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Harry Potter und die Schatten der Vergangenheit - Das innere Wesen

von Muggelchen

Als Harry mit Albus auf den Lehrertisch zusteuerte, bemerkte er bereits einige Kollegen und Angestellte, darunter Hagrid, der ganz außen saß und Filius gleich daneben, aber auch Minerva wartete bereits darauf, dass endlich ihr Gatte neben ihr Platz nehmen würde. Noch bevor sie in Hörweite waren, richtete Albus das Wort an ihn.

„Harry, Gerüchte können sich genauso unaufhaltsam verbreiten wie Krankheiten. Die einzige Heilung wäre, das Übel an der Wurzel zu packen.“
„Ich frage Severus nicht, ob es wahr ist! Er glaubt nachher noch, ich hätte das Gerücht überhaupt erst in die Welt gesetzt.“
„Sicherlich würde ich der Erste sein, der erfahren wird, ob etwas an dem Gerede wahr ist, denn er wird kündigen müssen.“

Harry nickte, sagte jedoch nichts mehr, weil sie nun den Tisch erreicht hatten. Septina, Pomona und Rolanda, die mit einigem Abstand Albus und Harry gefolgt waren, tuschelten noch, während sie die große Halle durchschritten. Kaum hatten sie sich zwischen die anderen Kollegen gesetzt, informierten sie die, die rechts und links neben ihnen saßen, was Harry mit einem flauen Gefühl in der Magengegend beobachtete. Die Besenflug-Lehrerin hatte sich zu Filius gebeugt, Pomona flüsterte Poppy etwas ins Ohr und Septina unterrichtete Remus, aber bestimmt nicht im Fach Arithmantik, sondern über den neuesten Klatsch.

„Herrje“, murmelte Harry, der das Schauspiel um sich herum noch einen Moment beobachtete und der festen Überzeugung war, dass seine Kollegen viel schlimmer tratschen konnten als die Schüler.

Hinten hörte man leise eine Tür ins Schloss fallen. Ausnahmslos jeder am Lehrertisch drehte sich um, weswegen Severus für einen Moment strauchelte und hinter sich blickte, um zu schauen, ob seine Kollegen vielleicht auf jemand anderen ihr Augenmerk gerichtet hatten, doch hinter ihm war niemand. Unsicher strich er sich über die Brust, um aus lauter Verlegenheit seinen Umhang glattzustreichen, bevor er den leeren Stuhl zwischen Harry und Remus anvisierte. Die starrenden Kollegen ignorierend setzte er sich.

Für die anderer Lehrer hörbar fragte Remus Severus sofort: „Ist das Gerücht wahr?“ Hagrid, ganz am Ende eines Tischendes, horchte auf.

Einen Moment lang überlegte Severus, welches Thema ihn betreffend seine Kollegen so sehr interessieren könnte, bis er sich darüber klar wurde, dass es sich nur um berufliches Interesse handeln könnte. Womöglich hatte Draco absichtlich oder unabsichtlich verlauten lassen, dass er bei dem Erstellen eines Kündigungsschreibens geholfen hatte, woraus man schließen konnte, dass Severus demnächst seine Stelle als Lehrer aufgeben würde. So oder so würde er Draco dafür einen Satz heiße Ohren verpassen – natürlich nur mit einem relativ harmlosen Fluch, der ein wenig zwicken und kribbeln sollte.

„Ja, es ist wahr.“ Severus hatte für alle deutlich, aber desinteressiert geantwortet.
Hagrid schien aus allen Wolken zu fallen. „Dann sind Sie wirklich ein Vampir?“

Offenbar war die neue Kunde noch nicht bis zum Ende des Tisches gelangt. Severus rollte mit den Augen, doch Filius nahm es ihm ab, darauf zu antworten.

„Nicht das Gerücht, du großer dummer Zausel! Severus wird hier aufhören“, hörte man den kleinwüchsigen Lehrer für Zauberkunst mit seiner hohen Stimme klarstellen.
„Tatsächlich? Aber warum? Gefällt‘s Ihnen hier nich‘ mehr?“

Hagrid war lieb und nett, aber von Feingefühl verstand er wenig. So konnte er Severus‘ ablehnende Körpersprache, die für alle anderen deutlich zeigte, dass er darüber nicht reden wollte, leider nicht interpretieren. Filius war so frei, Hagrid in ein Gespräch über Tiere zu verwickeln, um ihn vom momentanen Thema abzulenken. Auch sonst hakte niemand mehr nach, nicht einmal Albus, der jedoch einige Male einen Blick zu Severus hinüberwarf.

Harrys Stimme war nur unmerklich lauter als das Geräusch, das sein Messer verursachte, während es die kross gebackene Kruste des überbackenen Camemberts durchschnitt. „Ich hab es von einer Schülerin gehört.“
Severus horchte auf. „Und da dachtest du, jeden anderen zu fragen würde dir schneller eine Antwort bringen, als zu mir zu kommen?“
„Nein, ich wollte nur …“ Harry musste sich eingestehen, dass Severus Recht behielt. Er hätte ihn fragen sollen.
„Es kommt mir gelegen, dass jeder von meiner bevorstehenden beruflichen Luftveränderung zu wissen scheint. Das erspart mir eine von Albus gemachte Ankündigung im Lehrerzimmer.“
Von Severus‘ anderer Seite kam plötzlich die Frage: „Was machst du danach?“ Remus blickte ihn interessiert an, während er auf die Antwort wartete.
„Muss ich darauf wirklich antworten?“
„Nein“, versicherte Remus grinsend, „ich wollte nur meine Vermutung bestätigt wissen, aber ich kann auch warten, bis ich es mit eigenen Augen sehen.“ Schmunzelnd machte er sich über die Fleischplatte her.
„Dann fängst du bei Hermine an?“ Nach seiner Frage schob sich Harry ein Stück von dem Camembert in den Mund, bevor er mit offenem Mund hechelte, weil der Käse noch so heiß war. Severus bestätigte die Frage mit einem Kopfnicken, woraufhin Harry wissen wollte: „Als Angestellter?“
Severus senkte sein Besteck und blickte ihn ungläubig an. „Ich würde mich mit meinen Referenzen nur ungern in einen Angestelltenstatus begeben.“
Harry kam nicht dazu, eine weitere Frage zu stellen, denn Albus beugte sich am Tisch vor und fragte an Minerva vorbei: „Severus, wie wäre es heute nach dem Unterricht mit einem Tässchen Kaffee?“
„Ich habe heute keine …“
„Es wird nicht lange dauern, mein Guter. Ich denke, es liegt ohnehin in deiner Absicht, mir etwas zu überreichen.“

Seufzend stimmte Severus zu, bevor er endlich dazu kam, sich etwas von dem Käse aufzutun, an dem Harry sich bereits den Mund verbrannt hatte.

In Malfoy Manor dauerte es noch eine halbe Stunde, bis das Mittagessen fertig sein würde, das hatte Lucius zumindest von Narzissa erfahren, die zusammen mit ihrer Schwiegertochter in der Küche stand und kochte, dabei auch noch Spaß zu haben schien. Lucius sprach selten mit der Frau seines Sohnes, die er in Gedanken noch immer Miss Bones nannte. Die Zeit vertrieb er sich damit, die wartenden Posteulen in der kleinen Anflugstelle neben dem Haus von ihrer Last zu befreien. Ein Streifenkauz hatte ihm doch tatsächlich in den Daumen gebissen. Wütend stupste er ihn mit seinem Gehstock an, doch das Tier flog nicht weg. Viele der fremden Vögel blieben beharrlich auf den Stangen der hauseigenen Eulerei sitzen, die er damals, als er noch Hauselfen besaß, höchstens einmal im Jahr freiwillig betreten hatte. Seiner Meinung nach war dieser Ort viel zu verdreckt, als dass jemand mit seinem Ansehen sich hier aufhalten sollte.

„Was denn?“, keifte er die sturen Tiere an, bis ihm einfiel, dass sie wohl auf Bezahlung, zumindest aber auf ein wenig Wegzehrung hofften.

Aus der Geldbüchse, die sein Sohn hier oben verstaut hatte, entnahm er eine Hand Galleonen. Sofort kam eine der Eulen zu ihm geflogen und scharrte einmal mit dem Füßchen. Ihr steckte er eine Galleone in das kleine Säckchen am Fuß. Die Eule flog von dannen. So langsam hatte Lucius den Dreh mit den Vögeln raus. Sie scharrten so oft mit ihren Krallen – manche jedoch schuhuten –, um die Anzahl der Galleonen mitzuteilen, die er ihnen schuldig war.

Die neun Eulen plus des frechen Kauzes bekamen ihre Bezahlung und verschwanden. Nur zwei Eulen bestanden auf Wasser und ein paar Körnern, weil sie von dem weiten Weg zu erschöpft waren. Per Zauberstab war die Verpflegung schnell erledigt, so dass Lucius diesen dreckigen Ort mit gerümpfter Nase flugs verlassen konnte.

Sein Weg führte ihn über einige Natursteine, die im Rasen eingelassen waren. Es war der kürzeste Weg von der Eulerei zurück zum Haus, den er allerdings kaum kannte. Erfreut war er über die blühenden Narzissen und die Maiglöckchen, die ringsherum aus dem Boden sprossen. Ein paar wilde Grasnelken hatten sich auf der sonst so gepflegten Grünfläche ausgebreitet. Ihre rosafarbenen Blüten harmonierten farblich mit den weißgelben Osterglocken, von denen er mit Hilfe seines Zauberstabes sieben pflückte, um sie seiner Frau zu mitzubringen.

Zurück im Haus suchte er den Raum auf, der mit der Küche verbunden war. Das eigentliche Esszimmer lag einige Räume weiter, doch es wurde schon lange nicht mehr benutzt. Künftig die Mahlzeiten hier in der Nähe der Küche einzunehmen war Narzissas Vorschlag gewesen, dem Lucius nur knurrend zugestimmt hatte. Die Hauselfen fehlten hinten und vorne. Mit denen war es nie ein Problem gewesen, die Mahlzeiten von der Küche ins Esszimmer zu bringen, ohne dass es auf dem Weg dorthin kalt wurde.

In eine der kostbaren Vasen füllte er mit einem Aguamenti-Zauber etwas Wasser, bevor er die sieben Narzissen hineinstellte. Mit der Post in der Hand begab er sich zu dem Sessel am Kamin. Die Tür zur Küche hatte er im Blickfeld. Sie war nur angelehnt, weil seine Schwiegertochter das Kind immer in der Nähe hatte, so auch diesmal. Das Kinderbettchen stand natürlich nicht direkt in der Küche, sondern hier bei Lucius im Raum. Trotz der nicht gerade leisen Geräusche, die aus der Küche kamen, schien Charles fest zu schlafen, denn man hörte keinen Mucks aus der Wiege. Vielleicht war das so, dachte Lucius, weil das Kind die Stimme seiner Mutter vernehmen konnte. Lucius konnte sich noch daran erinnern, dass er selbst als Kind immer schnell eingeschlafen war, wenn seine Mutter ihm eine Gutenachtgeschichte vorgelesen hatte – nicht wegen des Inhalts, sondern wegen ihrer warmen Stimme.

Durch die angelehnte Tür strömte ein appetitanregender Duft. Mit Vorfreude auf das Mittagessen ging Lucius die Post durch. Es war ernüchternd, dass die meisten Briefe an seinen Sohn adressiert waren, selbst die von seinen ehemaligen Geschäftspartnern. Einige waren für die neue Mrs. Malfoy und nur einer für Narzissa; der stammte von ihrer Schwester. Ein Brief war an ihn selbst gerichtet. Er war vom Mungos und beinhaltete sicherlich eine Rechnung. Dem Ministerium würde er zutrauen, dass man ihn an seinen Behandlungskosten teilhaben ließ. Den Brief öffnete Lucius nicht, denn Rechnungen waren die Angelegenheit seines Sohnes. Das nächste Mal, das nahm er sich fest vor, würde er sich nicht mehr um die Post kümmern, wenn für ihn schon nichts dabei war. Nachdem er die Post auf ein Beistelltischlein abgelegt hatte, betrachtete er die Blumen, die er für Narzissa besorgt hatte, bevor ihn nicht zum ersten Mal an diesem Tag die Langeweile übermannte.

In Gedanken malte er sich aus, wie er in Zukunft seine Zeit verbringen könnte. Die Idee, sich erneut im Ministerium zu bewerben, hatte er sich schnell wieder aus dem Kopf geschlagen. Damals war es für Voldemort von Vorteil gewesen, einen Verbündeten in der Politik zu haben, der den Minister um den Finger wickeln konnte. Bei Fudge war Lucius diese Aufgabe nicht einmal schwergefallen. Mit all dem Reichtum war der Minister leicht zu beeindrucken. Lucius konnte sich nicht einmal mehr daran erinnern, was überhaupt seine Aufgabe im Ministerium gewesen war – außer natürlich der Aufgabe, für Voldemort zu agieren. Keiner der Malfoys hatte es je nötig gehabt zu arbeiten. Geschäftemacherei in Form von Krediten oder Unternehmensbeteiligungen hatten die Männer in seiner Familie eher als eine Art Zeitvertreib gesehen. Die Verliese platzten damals schon aus allen Nähten. Heute waren die malfoyschen Räume bei Gringotts noch immer bis zum Rand gefüllt mit Galleonen und anderen Schätzen, doch all das gehörte nicht mehr ihm, sondern seinem Sohn. Rein theoretisch müsste er sich eine Arbeit suchen, um für sein Leben und das seiner Gattin aufkommen zu können, doch Draco war so freundlich, für seine Eltern zu sorgen. Lucius fühlte sich nutzlos.

Missgelaunt schnaufte er, bevor er einen sehnsüchtigen Blick in Richtung Küche warf. Die Essenszeiten waren etwas Besonderes, weil es dann weniger langweilig war. Erschrocken stellte Lucius fest, dass er so ähnlich schon einmal gedacht hatte. Zu dieser Zeit war er allerdings noch Patient im Mungos.

„Verflucht nochmal“, murmelte er griesgrämig. Er würde bald fünfzig Jahre alt werden. ‘Jung‘, verbesserte er in Gedanken. Mit einer bei Zauberern üblichen Lebenserwartung mit bis an die 200 Jahre waren fünfzig Jahre noch gar nichts. Er würde bald ein halbes Jahrhundert alt sein und hätte in seinem Leben nichts vorzuweisen. „Verdammt“, grummelte Lucius, bevor Worte folgten wie „bemitleidenswert“, „armselig“ und sogar „schändlich“.

Erinnerungen an vergangene Geburtstagsfeiern frischten auf. Von allen Gästen, die ihm damals einmal im Jahr die Ehre erwiesen hatten, gab es heute nur noch einen und das war Severus. Bei ihm war er sich überhaupt nicht sicher, ob der einer Einladung heute noch folgen würde. Auf Lucius‘ imaginärer Geburtstagsfeier, die er sich in Gedanken ausmalte, saß er allein mit einer Flasche Feuerwhisky am Kamin und betrank sich. Anders würde es sehr wahrscheinlich auch nicht kommen, vermutete er.

Von einem Glucksen wurde Lucius aus seinen Gedanken gerissen. Der Junge in der Wiege war offenbar erwacht. Dem Glucksen folgte ein Wimmern und bevor das zu einem Weinen heranwachsen konnte, war Lucius schon bei ihm.

„Was ist denn los?“, fragte er mit hoher, sanfter Stimme. Charles verzog den Mund und die Lippen bebten. Der Junge war kurz davor, in Geplärr auszubrechen, doch das würde er verhindern, dachte er sich, als er das Bündel auf den Arm nahm. Mit gekräuselter Nase nahm Lucius einen stechenden Geruch wahr. „Oh ja“, sagte er verständnisvoll zu dem Jungen, „wenn ich so einen Gestank verbreiten würde, wäre mir auch zum Weinen zumute.“ Nachdem sich Lucius mit Charles im Arm umgedreht hatte, um das nächste Badezimmer aufzusuchen, erschrak er, denn seine Schwiegertochter stand hinter ihm. Sie trocknete sich die Hände an einem Handtuch.
„Entschuldigen Sie, ich wollte Sie nicht erschrecken. Ich dachte, ich hätte ihn weinen hören.“
„Geweint hat er nicht“, beteuerte er. Ihm sollte niemand nachsagen können, dass er das Kind sich selbst überlassen würde.
„Ist die Windel voll?“, wollte Susan wissen. Sie streckte bereits ihre Arme aus, um ihr Kind entgegenzunehmen, doch Lucius gab den Jungen nicht her.
„Ich kümmere mich darum“, versicherte Lucius. „Es wäre freundlich von Ihnen, wenn Sie sich weiterhin um das Mittagessen sorgen könnten. Langsam aber sicher könnte ich einen Happen vertragen.“
An den kühlen Tonfall hatte sich Susan längst gewöhnt, auch wenn sie es schade fand, dass in ihrem neuen Zuhause so eine familiäre Kälte herrschte. „Es dauert nicht mehr lange, Mr. Malfoy.“

Lucius nickte ihr zu und verließ den Raum. Der Hauch eines unangenehmen Geruchs lag im Zimmer, der Susan bestätigte, dass die Windeln tatsächlich gewechselt werden mussten. Mit einem Wink ihres Stabes sorgte sie für einen dezenten Rosenduft, bevor sie zurück in die Küche ging. Der Strauß Narzissen war ihr nicht entgangen.

„Dein Mann hat dir Blumen aus dem Garten mitgebracht“, sagte Susan mit einem Schmunzeln, bevor sie sich wieder daran machte, das fertige Essen in Schalen umzufüllen, die sie auf den Tisch stellen wollten.
„Blumen? Wie lieb von ihm. Wo ist er?“
„Mit Charles im Bad.“
„Er scheint seinen Enkel sehr zu mögen“, sagte Narzissa mit Bedauern, weil es nicht auch so bei Susan sein konnte.

Über dem Wickeltisch im geräumigen Badezimmer hing ein Spielzeug, an dessen drei Fäden eine Rassel, ein quietschendes Entchen und ein Spiegel befestigt waren. Charles konnte es, wenn er seine kleinen Arme ausstreckte, noch nicht erreichen, obwohl er es versuchte, aber seine wachen Augen war auf die drei bunten Dinge gerichtet, die bewegungslos über seiner Nase hingen. Mit seinem Zauberstab beförderte Lucius die schmutzige Windel per Evanesco gerade ins magische Nirwana, ging dabei einen Schritt zurück, um sich nicht versehentlich zu beschmutzen, da bewegte sich plötzlich die Rassel, die der Junge mit seinen Augen fixiert hatte. Charles giggelte und ruderte fröhlich mit den Armen, während Lucius beinahe die Augen aus dem Kopf fielen. Um zu prüfen, ob das kein Zufall gewesen war, wutschte Lucius mit seinem Stab, damit die Rassel wieder still wurde. Obwohl sein Magen knurrte, nahm sich Lucius einen Moment Zeit, um das Baby zu beobachten. Charles blickte so starr auf das Spielzeug über sich, dass man meinen könnte, er würde es hypnotisieren wollen. Lucius sprach das Ereignis einem Zufall zu und fuhr mit seiner Aufgabe fort. Gerade schon wollte er dem Jungen die frische Windel anlegen, als die Rassel erneut ihre vertrauten Geräusche von sich gab, woraufhin Charles glücklich quiekte. Lucius ging den einen Schritt auf den Wickeltisch zu und beugte sich über das Kind.

„Sowas, sowas, sowas.“ Von dem breiten Lächeln auf dem Kindergesicht ließ sich Lucius gern anstecken. „Was werden sie mich beneiden, wenn ich ihnen das erzähle“, sagte er zu dem Kleinen, während er die neue Windel befestigte. „Nicht die Frau Mama, nicht der Papa“, er zog dem Jungen den Strampelanzug über die Windel, „sondern der ungeliebte Großvater hat deinen ersten Spontanzauber miterleben dürfen.“

Das letzte Knöpfchen war geschlossen. Lucius nahm den Jungen auf den Arm. Ein zufriedenes Lächeln hatte sich auf beiden Gesichtern niedergelassen, als sie den Rückweg antraten.

„Das werde ich den beiden gleich brühwarm erzählen!“
„Was willst du uns erzählen?“, fragte Narzissa, die bereits am Tisch saß und das Essen auftat. Susan saß neben ihr und beäugte ihren Jungen.
„Ich durfte eben dabei sein, als Charles von seinem langweiligen Spielzeug offenbar genug hatte und es dazu brachte, sich von allein zu bewegen.“
„Nein wirklich?“ Beide Frauen waren ganz aus dem Häuschen.
„Wenn ich es doch sage! Die Rassel hat es ihm angetan. Hörte sich wie eine junge Klapperschlange an. Vielleicht kommt er eines Tages nach Slytherin?“ Gut gelaunt legte Lucius den Jungen zurück in die Wiege, bevor er neben seiner Frau Platz nahm, die ihm schon reichlich auf den Teller getan hatte. „Das dürfte aber seiner Mutter wenig gefallen, wie ich annehme.“
„Warum nicht?“ Susan zuckte mit den Schultern. „Ich habe immerhin einen geheiratet.“
„Wie wahr …“ Beim Anblick des Schmorbratens, selbst bei dem Duft lief ihm das Wasser im Mund zusammen. „Vielleicht ist die Haarfarbe das Einzige, das er mütterlicherseits geerbt hat? Und selbst da sehe ich bereits ein leichtes Aufhellen.“
„Das bildest du dir ein Lucius“, winkte seine Frau ab.
„Hopfen und Malz scheint bei dem Jungen jedenfalls nicht gänzlich verloren.“

Susan hätte böse sein müssen, aber das beständige Lächeln auf dem Gesicht ihres Schwiegervaters entschärfte die Situation. Trotzdem tat sie beleidigt, aber so, dass beide bemerken mussten, wie sie es vorgaukelte.

„Oh Mr. Malfoy, da tun Sie mir und meiner Familie aber Unrecht, wenn Sie so etwas sagen.“
Lucius legte den Kopf schräg und hob beide Augenbrauen. „Ich drücke mich mal anders aus: Solang der Junge später nicht nach Hufflepuff sortiert wird, kann er mich nicht enttäuschen.“
„Lucius!“, mahnte seine Frau, doch Susan nahm es gelassen.
„Hufflepuff bringt all die freundlichen, loyalen und strebsamen Bürger hervor“, zählte sie bedächtig auf. „Außerdem war ich die Ausnahme meiner Familie. Mein Vater war in Ravenclaw, meinte Tante in Gryffindor.“
„Und die Frau Mutter?“ Über seine Frage stutzte er selbst. „Oh, verzeihen Sie. Ich vergaß, dass Ihre Mutter ein Muggel ist.“
„Das haben Sie vergessen?“, fragte Susan in einem nur ganz leicht provozierenden Unterton nach. „Dabei ging ich davon aus, dass das der Grund für unsere familiären Differenzen ist.“

Die Gabel in seiner Hand ließ Lucius wieder sinken, wie er auch ihre Worte sinken ließ, die ihn nicht einmal aus der Ruhe gebracht hatten. Zu sehr war er von dem Erlebnis mit seinem Enkel fasziniert. Bei Dracos erstem Spontanzauber war er leider gerade bei einem Treffen mit Voldemort gewesen.

„Unsere Differenzen“, begann Lucius wohl überlegt und daher sehr langsam, „sind das Resultat von uralten Traditionen, deren Unantastbarkeit respektlos mit Füßen getreten wurde. Dieser über mehrere Jahrhunderte überlieferte Brauch hat durch diesen abrupten Bruch mit einem Schlag an Bedeutsamkeit verloren. Auf diese Weise wurde er geradezu mit einer solchen Geringschätzigkeit abgetan, dass man meine könnte, die Malfoys hätten seit jeher eine Lächerlichkeit begangen.“

Über eine derart hochgestochene Ausdrucksweise verfügte Susan dank ihrer Arbeit im Ministerium auch und sie war gewillt, genauso geschwollen zu sprechen, als sie ihm die passende Antwort servierte.

„Traditionen werden von neuen Generationen selten einfach hingenommen, sondern in Augenschein genommen, um zu prüfen, ob sie von Nutzen sind oder lediglich das darstellen, was sie oftmals sind und zwar eine überlieferte Gewohnheit, die nur einer Sache zweckdienlich ist: Dem Schutz vor Neuerungen. Dennoch bieten Traditionen keinesfalls Schutz davor, denn ein Wandel findet unabänderlich statt und zwar in der Gesellschaft, die mittlerweile einen großen Schritt in Richtung Zukunft gewagt hat, anstatt sich verunsichert an vergangene Gepflogenheiten zu klammern.“

Narzissa hatte längst mit dem Essen aufgehört und hörte den beiden zu. Beide Seiten konnte sie verstehen. Lucius war in dem Glauben erzogen worden, durch die Einhaltung alter Familienbräuche eine kleine sichere Welt aufrechtzuerhalten, so dass kein Außenstehender in sie eindringen und sie durcheinanderwirbeln konnte. Sie verstand jedoch auch ihre Schwiegertochter, die bei ihrer Familie frei von Zwängen dieser Art aufgewachsen war und daher nichts in dieser Hinsicht vermisste.

„Wollen Sie damit andeuten“, grummelte Lucius verärgert, „dass meine Familie altmodisch sei, nur weil wir das, was unsere Ahnen schon getan haben, in Gedenken an sie weiterführen möchten?“

Hier musste Narzissa schlucken, denn ein lautes Ja als Antwort lag ungehört in der Luft. Susan würde bejahen, das ahnte Narzissa, doch ihre Schwiegertochter wusste auch, dass sie ihre Antwort gut begründen sollte. Diese Frage unbegründet zu bejahen würde bei Lucius nur die Abneigung wachsen lassen, weil er sich darin bestätigt fühlen würde, dass seine Schwiegertochter ihm nicht gewachsen sei.

„Die Ansichten von Verstorbenen müssen nicht zwingend fortgeführt werden, um ihrer weiterhin respektvoll gedenken zu können. Jeder Mensch muss für sich selbst abwägen, was für ihn gewichtiger ist, besonders wenn die Frage aufkommt, lieber eine Tradition zu brechen oder ein Herz.“

Lucius wollte dagegenhalten, doch er rechnete damit, dass Narzissa die von den Eltern arrangierte Hochzeit ihrer Schwester als negatives Beispiel anführen würde, sollte er es wagen, alte Traditionen zu verteidigen. Stattdessen legte er sein Besteck beiseite und entledigte sich seiner Serviette, obwohl er kaum etwas gegessen hatte.

„Wenn die Damen mich entschuldigen würden?“
„Lucius, bitte …“

Den Worten seiner Frau schenkte er keinerlei Beachtung. Stattdessen ging er hinüber zum Kinderbett. Für einen Moment hatte Susan ein schlechtes Gefühl. Narzissa schien es genauso zu gehen.

„Was tust du da, Lucius?“, fragte sie mit etwas Sorge in der Stimme.
„Der Junge hat sicherlich Hunger.“

Schon hatte er ihn aus der Wiege genommen und war in der Küche verschwunden, um ein Fläschchen Babymilch zu holen, die er dem Jungen in aller Ruhe im grünen Salon geben wollte.

Betreten schaute Susan zur Tür hinüber, durch die ihr Schwiegervater mit Charles verschwunden war. Ein Blick hinüber zu Narzissa zeigte, dass auch sie über den Verlauf des Gesprächs nicht gerade glücklich war.

„Entschuldigung“, flüsterte Susan reuevoll.
„Nein nein, keine Sorge. Wenn er nicht sofort antwortet, dann bedeutet das, er wird sich Gedanken über die Unterhaltung machen.“
Susans Augen funkelten. „Wirklich?“
Narzissa lächelte, bevor beide sich wieder ihrem Mittagesen widmeten.

Nachdem sie später den Tisch gemeinsam abgeräumt hatten, schaute Susan die Post durch. Von Draco hatte sie die Erlaubnis, alle Briefe für ihn zu öffnen, falls etwas Wichtiges dabei sein würde. Einer der Briefe, die an sie gerichtet war, war vom Ministerium. Kingsley fragte sie, ob sie nach ihrer Mutter-Kind-Zeit wieder anfangen wollte zu arbeiten oder ob sie noch ein halbes Jahr anhängen wollte. Es war ein privater Brief ihres Kollegen und keinesfalls eine offizielle Anfrage.

„Narzissa?“ Als ihre Schwiegermutter sie anblickte, fragte sie: „Wenn ich wieder arbeiten gehen sollte, würdest du dich um Charles kümmern? Sonst würde ich ein Kindermädchen …“
„Wir kümmern uns um ihn!“, bestätigte die Blonde freundlich lächelnd. „Wozu ist eine Familie da?“
Zufrieden nickte Susan und nahm sich vor, Kingsley nachher zurückzuschreiben, dass sie so schnell wie möglich wieder anfangen wollte, da fiel ihr der Brief in die Hand, der an Lucius adressiert war. „Hier ist ein Brief für deinen Mann. Er hat ihn nicht geöffnet.“
„Zeig mal.“ Den Brief vom Mungos nahm Narzissa entgegen, um ihn zu öffnen. Offenbar hatte sie von ihrem Mann die gleiche Erlaubnis wie Susan von dem ihren. Das zweimal gefaltete Pergament beinhaltete keine Rechnung. „Oh, eine Erinnerung vom Krankenhaus zur Nachuntersuchung. Ich werde es ihm besser geben.“

Am Nachmittag brach ein Gewitter herein. Im Hause Malfoy eines in Form einer hitzigen Diskussion zwischen Lucius und Narzissa über den Sinn und Unsinn von Nachuntersuchungen und über Hogwarts eines, das viele dunkle Wolken und literweise Regen mit sich brachte.

Auf seinem Weg zum Direktorenbüro beobachtete Severus durch die Fenster die wenigen vom Unwetter überraschten Schüler, die über die Wiesen rannten und im Schloss das Trockene suchten. Der steinerne Wasserspeier gab nach genanntem Passwort den Weg nach oben frei. Albus – das konnte Severus schon riechen – erwartete ihn mit Kaffee und frischem Gebäck. Die Tür oben öffnete sich von allein und ließ Severus eintreten.

„Ah, mein Freund. Nimm doch Platz.“ Albus beäugte den Umschlag in Severus‘ Händen, mit dem der Tränkemeister unsicher spielte. „Einen Kaffee nimmst du aber zusammen mit mir ein oder?“
„Ich denke, die Zeit habe ich.“ Severus setzte sich und betrachtete die vielen Kuchenplatten. Nougattorte war mit dabei. Er mochte Nougat. „Und ein Stück davon.“ Er deutete auf entsprechenden Kuchen und überraschte sich damit selbst. Womöglich vermisste er jetzt schon die süßen Angebote des Direktors, obwohl er sie meist abgelehnt hatte.

Ungeniert starrte Albus auf den Brief, den Severus nach einigem Zögern an den alten Zauberer reichte.

„Du ahnst sicherlich, was der Brief beinhaltet.“

Albus nickte, bevor er den Umschlag öffnete und den Brief las. Der Inhalt schien Albus glücklich zu machen.

„Darf ich fragen, wie du deine Zukunft gestalten wirst?“, fragte Albus, der den Brief beiseite legte und den Kuchen auftat.
„Du wirst mich in der Winkelgasse finden.“
„In der Apotheke, nehme ich an?“
„Natürlich!“, erwiderte Severus gereizt, denn er ging davon aus, dass Albus das längst wusste.
Albus hatte die Gelassenheit inne zu lachen. „Es ist gut zu hören, dass du etwas gefunden hast, was dir Freude bereitet. Und es ist freundlich, dass du mir rechtzeitig Bescheid gibst.“
„Es ist vertraglich geregelt, dass eine Kündigung mindestens vier Wochen vorher eingereicht werden muss“, rief Severus ihm ins Gedächtnis.
„Sicher, sicher. Bis zur Frist ist es noch etwas hin, Severus. Ich werde genügend Zeit haben, die Stelle neu besetzen zu können.“
„Ich bin sicher, du findest jemand, der mich ersetzen kann.“
Albus blickte auf. „Ersetzen wird dich niemand können, mein Guter. Es fällt mir keinesfalls leicht, dich gehen zu lassen, aber dein Glück hat Vorrang. Ich habe eine Liste mit Kandidaten, die die Voraussetzungen für die Stelle mit sich bringen. Möchtest du sie sehen?“
„Ja“, erwiderte er knapp.

Er würde gern sehen, wen Albus für die Position als Zaubertränkelehrer vorschlagen würde. Die Liste war im Nu herbeigezaubert und Severus überflog die Namen. Nur zwei kannte er persönlich, die anderen gar nicht, aber eine Person vom Namen her.

„Und wer ist dein Favorit?“, wollte Severus wissen.
Albus atmete einmal durch. „Ich dachte, du könntest mir erst deine Meinung sagen.“
Nochmals blickte Severus auf die Liste, bevor er bei seinem ehemaligen Mitschüler begann. „Popovich hatte in der Schule bereits gute Noten. Er hat später seinen Tränkemeister gemacht und hat diesen Berufszweig nie verlassen. Er ist auf diesem Gebiet immer auf dem Laufenden und eignet sich daher bestens.“ Er ging zum nächsten Kandidaten über. „Von Slughorn würde ich abraten, wenn er überhaupt, was ich bezweifle, zusagen würde. Seinen Ruhestand wird er dir zuliebe nicht ein zweites Mal aufgeben.“ Das waren die beiden, die er persönlich kannte. „Professor Junot ist die Leichenbeschauerin des Mungos und Dozentin für das Fach 'Inaugenscheinnahme'.“ Das wusste er von Hermine. „Sie ist einige Zeit aus dem Bereich des Tränkebrauens raus, aber ihr könnte dennoch viel daran liegen, ihren nicht gerade erfreulichen Beruf aufzugeben und in Hogwarts zu beginnen.“ Bei den weiteren Namen musste er passen. „Die anderen kenne ich nicht.“
„Die anderen sind auch nur die Reserve, falls keiner der drei zusagen sollte.“
„Und dein Favorit?“, fragte Severus erneut, nachdem er nun seine Meinung kundgetan hatte.
„Ich denke, Mr. Popovich eignet sich, wie du bereits sagtest, bestens. Zudem ist er ein sehr freundlicher und aufgeschlossener …“
„Solche Eigenarten sind nicht zwingend notwendig, um Zaubertränke unterrichten zu können“, unterbrach Severus etwas verärgert. „Fachkompetenz ist ausschlaggebend!“
„Aber solche Eigenarten schaden auch nicht.“ Bevor Severus die Möglichkeit fand, sich und seine Eigenarten zu verteidigen, wechselte Albus abrupt das Thema. „Dann wirst du ab Juli als Tränkemeister in der Apotheke arbeiten?“
Die Worte, die ihm zuvor auf der Zunge gelegen hatten, purzelten lautlos zurück in seine Kehle, bevor er antwortete: „Ja, im Hintergrund. Ich reiße mich nicht darum, Kunden zu bedienen.“
„Ich hoffe sehr, du findest dann auch mehr Zeit für deine eigene Forschung. Mr. Worple und Mr. Sanguini wären nicht die Einzigen, die davon profitieren würden.“
„Mein Augenmerk liegt zurzeit eher auf Miss Grangers Erfindung.“
„Ah“, machte Albus erstaunt. „Du solltest deine Erfindungen trotzdem nicht in den Hintergrund drängen. Sie haben genauso viel Potenzial.“
„Sie sind nur ein wenig illegal, nicht der Rede wert“, stellte Severus sarkastisch klar. Sein Bluttrank war noch nicht ausgereift, auch wenn er bereits so weit gekommen war, nicht einmal mehr Blut verwenden zu müssen.
Albus klopfte ihm freundschaftlich auf die Schulter. „Dein Name wird sicherlich bald in allen Zeitungen stehen sowie der deiner Partnerin.“

Die beiden taten sich an ihrem Kuchen gütlich. Albus blickte immer wieder zu Severus hinüber, was der natürlich bemerkte. Er forderte den Direktor jedoch nicht auf, sich mitzuteilen. Wenn Albus etwas sagen wollte, benötigte er keine Aufforderung. So kam es, dass Albus seinen Kuchenteller abstellte und sich seinem Gast zuwandte.

„Wie fühlst du dich?“

Die unerwartete Frage nach seinem Wohlbefinden irritierte Severus, denn er war der Meinung, gesundheitlich keinen schlechten Eindruck zu machen, bis er ahnte, dass Albus eine bestimmte Sache meinen musste. Eine Angelegenheit, über die Severus nur ungern sprach.

„Ich habe Hoffnung.“
„Severus, wenn ich etwas tun kann, dann …“
„Hast du Vorschläge? Miss Granger und ich hören sie uns gern an. Ansonsten wäre es mir ganz recht, wenn so wenig Menschen wie nur möglich involviert wären.“
„Ich verstehe das, aber hast du auch daran gedacht, dass es gerade dieser Aspekt sein könnte, der dir erst Hoffnung gegeben hat?“
„Albus, ich bitte dich innig, offen mit mir zu reden.“ Für kryptische Aussagen hatte Severus im Moment keine Verwendung.
Albus kam seiner Bitte nach und teilte seine Vermutung frank und frei mit: „Ist es nicht denkbar, dass nicht nur eine bestimmte Person eine Heilung herbeiführen könnte? Wenn es mehrerer Personen bedarf, solltest du das mit einbeziehen. Du würdest gut daran tun, niemanden auszuschließen, der seine Hilfe freiwillig anbietet. Ich habe all die Jahre so sehr gewünscht, dass ich mit meinen damaligen Worten falsch gelegen habe, als ich sagte, alles wäre für immer verloren. Der Zeitpunkt ist nun gekommen, Severus, denn auch ich bin guter Dinge. Ich sehe Veränderungen, die mich hoffen lassen. Ich war nie so glücklich, mich geirrt zu haben.“

Severus schwieg. Seine Gedanken kreisten um den Besuch bei Takeda. Bilder der magischen Pflanzen huschten durch seinen Kopf. Besonders oft sah er vor seinem inneren Auge die klaffende Lücke, die entstanden war, nachdem Takeda eine Pflanze umgetopft hatte. Für lange Zeit hatte sich Severus wie die Pflanze gefühlt, die die Lücke geschaffen hatte; wie jemand, der aus einem vertrauten Kreis herausgerissen worden war und allein zurechtkommen musste. Der Ewige See hatte seine von vornherein nicht sehr ausgeprägte soziale Ader vollends unterdrückt und ihn davon abgehalten, mit anderen Menschen engere Kontakte zu pflegen. Er konnte guten Gewissens von sich sagen, dass er sich mittlerweile nach Gesellschaft sehnte. Er war nicht unbeweglich wie eine Pflanze. Er war in der Lage, sich die Menschen auszusuchen, die er an sich heranlassen wollte; deren Magie auf ihn einwirken durfte. Das Experiment mit Harry und Draco, aber besonders der Abend mit Hermine hatte deutlich gezeigt, dass Magie auf Mitmenschen reagierte. Das war es, was Albus meinte. Severus brauchte Menschen um sich herum, von deren Magie er seinen Vorteil ziehen könnte.

„Ich verstehe, was du meinst“, bestätigte Severus, der sich klar darüber geworden war, sein Leben als Einzelgänger aufgeben zu müssen, wenn er die Lösung seines Problems herbeiführen wollte. Und genau das wollte er, denn er wusste, was er zu fühlen imstande war und das wollte er zurückhaben. Severus wollte wieder empfinden. Plötzlich fühlte er eine Hand auf seiner Schulter, die seine für sich selbst gemachte Entscheidung Mut machend zu begrüßen schien. Eine andere Frage drängte sich in seinen Kopf, die seiner Meinung nach nur sein alter Freund beantworten konnte. „Albus?“ Der Direktor horchte auf. „Aus welchen Gründen weint ein Phönix?“
„Oh, da gibt es verschiedene Gründe. Selbst ich kenne nicht alle, obwohl Fawkes mich viele Jahrzehnte begleitet hat. Diese Vögel sind sehr klug, das weißt du. Sie mögen Worte nicht verstehen können, aber sie durchschauen Gefühle und reagieren darauf. Fawkes weint, wenn jemand, den er mag, traurig oder verletzt ist. Das finde ich so bewundernswert an diesen Vögeln. Sie selbst müssen den Tod nicht fürchten, aber sie scheinen genau zu wissen, dass er für alle anderen Lebewesen endgültig ist.“ Albus vermutete, dass hinter Severus‘ Frage mehr zu stecken schien, weswegen er seine nächsten Worte genau überdachte. „Du weißt, denn wir haben die Möglichkeit nicht außer Acht gelassen, dass Phönixtränen nicht auf die Psyche eines Menschen einwirken können. Sie haben heilende Kräfte, doch die beschränken sich auf körperliche Versehrtheit.“
„Ich weiß, Albus.“ Severus seufzte.

Es war vor mehr als zwei Jahrzehnten der erste Gedanke gewesen, die Wirkung des Trankes durch Fawkes Tränen aufzuheben, doch es war enttäuschend zu erfahren, dass es keine Besserung gebracht hatte.

„Miss Granger …“ Severus stoppte sich selbst und begann von vorn. „Hermine denkt, dass es wieder wachsen könnte. Ihre Vermutung stützt sich auf die Tatsache, dass der eine Teil in mir nicht vollständig inaktiv ist, sondern dazu gebracht werden kann, auf bestimmte Umstände Reaktionen zu zeigen.“
„Ich …“

Diesmal war es Albus, der den Satz nicht zu Ende bringen konnte. Es schien, als wäre auch er – wie Severus selbst – niemals auf die Idee gekommen, an ein mögliches Wachstum zu denken. Unerwartet erhob sich der Direktor von seinem Platz und ging hinüber zu einem der hohen Bücherregale, deren Titel er überflog, bis er in Augenhöhe einen Band fand, den er hinauszog. Mit diesem Buch kam er zurück zu Severus, um es ihm in die Hand zu drücken.

„Es ist lange her, als ich es gelesen habe, aber vielleicht findet ihr dort etwas, das euch bei eurer Suche ein wenig Hilfe verspricht.“
Severus las den Titel des sehr alt aussehendes Buches vor: „Die magische Abhandlung von ‘Liber subtilitatum diversarum naturarum creaturarum‘ – von Hildegard von Bingen; überarbeitet von Vesta Lovegood.“ Severus blinzelte einige Male. „Lovegood?“
„Das Buch ist von 1183, Severus. Es ist gut möglich, dass Vesta Lovegood eine Vorfahrin deiner ehemaligen Schülerin darstellt, aber mit Gewissheit kann ich das nicht sagen.“ Albus tippte auf das antike Buch. „Es wurde vier Jahre nach dem Tod der Muggel-Autorin für die magische Gesellschaft aufgearbeitet. Übersetzt heißt es sinngemäß ‘Buch über das innere Wesen der verschiedenen Kreaturen und Pflanzen‘. Es behandelt die Beschaffenheit und die Heilkraft dieses angesprochenen inneren Wesens.“
„Ich kann mir nicht vorstellen, inwiefern das Buch eines Muggels von Nutzen sein könnte.“
„Das Buch, das du in deinen Händen hältst, wurde nicht von einem Muggel geschrieben. Mrs. Lovegood hat die bestehenden Theorien aus der Muggelwelt aufgegriffen und in die magische Welt übertragen. Einen Blick hineinzuwerfen könnte nicht schaden. Vielleicht solltest du es Hermine überreichen?“
„Du willst mir ein mehrere Jahrhunderte altes Buch überlassen?“
Albus lächelte. „Ich werde es sicherlich eines Tages zurückerhalten. Ich bin auch im Besitz sämtlicher Originalbände dieser Muggel-Autorin. Sie muss eine fantastische Frau gewesen sein.“

Bei Albus‘ nicht aufzuhaltender Bekundung seiner Liebe zu Muggeln rollte Severus genervt mit den Augen.

In der Eingangshalle von Hogwarts war Sirius hingegen kurz davor, mit den Augen zu rollen. Er musste wegen der vielen ausgelassenen Schülern, die sich hier tummelten, einen Augenblick stehenbleiben, damit er nicht von ihnen umgerannt wurde. Das Abendessen schien gerade zu beginnen. Vorsichtig setzte er seinen Weg durch die Schülermengen fort, die sich noch in Grüppchen vor der großen Halle aufhielten, weil sie auf Freunde warteten oder ungestört reden wollten. Sie kicherten, tuschelten und manche beäugten den Gast, der an ihnen vorüberging.

„Vielleicht ist das der neue Lehrer für Zaubertränke?“, hörte Sirius ein Mädchen sagen. Er drehte sich erstaunt um und bemerkte, wie fünf Schülerinnen ihn anstarrten, bevor sie wieder die Köpfe zusammensteckten und verhalten giggelten. Warum sie gerade ihn als neuen Lehrer für Zaubertränke hielten, war ihm ein Rätsel, denn es war nie eines seiner Lieblingsfächer gewesen. Nachdem er sich diese Frage gestellt hatte, folgte gleich die nächste. Warum ein neuer Lehrer?

Fernab der vielen Teenager war er endlich bei seinem Patensohn angekommen und klopfte höflich an die Tür, die ihm von dem Hauself geöffnet wurde. Wobbel trug Nicholas im Arm.

„Guten Abend, Sir. Treten Sie doch bitte ein. Ich werde Mr. Potter Bescheid geben, dass er Besuch hat“, sagte der Elf, der die Tür weiter öffnete, damit Sirius eintreten konnte.

Während er auf Harry wartete, bemerkte er Ginny, die am Kamin hockte – den Kopf weit ins Feuer gebeugt. Er hörte, wie die Tür zum Arbeitszimmer sich öffnete, weswegen er hinüber zu Harry schaute.

„Sirius!“
„Harry, wie geht’s?“ Die Begrüßung war von Harrys Seite aus wesentlich herzlicher als sonst, was Sirius verwunderte. Harry drückte ihn und ließ eine ganze Weile nicht mehr los. „Harry?“
Erst jetzt löste sein Patensohn die Umarmung. Für einen Moment glaubte Sirius, Harrys Augen würden so sehr glänzten, weil sie feucht waren. „Alles okay mit dir?“
Schnell lenkte Harry von sich selbst ab. „Klar, setzt dich doch. Hast du schon gegessen?“
Das Essen auf dem Tisch betrachtend verneinte Sirius. „Ich wollte eigentlich übers Flohnetz kommen, damit ich zum Essen wieder Zuhause bin, aber jetzt weiß ich ja, warum kein Durchkommen war.“ Er grinste und nickte zu Ginny hinüber, die noch immer am Kamin hockte und ihn blockierte.
„Ja, sie spricht schon fast eine Dreiviertelstunde mit Molly. Länger warte ich mit dem Essen aber nicht auf sie. Wenn es um die Hochzeit geht, und das vermute ich ganz stark, könnte es noch eine Weile dauern.“
„Ah, die Hochzeit“, schwärmte Sirius voller Vorfreude. „Wer wird dein Trauzeuge sein?“
„Natürlich Ron! Ich glaube, er würde mich umbringen, sollte ich jemand anderen nehmen“, erwiderte Harry mit einem Schmunzeln. So ähnlich hatte Ron sich nämlich ausgedrückt, als er fragte, wen Harry als Trauzeugen nehmen möchte. „Greif zu, Sirius. Für Ginny kann ich nachher noch was nachbestellen.“ Sirius kam der Aufforderung sofort nach, denn sein Magen knurrte. „Was führt dich her?“, wollte Harry wissen.
„Neben dem vorzüglichen Essen, das die Elfen in Hogwarts herbeizaubern, wollte ich dir von etwas erzählen, das dich sowieso nicht interessieren wird.“
Irritiert legte Harry seine Stirn in Falten. „Was wird mich nicht interessieren?“
„Ich verstehe vollkommen, wenn du keine Lust dazu hast. Das ist wirklich kein Problem, Harry.“
„Sagst du mir bitte erst einmal, um was es geht? Ich hatte nämlich nie besonders gute Noten in Hellsehen und bei Legilimentik hakt es bei mir auch.“
„Lass uns erst was essen, bevor du ablehnst.“
Jetzt war Harry richtig neugierig. „Sirius! Vielleicht habe ich ja Lust drauf, was auch immer du mir erzählen möchtest.“
Sein Patenonkel stöhnte. „Na gut, du lässt ja keine Ruhe. Es geht um die neuen Gesetze und wir überlegen uns, wie man die Öffentlichkeit im Vorfeld dafür gewinnen könnte. Wenn sie in Kraft treten, soll sich niemand überrumpelt fühlen. Es soll keinen Aufstand geben, also müssen die Bürger der magischen Welt schon jetzt damit in Berührung kommen. Genau da wird’s aber knifflig, denn wer ist beliebt genug, dass er mit seinen Äußerungen bei den Bürgern Gehör finden könnte? Man müsste jemand mit großem Ansehen für die Sache gewinnen; jemand, der sich positiv für die neuen Arbeitsgesetze für Werwölfe äußert oder auch befürwortet, dass Elfen und Kobolde Zauberstäbe benutzen dürfen. Ich weiß, dass es dir gegen den Strich geht, für solche Zwecke herangezogen zu werden, aber …“
„Ich mach‘s!“, sagte Harry, bevor er sich eine volle Gabel mit Rotkohl in den Mund schob.
„Was?“

Mit vollem Mund wiederholte Harry die beiden Wörter brabbelnd, doch die waren noch weniger verständlich. Sirius ahnte jedoch, dass Harry ihm tatsächlich eine Zusage gegeben hatte, was ihn sehr erfreute. Nachdem sein Patensohn geschluckt hatte, stellte er eine Frage.

„Du arbeitest mit Mr. Bloom zusammen, oder?“
„Kennst du ihn?“ Sirius schien sehr erstaunt.
„Hermine hat mich mal zu einer seiner Veranstaltungen mitgeschleppt. War ganz nett, bis auf den Vampir und den Angriff der Todesser. Kurzum: Ich hätte drauf verzichten können.“
Sirius nickte. „Ja, ich erinnere mich daran. Zum Glück hat Remus gleich eingegriffen, sonst wäre noch viel mehr passiert.“
„Arbeitest du also mit Mr. Bloom?“
„Jein, ich arbeite Hand in Hand mit der Initiative, das ist richtig, ich arbeite aber auch im Auftrag des Ministeriums, aber auf freiberuflicher Basis. Ich habe einen, ähm, Kollegen, mit dem ich am selben Strang ziehe. Er kann sehr gut mit Worten umgehen und weiß, auf was es bei Gesetzen ankommt. Außerdem nimmt er jeden Vorschlag ernst.“

Sirius erzählte so stolz von seiner Arbeit, dass Harry nichts anderes tun konnte als sich für ihn zu freuen. Endlich hatte sein Patenonkel Spaß an etwas gefunden, das seinem Leben auch noch einen Sinn gab.

„Kenne ich ihn?“, wollte Harry wissen.
„Denke nicht. Er war …“ Dass Duvall der Beistand von Malfoy gewesen war, wollte er nicht ausplaudern. „Er war bis vor Kurzem noch im Ministerium beschäftigt, hat aber gekündigt.“
„War ihm wohl zu langweilig“, murmelte Harry verständnisvoll.

Wenn beim Ministerium angestellt, dachte er, dann als Auror. Der Job brachte wenigstens Abwechslung mit sich, wenn auch eine Menge Gefahren, was aber vielleicht viel besser war, als im Büro an Langeweile zu sterben. Mich wachem Auge beobachtete Harry, wie Wobbel den Jungen auf dem Boden absetzte, damit der ein wenig krabbeln konnte. Sein Elf sorgte immer dafür, dass eine magische Barriere zu gefährlichen Gegenständen aufgebaut war. Nicholas, so sehr er auch wollte, konnte sich dem Kamin, an dem seine Mami noch immer hockte, nicht nähern. Er begann zu quengeln.

„Nicholas“, rief Harry mit hoher Stimme. Zwei große blaue Augen richteten ihren Blick auf ihn. Harry beugte sich nach vorn und klatschte in die Hände. „Komm her, mein Kleiner.“ Das Kind robbte mit zuversichtlichem Lächeln auf Harry zu, machte aber vor den ausgestreckten Armen seines Vaters Halt und beäugte Sirius. „Oha, jetzt hat er dich im Visier!“

Sein Schälchen Vanillepudding stellte Sirius auf dem Tisch ab, bevor er Harry nachahmte und den Jungen rief, dabei die Arme ausstreckte. Nicholas kroch mit schelmischem Grinsen, mit dem er mehr Sirius glich als Harry, auf ihn zu. Als der Junge an seinen Beinen angelangt war, hob Sirius ihn hoch und setzte ihn gemütlich auf seinen Schoß.

„Wie alt ist er jetzt nochmal?“
„Etwas über neun Monate.“
Sirius blickte Nicholas an und fragte mit verstellter Stimme: „Neun Monate und da kannst du noch nicht stehen?“
„Ginny meinte, das müsste jeden Tag soweit sein“, bestätigte Harry.
„Du, Harry, hast dich mit acht Monaten schon an der Tischdecke im Esszimmer hochgezogen!“ Sirius musste schnaufen, bevor er amüsiert weitererzählte: „Zwar ist alles andere hinuntergefallen, weil du immer weiter an der Decke gezogen hast, aber immerhin: Du hast gestanden, ganz ohne fremde Hilfe!“
„Ehrlich? Das habe ich gemacht?“ Harry hörte sich solche Anekdoten von früher immer sehr gern an.
„Lily hat mächtig mit James geschimpft, weil der auf dich aufpassen sollte. Dir hätte ja was passieren können bei dem ganzen Besteck, das auf dem Tisch gelegen hat.“ Gedankenverloren und mit einem erfüllten Ausdruck der Freude auf dem Gesicht erinnerte sich Sirius an diesen Moment. „Ich hab mich köstlich über dich amüsiert.“

Als er seinen Patenonkel mit Nicholas im Arm gegenüber sitzen sah, musste er unweigerlich an Szenen aus Severus‘ Erinnerung denken. In seiner Vorstellungskraft versuchte Harry für einen Moment, sich in Nicholas hineinzuversetzen. Er stellte sich vor, wie Sirius früher mit ihm geredet haben musste und ob er da auch die hohe Stimme benutzt oder Grimassen geschnitten hatte, um ihm ein vergnügtes Glucksen zu entlocken. Sirius griff nach dem Schälchen Pudding, tat etwas auf den Löffel und machte mit dem Besteck geräuschuntermalte Flugbewegungen.

„Und da kommt der Schnatz geflogen.“
Nicholas‘ Mund öffnete sich weit. Der Löffel kam näher.
Viel zu spät schritt Harry ein: „Nicht, er mag keinen …“

Kaum hatte der Vanillepudding Nicholas Geschmacksknospen auf der Zunge benetzt, prustete der Junge, um sich von dem Inhalt seines Mundes zu befreien. Mit Vanillepudding in Haaren und Gesicht blinzelte Sirius einige Male verwundert.

„… Vanillegeschmack“, beendete Harry seine viel zu späte Warnung.
Verdutzt blickte Sirius auf den Jungen. „Was bist für ein Kind, dass du keine Vanille magst?“ Es war Wobbel gewesen, der mit einer kaum merklichen Bewegung seiner Hand den Gast von dem Schmutz befreite. Harry reichte Sirius seine Schale.
„Versuch’s mit Schokolade.“

Schokolade machte Nicholas glücklich. Ginny könnte davon auch etwas gebrauchten, dachte Harry, als sie endlich das Gespräch mit ihrer Mutter beendet hatte und sich sichtlich wütend neben ihn auf die Couch setzte. Dabei verschränkte sie noch die Arme, was ihm zeigte, wie sauer sie wirklich war.

„Hallo Sirius“, grüßte sie trotz ihrer Wut.
„Hallöchen Ginny!. Der Kamin endlich wieder frei?“

Nach Scherzen war ihr gar nicht zumute. Nach etwas zu Essen offenbar auch nicht, denn als Harry anbot, ihr etwas aus der Küche zu besorgen, lehnte sie ab.

„Nein danke, ich bekomme nichts mehr runter nach den ganzen Gesprächen über Hochzeitstorten, Vorsuppen und Desserts“, meckerte sie.
„Warum denn so schlecht gelaunt?“, wollte Sirius wissen, der Nicholas weiterhin mit Schokoladenpudding fütterte.
„Wir wollten eine kleine Hochzeitsgesellschaft haben! Klein!“ Sie blickte Harry an. „Oder?“
„Ja“, bestätigte er, denn in dieser Verfassung sollte man ihr lieber nicht widersprechen.
„Mum ist da anderer Meinung und sie glaubt, weil wir ihr die ganze Planung überlassen, dass sie sämtliche Jahrgänge Hogwarts’ einladen kann und darüber hinaus …“ Sie seufzte. „Ach, egal.“
„Also wird es nichts Kleines?“, fragte Harry vorsichtig nach.
„Offensichtlich nicht!“
„Was soll’s?“ Harry hob und senkte gelassen die Schultern. „Dann wird es eben das nächste Mal eine kleine Feier.“
„Das nächste Mal?“ Erst nach ihrer Nachfrage wurde Harry sich seines kleinen Fehlers bewusst. „Wie oft hast du denn vor zu heiraten?“
„Nur dich, Ginny! Wieder und wieder“, beteuerte er grinsend.

Mit ihrem Zeigefinger stach sie ihm in die Seite, weswegen er einige Zentimeter auf dem Sitzpolster hochhüpfte und ihm dabei ein Laut entwich, den man normalerweise von jungen Mädchen gewohnt sein könnte, die man erschreckt hatte. Harry griff nach dem Kissen hinter sich und – wie er es sich von Hermine abgeguckt hatte – schlug damit zaghaft auf Ginny ein.

Nicholas beobachtete vom Schoß seines Onkels aus die sich neckenden Eltern mit einem breiten und nicht mehr zahnfreien Grinsen. Sirius lehnte sich zu dem kleinen Ohr und flüsterte: „Wenn Eltern sich kabbeln, dann wird es immer lustig.“ Die Worte verstand der Junge nicht, aber die langen Haare von dem Mann, auf dessen Schoß er saß, kitzelten ihn an seinem Ohr, woraufhin er quietschend in die Hände klatschte.

„Hey, was flüstert ihr beide da?“ Harry war etwas aus der Puste, weil Ginny ihn mehrmals gekitzelt hatte und es enorm anstrengend war sie abzuwehren.
„Wir lästern nur über euch“, erklärte Sirius mit einem Schmunzeln, „macht ruhig weiter.“

Auf ihrer Stange beobachtete Hedwig das vergnügte Treiben, behielt dabei immer Fawkes im Auge, als wollte sie ihm zur Seite stehen, falls er sich nicht wohl fühlen würde. Als der Phönix wonnig zu singen begann, um seiner eigenen Freude Ausdruck zu verleihen, war es mit einem Male still im Wohnzimmer. Selbst Nicholas war von dem Gesang so fasziniert, dass er mit großen Kulleraugen den nicht mehr so hübschen Vogel anblickte.

„Wow, das war wunderschön“, flüsterte Ginny ehrfürchtig, als der Gesang wieder verstummte.
Wobbel hatte sich Sirius genäherte. „Das war das Schlaflied für den Kleinen.“ Bei der ihm vertrauten Stimme richtete Nicholas seinen Blick auf Wobbel und streckte sich nach ihm, so dass Sirius den Jungen an den Elf übergab, der ihn behutsam an sich nahm. „Zeit fürs Bad.“
„Ich möchte ihn baden“, warf Harry ein.
„Sie, Mr. Potter, haben Besuch.“
„Aber …“
„Sie können ihn ein anderes Mal baden. Guten Abend die Herrschaften.“ Schon war Wobbel verschwunden und Harry lehnte sich beleidigt zurück wie ein Kind, dem man den Schnatz weggenommen hatte.
„Aha“, machte Sirius, „jetzt weiß ich ja, wer hier die Hosen an hat.“
„Haha“, Harry tat so, als würde er schmollen, „nur weil ich ihn nicht herumkommandiere, heißt das noch lange nicht, dass er hier der Boss ist.“
„Nein“, bestätigte Ginny, „denn der bin ich.“ Frech streckte sie ihm die Zunge raus und als er antworten wollte, piekte sie ihm erneut in die Seite.

Nachdem die Elfen aus der Küche den Tisch geräumt hatten, fiel Ginnys Blick auf eine Sache, die sie extra wegen Hermine in Reichweite gelegt hatte.

„Ich glaub’s nicht, ich hab schon wieder vergessen, ihr das Schreibfederset mitzugeben.“ Beim letzten Besuch war Hermine allerdings auch nicht besonders ansprechbar gewesen.
Sirius bot einen Gefallen an. „Ich kann es mitnehmen. In nächster Zeit werde ich häufiger in der Winkelgasse sein. Ich kann es ihr bringen.“
„Wirklich? Das wäre nett von dir. Sag ihr, es tut mir leid, dass ich es überhaupt so weit weggelegt habe, dass es eine Zeit lang unauffindbar war.“

Neugierig, wie Sirius war, öffnete er vorsichtig die Schachtel. Drei weiße Gänsefedern lagen säuberlich aneinander gereiht in der Box, die mit dunkelblauem Samt ausgekleidet war.

„Sieht edel aus“, bemerkte Sirius mit Bewunderung.
„War ein Geschenk von Severus“, erklärte Harry. „Es sind magische Federn. Man prägt sie auf die eigene Handschrift und kann ihnen dann Texte diktieren. Einen Unterschied zur Originalhandschrift erkennt man gar nicht mehr.“
„Was es alles gibt. Zu meiner Zeit haben wir von sowas geträumt. Solche magischen Federn hatten höchstens bestimmte Berufszweige. Journalisten oder Sekretärinnen und so weiter.“
„Hermine schreibt sehr viel, wenn sie recherchiert“, begründete Harry das nicht gerade preiswerte Geschenk.
Ginny schnaufte. „War doch früher schon so, als wir für die Schule gelernt haben.“
„Ich werde es ihr bringen“, bestätigte Sirius nochmals, bevor er die Box in seiner Innentasche verschwinden ließ. „Ich muss auch langsam wieder los. Anne wird schon längst Zuhause sein. Mittlerweile passiert es häufiger, dass sie früher Daheim ist als ich. Das war vor einigen Wochen noch anders.“
„Macht es dir denn Spaß?“ Eigentlich hätte Harry nicht fragen müssen, doch er wollte noch einmal, bevor er ging, das zufriedene Lächeln von Sirius sehen. Er musste darauf nicht lange warten.
„Es ist eine tolle Arbeit! Besonders weil ich weiß, dass damit auch etwas bewirkt wird. Es geht sehr schnell voran. Wir sind fast fertig. Danach wird das Gesetz noch einmal von Ministeriumsangestellten beäugt – ich nehmen an, das wird Kingsley sich nicht nehmen lassen –, bevor es in Kraft tritt.“
Harry nickte, denn er war der gleichen Meinung. „Ach Sirius, bevor du gehst: Wie stellst du dir meine Mithilfe vor?“
„Arbeitet Luna nicht bei einer Zeitung?“, suggerierte Sirius.
„Was für eine Mitarbeit?“, fragte Ginny zwischen.
„Erkläre ich dir nachher.“ Er wandte sich wieder Sirius zu, der bereits aufgestanden war. „Ich könnte mich natürlich mal mit ihr treffen. Gibt es ein bestimmtes Thema, dass das Interview behandeln soll?“
„Was ich vorhin sagte: Gelockerte Arbeitsgesetze für Werwölfe und Zauberstäbe für Elfen und Kobolde. Ich könnte dir natürlich eine Kopie des Gesetzesentwurfs zuspielen, damit ihr das Interview richtig ausarbeiten könnt, aber das muss geheim bleiben.“
„Kein Problem, Sirius. Ich werde dich schon nicht enttäuschen und meine Fans auch nicht.“

Harry begleitete seinen Patenonkel zum Kamin und umarmte ihn zum Abschied. Die grünen Flammen züngelten auf und verpufften wieder, nachdem Sirius den Heimweg angetreten hatte.

„Jetzt erzähl schon, Harry. Was hast du mit Luna vor und was für ein Interview willst du geben?“
Er grinste überlegen. „Du hast es doch gehört, es ist geheim!“
„So so, ‘geheim‘. Ich werde es schon noch aus dir herauskitzeln.“

Mit katzenähnlich geschmeidigen Bewegungen näherte sie sich ihm. Seine Mundwinkel zuckten bereits, denn er ahnte, was sie ihm Schilde führte. Trotzdem war er nicht vor ihren flinken Fingern gefeit, die die besonders kitzligen Stellen an den Seiten seines Oberkörpers attackierten. Harry krümmte sich vor Lachen und versuchte zu fliehen.

Viele Kilometer entfernt von Ginny, die gerade Oberhand über Harry gewonnen hatte, saß Hermine nachdenklich in ihrem Labor. Zum Lachen war ihr nicht zumute. Der Sturm über London sorgte für eine Winkelgasse, die wie ausgestorben wirkte. Die Apotheke hatte sie schon früh geschlossen. Die Ladentür war so verzaubert, dass es im Labor schellen würde, sollte doch jemand Interesse an ihrem Sortiment zeigen, doch Kunden blieben aus. Bei den Zwillingen sah es nicht anders aus. Schon gegen halb eins hatte George sie abgeholt, um mit ihr Gringotts aufzusuchen, wie sie es zweimal die Woche taten. Danach war er wieder in den Scherzartikelladen gegangen und sie war wieder allein. Allein mit achtzehn Büchern, die sie sich bei Flourish und Blotts gekauft hatte. Drei davon waren nach näherem Betrachten ihr Geld nicht wert. Sie würde sie morgen zurückbringen. Die Verkäufer würden bestimmt nicht annehmen, dass sie alle drei in Windeseile schon durchgelesen hatte. Manches hatte sie nur überflogen, weil der Autor von seiner Sache nichts zu verstehen schien. Selbst sie schien mehr Ahnung von Kräuterkunde zu haben als diese drei Männer. Dabei hatten sich die Titel vielversprechend angehört und die Bände waren edel gestaltet. Man durfte ein Buch eben doch nicht nach dem Umschlag bewerten.

Ein Geräusch ließ sie aufhorchen, doch nach einem kurzen Moment wurde sie sich klar darüber, dass sie lediglich geseufzt hatte. Müde schaute sie sich um. Fellini hatte es sich auf seiner Decke auf der Fensterbank mit Sicht auf den kleinen Garten im Hof gemütlich gemacht. Er hatte sich eingerollt und schlief fest. Die Blitze und das Grollen störten ihn nicht im Geringsten, noch weniger der ans Fenster peitschende Regen.

Es tat ihr gut, ihre Augen mal nicht auf Buchstaben ruhen zu lassen, doch ihre Neugier beraubte sie ihrer kurzen Pause, so dass sie sich wieder den Büchern widmete. Kräuterkunde, Zauberkunst, Zaubertränke. Diese drei Abteilungen hatte sie vorhin während der Mittagspause in dem Buchladen, der nie geschlossen zu haben schien, durchstöbert. Die Wirkung vieler Zutaten und Zaubersprüche war ihr klar, doch worauf sie sich konzentrierte war die Frage, wie diese Wirkung zustande kam. Wie war Dianthuskraut dazu in der Lage, Kiemen wachsen zu lassen, obwohl der menschliche Körper nicht einmal ansatzweise über Kiemen verfügte? Die Antwort darauf war schnell gefunden. Der Mensch, bevor er überhaupt in der heute bekannten Form das Land erkundete, war dem Wasser entsprungen. Entwicklungsgeschichtlich besaß er ehemalige Kiemengänge. Wie aber konnte Dianthuskraut bewirken, dass etwas, das seit Millionen von Jahren genetisch stilleglegt war, wieder wachsen konnte?

Hermine bekam Kopfschmerzen, konnte sich dennoch nicht von diesen Büchern losreißen. Immer wieder dachte sie an Neville und wie sie ihn mit einbeziehen könnte, ohne zu viel von Severus preiszugeben. Ihre Gedanken schweiften. Sie erinnerte sich daran, wie sie im zweiten Jahr in „Höchst potente Zaubertränke“ gestöbert hatte. Schon dort hatten es ihr die unfassbaren Illustrationen angetan. Die Zeichnung einer Frau, aus deren Kopf mehrere Arme gewachsen waren, verfolgte sie bis heute. Oft hatte sie sich gefragt, ob der Künstler nur eine rege Fantasie gehabt oder ob er der Frau tatsächlich gegenübergestanden hatte. Wenn es diese Frau gegeben haben sollte, wenn es also tatsächlich möglich wäre, dass einem Arme aus dem Kopf wuchsen, dann war das der Beweis dafür, dass auch Dinge an Stellen wachsen könnten, wo sie nicht vorgesehen waren. Hermines Gedanken drifteten in ihr fünftes Schuljahr, als sie bis zu den ZAGs den altbekannten Wachstumszauber gelernt hatte, der ein Lebewesen wachsen lassen konnte. Dank Draco musste sie persönlich die Erfahrung machen, dass auch nur bestimmte Körperstellen größer werden konnten, wie beispielsweise Zähne, die mit dem Densaugeo gar nicht mehr aufhören wollten sich auszudehnen. Hermine hoffte nicht mehr nur, nein sie wusste, dass es etwas geben musste, das so starke Impulse auslösen würde, die Severus‘ Seelenkern zum Gedeihen bringen konnten. In ihren Augen stellte Harry so einen Impuls dar, zumindest seine Magie. Möglicherweise war Harry einfach nur mit einer starken Zauberkraft gesegnet, aber womöglich hatte allein seine Anwesenheit bereits eine so große Auswirkung, weil Severus durch ihn sehr intensiv an damals erinnert wurde und an all die Gefühle, die der Ewige See vernichten sollte. Harry konnte aus einem bisher nicht erklärlichen Grund Severus‘ Seelenkern manipulieren.

Erneut wollte Hermine ihren Augen eine kurze Ruhe gönnen. Sie blickte sich um und sah Severus im Türrahmen stehen. Ihre Augen spielten ihr manchmal einen Streich, wenn sie sich allein im Labor aufhielt. Es half, an ihn zu denken. Bald würde sie ihn nicht mehr herbeiwünschen müssen, denn ab Juli würde er bei ihr arbeiten. Zufrieden lächelnd wandte sie sich wieder ihrem Buch zu.

„Hermine?“
Sie erschrak furchtbar, als die vermeintlich eingebildete Person am Türrahmen sprach. „Severus!“

Severus konnte sich keinen Reim daraus machen, warum sie sich erschrocken hatte, obwohl sie über seine Anwesenheit informiert war. Langsam näherte er sich dem Labortisch, betrachtete dabei die vielen Bücher. Es war klar, warum sie diese Bücher las.

„Ich habe etwas, das sehr gut zu deinem momentanen Lesestoff passt.“ Er zog das Buch von Albus aus seiner Innentasche und vergrößerte es wieder, bevor er es ihr vor die Nase legte. „Albus hat es mir gegeben.“
Hermine las den Titel. „Eine magische Abhandlung von einem Muggelbuch? Das ist interessant.“ Dann fiel ihr Blick auf den Namen der Autorin. „Vesta Lovegood?“ Sie blickte auf und wiederholte verstört: „Lovegood?“
„Ob eine Verwandtschaft besteht, kann ich weder bestätigen noch dementieren.“ Mit einem Finger deutete er auf all die Bücher. „Du sagtest, du würdest kaum Bücher über Kräuterkunde besitzen?“
„Hab sie heute erst gekauft.“ Ihr aktuelles Buch schlug sie zu. „Ich hab mit dem Essen gewartet, Severus. Hast du Hunger?“
Nach zwei Schnitten Nougattorte und unzähligen süßen Häppchen hatte Severus nicht einmal mehr Appetit. „Nein, wie schon erwähnt war ich bei Albus.“
„Verstehe. Es gab Kuchen?“, fragte sie, woraufhin er nickte. „Warst du wegen etwas Bestimmten bei ihm?“
„Ich habe ihm meine Kündigung überreicht.“
„Oh.“ Ein Lächeln huschte über ihr Gesicht. „Was hat er gesagt?“
„Das Übliche in solchen Situationen. Er hat seine Glückwünsche ausgesprochen und hofft, dass unsere Zusammenarbeit fruchten wird.“

Hermine nickte. Für einen Moment glaubte er, sie würde etwas sagen wollen, doch er hatte sich offenbar getäuscht.

„Hast du Brau-Aufträge, die erledigt werden müssen?“, wollte er wissen.
„Nicht viele, nur zwei. Die sind schnell fertig.“ Ein weiteres Mal setzte sie an, um etwas zu sagen, bevor sie sich erneut stoppte. Diesmal hatte er sich nicht getäuscht.
„Was ist es, dass du nicht anzusprechen wagst?“ Sein Blick schweifte erneut über die Bücher. „Hast du etwa was gefunden?“
„Nein“, antwortete sie wie aus der Pistole geschossen. „Es ist nur …“
„Ich kann unbeendete Sätze nicht ausstehen!“
„Ja, ich weiß.“ Ein Seufzer entwich ihr. „Ich habe heute mit meinen Eltern gesprochen. Sie …“ Hermine zögerte einen Moment, gab sich jedoch einen Ruck. „Sie haben uns beide zum Essen eingeladen.“
„Warum denn das?“
„Ich denke, sie möchten einfach nur den Mann kennen lernen, mit dem ich zusammen bin. Zusammen arbeite, meine ich.“ Sie schenkte ihm ein scheues Lächeln. „Meinen Partner.“
„Ich glaube nicht, dass das von Nöten sein wird.“
„Sie wollen doch nur sehen, wem ich scheinbar unüberlegt die Hälfte des Geschäfts angeboten habe. Sie sorgen sich um mich.“
„Und du glaubst, wenn sie mich zu Gesicht bekommen, dass all ihre Sorgen verfliegen?“, spottete er.
Hermine presse ihre Lippen kurz zusammen. „Wenn wir absagen, wird das auch keinen guten Eindruck hinterlassen. Ich kenne meine Eltern! Sie werden dann herkommen und das kann richtig unangenehm werden.“
„Ich lasse mich nicht unter Druck …“
„Severus“, beruhigte sie ihn sanft, „sie wollen nur wissen, wem ihre Tochter so sehr vertraut.“ Hermine legte ihren Kopf schräg. „Ein Abendessen, ein wenig Plaudern und gut ist. Sie erwarten nicht viel, nur dass du die Einladung annimmst.“ Er haderte mit sich, war hin- und hergerissen, was sie an seinem unruhigen Blick erkannte. „Würden deine Eltern nicht auch wissen wollen, mit wem du den Sprung in die Selbstständigkeit wagst?“
„Meinen Vater interessieren solche Dinge nicht.“
„Nein, aber deine Mutter hätte es wissen wollen, würde sie noch leben. Hättest du mich ihr nicht vorgestellt?“

Hier bejahte er innerlich. Seine Mutter hatte ihn immer ermutigt, Freunde mit nachhause zu bringen. Sie hätte sie gern kennen gelernt, nur hatte er nie welche, die er ihr vorstellen konnte. In seinem Tagtraum war deutlich geworden, wie seine Mutter seiner Meinung nach reagiert hätte.

„Nun gut“, sagte er etwas missgelaunt. „Wann?“
„Diesen Samstag gegen 18 Uhr?“
„Erwarten deine Eltern irgendeinen gesellschaftlichen Schnickschnack?“
Hermine lachte. „Nicht mehr als die Malfoys.“
„Dann also Blumen und Whisky.“
„Mein Vater ist eher ein Weintrinker.“

Hermine hörte ein gemurmeltes „Auch noch Sonderwünsche.“, bevor Severus nickte und sich der Liste mit den Brauaufträgen zuwandte, die immer an einer bestimmten Stelle des Labors hing. Während sie sich das Buch von Albus zur Brust nahm, begann Severus zu brauen.

Schon im ersten Kapitel stieß sie auf etwas, das sie in einem ihrer Lexika nachschlagen musste. Es war der Begriff „Saiwaz“. Dieses Wort wurde in Bezug auf die Seele genannt, wenn auch nur so beiläufig, dass man normalerweise nicht sofort nach der Bedeutung schauen würde. Hermine fand in keinem ihrer Tränke-, Heiler- oder Kräuterkunde-Nachschlagewerke diesen Begriff und wandte sich daher einem Band zu, der aus der Muggelwelt stammte. Ihre Eltern hatten ihr das Buch vor langer Zeit geschenkt. Ein Buch über Mythologie stellte die letzte Enzyklopädie, die ihr im Moment noch blieb, doch erstaunlicherweise wurde sie hier fündig. „Saiwaz“ war eine uralte Bezeichnung für „See“; nach altgermanischem Glauben einer der Orte, an denen vor der Geburt und nach dem Tod die Seelen hausen sollten.

Hermine las und las und ließ sich nicht davon stören, dass Severus in ihren Vorräten für Ordnung sorgte. Er versah Gläschen mit seiner ihr aus der Schule bekannten Handschrift und sortierte Zutaten aus, die er für verdorben hielt. Die leeren Phiolen ordnete er so an, wie er es in seinem eigenen Labor handhabte. Erst bei der Tasse Tee, die er ihr an den Tisch brachte, blickte sie auf.

„Was Interessantes gefunden?“ Er hatte sich neben sie gesetzt und nahm einen Schluck von seinem Kaffee, während sie an dem Tee roch.
„Ich glaube ja, aber ich kann es noch nicht ganz miteinander verbinden.“
„Hast du was dagegen, wenn ich die Zulieferer nochmal durchgehe? Manche Zutaten lassen zu wünschen übrig. Wir sollten uns von der Qualität anderer Händler überzeugen.“
„Mach, wie du möchtest.“

Mit ihrer Antwort schien er mehr als zufrieden. Obwohl es schon spät war, ging Severus nicht, obwohl die Auftragsarbeiten längst gebraut waren. Er hatte nichts dagegen einzuwenden, dass Hermine weiter in den Büchern las, als er sich anderen Arbeiten widmete. Kreuz und quer las sie hier und da, auch immer wieder in dem Buch von Albus.

Vesta Lovegood widmete sich nach den mythologischen Hintergründen im Vorwort den heilenden Kräften magischer Pflanzen und Kreaturen, griff dafür auch die Theorien von Hildegard von Bingen auf, die man als eine der ersten Ärztinnen bezeichnen konnte. Ihr Wissen über Naturheilkunde war damals schon sehr umfangreich. Hermine ging davon aus, dass man den Trank „Ewiger See“ genannt hatte, weil die durch ihn zerstörten Seelen nie wieder in den Körper zurückkommen könnten. Sie würden auf ewig in diesen fiktiven Seen hausen. In dieser Hinsicht schöpfte Hermine keine Hoffnung. Severus‘ Seele war verloren, nur der Kern war vorhanden. Es gab keine Seen, in denen Seelen warten würden. Selbst wenn es welche gäbe, war die von Severus‘ nicht mit dabei. Hermine hat mit eigenen Augen gesehen, dass die Seelenteile von Severus verloren waren. Es wäre falsch, ihm eine andere Seele zu geben. Er wäre nicht mehr er selbst.

Weg von der Mythologie und hin zur Wissenschaft, dachte sich Hermine, als sie weiterlas. Auch die Autorin hielt sich nicht mehr an überlieferten Sagen auf.

Als sie ein Kapitel über Animagusgestalten las, begann Hermines Herz zu rasen. Vesta Lovegood behauptet – was Hermine natürlich noch prüfen müsste –, dass die tierische Gestalt eines Menschen eine eigene Seele haben würde. Doch nicht nur das ließ Hermine unruhig auf ihrem Stuhl hin und her rutschen. Vesta beteuerte zudem, dass Federn, Haare, Schuppen, schlichtweg alles von einem Animagus eine außergewöhnlich potente Trankzutat darstellen würde. Das hatte noch nie jemand getestet.

„Severus?“ Er drehte sich zu ihr um. „Hast du jemals davon gehört, dass man etwas von einem Animagus als Trankzutat verwendet hat?“
„Nein, noch nie.“

Eine ganze Weile lang blickte sie ihn eindringlich an, während ihre grauen Zellen so sehr arbeiteten, dass ihre Kopfschmerzen wieder stärker wurden. Er hielt ihren Blick und versuchte, ihre Gedanken zu lesen, was selbst ohne Legilimentik nicht besonders schwer war. Sie verbarg nichts vor ihm; nicht so, wie er stets seine Gefühle vor anderen verhüllte.

„Bist du ein Animagus?“
Diese Frage erstaunte ihn. Sofort musste er an Pettigrew denken, verzog deswegen angewiderte das Gesicht. „Nein.“
„Würdest du …“
„Nein!“
„Severus, bevor du gleich abblockst, solltest du das hier lesen. Das scheint unvorstellbar, aber dennoch bekomme ich Hoffnung, wenn ich Lovegoods Theorien über Animagusformen lese.“
„Ich verstehe nicht, inwiefern eine Animagusform in meinem Fall hilfreich sein sollte.“

Langsam schloss sie das Buch, bevor sie sich die Haare aus dem Gesicht wischte. Es war eine winzige Hoffnung. Die Möglichkeit, eine Zutat zu finden, die bei einem Gegentrank hilfreich sein könnte. Das Problem war, ihn davon zu überzeugen, es wenigstens zu versuchen. Hermine atmete tief durch und erhoffte sich Kraft und Durchsetzungsvermögen.

„Ich möchte etwas von deiner Animagusform haben, Severus. Für dich ist es sicher leicht, deine persönliche Form zu finden. Du könntest Minerva fragen …“
Er unterbrach spottend. „Minerva fragen, ob sie es mich lehrt? Ich bin kein Schüler mehr und ich hatte nie das Bedürfnis nach einer tierischen Form!“ Voller Abscheu dachte er an Black und seine Hundegestalt.

Severus stand mit beiden Beinen auf dem Boden der Tatsachen. Hermine musste anders vorgehen, wenn sie etwas erreichen wollte. Nur wissenschaftliche Fakten könnten ihn überzeugen.

„Wenn ich Tests mit anderen Animagi durchführe und zu einem erfolgsversprechenden Ergebnis komme, die darauf hindeuten, dass ein Teil deiner Animagusform eine sehr hilfreiche Zutat für ein Gegenmittel zum Ewigen See wäre, würdest du es dann versuchen?“
„Ich verstehe nicht, wie das in Zusammenhang steht.“ Er klang nicht sauer, sondern viel mehr interessiert.
„Mrs. Lovegood spricht davon, dass das ‘zweite Wesen‘ in einem Menschen unversehrt bleibt, wenn der menschliche Körper leidet. Als ‘zweites Wesen‘ würde ich eine Animagusform bezeichnen. Deine tierische Gestalt könnte laut ihrer Theorie ein Ebenbild deiner Seele beherbergen und zwar unversehrt!“

Das Geräusch des metallenden Löffels, den Severus versehentlich fallengelassen hatte, hallte im Labor nach.


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Manchmal ist es auch sehr schade, dass eine Figur verschwindet und im nächsten Band nicht mehr vorkommt. Dazu zählt beispielsweise Gilderoy Lockhart, den ich sehr mochte, weil er so furchtbar eitel war und ich mir einen Spaß daraus machte Leute aus dem Showbusiness mit seiner Charakterisierung zu veralbern.
Rufus Beck