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Harry Potter und die Schatten der Vergangenheit - Die Ruhe vor dem Sturm

von Muggelchen

Wie gelähmt stand Narzissa in Zimmer 14 und blickte auf den mit einem weißen Laken bedeckten Körper, der kein einziges Lebenszeichen von sich gab. Sie konnte sich nicht rühren, war gefangen in einem Strudel aus Erinnerungen an schöne Zeiten, die mit einem Mal ein jähes Ende fanden. Nie wieder würde sie in den Armen ihres Mannes liegen, nie wieder seine gehauchten Liebesbekundungen hören, nachdem sie eins geworden waren. In dem Teil ihres Herzens, wo sonst er hauste, klaffte ein Loch, so groß, dass es sie beinahe mit verschlungen hätte.

Die Tür öffnete sich unerwartet und laut. Vom Flur drang Hektik ins Zimmer. Narzissa löste sich aus der Starre und blickte zu denen, die ihren Abschied störten. Zwei Pfleger und eine Schwester.

„Bringt die Leiche raus und ...“ Schwester Ellen bemerkte den Gast und hielt mit ihrer ruppigen Art inne. „Madam, war das ein Verwandter von Ihnen?“ Mit wenigen Schritten war Ellen bei Narzissa, die mit Tränen in den Augen dabei zusah, wie der Leichnam mit einem Zauberspruch auf eine Bahre gelegt wurde. „War das Ihr Vater?“
„Was?“ Narzissas Kopf fuhr herum. „Mein Vater?“
„Ich dachte nur ...“ Die Schwester bekam rote Ohren. „Dann Ihr Mann?“ Doch bevor Narzissa antworten konnte, erklärte Ellen ihr die Situation. „Wir müssen das Zimmer freimachen, Madam. Es tut mir wirklich leid, aber wir benötigen es für die anderen Patienten.“

Mit schimmernden Augen folgte Narzissa jedem Handgriff, jeder Zauberstabbewegung der Pfleger, die mit der schwebenden Bahre an ihr vorbeigingen. Der Gang war so eng, dass das weiße Tuch Narzissas Bauch streifte und schwarze Haare freigelegt wurden. Ohne nachzudenken riss Narzissa dem Toten das Laken vom Kopf. Zum Vorschein kam ein ungefähr 60jähriger Mann mit dunklen Haaren. Das schmerzverzerrte Gesicht, in der Leichenstarre wie ein morbides Kunstwerk festgehalten, erschreckte sie nicht.

„Das ist er nicht!“ Hoffnung auf ein Wiedersehen. „Das ist nicht mein Mann! Man sagte mir, er läge in diesem Zimmer.“ Die aufkommende Euphorie zauberte Freude in Narzissas Gesicht.
„Wie heißt Ihr Gatte?“
„Malfoy! Lucius Malfoy!“
„Ah“, Ellen nickte, „der war hier, wurde aber in ein anderes Zimmer verlegt. Ich zeig es Ihnen.“

Mit der Schwester voran war es leicht, sich einen Weg durch das Chaos im Flur zu schaffen. Narzissa blieb ihr auf den Fersen und wurde durch eine Tür hindurch in die benachbarte Station geführt.

„Hier“, Schwester Ellen war an einer Tür zum Halt gekommen, „Mr. Malfoy liegt nicht allein. Sie können gleich rein. Ich bin in ein paar Minuten zurück.“

Der Schwester blickte Narzissa einen Moment hinterher, bevor sie so mutig war, ihre Hand auf die Klinke zu legen und den Raum zu betreten. Der Gestank hier drinnen war trotz den weit geöffneten Fensters penetrant. Sofort bemerkte sie zwei Betten. In einem lag ein junger Mann, dessen Gesichtszüge ihr bekannt vorkamen, doch sie widmete sich sofort dem anderen Bett.

„Lucius“, hauchte sie erleichtert. Erwartungsvoll eilte sie zum Bett hinüber. Auffällig war der linke Arm, der mit einem Tuch bedeckt war, so dass sie diese Seite mied. Lucius hatte die Augen fest zusammengepresst. Ein Zeichen dafür, dass er wach war und unter Schmerzen litt. Ihre Hände fanden seine Schultern, seine Wangen. Sofort öffnete er die geschwollenen Augen.
„Zissa“, seine Stimme war kaum hörbar, „meine Zissa.“

Als hätte er das Tor zu einem himmlischen Garten geöffnet, verwandelte sein Blick sich in Sehnsucht. Die Wiedersehensfreude war groß. Lucius hatte befürchtet, nur mit der Erinnerung an sie sterben zu müssen, doch hier war sie, an seiner Seite, und plötzlich war der Tod so fern. Er zog die Nase hoch. Was geschehen war oder wie es passierte stellten Fragen dar, die im Moment vollkommen unwichtig waren. Von Bedeutung war einzig und allein, seine zweite Hälfte bei sich zu haben. Ihre Finger, die das Haar übers Ohr strichen, waren genauso gewichtig wie ihre Lippen, die die seinen grüßten. Wozu Worte verschwenden, wenn die Herzen sprachen? Die Augen waren es, über die ihre Seelen sich gegenseitig austauschten, den Schmerz und die Sorge schilderten und am Ende kein Geheimnis voreinander verbargen.

Seine gute Hand fand ihr Haar, ließ die Strähnen durch seine Finger gleiten. „Wie aus Licht gegossen“, flüsterte er charmant und fasziniert zugleich. Mit ihren Fingerspitzen fuhr sie eine Augenbraue nach, glitt über die hohen Wangenknochen. Als sie am spitzen Kinn angekommen war, pflanzte sie ein Kuss in das kleine Grübchen, aus dem Hoffnung wachsen sollte.

Hoffnung war mehr als nur ein Gefühl. Es war Leben.

„Was ist mit Draco?“ Lucius' Stimme war schwach, kaum hörbar, aber den Namen des gemeinsamen Kindes hatte Narzissa vernommen.
„Er ist in Hogwarts. Susan und Charles sind bei ihm.“
„Geht es ihm wie ...“
„Wie dir? Ich befürchte ja.“ Ihre Hand spendete Trost, als sie seine Wange hielt. „Weißt du, wer uns Bescheid gegeben hat?“ Ein willkommener Themenwechsel. Lucius schüttelte den Kopf. „Eine Schwester Marie war es gewesen. Von Hogwarts aus hat sie uns angefloht. Ob das wohl 'deine' Marie war?“
Auf dem geplagten Gesicht zauberte sich ein Lächeln. „Wahrscheinlich.“

Von Gegenüber hörten sie ein Wimmern. Seit ihrer Ankunft im Krankenzimmer schaute Narzissa sich erst jetzt den jungen Mann genauer an und erkannte ihn sogar.

Mit Staunen in der Stimme stellte sie auch für ihren Mann laut fest: „Das ist Gregory Goyle!“
„Mit ihm lag ich schon zusammen ...“ Er legte eine Pause ein, um Luft zu holen. „Als ich aus Askaban hierher verlegt wurde.“
„Was ist mit seiner Familie?“ Wie so oft stellte Narzissa die Familie über alles, auch die von anderen. Nichtigkeiten wie das dunkle Mal wurden in den Hintergrund geschoben.
„Soweit ich weiß“, vor Schmerz verzog er das Gesicht, „war sein Vater im Gefängnis. Seine Mutter …verschwunden.“ Noch immer blickte Narzissa zu dem jungen Mann hinüber. Vor vielen Jahren hatte er noch an einen stattlichen Sybarit aus dem antiken Griechenland erinnert. Heute war er nur noch ein Strich in der Landschaft und entsprach ganz und gar nicht mehr den Erinnerungen, die sie an ihn hatte. Nur die Gesichtszüge waren ihr vertraut. „Narzissa.“
„Ich bin hier, mein Schatz.“ Es war wie eine Hand an ihrem Herzen, die fest zudrückte, als sie mit ansehen musste, wie Lucius in seiner Qual die Augen verdrehte. Die Fingerspitzen seiner rechten Hand fanden an ihre Lippen. Küsse vermochten zu heilen. „Ich bin hier“, wiederholte sie immerzu zwischen den Liebkosungen.

Der Himmel über dem ganzen Land wurde durch die Wolken der Pein mehr verdunkelt als durch die des sich erneut zusammenbrauenden Unwetters. Überall waren Menschen zusammengebrochen. Alle litten an der gleichen Wunde. Jeder einzelne von ihnen hatte damals das Zeichen des Dunklen Lords angenommen – aus Überzeugung oder aus Angst. Es war dem Ministerium bekannt, dass Voldemort – wie Anfang der 80er Jahre – seine Schergen von Haus zu Haus geschickt hatte, um Menschen für seine Sache zu rekrutieren. Zweimal sagte man nicht „Nein!“, ohne mit dem Leben zu büßen. Der Zustand derjenigen, die nur aus Angst um ihre Familie gehandelt hatten, war nicht so besorgniserregend wie der der überzeugten Mitläufer. Rodolphus Lestrange war einer der Ersten gewesen, die das reinigende Feuer nicht willkommen hießen und deswegen an ihm zugrunde gingen.

In seinem Büro im Ministerium las Arthur eine haarsträubende Meldung nach der anderen. Manche Namen der im Mungos eingewiesenen Patienten waren ihm bekannt, andere völlig fremd. Mittlerweile hatte die Presse Wind von den Ereignissen bekommen. Arthur musste seinen Kamin abstellen, damit er vor den ganzen Interviewanfragen Ruhe hatte. Eine Dame namens Kimmkorn war besonders hartnäckig. Beunruhigend war, dass tatsächlich noch so viele der Anhänger nach dem Sieg über Voldemort im Ministerium untergekommen waren. Die meisten von ihnen hatten nicht einmal der Schlacht vor Hogwarts beigewohnt, weil sie an anderen Orten auf Befehle warten sollten. Nach und nach sandte Dawlish seine ersten Verhöre an Arthur, der diese mit Anspannung las. Voldemort hatte geplant, nach Hogwarts der Reihenfolge nach das Ministerium, das Mungos und die gesamte Winkelgasse einzunehmen, um auf diese Weise die wichtigsten Anlaufstellen für Zauberer und Hexen unter seiner Kontrolle zu haben.

Arthur konnte nichts dagegen unternehmen, ständig vor seinem inneren Augen Ginny zu sehen. Solange sie nicht in Sicherheit war, konnte er nicht klar denken.

Das Pergament mit der Aussage eines Familienvaters namens Humphrey Pidoray, einem der wenigen Todesser, die ansprechbar waren, weil das dunkle Mal nur oberflächlich gebrannt hatte, zitterte in Arthurs Händen, als er es las. Ein Schuldbekenntnis. Schuldig in dem Sinne, das dunkle Mal angenommen zu haben. Der Mann bestritt aber vehement, irgendwelche anderen Straftaten begangen zu haben, außer Voldemort nicht daran gehindert zu haben, sich sein gesamtes Vermögen anzueignen. Finanzielle Unterstützung, nicht mehr. Als Gegenleistung würde man seine Familie in Frieden lassen, hätten die Todesser ihm versprochen. Arthur blätterte weiter. Mr. Pidoray hatte eine Frau, fünf Kinder und lebte mit der gesamten Familie, einschließlich Großeltern und Urgroßeltern, in einem großen Haus. Arthur fragte sich, was er an der Stelle von Mr. Pidoray getan hätte, wäre jemals einer von Voldemorts Schergen auf die Idee gekommen, bei ihm anzuklopfen und ihn und seine Familie zu bedrohen. Natürlich wäre das nie geschehen. Die Weasleys waren „Blutsverräter“, wie Malfoy immer so schön betont hatte. Aber wenn … Wie hätte er gehandelt, wenn Todesser seine Kinder bedroht hätten und er sie nur hätte retten können, indem er das dunkle Mal akzeptierte?

Er schüttelte den Kopf. Mit solchen Fragen, auf die es keine Antwort gab, konnte er sich nicht befassen. Viel wichtiger war es jetzt, die Lage zu überprüfen und sich die Presse vom Hals zu halten.

Da der Minister nicht erreichbar war, wandte sich die Presse an Professor Dumbledore. Es wurde gemunkelt, dass es auch in Hogwarts solche Fälle gegeben hätte wie die, die dem Mungos im Übermaß zu schaffen machten. Die Gerüchte basierten auf der logischen Überlegung, dass Severus Snape, Zaubertränkelehrer von Hogwarts, nachweislich das Zeichen Voldemorts auf dem linken Unterarm trug.

„Es entzieht sich meiner Befugnis“, erklärte Albus einem Journalisten über den Kamin, „über Patienten unseres Krankenflügels zu sprechen. Mir liegt daran, die Persönlichkeitsrechte zu wahren. Ich werde Ihnen also weder über lapidare Magenverstimmungen unserer Schüler berichten können noch über andere Gebrechen.“
„Aber ...“
„Danke für das Gespräch.“ Albus hatte dem jungen Mann eine heftige Abfuhr erteilt. Trotz der vielen Anrufe entschied er sich dafür, den Kamin nicht zu schließen. Es könnte immerhin eine wichtige Mitteilung eintreffen. Ständig hielt er Kontakt zu Poppy, die ihm vor einer halben Stunde mitgeteilt hatte, dass die gesundheitliche Verfassung der beiden Patienten stabil wäre. Details gab es nicht. Weder stellte Poppy ihren Patienten viele Fragen noch gab sie Informationen an Dritte weiter. Diskretion stand bei ihr an erster Stelle.

Im Krankenflügel machte Poppy nach getaner Arbeit vorsichtshalber noch eine Visite, angefangen bei Harry, der so laut schnarchte, dass sie in Erwägung zog, ihn bei Gelegenheit auf seine Polypen anzusprechen.

Am Bett von Draco herrschte völlig unerwartet eine ausgelassene Stimmung. Es erstaunte Poppy, dass der junge Mann nicht mehr so weinerlich war wie zu Schulzeiten. Damals hat er bei einem winzigen Kratzer gestöhnt und geächzt, als stünde er zur Schwelle des Todes. Jetzt, mit einer so tiefen Verletzung, die ihn tatsächlich ins Jenseits hätte befördern können, schien es ihm nicht einmal schwerzufallen, für seinen gerade erwachten Sohn zu lächeln.

Severus machte ihr Sorgen. Seit sein Besuch gegangen war, wirkte er apathisch. Er reagierte erst beim dritten oder vierten Mal, wenn Poppy seinen Namen sprach. Harry war der Einzige, der Schlaf gefunden hatte. Draco und Severus war diese Erholung rätselhafterweise nicht vergönnt. Die Schmerzmittel, wie Poppy von beiden Patienten erfahren hatten, halfen nicht. Während Draco die Schmerzen durchstand und sich mit seiner Familie Abwechslung verschaffte, dämmerte Severus vor sich hin. Gerade als Poppy die Wandschirme verließ, die sein Bett umgaben, hörte sie seine Stimme.

„Poppy?“
Sofort war sie an seiner Seite. „Was ist?“
Schwächlich flüsterte er: „Ich möchte auf die Toilette.“
„Daraus wird leider nichts.“ Sie bückte sich und suchte in dem Schrank neben seinem Bett etwas.
Verwundert drehte Severus den Kopf. „Poppy, ich möchte die Toilette aufsuchen!“, wiederholte er energischer.
Mit einem Male stand sie kerzengerade vor ihm und hielt zwei Gegenstände in der Hand. „Du hast die Wahl zwischen dem hier“, sie hob die Ente, die in Krankenhäusern dazu verwendet wurde, Urin von bettlägrigen Patienten aufzufangen, „oder dem hier.“ Der Gegenstand in der anderen Hand ließ ihm eine Gänsehaut über den Rücken laufen.
„Oh Merlin, eine Bettpfanne?“, fragte er entrüstet. „Nein, das ist demütigend!“ Er holte tief Luft. „Lass mich selbst gehen!“
„Der Arm muss in dieser Position bleiben, Severus, damit die Phönixtränen nicht vergeudet werden. Ich habe nämlich keine mehr und du möchtest doch sicher, dass die Wunde heilt.“
Störrisch wie eh und je erwidert er grantig: „Dann werde ich es solange zurückhalten, bis es geheilt ist!“
„Das wird bei dem Tempo drei, vier Tage dauern. So eine große Wunde braucht ein Weilchen.“
„Ich werde nicht“, giftete er durch zusammengebissene Zähne, „vor aller Welt mein Geschäft verrichten.“
„'Vor aller Welt'?“ Amüsiert schüttelte sie den Kopf. „Es ist schön zu sehen, dass es dir offensichtlich besser geht.“
„Poppy!“
„Ich gebe dir mindestens drei Stunden. Länger wirst du es nicht aushalten. Also“, mit gestrenger Miene hielt sie Ente und Pfanne in die Höhe, „was davon darf's denn sein?“
„Nichts!“
„Wie du meinst.“ Beide Objekte platzierte sie wieder in dem Schrank, bevor sie sich bei ihm verabschiedete.
„Poppy?“, wimmerte er. „Bitte!“
Sie seufzte und setzte sich auf sein Bett. „Severus, ich habe während meiner Ausbildung zur Heilerin viele scheußliche Dinge gesehen, eine Menge skurriler Verletzungen behandelt und brutale Menschen meine Patienten nennen müssen. Nichts – und das versichere ich dir – ist für mich so normal wie die täglichen Bedürfnisse.“ Severus hatte eine Miene aufgesetzt, als hätte sie ihm gerade erklärt, er müsste vier Wochen lang bei Filch eine Strafarbeit absitzen. „Mach nicht so ein Gesicht, Severus. Ich lass dich nicht aus dem Bett heraus.“ Er war ein schwerer Brocken, kein leichter Patient. „Jetzt hör mal gut zu: Es gibt einen Stillezauber um dein Bett herum und einen gegen, ähm, Geruchsbelästigung.“ Severus bekam dank Nevilles Blutspende ganz rote Wangen. „Niemand wird auch nur das Geringste mitbekommen“, versprach die Heilerin.
„Aber du ...“
„Das ist meine Arbeit!“, unterbrach sie mutig. Wieder verzog er das Gesicht, womit er Poppys Geduld strapazierte. „Oder sträubst du dich, weil wir uns schon so lange kennen? Ich könnte eine meiner jungen Schwestern damit beauftragen ...“
„Nein! Merlin bewahre ...“
„Also …?“

Nach langem Zögern und unter größten Anstrengungen deutete er auf die Bettpfanne und Poppy begann gleich darauf mit ihrer routinierten Arbeit.

Weit entfernt von Hogwarts musste jemand anderes auch ganz dringend auf die Toilette, aber entsprechende Örtlichkeit fehlte, die man normalerweise dafür benutzte. Stringer hielt sich den Bauch und atmete schwer. Fogg war so hilfsbereit, ihm das leere Einmachglas zu reichen, aus dem sie alle Pfirsiche vertilgt hatten.

„Soll ich da etwa reinmachen?“ Stringer kräuselte die Nase. „Das ist nicht dein Ernst?“
„Mein voller Ernst, denn ich habe leider keinen Stab bei mir, mit dem ich deine Hose reinigen könnte, sollte es einen 'Unfall' geben.“
„Die Stäbe liegen bestimmt noch oben in der Apotheke.“
Fogg nickte. „Und da liegen sie gut. Die Tür ist das Einzige, das hier wirklich verzaubert ist. Wir kommen nicht raus.“
Mit einer Bewegung seines Kopfes deutete Stringer in eine bestimmte Richtung. „Wir haben das Oberlicht noch nicht ausprobiert.“
„Du wirst es gar nicht bis dahin schaffen, ohne dass ...“
„Ich kann es halten!“, wütete Stringer verlegen. „Herrje, ich hätte nicht den ganzen Pfirsichsaft trinken sollen.“
„Zu spät, um sich darüber Gedanken zu machen. Zier dich nicht und folge dem Ruf der Natur.“ Fogg hielt Stringer das Einmachglas vor die Nase.
„Das ist so demütigend!“ Stringer nahm das Glas an sich und verdrückte sich in eine Ecke. „Hör weg!“, forderte er von seinem Freund.
„Wie soll ich das machen? Mir die Ohren abschrauben?“
„Zuhalten!“
Fogg schnaufte amüsiert. „Übertreib nicht. Ich weiß, wie sich so was anhört oder warst du nie auf einer öffentlichen Toilette?“
„Ich kann nicht, wenn mich jemand von der Seite anquatscht!“

Beinahe – wirklich nur beinahe – wäre Fogg in Gelächter ausgebrochen. Er tat seinem Freund den Gefallen und hielt sich die Ohren zu, obwohl der das nicht einmal sehen konnte. 625 Milliliter später schmückte ein erleichterter Ausdruck Stringers Gesicht.

„Zur Strafe müssten wir denen das Glas zurück zu den anderen ...“
„Das ist eklig“, rügte Fogg seinen Freund. „Stell es in die Ecke da und gut ist.“
Stringer kam dem Ratschlag nach, richtete seinen Blick danach auf das Oberlicht. „Versuchen wir's jetzt?“
„Eigentlich möchte ich nicht ohne unsere Stäbe gehen. Mit denen kann man uns identifizieren. Die brauchen nur Ollivander zu fragen und ...“
„Die sind aber oben und dort kommen wir nicht hin!“
Resignierend nickte Fogg. „Dann eben ohne. Ich werde Miss Granger später aufsuchen und Sie bitten...“
„Du hast wirklich eine Meise, weißt du das?“
„Wieso?“, fragte Fogg unschuldig.
„Solltest du nochmal bei ihr auftauchen, wird sie dir wichtige Körperteile abhexen. Hast doch gehört, was dieser Todesser gesagt hat. Ich weiß, was Keimdrüsen sind und ich möchte meine gern behalten!“
„Ich glaube nicht, dass sie das machen würde“, winkte Fogg gelassen ab.
Ernüchtert schüttelte Stringer den Kopf. „Du bist so naiv, dass du dich sogar von einer Nonne über den Tisch ziehen lassen würdest!“ Von Fogg ließ er seinen Blick zum Oberlicht wandern, das er aufmerksam musterte. „Wenn du dich an die Wand stellst, dann kletter ich an dir hoch und öffne das Fenster.“
„Warum muss ich unten stehen?“
„Weil du fetter bist als ich!“ Wegen der verletzenden und vor allem unwahren Worte zog Fogg ein beleidigtes Gesicht, weshalb Stringer verbesserte. „Ich meine natürlich, weil ich leichter bin.“
„Da geht’s aber nicht zur Straße raus. Wohin führt dieses Fenster?“
Beide blickten die schmutzigen Glasscheiben mit einem solchem Respekt an, den man normalerweise nur für eine Mona Lisa oder einen Gobelin aufbringen würde. „Es führt nach oben.“
„Was sind wir heute wieder lustig“, murmelte Fogg hinter Stringers Rücken. „Was machen wir, wenn wir draußen sind?“
Ein gleichgültiges Schulterzucken war die erste Antwort, bevor Stringer vorschlug: „Wir könnten dann in die Apotheke einbrechen und unsere Stäbe ...“
„Moment!“ Mit hochgehaltener Hand verbat Fogg seinem Freund jedes weitere Wort, so dass er in Ruhe in der Tasche seines Umhangs kramen konnte, um ein Notizbuch herauszuholen. Er schlug eine Seite auf und zitierte: „'Ich schwöre, ich gebe alle kriminellen Machenschaften auf und werde ein guter Mensch.'. Das hast du vorhin gesagt!“
„Ich hab aber auch angefügt, wenn sie uns nur etwas zu essen bringen und das haben sie nicht.“ Skeptisch die Zunge in die Wange steckend betrachtete er Fogg und fragte: „Wer bist du? Irgendein Heiliger, der mich auf den rechten Pfad bringen will?“
Seine Antwort wiegte Fogg zunächst ab, bevor er deutlich wurde: „Sagen wir es mal so: Wenn du noch einmal irgendeinen Blödsinn anstellst, dann bekommst du nichts – und ich meine absolut gar nichts – von meinem Vermögen ab.“
„Das“, zischte Stringer, „ist Erpressung! Eine Straftat!“
„Ich sehe es als Freundschaftsdienst. Vielleicht auch als kleinen Ansporn für dich. Und jetzt komm“, Fogg stellte sich an die Wand und machte mit seinen Händen Steigbügel, „sitzt auf.“ Gerade wollte Stringer seine Schultern berühren, da stieß er ihn zurück. „Hast du dir die Hände gewaschen?“
„Was?“
„Na vorhin, nach deinem 'Geschäft'?“
Stringer schnaufte. „Mit was denn? Soll ich sie mir mit der Flasche Ammoniak dahinten sauberätzen, nur weil du plötzlich Mr. Penibel geworden bist?“ Grob packte Stringer ihn an den Schultern und stieß ihn an die Wand. Es war mühselig, an Fogg hinaufzuklettern. Dessen Hände rutschten immer auseinander, wenn er Schwung holen wollte. „Geh etwas in die Knie, ich steig auf deinen Oberschenkel.“ Fogg ging in die Knie und jaulte auf, als Stringer mit seinem Schuh einen Nerv im Bein malträtierte.

Es war bereits Mittag durch, als Hermine ihre Apotheke aufsuchte. Die Haustiere benötigten ihre Aufmerksamkeit. Einige Kunden hatte sie am heutigen Tag unbeabsichtigt verprellt, weil die Apotheke ohne Ankündigung geschlossen war. Viele Menschen hatten ihr Haus jedoch wegen der Unwettermeldung für das Wochenende nicht verlassen. Nur ein paar Figuren wurden von den wenigen Sonnenstrahlen nach draußen gelockt, obwohl es sich bereits erneut bewölkte. Noch bevor sie zu den beiden in den Keller ging, kümmerte sie sich erst um die wichtigen Dinge. Sie zauberte sie ein Schild. „Wegen familiären Gründen geschlossen“ stand nun gut leserlich an der Glastür. Fellini und Harry hatten sich miauend und schwanzwedelnd auf ihre Mahlzeit gefreut. Harrys kleinen Unfall in einer Ecke des Wohnzimmers nahm sie ihm nicht übel, schon gar nicht wegen des schuldbewussten Blicken, den der Hund ihr zuwarf. Mit einem Desinfektionszauber war die Schweinerei schnell behoben. Erst nachdem sie all diese Dinge erledigt hatte, führte ihr Weg sie in den Keller.

Die beiden Gauner waren so beschäftigt damit, das Oberlicht zu erreichen, dass sie die sich öffnende Tür gar nicht bemerkten. Hermine hatte die beiden an der Wand ausfindig gemacht und sagte zunächst nichts, beobachtete nur still das Szenario. In gewisser Weise war es komisch mit anzusehen, wie Fogg unter dem Gewicht von Stringer immer mehr in die Knie ging und zu zittern begann. Sie bemerkten Hermine auch nicht, als sie nochmal von vorn begannen. Mit beiden Händen am Gesäß seines Freundes drückte Fogg ihn so gut es ging nach oben, bekam dafür versehentlich einen Tritt ins Gesicht, als Stringer dessen Schultern besteigen wollte. Sollte das so weitergehen, würden sie sich bei ihrem Fluchtversuch noch gegenseitig k.o. Schlagen, dachte Hermine. Sie könnte wohl stundenlang hier am Tisch gelehnt zusehen, ohne dass man von ihrer Anwesenheit Kenntnis nehmen würde.

Es war eine wackelige Angelegenheit. Beinahe hatte Stringer das Oberlicht erreicht, da hielt sich Hermine nicht mehr zurück und fragte mit kräftiger Stimme: „Warum nehmen Sie eigentlich nicht die Leiter, die links an der Wand lehnt?“

Fogg, mit seinem Freund halbwegs auf den Schultern, drehte sich um, was ein Fehler war, denn Stringer fand an der Wand keinen Halt mehr. Der obere Gauner ruderte wie wild mit den Armen, um das Gleichgewicht wiederzuerlangen, während Fogg mit dem Gewicht auf seinen Schultern ins Torkeln kam. Das Unvermeidbare geschah – sie fielen. Mit einem lauten Krach landeten sie auf unbenutzten Regalbrettern, Unmengen an verschieden großen Gugelhupfbackformen und einer ausgedienten, aber antiken Standnähmaschine, die ganz schnell unter dem Gewicht der beiden Männer ihre Kostbarkeit verlor und sich in Schrott verwandelte.

„Das erinnert mich an meine Kindheit“, warf Hermine gelassen ein. Mit Furcht in den Augen blickten die beiden sie an, weil sie ihren Zauberstab zog und mit ihren Fingern leger mit ihm spielte. „Ich konnte den Clowns im Zirkus nie etwas abgewinnen.“
Mit den Armen schützte sich Stringer gegen die Bretter, die an der Wand entlang auf ihn zugerutscht kamen. Sofort meckerte er drauf los. „Was erwarten Sie denn? Sie haben uns hier ohne große Worte eingesperrt! Wir wussten ja nicht mal, ob Sie uns verhungern lassen wollen?“ Demonstrativ warf Hermine ein Blick auf die Regale mit dem Eingemachten, so dass Stringer sich auf andere Weise Luft machen wollte. „Nicht einmal eine Toilette ...“
Hermine hatte genug und wies ihn lautstark zurecht. „Halten Sie Ihren Mund! Sie fordern hier eine Luxusgefangenschaft, während meine beste Freundin durch Ihre Mithilfe entführt worden ist?“Auf der Stelle war Stringer still.
„Miss, ähm“, Verlegenheit machte sich bei Fogg breit. „Miss Granger, dürften wir wohl nachfragen, wie Sie in unserer Angelegenheit weiter verfahren wollen?“
„Ich dachte eigentlich“, sie hob beide Augenbrauen, um ihre Gleichgültigkeit zum Ausdruck zu bringen, „dass ich ein paar fiese Flüche an Ihnen beiden ausprobiere.“ Unbewusst führten die Gauner schützend ihre Hände vor 's Gemächt. „Aber ich glaube, ich habe genug von Ihnen. Verschwinden Sie, bevor sich der Gestank von Gaunerei noch in meinem Haus festsetzt!“
Gegen die Beleidigung wollte Stringer offenbar wettern, doch Fogg gab ihm einen leichten Tritt ans Schienbein, damit der ruhig sein würde. Nochmals wandte sich Fogg kleinlaut an Hermine. „Und unsere Zauberstäbe?“
„Die werfe ich Ihnen hinterher, sobald Sie meine Apotheke verlassen haben.“ Mit ihrem gezückten Stab wies sie in Richtung Kellertür. „Gehen Sie vor!“

Im Verkaufsraum angelangt öffnete Hermine die Tür, die zur Winkelgasse führte. Stringer war der Erste, der in die Freiheit rannte, doch Fogg zögerte. Weil sie ihn harsch anblaffte und einen Schubs gab, verließ auch er die Apotheke.

„Sie haben beide Hausverbot!“ Wie versprochen warf sie ihnen die Zauberstäbe nach, die in dem aufgeweichten schlammigen Boden landeten. Mit einem lauten Knall warf sie die Tür ins Schloss, die sich auf der Stelle mit einem Schutzzauber versah.

Stringer schnaufte entrüstet und bückte sich nach den beschmutzten Stäben. Beide umfasste er mit seinem Umhang, um den Schlamm abzuwischen. Um seinen Stab kümmerte sich Fogg nicht. Er stand nur vor der Tür und blickte mitleidig drein wie ein Hund, den man aus dem Haus geworfen hatte.

„Komm schon.“ Stringer ging ein paar Schritte, blieb dann stehen und drehte sich um. „Komm endlich!“
Als wäre für ihn eine Welt zusammengebrochen trottete Fogg seinem Freund hinterher, der ihn aufzuheitern versuchte. „Lass den Kopf nicht hängen. Es hätte schlimmer kommen können.“
„Ach ja?“
„Ja! Immerhin ist unsere Hose im Schritt noch gut gefüllt.“ Erleichtert atmete er ein und aus, blickte dabei gen Himmel. „Und es hat endlich aufgehört zu regnen.“

Genau aufs Stichwort setzte der Platzregen ein. Beide stöhnten. Vereinzelte Besucher der Winkelgasse rannten, ihr Haupt mit einem magischen Schirm geschützt, an ihnen vorbei, ums das Trockene aufzusuchen – meist in Form des Tropfenden Kessels.

„Das Schicksal nimmt uns auf den Arm“, grummelte Stringer, bevor er den Weg zum Gehängten einschlug. Mit einigem Abstand folgte Fogg ihm. Sein Gewissen macht ihm zu schaffen. In der Nokturngasse begann es wieder zu stinken, weil der Müll nass wurde. Feuchte Essensreste rochen weitaus widerlicher.

Der Gastwirt begrüßte sie freudig, erkundigte sich nach ihrem Wohlbefinden. Fogg wurde das Gefühl nicht los, der Wirt hätte lediglich befürchtet, beide hätten die Zeche geprellt.

„Meine Herren, ich habe mir wirklich Sorgen gemacht!“
'Um die Bezahlung', dachte Fogg. „Es geht uns gut. Ein Missverständnis wollte geklärt werden.“
„Dann ist 's ja gut. Ihre Zimmer sind noch so, wie Sie sie verlassen haben.“
'Er hat nach Galleonen gesucht', vermutete Fogg, sagte jedoch nichts.
„Danke, wir sind oben. Wir müssen uns ausruhen.“

Im Zimmer warfen sie eine Münze, wer als Erster das Badezimmer benutzen durfte. Fogg gewann.

Etwas später legte Stringer sich auf das Bett. Die ganze Nacht hatte er nicht ein Auge zugemacht, was er jetzt nachholen wollte. Sein Freund hingegen war fahrig, lief im Zimmer hin und her. An Schlaf war für Fogg nicht zu denken. Die Geräusche der Schritte störten Stringer beim Einschlafen.

„Kannst du dich bitte setzen? Oder dich hinlegen. Ich würde gern eine Mütze voll Schlaf ...“
„Ich geh hin!“, sagte Fogg völlig unerwartet, aber mit entschlossener Stimme.
Mit zusammengezogenen Augenbrauen starrte Stringer ihn an. „Wohin soll es denn gehen?“
„Hopkins.“
Aufgeschreckt fuhr Stringer hoch. „Bist du übergeschnappt?“
„Nein“, Fogg fuhr sich mit einer zittrigen Hand durchs nasse Haar. „Nein“, wiederholte er noch viel kräftiger. „Ich werde es wiedergutmachen!“
„Was?“ Neugierig setzte sich Stringer auf die Bettkante und wartete darauf, bis sein Freund sich ihm mitteilte.
„Ich werde die Kleine da rausholen und ...“
„Merlin, wirf Hirn vom Himmel!“ Aufgebracht stand Stringer auf und packte seinen Freund an den Schultern, um ihn kurz zu schütteln. Vielleicht, so hoffte er, würde auf diese Weise die Schnapsidee von Fogg abfallen. „Was ist es nur, das dich plötzlich so seltsam macht? Du solltest deinen neuen Retterkomplex wirklich behandeln lassen, bevor das noch ansteckend wird!“
„Verstehst du denn nicht, was wir getan haben?“
„Wir“, sagte Stringer langsam, als würde er mit einem Kleinkind sprechen, „haben gar nichts getan! Was wir tun wollten, hat nicht funktioniert. Uns trifft keine Schuld. Alex und Arnold – die beiden waren es!“
„Aber wir sind ein Teil des Ganzen! Hätten wir uns da nicht eingemischt, wäre alles anders gelaufen. Die Squibs wären nicht herkommen, hätten nicht nach uns geschaut und wären nie auf sie aufmerksam gewor...“
Stringer schüttelte den Kopf. „Unfug! Wer sagt denn, dass die nicht auch ohne uns das Gleiche getan hätten?“
„Wir haben Miss Granger verärgert!“
„Ah“, machte Stringer erleuchtet und auch ein wenig missgestimmt, „haben wir uns etwa verguckt?“
„Wie bitte?“ Fogg klang echauffiert. „Ich mach mich doch nicht an die Braut von einem Todesser ran! Für wie selbstmordgefährdet hältst du mich eigentlich?“ Fogg schüttelte den Kopf. „Ich möchte lediglich die nächsten Tränke auch gern dort einnehmen, du blöder ...“
„Keine Beleidigungen!“, mahnte Stringer. „Und vergiss Hopkins. Der Mann ist nicht gut für uns.“
„Ach, aber für eine junge Frau Mitte zwanzig schon?“, rieb Fogg ihm unter die Nase.
„Und was willst du tun? Einfach da einreiten und den wilden Mann spielen?“
Fogg zuckte mit den Schultern. „Warum denn nicht?“
„Vergiss nicht, dass zwei poplige Squibs und in die Schranken gewiesen haben! Ich will gar nicht wissen, was die Muggel noch alles in petto haben.“
„Mir ist völlig egal was du tust, ich gehe!“
Stringer hob die Hände. „Halt! Halt! Halt!“
„Du musst nicht mit.“
„Natürlich muss ich!“ Wütend riss Stringer seinen Umhang vom Haken und zog ihn sich über. „Sonst hältst du mich noch für einen Feigling.“ Weitere zornig gemurmelte Worte konnte Fogg hören und sie amüsierten ihn.
„Wir können aber nicht einfach im Innenhof erscheinen.“
Stringer schüttelte den Kopf. „Habe ich auch nicht vor. Da ist ein Wald in der Nähe. Wir werden uns langsam anschleichen.“
„Kennst du einen wirksamen Desillusionierungszauber?“
„Bedaure“, gestand Stringer, „habe ich nie gelernt. Und ehrlich gesagt auch nie gebraucht.“ Plötzlich grinste er. „Mann, was könnte man damit für Sachen anstellen! Stehlen, ohne von irgendjemandem gesehen zu werden.“
„Soll ich nochmal aus meinem Notizbuch zitieren?“
„Reiz mich nicht“, drohte Stringer scherzhaft, „ich hab nämlich einen wunderbaren Incendio drauf, den dein blödes Notizbuch nicht überleben würde.“
„Dann lass uns gehen. Apparieren wir zusammen?“

Ohne zu Zögern griff Stringer an Foggs Schulter und apparierte mit einem an einen Donner erinnerndem Getöse.

Ein Donner war auch in anderen Teilen des Landes zu hören. Die dicke Wolkendecke setzte wieder ihre Blitze frei. Durch das begleitende Grollen wurde Harry langsam wach, weil er geträumt hatte, sein Magen wäre für diesen Krach verantwortlich. Er blinzelte einige Male. Die hohe Decke des Krankenzimmers, die er als Kind schon so häufig nach dem erwachen gesehen hatte, beantwortete seine noch nicht gestellt Frage, wo er sich aufhielt. Er war in Hogwarts. Neben ihm schnarchte jemand. Vorsichtig drehte Harry seinen Kopf. Molly war auf dem Stuhl neben seinem Bett eingeschlafen.

Mit einem Schlag wurde er sich der Situation bewusst. Er erinnerte sich vage an das, was im Raum der Wünsche geschehen war.

Ohne Lärm zu machen, sprang er vom Bett, nur um eine kühle Brise an seinem Gesäß zu spüren. Beide Hände führte er an sein Hinterteil. Er trug offenbar eines der Nachthemden von Poppy, die hinten offen waren. Seine Kleidung lag auf dem freien Stuhl neben Molly. Still machte er sich daran, seine Unterhose anzuziehen. Als er auf einem Fuß herumhüpfte, drehte er sich leicht. In dem Moment, als er die Hose unter dem Nachthemd hochgezogen hatte und aufschaute, blickte er in die Augen von Susan und Draco, die ihn die ganze Zeit über gesehen haben mussten – auch von der Kehrseite. Die kurze Unannehmlichkeit überbrückte er, indem er seinen Zeigefinger vor den Mund hielt. Sie sollten ihn ignorieren. Susan blickte weg, Draco ebenfalls, so dass sich Harry weiter ankleiden konnte. Molly schlief noch immer. Die Strapazen der Nacht waren zu viel für sie gewesen.

Vollständig angekleidet schlich er zum Nebenbett, um sich nach Dracos Wohlbefinden zu erkundigen, aber auch um zu erfahren, was überhaupt geschehen war. Eine Erinnerung hatte Harry kaum noch daran.

Draco flüsterte, um Molly nicht zu wecken. „Ich weiß auch nicht, was mit dir passiert ist.“ Bedrückt blickte er zu seinem Arm, womit er Harrys Neugierde weckte. „Ich weiß nur, was mir passiert ist. Man hat mich hergetragen. Ich weiß nicht mal, wer es war. Es tut höllisch weh.“
„Darf ich mal?“ Harry wollte unter dem Tuch nachschauen, das magisch über dem linken Arm schwebte. Mit einem Nicken gab Draco sein Einverständnis. Behutsam lüftete Harry das Tuch. Vor lauter Schrecken sog er Luft ein und trat einen Schritt zurück, weshalb das Tuch hinunterfiel und die gesamte Wunde freilegte. „Das war ich“, flüsterte Harry schuldbewusst. „Das tut mir so leid.“
Draco verneinte wortlos. Genauso leise wie Harry äußerte er sich. „Ich dachte eigentlich, ich hab das ausgelöst. Mach dir keine Gedanken, Harry. Das Schlimmste ist überstanden. Es muss jetzt nur noch heilen.“
„Es sieht schmerzhaft aus.“
In Dracos blassem verschwitztem Gesicht, aus dem man herauslesen konnte, welche Qualen er durchlitt, zeichnete sich ein mildes Lächeln ab. „Fühlt sich so an wie es aussieht, würde ich sagen. Ich hab aber noch Glück gehabt.“ Er blickte auf die offene Wunde, in der die Phönixtränen Millimeter für Millimeter das Loch von außen nach innen mit frisch gewachsenem Gewebe füllten. „Severus hat es viel übler erwischt. Seine Wunde soll wesentlich größer sein, das habe ich jedenfalls gehört.“
Die grünen Augen hinter der runden Brille wurden ganz groß. „Wieso Severus? Was ist mit ihm passiert? Wo ist er?“ Susan deutete auf auf das Bett gegenüber, das komplett durch Paravane abgeschirmt war. „Schläft er?“, wollte Harry wissen.
„Wir können nicht schlafen. Keine Ahnung, warum. Es helfen auch keine Tränke gegen die Schmerzen.“
„Harry?“ Das erste Mal meldete sich Susan zu Wort. Sie sah genauso mitgenommen aus wie ihr Mann. „Ich hätte ihn nicht an meiner Stelle schicken sollen, dann wäre es gar nicht erst dazu gekommen.“
„Susan, du hast es gut gemeint, und ich hätte seine Hilfe wirklich gern angenommen.“ Um seine Aussage zu bestätigen, blickte er Draco einmal in die Augen und dort verweilten sie, als er anfügte: „Nach Trelawneys Prophezeiung hat das passieren müssen. Nur wusste niemand, wann die Zeit gekommen war.“

Harry erinnerte sich an den Moment, als er vorhin zusammen mit Hermine den Raum der Wünsche betreten hatte. Beide fanden sich in Severus' Traum wieder, den sie als solchen sofort erkannt hatten. Aus einem Bauchgefühl heraus wusste er, dass der Augenblick der Erfüllung gekommen sein musste. Da nur noch Ron und Hermine von diesem Thronsaal wussten, hatte er es nicht vor versammelter Mannschaft angesprochen. Einzig wichtig war gewesen, dass Severus in diesem Moment nicht allein sein durfte. Weil es Ginny war, die bei Trelawneys Prophezeiung anwesend war, hatte er die Worte auswendig gelernt. Er wollte vorbereitet sein.

'Ein jettschwarzes Symbol auf schneeweißem Grund kann nicht allein durch die Geheimnisse des Willens und seiner Gewalt schwinden', wiederholte Harry in Gedanken. Es reichte nicht, wenn man sich wie Severus das dunkle Mal fort wünschte oder davon träumte, von ihm befreit zu sein. 'Feuer verzehrt, ein Brand erneuert.' Sein Stab auf Dracos Unterarm hatte diesen Teil erfüllt. Um den Rest der Prophezeiung würde sich sicherlich Hermine kümmern, mutmaßte Harry.

Warum der kleine Unfall im Raum der Wünsche sich auch auf Severus ausgewirkt hatte, konnte Harry nur erahnen und seine Erklärung gefiel ihm gar nicht. Das schwarze Zeichen Voldemorts', die magische Verbindung zu den Todessern. Für Harry war es grauenvoll zu wissen, wieder etwas gefunden zu haben, das er mit Voldemort gemeinsam hatte, denn ursprünglich war nur der in der Lage gewesen, seine Anhänger über das dunkle Mal zu rufen. Harry wollte sich von Voldemort unterscheiden und ihm nicht ähneln und doch fand er immer wieder Übereinstimmungen.

Um sich abzulenken, schaute er zu den Wandschirmen hinüber. Er spielte mit dem Gedanken, kurz bei Severus nach dem Rechten zu sehen, bevor er Hopkins die Leviten lesen wollte.

Gerade wollte er hinübergehen, da sah er Hermine aus Poppys Büro kommen. Sie sah aus wie ein wandelnder Leichnam. Dunkle Ringe unter den Augen zeugten von Schlafmangel. Als sie Harry an Dracos Bett bemerkte, schossen ihre Augenbrauen in die Höhe, genauso wie ihre Mundwinkel. Ihn wach und wohlauf zu sehen bedeutete eine Sorge weniger. Wegen der schlafenden Molly flüsterte sie nur, als sie bei ihm angekommen war.

„Sag mal, darfst du denn schon aufstehen?“ Ihr Blick fiel auf das Pflaster über seiner Narbe. „Tut sie weh?“
„Nein, juckt nur ein bisschen, sonst nichts.“
„Ich habe Fellini und Harry in die Obhut deines Elfs gegeben. Ich hoffe, das ist in Ordnung?“ Harry nickte, was sie unbewusst imitierte. „Ihr zieht jetzt los?“
Wieder nickte er. „Ja, die anderen sind bestimmt noch oben und planen ohne mich, wie ich sie kenne.“ Ein Blick in ihre müden Augen bestärkte ihn darin, ihr eine bestimmte Frage zu stellen. „Kommst du mit?“
Hermine zögerte, war hin- und hergerissen. Im ersten Moment wollte sie sofort bejahen, wollte sich mit Harry und Ron wie früher ins Getümmel stürzen, um Ginny zu befreien, doch dann ging sie mit sich zurate und fällte eine Entscheidung.
„Nein, mein Platz ist diesmal nicht an eurer Seite.“
Sie schien etwas wehmütig, weshalb Harry ihre Hand nahm. In seinen Augen hatte sie die richtige Wahl getroffen. „Du brauchst Schlaf“, legte er ihr nahe. „Wenn du aufwachst, ist alles wieder gut.“

Sie hatte kaum geschlafen. Die ganze Nacht über gab es schon die Aufregung wegen der beiden Ganoven, die Severus aufgesucht und am Ende verhört hatte. Durch seine Hilfe wusste man überhaupt erst, wo sich Ginny aufhalten würde. Der Schlafmangel allein war nicht so schlimm, aber die Sorge zerrte an Hermines Nerven. Sie war seelisch völlig verausgabt.

Harry blickte erneut auf das durch Paravents abgeschirmte Bett. Susan und Draco verabschiedete er, bevor er sich dem Schlafplatz von Severus näherte. Eine Hand auf seiner Schulter hielt ihn auf. Es war Hermine.

„Es geht ihm schlechter als Draco“, wisperte Hermine, so dass weder Severus sie hören konnte noch einer der anderen in diesem Raum. „Sehnen, Bänder, Muskeln, Nerven – alles wurde durch den Brand komplett vernichtet. Er kann die Hand nicht einmal mehr bewegen.“
„Wie kann man ihm helfen?“ Medizinisch oder heiltechnisch war Harry völlig unbewandert.
„Da war etwas Schwarzes im Arm. Ich glaube“, sie wurde noch leiser und lehnte sich an sein Ohr, „das war das dunkle Mal, das nicht weichen wollte. Ein Stück lebendige Magie von Voldemort. Wir haben es am Ende doch rausgespült und das Loch im Arm mit Phönixtränen gefüllt.“ Man hörte, wie ein Tropfen in eine Schale fiel. Das Geräusch ähnelte einem leckenden Wasserhahn. Hermine erklärte: „Die Tränen füllen die Wunde. Von außen nach innen wächst das Gewebe neu. Von Stunde zu Stunde wird das Loch minimal kleiner, deswegen laufen die Tränen über.“

Als er nochmals zu Draco blickte, bemerkte er die Schale unter dem Arm, die die überschüssige Flüssigkeit aufgrund der Verdrängung auffing.

„Sag Severus alles Gute von mir“, bat Harry.
„Das werde ich auf gar keinen Fall tun!“ Einen Augenblick später fand sich Harry mit einem Arm voll Hermine wieder. „Du kommst von deinem Besuch bei Hopkins gefälligst wieder und besuchst ihn selbst!“
Harry musste lächeln und umarmte sie kräftig. „Ich werde dann gehen und ...“

Hinter den Wandschirmen hörte man plötzlich eine leise, raue Stimme nach Harry verlangen. Vorsichtig näherte er sich dem Bett, schob einen der Schirme beiseite und betrachtete Severus.

„Harry, ich empfehle“, seine Atmung war zittrig, „dass kein Expelliarmus angewandt wird. Die Waffen ...“ Noch immer strengte ihn ein Gespräch an. „Die Waffen der Muggel sind sehr gefährlich.“ Severus sprach aus Erfahrung. Mit einem Expelliarmus hatte er den Ganoven entwaffnet, der die Schülerin Meredith in den Oberschenkel geschossen hatte. Als die Pistole an einen Baum prallte, löste sich eine Kugel, die seinen Oberarm streifte. „Keine Entwaffnungszauber!“, legte er seinem jungen Freund daher ans Herz. „Verwandlungszauber sind weniger risikoreich.“
Harry nickte. „Ich glaube, dass hatte vorhin jemand aus der DA angesprochen.“ Mitfühlend legte er eine Hand an Severus' Schulter. „Danke für den Tipp. Wenn ich mit Ginny zurückkomme, dann gebe ich dir einen aus.“
Severus atmete einmal tief durch. „Aber keinen billigen Fusel, wenn es recht ist.“ Zu anstrengend war es, die Augen offen zu halten, also schloss Severus sie, wünschte dennoch viel Erfolg.

Für einen kurzen Moment nahm Harry Hermine zur Seite.

„Schlaf etwas, Mine. Ich werde mich sofort melden, wenn wir zurück sind. Kümmere dich um ihn.“ Gerade fragte sich Hermine, ob Nicholas oder Severus gemeint war, da fasste er sich plötzlich ans Herz. Einen Moment lang konzentrieren er sich auf etwas, das nur er wahrnehmen konnte, bevor er sich erneut an Hermine wandte – diesmal mit Hektik in der Stimme. „Ginny! Sie hat Angst. Wir haben keine Zeit mehr zu verlieren! Ich gehe jetzt zu den anderen.“

Als Hermine ihm nachblickte, bemerkte sie, dass keiner von den anderen ihm hinterhersah. Niemand schien Notiz von ihm zu nehmen, fast als wäre er ein Geist, ein Windhauch – für alle Augen unsichtbar.

Im siebten Stock, als er auf dem Weg zum Raum der Wünsche an ein paar Schülern vorbeikam, wunderte es ihn, dass sie ihn nicht grüßten. Unhöflich waren die Kinder normalerweise nicht. Er kümmerte sich jedoch nicht darum, sondern setzten seinen Weg fort. Bei der DA angelangt blickten alle auf, als die Tür sich wie von Geisterhand öffnete und einen Augenblick später Harry sichtbar wurde – aus dem Nichts einfach auftauchte.

„Cool!“, hörte man irgendjemanden sagen.
Auch Ron zollte seinen Respekt: „Wow, Harry!“
Auf das seltsame Verhalten seiner Freunde ging er gar nicht ein. Taten mussten folgen. „Also, Leute: Ich habe mir vorgestellt, dass wir ...“
„Harry“, unterbrach Ron entschuldigend, „wir haben schon geplant und wollten dir nur noch unser Konzept vorlegen. Wenn das okay ist, meine ich.“
„Schon fertig geplant?“, fragte er nach, obwohl Harry heimlich damit gerechnet hatte. Ron nickte. „Dann lasst hören, aber schnell. Ginny wartet.“

Harry lag richtig. Ginny wartete.

Vorhin waren Männer in den Turm gekommen, die Tyler geweckt hatten. Der Mann hatte eine große Platzwunde an der Stirn, was ihm nur recht geschah.

„Was denn, hat dich etwa ein Mädchen überrumpelt?“, hatte eine gesichtslose Stimme vorhin gefragt, als sie sich mucksmäuschenstill in die Schießscharte gepresst hatte.
„Sie hat … mit Feuerbällen um sich geschossen.“ Der Lügner war von seinen Kameraden nach draußen gebracht worden. Irgendjemand hatte laut vermutet, sie wäre appariert.

Es war Ginnys Glück, dass keiner der Männer auf die Idee gekommen war, oben im Turm nachzusehen. Für Hopkins' Leute stand fest, dass sie nicht mehr hier war. So gab es auch keinen Grund mehr, die Tür zum Turm zu verschließen, doch so sehr sie auch wollte, das war nicht ihr Ausgang. Der ganze Innenhof, das konnte Ginny von einer der Öffnungen beobachten, war voll mit bewaffneten Leuten. Einige versteckten sich, um im entscheidenden Moment aus dem Hinterhalt angreifen zu können. Da die Tür als Fluchtweg wegfiel, blieben ihr nur zwei Möglichkeiten. Sie konnte warten, bis sie wieder voll bei Sinnen war, um eine Apparation zu wagen. Allerdings war sie sehr schwach. Man hatte ihr weder zu essen noch zu trinken gegeben und der Daumen schmerzte. Ziel und Wille waren nicht das Problem, aber am Bedacht haperte es. In diesem geschwächten Zustand würde sie weder weit kommen noch unzersplintert bleiben. Die zweite Möglichkeit rückte für Ginny immer mehr in den Vordergrund. Die schlüsselförmige Öffnung der Nische, in der sie sich versteckt hatte, war bröckelig. Ginny hatte bereits einige der Steine entfernen können, um die Lücke größer zu machen. Damit niemand auf sie aufmerksam werden würde, hatte sie alle Steine nach innen geholt und nicht einfach nach unten fallen lassen. Ihre linke Hand war kaum eine Hilfe, denn sie konnte die Finger nur unter Schmerzen bewegen.

Mit Hilfe eines kleineren Steines lockerte sie den krümeligen Mörtel mehr und mehr, um den größten Stein zu entfernen. Als sie ihn endlich nach innen gezogen hatte, war das Loch groß genug für ihren schlanken Körper. Vorsichtig steckte sie ihren Kopf hindurch. Es regnete in Strömen. Trotzdem atmete sie erleichtert auf, denn auf dieser Seite des Turmes wurde sie von der Freiheit begrüßt. Der Blick auf den wunderschönen Birkenwald war eine wahre Augenweide. Wenn es nicht so steil wäre, könnte sie den Turm und somit die Festung auf der Stelle hinter sich lassen. Vielleicht, hoffte sie, würde sie etwas finden, um sich langsam abzuseilen.

Vorsichtig ging Ginny wieder nach unten und wühlte in dem verwanzten Wäscheberg, in dem noch immer die Waffe lag. Sie ließ sie dort, weil sie für sie wertlos war. Ginny fand alte Hosen, Laken und Decken.

Eine Decke fand auch Hermine in dem Wäscheschrank in Harrys Schlafzimmer. Damit ließ sie sich auf der Couch nieder, um etwas Schlaf zu finden. Der Hund und der Kater hatten damit keine Probleme. Beide dösten bereits zusammengekuschelt auf einem der Sessel. Wobbel verhielt sich so leise wie möglich, obwohl Hermine ihm versichert hatte, er müsste auf sie keine Rücksicht nehmen. Ihre eignen Gedanken wüteten so laut in ihrem Kopf, dass sie das Kinderlachen aus dem Schlafzimmer kaum wahrnahm.

Hermine schloss die Augen, doch das verschlechterte ihre Situation. Kaum war sie durch die Lider von allen visuellen Reizen geschützt, wurden die Bilder in ihrem Kopf noch viel klarer. Ein Gemisch aus imaginären Kampfszenen zwischen Harry und Hopkins hielt sich die Waage mit der Erinnerung an wirklich stattgefundene Situationen wie die mit Fogg und Stringer. Immerzu drängte sich ein Bild von Severus in den Vordergrund, wie er sich mit aller Kraft anstrengte, am Leben festzuhalten. Wäre es möglich, dann würde sie im Krankenflügel schlafen, aber Poppy duldete so etwas nicht.

Aus dem Schlafzimmer drang das fröhliche Gegacker von Nicholas – gleich darauf auch die „Shht“-Geräusche von Wobbel. Ihr überanstrengter Geist malte sich aus, was die Zukunft bringen würde, sollte sie ihre Pflichten als Patentante erfüllen müssen. An einen frühen Tod von Harry und Ginny zu denken trieb ihr die Tränen in die Augen. In ihrem durch Erschöpfung ganz duseligen Kopf formten sich Illusionen von ihr, mit einem fünfjährigen Nicholas an der Hand, wie sie gemeinsam einen Zoo besuchten. Irgendwann würde er Fragen stellen. Fragen nach Vater und Mutter und nach deren Schicksal.

Heftig atmend schreckte Hermine auf. Sie konnte nicht schlafen, obwohl sie es so dringend brauchte. Einzig ihre überdrehte Fantasie wollte die Ruhe des Körpers nutzen, um sich ungezügelt auszutoben. Gerade ihrem Geist, der sich unzählige Möglichkeiten ausmalen konnte, wollte sie sich nicht ergeben. Hermine stand auf und ging ins Schlafzimmer, wo Wobbel und Nicholas mit Stofftieren spielten, die durch Magie über den Boden laufen konnten.

„Miss Granger, haben wir Sie geweckt? Das bedaure ich außerorden...“
„Nein, ich kann nur nicht schlafen. Ich gehe etwas spazieren.“
„Es regnet draußen ganz fürchterlich.“
„Das bisschen Wasser werde ich schon überleben.“

Völlig übermüdet, weshalb sie kein Auge zumachen konnte, wanderte Hermine ziellos durch Hogwarts. Sie betrachtete die Bilder bei den Treppen, die verzierten hohen Fenster, die Wandteppiche und die steinernen Figuren. Immer mehr Schüler liefen ihr über den Weg, so dass sie vor ihnen nach draußen auf den Innenhof floh, der sich in der Nähe des Schulräume für Verwandlung befand. Hier war sie allein. Niemand wollte nass werden.

Alles, was sie hier sah, betrachtete sie nicht mehr mit den Augen eines Kindes, sondern mit denen einer erwachsenen Frau, die ihre ehemalige Schule besuchte. Die Erinnerungen brachten schöne und weniger schöne Momente hervor. Im Moment klammerte sie sich an die schönen.

An alles Schöne im Leben dachte auch Ginny, als sie den Entschluss fasste, trotz der verletzten Hand die unebenen Steine an der Außenseite des Turmes hinabzuklettern. Ihren gebrochenen Daumen hatte sie mit einem Stück Stoff fest umwickelt, so dass er in die Handinnenfläche gedrückt wurde. Dort würde er nicht stören, denn ihre Finger benötigte sie. Mit der gesunden Hand stützte sie sich am Boden ab, als sie sich vorsichtig nach vorn beugte, um ihren Weg nach unten zu betrachten. Zehn Meter? Zwölf? Von oben konnte sie die Höhe schlecht schätzen. Was sie jedoch trotz des schlechten Wetters gut ausmachen konnte, waren einige Steine, die leicht hervorstanden. Entweder hatten die damaligen Maurer den Turm schlecht erbaut oder die Steine hatten sich mit der Zeit verschoben. Manchmal ragte einer der Brocken nur ein Zentimeter heraus, manchmal zwei. Genügend Platz für ein paar Zehen und Fingerkuppen, um Halt zu finden. Hoffentlich!

Ginny schloss die Augen und holte tief Luft, bevor sie sich auf den Bauch legte und rückwärts aus dem Loch kroch. Ihre Angst, in die Tiefe zu stürzen und auf die Felsen aufzuschlagen, verdrängte sie, doch jemand spürte es. Harry. Immer wieder fühlte er Adrenalin durch seine Adern fließen, das nicht das seine zu sein schien. Was Ginny tat oder wo sie sich im Moment befand, das wusste er nicht. Er verspürte aber Angst und die gehörte nicht ihm selbst.

„Also“, Ron stellte sich vor Fred, „Gruppe 1 nimmt die Besen.“ Man hatte die besten Flieger ausgewählt, die von der Luft aus die Festung umkreisen sollten. Mit einem Plan in der Hand wandte er sich an George, hinter dem nicht so viele DA-Mitglieder standen wie hinter Fred. „Gruppe 2 – die Thestrale. Ihr fliegt zwischen uns. Wir“, er sprach zu seinen Leuten, „nehmen auch die Besen.“
Seamus meldete sich zu Wort. „Wie lange werden wir ungefähr brauchen, Harry? Mit dem Auto sind es bei der kürzesten Strecke um die 150 Kilometer.“
„Ja, sind es. Wir nehmen aber die Fluglinie, die direkte Verbindung von hier nach Clova. Wir sind nicht gerade langsam. Ich schätze, wir werden nicht mal eine halbe Stunde brauchen.“ Angelina nahm diese Information zur Kenntnis, aber es sah so aus, als würde ihr eine Frage auf der Zunge brennen. Harry bemerkte das und fragte geradeheraus: „Ja?“
„Ich ... Lacht mich bitte nicht aus, aber warum apparieren wir nicht einfach, anstatt mit Besen und Thestralen dort aufzuschlagen?“

Die Frage war berechtigt. Einige von den DA-Mitgliedern schienen sich während der Planung, die die Weasleys übernommen hatten, nicht getraut zu haben, diesen Punkt anzusprechen.

„Das ist einfach“, erklärte Fred, der das Wort an alle richtete. „Wir wollen nicht nur Ginny dort rausholen, sondern diesen Leuten zeigen, dass sie sich nicht mit der Zaubererwelt anlegen sollten!“
„Aber warum?“, wollte Hannah wissen. Nicht nur sie, das konnte man an einigen Gesichtern ablesen, wollte eine Antwort auf diese Frage.
Ron richtete das Wort an alle, um etwas Licht ins Dunkel zu bringen. „Das detailliert zu erklären dauert zu lange. Lasst euch nur gesagt sein, dass Ginny nicht die Erste ist. Ich weiß, dass man Hopkins verdächtigt, einige Zauberer und Hexen getötet zu haben.“ Vorsichtshalber hielt er seine Hände hoch, damit niemand ihn unterbrechen würde. „Man konnte ihm noch nichts anhaben. Der Muggelminister wollte sich drum kümmern. Offensichtlich hat er versagt. Deswegen wollen wir ihm ein für allemal zeigen, dass er sich die falschen Leute ausgesucht hat. Wir lassen so was nicht mit uns machen!“

Alle waren schockiert darüber zu erfahren, dass dieser Mann, der nun eine aus ihrem Kreis in seiner Gewalt hatte, für seine Taten bereits bekannt sein sollte.

„Es geht los!“

Stille trat ein. Ein Schlachtruf blieb aus. Die DA-Mitglieder hielten einmal kurz ihre Stäbe gen Decke, genau wie damals, wenn sie wortlos zeigen wollten, dass sie bereit dazu waren, das Weiß im Auge des Feindes zu sehen. Die Stäbe blieben in den Händen. Die Mitglieder waren mit sich selbst beschäftigt und stählten sich für das, was kommen würde. Jeder kannte die Stärken und Schwächen des anderen. Sie waren ein Team.

Der Raum der Wünsche öffnete ganz von allein seine Türen. Harry war der Erste, der mit entschlossenem Gang den Flur betrat. An Schülern und Lehrern vorbei verströmte die DA eine gewaltige Kraft, die jeder zu spüren vermochte. Alle traten beiseite, als Harry mit seinen Anhängern die Stufen hinabstieg. Einzig die Schritte der wortlosen Gruppe waren laut hallend zu vernehmen. Sie erinnerten an ein furchtloses Heer aus antiker Zeit, das sich mit Schild und Lanze furchtlos einer Schlacht näherte.

Aus den Augenwinkeln bemerkte Harry, wie sich Gordian schützend vor Meredith stellte, als sie an ihnen vorbeischritten. Von diesem Anblick wurden seine Gedanken an das bevorstehende Gefecht abgelenkt. Die beiden Schüler zeigten Angst vor ihm. Wegen dieser Erkenntnis geriet Harry für einen Augenblick ins Straucheln, denn er war sich darüber bewusst geworden, welchen Eindruck er mit der DA hinter sich machte. Sie wirkten bedrohlich! Harry wagte einen Blick über seine Schulter. Die Gesichter seiner Freunde waren todernst, selbst die von den sonst so lustigen Zwillingen. Eine Gruppe wie diese konnte Angst einjagen, selbst ihm, wenn er nicht wüsste, dass es durchweg gute Menschen waren.

Die kleine, dennoch effektive Streitmacht war mit Zauberstäben bewaffnet, die sie allen Außenstehenden demonstrativ zur Schau stellten. Wie eine dichtgeschlossene, lineare Kampfformation schritten seine Freunde durch die Gänge – folgten treu demjenigen, der Voldemort getötet hatte.

Sie folgten ihm. Folgten ihm.

Abermals verfehlte einer von Harrys Füßen den sicheren Schritt. Eine Hand auf seiner Schulter gab ihm sein Gleichgewicht wieder.

„Harry?“ Es war Ron. „Alles okay?“

Ein Nicken sollten seinen besten Freund davon überzeugen, dass alles Bestens war, aber das war es nicht. Das war es absolut nicht. Wo war der Unterschied zwischen Voldemorts Anhängern und der DA, wo doch beide einem mächtigen Magier folgten?

Im Innenhof angelangt war der erste Zauber, den jeder sprach, ein unspektakulärer Regenschutzzauber. Harry nutzte diesen Moment, um auf den Rand des Brunnens zu steigen und zur DA zu sprechen.

„Wir gehen dort nicht hin, um zu töten.“ Jeder horchte auf. „Ich möchte nicht, dass es Tote gi...“
Bill fiel ihm ins Wort. „Harry, die haben Ginny!“
„Das ist mir nicht entgangen!“, fauchte er zurück, hatte sich aber schnell wieder unter Kontrolle. „Ich wünsche trotzdem keinen Mord und Totschlag! Ich will das nicht, verstanden? Keine Rache, keine bösen Späßchen. Wir haben genügend Zaubersprüche auf Lager, mit denen wir der Lage Herr werden können. Das sind keine Todesser, Leute. Das sind Muggel.“
„Die Knarren haben“, erinnerte Dean murmelnd.
„Waffen, die aus Metall sind und die wir leicht verwandeln können.“ Harry blickte seine Truppe an und rang sich ein Lächeln ab. „Macht unsere gute Professor McGonagall stolz und seid besonders kreativ bei den Verwandlungszaubern.“

Sein Blick fiel auf Luna, die noch keinen Impervius gesprochen hatte und sich mit geschlossenen Augen und einem seligen Lächeln den Regen aufs Gesicht fallen ließ.

„Gehen wir!“


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Als ich das erste Harry-Potter-Buch las, habe ich mir meinen Bademantel angezogen und so getan, als ob ich Harry wäre. Ich rannte im ganzen Haus herum uuund... kann nicht fassen, dass ich das gerade erzählt habe.
Matthew Lewis