfte er. Das Gemurmel verstummte. Unerwartet hörte er ein „Herein“ und öffnete daher die Tür.

Auf dem Boden saßen drei junge Damen, jünger als er selbst. Ihre Kleidung und die vielen Halsketten erinnerte sehr an die Aufmachung von Trelawney, ebenso die Utensilien, die bei den Damen auf dem Boden lagen: weiße Kerzen, Kräuter, Pendel und dergleichen. Eine der Frauen stand auf. Der viele Schmuck an Handgelenken und Hals klimperte wie kleine Glöckchen und erinnerten mit diesem Klang an Weihnachten.

„Hexer!“, fauchte die Dame, deren eigentlich hübsches Gesicht durch ihren Hass zu einer widerlichen Fratze verzerrt war. „Deine dunkle Magie wird hier keinen Schaden anrichten! Siehst du das?“ Mit einem Finger deutete sie auf die kreisrunde Zeichnung am Boden, in denen die drei sich aufhielten. „Das ist ein Kreis aus Salz. Nichts Böses wird den überwinden können!“ Sie war sich ihrer Sache sicher.

'Nichts Böses?', dachte Harry. Das sollte ihm recht sein, denn wenn diese Frauen so fest daran glaubten, würde er schnell ihr Vertrauen gewinnen können. Also machte Harry einen Schritt nach vorn – überwand den Kreis aus Salz. Er stand der Frau nun so nahe, dass ihre Zehen sich beinahe berührten. Die anderen beiden am Boden atmeten erschrocken ein. Die Dame vor ihm blinzelte einige Male verwundert.

„Nichts Böses wird den überwinden können“, wiederholte Harry die Frau, lächelte im Anschluss mit geschlossenem Mund.

Die Mimik der Frau änderte sich, sie wurde wieder hübsch. Beide Hände führte sie ehrfürchtig vor den Mund, doch nur ihre Fingerspitzen berührten die Lippen. Durch die Finger hindurch sah Harry sie lächeln. Unerwartet fiel sie ihm um den Hals, murmelte dabei etwas davon, dass ihre Zaubersprüche gewirkt haben mussten, denn das Gute hätte gesiegt. Sehr wahrscheinlich waren das welche von den Personen, die Mr. Andersen kurzerhand als Spinner tituliert hatte. Harmlose Anhänger der Esoterik und des Okkultismus. „Weiße Hexen“ der Muggelwelt, die nichts Böses im Sinn hatten. Langsam löste sie die Umarmung wieder, strich ihm einmal über den Oberarm.

„Wir werden unseren Schwestern sofort die Nachricht überbringen, dass keine Gefahr mehr besteht.“ Nach ihren Worten betätigten die beiden am Boden bereits ihre Handys.
Harry nickte. „Danke, das ist sehr freundlich.“ Er fühlte, wie er noch immer lächelte. „Ich muss weiter, gute Frau.“
„Ich verstehe, aber Vorsicht ist geboten, wenn Sie denen über den Weg laufen, die von einer schwarzen Aura umgeben sind! Deren Herz ist genauso schwarz wie ihre Seele.“
Ungefähr konnte sich Harry vorstellen, was sie damit meinte. Vorhin im Innenhof hatte er die schwarzen Silhouetten der Feinde gesehen. „Keine Sorge, Madam. Und vielen Dank für die Warnung.“

Die Damen ließ Harry schnell wieder allein. Dass die Auffassung der Frauen ein wenig weltfremd schien, bedeutete nicht, dass sie verrückt waren. Sie waren nur anders, lebten anders. Nichts Verwerfliches.

Auf dem Flur verkniff sich jeder seiner Freunde einen Kommentar. Die Zwillingen grinsten amüsiert, während Luna – wie immer – verträumt in die Gegend starrte.

Die letzte Tür vor Hopkins' Zimmer wollte Harry nicht auslassen, denn er hörte gedämpfte Stimmen. Da diskutierten welche darüber – Harry drückte sein Ohr an das Holz –, wie sie die Situation überleben könnten. Diese Angst wollte Harry nehmen. Er klopfte. Gleich darauf hörte er Schritte und die Tür wurde aufgerissen. Ein Mann stand ihm gegenüber, dessen Gesichtsausdruck von „erwartungsvoll“ zu „angsterfüllt“ wechselte.

„Wir werden Ihnen nichts tun, Mr. ...“
Der Mann brachte kein Wort heraus, sondern stand wie versteinert an der Tür. Die zweite Person im Hintergrund nannte den Mann beim Namen. „Jakob, wer ist da?“
„Jakob?“, wiederholte Harry die persönliche Anrede. „Mein Name ist Harry.“

Es schien, als würde Jakob vor dem Namen weichen, denn er ging rücklings ins Zimmer zurück. Harry nahm das als Aufforderung und folgte ihm. Die Frau auf dem Bett blickte ihren Mann an, dann Harry.

„Oh Gott! Oh mein Gott! Sie sind hier! Jakob, tu doch etwas!“ Die Panik in ihrer Stimme war nicht zu überhören.
„Madam, regen Sie sich bitte nicht auf. Wir haben nicht vor, jemandem wehzutun“, wollte Harry sie beruhigen, doch die Frau schien außer sich. Ihr ganzer Körper zitterte, als sie sich ans Kopfende des Bettes presste. In Harrys Kopf formte sich die Frage, was geschehen war, dass sie so eine Angst vor einem einzigen Zauberer hatte?
„Wir ...“, der Mann zeigte zum offenen Fenster, aus dem ein Besenstiel hing, an dessen Ende ein weißes Kopfkissen angeknüpft war.
„Ja, ich weiß, was das bedeutet“, versicherte Harry.
Der Mann hielt beide Hände nach oben. „Wir machen keinen Ärger!“
„Sir, Sie brauchen wirklich nichts von mir zu befürchten. Ich frage mich nur, warum Sie sich Hopkins angeschlossen haben – einem Mann, der eine junge Frau entführt hat.“ Harry musterte Jakob. „Sie wirken sehr vernünftig auf mich.“
„Er ... Hopkins hat gesagt, wir könnten die Männer finden, die ...“

Seine Frau begann zu wimmern, hielt sich die Ohren zu. Offenbar hatten dieser angefangene Satz gereicht, um quälende Erinnerung in ihr zu wecken.

„Was haben diese Männer getan?“, hakte Harry dennoch nach. Er wollte verstehen. Er wollte die Gründe wissen.
„Meine Frau erträgt es nicht, wenn ich darüber rede.“ Harry blickte zu der Frau hinüber, die sich die Ohren zuhielt und nun auch fest die Augen zusammenkniff. Sie weinte unentwegt. Bevor er etwas sagen konnte, fragte Jakob: „Was haben Sie jetzt mit uns vor?“
Die Frage brachte Harry aus dem Gleichgewicht. „Was sollten wir mit Ihnen vorhaben?“
„Wir haben uns ergeben, ergo sind wir Ihre Gefangenen.“ Für den Mann schien das festzustehen.
Harry machte eine abwinkende Handbewegung. „Unfug, wir machen keine Gefangenen.“ Weil Jakobs Haltung sich versteifte, korrigierte Harry seine Aussage, die missverstanden werden konnte. „Ich meine, das steht uns gar nicht zu.“ Nochmals blickte er zu der Frau hinüber, die nicht mehr ganz bei Sinnen schien. Ihr Oberkörper wippte vor und zurück. „Was ist nur mit Ihnen geschehen?“, murmelte Harry. Was konnte so eine Reaktion auslösen, nur weil ein einziger Zauberer im Zimmer war?
„Man hat unsere Kinder ermordet“, flüsterte Jakob resignierend. „Todesser ...“

Mehr brachte er nicht heraus. Seine Kehle schnürte sich zusammen. Die Erklärung war Harry genug. Was Todesser mit Muggeln gemacht hatten, das konnte man damals in jeder Zeitung lesen. Nicht alle Fälle waren ans Tageslicht gekommen, nur die, bei denen Squibs oder Zauberer Zeuge waren. Wie sollten Muggel auch dazu in der Lage sein, ihr Schicksal der magischen Welt anzuvertrauen?

Ein bisschen Hoffnung wollte Harry geben. „Es gibt Möglichkeiten, die Verbrecher zu fassen.“
Jakob horchte auf. „Genau das wollten wir erreichen. Hopkins hat uns gesagt, man könnte diese Männer finden. Wir wollten, dass sie ihre gerechte Strafe bekommen.“
„Wie haben Sie Hopkins kennen gelernt?“
„Durch Zufall. Wir waren in einem Hotel, in dem eine Veranstaltung von ihm geplant war.“ Jakobs Stimme bebte so aufgeregt, als wäre er bei einem Verhör. „Am Nebentisch haben zwei andere über Zauberer und ihre Taten gesprochen. Wir haben das für Blödsinn gehalten, bis wir eine Zeitung gesehen haben, in der sich die Bilder bewegten. Dort stand etwas von Todessern, von Überfällen. Diese schwarzen Umhänge, diese Masken ...“ Das Bild von dem ersten Tagespropheten, den er je gesehen hatte, war in sein Gedächtnis eingebrannt. Jakob schüttelte den Kopf, als würde er wie damals von der gleichen Erkenntnis eingenommen werden. „Es war alles echt! Es gab sie wirklich und es waren Todesser, die unsere Söhne ...“
„Sie werden uns umbringen!“, schrie Claudine plötzlich, bevor sie zur Waffe griff, die neben dem Bett lag. „Sie wiegen uns in Sicherheit und dann werden sie uns genauso töten wie Michael, Jeffrey und David!“
„Claudine, leg die Waffe weg!“ Jakob stellte sich vor Harry. „Du willst niemandem etwas antun“, redete er ihr ein.
Sie wurde noch lauter. „Die spielen doch nur mit uns! Mit einem Fingerschnippen brechen sie uns das Genick, wenn sie genug von uns haben!“
„Leg die Waffe weg“, wiederholte ihr Mann.
„Sir“, Harry drückte Jakob von sich weg. Den Schutz benötigte er nicht. Harry sorgte sich, dass die Frau versehentlich ihren eigenen Mann treffen könnte. „Sir, gehen Sie weg von mir!“
„Unser Leben“, Claudine sackte kurz in sich zusammen, Tränen rannen an ihren Wangen herab. „Unser Leben ist für die nicht von Wert.“ Die Waffe legte sie in den Schoß, doch als ihr Mann sie nehmen wollte, richtete sie sie wieder auf Harry. „Wollen Sie uns auch foltern wie David?“ Harry hielt seinen Stab fest umschlossen, doch er zielte nicht auf sie oder die Waffe, weil die Situation dann eskalieren würde. „Er hat sich vor Schmerzen gekrümmt, hat immerzu gerufen, sie sollen aufhören. Hört auf! Hört auf!“ Die Erinnerungen waren wieder frisch. Sie hörte die Stimme ihres Sohnes, der nach Hilfe rief. „Als seine Mutter hätte ihn davor bewahren müssen. Ich hätte helfen müssen!“
„Das war nicht möglich!“, warf ihr Mann ein, doch er blieb ungehört.
Claudine hob erneut die Waffe und blickte Harry an. „Er war erst fünfzehn! Fünfzehn! Ich hätte ihm helfen müssen!“

Die Frau zitterte wie Espenlaub. Die Worte ihres Gatten nahm sie nicht wahr. Völlig unerwartet richtete sie die Waffe gegen sich selbst. In dem Moment, als Claudine abdrückte und Jakob „Nein!“ rief, sprach Harry einen Zauberspruch. Claudines Hand war mit einem Male voller weißer Schmetterlinge, die sie staunend betrachtete. Harrys Herz raste wie verrückt. Gerade noch rechtzeitig hatte er den Zauber gesprochen, sonst hätte die Frau sich in den Kopf geschossen. Besorgt rannte der Mann zum Bett hinüber, scheuchte damit die Schmetterlinge auf, die friedlich durchs Zimmer flatterten und nach und nach verschwanden, als sie das offene Fenster fanden.

„Gehen Sie“, sagte Jakob, der Harry nicht anblickte, sondern seine aufgelöste Frau an sich drückte.
„Kann ich irgendwas für Sie ...?“
„Verschwinden Sie!“

Harry verließ die beiden und schloss die Tür leise hinter sich. Mit einer Hand bedeckte er seinen Mund, führte dann Daumen und Zeigefinger unter die runde Brille, um seine Augen zu reiben. Nachdem er sich die Brille wieder gerichtet hatte, drehte er sich zu seinen Freunden um. Mit dem Rücken lehnte er sich an die Wand neben der Tür und atmete einmal tief durch.

„Ich will nur noch Hopkins' Geschichte hören. Mehr ertrage ich heute nicht.“ Harry stieß sich von der Wand ab. „Behaltet den Flur im Auge, nicht dass sich jemand anschleicht.“
„Machen wir die ganze Zeit schon, Harry“, scherzte Ron mit einem Zwinkern.
„Also auf zu Hopkins. Ich hoffe, er ist in seinem Zimmer, sonst müssen wir das ganze Schloss durchkämmen.“

Hinter der großen Doppeltür, wo man Hopkins vermutete, war es totenstill. Diesmal klopfte Harry nicht, sondern öffnete leise die Tür. Ein Zimmer mit altmodischer, aber stilvoll aufeinander abgestimmter Möblierung in warmen Braun- und Rottönen eröffnete ihm sich. Kleine Beistelltische, ein Sideboard und Vitrinen. Da standen Stühle mit kunstvoller Verzierung, die mit Sicherheit ein höheres Alter besaßen als der Hausherr. Als Harry eingetreten war und sich umblickte, bemerkte er viele Bilder an den Wänden. Einige der abgebildeten Personen trugen die Gesichtszüge von Hopkins, mussten also Vorfahren sein. Unter den Frauen, dachte Harry, waren einige arrogant wirkende Schreckschrauben mit dabei, aber auch ein paar nett anzusehende Augenweiden. Links hinten stand ein uralter Papageienkäfig auf einem reichlich mit Mustern verzierten Untersatz. Genutzt wurde er nicht. Ein imposanter Kronleuchter mit unzähligen brennenden Kerzen war das absolute Prachtstück in diesem Raum, gefolgt von dem roten Perserteppich, der jeden von Harrys Schritten dämpfte. Den bronzenen Büsten auf dem Kaminsims schenkte Harry wenig Aufmerksamkeit, dafür war die Sitzecke mit den rot gepolsterten Möbeln ein Blickfang. Leider konnte Harry nicht einordnen, was für ein Stil das war. Rokoko oder Biedermeier. Hermine war nicht hier, um es ihm zu erklären, aber er war auch nicht hier, um eine Schlossbesichtigung zu unternehmen.

Harrys Blick fiel auf einen Durchgang, vor dem ein roter Vorhang hing. Leise schritt er hinüber und zog den Vorhang beiseite. Dahinter befand sich eine weitere Tür. Er betätigte die alte Klinke und stieß die Tür auf. Kaum war sie geöffnet, wurden drei Schüsse abgefeuert. Aus lauter Schreck ging Harry einige Schritte zurück, stolperte dabei über einen Fußschemel und landete auf dem Gesäß. Ein Mann, zu der die Beschreibung passte, die Mr. Andersen ihm gegeben hatte, kam aus dem Zimmer gesprintet. Als er Harry am Boden liegen sah, feuerte er nochmal drei Schüsse ab, die allesamt – wie schon die ersten – an ihm abprallten. Trotzdem ihm nicht passieren konnte, hämmerte Harrys Herz bis in seinen Hals hinauf. Dieser Muggel hatte ihm einen richtigen Schrecken eingejagt.

Im Flur, in dem die Mitglieder der DA das Geschehen mit Anspannung verfolgten, wurde plötzlich eine Tür aufgerissen. „Was ist geschehen?“ Die drei jungen Damen wollten sehen, woher die Schüsse kamen, rannten dabei direkt in die Unsichtbaren hinein. Erschrocken befühlte die älteste der drei die nächst beste Person, die sie zu greifen bekam – Colin. „Herrje, ihr seid unsichtbar!“
„Gehen Sie zurück auf Ihr Zimmer, Madam“, sagte George ganz leise, damit niemand in Hopkins' Zimmer hören könnte, dass Harry im Flur Verstärkung hatte.
„Seid ihr Schutzgeister?“, wollte die Frau wissen, wuschelte derweil Colin in den Haaren herum, der sich heftig gegen den unerwünschten Körperkontakt zur Wehr setzte.
„Ja“, erwiderte Fred leise, „so etwas Ähnliches.“
„Wieviele seid ihr?“
„Wievie... Ich habe nicht nachgezählt. Jetzt gehen Sie schon, sonst passiert noch was.“
„Ja“, die drei gingen rückwärts, „Friede euch allen.“
„Friede Ihnen dreien“, grüßte Colin zurück, wurde deshalb von George seltsam angeblickt. „Was ist?“, flüsterte Colin unschuldig. „Seid ihr in Rom, macht 's wie die Römer!“ Fred und George grinsten sich gegenseitig an, behielten jedoch weitere Kommentare für sich.

Beschwichtigt gingen die drei Frauen, die ganz aus dem Häuschen darüber waren, Kontakt mit Schutzgeistern gehabt zu haben, zurück in ihr Zimmer.

Im Wohnzimmer bei Harry war viel mehr los. Tyler lud seine Waffe nach, während Harry ihn davon abbringen wollte, doch der Mann hörte einfach nicht.

„Wir können doch in Ruhe darüber ...“ Harrys friedlicher Versuch, ein Gespräch zu beginnen, wurde von den knallenden Geräuschen der Handfeuerwaffe unterbrochen, die Tyler in weniger als 30 Sekunden leer schoss. „Sir, bitte ...!“ Harry fasste sich an die Stirn, fühlte das Pflaster unter seinen Fingern. „Davon bekomme ich Kopfschmerzen.“

Tyler sprach nicht mit ihm, sondern stand furchtlos im Zimmer und lud seine Waffe ein weiteres Mal nach. Er suchte nicht einmal Schutz hinter einem der Sessel. Mit einem Wutsch könnte Harry den Mann in null Komma nichts überwältigen und er war sich sicher, dass Tyler das auch wusste. Wie zu erwarten richtete Tyler die Waffe nochmals auf Harry und schoss, hatte dabei ein wildes Funkeln in den Augen.

„Ihnen muss doch irgendwann die Munition ausgehen.“
Tyler schnaufte amüsiert, während er ein weiteres Mal die Patronen in die Trommel stopfte. „Ich hab genug!“, versicherte er.
„Ich auch“, erwiderte Harry trocken, als Tyler die Waffe hob. Harry wedelte mit seinem Stab. Prompt verwandelte sich die Waffe. An Tylers Hand schlängelte sich ein langes Reptil mit glänzenden Schuppen. Aufgeschreckt schüttelte Tyler es von sich und beobachtete, wie das lange Tier sich Schutz unter einem der antiken Schränke suchte.
„Nur der Teufel pflegt den Umgang mit Schlangen“, zischte Tyler, als wäre er selbst eine.
„Ach ja? Zählen die ganzen Tierpfleger in Zoos auch dazu?“ Harry sah noch den Schwanz des Tiers, wie es unter dem Schrank verschwand. „Außerdem ist das eine Blindschleiche und keine Schlange.“ Von der sichtbaren Mordlust in Tylers Augen ließ sich Harry nicht einschüchtern. „Ich möchte gern mit Mr. Hopkins sprechen.“
„Aber er nicht mit Ihnen!“
„Ich denke schon. Er hat mich dazu ermutigt, ins Schloss zu kommen. Ich habe mit einigen geredet und jetzt möchte ich mit Mr. Hopkins ...“

Unerwartet griff Tyler zu einem schweren Aschenbecher und schleuderte ihn in Harrys Richtung. Harry duckte sich. Der Aschenbecher flog durch die offene Tür in den Flur hinaus. Man hörte ein Geräusch, dass sich „Umpf“ schreiben könnte. Ron war getroffen. Er hielt sich eine Hand über den Mund, eine an den Schritt. Die Zwillinge blickten von ihrem Bruder herab auf den Aschenbecher.

An den DA-Mitgliedern drängte sich Ron vorbei, um weiter hinten Luft holen zu können. „Meine Güte“, japste er, „genau in die Weichteile. Dabei wollte ich später noch Kinder haben.“
„Wirklich?“ Angelina war an seiner Seite und stützte ihn, grinste ihn wegen seiner vorangegangenen Worte breit an. „Das wird schon wieder, Ron.“

Im Zimmer war Tyler dabei, sämtliche Gegenstände – ob sie von Wert waren oder nicht – auf Harry zu werfen, der davon langsam genug hatte.

„Hören Sie auf, Mister, sonst sehe ich mich gezwungen ...“ Harry duckte sich, weil eine Vase geflogen kam, die laut scheppernd hinter ihm an der Wand zersprang. „Sie haben es nicht anders gewollt.“ Mit einem Incarcerus fesselte Harry den wütenden Mann. „Was haben Sie nur gegen uns?“, fragte er Tyler, der sich mit aller Kraft aus den unsichtbaren Fesseln befreien wollte, was ein aussichtsloses Unterfangen darstellte. „Was haben wir Ihnen getan?“
„Ihr seid abartig!“
„Das ist natürlich stichhaltiges Argument“, spottete Harry. Er hatte das Gefühl, dieser Mann war einfach nur bösartig und von Grund auf gewaltbereit. „Ist Hopkins da drin?“ Mit seinem Stab zeigte Harry auf den roten Vorhand, hinter dem die Tür geöffnet sein musste. Wer sich auch immer in diesem Zimmer aufhalten würde, hätte alles zwischen ihm und Tyler beobachten können. „Ich habe gefragt, ob er da drin ...?“

Harry bekam einen Schlag auf den Kopf und ging zu Boden. Seine Freunde hatten schnell reagiert und waren vom Flur ins Zimmer gestürmt, um zwei Männer dingfest zu machen.

„Scheiße!“, rief einer von den beiden jungen Männern. „Ich habe geahnt, dass hier noch mehr von denen sind!“

Die Stimme kam ihm bekannt vor. Harry rieb sich den Kopf, versuchte sich dabei zu erinnern, wo er den jungen Mann schon einmal gehört hatte und dann fiel es ihm ein. Es war die Stimme, die Rons Patronus aufgezeichnet hatte. Die Stimme von demjenigen, der über einen magischen Schutzherrn Bescheid wusste. Ein Zauberer? Neben Harry auf dem Boden lag ein Hockeyschläger. Da der aus Holz war, hatte Rons Schutzzauber ihn nicht abgewehrt. Langsam stand er auf, wurde dabei von einer für die Muggel noch immer unsichtbaren Luna gestützt. Er blickte die beiden jungen Männer an, die abwechselnd zu ihm und zum gefesselten Tyler blickten, der auf eines der roten Sofas gefallen war und sich dort räkelte.

„Wer seid ihr?“, wollte Harry wissen, fasste sich derweil nochmals an den Hinterkopf und befühlte ihn vorsichtig. Eine dicke Beule war ihm sicher. „Ich habe gefragt, wer ihr seid! Zauberer?“
„Was geht dich das an?“, erwiderte der ältere von beiden geringschätzig.
Harry zuckte gelassen mit den Schultern. „Ihr habt Recht, mir seid ihr keine Erklärung schuldig, dafür aber dem Ministerium.“
„Und wir wissen ja alle“, giftete der ältere von den beiden, „wie das Ministerium mit unsereins umgeht.“
„Wenn ich wüsste, was 'unsereins' einschließt, dann ...“

Harry wurde arg unterbrochen, als noch ein Schuss in seine Richtung abgefeuert wurde. Der Schütze stand hinter dem roten Vorhang. Nur einen Teil des Unterarms und natürlich die Waffe konnte man sehen. Harry blieb gelassen und wartete den nächsten Schuss ab, der prompt kam.

„Wie lange braucht ihr wohl, um zu merken, dass ihr mir nichts anhaben könnt?“ Mit seinem Stab teilte er den roten Vorhang. Zum Vorschein kam ein junger Mann, den er einmal auf einem der Urlaubsbilder von Ginny gesehen hatte. „Pablo?“ Gegen das teuflische Grinsen, das sein Gesicht mit Sicherheit zierte, wollte er gar nicht ankämpfen. „Was für eine 'Freude', Pablo! Komm doch her, dann 'spielen' wir ein wenig zusammen.“

Pablo verschwand so schnell, dass die Vermutung nahe lag, eine weitere Person hätte ihn ins Innere des Raumes gezogen. Sein Blick fiel nochmals auf die beiden Männer, die ihn mit einem Hockeyschläger angegriffen hatten.

„Aus euch machen wir am besten ein paar handliche Pakete, die die Auroren nur noch einsammeln müssen.“ Er zielte auf den älteren von beiden. „Incarcerus!“ Gleich darauf fesselte er den jüngeren mit demselben Spruch. Drei von den gewalttätigen Burschen hatte Harry jetzt schon in diesem Wohnzimmer dingfest gemacht und er war sehr von der Idee angetan, Pablo auf die gleiche Weise zu behandeln. „Komm raus, Pablo. Ich tu dir auch nicht weh.“ Es war nicht einmal gelogen, trotzdem bekam er keine Antwort. Harry drehte sich zu seinen Freunden um. „Okay, macht euch sichtbar, sobald noch einer Ärger macht. Dann zeigen wir ihnen mal, wieviele von uns schon in der Festung sind.“
„Harry?“ Ron blickte auf seine Uhr. „Die anderen müssten jetzt schon alle im Innenhof sein.“ Es war so geplant. Man wollte die letzten von Hopkins' Männern aus der Burg scheuchen und sie entsprechend in Empfang nehmen, indem die gesamte DA sich im Innenhof mit einem Male sichtbar machen sollte.
„Hier wird es nicht mehr lange dauern. Nur noch Pablo und Hopkins.“
„Überlässt du Pablo mir?“, fragte Ron mit einem bösartigen Knurren in der Stimme.
„Ich will, dass alle überleben, Ron! Du glaubst doch nicht, dass ich dich auf ihn loslasse?“ Ron verzog das Gesicht, verhielt sich aber ruhig und horchte, als Harry anwies: „So, einer von uns sollte jetzt Minister Weasley aufsuchen. Fred? Lust auf einen Besuch bei deinem Vater?“
Fred und George schüttelten gemeinsam den Kopf. „Du glaubst doch nicht, dass wir uns das entgehen lassen? Schick Dennis!“
„Warum immer ich?“, nörgelte Colins Bruder.
„Weil ...“ Auf die schnelle dachte sich Fred einen belanglosen Grund aus. „Weil du der Jüngste von uns bist.“
„Was?“ Dennis war völlig perplex. „Das hat euch früher doch auch nicht gestört, als wir gegen Todesser gekämpft haben. Da hieß es doch immer 'Dennis, geh vor!'.“
Harry hielt eine Hand nach oben. „Ich will keinen Patronus schicken, der kann nämlich keine Fragen beantworten. Einer von uns muss persönlich gehen! Ich möchte, dass in spätestens einer Viertelstunde Auroren hier sind.“ Er wandte sich direkt an Dennis. „Von mir aus geh nach Hogwarts und sag Dumbledore, dass er soll Alarm schlagen soll.“

Ein Seufzer entwich Dennis, doch er opferte sich für seine Freunde und apparierte in zwei Etappen vor die Tore Hogwarts', um von dort aus Professor Dumbledore Bescheid zu geben.

Als er über das feuchte Gras lief und sich das Schloss betrachtete, fühlte er sich wie Zuhause. Der Anblick des Sees ließ ihn schmunzeln, denn er dachte an seinen ersten Tag in Hogwarts und wie er vor lauter Aufregung ins Wasser gefallen war. Der Riesenkrake hatte ihn zurück ins Boot befördert. Schon seit seinem zweiten Schuljahr war er Mitglied der DA gewesen. Das war besser als eine Studentenverbindung, von denen sein Vater immer erzählt hatte. Man musste keine komischen Mützen tragen und auch keinen traditionellen Bräuchen folgen, keine Regeln auswendig lernen und keine Probezeit überstehen. Einzig seine Unterschrift verpflichtete. Die Galleone war das Zeichen der DA und wenn die brannte, sollte man zur Stelle sein. Dennis hatte seine Verpflichtung immer sehr ernst genommen und die Galleone stets bei sich getragen. Außerdem war die DA kein reiner Männerbund. Es waren eine Menge Mädels mit dabei, dachte Dennis grinsend, und einige von denen waren noch immer solo.

Weil er so in Gedanken versunken war, hatte er die Schule schnell erreicht. Im Eingangsbereich wurde er von den sich dort aufhaltenden Schülern kaum beachtet. Das mochte an seiner Körpergröße liegen und auch an seiner schmächtigen Statur. Dennis war nie besonders groß oder kräftig gebaut gewesen, doch um eine Kamera zu halten bedarf es keiner Muskelpakete. Das Fotogeschäft mit seinem Bruder lief auch so wunderbar. Als Dennis an den Schülern vorbeiging, schnappte er einige Sätze auf.

„Ich habe gehört“, sagte eine Erstklässlerin, „dass Professor Snape der Arm abgefallen wäre!“
„Nein, er soll gebrannt haben! Das hab ich gehört.“
„Es soll ein Fluch gewesen sein!“
„Ein Streich von einem Schüler, der den Arm verletzt hat.“
„Kein Streich, ein Unfall beim Brauen war es!“

Dennis suchte sich seinen Weg durch die Menge. Jeder tuschelte, denn alle hatten erfahren, was mit Snape und Draco geschehen war, doch der Wahrheitsgehalt der Aussagen ließ zu wünschen übrig. Ein junger Schüler behauptete sogar, Voldemort wäre zurückgekehrt. Dennis mischte sich sofort in das Gespräch ein und dementierte diese Aussage vehement. Der Schüler blickte betreten zu Boden. Offenbar hatte er diese Lüge nur erfunden, um seinen Mitschülerinnen Angst einzujagen.

„Wisst ihr, wo Professor Dumbledore ist?“, fragte er eine Gruppe Siebtklässler.
„Habe ihn in Richtung Krankenflügel gehen sehen, vor nicht mal zehn Minuten.“
„Okay, danke.“

Im ersten Stock erreichte Dennis den Krankenflügel, doch bevor er den betreten konnte, musste er an Madam Pomfrey vorbei.

„Mr. Creevey, was kann ich für Sie tun?“ Die Heilerin baute sich vor ihrem Büro auf, das direkt am Eingang zum Krankenflügel lag.
„Ich muss dringend zu Professor Dumbledore, Madam. Harry schickt mich.“
„Oh, einen Moment bitte. Kommen Sie erst einmal herein, aber warten Sie hier vorne.“

Dennis trat ins Büro, von welchem aus er einen Blick ins Krankenzimmer werfen konnte, aber auch nach draußen auf den Flur. In einem der Betten musste einmal sein Bruder gelegen haben, nachdem er von dem Basilisk versteinert wurde, aber zu dieser Zeit war Dennis noch nicht in Hogwarts gewesen. Mit den Augen folgte er der Heilerin, die nach links ging. Professor Snape lag in einem der Betten. An dessen Seite – auf dem Bett – saß der Direktor. Dennis musste schmunzeln, als die Heilerin den Direktor ermahnte, den Stuhl als Sitzgelegenheit zu nutzen und nicht das Krankenbett. Der Krankenflügel war ihr Reich und Albus kam der Aufforderung nach und erhob sich. Dennis beobachtete, wie Madam Pomfrey mit dem Direktor sprach, dabei in seine Richtung zeigte, so dass Albus Dennis sehen konnte. Er winkte den jungen Mann herein. Leise öffnete Dennis die Tür. Drinnen nickte er Draco und Susan grüßend zu. Weiter hinten lag Ginny, die sehr mitgenommen aussah. Eine Schwester begutachtete den Daumen. Auf der anderen Seite des Bettes sah er Mrs. Weasley, wie sie sich wieder und wieder die Nase schnäuzte.

Unbeirrt näherte sich Dennis dem Bett von Professor Snape, an dem noch immer der Direktor stand. Mit Snape hatte er nach der Schule fast keinen Kontakt mehr gehabt, hatte ihn nur auf verschiedenen Feierlichkeiten in Begleitung von Hermine gesehen. Worte hatte er nie mit ihm gewechselt. Nur für einen kurzen Moment kam das beängstigende Gefühl zurück, gleich zum Zaubertränkeunterricht gehen zu müssen, aber es verflog so schnell wie es gekommen war. Am Bett angekommen kam ihm die Begrüßung des ehemaligen Lehrers mit Leichtigkeit über die Lippen.

„Guten Tag, Sir.“
Severus nickte dem jungen Mann zu. „Guten Tag, Mr. Creevey.“
„Mr. Creevey“, Albus ergriff seine Hand und schüttelte sie, während die andere seine Schulter drückte. Würde der alte Zauberer über eine dritte Hand verfügten, würde er dem ehemaligen Schüler sicherlich eine Süßigkeit anbieten. Der Mann war noch immer von beeindruckender Körpergröße, bemerkte Dennis ehrfürchtig.
„Professor Dumbledore, Harry schickt mich.“ Dennis bemerkte, wie Snape aufhorchte. „Wir müssen Minister Weasley Bescheid geben. Harry fordert ein paar Auroren an.“
„Tatsächlich? Wo ist der Gute denn jetzt?“ Die Hand an der Schulter des jungen Mannes blieb.
„Ein paar von uns sind in die Festung reingegangen. Sind ein paar seltsame Dinge dort geschehen. Einige der Muggel benötigen Hilfe, Sir. Andere müssen festgenommen werden.“ Dennis blickte sich um, sah er jetzt im Nachbarbett Hermine schlafen, die sich die Decke bis unter die Nase hochgezogen hatte.
„Mr. Creevey?“
Aufgeschreckt fuhr Dennis herum, denn die Stimme von Snape hatte noch immer die gleiche Wirkung wie damals in der Schule. Der Tonfall verlangte absolute und sofortige Aufmerksamkeit. „Ja, Professor Snape?“ Dennis rechnete bereits damit, alle Zutaten für eine Schwell-Lösung aufzählen zu müssen und rief sie sich vorsichtshalber ins Gedächtnis.
„Was hat Harry bisher angestellt?“
Die Frage kam für Dennis unerwartet, aber er wollte gewissenhaft antworten. „Die übelsten der Burschen haben wir gefesselt. Viele der Muggel sind einfach nur verzweifelt und benötigen die Hilfe unseres Ministeriums. Als ich gegangen bin, sind wir gerade in Hopkins' Hauptquartier vorgedrungen.“
Severus runzelte die Stirn. „Hauptquartier?“
„Na ja, wir waren in seinem Wohnzimmer, aber das klingt so nach Kaffeekränzchen, war es aber ganz und gar nicht. Da war jede Menge los!“
Albus nickte. „Das glaube ich gern. Miss Spinnet erzählte uns, dass sie von Mr. Greyback angefallen wurde.“ Dennis riss die Augen auf, so dass er den jungen Mann beruhigen wollte. „Aber er konnte überwältigt werden.“
„Greyback ist gefasst? Das wird aber auch langsam Zeit! Ich hoffe, es ist niemand verletzt worden?“ Als der Direktor den Kopf schüttelte, atmete Dennis erleichtert aus. „Die Muggel haben 's aber auch faustdick hinter den Ohren, sagen ich Ihnen! Die haben auf uns geschossen und ...“
„Geschossen?“ Wie auf Bestellung kribbelte die kleine Narbe an Severus' Oberarm, an der ihn damals eine Kugel gestreift hatte. „Wurde jemand verletzt?“
„Nein, Sir. Ron hat einen Zauber entwickelt, der heißt ...“ Das war wie Prüfungsangst, dachte Dennis. Die Antwort lag ihm auf der Zunge, aber sie wollte ihm einfach nicht über die Lippen kommen. Ein Blackout. Dann plötzlich die Eingebung. „Der heißt Metallissulto.“
„Ah“, staunte der Direktor. „Und den hat Mr. Ron Weasley entwickelt? Wie erfindungsreich! Und sicherlich sehr wirksam. Aber genug geplaudert. Es wird Zeit, dass wir den Minister unterrichten. Mr. Creevey?“ Dennis blickte dem Direktor in die strahlend blauen Augen. „Wenn Sie mir folgen würden? Ich bin mir sicher, die Auroren möchten vor ihrem Einsatz gern ein Wort mit Ihnen wechseln.“

Ein paar Wörter wollte auch gerade Harry wechseln, aber Pablo weigerte sich, das Zimmer hinter dem roten Vorhang zu verlassen.

Voller Verachtung schüttelte Fred den Kopf. „Der ziert sich aber ganz schön!“
„Der weiß eben“, stimmte Ron ein, „dass die Brüder seiner Ex-Verlobten hier draußen auf ihn warten – und zwar alle sechs!“
Harry nahm das Ganze gelassen. „Wäre ich an seiner Stelle, würde ich auch nicht rauskommen, was bedeutet, einer muss rein.“
„Richtig!“ Mit einer Hand an Harrys Schulter schob George ihn in Richtung Vorhang. „Und weil Dennis nicht hier ist, sag ich nur: 'Harry, geh vor!'“

Mit erhobenem Stab schlich sich Harry zum Durchgang hinüber. Seine linke Hand schob den Vorhang beiseite, damit er einen Blick ins Innere werfen konnte. Die Fenster waren verdunkelt. Ein Lumos schaffte Abhilfe. Harry konnte zwei Männer sehen. Pablo saß an der linken Wand bewegungslos auf dem Boden, starrte ins Leere. In einigem Abstand befand sich eine offene Kiste, die vor den Füßen des anderen stand. Der Mann, größer und älter als Pablo, hatte die Muße zu lächeln. Beide Arme hatte er locker hinter dem Rücken verschränkt.

„Mr. Potter.“
Zumindest wusste der Mann, mit wem er es zu tun hatte, dachte Harry. „Guten Tag, Mister ...?“
„Abello ist mein Name, Alejandro Abello.“
Den leichten, spanischen Akzent hatte Harry registriert. „Wo ist Mr. Hopkins?“
„In seinem Schlafzimmer, vermute ich.“
Das musste die andere Tür im Wohnzimmer sein, vermutete er. Harry blickte zu Pablo hinunter, dann wie der zu dem älteren Mann. „Ihr Sohn?“ Alejandro nickte, während er beide Hände hinter den Rücken hielt. „Was ist mit ihm?“ Gleichzeitig schauten sie zu Pablo hinunter, der mit angezogenen Beinen an die Wand gelehnt einfach nur dasaß und sich keinen Millimeter rührte.
„Mein Sohn ist bereit.“
„Bereit wofür?“, fragte Harry nach, denn die Worte machten keinen Sinn.
„Bereit zu hören, warum Ihre Welt die Demütigung von Menschen durch ihresgleichen duldet.“
„So etwas wird nicht geduldet“, widersprach Harry.
„Ach“, Alejandro kam ein paar Schritte auf Harry zu, so dass er direkt neben der Kiste stand. „Weshalb gibt es denn so viele, die Rache an euch üben wollen? Jakob und Claudine haben sich ihre Geschichte bestimmt nicht ausgedacht. Ich habe Bilder von ihren Söhnen gesehen.“
„Dafür sind Todesser verantwortlich. Die sind auch in unserer Welt unzähliger Verbrechen angeklagt. Mord wird nicht geduldet!“
Alejandro nickte langsam, ließ sich die Worte durch den Kopf gehen. „Und wie sieht es mit Notzucht aus?“
Im ersten Moment wusste Harry gar nicht, was er antworten sollte. Er musste auf jeden Fall die Ruhe bewahren. „Die Taten, die in Ihrer Welt strafbar sind, sind es auch in unserer.“
Ein Schnaufen war zu hören. „Es interessiert nur niemanden“, warf Alejandro ihm vor. „Vielleicht kommen Zauberer mit bösen Absichten extra in unsere Welt, um ihre sadistische Ader auszuleben, weil sie genau wissen, dass sie freie Hand haben. Sie werden doch nicht belangt, für gar nichts!“

Harry war in einer verzwickten Lage, denn er musste eingestehen, dass der Mann Recht hatte. Die Zaubererwelt konnte nichts unternehmen, wenn die Straftaten nicht zur Anzeige gebracht wurden und genau da war das Problem. Muggel konnten keine Anzeige gegen Zauberer erstatten. Harry näherte sich einige Schritte, so dass er zu Pablos Füßen stand.

„Ich verstehe Ihre Situation, Mr. Abello. Sie werden, wenn auch spät, bald die Möglichkeit haben, Ihr Anliegen den Angestellten des Ministeriums zu schildern, damit der Täter ...“
„Oh nein, Mr. Potter. Mittlerweile habe ich selbst schon viel zu viel auf dem Kerbholz, als dass ich mich in die Hände der Justiz begeben kann – egal in welcher Welt. Woran mir nur noch liegt ist Vergeltung, denn Gerechtigkeit“, Alejandro schnaufte verachtend, „ist nur ein Wort ohne Bedeutung. Ich habe geschworen, so viele von euch mitzunehmen, wie es mir nur möglich ist. Es reicht mir aber auch, das bekannteste Gesicht der magischen Welt zu töten. Das wird Ihre Welt endlich wachrütteln.“

Sofort begriff Harry, dass er selbst gemeint war. Zeitgleich hörte er Pablo flüstern „Vater, nicht!“. Pablos Augen waren auf die hinter dem Rücken verschränkten Hände seines Vaters gerichtet. Alejandro führte seine Arme nach vorn. Erst jetzt sah Harry, dass der Mann die ganze Zeit über eine scharfe Granate gehalten hatte. Eine mit einem aufschlagsabhängigen Zündmechanismus. Alejandro ließ sie direkt über der Kiste los.

Wie in Zeitlupe sah Harry die Granate von der Schwerkraft angezogen in die Kiste fallen, in der – davon ging Harry aus – noch mehr Sprengkörper lagerten. Keine zwei Sekunden blieben ihm. Ein Augenaufschlag bis zur Katastrophe. Harry hob seinen Stab. Pablo griff nach seinen Arm, hinderte ihn am Zaubern. Die Handgranate war fast am Ziel.

Umdenken. Apparieren!

Mit Pablo am Arm war er plötzlich im Wohnzimmer. Pablo ließ los. Harry zielte auf den Vorhang.

„Prote...“ Die letzte Silbe war nicht mehr zu hören. Ein Donnern und Grollen ertönte, als wäre der zweite der Apokalyptischen Reiter gerufen worden, der den Krieg bringen sollte. Harry hielt sich schützend den linken Unterarm vors Gesicht. Die Reste des zerfetzen, roten Vorhangs fingen Feuer. Der verdunkelte Raum dahinter erhellte mit einem Male. Die Außenwand stürzte ein. Tageslicht. Seine Freunde hatten zeitgleich weitere Schutzzauber gesprochen. Nur mit dieser Einigkeit konnten sie die züngelnden Flammen, die herumfliegenden Splitter und das Geröll der auseinander berstenden Wände von sich fernhalten. Draußen hörte man Menschen rufen, einen Drachen fauchen. Das Balkenwerk des alten Gemäuers hielt dem Druck der Explosion nicht stand. Steine fielen von der Decke, brachen durch den morschen Boden und sorgten für noch mehr Instabilität. Laut knarrend gab das Gebälk dort nach, wo die Steine fehlten und je mehr sich die Balken bogen, desto mehr Steine lösten sich aus dem Mauerwerk. Man konnte den Himmel sehen.

„Es bricht gleich alles zusammen! Bringt die Leute raus! Alle!“

Seinen kräftigen Protego hielt Harry solange aufrecht, bis seine Freunde die drei gefesselten Männer in Sicherheit brachten. Mit Furcht nahm Pablo das Chaos in sich auf. Dort, wo sein Vater gestanden hatte, gab es keinen Boden mehr, gab es kein Zimmer mehr.

„Vater?“ Pablo machte ein paar Schritte, blieb aber vor dem hellen Schein des Protego stehen, hinter dem die Zerstörung wie hinter einer Panzerglasscheibe für ihn ungefährlich wütete. Das Wohnzimmer war durch den Zauber noch sicher. Noch.
„Raus hier!“, schrie Harry, aber Pablo hörte nicht. „Ron?“ Ein Blick über die Schulter brachte die Erkenntnis, dass niemand mehr bei ihm war, der helfen könnte. Seine Freunde rissen die Türen auf dem Flur auf, nahmen alle Menschen mit nach draußen, die sie finden konnten. „Geh da weg!“ Harry stürmte auf Pablo zu und riss ihm am Oberarm herum. „Geh nach draußen!“

Der junge Mann, der eben seinen Vater verloren hatte, stieß Harry von sich weg. Der fiel rücklings auf den Boden, verlor dabei seinen Stab. Der Schutzzauber war gebrochen. Harry erstarrte. Überall im Wohnzimmer war mit einem Male ein unheilvolles Knarren und Krachen zu hören. Die Wände platzten auf. Risse züngelten an den altmodischen Tapeten entlang, als hätte der Gespenstische Steinregen hier einen Ort gefunden, an dem er gedeihen wollte. Die ersten Regale fielen zu Boden, gefolgt von kostbaren Gemälden. Fensterscheiben zersplitterten, weil die Rahmen sich verzogen. Mit Schrecken musste Harry ansehen, wie Pablo – getrieben von der Hoffnung, seinen Vater zu finden – an den Rand des Abgrunds ging. Die Wände fehlten an einer Seite vollständig. Wo einst ein roter Vorhang wehte, der ein Zimmer verbarg, tat sich ihm ein prächtiges Panorama auf. Harry konnte seine Freunde am Himmel sehen, konnte die Thestrale erkennen und den Verbotenen Birkenwald. Pablo ging in die Knie und blickte hinunter auf ein Haufen Schutt. Die Wucht der Explosion unzähliger Handgranaten hatte Teile der Festung als Steinlawine bis hinunter ins Tal befördert.

„Komm da weg!“ Harry nahm seinen Stab und wollte Pablo gerade eben mit einem Mobilicorpus aus der Gefahrenzone holen, da tat sich der Boden unter ihm auf – oder war es die Hölle? Mit einem Bein sackte Harry ein, doch der Perserteppich verhinderte einen Sturz durch das Loch. Pablo, der den knarrenden Lärm endlich als Drohung erkannte, presste sich auf den Boden, blickte sich verängstigt um. Vorsichtig robbte er auf Harry zu. Als Harry sein Bein befreit hatte, brach die nächste Stelle ein – genau unter Pablos Beinen. Mit einem Schrei hielt sich Pablo am Teppich fest. Seine Beine baumelten ab der Hüfte im Freien. Der Wind peitschte ihm ins Gesicht. Zarter Nieselregen machte den Teppich feucht, schwer zu greifen. Harry hob seinen Stab, doch wieder vereitelte das sterbende Gebäude einen Zauber. Eine Erschütterung fuhr spürbar durch den Boden. Irgendwo im Erdgeschoss gab ein Stützpfeiler nach. Die westliche Wand stürzte ein, riss einen Teil der Decke mit hinunter. Der Dachboden neigte sich küsste das Wohnzimmer. Der Anblick dieser Gewalten war Respekt einflößend. Bei der nächsten Erschütterung verlor Harry seinen Stab, der seelenruhig am abschüssigen Teppich entlangrollte. „Halt ihn fest! Halt meinen Stab fest!“ Zu spät. Der Stab fiel in den Abgrund und verschwand im Geröll. „Verdammt!“ Harry ging in die Knie, tastete sich vorsichtig nach vorn. Er hörte Pablo heftig atmen. Beiden klebte weißer Staub im Gesicht und an den Händen, vermischt mit Schweiß und Regen. Mit den Beinen versuchte Pablo immer wieder, irgendwo Halt zu finden. Da! Er fühlte einen Stein unter den Füßen. Mit seiner ganzen Kraft zog sich Pablo am Teppich hoch, verlagerte sein Gewicht auf den Stein, der ihn nicht mehr halten wollte. Ungewollt löste Pablo eine Kettenreaktion aus. Der Stein hatte den Boden gestützt, auf dem sein Oberkörper er lag. Lärmend lösten sich die Dielen aus dem Stützwerk, das noch seinen Oberkörper gehalten hatte. Einzig seine Hände, die sich am schweren Teppich festkrallten, schützen ihn vor einem Sturz. „Ich bin gleich bei dir!“ Harry tastete sich nach vorn, achtete auf die Geräusche unter sich.

Der lange Teppich aus Isfahan war von hoher Qualität. Er hielt den jungen Mann, ohne zu reißen. Dennoch merkte Harry, wie Pablos Gewicht selbst den großen Tisch, der auf dem Gewebe stand, bewegte. Zentimeter für Zentimeter wurde Pablo an dem Teppich wie an einem Seil herabgelassen. Unten wartete jedoch nicht der sichere Innenhof. Diese Seite der Festung war dem Verbotenen Birkenwald zugewandt. Sollte Pablo fallen, würde er sich entweder im Erdgeschoss das Genick brechen oder auf den freigelegten Streben wie auf einer Absprungrampe ins Tal und damit in den sicheren Tod rutschen.

Endlich war Harry am Rand angekommen und blickte hinunter, sah Pablo in die Augen. Ohne Worte hielt Harry ihm die Hand entgegen. Pablo griff nicht zu. Er hatte viel zu viel Angst, dass er stürzen würde, sollte er mit einer Hand loslassen. Das untere Teppichende, das bereits frei im Wind flatterte, schlug ihm kräftig gegen die Beine. Harry machte sich lang und tastete nach Pablos Hand. Als er die fand, umfasste er das Handgelenk mit eisernem Griff. Erst jetzt ließ Pablo mit dieser Hand los, ergriff im Gegenzug Harrys Handgelenk. Es war mühsam, Pablo heraufzuziehen, denn sobald sie sich kräftiger bewegten, bröckelte der Boden. Kleine Steine lösten sich. Mit aller Kraft zog sich Pablo an Harry hoch. Bis zur Brust war er oben, dann hielt Pablo inne und schaute an Harry vorbei. Harry folgte seinem Blick. Vor Schreck hätte er beinahe Pablo losgelassen. Hopkins stand hinter ihm. Das Gesicht war blutverschmiert, der Blick fahrig. In der Hand hielt er eine schwere Messingstatue, mit der er zuschlagen wollte.

„Mr. Hopkins, helfen Sie mir!“

Im ersten Moment war Hopkins wie versteinert. Aus den Augenwinkeln sah Harry das wunderschöne rote Sofa mit der geschwungenen Rückenlehne, das auf dem schrägen Boden immer weiter gen Abgrund rutschte, bis es über den Rand fiel und unter ihnen krachend zerbarst. Auch Hopkins hatte das Möbelstück beobachtet. Der gesunde Verstand siegte in diesem Augenblick über den Wahnsinn. Mit übertriebener Vorsicht stellte er die Figur aus Messing auf den Boden und kniete sich neben Harry. Die knarrenden Geräusche verrieten ihm, welcher Balken ihn noch tragen würde. Hopkins ergriff das andere Handgelenk von Pablo. Zusammen zogen sie den jungen Mann herauf. Kaum war er oben, sah man an der offenen Stelle des Gebäudes den massigen Körper des Drachen.

„Alles okay, Harry?“, rief Charlie, der seinen Stab bereithielt. „Wir haben uns schon Sorgen gemacht.“

Beim Anblick des fliegenden Ungetüms weitete sich Hopkins' Mund zu einem stillen Schrei. Die Furcht einflössenden Kreatur machte Hopkins unvorsichtig. Er vergaß die beiden Männer, stürzte verängstigt zur Tür. Seine unachtsamen Schritte erschütterten den einsturzgefährdeten Boden. Die Balken unter Harry und Pablo krachten. Der Boden unter dem Teppich verschwand. Beide fielen schreiend in die Tiefe, klammerte sich dabei an das handgeknüpfte Dekorationsstück.

Vom Rücken des Drachen aus hatte Charlie alles genau beobachtet. Er wollte sofort einen Zauber sprechen, das ein magisches Seil hervorrufen sollte, doch er hielt inne, traute seinen Augen kaum. Der rotbraune Perserteppich fiel nicht, er schwebte in Richtung Tal, das hinter der Festung lag – und auf ihm lagen Harry und Pablo.

Eine Teppichfalte war für Harry das Einzige, was ihm Halt gab. Wie und warum sie noch nicht tot waren, waren Fragen, die er sich später beantworten wollte, denn im Moment war er damit beschäftigt, einen Teppich zu lenken. Jetzt schon konnte er beantworten, dass sich beim Sturz gewünscht hatte, fliegen zu können. War es seine Magie? Kräftige, stablose Magie? Harry blickte hinter sich. Pablo sah aus, als würde er sich jeden Moment übergeben. Konzentriert blickte Harry wieder nach vorn. Wenn es seine Macht war, die den Teppich zum Fliegen brachte, dann sollte er ihn auch lenken können.

„Harry?“ Harry blickte nach oben. Besorgt schaute Charlie nach unten, folgte mit Norbert dem Teppich. „Harry, flieg zum Innenhof!“
„Der hat gut Reden“, murmelte Harry, der bis dato noch nie mit einem Teppich gereist war. Er konnte froh sein, dachte er, wenn Arthur ihn nicht wegen Verhexung eines Muggelartefakts zu einer Strafe verdonnerte. Wie lenkte man einen Teppich? Vielleicht, hoffte Harry, war es wie beim Apparieren. Ziel, Wille und Bedacht. Das Ziel war der Innenhof. Dort konnte er auch schon Kingsley und Tonks sehen, auch einige von der DA. Fehlte noch der Wille. Er wollte runter.

„Flieg runter, verdammt nochmal!“ Der Teppich gehorchte wie ein gut erzogenes Haustier. „Na bitte!“

Der Wind spielte mit seinen Haaren, brachte sie durcheinander. Über sich sah Harry Norberts gewaltigen Bauch und die prächtigen Flügel. Für einen winzigen Bruchteil einer Sekunde fragte sich Harry, wie es wohl aussehen würde, sollte Norbert plötzlich ein dringendes Bedürfnis verspüren. Vogeldreck wäre im Vergleich sicherlich kinderleicht wegzumachen. Nochmal ein Blick über die Schulter. Pablo befand sich noch immer auf dem Teppich, hielt die langen Fransen an den Seiten ganz fest in seinen Fäusten.

„Wir sind gleich unten. Dauert nicht mehr lange.“ Die beruhigenden Worte musste er schreien, sonst hätte Pablo ihn bei dem starken Wind nicht gehört. Damit sie auf dem Teppich nicht so kräftig schaukelten, hielt Harry ihn so gerade wie möglich. Der Wind fing sich trotzdem unter dem Perser und war wellenförmig zu spüren. Harry setzte sich vorsichtig im Schneidersitz hin, zog das vordere Ende des Teppichs zu sich hoch, um besser lenken zu können. War fast wie Schlittenfahren, verglich er in Gedanken. Er flog einen großzügigen Bogen, um sanft zu landen. Harrys Blick fiel zurück auf den zerstörten Teil der Festung und auf den wackligen Turm daneben. „Au warte, der stürzt gleich zusammen!“

Vom Innenhof aus kümmerten sich ein Dutzend Auroren bereits um die Muggel. Manche wurden wie Verbrecher gehandhabt, andere bekamen eine psychologische Betreuung. Ein Muggel mit grau meliertem Haar erkundigte sich bei einem Herrn von der Magischen Polizeibrigade, wie er vorgehen müsste, um einen Zauberer auf Schmerzensgeld zu verklagen.

Kingsley überwachte die Arbeit seiner Männer. Unterstützung hatten sie von der Magischen Polizeibrigade bekommen, die nach und nach die Muggel mitnahmen. Medimagier und Heiler waren ebenfalls anwesend. Diejenigen, die nach Aussage der DA-Mitglieder geschossen hatten, wurden in Untersuchungshaft genommen. Sie kamen vorerst in die Verhörzellen, die im Keller des Ministeriums angesiedelt waren.

„King!“ Tonks war ganz außer Atem. „Der Turm ...“ Den Rest des Satzes ersparte sie sich, denn sie zeigte mit ausgestrecktem Arm auf den langsam in sich zusammenfallenden Turm. Durch den abgesprengten Teil der Festung hatte auch er seinen Halt verloren.
„Ist da noch jemand drin?“
„Nein, aber er könnte in den Innenhof fallen.“ Und der war voller Menschen.
Zwei von der Magischen Polizeibrigade winkte Kingsley zu sich heran. „Sorgt dafür, dass der Turm in Richtung Schlucht fällt, wenn er einstürzt!“
„Ja, Sir!“
Nachdem die beiden gegangen waren, um das Gebäude im Auge zu behalten, blickte sich Kingsley in dem Getümmel um. „Ich frage mich, wo Harry steckt“, murmelte er.
Tonks stieß ihn mit dem Ellenbogen an, riss ihre Augen weit auf. „Da kommt er gerade.“

Im Flug sah Harry auf dem Teppich richtig majestätisch aus. Er flog wesentlich langsamer als ein Besen. Der Perserteppich stoppte abrupt, als er festen Boden berührte, was zur Folge hatte, dass Harry und Pablo Purzelbäume schlugen. Die Landung war unsanft und schmutzig, für das erste Mal aber nicht schlecht, lobte Harry sich in Gedanken. Kingsley und Tonks staunten mit offenen Mündern. Endlich wieder festen Boden unter den Füßen, dachte Harry erleichtert. So ganz ohne Besen oder Thestral war ihm das Fliegen nichts. Ein Teppich brachte ein ganz anderes Fluggefühl mit sich. Es war plump und viel schwerer zu lenken.

Pablo schien schneller wieder bei Sinnen als angenommen, denn er startete seinen ersten Fluchtversuch. Eine Mauer, die Norbert anfangs beschädigt hatte, war sein Ziel. Er wollte ins Freie klettern. Harry rannte ihm nach und sprang ihn an. Beide landeten auf dem Boden. Wie er es schon hundert Mal im Fernsehen gesehen hatte, wollte Harry Pablo in den Schwitzkasten nehmen, was aber nicht gelingen wollte. So drehte er ihm kurzerhand den Arm auf den Rücken und das erwies sich als äußerst wirkungsvoll. Vor lauter Schmerzen stellte Pablo jede Bewegung ein.

„Sind wir endlich ruhig, ja?“ Ohne Schwierigkeiten führte Harry seinen Gefangenen zu Kingsley.
„Und, Harry?“ Kingsley betrachtete Pablo, bevor er von Harry wissen wollte: „Askaban oder Mungos?“
„Ich würde eher für Askaban plädieren, aber das überlasse ich euch.“
Ein Zeichen von Kingsley genügte und ein junger Mann von der Polizeibrigade rückte an. Kingsley nickte zu Pablo und gab dem Mitarbeiter die Anweisung: „Ab mit ihm in eine der Verhörzellen.“ An Pablo gewandt sagte er: „Die kennst du ja schon.“
„Warten Sie!“ Bevor man mit ihm apparierte, richtete Pablo das Wort an Harry. „Darf ich eine Frage stellen?“
„Kommt drauf an.“
Mit Abscheu in den Augen blickte Pablo ihn an. „Das wollte ich schon die ganze Zeit wissen: Habe ich eigenlicht einen Jungen oder ein Mädchen?“
Diese Frage legte sich wie ein Strick um Harrys Herz. „Du“, zischte er wütend, „hast gar nichts!“

In der Nähe war ein Aufruhr zu vernehmen. Ein Raunen ging durch die Menge, dann wurde es plötzlich still. Der Grund war Hopkins. Von Schmerzen und Nasenbluten geplagt stolperte er über die Steine, die vereinzelt im Innenhof lagen. Die, die ihm einst folgten, wichen erschrocken zur Seite.

„Was habt ihr?“, fragte er seine Mitleidenden. Hopkins beobachtete, wie ein Zauberer den verletzten Arm von Eleanor mit einem Zauberstab verband. „Das lasst ihr zu? Wehrt ihr euch denn nicht dagegen?“ Mit wirrem Blick schaute er umher. Niemand wollte noch auf ihn hören. Niemand verstand ihn. Tyler war nicht zu sehen, auch nicht Alex oder Arnold. Pablo war ebenfalls fortgebracht worden. „Alejandro?“ Er rief seinen engsten Vertrauten, dessen zerrissener Körper irgendwo unter den Trümmern des Westflügels liegen musste. „Alejandro?“ Hilflos strauchelte Hopkins über den Hof, blickte sich suchend um, verstand die Welt nicht mehr. Die meisten seiner ehemaligen Anhänger wandten beschämt ihre Augen von ihm ab. Das Blut, das ihm aus der Nase schoss und seinen maßgeschneiderten Anzug tränkte, weckte die Aufmerksamkeit des Heilers, der Eleanors Arm verband. Vorsichtig näherte er sich dem verstörten Mann.

„Sir?“ Aufgrund der Stimme fuhr Hopkins' Kopf herum. „Sir, Sie benötigen Hilfe.“
Mit paranoider Vorsicht betrachtete Hopkins den Mann, bemerkte den Zauberstab in der Hand und das Zeichen auf dem Umhang. „Zauberstab und Knochen?“ Verwundert blickte der Heiler an sich herab, bevor Hopkins ihn beschimpfte. „Giftmischer! Hexer!“
„Das ist in unserer Welt das Zeichen der Heilung, Sir.“ Der Mann aus dem Mungos blieb gelassen, hatte offenbar schon öfters mit verstörten Patienten zu tun. „In Ihrer Welt ist das Zeichen der Helfer oft ein rotes Kreuz, das der Apotheken ein grünes. Letztendlich ist es alles das Gleiche.“ Der Heiler machte einen Schritt auf Hopkins zu, der erschrocken zusammenfuhr, einen Schritt zurück machte, um den sicheren Abstand wiederherzustellen. „Ich möchte Ihnen nur helfen. Haben Sie bitte keine Angst, Sir.“
„Keine Angst soll ich haben? Ihr seid es doch, die mir das antun!“ Mit der flachen Hand fuhr sich Hopkins über den Mund, um das viele Blut abzuwischen. „Ihr und eure Flüche ... Bleib ja weg von mir!“

Alle beobachteten Hopkins, der sich nun mit beiden Händen an den Kopf fasste und die Augen fest zusammenpresste. Er wimmerte. Seine Schmerzen waren so groß, dass sie ihn in die Knie zwangen. Kingsley hatte sich dem Heiler genähert.

„Ist das wirklich ein Fluch?“, erkundigte er sich bei dem Heiler.
„Ich müsste es prüfen, Sir. Ich befürchte nur, ich werde von ihm keine Zustimmung erhalten, ihn behandeln zu dürfen.“
„Die Zustimmung haben Sie von mir. Der Mann denkt nicht mehr ganz klar. Sollte er unter einem Fluch leiden, dann erlösen Sie ihn.“

Neugierig beobachteten die Muggel, wie der Heiler seinen Stab schwang, dabei kein Wort verlor. Harry hatte sich ebenfalls zu Kingsley gestellt. Der Anblick von Hopkins ließ ihm eine Gänsehaut den Rücken hinunterlaufen.

Der Heiler schüttelte den Kopf. „Kein Fluch, Sir.“
Kingsley rieb sich das breite Kinn. „Untersuchen Sie ihn. Irgendwas muss er haben. Das ist kein normales Nasenbluten.“
„Sir, ich kann nicht einfach ...“
Mit hochgehaltener Hand unterbrach Kingsley den Mann. „Mr. Hopkins ist ein Gefangener des Ministeriums, demnach ist das Ministerium und seine ausführenden Mitarbeiter dazu befugt, Anweisungen zu geben, die dem Wohl des Gefangenen dienen.“ Kingsley hob eine Augenbraue. „Untersuchen Sie ihn!“
„Gut.“

Der Heiler verstand sein Fach. Wortlos sprach er mehrere Diagnosezauber. Von alledem bekam Hopkins nicht einmal etwas mit. Er saß auf dem Boden, vergrub weiterhin sein Gesicht in den Händen.

Wenige Minuten später flatterte ein Pergament in die offene Hand des Heilers. Er studierte das Blatt gründlich. An einer Stelle biss er sich auf die Unterlippe, bevor er sich an Kingsley wandte.

„Sir, der Mann gehört ins Krankenhaus.“
„Was hat er?“
Der Heiler schüttelte den Kopf. „Das darf ich nicht ...“
Kingsley machte kurzen Prozess und riss dem Heiler das Pergament aus der Hand. Einige medizinischen Ausdrücke verstand Kingsley, andere nicht. „Was bedeutet 'intrakraniell'?“
„Das heißt 'innerhalb des Schädels', Sir.“
„Und wegen der Lage soll es zu einer Persönlichkeitsstörung gekommen sein?“
Der Heiler nickte.

Während Kingsley mit dem Heiler sprach, trat Ron an Harry heran. Er schlug seinem Freund kräftig auf die Schulter, was eine Staubwolke zur Folge hatte, die Ron wortlos mit der Hand wegwedelte.

„Harry! Oder soll ich dich besser 'Prinz Hussein' nennen? Wusste gar nicht, dass du einen Fliegenden Teppich lenken kannst.“
„Wusste ich auch nicht.“
„Es ist gut, dich wohlauf zu sehen!“
„Danke, Ron. War nicht leicht gewesen. Bei mir fließt im Moment nur noch Adrenalin durch die Adern.“
Ron nickte. „Wir haben gesehen, dass die Hälfte eingestürzt ist und ihr wart noch mittendrin. Wir haben Charlie geschickt, dass er mal nachschauen soll.“ Ron musterte seinen Freund, der bis auf das Pflaster, das er seit seiner Ohnmacht trug, unverletzt aussah. „Sag mal, wo ist eigentlich dein Stab?“
„Den habe ich verloren.“
„Ist er kaputt?“
„Ich weiß es nicht. Er ist einfach runtergefallen.“
„Dann werden wir mal sehen, was wir da machen können.“ Ron hob seinen Arm. „Accio Harry Potters Zauberstab.“

Sie brauchten nicht sehr lange warten, da kam schon Harrys Stab angeflogen und landete in Rons ausgestreckter Hand. Den Stab seines Freundes wischte Ron erst an seinem Umhang sauber, bevor er ihn an Harry weitergab. „Bitteschön, der Herr. Ist fast wie neu.“
„Dankeschön! Ohne ihn kam ich mir ziemlich nackt vor.“

Beide hörten zu, wie der Heiler zu Kingsley sprach.

„Die starken Kopfschmerzen rühren auf jeden Fall von der Gewebeveränderung her. Den Grund für das Nasenbluten konnte ich nicht zu vollster Zufriedenheit klären, dazu müsste man ihn im Mungos untersuchen, aber sein Angstzustand“, der Heiler deutete auf Hopkins, der zusammengesackt auf dem Boden saß, „und die Schmerzen ... Das rührt auf jeden Fall von dem Tumor her.“
„Was ist das hier?“ Kingsley tippte auf eine Stelle auf dem Pergament.
„Das ist der Umfang. So groß wie ein Tennisball. Er verdrängt Teile des Gehirns, was auch optische oder akustische Halluzinationen auslösen kann. Wir müssen ihn genauer untersuchen.“
Harry hatte mitgehört. Auch ihm brannte eine Frage auf der Zunge. „Seit wann hat er das?“
„Schwer zu sagen, Mr. Potter. Bei der Größe kann sich der Tumor schon in der Pubertät gebildet haben.“

Bevor man Hopkins ins Mungos brachte, wollte Kingsley noch ein paar Dinge mit dem Heiler klären. Die Zeit nutzte Harry.

„Wir hätten beinahe noch was vergessen“, erinnerte Harry seinen Freund und hob den Stab.
Ron schaute irritiert drein. „Was denn?“
„Accio Ginny Weasleys Zauberstab!“

Gespannt blickten Harry und Ron, aber auch Tonks und die DA-Mitglieder, die den Zauberspruch gehört hatten, ob Ginnys Stab in Sicht war. Was angeflogen kam, war kein Stab. Es war eine große Truhe. Ron hatte es bisher nicht geschafft, einen Gegenstand aufzurufen, der in einem Koffer oder einer Kiste verstaut war. Dass Harrys das auf einmal konnte, wunderte ihn mittlerweile nicht mehr.

Die Kiste kam ins Taumeln, rauschte vorbei an Hopkins, der ihr mit den Augen folgte. Kingsley schob den Heiler beiseite, damit die schwere, hölzerne Truhe ihm nicht die Beine wegreißen würde. Harry strengte sich an, den immer schneller werdenden Gegenstand zu lenken, aber seine Konzentrationsfähigkeit war momentan nicht mehr die beste. Einer der großen Steine von der zerstörten Mauer war im Weg. Die Kiste schlug in hoher Geschwindigkeit mit dem Schloss dagegen und drehte sich in der Luft um sich selbst. Dabei riss der Deckel ab, der vor Tonks' Füßen landete. Mit lautem Krach schlug die Truhe vor Harry auf den Boden auf und kippte um, offenbarte ihm und all den anderen ihren schaurigen Inhalt.

Ein Stab kam in Harrys linke Hand geflogen - Ginnys Stab. Unzählige andere rollten um seine Beine, als wollte sie zu einem Geschicklichkeitsspiel auffordern.

Stäbe.

Zauberstäbe aus Kirschholz, Walnuss, Weißbuche, Kastanie, Esche, Mahagoni, Eibe, gebrochen und heil, alt und neu.

Hundert Stäbe, hundert oder mehr. Sie fühlten sich wie Tausend an. Harry wagte nicht, sich zu bewegen. Ein Grauen übermannte ihn, als wäre er von Leichen umgeben.


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Ich habe diese Bücher für mich selbst geschrieben. Was passiert ist, ist ein Schock für mich. Ich dachte mir, dass die Bücher vielleicht drei Menschen gefallen werden, neben mir meiner Schwester und, vielleicht, meiner Tochter.
Joanne K. Rowling