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Harry Potter und die Schatten der Vergangenheit - Buch der Freunde

von Muggelchen

Nach seinem Besuch bei Luna und dem unfreiwilligen Bad im See hatten sich beide mit einem Zauberspruch getrocknet. Trotzdem sah man besonders an Harrys Haaren, dass etwas nicht stimmte. Sie waren so aufgeplustert und wirr, dass man meinen könnte, er hätte sie nach dem Duschen nicht einmal gekämmt. Der sprechende Fisch entpuppte sich als riesiger Karpfen, der schon viele Jahre in diesem Gewässer hauste, bisher aber nie einen Ton von sich gegeben hatte.

Als Harry sein Zimmer betrat, blickte Ginny von ihren Hausaufgaben auf. Wie ein Magnet heftete sich ihr Blick auf seinen Schopf.

„Was ist denn mit dir passiert?“
„Ich …“ Weil ihre Augen auf seinen Kopf gerichtet waren, hob er eine Hand und befühlte mit der Handfläche die voluminös abstehende Frisur. „Ich hab den sprechenden Fisch gesehen.“
„Was bitte?“
Harry lachte über Ginnys Miene. „Ich war doch bei Luna.“

Er erzählte ihr, wie sein Tag verlaufen war. Das Interview mit Luna, der verträumt gelegene See, das Märchen vom sprechenden Fisch.

„Und er hat wirklich gesprochen?“
Harry schüttelte den Kopf. „Nein, aber das Tierchen ist ein Traum für jeden Angler. Von ihm könnten die ganzen Weasleys essen.“

Ginny bemerkte etwas an seiner Wange, was sie im ersten Augenblick für einen Knutschfleck hielt. Mit einem Zeigefinger berührte sie die kreisrunde Stelle. Sie brauchte nicht zu fragen, denn er erklärte von sich aus.

„Ach ja, wir haben herausgefunden, dass es in dem See bei Lunas Haus doch Grindelohs gibt.“ Der vermeintliche Knutschfleck entpuppte sich als Abdruck eines Saugnapfes. „Als wir ins Wasser gefallen sind, haben wir sie wahrscheinlich aus ihrem hundertjährigen Schlaf geweckt, denn sie hat vorher dort nie welche gesehen.“
„Ihr wolltet doch nur ein Interview führen“, rief sie ihm ins Gedächtnis zurück.
„Seit wann läuft mit Luna alles nach Schema F ab, Ginny? Das solltest du aber wissen.“

Er grinste breit. Der Tag hatte im sehr gefallen.

Sirius hingegen gefiel der Tag noch immer, beziehungsweise der Abend. Er war mit seiner Arbeit bei Sid mehr als zufrieden. Alles nahm Form an. Was bis dato nur Vorschläge oder Ideen gewesen waren, hatte er heute bereits als Entwurf in Textform lesen können. Sids sonderbar gründliche Art, alles verständlich und lückenlos niederzuschreiben, war Gold wert. Irgendwie mochte Sirius den Mann, bei dem er sich spät abends noch immer aufhielt.

„Mr. Black, Sie übernehmen die Aufgabe, Mr. Shacklebolt zu fragen, ob das Amt für die Neuzuteilung von Hauselfen in Zukunft in beratender Weise für die Elfen zur Verfügung stehen könnte, sonst wäre unser Punkt zum Schutz der Elfen nichtig. Eine Anlaufstelle für misshandelte Hauselfen ist zwingend notwendig. Hinzu kommt, dass die Abteilung eine Art Vorrecht am Besitz haben sollte.“
„Vorrecht am Besitz?“, fragte Sirius stirnrunzelnd.
„Nicht unbedingt am Besitz, aber ein Vorrecht in der Befehlsgewalt. Das wird auf die Eigentümer von Hauselfen hoffentlich einschüchternd wirken, wenn sie wissen, dass ein Teil der Mitarbeiter des Ministeriums das Recht haben, Elfen zu befragen und vor allem auch wahrheitsgemäße Antworten zu erhalten. Die Elfen haben sich schon immer an die Gesetze des Ministeriums gehalten, auch nachdem sie einer Familie zugeteilt wurden. Die Abteilung für die Neuzuteilung soll mit dem neuen Gesetz in dieser Hinsicht eine Sondergenehmigung bekommen. Ich habe das schon einmal schriftlich ausformuliert.“

Das Pergament reichte Sid seinem Gast, der es zweimal las, um den Inhalt besser im Gedächtnis zu behalten. Die besondere Bindung zwischen den Hauselfen und der Abteilung für die Neuzuordnung sollte dafür sorgen, dass Elfen nicht nur einen festen Ansprechpartner hätten, dem sie ihre Sorgen mitteilen konnten. Es war auch eine anonyme Anlaufstelle, denn den Eigentümern sollte es nicht erlaubt sein, den Hauselfen einen Besuch im Ministerium zu verwehren und schon gar nicht durften die Hauselfen mit ihren Herren über den Inhalt ihrer Gespräche reden.

„Wie wäre es“, Sirius gab Sid das Pergament zurück, „wenn wir gesetzlich festlegen, dass die Elfen einmal im Jahr im Ministerium vorstellig werden sollen?“ Sid kniff die Augen zusammen und wartete auf eine Erklärung, die Sirius ihm gern gab. „Damit die Eigentümer nicht den Elfen die Schuld geben können oder ihnen gegenüber misstrauisch werden, wenn sie sich entschließen sollten, sich mit ihrem Kummer ans Ministerium zu wenden. Es muss nicht für immer so bleiben, aber die ersten zwei, drei Jahre vielleicht. Dann würden wir auch schnell erfahren, welche Familien gegen die neuen Gesetze verstoßen und die Hauselfen trotzdem noch körperlich bestrafen.“
„Das ist gar keine so schlechte Idee, Mr. Black. Auf diese Weise ziehen nicht die Elfen den Zorn ihrer Herren auf sich, sondern das Ministerium. Ja“, er nickte, „machen wir es so.“
„Des Weiteren sollten wir auf jeden Fall die Freilassung der Elfen unterstützten. Wir könnten mit den Aussagen, die wir von den befragten Elfen haben, Standardarbeitsverträge vorformulieren. Es wird nicht viele, aber wenigstens ein paar Zauberer und Hexen geben, die so aufgeschlossen sind wie wir und ihre Elfen freilassen würden, um sie danach als Arbeitskraft einzustellen. Der Minister geht bereits mit gutem Beispiel voran. Bereits elf Prozent der Elfen, die im Ministerium beschäftigt sind, haben einen Arbeitsvertrag. Die anderen sträuben sich noch.“

Unerwartet rief Sid plötzlich den Elf, der ihnen vom Ministerium zugewiesen wurde, der geräuschlos im Wohnzimmer auftauchte.

„Was kann Smokey tun, Sir?“
Zu dem Elf war Sid genauso freundlich wie zu jedem Menschen. „Es wäre nett, wenn Sie mir bestimmte Unterlagen aus dem Ministerium besorgen könnten und zwar die von den Befragungen der Hauselfen.“
„Smokey ist gleich wieder da“, sagte er und verschwand. Sirius konnte nicht anders als zu grinsen.
„Ich habe noch nie erlebt, wie ein Hauself gesiezt wurde.“
Sid zucke mit den Schultern. „Warum sollte ich ihn duzen? Ich kenne ihn ja kaum. Es wäre unhöflich, ihn ohne Erlaubnis vertraut anzusprechen. Er ist ja nicht einmal mein Elf.“
„Es würde ihm aber nichts ausmachen.“
Sid nickte gedankenverloren. „Weil ihm eingebläut wurde, Dinge einfach hinzunehmen.“
„Oh“, machte Sirius, kam jedoch nicht dazu, auf die Aussage einzugehen, denn der Hauself kam mit dicken Akten unterm Arm zurück.
„Hier, Sir. Kann Smokey noch etwas tun, Sir?“
„Wenn Sie möchten, können Sie sich von den Ingwerpralinen“, Sid zeigte auf ein Schälchen Pralinen auf dem Tisch, „etwas nehmen und dann Feierabend machen.“

Der Elf beäugte skeptisch die Schokolade, blickte dann unsicher erst zu Sid, dann zu Sirius hinüber. Vorsichtig näherte er sich dem Tisch, nahm aber nichts, sondern verzog das Gesicht. Nur langsam steckte er die Hand aus, doch sie schien auf dem Weg in der Luft einzufrieren.

„Was ist mir dir los?“, fragte Sirius den Elf. „Magst du kein Ingwer?“
„Nein“, sagte Smokey, der sich gleich darauf den Mund erschrocken mit beiden Händen zuhielt. Aufgeregt atmend versicherte der Elf einen Moment später: „Smokey hat das nicht böse gemeint. Er wird etwas nehmen und auch essen.“
„Warum willst du etwas essen, was du nicht magst?“, wollte Sirius wissen.

Smokey war sichtlich verwirrt. Die runden Augen waren weit aufgerissen und er schien mit dem Schlimmsten zu rechnen. Sid ahnte, was in dem Elf vorging.

„Wenn Sie nichts davon möchten, müssen Sie auch nichts nehmen“, drückte Sid sich verständlicher aus.
„Ah“, hörte man Smokeys zitternden Lippen entweichen, als er begriffen hatte. „Dann hat Smokey jetzt Feierabend?“
„Ja, wir sehen uns Morgen. Gute Nacht.“
„Gute Nacht, Gentlemen.“

Smokey verbeugte sich und verschwand. Von dem kleinen Vorfall war Sirius noch etwas irritiert.

„Was war das denn eben?“
„Das, Mr. Black, war eine Demonstration der kaum vorhandenen Entscheidungsfähigkeit eines Elfs. Ich habe ihm eine Wahl gelassen, die er nicht zu treffen imstande war.“
„Es ging nur um Schokolade!“
„Ja, das ist traurig, nicht wahr?“ Die von dem Elf gebrachten Akten legte Sid auf den Tisch, bevor er Sirius anblickte. „Haben Sie Mr. Potter von der möglichen positiven Wirkung erzählt, die er auf die Bevölkerung haben könnte?“
„Ja, er sagte, er würde ein Interview mit politischem Inhalt geben. Ich kann nicht voraussagen, wann der Artikel erscheinen wird, aber wie ich ihn kenne, erledigt er das schnell.“
„Das ist schön. Man hat in den letzten Jahren wenig von ihm gehört.“

Sid schien das zu bedauern. Er war kein Mensch, das wusste Sirius, der sich an berühmte Persönlichkeiten ranschmiss, um von deren öffentlichen Ansehen zu profitieren. Er hatte nicht einmal versucht, über Sirius an Harry heranzukommen. Warum er es aber schade fand, von Harry nichts mehr zu lesen, war ihm ein Rätsel.

„Kann man nicht verstehen, warum er sich zurückgezogen hat?“
Sid nickte. „Durchaus, aber trotzdem ist er – ob er will oder nicht – eine Ikone. Eine Leitfigur, die man bewundert und über deren Handeln man auf dem Laufenden gehalten werden möchte.“ Sid lege seinen Kopf schräg. „Haben Sie nie jemanden, den Sie gar nicht kannten, aus der Ferne bewundert?“
„Oh ja, ich mag die Musik von Elvis Presley. Damals genauso wie noch heute.“
„Sie werden lachen. Der Name ist mir nicht unbekannt.“

Später am Abend, fast zu Mitternacht, verließ Sirius die Winkelgasse. Sein abgelegenes Häuschen in Thamesmead West war schnell erreicht. Es brannte noch Licht. Anne schlief noch nicht, worüber er froh war. Er dürstete nach einer Unterhaltung mit ihr. Seit er mit Sid so eng zusammenarbeitete, kam er manchmal so spät nachhause, dass er sie kaum noch sah.

„Anne?“, rief er in den Flur hinein, nachdem er eingetreten war. Sie antwortete nicht, musste sich aber im Wohnzimmer aufhalten, weil er dort das Licht gesehen hatte. Seinen leichten Umhang hängte er im Flur an einen Haken, bevor er ins Wohnzimmer ging, wo er sie antraf. Der Fernseher flimmerte. Anne schaute sich eine Science Fiction Sendung über einen Herrn im roten Cape an.

„Schatz“, grüßte er gut gelaunt, bevor er sich zu ihr beugte und sie auf die Wange küsste. „Wie war dein Tag?“ Es war seltsam, dass sie so reserviert war.
„Mein Tag war nicht so schön, seitdem ich hier etwas aufgeräumt habe.“
„Was ist passiert? Erklär mir das.“ Er setzte sich neben sie und nahm ihre Hand, was sie nur zu dulden schien. Ihr Blick war auf die Flimmerkiste gerichtet.
„Beim Aufräumen habe ich ein Bild gefunden, das du in deinem Nachttisch aufbewahrst. Warum, frage ich mich?“
„Was für ein …?“ Der Groschen fiel so laut, dass man in bis auf die Straße gehört haben musste. „Ach, das Bild von Hermine“, winkte er ab. „Ginny wollte es wegwerfen.“
„Und da nimmst du es und legst es in die Nähe deine Bettes, um“, sie zuckte provozierend mit den Schulter, „was zu tun? Immer vor dem Schlafengehen an sie zu denken?“
„Ich bitte dich, das ist doch Unfug!“, mahnte er sie sehr erbost.
„Dann erklär es mir, ich bin ganz Ohr!“
„Was soll ich da groß erklären? Ich wollte nicht, dass das Bild weggeworfen wird! Das ist nicht verboten oder?“ Ihre kühle Stimmung war auf ihn übergesprungen.
„Und hat es vielleicht auch damit zu tun“, ihre Stimme war brüchig, „dass du jetzt immer so spät in der Winkelgasse arbeitest und sie dort zufällig ihr Geschäft hat?“
„Die Zwillinge haben auch ihr Geschäft in der Winkelgasse. Willst du mir da etwa einen ähnlich haltlosen Vorwurf machen?“
Sie schnaufte. „Das ist doch was ganz anderes. Das sind deine Freunde.“
„Hermine ist auch nur eine Freundin.“

Jetzt wäre nicht der richtige Moment, Anne davon zu erzählen, dass Hermine ihn gebürstet hatte, dachte er. Sirius hatte sich wieder beruhigt und wollte dieses Missverständnis ein für alle Mal klären, nahm dafür auch Annes andere Hand in seine, damit sie sich zu ihm drehen musste.

„Ich ertrage es nicht, wenn solche Dinge weggeworfen werden sollen. Von meinen Freunden habe ich kaum noch Fotos. Die sind alle von meinen Eltern in den Müll geworfen oder im Kamin verbrannt worden, nachdem ich von Zuhause weggegangen bin. Sie haben all das, was mir gehörte, vernichtet!“ Er seufzte. „Lass mir doch diese kleine Wunderlichkeit.“
Einen Moment lang überlegte Anne, schien aber verständnisvoll zu sein. „Von mir aus, solange du nur nicht die Kontrolle verlierst und eines Tages gar nichts mehr wegwerfen kannst.“
„Wird nicht passieren, versprochen.“

Vom Flur hörten beide das Geräusch von einem aneinander reibenden Stoff, der offenbar zu Boden fiel. Sirius rechnete damit, dass sein Umhang runtergefallen sein musste und folgte Anne in den Flur.

„Hast du noch Hunger?“, wollte sie wissen, als sie den Umhang aufhob und ein auffälliges Gewicht bemerkte. Durch den Stoff tastete sie die Innentasche ab.
Wenn er bei Sid war, musste er nie Hunger leiden und erwiderte daher: „Einen kleinen Happen höchstens. Nichts Aufwändiges.“
Sie hatte die Box in seiner Tasche befühlt. „Was ist das?“

Nun fiel ihm wieder ein, weshalb er Hermine heute überhaupt aufgesucht hatte.

„Das ist ein Zeichen meiner Vergesslichkeit!“ Langsam kam er auf Anne zu und umarmte sie von hinten. „Ginny hat es mir gegeben, damit ich es bei Hermine vorbeibringe, wenn ich heute Mr. Duvall aufsuche. Siehst du? Ich hab es vergessen.“ Mit streichenden Bewegungen glitten seine Hände an ihren Armen hinauf bis zur Schulter. „Lass uns in die Küche gehen. Ich würde gern über etwas mit dir reden; wollte ich schon lange.“
„Über was?“ Trotz ihres skeptischen Gesichtsausdrucks ließ sie sich dennoch von ihm aus dem Flur in die Küche führen.
„Über Kinder und was du darüber denkst.“
„Kinder?“
In der Küche angekommen setzte er sie auf einen Stuhl, bevor er mit schelmischen Lächeln erklärte: „Ja, Kinder. Du weiß doch … Diese hüfthohen Kreaturen“, mit der Hand zeigte er eine ungefähre Größe, „die so viel Unsinn im Kopf haben.“
„Ah, du meinst dich selbst als Miniaturausgabe!“
Sirius lachte auf, nickte aber zustimmend. „So ähnlich, ja. Eine Miniaturausgabe von dir und mir, vereint.“

Sie lächelte, doch es verblasste zusehends, weshalb Sirius sich neben sie setzte und sie hoffnungsvoll anblickte.

„Ich weiß nicht, Sirius. Ich …“
„Es muss ja nicht sofort sein. Ich wollte nur wissen, wie du darüber denkst.“
„Im Prinzip denke ich positiv darüber.“
„Na bestens.“ Er gab ihr einen Kuss auf die Wange. „Möchtest du auch etwas essen?“ Im Vorratsschrank spürte er ein Glas mit Spargel auf, das er ihr zeigte. „In Schinken eingerollt?“
„Wieso denkst du jetzt über Kinder nach?“, fragte sie vorsichtig, ohne auf sein kulinarisches Angebot einzugehen.

Das Glas Spargel umfasste er mit beiden Händen, während er nach den richtigen Worten suchte. Schon seit seinem Gespräch mit Remus und dem möglichen Nachwuchs war er keinesfalls abgeneigt, selbst Kinder zu haben.

„Ich bin jetzt bereit, so eine Verantwortung zu übernehmen.“ Unweigerlich musste er an seinen letzten Besuch bei seinem Patensohn denken und an Nicholas, der ihn dazu bewegt hatte nachzudenken, wie das Leben mit einem eigenen Kind ablaufen könnte.
„Und mein Job?“
„Kannst du natürlich behalten! Hast du etwa Angst, ich würde dich am Ende doch noch in eine altmodische Rolle drängen?“ Weil Harry mit ihm einmal über das Thema gesprochen hatte, wusste Sirius, dass er anfangs tatsächlich so gedacht und auch so gehandelt hatte. „Das wird nicht passieren. Du bist glücklich bei dem Hutmacher. Wer bin ich schon, um dieses Glück zu zerschlagen?“
Anne lächelte endlich wieder. „Es ist gut zu wissen, wie du jetzt darüber denkst. Wenn ich mich daran erinnere, wie du gezetert hast, als ich mir eine Arbeit suchen wollte …“
„Ach, das ist doch Schnee von gestern. Ich bin lernfähig, weißt du?“ Sein Schmunzeln war nicht zu übersehen. „Also möchtest du jetzt oder nicht?“
Ihre Augen wurden ganz groß. „Jetzt sofort?“
„Ich rede vom Spargel.“
„Oh.“

Dieses Edelgemüse sollte es am Samstagmittag auch bei den Grangers geben, denn die Spargelsaison reichte von April bis Juni.

Überpünktlich hatte sich Severus bei Hermine in der Apotheke eingefunden. Sie war noch nicht fertig, so dass er sich die Langeweile mit einer Zeitschrift vertrieb, die im Wohnzimmer lag. Seinen Hund hatte er mitgebracht. Das letzte Mal hatte es sich als günstig erwiesen, beide Tiere zusammen zu lassen. Fellini richtete auf diese Weise weniger Chaos an, wenn er einen Kameraden an seiner Seite hatte und Harry würde keine Gelegenheit finden, Severus‘ Schuhe zu zerkauen.

„Ich bin gleich fertig“, hörte er Hermines Stimme vom Flur, bevor die Tür zu ihrem Schlafzimmer ins Schloss fiel.

Nach nur wenigen Minuten stand sie im Türrahmen zum Wohnzimmer. Sie trug Muggelkleidung, die er nicht als besonders schick bezeichnen konnte. Eine dunkelblaue Jeans und eine helle Bluse. Die Kleidung wirkte dezent, geradezu leger, was ihn nicht überraschen sollte. Es handelte sich immerhin um einen Besuch bei ihren Eltern und nicht um einen Empfang von Diplomaten.

„Von mir aus können wir.“ Hermine zog sich eine leichte Jacke über, bevor sie noch ihre große Tasche nahm. Nachdem er aufgestanden war und sie ihn gemustert hatte, zog sie eine Augenbraue in die Höhe. „Keine Blumen?“
„Die sind sicher in meiner Innentasche verstaut – verkleinert – wie auch die Flasche Elfenwein, die ich meinen persönlichen Vorräten entnommen habe.“
„Gut, dann würde ich sagen, wir apparieren in den hinteren Teil des Gartens.“
„Du musst mich schon mitnehmen, Hermine. Ich kenne das Ziel nicht.“

Das Seit-an-Seit-Apparieren war Hermine vertraut. Auf diese Weise hatte sie während des Krieges einigen Menschen, meist Kindern, das Leben gerettet. Es war notwendig, die andere Person zu berühren. Wie selbstverständlich nahm sie Severus‘ Hand.

„Bereit?“, fragte sie.

Ein Nicken war Bestätigung genug. Mit viel Übung hatte Hermine es dank ihrer Geschicklichkeit seit einigen Jahren bewerkstelligt, mit einem unmerklichen Geräusch zu erscheinen, anstatt mit einem lauten Knall.

Severus fand sich bei strahlendem Sonnenschein in einem blühenden Garten wieder. Ein süßer Duft lag in der Luft, der von den vielen Blumen herrührte, aber auch der Geruch von Tieren war hier sehr ausgeprägt.

„Ich glaub’s ja nicht!“, rief Hermine begeistert aus. Einige überdachte kleine Ställe an der Hauswand hatten ihre Aufmerksamkeit erregt. Er wurde von ihr gezogen, als sie zu den Verschlägen hinüberging. „Kaninchen! Meine Eltern haben wieder Kaninchen.“
„Hermine?“, hörte man eine Stimme aus dem offenen Fenster rufen, so dass Hermine mit Severus an der Hand die Überdachung wieder verließ.

Severus betrachtete die Frau mit den braunen Haaren, die aus dem Fenster schaute. Nicht nur ihr stetiges Lächeln erinnerte ihn an Hermine, denn die Gesichtszüge deuteten unweigerlich auf den Fakt hin, dass es sich um ihre Mutter handeln musste. Die Ähnlichkeit war nicht von der Hand zu weisen. Erst jetzt bemerkte er, was für einen Eindruck sie beide machen mussten, weil Hermine weiterhin seine Hand hielt. Er nahm sich vor, das Seit-an-Seit-Apparieren und die dazugehörige Unverzichtbarkeit der Berührung später in einem Nebensatz fallen zu lassen, um damit die jetzige Situation erklären zu können. Severus löste seinen Griff und streckte seine Finger, aber ihre Hand wurde er trotzdem nicht los.

„Kommt doch rum zur Tür“, bat Mrs. Granger mit einem Wink ihrer Hand, bevor sie vom Fenster verschwand.
Hermine drehte sich breit grinsend zu Severus um. „Das war meine …“
„Dass es sich nicht um deinen Vater gehandelt hat, habe ich mir bereits gedacht.“ Seine Worte brachten Hermine zum Schmunzeln, bevor sie ihn leicht am Ellenbogen berührte und ihm ums Haus führte.
„Ach“, eine stoppende Geste ihrer Hand begleitete das Wort, „die Geschenke. Es ist besser, sie hier draußen zu vergrößern. Ich habe im Haus meiner Eltern schon mal was kaputtgemacht, als ich gezaubert habe. Die ganze Technik ist da sehr empfindlich.“

Ihrer Aufforderung kam Severus im Nu nach, so dass er Blumen und Flasche in der Hand hielt. Als sie gemeinsam um das Haus herumgegangen waren, fiel Severus der kitschige Gartenzwerg auf, aber er verkniff sich all die bösartigen Kommentare, die ihm auf der Zunge lagen. Die Vordertür wurde aufgerissen und Mrs. Granger stand freudig erregt und mit glänzenden Augen vor den beiden. Sie begrüßte zunächst ihre Tochter; drückte sie fest an sich. Innerlich stählte sich Severus für die bevorstehende Bekanntmachung und er hoffte, dass Hermine so geistesgegenwärtig sein würde, ihn vorzustellen.

„Das ist …“, Hermine deutet auf ihn, aber ein Moment der Stille trat ein, so dass er in Erwägung zog, seinen Namen zu nennen. Hermine kam ihm jedoch zuvor. „Das ist Severus.“

Er nahm sich vor, sie später dafür zur Rechenschaft zu ziehen, ihn beim Vornamen genannt zu haben. Es war an der Zeit, die Hand auszustrecken, um Mrs. Granger zu begrüßen. Ihre andere ruhte auf ihren Brustkorb, als sie ganz bewegt sagte: „Nennen Sie mich doch bitte Jane, Severus.“ Ihre warme Stimme erinnerte ihn ebenfalls an Hermine. Er hielt der Gastgeberin die Blumen entgegen.
„Eine kleine Aufmerksamkeit“, sagte er trocken und vermied bewusst die Anrede mit Vornamen.
Freudestrahlend nahm sie den Strauß entgegen und roch an einer der Blumen. „Das wäre doch nicht nötig gewesen.“ Severus stimmte der Aussage von Mrs. Granger innerlich zu, denn der Garten hinterm Haus war voll mit Blumen. „Kommt doch bitte rein.“

Überrascht war Severus vom angenehm eingerichteten Wohnzimmer, in dem er sich sofort heimisch fühlte. Das lag vermutlich daran, spekulierte er, dass Hermine unbewusst den Stil der Eltern übernommen hatte. Bei ihr fühlte er sich ebenso wohl. Mit geschultem Blick überflog er die Inneneinrichtung. Nur wenig Kitsch und Tinnef ließ ihn innerlich erschauern, wie das offensichtlich von einem Kind mit Tusche gemalte Bild eines Engels, das zwei Kinder bei ihrem Spiel am Fluss behütete.

Hermine bemerkte seinen Blick und verkündete stolz: „Das hab ich gemalt!“
Als Information fügte ihre Mutter fröhlich hinzu: „Sie war erst sieben.“ Beide blickten ihn an, weil sie eine Meinung erwarteten, was für Unruhe sorgen könnte, sollte er die Wahrheit sagen.
„Für dieses Alter ein überraschend sicherer Pinselstrich.“ Diese höfliche Aussage sollte genügen, ohne mitteilen zu müssen, dass er es scheußlich fand. Offenbar waren beide Damen damit zufrieden.
„Wo ist Dad?“ Nach Hermines Frage war eine männliche Stimme und Schritte von der Treppe in den ersten Stock zu hören.
„Hier kommt er schon“, präsentierte sich Mr. Granger, den Severus um einiges älter schätzte als Mrs. Granger. Der folgende Händedruck war fest und sicher. „Mr. …?“
„Nur Severus“, warf Hermine erneut als Vorstellung ein und er nahm sich vor, sie nicht erst heute Abend in der Apotheke, sondern bereits im Laufe des Tages auf ihren Fauxpas aufmerksam zu machen. Es gehörte sich nicht, Erwachsene nur mit Vornamen vorzustellen.
„Severus! Hermine hat uns schon viel von Ihnen erzählt? Ein ungewöhnlicher Name, aber ein faszinierender. Mein Name ist Joshua“, stellte sich Mr. Granger vor.
„Auch Ihnen habe ich eine Kleinigkeit mitgebracht.“

Severus war froh, die Flasche Elfenwein an Mr. Granger abgetreten zu haben, denn somit war Punkt 1 – die Bekanntmachung – auf der „To-do-Liste“ abgehakt. Der folgende Plausch und das anschließende Essen hatte er in einem Punkt zusammengefasst. Er hatte sich vorgenommen, höflich zu bleiben und auf alle Fragen zu antworten. Nach dem Essen würde der letzte Abschnitt des Tages folgen: noch mehr Plauderei. Hier nahm sich Severus vor, das Gespräch auf die geschäftliche Ebene zu ziehen, denn er wollte klären, wie er Mr. Granger die Hälfte des Kaufpreises für die Apotheke zukommen lassen konnte.

„Ein Elfenwein?“, fragte der Beschenkte heiter. „Ich werde das Etikett lösen müssen, sonst kommen nur dumme Fragen, wenn jemand die Flasche sehen sollte. Vielen Dank, Severus. Für Getränke aus der magischen Welt bin ich immer zu haben.“
Hermine flüsterte Severus zu: „Er probiert gern Neues aus.“

Das Haus war nicht überdimensional groß, aber man merkte, dass es sich bei den Grangers nicht um Not Leidende handelte. Sie schienen sehr gut zu verdienen. Das Zimmer, in das man sie nun führte, wurde fast vollends von einem Esstisch ausgefüllt und offenbar auch nur zu diesem Zweck genutzt.

„Nehmen Sie doch Platz, Severus. Darf es eine Erfrischung sein?“ Mrs. Granger strahlte ihn vorbehaltlos an, nannte ihm derweil einige Getränke, von denen er irgendeines nahm, nur um nicht mehr im Mittelpunkt zu stehen.
„Schatz?“ Hermine blickte zu ihrem Vater. „Wie läuft es mit der Apotheke? Mit der Kundschaft zufrieden?“
„Oh ja, mehr als zufrieden. Ich habe eine Menge Arbeit und würde es nicht allein schaffen.“ Die Grangers wussten natürlich, dass er der Neue an Bord war, weswegen Hermines Antwort ihren Vater dazu veranlasste, zu Severus hinüberzusehen und das Wort an ihn zu richten.
„Sie sind also auch Zaubertränkemeister?“

Severus bemühte sich, keine spitze Bemerkung von sich zu geben. Es sollte längst klar sein, dass er einer war.

„Korrekt.“ Die Antwort war selbst ihm ein wenig zu karg, beantwortete dennoch die Frage von Mr. Granger wahrheitsgemäß.
„Und Hermine hat bei Ihnen ihren Meister gemacht?“, fragte Mr. Granger nach.
„Das ist richtig.“ Zumindest waren es schon drei Wörter – langsam taute er auf.

Von Mr. Granger wurde er einen Moment lang skeptisch betrachtet, wandte sich jedoch wieder Hermine zu, um sich mit ihr über die neusten familiären Neuigkeiten auszutauschen. Mrs. Granger brachte derweil das Mittagessen herein. In dem Wissen, dass man seine Hilfe ablehnen würde, bot er sie ihr an. Sie winkte wie erwartet ab und war nach wenigen Minuten mit ihrer Arbeit fertig, begann dann, den Gästen das Essen aufzutun. Punkt 2 seiner Liste trat ein: das Essen. Severus konzentrierte sich wenig auf das Gericht, kam dennoch nicht umher, den guten Geschmack zur Kenntnis zu nehmen, was er höflichkeitshalber verbal äußerte. Sein Kompliment zauberte eine sanfte Röte auf Mrs. Grangers Gesicht, bevor sie sich für die Nettigkeit bedankte.

„Severus?“ Während Hermine mit ihrem Vater sprach, ging Mrs. Granger auf Tuchfühlung mit dem dunkel gekleideten Gast zu ihrer Rechten. „Hermine sagte, Sie seien schon sehr lange ein Meister auf Ihrem Gebiet.“
„Meine Ausbildung begann ich recht zeitig nach Beendigung der Schule“, erklärte er. Weil sie so interessiert dreinschaute, fügte er noch hinzu: „Ich habe keine zwei Jahre benötigt, um die Prüfung zu bestehen.“
„Bei wem haben Sie Ihre Ausbildung gemacht?“
„Mein ehemaliger Lehrer in Zaubertränken war so frei, mich unter seine Fittiche zu nehmen.“

Mrs. Grangers formschön gezupften Augenbrauen wanderte in die Höhe. Gerade wollte Severus etwas erklärend hinzufügen, da wurde er sich über die Stille bewusst, die im Raum herrschte. Ein Blick nach vorn und zur Seite verriet ihm den Grund. Mr. Granger sowie Hermine beobachteten ihn und folgten seinem Gespräch mit Mrs. Granger sehr aufmerksam. Mit einem Male verfinsterte sich Mr. Grangers Gesichtsausdruck.

„Das war doch nicht etwa dieser …?“
Hermine unterbrach ihn auffällig hastig. „Slughorn! Das war Professor Slughorn damals. Wir hatten ihn in der sechsten Klasse.“
„Ah“, machte ihr Vater, der von dieser Information wieder besänftigt war.

Severus hegte einen Verdacht, konnte den aber nicht analysieren, weil er sofort von der Dame des Hauses in ein Gespräch verwickelt wurde.

„Sind Ihre Eltern beide Zauberer?“
Severus verneinte mit einem Kopfschütteln. „Nur meine Mutter. Mein Vater war ein …“

Er stoppte sich, um nicht mit Worten um sich zu werfen, die eventuell als Beleidigung aufgefasst werden könnten, doch Mrs. Granger nahm es ihm ab, den Satz zu vervollständigen.

„Ein Muggel.“ Sie blickte zu Hermine. „Unsere Tochter und die Familie Weasley haben uns über einige Situationen der magischen Welt aufgeklärt. Auch über Squibs und Reinblüter.“

Nach dem Essen half Hermine ihrer Mutter, den Tisch abzuräumen, während Mr. Granger den Gast in den Garten führte, um dort ein wenig zu plaudern.

Vom offenen Fenster der Küche aus konnte Hermine die beiden sehen, als sie das Geschirr mit der Hand abwusch, weil der Geschirrspüler defekt war. Sie bemerkte, wie auch ihre Mutter beim Abtrocknen immer wieder nach draußen schaute, um den Gast zu beäugen.

„Was hältst du von ihm?“, fragte Hermine mutig. Ihre Mutter hielt einen Moment beim Abtrocknen inne, machte dann aber weiter, damit es nicht auffallen würde, wie sehr sie über eine Antwort nachdachte. „Und?“, drängte Hermine. Sie hatte das seltsame Gefühl, dass ihre Mutter den Altersunterschied ansprechen könnte, doch zusammen zu arbeiten sollte nicht vom Alter abhängen. Außerdem würde ihre Mutter bestimmt nicht darauf zu sprechen kommen, da sie selbst fast fünfzehn Jahre jünger war als ihr Gatte.
„In so einem Alter …“, begann ihre Mutter, bevor sie von Hermine unterbrochen wurde.
„Ich wusste es“, murmelte sie.
„Hermine, Schatz. Lass mich bitte ausreden.“ Hermine nickte, so dass ihre Mutter fortfahren konnte. „Ich wollte sagen, dass man auch in so einem Alter keinesfalls zu alt ist, um sich seine Zähne richten zu lassen.“
Mit vor Schreck ganz großen Augen sagte Hermine mahnend und ebenso nörgelnd: „Mum!“
„Du hast mich gefragt“, hielt sie ihrer Tochter schmunzelnd vor Augen. „Was erwartest du? Ich bin Zahnärztin! Was meinst du wohl, wo mein Augenmerk liegt.“
„Und mal abgesehen ‘davon‘ …“ Hermine konnte sich das Augenrollen nicht verkneifen. „Was denkst du sonst von ihm?“
„Na ja, er ist ein wenig, ähm, wortkarg?“
„War das eine Frage?“, spöttelte Hermine auf nette Weise.
„Ich glaube nur langsam, dass ich bei dir aufpassen muss, was ich überhaupt sage.“ Das letzte saubere Glas stellte ihre Mutter gerade ins Schränkchen zurück, bevor sie Severus und ihren Mann dabei beobachtete, wie sie es sich am Gartentisch gemütlich machten. „Er wirkt mysteriös und verschlossen. Es wundert mich, Hermine, dass du so gut mit ihm auskommst, um sogar die Apotheke mit ihm führen zu wollen.“ Draußen hatte Mr. Granger ganz offensichtlich die Gesprächsführung übernommen.
„Er ist gar nicht so schlimm, wenn man ihn erst einmal kennen gelernt hat.“
„Mag er Eis?“ Ihre Mutter nahm bereits vier Glasschälchen aus der Vitrine.
„Keine Ahnung. Ich glaube nicht.“
„Versuchen wir’s einfach. Holst du es bitte aus der Tiefkühltruhe?“

Die Konversation mit Hermines Vater zerrte an Severus‘ Nerven. Was Antworten betraf, so war Joshua Granger keinesfalls genügsam. Hermines Vater zeigte seine Unzufriedenheit über unzureichend gegebenen Antworten, indem er ständig nachfragte, um endlich eine gehaltvollere Information zu erhalten. Zwar wollte Severus höflich bleiben, aber seiner Meinung nach ging es keinen etwas an, womit er sich damals die Zeit vertreiben musste.

Mr. Granger klang bei seinem Gespräch mit Severus bereits sehr ungeduldig, als Hermine mit ihrer Mutter an den Tisch kam. Er ließ das Thema – welches es auch immer war – fallen und widmete sich den Damen, was Severus erleichtert zur Kenntnis nahm. Es war jedoch Mrs. Granger, die nun versuchte, Persönliches aus ihm herauszukitzeln.

„War Hermine eigentlich eine angenehme Schülerin, als sie ihren Meister bei Ihnen gemacht hat?“

Eine kluge Frau, dachte Severus. Das Gespräch fand zwar mit ihm statt, aber nicht über ihn. Zumindest vorerst.

„Ihre Tochter verfügt über einen scharfen Verstand, der es ihr offenbar erleichtert, viel im Gedächtnis zu behalten“, erwiderte er höflich.
„Ja, das kann ich mir vorstellen, aber war sie manchmal …“
„Mum“, warnte Hermine.
Severus hielt nicht mehr zurück. „Sie war manchmal ein wenig vorlaut, um nicht genau zu sagen“, gespannt warten alle auf seine Beschreibung, „frech.“ Ein schiefes Lächeln zeichnete sich auf den schmalen Lippen des Tränkemeisters ab.
„Das ist meine Tochter“, lobte Mr. Granger sie neckisch, indem er ihr über den Rücken strich.
„Können wir vielleicht über was anderes reden?“ Es war ein seltsames Gefühl, nur Inhalt einer Unterhaltung zu sein, weshalb sie einen Themenwechsel anstrebte.
„Oh sicher, wir könnten zum Beispiel fragen“, Mr. Granger schaute einmal zu seiner Frau hinüber, dann wieder zu Severus, „warum Sie so vernarrt in die Apotheke sind, dass Sie gleich mit der Hälfte einsteigen möchte.“
„Vernarrt?“, fragte Severus verdutzt nach. „In die Apotheke?“
„Etwa in was anderes?“, stichelte ihr Vater keck.

Severus musste diese Zweideutigkeit sofort zerschlagen, bevor sich ein Bild im Kopf der Grangers formte, das ihm womöglich noch zum Verhängnis werden könnte.

„Mein jetziger Beruf bringt mir weder Freude noch ist er sonderlich produktiv.“
„Mmmh“, machte Mr. Granger nachdenklich. „Und was machen Sie jetzt?“
„Ich bin bis Ende Juni in Hogwarts als Lehrer beschäftigt“, erwiderte er aufrichtig.
„In welchem Fach, wenn ich fragen darf?“
Mrs. Granger vermutete laut: „Na, ich nehme doch an, es wird sich um Zaubertränke handeln?“
„Korrekt“, bestätigte Severus knapp.
„Zaubertränke? Dann können die Schüler ja von Glück reden, nicht mehr unter Ihrem Vorgänger leiden zu müssen.“

Jeder Muskel in Severus‘ Körper verspannte sich. Dass selbst die Muskeln seines Kiefers sich verzogen, begrüßte er, denn das hielt ihn davon ab, eine Salve Beleidigungen in Richtung Mr. Granger abzufeuern. Severus wusste gar nicht, wie er reagieren sollte, also reagierte er lieber gar nicht.

„Hat Ihnen Hermine von diesem Mann erzählt?“, fragte Mr. Granger unschuldig dreinblickend.
Diesen Moment nutzte Hermine, um ihren Vater abzulenken. „Dad, hab ich schon erzählt, dass Severus mir geholfen hat, bei der Körperschaft der Zaubertränkemeister …“
„Ja, Schatz“, winkte er ab, bevor er sich wieder Severus zuwandte. „Hat sie erzählt, was für ein schlimmer Finger das war?“
„Dad, bitte nicht, das ist schon so lange her.“
„Es könnte doch sein“, er blickte seine Tochter an, „dass er ihn sogar kennt.“ Wieder zu Severus blickend fragte er: „Kannten Sie ihn?“

Severus beschränkte sich darauf, Mr. Granger lediglich anzustarren und hoffte, somit vor weiteren Anspielungen geschützt zu sein, doch Hermines Vater war gegen jeden Todesblick immun.

„Was Hermine und ihre Freunde uns damals erzählten, das geht auf keine Kuhhaut! Wie hieß er? Snape?“
„Dad …“
„Ein völlig unfähiger Lehrer, der doch tatsächlich …“
Wieder stoppte Hermine ihren Vater. „Das war einmal, Dad!“
„Liebes“, beschwichtigte er seine Tochter, „lass mich bitte ausreden.“
„Mr. Granger.“ Endlich hatte Severus nicht nur die Fassung, sondern auch die Stimme wiedergefunden, wenn diese auch nur leise säuselnd zu vernehmen war. „Die verzweifelten Versuche Ihrer Tochter, dieses Thema unter den Teppich zu kehren, rühren von dem Wunsch her, Ihnen und auch mir eine große Unannehmlichkeit zu ersparen.“
Mit in Falten gelegter Stirn fragte Mr. Granger nach: „Wie meinen Sie das?“
„Drücken wir es mal so aus: Ich weiß jetzt, warum Hermine mich Ihnen nicht mit meinem Nachnamen vorgestellt hat.“

Bis auf das Surren der Bienen, die an den Blumen im Garten artig ihren Blütenstaub sammelten und das Zwitschern der Vögel in den umliegenden Bäumen war im Moment nichts anderes zu hören. In dem Gesicht von Mr. Granger konnte Severus erst eine Art unangenehme Erschrockenheit feststellen, bevor die Miene des Mannes mit einem diabolisch selbstzufriedenen Grinsen geziert wurde, was selbst Severus einen Schauer über den Rücken jagte.

„Dann sind Sie also“, begann Mr. Granger langsam, „Professor Snape?“
„Das ist richtig.“
Die leichteste Art, die Zähne zu zeigen, war ein Lächeln. Mr. Granger lächelte, doch eines seiner Augenlider zuckte nervös, als er betont freundlich verkündete: „Oh, wie oft habe ich mir gewünscht, mal ein paar Worte mit Ihnen wechseln zu dürfen.“

Es klang wie eine Drohung, die jedoch nicht besonders ernst gemeint war. Mr. Granger hatte offensichtlich einen schrägen Sinn für Humor. Die beiden Damen waren still, nachdem das kleine Geheimnis gelüftet war. Hermine musste geahnt haben, dass ihr Vater auf den Namen Snape allergisch reagieren könnte. Mit ihrer Taktik bei der Begrüßung wäre es ihr beinahe gelungen, seine Identität zu wahren.

An Severus gerichtet fragte Mr. Granger mit seinem aufgesetzten Lächeln: „Würden Sie mir helfen, in der Küche für die Damen einen Aperitif zuzubereiten?“
„Ich kann dir hel…“ Hermines Versuch, ihre Hilfe anzubieten, wurde mit erhobener Hand seitens ihres Vaters im Keim erstickt.
„Severus wird sicherlich so freundlich sein. Dann können wir mal ein wenig“, sein Lächeln wurde breiter und dämonischer, „offener reden.“

Angst hatte Severus keine, ein wenig unangenehm war ihm die Situation dennoch. Das hielt ihn aber nicht davon ab, ihrem Vater über den Rasen bis zum Vordereingang zu folgen. Hermine und ihre Mutter blickten mit weit aufgerissenen Augen hinterher.

„Hermine, das hättest du uns sagen müssen.“
„Mum …“ Sie seufzte. Jetzt war es eh zu spät, um es wieder geradezubiegen.

In der Küche angelangt bot Mr. Granger Severus einen Platz an, doch er zog es vor zu stehen. Wenn jetzt das folgen würde, womit er rechnete, wollte er nicht gemütlich auf einer Eckbank sitzen.

„Professor Snape.“ Mr. Granger kniff seine Augen zusammen. „Severus, nehmen Sie mir bitte nicht übel, wenn ich diese Gelegenheit ergreife, um Ihnen etwas zu sagen, was ich vor Jahren schon hätte sagen sollen.“
„Tun Sie sich keinen Zwang an“, erwiderte Severus trocken.

Mr. Granger hatte arge Mühe, bei seinen Worten freundlich zu bleiben, womit er bei Severus ungewollt eine Assoziation zu Lucius schuf, denn auch der konnte einen gründlich zusammenstauchen und dabei die nettesten Worte verwenden.

„Es ist mir unbegreiflich, wie ein Mann wie Sie so viele Jahre mit Kindern arbeiten konnte, wo sich doch von Anfang an herauskristallisiert hat, dass Sie über keine nennenswerten pädagogischen Fähigkeiten verfügen und darüber hinaus …“

Ein Geräusch ließ Severus sowie Mr. Granger zum offenen Küchenfenster hinüberblicken. Mit zwei Schritten war Hermines Vater am Fenster und schaute hinunter, bevor er zu jemandem sprach.

„Hermine.“
Auch wenn Severus nichts sehen konnte, hatte er doch ein klares Bild vor Augen. Er hatte Hermine schon einmal beim Lauschen erwischt.
Ihre Stimme war von draußen zu hören. „Ich habe nur gesehen, dass der Putz hier abbröckelt.“
„Ich habe die Wand erst letztes Jahr runderneuern lassen. Jetzt sei so lieb und geh mit den Kaninchen spielen.“
„Ich bin keine fünf mehr!“, sagte sie bockig.
„Nein, bist du nicht“, bestätigte ihr Vater mit freundlicher Stimme. „Du bist 24 und vertreibst dir noch immer gern die Zeit mit flauschig kuschligen Hoppelhäschen oder etwa nicht?“
„Doch“, hörte Severus sie leise sagen.

Vor seinem inneren Auge konnte Severus sehr lebhaft sehen, wie sie einen Schmollmund machte und beleidigt davontrottete. Von dem kleinen Zwischenfall schien Mr. Granger wieder milde gestimmt. Er sah noch einen Moment aus dem Fenster, schaute sehr wahrscheinlich Hermine hinterher.

„Wie es aussieht, möchte meine Tochter unbedingt verhindern, dass ich meine Chance wahrnehme, Ihnen endlich mal die Meinung zu sagen.“ Er seufzte, bevor er sich zu seinem Gast umdrehte. „Ich gebe zu, dass ich überreagiert habe. Es ist viel Zeit vergangen. Über alles, was in der magischen Welt geschehen ist, bin ich nicht informiert, aber ich habe durchaus mitbekommen, dass“, er blickte Severus an, „Professor Snape einen Merlinorden erhalten hat. Meine Tochter hat uns von der Verleihung erzählt und auch von seinen“, er verbesserte, „von Ihren Taten.“ Mit sich selbst uneins, ob er zetern oder Gnade walten lassen sollte, schüttelte Mr. Granger langsam den Kopf. „Trotzdem fand ich Ihr damaliges Verhalten als Lehrer unverzeihlich, Severus, besonders was die Angelegenheit mit dem zahnmedizinischen Unfall betrifft. Ein Lehrer muss für seine Schüler da sein und darf sie keinesfalls verspotten, wenn sie in eine prekäre Situation geraten sind.“

Für wenige Sekunden erinnerte Severus sich an das, was er an dem Tag in Hermines Gedankenwelt gesehen hatte, an dem er ungefragt Legilimentik bei ihr angewandt hatte. Sie war am Boden zerstört gewesen, hatte sich bei ihrem Vater ausgeweint.

„Ich kann Ihre Aufregung nachvollziehen, aber zu meiner Verteidigung kann ich nur anbringen, dass ich in diese Rolle gedrängt wurde. Hätte ich die Wahl gehabt, wäre ich nach ein oder zwei Jahren vom Dienst ausgeschieden, denn ich war mir schnell darüber klar geworden, wie unbefriedigend dieser Beruf für mich ist.“ Nachdenklich schaute Severus sein Gegenüber an. „Wenn ich mir eine Frage erlauben darf?“
„Sicher.“
„Hat Ihre Tochter Ihnen nie gesagt, bei wem sie ihre Ausbildung zur Tränkemeisterin absolviert?“
„Natürlich hat sie das! Sie hat immer nur von ‘Severus‘ gesprochen. Ich vermute, sie wollte von Anfang an verhindern, dass ich …“ Wieder seufzte Mr. Granger. „Na, Sie wissen schon. Wenn ich meine Tochter so betrachte, dann weiß ich, dass sie längst über einige Differenzen hinweg ist, die sie einmal mit Ihnen hatte. Wir haben ihr immer beigebracht, sich nirgends reinreden zu lassen. Sie soll das tun, was sie für richtig hält und immer ihrem Herzen folgen. Ich wusste, dass die Apotheke einer ihrer innigsten Wünsche ist und ich habe ihn wahr werden lassen, weil ihr die Mittel fehlten.“ Mr. Granger warf Severus einen warnenden Blick zu. „Ich würde es begrüßen, wenn dieser Wunsch nicht mit Füßen getreten werden würde.“
Severus verschränkte seine Arme hinter dem Rücken. „Es wäre reichlich unproduktiv, gegen meinen eigenen Wunsch vorzugehen, Mr. Granger.“

Draußen an den Kaninchenställen hatte Hermine sich ein weißes Tierchen mit schwarzen Punkten herausgenommen, das nun neugierig ihre Brust hinaufkletterte, um mit der ständig schnuppernden Nase ihren Hals zu erobern. Es kitzelte. Nach einer Weile hatte ihre Mutter ihr Gesellschaft geleistet, nahm sich aber keines der Kaninchen, sondern betrachtete sie stattdessen.

Die Stimme ihrer Mutter war sanft und ohne tatsächlichen Vorwurf, als sie sagte: „Du hättest nicht lauschen dürfen. Dein Vater wird ihm schon nichts tun.“
„Hah“, entwich es Hermine, „ich mache mir wirklich keine Sorgen um Severus! Eher um Dad.“

Die Sorge blieb zum Glück unbegründet. Mr. Granger oder Joshua, wie Severus ihn nennen sollte, hatte den Anflug von Rachegelüsten unter Kontrolle bekommen. Hier und da ließ er noch eine kaustische Bemerkung fallen, von der sich selbst Severus‘ ausgewachsener Sarkasmus noch eine Scheibe abschneiden konnte. Severus verbuchte diese Anmerkungen unter „unbedeutende Zänkerei“. Immerhin wollte er noch etwas von diesem Mann.

„Mr. Granger …“
„Joshua“, verbesserte Hermines Vater.
Unhörbar stöhnte Severus, bevor er sich dazu entschloss, die Anrede ganz wegfallen zu lassen. „Gern würde ich Ihnen die Hälfte des Kaufpreises für die Apotheke erstatten. Wenn Sie so freundlich wären, mir eine Bankverbindung zu nennen.“
„Geht denn das? Ich meine, in die Muggelwelt zu überweisen?“
„Natürlich, Gringotts erledigt alles Mögliche“, bestätigte Severus selbstsicher, denn er hatte sich im Vorfeld erkundigt. Wie das möglich war, wollte er gar nicht so genau wissen.
„Nun gut, ich werde Ihnen schreiben und Ihnen alles Nötige nennen, aber jetzt erst einmal die Frage, ob Sie Lust auf ein Spiel haben.“

Skeptisch beäugte Severus den Karton, den Mr. Granger auspackte. Darin war ein Brett mit vielen Feldern, von denen einige rot waren.

„Natürlich nur, wenn Sie möchten“, sagte Joshua, breitete das Spiel aber längst auf dem Tisch aus. „Es macht zu viert am meisten Spaß.“
„Was ist das?“ Unsicher blickte Hermine zu Severus hinüber.
„Das ist Scrabble und ich liebe es. Könnte dir auch gefallen.“

Der Tag, den sie bei den Grangers verbrachten, war unerwartet kurzweilig gewesen. Gegen 19 Uhr apparierten er und Hermine zurück in die Apotheke. So schlimm, wie er diesen Besuch bei ihren Eltern im Vorfeld eingeschätzt hatte, war es gar nicht gewesen. Mit ihrem Vater hatte er eine Rückzahlung vereinbart, damit zumindest ihm die Hälfte der Apotheke tatsächlich gehören würde. Trotzdem es Samstagabend war, blieb Severus nicht bei ihr, was Hermine im ersten Moment traurig stimmte. Andererseits wollte sie ihm eine kleine Verschnaufpause gönnen. Es war schon unangenehm genug gewesen, dass ihre Eltern am Ende doch erfahren haben, dass ihr Lehrmeister und jetziger Geschäftspartner Severus und der damalige fiese Lehrer für Zaubertränke Professor Snape ein und dieselbe Person war. Sie konnte von Glück reden, dass es in Hogwarts nie Elternabende gegeben hat, sonst hätte es sicherlich schon viel früher zwischen den beiden gekracht. Solange es sich nicht um eine große Auseinandersetzung, sondern nur einen lapidaren Zoff handelte, war Hermine erleichtert.

In Hogwarts angekommen machte sich Severus auf den Weg zu Minerva. Auch wenn er ihr gestern abgesagt hatte, war es jetzt noch früh am Abend, weswegen er auf eine kleine Lektion hoffte. Über seine unerwartete Anwesenheit war Minerva im ersten Moment erstaunt, bat ihn jedoch zu sich hinein.

„Doch kein Besuch bei den Grangers?“
„Ich komme gerade von ihnen und dachte, es wäre noch genug Zeit, um dich aufzusuchen.“
Minerva spitzte den Mund. „Hast du die Kapitel gelesen?“
„Natürlich! Ich wäre kaum hier, hätte ich nicht meine ‘Hausaufgaben‘ gemacht!“, zischelte er.

Ein kurzes Nicken zeigte ihre Bereitschaft, sich noch heute dem Wunsch nach der Suche seiner Animagusgestalt zu widmen. Sie ließ ihn eintreten.

„Also gut, Severus. Dann wirst du jetzt unter meiner Aufsicht deine Konzentrationsübungen machen. Du wirst auch gleich mit der Suche nach der tierischen Gestalt beginnen. Solltest du sie, was ich für sehr unwahrscheinlich halte, sogar finden, wirst du sie nicht einnehmen, hörst du?“
„Mit meinem Gehör hatte ich nie Probleme.“
„Du weißt, was ich meine! Dreh mir nicht jedes Wort im Mund um. Du wirst dich nicht verwandeln, verstanden? Betaste die Form, mach dich mit ihr vertraut, aber nur im Geiste.“

Minerva führte ihn zu einem gut gepolsterten Stuhl mit hoher Rückenlehne, auf dem er Platz nahm. Sie selbst setzte sich an ihren Schreibtisch, auf dem eine Menge Pergamente von den Schülern auf Korrektur wartete, aber es schien nicht so, als würde sie sich die Zeit mit etwas anderem vertreiben. Er hoffte innig, sie würde ihn nicht die ganze Zeit über beobachten.

„Da du die Kapitel gelesen hast, bist du mit dem Wichtigsten vertraut. Während deiner Suche nach dem Tier kannst du in deinem Innern auch auf Dinge stoßen, die dich abzulenken vermögen – Dinge, die dich in Erstaunen und Verzückung oder auch in Angst und Schrecken versetzen können. Halte dich nicht daran auf, sondern setze die Aufgabe fort.“
Severus atmete tief durch. „Ich werde mich schon nicht ablenken lassen.“
„Dann beginne mit der Konzentrationsübung.“

Die Übungen, die sie meinte, beherrschte er im Schlaf. Albus hatte ihm damals beigebracht, den eigenen Geist vor Angriffen zu schützen, nachdem er ohnmächtig erleben musste, wie leicht ein mächtiger Zauberer sich Zutritt zu Gedanken verschaffen konnte. Es glich einer imaginären Mauer, die Severus in Windeseile mental um seinen Verstand herum aufbaute. Eine Mauer, die allen Einwirkungen von außen standhalten konnte. Dieser Schutzwall schützte bereits seinen Geist. Noch immer hörte er das Rascheln von Minervas Kleid, wenn sie sich unmerklich bewegte, nahm sogar ihre Atmung war. Diese geistige Verschanzung war höchstens mit emotionaler Bestürzung zu durchbrechen, doch dank des Ewigen Sees war er gegen sämtliche Einflüsse dieser Art gefeit. Voldemorts Gräueltaten oder die der Todesser hatten ihn stets kalt gelassen. Schon damals war nichts in der Lage gewesen, ihn so sehr zu berühren, dass dieser Schutzwall in sich hätte zusammenfallen können.

Sollte Severus sich jetzt entschließen, die Mauer zu verlassen, könnte er einfach die Augen öffnen und sich seiner normalen Tätigkeiten widmen. Er könnte spazieren gehen, die Schüler unterrichten oder ein Buch lesen und hätte während der ganzen Zeit diesen Schutzwall um seinen Geist. Diesmal blieb er mit seinen Gedanken innerhalb des Schutzwalles. Was Severus bisher nie gewagt hatte, war die Erforschung dieses nun eingezäunten Territoriums.

In Gedanken manifestierte sich die Umgebung seines Geistes. Es lag in der Natur des Menschen, Assoziationen zu ziehen; Gefühle mit Farben, Gerüchen oder Bildern zu verknüpfen. Ein Tagtraumzauber von den Weasleys basierte indirekt auf diesen Vorstellungsverknüpfungen. Dieses Weasley-Produkt sprach tiefste Sehnsüchte an, die jeder Mensch für sich selbst in ein gedankliches Spektakel umwandelte, sei es durch das Ausleben der Abenteuerlust auf einem Piratenschiff oder dem Wunsch, die schönsten Momente der Kindheit aus heutiger Sicht noch einmal zu erleben. Jeder Mensch stellte sich etwas, das er nie zu Gesicht bekommen hatte, anders vor. Die Beschreibung einer Sache oder Person konnte die Vorstellung zwar genauer werden lassen, aber dennoch hatte jeder Mensch ein anderes Bild davon.

Severus‘ Bild von seinem Innern war dunkel.

In der Düsternis seiner Geisteswelt nahmen einige Eindrücke eine dämmrige Form an. Schatten huschten umher, doch Furcht verspürte er keine. Severus konzentrierte sich noch etwas mehr, damit diese unerforschte Umgebung Gestalt annehmen würde. Wie sonst, fragte er sich, sollte er in dieser Dunkelheit etwas finden können? Mit viel Geduld entfaltete sich sein Geist und stellte den Ort, an dem er sich gerade befand, als kaum erhellten Raum dar, der von kalten Steinwänden umgeben war. Er fühlte sich ganz wie Zuhause.

In dem Wissen, sich nicht in Wirklichkeit, sondern nur in seinem Kopf zu bewegen, ging er die Steinwand ab, bis er auf eine Tür stieß, die er öffnete. Vor ihm erstreckte sich ein Korridor, dessen Ende man nicht einmal erahnen konnte, weil er im Dunkel seiner Welt verschwand. Unzählige Türen hatten sich materialisiert, was seinem Sinn für Ordnung entsprungen sein musste. Es würde ihn nicht wundern, sollte er hinter den Türen auf hohe Bücherregale mit Themen seines Lebens stoßen oder auf ein Labor, in welchem Zutaten zu finden waren, die seinen Eigenschaften entsprachen, denn so stellte er sich sein Innerstes vor. Wissen war in Büchern zu finden, also sollten sich auch seine Gedanken und Erinnerungen als Bücher darstellen.

Irgendwo hinter einer der vielen Türen musste sich ein Tier aufhalten, das er zu finden bereit war.

Wie er es geahnt hatte, fand er im ersten Raum eine Art unüberblickbare Bibliothek. Auffällig waren die ersten Regale, die sich sichtlich von den anderen abhoben. Die Bücher, die ihn ihnen verstaut waren, besaßen bunten Rücken mit allen möglichen Farben. Die Mehrzahl der anderen Bücherregale wie auch der dort enthaltenen Bücher war von dunkelgrauer Farbe. Anziehend waren für Severus vorerst die Farben.

Als er vor einem der schmalen Regale stand, zog er wahllos eines der farbigen Bücher heraus. Es trug den Titel „Erstes Jahr in Hogwarts – Band 10“. Aus Neugierde schlug er das Inhaltsverzeichnis auf und stellte fest, dass dieses Buch den gesamten Monat Juni seines ersten Schuljahres beinhaltete. Zum Vergleich nahm er Band 1 aus der gleichen Reihe zur Hand, was dem September des Vorjahres entsprach. Das Buch strahlte die freudige Aufregung aus, die er als Erstklässler verspürt hatte. Auch wenn die Versuchung groß war, in diese Erinnerungen abzutauchen, stellte er beide Bücher wieder zurück.

Stichprobenartig nahm er im Vorübergehen immer wieder eines der bunten Bücher, die Erinnerungen seines Lebens beinhalteten und ihn mit jenen schönen Gefühlen streichelten, die er damals schon empfunden hatte.

Nach kurzer Zeit stieß er bereits auf die grauen Exemplare, die diese Bibliothek dominierten. Das Erste dieser rauchfarbenen Bücher zog er heraus. Es trug keinen Titel, auch keine Nummerierung. Der Einband war nicht so liebevoll gestaltet wie die der bunten Ausgaben. Als er das Buch öffnete, schlug ihm ein modriger Geruch entgegen. Ohne Inhaltsverzeichnis oder Einleitung begann das Buch sofort mit dem Text. Weil Severus sich in seinem eigenen Kopf befand, tönten die still in Gedanken gelesenen Worte laut von den steinernen Wänden wieder.

„Die kalte Gleichgültigkeit legte sich wie ein Leichentuch um den Rest Menschlichkeit und trachtete danach, auch diesen Teil zu vernichten und wenn nicht vernichten, dann zumindest so im Zaume zu halten, dass ein Antasten unmöglich sein sollte.“

Zeitlich begann das Erste dieser grauen Bücher sofort nach der Einnahme des Ewigen Sees. Angewidert stopfte er den Band zurück in die Lücke, bevor er seinen Weg fortsetzte. Es war erleichternd zu wissen, dass niemand außer ihm die lauten Worte vernommen hatte, denn er war allein; allein in den Tiefen seines Innern.

Ihm fielen nach etlichen Metern wenige Bücher auf, die vereinzelt einen sehr hellen Grauton innehatten und sich somit von der Masse abhoben. In das erste hellgraue Buch wollte er einen Blick wagen, doch es blieb nicht allein bei einem Blick, denn seine innere Stimme las für ihn laut schallend vor.

„Mit dem Jungen fällt das helle Licht der Erinnerung wieder ein. Ihn zu sehen bedeutet Schmerz und Hoffnung zugleich, denn er kann Berühren, was unantastbar bleiben sollte.“

Harrys erstes Schuljahr. Severus erinnerte sich noch sehr gut daran, wie ohnmächtig er den Gefühlen ausgeliefert war, die Harrys Anwesenheit in ihm ausgelöst hatten. Erinnerungen an Lily waren durch den Jungen so lebendig geworden, dass sie genauso stark schmerzten wie am Tag ihres Todes. Auch dieses Buch legte Severus zurück, jedoch nicht ohne sich des Hoffnungsschimmer gewahr zu sein, den Harry damals schon in ihm erweckt hatte. Harry war ein Schlüssel, doch das dazugehörige Schloss musste noch gefunden werden.

Nach diesem hellgrauen Buch blieben auch die anderen nicht mehr so düster. Immer wieder fanden sich einzelne Exemplare, die so hell waren wie das von Harrys erstem Schultag. Severus kontrollierte, ob die Bücher Titel besaßen, wurde aber nie fündig. Die Bücher seines Lebens waren nach Einnahme des Ewigen Sees genauso belanglos wie sein Leben selbst.

Schnellen Schrittes ging er die Regale ab, überflog dabei lediglich mit den Augen die Farben der Bände, die stetig zwischen dunkel- und hellgrau wechselten. Zum Stehen kam er, als die Bücher überwiegend hell wurden. Eine Stichprobe bestätigte ihm, dass er bei der Zeit nach dem Krieg angekommen war. Das hellste von ihnen beinhaltete jenes ereignisvolle Zusammentreffen mit Harry, das den ganzen Stein überhaupt ins Rollen gebracht hatte. Der Tag, an dem Severus von einer unergründlichen Macht dazu bewegt worden war, dem jungen Kollegen dieses schwere Mysterium vor die Füße zu werfen, das ihn umgab. Harry war darüber nicht einmal ins Taumeln geraten, sondern hatte den Hinweis aufgegriffen und seit diesem Augenblick nicht mehr davon abgelassen.

Mit einer Mischung aus Erleichterung und Dankbarkeit stellte Severus das Buch zurück. Viele Regale kamen nicht mehr. Den einen silbrigen Band, den er im letzten Bücherregal bemerkte, wagte er nicht zu berühren. Es würde Passagen über Hermine beinhalten. Er musste es nicht aufschlagen, um sich davon zu überzeugen, denn er befand sich in seinem eigenen Geist und vor sich selbst konnte er nichts verbergen.

Das allerletzte Buch war unvollständig. Die letzten Seiten waren leer, weil der Inhalt noch nicht erlebt wurde.

Ganz am Ende des riesigen Raumes fiel sein Augenmerk auf eine Vitrine, die ein Buch wie ein Heiligtum unter samtenen Stoff vor Staub und Blicken zu schützen versuchte. Kaum hatte er sich der Vitrine genäherte, verschwand das Glas, so dass er das Tuch aus Samt entfernen konnte. Ein beigefarbenes Buch kam zum Vorschein, das nicht sonderlich dick war. Ein Buch, dessen Wichtigkeit so enorm zu sein schien, dass es von den anderen getrennt sorgfältig unter einer Glaskuppel aufbewahrt wurde, bis er darin lesen wollte. Als er es berührte, fühlte er die angenehme Wärme, die von dem Buch ausging und fast im gleichen Moment, als seine Fingerspitzen über das Leder strichen, schnitzte sich wie von Geisterhand nach rechts geneigt in wunderschönen goldenen Lettern das Wort „Freunde“.

So vorsichtig, als würde er eine Antiquität berühren, öffnete er den Buchdeckel und blätterte bis zum ersten Kapitel vor. Es trug den Titel „Lily“. Die dort geschilderten Erlebnisse stellten die Grundlage dafür dar, sie als Freund bezeichnet zu haben. Trotz ihres Todes tat er das noch heute. Aufgrund seiner Empfindungen ihr gegenüber hatte sie einen Eintrag in dieses edle Buch bekommen.

Es wunderte Severus nicht, dass das zweite Kapitel von Albus handelte. Die Schriftart war eine ganz andere als die, die für Lilys Kapitel verwendet worden war. Dass er Albus als Freund bezeichnete, war nicht überraschend. Narzissas Kapitel war nicht allzu kurz, da er auch sie schon seit der Schulzeit kannte. Das in ihrem Kapitel enthaltene Teilstück über Regulus war zwar bescheiden, aber sehr intensiv zu lesen. Wäre der Jüngste der Blacks nicht so früh verstorben, hätte der ein wahrer Freund werden können. Wie die Redewendung es so schön ausdrückte, lagen er und Regulus auf gleicher Wellenlänge. Selbst dem guten Lucius hatte das Buch ein Kapitel gewidmet. Wenn er es sich recht überlegte, musste Severus zugeben, dass er mit ihm nicht nur negative Erfahrungen gemacht hatte. Der Sohn des blonden Reinblüters war ebenfalls mit einem Kapitel vertreten, welches sich besonders intensiv der fünf Jahre widmete, in denen er mit dem damals 16jährigen Jungen auf der Flucht gewesen war.

Zu seinem Erstaunen waren auch Menschen in diesem Buch bedacht, die er nicht bewusst mit so einem bedeutungsvollen Wort wie „Freund“ bezeichnen würde. Er las von Poppy, die als Freundin seiner Mutter schon immer Anteil an seinem Leben genommen hatte. Der Name von Minerva ließ ihn stutzen. Sie hatte er stets als Kollegin gesehen, aber anscheinend hatte seine Gefühlskälte es nur nicht zugelassen, mehr in ihr zu erkennen. Vielleicht standen sie in diesem Buch, weil er sich darüber bewusst war, dass sie ihn nie hintergehen würden?

Ein langes Kapitel über Harry folgte, mit all den Höhen und Tiefen, die eine gute Geschichte ausmachte, nur dass es sich hierbei um seine Lebensgeschichte handelte. Die Seiten über Harry waren angenehm warm, als er sie berührte. Etwas später Remus‘ Namen zu lesen verblüffte ihn. Bei ihm war er ebenfalls der Meinung, dass er ihn aus den gleichen Gründen wie auch Poppy und Minerva unterbewusst zu seinen Freunden zählte – sie waren ihm wohlgesinnt, waren freundlich und ließen sich nicht durch seine Boshaftigkeiten aus der Ruhe bringen.

Es gab ein Kapitel, das mehrere Personen auf einmal behandelte. Eine Zusammenfassung von Menschen, die sich in Zukunft möglicherweise ein eigenes Kapitel erkämpfen könnten, je nachdem, wie sehr er mit ihnen zu tun haben würde. Dort waren Menschen aufgelistet wie Septina Vektor, Georgi Popovich, Eldred Worple, Kôji Takeda und sogar Neville Longbottom. Kollegen und Bekannte, mit denen er durch mehr als nur gemeinsame Interessen eine Verbundenheit verspürte; Menschen, die er mit seinem verkümmerten Ich zu mögen begann.

Das letzte Kapitel in diesem Buch handelte von Hermine. Es war die wärmste Stelle. Liebevoll strichen seine Finger über die Buchstaben. Jedes der Kapitel war in einer anderen Schriftart verfasst, so auch dieser Text. Bei dem Buchstaben „g“ musste er kräftig schlucken, denn dessen kleine Variante wies die bauchig weiche Form auf, die er von Hermines Handschrift kannte. Ihr Kapitel war ebenfalls nicht beendet. Etliche weiße Seiten wollten in Zukunft beschrieben werden.

Ehrfürchtig schloss er das Buch und legte es zurück an seinen Platz, bevor er es mit dem Samttuch bedeckte. Kaum hatte er sich einen Schritt davon entfernt, legte sich wieder der gläserne Schutzkörper über das Buch der Freunde; dem wertvollsten Band in der Bibliothek seines Lebens.

Severus trat wieder hinaus auf den Korridor, dessen unzählige Türen ihn entmutigten. Es stellte sich ihm die Frage, wie er das Tier finden sollte. Zudem wusste er nicht, ob es sich hier frei bewegen konnte, vielleicht sogar vor ihm floh. Möglicherweise hielt es sich jetzt in der Bibliothek auf, in dem Wissen, dass er dort nicht ein zweites Mal suchen würde. Vielleicht konnte es aber nicht denken, weil es nur ein Tier war, dessen Handeln durch Instinkte geleitet wurde? Verzweifelt stieß er nach und nach die vielen Türen auf und traf auf Landschaften, Gebäude und andere Orte, die er bestens kannte. Das Haus seiner Eltern, Malfoy Manor, Hermines Apotheke, Hogwarts. In einigen hielten sich Personen auf, die wie in Erinnerungen üblich nicht mit ihm interagierten, sondern längst vergangene Momente nachspielten. Manchmal sah er Tiere wie Krummbein, Fawkes, Harry oder Fellini, doch sie waren nicht greifbar; sie waren nur Erinnerungen.

Systematisch stieß er nacheinander Türen auf und warf einen Blick in den Raum dahinter, ohne sich von dem, was er sah, berühren zu lassen. Nur wenn er Lily sah, verweilte er einen kurzen Augenblick länger, um sie zu betrachten, doch von seiner Suche hielt ihr gedankliches Bildnis ihn nicht ab.

Als er den Augenblick fand, in dem Hermine und er Magie ausgetauscht hatten, näherte er sich dem Spektakel mit Bewunderung. Er betrachtete diese Erinnerung aus anderer Perspektive, denn er konnte sich selbst sehen und die Farbe, die ihre Hände an seiner Brust zum Vorschein brachten.

Von diesem eben neu erlebten Gedanken wieder motiviert setzte er seine Suche fort. Keine Tür war vor seinem Blick sicher, selbst wenn sich dahinter unangenehme Erinnerungen befanden wie die mit Potter und Black, als sie ihm vor versammelter Schülerschaft die Unterhose ausgezogen hatten.

Nachdem er diese letzte Tür peinlich berührt wieder geschlossen hatte, atmete er tief durch. Er ahnte, dass er auf der falschen Spur war; dass er die Suche falsch anpackte. In diesem Korridor befanden sich nur Momente, an die er sich lebhaft erinnern konnte, ohne sie auffrischen zu müssen. Er musste ganz woanders suchen – in Gegenden, die ihm selbst fremd waren.

Den anderen Türen schenkte er keine Aufmerksamkeit mehr, als er schnellen Schrittes den Korridor entlangmarschierte. In dieser Zeit wurde er sich darüber klar, dass er sich nun – so seltsam sich das auch anhören mochte – bewusst in seinem Bewusstsein befand. Man könnte es mit Legilimentik am eigenen Geist beschreiben, mit der man an der Oberfläche kratzte. Er wurde das Gefühl nicht los, dass sich Narzissa auf genau diese Art und Weise in ihren eigenen Erinnerungen befunden haben musste, als sie von der Einsamkeit dazu getrieben worden war, sich mit sich selbst zu befassen. Die Erinnerungen, die nicht mehr in ihre neue Welt passten, hatte sie aus dem Bewusstsein verdrängt und woanders abgelegt.

Der Korridor wollte gar kein Ende nehmen. So hatte Severus Zeit, sich ein paar Gedanken zu machen.

Erinnerungen von anderen Menschen konnte man leicht ausspähen, indem man einfach eine dieser Türen öffnete und sich an fremden Rückblicken vergriff. Ein Vergissmich würde den Inhalt des Raums hinter einer solchen Tür gnadenlos löschen oder mit einem Zauber schützen, so dass auf diese Erinnerung nicht mehr zugegriffen werden konnte. Der Unterschied war nur, dass nicht jeder seine Gedanken so wie Severus abgelegt hatte. Manch einer stellte sich die eigenen Erinnerungen wie unzählige Seifenblasen vor, die besonders bei unordentlich veranlagten Menschen wild durcheinander schwirrten und manchmal nicht einmal einem Lebensabschnitt zugeordnet werden konnten. Als er damals in die Gedanken von Blacks jetziger Ehefrau eingedrungen war, fand er ein sich unglaublich schnell drehendes Karussell vor, das er nur mit Hilfe von Narzissa zu betreten imstande war. Hier in seinem Korridor wurden jene Erinnerungen aufbewahrt, die immer wieder abgerufen werden konnten – sogar aus dem Kopf hinausgenommen werden konnten, um sie in einem Denkarium abzulegen. Er hielt sich momentan in seinem ungetrübten Bewusstsein auf und musste unbedingt einen Weg finden, um ins eigene Unterbewusstsein zu gelangen. Nur dort konnte sich das Tier aufhalten, das er suchte. Das Tier, das er nicht kannte.

Myriaden von Türen später stand Severus vor einem unscheinbaren Loch im Boden, durch das ein erwachsener Mann geradeso hindurchpassen könnte. Die Ungewissheit, die ihn dort unten erwartete, ließ ihn unbeweglich verharren. Nicht einmal er selbst wusste, mit welchen Abgründen er zu rechnen hatte. Dort unten in der Lichtlosigkeit würden abscheuliche Dinge auf ihn warten. Erinnerungen, die er eines Tages aus gutem Grund verdrängt hatte. Gebilde und Gestalten aus nicht nur vergangenen, sondern aus vergessenen Tagen und selbst seine Alpträume und übelste Fantasien würden dort in diesem Loch, als wären sie darin wie in einem Müllschlucker entsorgt worden, auf ihn warten. Es war ihm unheimlich zumute, an dieser Schwelle zu stehen, die ihn von manifestierten Kindheitsängsten und urgeschichtlichen Trieben vom klaren Bewusstsein trennte.

„Reiß dich zusammen!“, fluchte er in Gedanken. Er durfte keine Angst vor sich selbst haben, denn auch dieser Teil seines Erinnerungsvermögens war ein Teil von ihm. Trotzdem fürchtete er sich.

Jedes Gefühl von Unbehagen schüttelte er so gut es ging von sich, bevor er sich niederkniete und die Beine in das Loch steckte. Vorsichtig ließ er sich in die Dunkelheit hinab, doch er fühlte keinen Boden unter den Füßen. Ohne einen Gedanken daran zu verschwenden, ob er sich verletzten könnte, ließ er los.

Er fiel und fiel. Das Gefälle seiner verderblichen Seite führte sehr steil hinab.

Zu seinem Erstaunen landete er lautlos und unverletzt auf einem Boden, der mit einer matschigen Substanz überzogen war, die er nicht genauer in Augenschein nehmen wollte. Hier unten gab es keine sichtbaren Türen. An diesem Ort war nichts methodisch angeordnet, es gab nicht einmal genügend Licht, um die Umgebung erkennen zu können. Nur manchmal, in weiter Ferne, flackerte etwas Unheilvolles auf und verschwand sofort wieder. Behutsam setzte er einen Fuß vor den anderen, als er hinter sich ein animalisches Röcheln hörte – wie von einem Tier, das große Schmerzen erlitt. Angsterfüllt drehte sich Severus um. Eines dieser Lichter flackerte in diesem Moment auf.

Er sah sich selbst, gekleidet in der Schuluniform. Der Magen drehte sich ihm um, als er das unten am Boden liegende Stück Fleisch sah, das den sandigen Grund unter sich aufweichte, weil es aus allen Poren zu bluten schien, doch beim näheren Hinsehen stellte sich heraus, dass es gar keine Poren mehr haben konnte. Severus erinnerte sich erst jetzt, als er dieses Szenario sehen musste, an seine Rachegelüste, die er sich als verängstigter Jugendlicher in übertrieben endgültiger Art in seiner Fantasie ausgemalt hatte. Wie oft hatte er sich nach dem Vorfall mit dem Werwolf vorgestellt, Lupin zu häuten? Hier sah er eine der unzähligen Varianten. Der junge Severus hatte dem Werwolf im wahrsten Sinne des Wortes das Fell über die Ohren gezogen, das er nun triumphierend in die Höhe hielt, während die am Boden liegende Bestie langsam erstarb. Das war damals seine Art gewesen, den durch Black inszenierten Vorfall, den er um Haaresbreite mit dem Leben bezahlt hätte und die darauf resultierende Angst vor dem Werwolf zu verarbeiten und zu bekämpfen, gleichzeitig auch Rache zu üben, wenn diese auch nur erdacht war. Hauptsache ein kleines bisschen Genugtuung für die ganzen Ungerechtigkeiten, die ihm die Rumtreiber zuteilkommen ließen. Ein wenig Mord und Totschlag in Gedanken.

Ein Schuldgefühl übermannte Severus, als er sich ins Gedächtnis zurückrief, dass er erst noch vor einigen Minuten von Remus als Freund gelesen hatte. Der Schauplatz des imaginären Mordes verschwand und Severus tappte erneut im Dunkeln. Über unebenen Boden staksend versuchte er die Bilder zu ignorieren, die neben ihm dämmrig an Gestalt annahmen. Da waren Fantasien von ihm und Narzissa, wie sie in fleischlicher Lust aneinander hielten. Auch wenn er diese Art von pubertären Gedanken wahrscheinlich mit jedem seiner damaligen männlichen Mitschüler teilen konnte, schämte er sich jetzt für sie. Als Schüler hatte er sie nicht einmal geliebt, sondern nach dem Erwachen der eigenen Männlichkeit lediglich körperlich begehrt. Jeder Heiler würde das als eine gesunde Entwicklung eines Heranwachsenden abtun, doch ihm waren diese Gedanken im Nachhinein trotzdem peinlich.

Zu gut wusste er noch, dass sich Albus ebenfalls in seinem Unterbewusstsein umgeschaut hatte, um seine Loyalität zu prüfen. Severus hatte damals gar nicht erst versucht ihn aufzuhalten. Der Direktor war allein in Severus‘ seelischen Abgründen umhergewandelt.

An die Dinge, die er hier in seinem Unterbewusstsein fand, konnte er sich erst wieder erinnern, nachdem er einen Blick auf sie geworfen hatte. Eine seiner damaligen Fantasien ließ ihn innehalten. Neugierig betrachtete er eine seiner ehemaligen Überlegungen, wie der Sectumsempra-Fluch wirken könnte. Als imaginäre Versuchskaninchen mussten damals natürlich Potter und Black herhalten. Den Fluch hatte er nie selbst an einer Person ausprobiert, konnte aber das erste Mal dessen Auswirkungen mit eigenen Augen sehen, als Harry so frei gewesen war, Draco damit zu malträtieren.

Die längst verdrängten Alpträume über Voldemorts Herrschaft ignorierte Severus. Trotzdem konnte er nicht anders als sich umzudrehen, wenn er einen Schrei vernahm. Auch den lustbetonten Traum mit Bellatrix, den er einmal als junger Mann gehabt hatte, strafte er mit Nichtachtung.

Aufmerksam wurde er erst bei einer Erinnerung seines Elternhauses in Spinner’s End. Er sah sich selbst als Jungen – schon damals ganz in Schwarz gekleidet –, der dem Vater mit betretener Miene ins Wohnzimmer folgte. Tobias Snape stellte eine Flasche Whisky auf dem Tisch ab und setzte sich, winkte dann den jungen Severus zu sich heran, weil er neben ihm Platz nehmen sollte.

Da sich Severus an dieses Szenario nicht mehr entsinnen konnte, beobachtete er es sehr genau. Sein Vater trug ebenfalls schwarze Kleidung und da fiel es Severus wie Schuppen von den Augen. Es war der Tag, an dem seine Mutter beerdigt worden war. Severus sah den Schmerz in den Augen seines Vaters, der nun einen Arm um den Jungen legte und ermutigend zudrückte. Severus war damals erst zwölf oder dreizehn Jahre alt gewesen.

„Jetzt sind nur noch wir beide übrig“, murmelte sein Vater monoton und entkräftet. „Wir werden das Kind schon schaukeln, Severus. Wirst schon sehen, es wird alles gut.“

An seinen Vater hatte er nur schlechte Erinnerungen und zudem sehr vage; diese zählte nicht zu ihnen, was kein Wunder war, denn sie befand sich in seinem Unterbewusstsein. Offensichtlich war sein Vater nicht immer schlecht zu ihm gewesen, doch die negativen Erinnerungen überwogen.

Severus beobachtete, wie sein Vater nach der Flasche griff und sein junges Ich sie ihm entriss. Erstaunt blickte Tobias Snape neben sich, begann kurz darauf langsam zu nicken.

„Vielleicht hast du Recht, ich sollte damit aufhören.“

Sein Vater hatte nie Versprechungen gemacht, demzufolge auch keine gehalten, das wusste Severus. Keine Woche war nach dem Tod seiner Mutter vergangen, da hatte Tobias Snape wieder Trost im Alkohol gesucht. Von seinem Vater angewidert wandte sich Severus ab, um weiter durch das Dunkel seines seelischen Kellers zu wandeln.

Von angsteinflössenden Alpträumen, brutalen Rachevorstellungen und wollüstigen Fantasien ließ er sich nicht mehr ablenken, so wie es Minerva ihm geraten hatte. Sein Ziel war das Tier, das sich hier aufhalten musste. Langsam kamen ihm Zweifel, ob es überhaupt ein Tier gab. Möglicherweise war es doch nicht jedem Zauberer und jeder Hexe vergönnt, zu einem Animagus zu werden. Die Gestalt des Tieres war Severus egal. Er wollte Hermine nicht enttäuschen, selbst wenn er es nur zu einer Schnecke bringen würde.

Als Severus an seiner Mutter vorbeikam, die ein vielleicht zweijähriges Kind – ihn – in den Armen hielt und den kleinen Kopf mit den schwarzen Haaren mit Küssen bedachte, konnte er seinen Blick von all der Liebe nicht mehr abwenden. Er hatte sich immer danach gesehnt, sich an solche Momente erinnern zu können, aber es hieß, dass Kinder erst ab dem dritten Lebensjahr dazu in der Lage wären. Hier in seinem Unterbewusstsein war das Andenken an seine liebevolle Mutter lebendig und fand zudem einen Weg in sein Bewusstsein. Es störte ihn auch nicht, dass sein Vater die Szenerie betrat und unverhofft genauso fürsorglich mit ihm umging. Wie paralysiert nahm er die Eindrücke in sich auf, bis er seltsame Geräusche hörte.

Knurrende und krächzende Laute waren zu vernehmen. Das Geräusch war nahe; direkt hinter ihm. Es konnte sich nur um das Tier handeln, das ihn gefunden hatte.

Langsam, damit er es nicht erschrecken würde, drehte er sich um. Ein eineinhalb Meter großes Tier schaute ihn mit durchdringendem Blick an. Die nackte Haut um die Augenpartie war rötlich umrandet, das Haupt von grauer Farbe und die Brust etwas heller. Erst zum Rumpffortsatz hin wurden die Farben merklich dunkler, bis sie sich im Schwarz der Umgebung verloren. Das Tier wirkte durch die natürliche Form der Mundpartie sehr gestreng, geradezu ernst und durch den festen Blick sehr wachsam. Auf zwei langen kräftigen Beinen, deren obere Hälfte dunkel umkleidet war, stand es vor ihm und blickte neugierig und furchtlos zu ihm auf.

Severus hatte seine Animagusgestalt gefunden und sie war in seinen Augen von majestätischer Anmut.


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