von Muggelchen
Während des Frühstücks hatte Harry ihm schon mitgeteilt, dass Hermine gestern Abend bei ihren Eltern gewesen war, was Severus endlich beruhigte. Trotzdem hat er Harry angefahren, dass man ihm das auch gestern Abend hätte mitteilen können. Er erwähnte es absichtlich nicht, aber Schlaf hatte er keinen gefunden. Die abstruse Idee, sich von Sibyll die Karten legen zu lassen, war von Stunde zu Stunde weniger abschreckend geworden, doch in die Tat hatte er sie nicht umgesetzt. Allein die Art seiner Kollegin schreckte ihn ab und er war froh, dass sie ihren Turm kaum verließ. Am Frühstückstisch war Hermine nicht anwesend, auch nicht später während des Mittagessens. Als er nach seinem Unterrichtsschluss bei ihr vorbeischaute, war sie nicht anzutreffen. Auf dem Gang im vierten Stock war er Remus über den Weg gelaufen und der teilte ihm mit, dass Hermine gerade bei Albus sein würde, woraufhin Severus ohne ein Wort zu verlieren in die Kerker ging, um beleidigt die Unterlagen für ihre Farbtrank-Präsentation durchzugehen.
In dem runden Büro in einem der höchsten Türme Hogwarts' ließ sich Hermine vom Direktor mit Tee und Gebäck verwöhnen.
„Sie waren gestern nach Ihrem Besuch im Mungos wie vom Erdboden verschluckt.“
Hermine lächelte verschämt. Sie hätte wirklich kurz Bescheid geben sollen, doch im Mungos war sie noch viel zu durcheinander. Weinend wollte sie wirklich niemanden anflohen.
„Es tut mir sehr Leid, ich fand einfach keine Gelegenheit.“
„Nun sind Sie ja wieder da und es ist Ihnen nichts geschehen.“ Albus ließ seinen Blick über die vielen kleinen Kuchenteller schweifen. „Darf ich Ihnen eine Marzipanschnitte anbieten? Die mag ich besonders.“
„Ja, gern.“ Sie hielt ihm den Teller entgegen und ließ sich ein kleines Stück Kuchen auftun, bei welchem ihre Mutter sagen würde, es wäre wegen der schönen Dekoration viel zu schade zum Essen.
„Darf ich fragen, wie Ihr Gespräch im Krankenhaus verlaufen ist?“ Das ehrliche Interesse war deutlich herauszuhören. Es handelte sich von Albus nicht nur um Smalltalk.
Sie seufzte. „Man möchte mich im Mungos nicht haben. Ich wäre 'überqualifiziert', hieß es.“ Mit ihrer Betonung hatte sie die Erklärung des Personalbeauftragten des Mungos ins Lächerliche gezogen, was Albus nicht entgangen war.
„Können Sie sich noch an unser kurzes Gespräch zu Silvester erinnern?“, fragte er, woraufhin sie nickte. „Dass Sie überqualifiziert sind, ist auch meine Meinung, Hermine. Deswegen hielt ich es für unnütz, dass Sie Ihr Glück im Mungos versuchen. Ich habe nichts gegen das Krankenhaus, wirklich nicht. Dort sind viele ausgesprochen gute Heiler und Professoren zu finden – viele Hogwarts-Absolventen –, aber allein schon durch Ihre weitere Ausbildung zur Tränkemeisterin haben Sie den Damen und Herren etwas voraus. Meine größte Befürchtung lag jedoch darin, dass Sie, Hermine, dort einfach nicht glücklich werden würden.“
„Das hat sich jetzt sowieso erledigt“, sagte sie mit ihrem Groll gegen das Mungos ein wenig mürrisch.
„Seien Sie dem Herrn nicht böse, weil er es genauso sieht wie ich“, besänftigte Albus seinen Gast. „Denken Sie lieber an die Möglichkeiten, die sich Ihnen jetzt noch eröffnen. Sie sind bereits sehr gebildet, aber Sie sind auch noch sehr jung. Mit Ihrem jetzigen Wissen werden Sie nicht bis ans Ende Ihres Lebens auskommen, denn Sie werden, wie ich Sie kenne, sich weiterbilden; bei jeder Gelegenheit.“
Weil der Direktor sie so gut zu kennen schien, konnte sie sich ein Lächeln nicht verkneifen. Gemeinsam aßen sie ihren Kuchen, während er die kurzen Pausen zwischen den Happen dazu nutzte, lustige Anekdötchen von sich zu geben. Erst nach dem Kuchen wurde der Gesprächsinhalt wieder ernster, nicht jedoch die Atmosphäre.
„Haben Sie sich für etwas Bestimmtes entschieden?“ Bevor sie antworten konnte, stellte er klar: „Sie können natürlich hier bleiben, bis Sie sich für einen Weg entschlossen haben. Ich stehe Ihnen auch gern mit Rat und Tat zur Seite.“
„Ich war gestern am frühen Abend bei meinen Eltern.“
„Oh wundervoll, wie geht es den beiden?“
„Es geht Ihnen gut, danke der Nachfrage. Mein Vater hat einen meiner damaligen Träume etwas zu ernst genommen und“, sie machte eine Geste mit ihren Händen, die verdeutlichte, dass sie überwältigt war, „wie es aussieht, besitze ich demnächst eine Apotheke!“
„Nein, tatsächlich?“ Eine Hand legte Albus auf ihren Unterarm und er drückte freundlich zu. „Das ist wunderbar. So etwas habe ich mir für Sie vorgestellt, wenn ich ehrlich bin. Vielleicht auch eine enge Zusammenarbeit mit einem der Professoren und Tränkemeister, die der Körperschaft angehören, aber Ihr eingeschlagener Weg hört sich vielversprechend an, Hermine.“
„Noch habe ich das Geschäft ja nicht“, winkte sie ab.
„Ich hoffe sehr, dass Ihr innerer Widerstreit, der zweifelsohne schon immer vorhanden war, Ihnen nicht im Wege stehen wird.“
Hier musste Hermine kräftig schlucken, aber wie schon zuvor wurde ihr erneut klar, wie gut er sie kennen musste. Sie hatte schon immer mit Selbstzweifeln zu kämpfen und diesmal befürchtete er, sie selbst würde ihrer Zukunft womöglich in die Quere kommen. Weil sie sich nicht äußerte, ergriff er erneut das Wort.
„Es ist eine Sache, für jemanden zu arbeiten. Viele Menschen fürchten die Verantwortung, die sie jedoch höchst selten allein tragen, sollten sie bei jemanden beschäftigt sein. Eine andere Sache ist es, wenn derjenige, für den man arbeitet, man selbst ist. Glauben Sie mir, Hermine, wenn ich Ihnen versichere, dass dieses Gefühl sehr viel befriedigender sein kann. Das wird Ihnen Madam Rosmerta sicher bestätigen können. Auch wenn Sie allein auf sich gestellt sind, dann heißt das nicht, dass Sie niemanden haben, der Ihnen dann und wann helfend unter die Arme greifen wird, sei es mit einem hilfreichen Hinweis oder mit tatkräftiger Unterstützung. Sie haben viele Freunde, Hermine und keiner von ihnen würde Sie im Stich lassen.“
Sie konnte gar nicht glauben, was so ein paar Worte für eine stärkende Wirkung haben konnten. Die Angst vor der Selbstständigkeit war wie verflogen. Albus hatte Recht. Jeder ihrer Freunde würde ihr helfen, wenn sie darum bitten würde. Selbst ihr Vater hatte sich bereits angeboten.
„Was sagt denn Severus zu Ihrer Entscheidung?“
'Huch', dachte Hermine. „Der weiß noch gar nichts. Ich werde es ihm nachher erzählen. Gestern war es recht spät geworden und ich war müde. Heute habe ich den ganzen Tag die Unterlagen gelesen, die Mrs. Cara mir mitgegeben hat. Ihre Liste mit Händlern, die Angaben über die Wohnung im ersten Stock und so weiter.“
„Ich bin mir sicher, dass Severus nicht enttäuscht sein wird zu hören, dass seine Schülerin ihre Talente auf diese Weise entfalten wird. Ich habe zudem von ihm erfahren, dass Sie etwas bei der Körperschaft der Tränkemeister vorstellen wollen.“
„Oh ja, das kommt ja auch noch“, sagte Hermine wenig begeistert. Das Geschäft, die Renovierung und die ganze andere Arbeit, die die Apotheke noch mit sich brachte, verleidete ihr den Termin bei der Körperschaft ein wenig.
„Sie werden das schon meistern. Ihr Auftritt vor der Körperschaft nimmt nur einen Abend in Anspruch. Die Arbeit, die im Vorfeld damit verbunden ist, werden Sie sicherlich nicht allein bewältigen müssen.“
Und wieder, dachte Hermine, wusste Albus bestens über sie und ihre Befürchtungen Bescheid, denn es war Severus gewesen, der mit ihrer Präsentation begonnen hatte und auch ohne sie daran arbeitete. Was diese Vorstellung bei der Körperschaft bringen würde, war ihr noch völlig unklar. Als hätte der Direktor ihre Gedanken gelesen, griff er dieses Thema sofort auf.
„Bestimmt werden Sie viele Menschen kennen lernen, die Ihnen auch in beruflicher Hinsicht nützlich sein könnten, aber womöglich sitzen auch neue Freunde unter den anwesenden Interessierten.“ Albus beugte sich nach vorn und sah ihr in die Augen. „Auch alte Freunde werden Sie wiedersehen, deswegen machen Sie sich bitte über böse Worte, die dort fallen könnten, keine Gedanken. Legen Sie sich ein dickes Fell zu. Das müssen Sie sogar, denn Neider gibt es immer und überall, besonders dann, wenn man plötzlich als Neuling auf einem Gebiet auftaucht und zudem einen schnellen Erfolg vorweisen kann, der anderen Menschen, die schon jahrelang der illusteren Gesellschaft angehören, verwehrt geblieben ist. Bescheidenheit ihrerseits bringt nichts, Hermine. Bewahren Sie Ihren kühlen Kopf. Lassen Sie den Megären nicht die Genugtuung zuteilwerden, dass Sie sich über deren niederträchtigen Äußerungen ärgern.“
„Das hört sich so leicht an, wenn Sie das sagen. Ich weiß nicht, wie ich es aufnehmen werde, wenn es Menschen geben sollte, die mich und meine Arbeit angreifen.“
„Es ist das gute Recht der Menschen, an der Arbeit von anderen keinen Gefallen zu finden. Lassen Sie sich nicht davon beirren und gehen Sie Ihren Weg. Machen Sie das, was Sie für richtig halten, denn es ist Ihr Leben, Ihre Arbeit und nicht zuletzt auch Ihr Steckenpferd, dass Ihnen niemand schlechtreden sollte.“
Das dicke Fell hatte Hermine noch nicht, doch mit der Zeit und mit ein wenig Hilfe würde sie über den Dingen stehen können. Vielleicht, dachte sie, sollte sie sich in dieser Hinsicht ein wenig von Severus abgucken, denn den interessierte nicht im Geringsten, was andere von ihm oder seiner Arbeit hielten. Sie war froh, dass Albus so offen die mögliche Ablehnung ansprach, auf die sie stoßen könnte. Severus ging längst davon aus, dass man ihren Farbtrank niedermachen würde, denn allein die Tatsache, dass auch Muggel ein wenig Magie aufweisen würden, wenn diese auch nicht zu gebrauchen war, würde mit Sicherheit bei altmodisch denkenden Zauberern und Hexen auf Protest stoßen.
„Was ich noch fragen wollte, Hermine, betrifft die neue Prophezeiung.“
Sie stutzte. „Woher wissen Sie denn von der Prophezeiung?“
Seine Augen funkelten verschmitzt, als er antwortete: „Sibyll war so freundlich, mich ausführlich über den Inhalt zu informieren. Ich frage mich, warum niemand bisher an mich herangetreten ist.“
„Ich...“ Hermine fehlten die Worte. „Ja, warum eigentlich? Ich denke, einer von uns hätte Sie sicherlich in den nächsten Tagen eingeweiht. Ich hatte ein wenig um die Ohren und Draco und Ginny wollte erst die Angelegenheit im Ministerium klären.“ Mit festem Blick schaute sie ihn an. „Was denken Sie über die Prophezeiung?“
„Ich denke, dass sie äußerst interpretationsfähig ist. Sibyll war so frei mir zu erklären, dass in so einem Fall die Prophezeiung nicht nur auf eine Person zutreffen muss. Es gibt Prophezeiungen, die weder den Namen einer Person, noch ein ungefähres Datum nennen und deswegen gibt es viele Angestellte im Ministerium, die sich immer mit ihnen befassen, sie zu deuten versuchen oder einfach nur mit dem aktuellen Geschehen in der magischen Welt vergleichen. Das sind Vorhersagen, die Naturkatastrophen ankündigen könnten, Attentate oder auch Ereignisse, die niemals geschehen werden, weil man dank der Prophezeiung wusste, wie man sie abwenden konnte. Nicht jede muss in Erfüllung gehen.“
„Und was denken Sie über die neue Prophezeiung von Sibyll?“
Albus lehnte sich zurück und atmete tief durch. „Sie ist sehr ungenau.“ Er machte eine wellenartige Handbewegung. „'Nebulös', wie Sibyll zu sagen pflegt. Ich denke, sie könnte Menschen betreffen, deren linker Unterarm unschöne Verzierungen aufweist. Die Bezeichnung 'jettschwarz' deutet sicherlich nicht nur auf die Farbe hin, sondern auch auf Kohle, was sich mit dem Rest der Prophezeiung deckt, denn alles in allem scheint Feuer eine große Bedeutung zu haben.“
Die Interpretation ließ sich Hermine einen Augenblick durch den Kopf gehen. Ein seltsames Gefühl strahlte von ihrem Magen aus und schien sich auch ihrem Herzen zu nähern – eine Mischung aus Sorge und Angst.
„Aber wenn das Feuer mit dem dunklen Mal in Zusammenhang steht, dann hört sich das gar nicht gut an. Voldemort ist doch tot!“ Sie hoffte, Albus würde ihre Aussage nicht entkräften.
„Voldemort wird nicht zurückkehren. Sein toter Körper liegt gleich neben dem seiner Mutter und geht den Weg allen Fleisches. Weitere Horkruxe mit Teilen seiner Seele existieren nicht. Aber ich stimme Ihnen zu, Hermine. Es hört sich nicht gut an und ich sorge mich.“ Für einen Moment betrachtete Albus sein Gegenüber, bevor er weitere seiner Vermutungen äußerte. „Warum 'schneeweiß' und nicht einfach weiß?“, fragte er in den Raum hinein. „'Schneeweiß' kann auf Reinblütigkeit hinweisen, muss aber nicht. Es war die erste Assoziation, die mir durch den Kopf ging. Die Anhänger Voldemorts, ob reinblütig oder nicht, haben durchweg eine sehr helle Haut; viel heller als die Haut von anderen, was womöglich erblich bedingt ist. Der junge Mr. Malfoy trägt dieses Problem in seinem Blut.“
„Severus hat auch helle Haut.“
Albus schmunzelte und sagte mit warmer Stimme: „Der Junge kommt ja auch selten raus.“ Auch Hermine konnte ein freundliches Lächeln nicht unterbinden, denn Albus hatte vollkommen Recht. „Severus mag nicht reinblütig sein, aber er hat sehr helle Haut. Es gibt keine bekannte Möglichkeit, das dunkle Mal Voldemorts von der Haut zu entfernen, aber genau das ist es, was die Prophezeiung aussagt. Es ist die Aussage 'Feuer verzehrt, ein Brand erneuert.', die mir zu denken gibt, Hermine.''
„Damit ist die Reinigung gemeint“, warf Hermine ein. „Das Feuer und den Brand sehe ich als eins, denn das eine kann ohne das andere nicht existieren.“
„Da haben Sie sogar Recht, Hermine. Das Feuer macht den Brand aus. Aber was ist es, dass vom Feuer verzehrt wird? Das bereitet mir Kummer, besonders wenn ich es in Zusammenhang mit dem dunklen Mal sehe.“
Den nächsten Punkt der Prophezeiung zu diskutieren lag Hermine nicht, doch Albus scheinbar umso mehr.
„Es stellen sich mir einige Fragen, Hermine. Wer oder was ist seine Flamme?“
Sie hielt dagegen. „Mich interessiert viel mehr, wer mit 'seine' überhaupt gemeint ist.“
„Das stimmt, denn dann wäre eine Deutung viel leichter.“ Er warf ihr einen Blick zu, mit dem er fragte, ob sie es tatsächlich nicht wusste. „Der letzte Teil, dass seine Wunden geheilt werden, scheint für alles andere, was vorher geschieht, wieder zu entschädigen.“
„Und das tränende Herz?“
„Womöglich sinnbildlich gemeint, aber ich bin kein Meister im Deuten von Prophezeiungen und wenn selbst Sibyll an ihre Grenzen stößt, werde ich mir nicht anmaßen, es besser zu wissen. Ich bin ehrlich, Hermine: Ich weiß es nicht. Wahrsagen war nie mein Fach.“
Sie musste lächeln, während sie zugab: „Meines auch nicht.“
„Haben Sie Severus von der Prophezeiung erzählt?“, wollte er wissen.
„Nein, es war ja nicht ich, die sie miterlebt hat. Ich habe eigentlich gedacht, Draco würde es ihm schildern, aber das hat er offensichtlich noch nicht getan.“
„Vielleicht sollte man ihn einweihen, nur für den Fall...“
Albus hatte den Satz nicht beendet, doch Hermines Gedanken hatten das an seiner Stelle getan. Für den Fall, dass Severus mit der Prophezeiung gemeint sein könnte und sie wusste aus einem Bauchgefühl heraus, dass das so war. Das Gefühl der Sorge wurde mit einem Male noch viel schlimmer. Hermine wollte sich gar nicht vorstellen, was geschehen könnte. Sie sah vor ihrem inneren Auge bereits überall hoch schlagende Flammen und mittendrin stand ein verlorener Severus.
„Wenn Sie Ihre Apotheke führen, dann wäre Madam Pomfrey sehr erleichtert, wenn sie bei Ihnen die monatlichen Bestellungen durchführen könnte.“ Albus hatte wirklich ein Talent dafür, nicht nur Themen zu wechseln, denn auch Hermines Stimmung wurde wieder heller. „Nach dem Krieg hat sie noch immer keinen Händler ausfindig machen können, bei dem sie durchweg alles auf einmal ordern kann. Die Arbeit ist sehr mühselig, besonders wenn manch ein Geschäftspartner unzuverlässig ist, man aber keinen anderen findet.“
Hermine konnte es noch gar nicht glauben. „Heißt das, Hogwarts würde bei mir bestellen?“
„Aber natürlich! Die Winkelgasse ist gut zu erreichen. Zudem kennen wir Sie und wissen um Ihre Verlässlichkeit. Ich bin mir sicher, dass Sie in kürzester Zeit Kontakte zu verschiedenen Händlern geknüpft haben werden, denn die sind genauso darauf erpicht, ihre Waren an den Mann zu bringen. Das liebe Gretchen hat sich leider schon vor einigen Jahren von komplizierten Tränken und Zutaten zurückgezogen.“
„Sie kennen Mrs. Cara?“
„Wer kennt sie nicht? Die Apotheke in der Winkelgasse ist bekannt für ihre Qualität, die bedauerlicherweise in den letzten Jahren ein wenig gelitten hat. Mit Ihnen wird das Geschäft wieder aufblühen und ich hoffe doch sehr, Sie gleich noch mit dazu.“
Von ihrem Gespräch mit Albus war sie noch immer ganz perplex, nachdem sie sein Büro verlassen hatte. Sie besaß noch nicht einmal die Apotheke, hatte aber bereits Kunden. „Witzig“, sagte sie leise zu sich selbst, als sie die Wendeltreppe hinunterging. Ein Schriftstück, das Mrs. Cara ihr mitgegeben hatte, wollte sie noch lesen, bevor sie Severus aufsuchen würde. Aber erstens kommt es immer anders und zweitens, als man denkt. Hermine saß gerade auf ihrer Couch und ging den älteren Kostenvoranschlag für die renovierungsbedürftigen Wasserleitungen durch, da stürmte Severus ihr Wohnzimmer.
Ein fröhliches „Hallo“ lag ihr auf den Lippen, doch Severus' Worte erstickten es im Keim.
„Schön“, pflaumte er sie an, „dass es Ihnen gut geht und Sie nicht gevierteilt worden sind.“
„Wie bitte?“
„Und vor allem ist es so rücksichtsvoll von Ihnen“, spottete er missgelaunt, „dass Sie einfach mir nichts, dir nichts verschwinden und sich einen schönen Tag machen.“ Aufgrund seiner Worte hob sie eine Augenbraue, aber sie wollte ihn erst ausreden lassen. „Haben Sie in Ihrem Anflug von Rücksichtslosigkeit eventuell irgendetwas unterschrieben?“
Hermine dachte an das Vorverkaufsrecht und antwortete daher gewissenhaft: „Ja, hab ich.“
Severus biss die Zähne zusammen und schüttelte den Kopf. „Freut mich außerordentlich“, giftete er, „dass Sie sich meine Ratschläge so sehr zu Herzen nehmen. Also werden Sie demnächst im Mungos versauern? Das haben Sie sich redlich verdient!“
Das Grinsen verkniff sich Hermine. Böse auf ihn war sie nicht. Es sprach für sich, dass er so sehr an ihrer Zukunft interessiert war.
„Als was fangen Sie dort an? Werden Sie die Patienten wie am Fließband mit einem Wutsch Ihres Zauberstabes heilen und am Ende mit Ihren Kollegen vergleichen, wer mehr Striche auf seiner Liste zu verzeichnen hat?“ Seine Augenlider verengten sich. „Oder sind es doch Faltencremes und Potenzmittelchen für gut situierte Damen und Herren, die Sie im Labor verbessern dürfen?“ Er zog beide Augenbrauen in die Höhe und schlug so gelassen wie möglich vor: „Sie sollten für sich selbst auch ein paar Cremes zurücklegen, denn ich versichere Ihnen, dass Sie bei der 'vielseitigen' Arbeit“, er schnaufte verhöhnend, „ebenfalls schnell altern werden.“
„Jetzt ist aber genug, Severus“, sagte sie sehr gelassen, womit sie ihn verwunderte. „Für dieses Gemecker sind Sie mir ein Abendessen außerhalb schuldig, anders werden Sie das nicht wieder gutmachen können.“
„Ich werde mich hüten, Ihnen auch noch in irgendeiner Form meine nicht vorhandene Zuversicht zum Ausdruck zu bringen.“
„Severus...“
Er fuhr ihr über den Mund und wetterte: „Ihre Heilerausbildung hätte völlig ausgereicht, um im Mungos zu beginnen. Warum haben Sie mich noch damit belästigt, Ihnen exotische Zutaten und ungewöhnliche Arbeitsmethoden nahezubringen, wenn Sie all das Wissen doch nie anwenden werden?“
„Sie belästigt?“ Sie lachte auf.
„Glauben Sie, es hat mir Spaß gemacht, Ihre aufdringliche Art ertragen zu müssen?“
Jetzt wurde er gemein, aber Hermine wusste, dass nachher alles wieder im Lot sein würde. Sie zog ihren Zauberstab und bemerkte, dass Severus kurz zusammenfuhr. Vielleicht rechnete er mit einem Fluch ihrerseits, doch entgegen seiner Befürchtung sprach sie lediglich einen Stillezauber aus.
Weil er verwirrt schien, erklärte sie gelassen und amüsiert: „Damit Remus sich nicht beschweren kann.“ Sie steckte ihren Stab wieder weg und war erstaunt, dass Severus nicht sofort wieder mit seiner Schimpftirade begonnen hatte. Die Situation schien ihm nicht geheuer zu sein. „Waren Sie etwa schon fertig, Severus?“, hänselte sie ihn freundlich.
Skeptisch kniff er die Augenlider zusammen. „Sie haben gestern etwas unterschrieben?“
„Ja, hab ich.“
„Sie hatten gestern ein Vorstellungsgespräch im Mungos!“
„Richtig, aber was soll das hier werden. Ein Verhör? Wir wäre es, wenn wir das auf einer gemütlichen Basis klären, wie zum Beispiel mit einer netten Unterhaltung?“, schlug sie vor. Gleich darauf klopfte sie mit der flachen Hand auf das Polster der Couch. „Setzen Sie sich doch. Darf ich Ihnen etwas anbieten? Einen Whisky vielleicht? Oder doch lieber etwas zur Beruhigung?“
„Haben Sie im Mungos unterschrieben?“
„Nein“, war ihre knapp gehaltene Antwort.
„Aber Sie sagten doch...“
Sie musste lächeln. „Nein, Severus, ich bin ja kaum dazu gekommen, irgendetwas zu sagen. Stattdessen fegen Sie hier herein wie der Brausewind und toben herum wie das schlimmste Unwetter seit Jahrzehnten.“
Hermine war derweil aufgestanden, um sich und ihm einen Whisky einzuschenken. Das Glas hielt sie einem verdatterten Severus entgegen, der es, nachdem sie sich geräuspert hatte, auch annahm. Ein Blick zu Calliditas Gemälde verriet, dass der längst gegangen war, weil er der Streiterei nicht beiwohnen wollte.
„Setzten Sie sich doch.“ Ihrer Aufforderung kam er wie in Zeitlupe nach. „Ich mach mal kurz das Fenster auf, um die dicke Luft rauszulassen“, schäkerte sie.
Nachdem er einen Schluck genommen hatte und sie sich neben ihn setzte, fragte er nach: „Haben Sie nun etwas unterschrieben oder nicht?“
„Ja, ich habe.“
„Aber nicht im Mungos!“
Soviel schien er verstanden zu haben, dachte Hermine amüsiert. „Nein, nicht im Mungos. Ich habe ein Vorkaufsrecht unterschrieben.“
„Ah“, machte er, doch sie sah förmlich die vielen Fragezeichen, die über seinem Kopf schwirrten.
„Wollen Sie denn gar nicht wissen, für was ich nun ein Vorkaufsrecht habe?“
„Sagen Sie es mir denn?“
Sie zuckte mit den Schultern. „Sicher, sonst hätte ich vor Ihnen wohl keine Ruhe, so neugierig, wie Sie sind.“
„Ich bin gar nicht neugierig“, verteidigte er sich eingeschnappt. „Sagen Sie es nicht, es interessiert mich nicht.“
In ihr Glas murmelte Hermine: „Ist ja ganz was Neues.“
Tatsächlich hielt Hermine mit Informationen zurück, weswegen Severus aufgeregt auf seinem Platz herumrutschte. Er wollte es wissen, aber er würde nicht noch einmal nachfragen, wo er doch zu verstehen gegeben hat, dass es ihn nicht interessieren würde.
Sie holte tief Luft und seufzte. „War ich wirklich so schlimm? Ich meine, haben Sie sich durch mich belästigt gefühlt? War ich so aufdringlich?“
„Ich konnte es ertragen“, erwiderte er nüchtern.
„Nun sind Sie mich ja los und ganz ohne dass Sie mich ins Ausland schicken mussten.“
„Professor Kôji Takeda war sehr angetan von Ihrer Begabung.“
„Wieso? Er kennt mich doch gar nicht.“
„Ich hab ihm ausführlich von Ihnen geschrieben. Hätte ich damals diese Möglichkeit gehabt...“ Er seufzte.
„Nehmen Sie es doch jetzt in Angriff, Severus!“
„In meinem Alter? Ich glaube nicht, dass ich ein gelehriger Schüler wäre.“
„Stimmt, dazu sind Sie viel zu störrisch“, scherzte sie. Entgegen der Vermutung, er würde ihr Paroli bieten, nickte er nur und nahm ein Schluck aus seinem Glas. Sie blickte zu ihm hinüber und schüttelte amüsiert den Kopf. „Gott behüte, dass Sie noch einmal fragen, was ich wohl in Zukunft vorhabe. Sonst würde ich noch denken, man könnte Sie nicht ernst nehmen“, sagte sie mit breitem Grinsen.
Er stöhnte und schürzte die Lippen. „Also gut, für was haben Sie ein Vorkaufsrecht unterschrieben?“
„Für die Apotheke in der Winkelgasse!“
Erstaunt blickte er neben sich und sah in rehbraune Augen, die glücklich strahlten.
„Tatsächlich? Wusste gar nicht, dass Gretchen das Geschäft aufgeben möchte.“
„'Gretchen'? Sie kennen sie?“
„Natürlich? Die Apotheke war noch vor einigen Jahren mit einem fabelhaften Sortiment ausgestattet. Mrs. Cara konnte alles in kürzester Zeit besorgen, aber noch schöner war, dass sie keine Fragen stellte.“
„Oh, gut zu wissen. Dann werde ich meinen Kunden auch keine Fragen stellen.“ Sie lehnte sich entspannt an die Rückenlehne, streckte somit ihren Hals. „Albus hat gesagt, dass Poppy bei mir bestellen würde.“
„Das sieht ihm ähnlich. Hätte mich auch gewundert, wenn er Ihnen nicht in irgendeiner Art und Weise eine Förderung zukommen lassen würde. Mit Hogwarts als Kunden wird es mit dem Geschäft schnell bergauf gehen.“
Sie stutzte. „Bestellt Hogwarts soviel?“
„Nein, es ist ein Aushängeschild für Sie, Hermine, wenn Sie die Schule Ihren Kunden nennen dürfen. Daraus würde ich an Ihrer Stelle vor anderen Kunden keinen Hehl machen. Das ist Werbung und Sie werden es nötig haben.“
„Wow“, sagte Hermine geplättet.
„Sie haben Ihre Begeisterung perfekt ausformuliert, gratuliere“, scherzte er trocken, woraufhin sie ihn mit dem Knie anstupste.
„Werden Sie auch bei mir kaufen?“
„Kommt auf die Preise an.“
Ihr Nacken lag gemütlich auf der Rückenlehne, doch sie rollte ihren Kopf, um ihn anzusehen. „Ich mache Ihnen Freundschaftspreise, Severus.“
Erneut blickte er zu ihr hinüber. Ihr warmes Lächeln kroch bis in die kleinsten Ritzen seines erkalteten Ichs und öffnete Türen, die vor lauter Spinnenweben kaum noch zu erkennen waren. Was hinter diesen so lang verschlossenen Türen lauerte, jagte ihm einen Schrecken ein und nur deshalb schaute er weg.
„'Freundschaftspreise'? Das klingt vielversprechend, aber womöglich reden Sie mir zu viel?“
„Ich sagte doch, ich werden meinen Kunden keine Fragen stellen“, versicherte sie ihm und er fragte sich, wie weit er gehen konnte.
„Wenn ich eines Tages bei Ihnen auftauchen würde und den Gespenstischen Steinregen verlange...“
Sie unterbrach. „Gut, da könnte ich es mir nicht verkneifen, Fragen zu stellen, aber nur, weil ich mir ernsthaft Sorgen machen würde, Severus.“
Mit einem Male waren ihre Gedanken bei der Prophezeiung, denn deswegen machte sie sich große Sorgen. Auch was die Flamme betraf, wollte sie ein wenig Klarheit haben.
„Haben Sie sich mal wieder mit Linda getroffen?“
Ihren Gedankengängen konnte er gar nicht folgen, was seine fragende Mimik deutlich zeigte. „Wie kommen Sie plötzlich auf sie?“
„Ich dachte, es täte Ihnen gut, mal etwas rauszukommen. Sie sind sehr blass, Severus.“ Das wäre auch in Albus' Interesse, dachte Hermine. Von ihrer mütterlichen Fürsorge hielt er hingegen wenig, denn es ärgerte ihn, dass sie gerade Linda ins Gespräch gebracht hatte.
„Mit Mrs. Harrison habe ich kaum Kontakt“, erklärte er abweisend.
„Sie könnten doch...“
„Nein, könnte ich und werde ich nicht!“, stellte er in einem Tonfall klar, der keine Widerrede zuließ.
„Aber...“ Sie hielt inne, denn er setzte sich aufrechter hin und wandte sich ihr zu.
Mit provokant säuselnder Stimme fragte er: „Sagen Sie, Hermine, haben Sie noch Interesse an Mr. Krum?“
Erst einen Augenblick später konnte sie sich äußern. „Viktor ist verheiratet und hat vier Kinder!“ Sie korrigierte sich schnell selbst: „Nein, nach den Zwillingen sind's jetzt sechs.“
„Das beantwortet aber nicht meine Frage.“
Hermine spürte an der schleichenden Hitze im Gesicht, dass sie rot werden musste. „Ich habe kein Interesse an ihm.“
„Und Mr. Weasley vielleicht?“
Ihr ging ein Licht auf. „Schon gut, ich verstehe, was Sie meinen.“
Er verschränkte die Arme vor seinem schmächtigen Brustkorb und starrte beleidigt auf die Flasche Whisky, die auf dem Tisch stand. Wenn sie ihn verkuppeln wollte, konnte er jegliche Chance in den Wind schlagen.
„Herrje, nun sein Sie doch nicht gleich so pikiert, Severus. Ich meine es doch nur gut. Sie sollten wirklich mal öfters Hogwarts verlassen, sonst bekommen sie noch so eine Hautfarbe wie die Steine in Ihren Kerkern.“
„Ich werde Hogwarts verlassen. Immerhin bin ich Ihnen ein Abendessen schuldig.“
„Wie bitte?“
Er schaute ihr in die fragenden Augen. „Sie sagten, dass ich Ihnen für mein Gemecker ein Abendessen außerhalb schuldig wäre, auch wenn ich nicht sehe, wann ich 'gemeckert' haben soll.“
„Das war eigentlich als Scherz gemeint.“
„Und 'uneigentlich'?“ Er trieb es auf die Spitze.
„Ach“, schäkerte sie, „jetzt werden wir kleinlich, ja? Das Wort 'eigentlich' ist ein Synonym für 'tatsächlich' und wird auch gern als Floskel benutzt wie 'im Übrigen' oder...“
„Sie müssen wohl alles verbessern, sonst fehlt Ihnen etwas.“
Hermine musste giggeln, wirklich wie ein Kind giggeln, was ihn völlig überraschte. Nachdem sie sich gefangen hatte, seufzte sie erleichtert.
„Kommen Sie, ich schenke Ihnen noch einen ein“, bot sie an und bejahend hielt er ihr sein Glas hin.
„Ich kenne einige Händler“, begann Severus, während sie einschenkte, „die Ihnen qualitativ hochwertige Zutaten liefern könnten.“
„Für jede Hilfe bin ich Ihnen dankbar, Severus. Wenn ich ehrlich bin, dann habe ich große Angst.“
„Angst wovor?“
„Vor der Selbstständigkeit. Das ist mein erstes Mal.“
„Es gibt für alles ein erstes Mal, Hermine. Sie werden sehen, in spätestens sechs Monaten wird bei Ihnen eine Routine eingekehrt sein, von der Sie nicht einmal zu träumen gewagt hätten.“
„Ihr Wort in Gottes Gehör.“ Sie atmete tief durch. „Sie kommen mich besuchen oder?“
„Wozu? Ich kann mir meine Mittelchen selbst brauen.“
Ein Augenrollen wollte sie nicht unterbinden. „Ich meinte ja auch, um vielleicht mal – wie jetzt in diesem Augenblick – ein wenig zu plaudern.“
„Verstehe, Sie werden tagein, tagaus Ihre Probleme während der Arbeit notieren und mit mir besprechen wollen. Das kann ich nachvollziehen.“
Ungläubig starrte sie ihn an, bevor ihre Gesichtszüge weicher wurden und sie flüchtig sagte: „Vor mir aus auch das.“
Mit Linda hatte er keinen Kontakt mehr, wiederholte Hermine in Gedanken. Jemand anderen konnte sie sich nicht vorstellen, aber sie traute sich auch nicht, ihn zu fragen, ob es jemanden in seinem Leben gab, der ihm sehr viel bedeuten würde. Vielleicht jemanden von früher. Dann fiel ihr Popovich ein, ihr Prüfer und ehemaliger Klassenkamerad von Severus und...
„Herrje, da hätte ich doch fast was vergessen“, murmelte Hermine, sprang von der Couch und ging zu ihrer Tasche hinüber. Nach einem gezielten Griff – Severus fragte sich immer, wie sie bei dem Chaos in ihrer Tasche überhaupt etwas finden konnte – zog sie einen Briefumschlag heraus. Zurück an der Couch hielt sie Severus den Brief entgegen.
„Für Sie, Severus. Das hat mir Mr. Popovich mitgegeben.“ Sie hoffte, es war nichts Dringliches.
Den Brief nahm Severus entgegen und er las für sich, während Hermine wartete, mehr ungeduldig als geduldig, denn ihre Füße hielten nicht still und ihre Hand führte ständig das Whiskyglas an ihren Mund.
„Was schreibt er?“, entwich ihr die Frage, die sie ständig in Gedanken gestellt hatte, nun auch hörbar.
„Sie sollten daran arbeiten.“
„Woran?“
Seinen Blick hatte er kein einziges Mal vom Brief genommen. „Sie stecken Ihre Nase wohl auch in jeden Topf.“
Sie wäre vor Scham gestorben, hätte sie ihre jetzigen Gedanken laut gesagt, denn womöglich, dachte sie, suchte sie nur den richtigen. „Nun, was schreibt er?“
Severus rollte mit den Augen. „Er würde es begrüßen, wenn ich regelmäßig Schüler aufnehmen würde. Ich werde ihn enttäuschen müssen.“
Weil Severus den Brief auf den Tisch legte, fragte Hermine: „Warum machen Sie es denn nicht?“
„Ich denke nicht, dass ich die Geduld aufweisen könnte, jemanden privat zu unterrichten.“
„Das haben Sie doch aber bei mir getan!“
„Was musste ich Ihnen denn schon beibringen?“
„Das war eine ganze Menge.“ Sie seufzte. „Popovich war Ihr Klassenkamerad?“
„Wie ich schon sagte, ja. Ab der fünften Klasse hatten einige Schüler eine Arbeitsgruppe ins Leben gerufen. Wir hatten Projekte, forschten ein wenig. Es war mehr oder weniger von Professor Slughorn zur Diskussion gestellt worden.“
„Waren Sie etwa im Slug-Klub?“ Sie machte ganz große Augen.
„Nein, ich fand das albern, aber er hat mich für die Projekte des Klubs gewonnen.“
Hermine ahnte etwas und sprach es unverblümt an: „Harrys Mum war im Slug-Klub. Sind Sie deshalb nicht...?“
„Genau.“
„Oh.“
Harry hatte ihr so gut wie gar nichts erzählt. Hermine wusste nur soviel, dass das fünfte Schuljahr für Severus nicht das beste gewesen war.
„Und Popovich war der, mit dem Sie immer zusammengearbeitet haben?“ Aufgrund ihrer Frage nickte Severus. „Bis zum letzten Schuljahr oder...?“
„Auch noch in der siebten Klasse, ja. Dort hat ihn ein ähnliches Schicksal ereilt wie mich.“
In Gedanken ging Hermine sämtliche Informationen durch, die sie im Laufe des letzten Jahres erfahren hatte.
„Der Abschlussball?“
Ein Nicken war Severus' Bestätigung, dass sie richtig lag. „Popovich war mit einer Dame aus seinem Haus verabredet. Das war seine Chance, weil der Gefährte von Pamela – so hieß die Dame – während der Weihnachtsferien nicht in Hogwarts war. Mr. Black war jedoch der Meinung...“
„Dann war Popovich derjenige, der an dem Abend genau wie Sie ohne Begleitung dastand, weil Sirius...“
„Woher wissen Sie das so genau?“, fragte er äußerst skeptisch.
Sie hielt sich eine Hand vor den Mund, damit sie nicht noch mehr ausplaudern konnte, doch es war längst zu spät. Diese Informationen hatte sie aus Remus' Tagebüchern. Severus selbst hatte sich kaum zu dem Vorfall geäußert.
„Woher?“ Seine Stimme war nun bedrohlich leise geworden.
Sie nahm ihre Hand vom Mund. „Jedenfalls nicht von Ihnen.“ Selbige Hand fand einen Weg zu ihrer Stirn. „Ich hab darüber gelesen.“
„Solche nichtigen Ereignisse stehen wohl kaum in alten Ausgaben des Tagespropheten.“
„Nein, das nicht, dafür aber in Tagebüchern.“
„Sie können von Glück reden, Hermine, dass ich keine Tagebücher führe, sonst würde ich Sie auf der Stelle verhexen. Sagen Sie schon, wessen Privatsphäre haben Sie auf diese Weise verletzt?“ Sie wollte es nicht sagen, auf keinen Fall. Er könnte ihr damit das Leben erschweren. „Hermine!“
„Remus! Es waren seine Tagebücher. Er hat sie Harry gegeben und der durfte sie lesen, aber ich war 'zufällig' auch da und...“
„Lupin hat das festgehalten?“, murmelte Severus ungläubig, denn er konnte nicht verstehen, warum jemand in seinem Tagebuch Ereignisse niederschreiben sollte, die von anderen Menschen handelten.
„Vergessen Sie es, bitte!“
„Ah“, er grinste fies, „hab ich Sie jetzt etwa in der Hand?“
„Ha, das hätten Sie wohl gern! Nein, Severus. Bevor ich mich von irgendjemandem erpressen lasse, stehe ich für den Mist, den ich verzapft habe, lieber selber gerade.“ Hermine seufzte. „In dem Tagebuch stand alles vom Weihnachtsball Ihrer siebten Klasse. Sie wissen schon, die Sache mit Brenda und auch, wie Sie vorher Linda aus dem See gefischt haben.“
„Seit wann wissen Sie davon?“, wollte er neugierig wissen.
„Seit wann? Schon eine ganze Weile.“
„So ungefähr?“
„In Aberdeen wusste ich es schon, deswegen hat mir mein falscher Name auf dem Pass nicht gefallen.“
Ein Augenblick der Stille verging. Aus lauter Verlegenheit griff Hermine zu ihrem Glas und leerte es, was Severus beobachtete. Sein eigenes Glas war noch halb voll.
„Trinken Sie so schnell oder ich zu langsam?“, fragte er nicht sehr ernst. Sie zuckte nur mit den Schultern, bevor sie sich noch etwas einschenkte.
„Ich hätte nie gedacht, dass ich Whisky mögen könnte.“ Sie roch an dem bernstein-roten Getränk.
„Das ist ihr drittes Glas“, erwähnte er nebenher.
„Jetzt zählen Sie auch noch mit, ich fasse es nicht.“
Severus musste lächeln und damit das nicht auffiel, wandte er seinen Kopf ab und schaute zum Kamin. Über dem Kamin bemerkte er das leere Portrait Calliditas.
„Das Bild werden Sie nicht mitnehmen dürfen“, er deutete hinüber, so dass sie dem Wink mit den Augen folgte. „Vielleicht möchten Sie doch eines von mir?“
„Ich sagte schon, dass mir das Original lieber ist.“
„Gut, dann werde ich regelmäßig bei Ihnen vorbeischauen und Sie um der Gewohnheit Willen ein wenig zurechtweisen.“
„Sie glauben gar nicht, wie sehr ich mich darauf freue“, schäkerte sie. „Was werden Sie machen, wenn ich weg bin?“
„Ich verstehe Ihre Frage nicht ganz. Haben Sie etwa vergessen, dass ich hier Lehrer bin?“
„Oh sicher, und jetzt sagen Sie mir vielleicht auch noch gleich, dass Ihr ganzes Herzblut an diesem Job hängt?“
Er zog elegant eine Augenbraue in die Höhe. „Kinder zu piesacken kann Spaß machen. Sie sollten es einmal versuchen.“
„Nein danke, ich glaube nicht, dass ich Spaß am Unterrichten hätte. So etwas, was Sie mit mir gemacht haben, das könnte mir Spaß machen. Einen privaten Schüler aufzunehmen, meine ich.“
„Man wird mit Sicherheit eines Tages an Sie herantreten. Sehr viele gute Zaubertränkemeister gibt es nicht in Schottland und wenn jemand eine hervorragende Ausbildung genießen möchte, wird er an die angesehenen herantreten.“
„Also zuerst an Sie“, warf Hermine ein.
„Ich werde Sie in solchen Situationen empfehlen. An einem weiteren Schüler habe ich kein Interesse.“
„Dann war ich wohl doch so schlimm, dass ich Ihnen das verleidet habe? Tut mir aufrichtig Leid, Severus“, sagte sie grinsend.
Er schüttelte den Kopf, während er sein Glas zu hypnotisieren versuchte. „Ich weiß nicht, was mich geritten hat, dass ich Ihnen überhaupt den Vorschlag unterbreitet habe.“
„Vielleicht hatten Sie mich einfach nur gern.“
„Ganz sicher nicht!“, hielt er viel zu impulsiv dagegen.
Nicht sehr ernst sagte Hermine daraufhin: „Dann können Sie mich also doch nicht ausstehen, ich wusste es!“
„Ich komme mit Ihnen aus. Das ist mehr, als ich erwartet habe.“
Sie überlegte, ob ihr die Frage gestattet war, was er überhaupt erwartet hatte. Ihre Überlegung stieß sie jedoch von sich.
Um aufs vorige Thema zurückzukommen, fragte Hermine: „Und Sie wollen wirklich hier als Lehrer bleiben?“
„Ich wüsste nicht, was ich sonst tun könnte.“
„Sie könnten forschen!“, schlug sie vor. Es war genauso sein Steckenpferd wie ihres.
„Und wo? Im Mungos vielleicht?“ Er schnaufte verachtend. „Ich habe es schon einmal Harry gesagt: Trotz des Merlinordens bin ich nicht so blauäugig zu glauben, dass es nicht noch einige Menschen gibt, die in mir das sehen, was ich einmal war. Ein Todesser, Hermine. Das sollten auch Sie nicht vergessen, besonders nicht, wenn meine Person Ihnen eines Tages im Weg stehen sollte.“
„Wie sollten Sie mir im Weg stehen?“
„Wenn möglicherweise einer Ihrer Gönner verlangen sollte, sich von mir und meiner Vergangenheit zu distanzieren, dann sollten Sie es tut.“
„Das meinen Sie nicht ernst?“ Sie schüttelte den Kopf. „Wenn jemand mit seinen Galleonen klimpert und schlecht von Ihnen denkt, dann soll ich das Geld nehmen und mich von Ihnen lossagen?“
„Sie müssen an sich und Ihr Geschäft denken. Auf der Versammlung der Körperschaft wird es auch Leute geben, die meinen Namen verunglimpfen, wann immer sie die Möglichkeit dazu bekommen.“
Nochmals schüttelte sie den Kopf. Sie konnte es einfach nicht glauben. Es war nicht von der Hand zu weisen, dass gewisse Menschen – zu ihnen zählte Moody – noch immer in Severus einen Kriminellen sahen. Sie konnte über seine Vergangenheit hinwegsehen, war es doch alles zu einem guten Zweck gewesen.
„Susan hat früher im Krieg an einem alte Poesiebuch-Spruch festgehalten und ihn immer wieder in die Tat umgesetzt.“
„Und was für ein Spruch war das?“
Sie räusperte sich, bevor sie ihn wiedergab. „'Hundert Freunde im Glück halten nicht einen Feind zurück, aber ein Freund in der Not schlägt hundert Feinde tot.'. Das war so etwas wie unser Kampfspruch.“ Hermine lächelte nur halbherzig. „Müssen Sie wirklich erst in einem Lexikon nachlesen, um zu verstehen, was mit dem Begriff 'Freund' gemeint ist? Glauben Sie ja nicht, ich würde Ihnen den Rücken kehren, nur weil irgendein reicher Schnösel mit finanzieller Unterstützung winkt.“
Aus heiterem Himmel musste Severus an seinen Tagtraum denken. Wenigstens sein Unterbewusstsein hatte ihm zu erkennen gegeben, wen er zu seinen engeren Vertrauten zählte.
„Hermine?“ Sie blickte auf. „Tun Sie mir den Gefallen und sehen Sie in Nerhegeb, bevor Sie sich Ihrer Apotheke annehmen.“
Sie blinzelte ein paar Mal und runzelte die Stirn. „Warum denn das?“
„Weil ich Ihnen dann eventuell mitteilen werde, was ich gesehen habe.“
„Sie haben Lily gesehen, das haben Sie mir schon gesagt.“
„Nicht nur.“
„Oh“, machte sie erstaunt.
Ob das ein Handel war, auf den sie eingehen wollte, war ihr noch nicht ganz klar. Sie könnte in den Spiegel schauen; sie musste im Anschluss niemandem davon erzählen, wenn ihr das, was sie sehen würde, nicht gefallen sollte.
„Ich habe die Apotheke gesehen“, gab sie zu.
„Ich dachte, Sie hätten zu kurz reingesehen?“
„Im Nachhinein bin ich mir sicher, dass...“
„Dann haben Sie nicht lange genug geschaut, wenn Sie erst so lange darüber nachdenken mussten, was Sie womöglich gesehen haben könnten. Es ist nur ein Vorschlag. Es liegt an Ihnen, ob Sie es tun oder nicht.“
Sie könnte hineinsehen, dachte sie. Sie wäre für alles, was Nerhegeb ihr zeigen würde, gewappnet – hoffte sie. Primär war jedoch ihre Sorge um die Prophezeiung im Vordergrund, ihre Sorge um Severus.
„Würden... Würden Sie mir...?“ Hermine würde gern sein dunkles Mal sehen, weil sie immer wieder an ihr Gespräch mit Albus denken musste. Sie schluckte kräftig. „Würden Sie mir Ihr dunkles Mal zeigen?“
„Das haben Sie doch bereits gesehen“, stellte er irritiert fest.
„Nur einmal noch.“
Sein Kommentar auf ihre Bitte war ein strenger Blick, der von ihren braunen Augen gebrochen wurde. Er seufzte, bevor er aufstand und sich seines Umhangs und des Gehrocks entledigte. Nachdem er sich gesetzt hatte, öffnete er den Manschettenknopf seines weißen Hemdes, welches man unter der schwarzen Kleidung in der Regel nie zu Gesicht bekam. Ohne zu Zögern, denn sie kannte das Mal bereits, krempelte er den Ärmel hoch und hielt ihr den Arm unter die Nase.
Hermine betrachtete das Mal genau, erkannte keine Veränderung zu damals, als er es ihr unerwartet gezeigt hatte. Das war in den Kerkern gewesen, wo es dunkel war. Hier bei ihr war es hell und sie konnte viel mehr erkennen. Das Mal war deutlich, auch wenn es verblasst war. Nicht mehr schwarz, sondern grau zeichnete sich Voldemorts Zeichen auf seinem Unterarm ab. Mit einem Finger fuhr sie über die Linien, die den Schwanz der Schlange bildeten. Severus' Haut war tatsächlich weiß, bemerkte sie, nur seine Finger waren durch Tränke und Zutaten gelblich verfärbt.
Warum Hermine das dunkle Mal so genau begutachtete, war ihm völlig schleierhaft. Als sie auch noch damit begann, die Linien mit ihren Fingern nachzuziehen, da spürte er, wie sich eine wohlige Gänsehaut auf seinem Unterarm ausbreitete. Bevor Hermine das bemerken würde, zog er seinen Arm weg.
„Warum wollten Sie es sehen? Damit Sie sich immer gut an mich erinnern können?“, stichelte er.
Sie ging gar nicht darauf ein, wollte stattdessen wissen: „Hat es in letzter Zeit mal gebrannt?“
„Wie bitte?“, fuhr er sie erbost an. „Sie wissen sehr genau, was das bedeuten würde, sollte es brennen.“
„Ich habe nur gefragt, ob es sich mal... Ich weiß nicht, ob es sich vielleicht mal heiß angefühlt hat, eben ob es gebrannt hat.“
Wütend krempelte er den Ärmel wieder runter, ließ den Knopf aber offen, bevor er zischte: „Wenn Sie so etwas fragen, dann muss es einen besonderen Grund geben und den will ich wissen!“
„Das wird Ihnen nicht gefallen, Severus.“
„Es gibt vieles in meinem Leben, das mir nicht gefallen hat. Raus mit der Sprache!“
„Ich brauch noch einen Drink“, sagte sie und griff nach der Flasche, doch zeitgleich griff er nach ihrem Handgelenk und zog Hermine zu sich heran. Er brauchte gar nichts zu sagen. Sein Gesichtsausdruck war fordernd genug. Er fletschte die gelben Zähne, kniff die Augen zusammen. Vor Monaten noch hätte Hermine bei seinem Anblick eventuell einen Herzstillstand erlitten, doch diesmal schlug es kräftiger denn je. „Es gibt da so etwas wie eine Prophezeiung“, spielte sie die Sache leise gesprochen hinunter. „Ich glaube, sie betrifft Sie.“
Sein Gesicht entspannte sich nur, weil ihm sämtliche Gesichtszüge entgleisten. In ihren Augen suchte er nach dem Anzeichen einer Eulenspiegelei, aber es war kein Scherz, nicht bei ihrem durchdringenden Blick. Nervös jagten seine Augen über ihr Gesicht. Er betrachtete ihre Muskeln und suchte nach einem quirligen Zucken der Nerven, um sie zu entlarven, wandte sich dann wieder den braunen Augen zu – schaute in ihr rechtes, linkes, rechtes Auge, doch dort verbarg sich keine Neckerei.
„Betrifft mich?“, fragte er ungläubig nach. Seine wispernde Stimme verriet sein Grauen und die Unruhe, die ihn ihm aufgekommen war. „Warum mich?“ Er war es leid, unendlich leid, keine Ruhe zu finden.
„Es ist ja nur eine Vermutung.“
Es waren nicht ihre Worte, nicht ihre Stimme, sondern ihr Blick, der ihm deutlich machte, dass es keine reine Vermutung war. Die Panik, die diese Gewissheit in ihm auslöste, ließ ihn nur noch fester zupacken. Dass sie sich aus seinem Griff herauswinden wollte, bemerkte er nicht einmal, so entsetzt war er von der Information, es würde eine neue Prophezeiung geben; eine, die ihn betreffen würde – und das dunkle Mal.
Unerwartet spürte er etwas an seinem Handgelenk. Er fuhr verschreckt zusammen; versuchte, die Ursache für die Berührung zu finden und wandte aufgescheucht den Kopf. Severus sah, wie anmutig grazile Finger – viel zu edel, um durch Tränke zu vergilben – sich um sein Handgelenk gelegt hatten, um seinen Griff zu lockern. Als hätte Hermine mit akribischer Genauigkeit eine Bärenfalle entschärft, löste sich sein krallenartiger Griff Finger für Finger. Seine Hand lockerte sich und ließ von ihrer ab, doch anstatt vor der Falle zu fliehen, umfasste Hermine sie.
Irgendetwas schnaufte aufgeregt und Severus erschrak, als er sich selbst als Geräuschquelle ausmachen konnte. Es war ihm, als stünde er neben sich. Das Zimmer, in dem er sich befand, wirkte so fremd, völlig unwirklich. Severus schaute sich um und das Unheil nahm seinen Lauf. Die Schatten der Vergangenheit umflorten seinen Blick. Gestalten huschten umher, Erscheinungen mit schwarzen Kutten, sinister und bedrohlich. Jene finsteren Gebilde aus schrecklichen Erinnerungen bahnten sich einen Weg aus seinem Kopf nach draußen, bis er sie lebhaft aus den Augenwinkeln sehen konnte. Glutrote Augen blitzten auf. Severus wandte den Kopf, renkte ihn, drehte ihn hin und her, doch war's nur Einbildung. Kein Lord mit gravitätischem Gebaren war zu sehen.
Der Raum verschwamm vor seinen Augen, so dass er sie schließen musste. Ihm wurde heiß und kalt. Kein Schauer lief ihm über den Rücken, sondern Schweißperlen, so spürbar, als würde eine eisige Klaue über sein Rückgrat fahren. Er schluckte kräftig und versuchte, einen klaren Gedanken zu fassen, doch die Fähigkeit zur Konzentration blieb ihm momentan verwehrt. Mit seiner freien Hand nestelte er aufgebracht am obersten Kragenknopf herum. Irgendetwas schnürte ihm die Kehle zu, er bekam keine Luft. Plötzlich war auch dort eine warme Hand, deren Finger den Knopf mit Leichtigkeit lösten, den darunter gleich noch mit. Severus öffnete seine Augen, schloss sie gleich wieder, weil sich alles drehte, doch er hörte ihre besänftigende Stimme.
„Eine Panikattacke, Severus. Das ist gleich vorbei.“
Seine eigene Stimme klang für ihn wie durch den Trichter eines Grammophons gesprochen. „Er soll nicht wiederkehren.“
Ein Augenblick herrschte Stille, bis sie verstanden hatte. „Wird er nicht, ganz bestimmt nicht.“
Ihre Stimme konnte ihn nicht besänftigen, dafür jedoch die Furcht geringfügig eindämmen. Ein neuer Versuch, die Augen zu öffnen. Er ließ seinen Blick hin und her schweifen, doch noch immer fand er keine Ruhe, keinen Punkt, den er fixieren konnte. Dank der beruhigenden Wärme an seiner Hand, als Hermine sie vollends mit ihren umfasste, erlangte er etwas von seiner abhandengekommenen Besonnenheit wieder. Sein Herz klopfte wie wild und er konzentrierte sich mit geschlossenen Augen genau darauf, auf das rhythmische Geräusch jenes Organs, auf das er sonst nicht hören wollte. Es pochte so sehr, dass er im wahrsten Sinne fühlen konnte, wie das Eis ringsherum zerbarst.
Ein Gewicht auf seinem Schoß ließ ihn blinzeln. Der Kniesel. Mit honigfarbenen Augen blickte das Tier ihn an und endlich fanden seine Augen Ruhe, konnten auf dem Kater verweilen, ohne nervös zu flackern. Das schwarze Haustier schnurrte laut, verströmte fühlbare Vibrationen; beides für Severus ein Wohlgenuss. So konnte er sich von dem Schrecken erholen, nach all den Jahren der eisernen Beherrschung die Fassung verloren zu haben.
„Ich hole Ihnen ein Glas Wasser“, hörte er die vertraute Stimme sagen und übergangslos wurde seine eben noch umfasste Hand ganz kalt. Um sie zu wärmen, vergrub er sie im Fell des Kniesels, der es sich auf Severus' Schoß bequem gemacht hatte. Ein Glas erschien in seinem Blickfeld. „Geht es wieder?“ Seiner Stimme nicht trauend nickte er und griff nach dem Glas. Er sah, dass seine Hand zitterte, doch er ignorierte es und gönnte sich die Erfrischung. Als das kalte Nass seine Kehle befeuchtete, sah er sich wieder in der Lage, ein paar Worte zu sprechen.
„Was hat es mit der Prophezeiung auf sich?“ Er fragte sich, ob nur er ein Beben in seiner Stimme vernommen hatte.
„Wir warten lieber, bis es Ihnen besser geht.“
„Mir geht es gut“, sagte er schwächlich.
„Kreidebleich sind Sie“, hielt sie im freundlichen Tonfall dagegen. Ihre Hand legte sich auf seine, damit sie unbemerkt mit den Fingerspitzen seinen Puls fühlen konnte. „Und Ihr Herz rast noch immer. Eine kurze Pause, Severus.“ Für einen Widerspruch fand er keine Zeit, denn sie sagte von sich aus, um ihn zu beruhigen: „In der Prophezeiung geht es nicht um Voldemort.“ Er atmete erleichtert aus und lauschte, als sie erklärte: „Eher um das dunkle Mal, aber später mehr. Trinken Sie noch etwas.“
Severus gehorchte und nahm ein paar Schlucke. Gerade als er überlegte, wo er das Glas abstellen konnte, wurde es ihm bereits abgenommen. Der Kniesel schnurrte noch immer, wärmte seinen Schoß. Entspannt schloss Severus die Augen und selbst das Zerren und Ziehen an seinen Füßen störte ihn nicht. Hermine zog ihm die Schuhe aus, damit er es bequemer haben würde. Dem Druck auf seinen Schultern gab er nach, bis sein Kopf sich in ein weiches Kissen drückte. Noch immer spürte er sein Herz und er wollte darauf hören, was es zu sagen hatte. Wenige Minuten später war das Einzige, was er noch wahrnahm, der Kater, der wie eine kleine Nähmaschine ununterbrochen schnurrte. Severus schlief ein.
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