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Harry Potter und die Schatten der Vergangenheit - Dosis sola venenum facit

von Muggelchen

Nach dem erlebten Tagtraumzauber befand sich Severus nun nicht mehr in seinem Jugendzimmer. Er saß auch nicht mehr auf seinem Bett neben Hermine, sondern stattdessen neben seinem Hund, der sich in der halben Stunde so breit gemacht hatte, dass eine Hinterpfote auf Severus' Oberschenkeln lag. Harry schnarchte. Severus hingegen seufzte. Jetzt konnte er nicht mehr leugnen, dass Hermine vollends die Rolle von Lily eingenommen hatte. Das hatte er Harry gegenüber sogar schon einmal zugegeben, doch Lily war für ihn weit mehr gewesen als nur eine Freundin. Er bezweifelte, dass seine hoffentlich kurzzeitige Verwirrung Perspektiven hätte.

'Verdammt', dachte er, doch trotzdem ließ er sich von seinem eigenen Tagtraum erweichen.

Eines Tages seiner Mutter die Freundin vorzustellen war ein großer Wunsch von ihm gewesen. Sein Vater war zum Glück nicht in der halben Stunde vorgekommen. Früher hatte er sich viele Gedanken darüber gemacht, mit welchen Erklärungen er den Zustand seines Vaters verharmlosen könnte, wenn der wieder einmal im Delirium auf der Couch eingeschlafen war. Solche möglichen Peinlichkeiten hatten ihn immer davon abgehalten, jemanden zu sich einzuladen, auch wenn er hätte sicher sein können, dass die Herzlichkeit seine Mutter einiges beim Gast wieder wett gemacht hätte. Seine Mutter hatte er über alles geliebt, doch seinen Vater machte er für unzählige Miseren und familiäre Probleme verantwortlich. Als er seine Eltern in Gedanken gegenüberstellte, erschrak er, denn ihm wurde bewusst, dass er, obwohl er seine Mutter vergötterte, im Wesen so viel mehr dem grantigen Vater glich.

Gegen Remus' Freundlichkeit konnte er sich in der Realität schon nicht wehren, im Tagtraum hatte er es gar nicht erst versucht. Remus war immer ein unscheinbarer und ruhiger Junge gewesen, der einmal im Monat besonders kränklich ausgesehen hatte, das wusste Severus noch aus Kindertagen. Er hatte seiner Meinung nach nur mit den falschen Leuten Umgang. Genau wie er selbst, dachte Severus wehmütig. Albus hatte ihm einmal vorgeworfen, den einzig wahren Freund gegen eine Handvoll Heuchler eingetauscht zu haben.

Harry war nach Albus der Erste gewesen, der in der neuen und daher ungewohnten Zeit des Friedens den Kontakt zu ihm gesucht hatte und mit seinem Vorhaben nicht locker ließ. Severus hatte gar keine Chance gehabt, gegen Harrys dezent hartnäckige Kontaktfreudigkeit Widerstand zu leisten und als er Harry auch noch einen Kollegen nennen musste, blieb Severus nichts anderes übrig, als die Segel zu streichen. Er konnte sich noch gut an Harrys Forderung erinnern, die er als Bezahlung genannt hatte, weil er mit dem Hund spazieren ging. Sein ehemaliger Plagegeist hatte lediglich verlangt, dass er versuchen sollte, nett zu sein.

Damals hatte Severus fast zehn Jahre Zeit gehabt, sich psychisch auf Harrys Einschulung in Hogwarts vorzubereiten und dennoch traf es ihn wie der Schlag, als er zum ersten Mal mit eigenen Augen sehen musste, dass Harry so sehr seinem Vater glich, doch die Augen waren ganz die von Lily. Es quälte ihn ganze sechs Jahre, tagein, tagaus in diesem Jungen die ewige Vereinigung von James und Lily vor Augen zu haben, immerfort das fühlen zu müssen, was er einst ein für alle Mal aus seinem Gemüt hatte verbannen wollen. Selbst die zerrissene Psyche konnte reichlich Seelenschmerz erleiden und deswegen hasste Severus Harry, denn der war mit den Erinnerungen, die er in ihm weckte, die Ursache dieser Qual. Mit dem täglichen Andenken an seine vergangene Blume gab es keine Aussicht zu vergessen, dabei hätte er so viel gegeben, um nur einen winzigen Schluck aus dem Lethe trinken zu dürfen.

Im Tagtraum war jedoch nicht einmal Lilys Name gefallen und Harrys Anblick hatte ihm keinen Stich im Herzen versetzt. Der Junge war sein Freund gewesen; alle drei hatten sich um Freundschaft bemüht. Seit Lily hatte er das nur in Albus gefunden.

Severus beugte sich nach vorn, um die leere Schachtel des Tagtraums in die Hand zu nehmen. Der Hund ließ sich von der Bewegung nicht stören, auch nicht davon, dass Severus dessen Hinterpfote umfasste und geistesabwesend eine Zehe mit seinem Daumen streichelte. Sich die Packung vor Augen haltend las Severus unter dem Logo „Überraschungstraum“ den erst jetzt sichtbaren Satz „Diese Überraschung beinhaltete den 'Kindheitstraum'. Weil uns die Qualität unserer Produkte am Herzen liegt bitten wir Sie, die Fragen im Deckel dieser Box zu beantworten.“ Severus klappte mit dem Zeigefinger den Deckel hoch, um die Schrift lesen zu können. „Bitte kreuzen Sie an, ob Sie mit folgenden Aspekten 'voll und ganz zufrieden', 'nur zufrieden' oder von ihnen 'enttäuscht' waren.“ Gleich darunter befanden sich die Fragen „Bedienung der Box“, „Design“, „Preis-Leistungs-Verhältnis“, „Realitätsnähe“ und noch einige andere, die Severus weder zu lesen noch zu beantworten bereit war.

Einen Stock tiefer kam Harry gerade schlaftrunken von der Toilette und steuerte das Bett an, um noch drei Stunden Schlaf zu finden, als er es aus der Wiege quengeln hörte.

„Dabei war ich extra so leise“, sagte er zu sich selbst, als er in die Wiege schaute. Nicholas war hellwach, fokussierte ihn mit den großen blauen Augen und lächelte, was Harry unbewusst erwiderte. Vorsichtig nahm er den Jungen auf den Arm. Der kleine Kopf mit dem schwarzen Flaum kitzelte ihn an der Wange. Harry würde beschwören, dass es nichts Weicheres gab als die Haut eines Babys. Mit der Decke aus der Wiege umwickelte Harry den Kleinen, bevor er ins dunkle Wohnzimmer ging. Das Rascheln von Federn war zu hören. Nur Hedwig konnte man sehen, weil das Mondlicht auf ihr weißes Gefieder fiel. Fawkes hingegen war ein sich bewegender Schatten im Zimmer. Das Babys im Arm wiegend ging er hinüber zum Fenster, um ein wenig hinauszusehen. Die vereinzelten Wolken zogen schnell über den Himmel, als hätten sie es eilig. Die Äste der blätterlosen Bäume wiegten sich im Wind. Er musste unweigerlich daran denken, wie oft er nachts im Schlafsaal der Gryffindors am Fenster gesessen hatten, nur weil ein schrecklicher Traum ihn aus dem Schlaf gerissen oder weil Voldemort ihm widerliche Visionen per Legilimentik gezeigt hatte. Heutzutage wachte Harry entweder auf, wenn seine Blase sich des vielen Kürbissafts entledigen wollte oder weil Nicholas dies bereits hinter sich hatte und daraufhin lauthals eine neue Windeln einforderte.

In Malfoy Manor war Draco gerade dabei, Charles trockenzulegen. Fast jeden Tag, wenn seine schulischen Pflichten es zuließen, kam er nach dem Unterricht nachhause, nur dann nicht, wenn er Nachhilfe gab oder er anderweitig eingebunden war. Susan hatte sich nie beschwert, mehrmals in der Nacht aufzustehen, um das Baby zu versorgen. Diesmal war Draco durch Zufall wachgeworden und als er nach dem Rechten sah, da begann das Baby in seinem Bettchen zu wimmern. Die Windel war schnell und dank des von seiner Mutter erlernten Zauberspruchs gewechselt, so dass Draco ihn eine Weile auf seinem Arm hielt und ihn sanft schaukelte. Im Nu war der Junge wieder eingeschlafen, doch Draco legte ihn nicht zurück ins Kinderbett. Von dem Gefühl des leichten Gewichts auf seinen Armen und der Wärme, die von dem Baby ausstrahlte, konnte er sich schwer trennen. Ein Blick zum Bett verriet ihm, dass Susan fest schlief. Sie atmete genauso leise wie Charles, dessen Wange an Dracos Schlüsselbein ruhte.

Von der Prophezeiung hatte er natürlich Susan erzählt. Gestern Abend erst erklärte sie ihm – sie hatte sich zuvor schlaumachen müssen –, dass er und Ginny ab dem Tag der Prophezeiung insgesamt vier Wochen Zeit hätten, sie beim Ministerium zu melden. Man würde die Zeugen einladen und auch den Seher. Die Erinnerung an die Prophezeiung würde man den Zeugen entnehmen, um sie sich im ministeriumseigenen Denkarium zu betrachten und erst dann würde man sich entscheiden, welche von ihnen am deutlichsten war, welche also gelagert werden würde.

„Die Typen von der Mysteriumsabteilung“, hatte Susan ihm vor einigen Stunden gesagt, „sind ein wenig seltsam, aber lass dich davon nicht abschrecken.“
„Seltsam?“
„Ja, seltsam.“
Die Bezeichnung sagte nicht gerade viel aus, weswegen Draco wissen wollte: „Seltsam wie Luna?“
Daraufhin hatte er einen skeptischen Blick geerntet, bevor Susan ihn mit einem leichten Vorwurf korrigierte: „Luna ist doch nicht seltsam.“

Während er Charles wiegte, erinnerte er sich an den Rest des Gesprächs vom letzten Abend.

„Die Mitarbeiter, die die Prophezeiungen katalogisieren, deuten und verwalten, haben alle ein 'Ohnegleichen' in Wahrsagen gehabt“, hatte Susan erklärt.
„Dann sind sie alle wie Trelawney?“
Susans Lippen waren von einem breiten Grinsen eingenommen. „Ich würde sagen, sie sind viel seltsamer!“
„Geht denn das überhaupt?“

Draco schaute zu seinem Nachttisch hinüber. Dort lagen die Formulare, die er morgen mit in die Schule nehmen musste, damit auch Ginny eines ausfüllen konnte. Es würde eine Einladung zum Ministerium folgen, für die sie vom Unterricht befreit werden würden.

Das schlafende Baby legte Draco zurück in das Bettchen neben der elterlichen Schlafstatt, bevor er zurück unter die Bettdecke zu Susan kroch, sie von hinten umarmte und wieder einschlief.

Hermine hingegen war zu dieser Nachtstunde noch sehr munter. „Ich könnte Sie umarmen, Corvinus.“ Der Heiler im Gemälde hatte ihr vorhin die Anrede mit dem Vornamen angeboten. „Wenn Ihre Überlegungen richtig sind und das könnten Sie durchaus sein, dann wäre das Problem gelöst!“

Sie kramte einige Unterlagen zusammen, um sich auf den Weg zu Severus zu machen, der jetzt bestimmt noch nicht schlief, doch da klopfte es unerwartet. Bevor sie „Herein!“ rufen konnte, wurde die Tür bereits stürmisch geöffnet. Der erste Blick auf ihren Tränkemeister verriet ihr, dass er sehr ungehalten zu sein schien. Warum das so war, rieb er ihr sofort unter die Nase. Er holte tief Luft und sprach angestrengt leise, so dass sein Flüsterton Ähnlichkeit mit dem Zischen einer gereizten Schlange hatte.

„Da will ich mir nur einen Traumlosen Schlaf aus meinem persönlichen Vorräten holen und was muss ich sehen?“ Sie stutze und zuckte mit den Schultern, so dass er sie erleuchtete. „Es fehlen Basiliskenschuppen!“ Der Vorwurf benötigte einen Augenblick, bis Hermine ihn verarbeitet hatte und sich der Anschuldigung stellen konnte.
„Die wieder einmal ich genommen haben soll oder was?“, sprudelte es wütend aus ihr heraus. „Nein Severus, langsam reicht es. Immer wenn etwas fehlt, soll ich der Dieb sein.“
„Mmmh“, summte er, was in seiner jetzigen Verfassung sehr bedrohlich wirkte. „Das könnte eventuell daran liegen“, seine Stimme wurde lauter, „dass Sie sich schon mehrmals aus meinen Vorräten bedient haben, als wäre es ein Zutatengeschäft.“ Corvinus zuckte in seinem Gemälde zusammen.
„Ein Geschäft wäre bestimmt besser sortiert“, schoss sie zurück und sie bereute es, so schnippisch gewesen zu sein, denn damit brachte sie ihn nur noch mehr auf die Palme.
„Wer sonst sollte sich Basiliskenschuppen nehmen wollen? Ich bin mir sicher, dass es in diesem Schloss nur eine Handvoll Menschen gibt, die überhaupt wissen, um was es sich dabei handelt!“
„Harry war's“, warf sie salopp ein.
„Ja sicher...“ Er glaubte ihr nicht. „Was sollte er damit wollen? Seine Noten sprechen dagegen, sich mit solch ungewöhnlichen Komponenten freiwillig auseinandersetzen zu wollen. Aber vielleicht haben Sie ja Recht und er will er sich für das nächste Quidditch-Spiel ein paar Knieschützer daraus basteln?“
„Severus!“ Sie seufzte und versuchte, sich zu beruhigen. „Harry hat die Schuppen genommen, um mit den Wassermenschen einen Handel abzuschließen. Sie bekommen sie zurück! Er muss nur in die Kammer gehen. Alles, was da unten vergammelt, gehört Ihnen und es nimmt Ihnen auch keiner weg.“ Es war nicht ihre Absicht gewesen, ihn auf den Arm zu nehmen. Dass es ein Fehler gewesen war, machte er ihr auf der Stelle klar.
Nicht wie sonst drohte er leise, sondern aus voller Kehle: „Was fällt Ihnen ein, sich über mich lustig zu machen?“

Durch den Schlafmangel war Severus äußerst affektgeladen. Sie versuchte ihn milde zu stimmen, obwohl sie ahnte, dass es dafür längst zu spät war.

„Tun Sie mir einen Gefallen, Severus: Nehmen Sie Ihren Trank und gehen Sie schlafen. Wir reden morgen...“
„Das könnte Ihnen so passen!“, fiel er ihr Gift und Galle spuckend ins Wort. „Ich werde nicht zulassen, dass Sie mit Dingen experimentieren, die selbst für mich Neuland sind. Ich will auf der Stelle die Schuppen zurück!“
„Dann wird Ihnen nichts anderes übrig bleiben, als kopfüber in den See zu springen, weil die Wassermenschen sie haben!“ Auch sie hielt mit ihrer Lautstärke nun nicht mehr zurück, Corvinus hingegen gab keinen Mucks von sich.

Severus' Blick fiel jetzt erst auf das Gemälde auf dem Sessel, dann auf die Unterlagen auf dem Tisch. Ihn beschlich das ungute Gefühl, sie könnte mit dem porträtierten Heiler über ihn und sein Problem geredet haben.

„Was tun Sie da überhaupt?“
Jetzt war Hermine wirklich wütend. „Das Fragen Sie? Ich schlag mir hier die Nacht um die Ohren, weil Sie mich darum gebeten haben, Ihre Berechnungen durchzusehen oder haben Sie das etwa schon vergessen? Das wäre nämlich schade, denn wir...“

Ein Zimmer weiter wälzte sich Remus im Bett hin und her. Von den erst dumpfen, dann immer lauter werdenden Stimmen war er aufgewacht. Verstehen konnte er kein Wort, aber er hörte, dass eine angemessene Zimmerlautstärke mit Füßen getreten wurde. Eine Weile hatte er gehofft, es würde sich von allein geben, aber mittlerweile war diese Hoffnung dahin. Hermine und wer auch immer hatten sich „warm geredet“, leisteten sich einen verbalen Schlagabtausch und das um...

Remus drehte sich und nahm die Uhr vom Nachttisch. Fünf Uhr morgens. Zum Aufstehen war ihm das zu früh, aber am Schlafen hinderte ihn die Streitigkeit im Nebenzimmer. Dösig überlegte Remus, ob er nebenan für Ruhe sorgen oder lieber versuchen sollte, die lauten Stimmen zu ignorieren.

Die Luft in Hermines Wohnzimmer war stetig dicker geworden. Sie hatte so schon den Kopf voll, aber sich jetzt auch noch mit einem aufgebrachten Severus befassen zu müssen, das war ihr zu viel.

„Warum sind Sie eigentlich hier, Severus? Nur um mir zu sagen, dass man Sie bestohlen hat? Ich habe es doch erklärt!“
„Und ich glaube Ihnen nicht!“ Severus hatte sich selbst belogen. Er glaubte ihr, aber er befürchtete, sie würde sich momentan mit dem „Ewigen See“ befassen.
„Lassen Sie mich bitte weiterarbeiten“, bat sie kraftlos.

Sein Blick fiel auf das Gemälde.

„Was sucht der hier?“
Hermine schaute zum Sessel hinüber. „Darf ich vorstellen: Das ist Mr. Corvinus Callidita und wir sind zusammen die Berechnungen für das Gegengift durchgegangen.“
„Sind Sie das?“ Severus kniff arrogant die Augen zusammen, bevor er Corvinus anblickte. „Und zu welchem Ergebnis sind Sie gekommen?“ Gerade mal ein Wort hatte Hermine herausbringen können, da unterbrach Severus sie. „Habe ich das Wort an Sie gerichtet?“ Erneut den Herrn im Gemälde fixierend trat Severus einige Schritte an ihn heran. „Und? Was haben Sie erfahren?“
Corvinus schluckte aufgeregt. Seine Augen flackerten zwischen Hermine und dem Tränkemeister hin und her, bevor er sich zusammenriss und sagte: „Www-wir haben...“ Severus Augenbrauen schossen in die Höhe und seinem Gesichtsausdruck war die Frage zu entnehmen, ob das ein Scherz sein sollte. Trotzdem ihn der Tränkemeister einschüchterte, erklärte Corvinus weiter. „Wir haben Ihre...“ Eine Sprechblockade setzte ein. Corvinus' Lippen zuckten, seine Hände untermalten das nicht noch nicht gesagte Wort und Severus hatte im Gegenteil zu Hermine keine Geduld für so etwas.

Mit lapidarer Handbewegung winkte er Corvinus ab und richtete das Wort an Hermine: „Was soll der Unfug? Warum befassen Sie sich mit einem fehlerhaften Gemälde. Das würde ja Stunden dauern.“

Dass er mit seinen Worten einen Fehler begangen hatte, wurde ihm zuerst bewusst, als Hermine schockiert ihre Augen aufriss. Kurz darauf konnte er ihre Enttäuschung erkennen, gefolgt von einem Gesichtsausdruck, der ihm vor Augen hielt, mit seinem Verhalten bei ihr soeben Abscheu hervorgerufen zu haben.

„Sein Sie nicht so, Severus.“ Ihre Augen funkelten böse und zu seinem Erstaunen bleckte sie die Zähne. „Man bekommt sonst Eindruck, dass Sie erst vor Kurzem beim Fleischer waren.“ Sie äffte seine Stimme nach: „Ein Pfund Freundlichkeit bitte, wenn möglich drehen Sie es kurz durch den Fleischwolf.“ Seine Augenlider verengten sich zu schmalen Schlitzen, die jedem Erstklässler eine nasse Hose beschert hätte, doch sie ließ sich von seinem Gebaren nicht abschrecken. „Mr. Callidita ist mein Gast und ich werde nicht zulassen, dass Sie ihn auf diese Weise behandeln. Raus, gehen Sie!“ Sie deutete demonstrativ auf die Tür, doch Severus bewegte sich nicht, so dass ihre nächsten Worte schon wesentlich energischer klangen: „Das ist mein Zimmer, ich sagte raus!“ Um ihrer Aufforderung Nachdruck zu verleihen, warf sie mit einem der Kissen, die auf ihrer Couch lagen. Er fing es noch in der Luft und grinste fies.
„Wie goldig, jetzt werfen Sie mit Kissen.“ Blitzschnell zog sie ihren Zauberstab, weswegen er das Kissen fallen ließ und beide Hände in beschwichtigender Geste hob. „Ich gehe, keine Sorge. Sie können weiterhin mit Ihrem Gemälde liebäugeln und mit so vielen Plüschkissen um sich werfen, wie Sie es möchten.“

An der Tür angelangt erschrak Severus unmerklich, denn kaum hatte er seine Hand auf den Türknauf gelegt, klopfte es. Da er sowieso gehen wollte, öffnete er einfach und blickte in das müde und ungewohnt grimmige Gesicht seines Kollegen für die Pflege magischer Geschöpfe, der sogleich das Wort an beide richtete.

Remus legte eine Hand auf sein Herz und sagte gezwungen freundlich: „Ich bin der festen Überzeugung, dass – egal was ihr hier treibt – es auch leiser geht!“ Severus wollte gerade das Wort ergreifen, da verbat Remus ihm mit einem Fingerzeig den Mund. „Um fünf Uhr in der Früh darf ich sicherlich Rücksicht von meinen Kollegen erwarten.“ Als Hermine bewusst wurde, dass sie mit ihrer Streitigkeit Remus geweckt hatten, hielt sie sich vor Scham eine Hand vor den Mund. Remus schloss die Augen und atmete einmal tief durch. „Wenn sich das nächste Mal so eine hitzige Diskussion entfachen sollte, dann wäre ich wirklich außerordentlich dankbar“, Remus blickte einmal zu Hermine hinüber, weil er damit auch sie meinte, „wenn einer von euch prophylaktisch an einen Stillezauber denken könnte.“ Remus rang sich ein sein Lächeln ab, aber das wirkte so gekünstelt, dass sogar Severus klar wurde, eben über die Stränge geschlagen zu haben. „Danke“, war das letzte Wort des neuen Lehrers, bevor der sich auf den Rückweg in sein Zimmer machte.

Severus warf Hermine einen Schulterblick zu, bevor auch er hinaustrat. Auf dem Gang erblickte er nochmals Remus, der gerade an seiner Tür stand.

„Verzeihen Sie die Unannehmlichkeiten“, sagte Severus so verbissen, als hätte jemand diese Worte mit einer Saftpresse aus ihm herausgequetscht. Remus nickte ihm einmal wohlwollend zu, bevor er in seinem Zimmer verschwand.

Stumm saß Hermine in ihrem Zimmer und verfluchte die vorangegangene Situation. Ihr Herz schlug wie wild. Es war ihr unbegreiflich, warum Severus sie so angefahren hatte. Der Schlafmangel allein konnte nicht die Ursache sein, auch nicht die Tatsache, dass er erst jetzt die fehlenden Schuppen bemerkt hatte. Morgen würde sie dafür Harry eine Abreibung verpassen, denn der hatte versichert, neue Schuppen aus der Kammer zu besorgen.

„Ich werd' zu ihm gehen“, sagte Hermine mit niedergeschlagener Stimme. Corvinus konnte ihre Motivation nicht verstehen, blickte sie daher irritiert an. „Sein Sie ihm bitte nicht böse. Sie können mir glauben, dass er anderen Menschen schon viel übler zugesetzt hat.“
„Ihnen auch?“, wollte er wissen.
„Ganz besonders mir, würde ich sagen. Ich weiß nicht, warum ihm eine Laus über die Leber gelaufen ist. Er ist nicht immer so.“
„Wenn Sie meinen, Hermine. Ich kann ihn nicht leiden.“ Corvinus nahm einen Schluck von seinem Tee, doch als Hermine aufstand, da bat er: „Würden Sie mich in Sicherheit bringen?“
Sie stutzte. „Wovor?“ Er deutete in eine Richtung und Hermine erkannte das Problem: Fellini. Er wetzte seine Krallen gerade an einem Sisal-Kratzbrett. „Ja, natürlich. Ich werde Sie an die Wand hängen.“

Gesagt, getan. Corvinus fand sich über ihrem Kamin wieder und es schien, als hätte sein Gemälde schon immer dort gehangen.

In den Kerkern hatte Severus noch keinen Traumlosen Schlaf zu sich genommen. Er war wütend, aber die Ursache für seinen Zorn war ihm nicht ganz klar. Natürlich würde Hermine ihn nicht bestehlen. Nicht nachdem sie ihm all ihre Missetaten offen gelegt hatte. Sogar seinen Umhang hatte sie damals in Brand gesetzt, weil sie ihn für Harrys verrückt spielenden Besen beim Quidditch verantwortlich gemacht hatte. Severus schmunzelte. Solch ein Unterfangen hätte auch Lilys temperamentvollem Wesen entspringen können, besonders wenn er sich an das Ereignis mit den Knallfröschen in „Geschichte der Zauberei“ erinnerte. Das war das erste und einzige Mal gewesen, dass Professor Binns aus der Haut gefahren war – oder besser aus seinem Astralleib. Lily hatte zehn Punkte verloren, aber immerhin die Wette gewonnen, Professor Binns aus dem Konzept zu bringen.

Seufzend knetete er die Ohren von Harry, der nur mit einem Auge wach war und seinen Kopf auf Severus' Schenkel gelegt hatte. Sein Blick verweilte auf der leeren Kiste des Tagtraums und er wägte ab, ob er sich später einmal über das umfassende Angebot – die anderen Traumthemen – der Weasley-Zwillinge informieren sollte, da klopfte es.

Die Tür öffnete sich ohne eine verbale Aufforderung seinerseits, und Hermine trat herein. Ein gutes Zeichen war, dass sie die Tür leise hinter sich schloss. Ein weiteres gutes Zeichen war seiner Meinung nach ihr Gesichtsausdruck. Wut war nicht zu erkennen. Sie wirkte eher bekümmert, teilweise auch sehr abgeschlagen. Das letzte positive Anzeichen war, dass sie ihm in die Augen schaute, ihn nicht ignorierte. Sie setzte sich neben ihn, auch wenn dort wenig Platz war, doch die andere Hälfte des Sofas hatte der Hund für sich beansprucht.

Mit ruhiger Stimme machte sie ihm klar: „Ich will nicht streiten, das habe ich schon einmal gesagt.“ Sie seufzte und er bekam deswegen ein ganz schlechtes Gewissen. „Wenn Sie mich grundlos so zur Schnecke machen, dann lasse ich mir das nicht gefallen.“ Aufmerksam hörte er ihrer Ausführung zu. „Besonders schlimm fand ich, wie Sie mit Callidita umgesprungen sind. Das war mir unangenehm.“
„Das ist nur ein Gemälde“, rechtfertigte sich Severus. „Ich bin mir nicht einmal sicher, ob magische Gemälde Empfindungen haben können.“
„Das frage ich mich manchmal auch bei Ihnen.“ Ihre Worte waren nicht als Beleidigung gemeint, was ihre verzweifelte Stimme untermauerte. Sie blickte ihn eindringlich an. „Wenn es die Möglichkeit gäbe, Severus, dann würde ich die Freundlichkeit und die Herzensgüte aus Calliditas Gemälde hinauszaubern und ihn Sie hineinprügeln. Irgendwo zwischen Sarkasmus und Groll ist bestimmt noch etwas Platz für ein wenig Sanftmut“, sagte sie todernst und traurig, weswegen ihm zum ersten Mal bewusst wurde, was sie an seinem Wesen so sehr vermisste und es tat weh.

Müde und ausgelaugt lehnte sie sich zurück und dabei fiel ihr Blick auf die leere Schachtel von dem Tagtraum. Mit schnellem Griff hatte sie die Kiste auch schon in den Händen und las murmelnd: „Diese Überraschung beinhaltete den 'Kindheitstraum'.“ Sie stutzte, schaute erneut neben sich und sagte ein wenig aufgeregt: „Herrje, sind Sie deswegen so missgestimmt? Ich schwöre, dass George mir versichert hat, keiner der Tagträume würde negative Stimmung aufkommen lassen.“
„Nein, es war...“
Weil er sich selbst weitere Worte verbat, hakte sie nach. „Was haben Sie geträumt?“
„Was haben Sie in Nerhegeb gesehen?“ Die Gegenfrage stellte er so schnell, dass Hermine die Ahnung beschlich, sie hätte ihm schon länger auf der Zunge gebrannt.
„Das ist ein schlechter Tausch, Severus.“ Sie lächelte. „Ich hab kaum was gesehen, habe schnell weggeschaut. Sagen Sie schon, was haben Sie geträumt?“
„Das ist sehr persönlich.“
„Es ist nur ein Tagtraum, nichts Besonderes.“
„Hermine“, stöhnte er. „Es ist sehr persönlich.“
„In Ordnung, ich frag nicht länger.“

Die Box stellte sie wieder auf dem Tisch ab und wechselte das Thema.

„Mr. Callidita und ich haben eine Theorie.“ Mit hochgezogenen Augenbrauen zeigte er sein Interesse, so dass sie erzählte: „Die Berechnung von Ihnen war korrekt, aber wenn es nicht hilft, dann muss etwas in Pansys Körper sein, das noch immer 'Schlafes Bruder' in kleinen Dosen abgibt.“
Severus' Stirn schlug Falten. „Wie soll ich das verstehen?“
„Na ja, wir müssten es prüfen. Pansy wurde nur ein einziges Mal von Kopf bis Fuß untersucht und das auch nur von der Leichenbeschauerin. Professor Puddle hat bisher keine erneute Gesamtuntersuchung angeordnet.“
„Und?“
„Die Untersuchung bei der Leichenbeschau ist sehr oberflächlich, es sei denn, ein Mord wird vermutet und das war bei Pansy nicht der Fall. Was wir also im Mungos anregen sollten wäre eine umfangreiche Untersuchung auf mögliche Fremdkörper.“
„Warum habe ich das Gefühl, dass Sie schon eine Ahnung haben?“ Er rang sich ein Lächeln ab und war erstaunt, dass es ihm nicht einmal schwerfiel.
„Corvinus und ich glauben, dass womöglich die Spitze des Messers in Pansys Schulter zurückgeblieben ist. Es reicht ein kleines Stückchen abgesplittertes Metall, das mit Schlafes Bruder versetzt war und schon kann das Gegengift nicht helfen, weil sich die beiden Mittel im Wege stehen.“

Einen Moment lang überlegte Severus, bis er nickte.

„Es ist durchaus möglich, dass durch den extrem verlangsamten Blutkreislauf noch immer Schlafes Bruder von einem Fremdkörper abgegeben wird. Wir reden hier von minimalsten Mengen, von Nanolitern. Jedes Mal, wenn Miss Parkinson erwacht und ihr Blut wieder zirkuliert, breitet sich das Gift erneut aus.“ Er schüttelte den Kopf. „Dieser Trank ist ein wirklich geschmackloser Einfall, aus wissenschaftlicher Sicht aber äußerst durchdacht.“
„Ich hab nie angenommen, dass Bellatrix dumm gewesen war. Sie war sogar sehr clever, aber auch sehr gefährlich.“
Er nickte zustimmend. „Solche Eigenschaften machen einen Menschen unberechenbar.“
„Ich glaube sogar, sie war es gewesen, die...“ Ihre Kehle schnürte sich zusammen, doch sie hatte den Anfang gemacht und sie wusste, dass Severus nicht beendete Sätze hasste.
„Was hat Bellatrix getan?“, fragte er zaghaft nach.

Wie schon so oft wurden die Erinnerungen an den Moment, als sie und ihre Freunde von Inferi und Todessern umzingelt waren, so lebendig, dass kalter Schweiß auf Hermines Stirn ausbrach.

„Bellatrix war eine von den Todessern gewesen, die die Inferi geleitet haben, als wir den einen Abend...“ Sie schluckte, atmete tief durch. „Wir hatten unsere Lager aufgeschlagen. Luna und ich hatten Nachtwache.“ Unbewusst schlug Hermine ein Bein übers andere und verschränkte zusätzlich die Arme – eine ablehnende Haltung, die Severus aus eigener Erfahrung gut zu deuten wusste. „Luna musste mal. Sie war irgendwo in den Büschen, als ich die ersten Inferi gesehen habe. Da war auch dieses grauenvolle, wirklich widerliche gellende Lachen.“
„Bellatrix“, warf Severus mit ruhiger Stimme ein. Dieses Gelächter kannte er selbst.
„Ja.“ Hermine nickte und nutzte einen Moment, um sich die Worte zurechtzulegen, denn sie hatte bisher nur ein einziges Mal mit ihren Freunden darüber gesprochen, was damals geschehen war. „Die Inferi waren sehr leicht auszuschalten. Susan, Ginny, Fred und George hatten seit Jahren an einem wirkungsvollen Spruch gefeilt und den haben wir alle gelernt. Ich hab keine Todesser gesehen, musste aber die Inferi abwehren. Luna war noch nicht zurück. Ich hab geglaubt, ihr wäre etwas geschehen. Mein Patronus sollte die anderen warnen.“ Hermine seufzte. „Bellatrix hat nur darauf gewartet.“
„Worauf?“
„Dass es durch den Patronus so hell wird, dass sie mich bestens sehen konnte und da hat sie...“ Zittrig atmete Hermine ein und aus, bevor sie leise erzählte: „Sie hat mir ein Spinnenfeuer entgegengeschleudert.“
Blitzartig setzte sich Severus gerade hin. „Das ist nicht möglich. Den hätten Sie nicht überlebt.“ Er konnte sich noch gut an das Experiment mit Harry erinnern, als der Hermines Farbtrank eingenommen hatte und im Anschluss eine harmlose Pflanze mit dem alles verzehrenden Spinnenfeuer verbrannte.
„Ich hätte es auch nicht überlebt, aber Luna... Im ersten Moment wusste ich nicht, was sie getan hatte. Es hat auf jeden Fall noch mehr wehgetan als das Spinnenfeuer, aber es brannte nicht mehr.“
„Was hat Miss Lovegood angewandt? Soweit ich weiß, gibt es keinen Gegenzauber.“
Hermine schüttelte den Kopf. „Gibt es nicht. Luna hat improvisiert. Später im Mungos hat man mir erklärt, dass sie einen einfachen Haushaltszauber an meinem Bein angewandt hat.“
Severus war gleichermaßen neugierig und ergriffen. „Erzählen Sie!“
„Sie hat meinen Unterschenkel schockgefroren.“

Weil keine Reaktion kam, blickte Hermine neben sich. Severus war sichtlich verblüfft, brachte kein Wort mehr heraus. Für Hermine lockerte sich dadurch die Situation ein wenig.

„Das ist wirklich selten, dass Ihnen etwas die Sprache verschlägt“, stellte sie lächelnd fest.
Er blinzelte. „Das ist wirklich ungeheuerlich! Sie haben das Spinnenfeuer überlebt, Ihr Fall wäre bei Heilern auf der ganzen Welt Gold wert.“
„Nicht gerade Gold, aber ich hab's in die Juli-Ausgabe von 'Heile/rs Welt' gebracht. Na ja, nicht ich persönlich, aber immerhin meine Wade.“
„Tatsächlich? Darf ich mal sehen?“
„Die Ausgabe habe ich in meinem Zimmer.“
„Ich meinte ja auch das Original.“
„Nein!“ Außer Ron hatte sie niemandem nach diesem Vorfall freiwillig nochmal das Brandmal gezeigt.
Er schien die Situation einen Moment zu überdenken. „Ich versichere Ihnen, dass ich ein rein medizinisches Interesse an Ihrer Wade habe.“
Belustigt zog sie eine einzige Augenbraue in die Höhe. „Haben Sie das?“ Er nickte, doch gab trotzdem nicht nach. „Nein, Severus. Tut mir wirklich Leid, aber dazu bin ich nicht bereit. Ich zeig Ihnen morgen das Bild und den Artikel.“ Sie machte mit beiden Armen eine Geste, als würde sie ihm die Größe eines geangelten Fisches zeigen. „Ein laaanger Artikel.“
Demonstrativ schaute er auf seine Standuhr. „'Morgen' ist bereits seit Stunden eingetroffen. Wir sollten uns für das Frühstück fertigmachen.“
„Schon so spät?“
„Nein, 'schon so früh' würde es eher treffen. Wir sollten uns nach dem Frühstück kurz treffen und mit dem Mungos einen Termin ausmachen. Ich möchte Miss Parkinson sehen. Von mir aus kann Mr. Zabini uns begleiten.“

Hermine stimmte summend zu, machte aber keine Anstalten, wieder in ihr Zimmer zu gehen. Stattdessen seufzte sie, setzte das übergeschlagene Bein wieder auf dem Boden ab, behielt aber weiterhin die Arme vor der Brust verschränkt. Als sie ein zweites Mal seufzte, war das Schuldgefühl in Severus so groß geworden, dass er nach einer Möglichkeit suchte, sein vorangegangenes patziges Verhalten zu erklären.

Seine Stimme war leise, geradezu flehend. „Ich möchte nicht, dass Sie sich mit dem Ewigen See befassen. Glauben Sie mir, wenn ich Ihnen versichere, dass Sie den Trank nicht brauen müssen.“
„Wie fühlt es sich an?“ Ihre zögerlich gesprochene Frage konnte er nicht zuordnen.
„Wie fühlt sich was an?“

Einen Moment lang blieb sie stumm, so dass er schon vermutete, sie hätte die Frage fallen gelassen, doch sie wurde genauer und blickte ihm diesmal in die Augen. „Wie fühlt es sich an, nur noch einen kleinen Teil zu haben?“

Es ging über ihre Vorstellungsgabe hinaus. Die Frage, wie sich ein Leben mit einem kleinen Überbleibsel der Seele anfühlen könnte, konnte sie sich selbst nicht beantworten.

Nun war er es, der stumm blieb.

„Ich kann es mir nicht vorstellen“, gab sie kleinlaut zu, „aber ich würde es gern versuchen.“
„Ich werde es schwerlich erklären können.“
„Versuchen Sie es“, forderte sie mit sanfter Stimme.
„Hermine.“ Er atmete tief durch. In seinem Innern wusste er, dass Sie diejenige war, die eine Antwort verdiente. „Ich kann es nicht begreiflich machen. Es wäre ein genauso fruchtloser Versuch, einem Hauself die Freiheit nahebringen zu wollen.“
Sie blickte ihn entgeistert an. „Ist es das? Empfinden Sie es als Freiheit?“
Seine Schultern zuckten einmal. „In gewisser Weise ja.“
„In welcher Weise?“
Die Augen schließend ging er in sich, um seine Antwort wohl überlegt zu formulieren. „Ich bin befreit von hinderlichen Emotionen.“

Ein Blick zur Seite ließ ihn in große braune Augen schauen, aus denen man ablesen konnte, dass das Gesagte in ihrem schlauen Köpfchen verarbeitet wurde, sich der Sinn dahinter ihr jedoch nicht erschließen wollte.

„Welche hinderlichen Emotionen?“, wollte sie wissen.
„Was weiß ich...“ Er wollte es verharmlosen. „Mitgefühl, Sympathie, Begeisterung.“
Flüsternd, als wollte sie seine Antwort nicht wahrhaben, fragte sie nach: „Das sind hinderliche Emotionen für Sie?“
„Sie stehen im Weg, wenn man effektive Leistungen erbringen möchte“, erwiderte er kühl.
Ihre damaligen Vermutungen schienen sich zu bestätigen, doch sie fragte nach, um Gewissheit zu erlangen. „Damit Sie als Spion bei den Todessern bleiben konnten? Sie hätten es auch ohne diesen schrecklichen Trank geschafft.“
„Das bezweifle ich, Hermine“, sagte er so überzeugt, weswegen sie nicht daran rütteln wollte.
„Der Trank hat nicht so gewirkt, wie es es geglaubt haben oder?“ Er schüttelte den Kopf, weshalb sie nachhakte. „Was ist danebengegangen?“
„Das, was ich bewahrt habe“, seine Stimme bebte, „war der Teil, der im höchsten Maße empfindlich geblieben war. Mir ist das jedoch erst aufgefallen, als Harry auf der Bildfläche...“

Wortlos forderte sie ihn auf, seine Worte zu erklären, doch er hatte aufgegeben. Die damals so leichtfertig gefällte Entscheidung war mit einem Male schwer verständlich zu machen. Sie versuchte es an seiner Stelle und zwar mit ihren eigenen Worten.

„Ihr Tod hat starke Schuldgefühle in Ihnen ausgelöst und Sie waren niedergeschlagen.“ Viel leiser wagte sie hinzuzufügen: „Und vielleicht sogar suizidgef...“ In Windeseile drehte er seinen Kopf und blickte sie an, so dass sie ihren Mund abrupt schloss.
„Der Trank konnte das Schlimmste nehmen“, versuchte er ihr krampfhaft zu versichern.
„Und wie fühlt es sich an?“

Die gleiche Frage ihrerseits, doch diesmal blieb Severus ihr die Antwort nicht schuldig. Es war eine schauderhafte Antwort, die er ohne jegliche Empfindsamkeit geben konnte.

„Als würde man sterben.“
„Oh mein Gott“, hauchte sie erschüttert.
Ohne eine nach Gefühlsregung preiszugeben beteuerte er: „Kein Grund zur Sorge, Hermine. Es rührt mich nicht.“ Ihre Lippen begannen zu zittern, so dass er sich dazu verpflichtet fühlte, ihr zu empfehlen: „Und Ihnen sollte es auch nicht nahegehen. Bitte lassen Sie die Finger vom Ewigen See. Schon der Dunst beim Brauen wirkt auf das Empfinden ein. Setzen Sie sich dem nicht aus!“
Sie zog ihre Nase hoch und rang sich ein Lächeln ab. „Werde ich nicht, ich versprech's.“
„Danke.“

Dieses eine, so kurze Wort hatte all seine Erleichterung zum Ausdruck bringen können.

„Möchten Sie sich erst frischmachen, bevor wir in die große Halle gehen?“
Sie fand es ernüchternd, dass er so nebensächlich das Thema wechseln konnte. Seine distanzierte Art zu seinem eigenen Schicksal bewegte sie zutiefst, aber vielleicht, dachte sie, konnte er gar nicht andres.

In der großen Halle blickte Harry seine beste Freundin mit großen Augen an.

„Hermine“, sagte er völlig verdattert. „Du siehst ja völlig fertig aus!“
„Vielen Dank auch, Harry! Dir ebenfalls einen guten Morgen.“ Sie setzte sich neben ihn und stellte ihm als wortlose Aufforderung, ihr etwas einzuschenken, die Kaffeetasse vor die Nase. „Ich hab die Nacht durchgemacht. Warum fällt es nicht auf, dass Severus auch die ganze Nacht über kein Auge zugemacht hat?“
Harry beugte sich nach vorn und blickte seinen älteren Kollegen an, der fragend eine Augenbraue hob und auf die Antwort wartete, die Harry prompt gab und zwar schmunzelnd. „Severus sieht doch immer so aus.“ Severus' Augen verengten sich zu bedrohlich schmalen Schlitzen, weswegen Harry flugs noch hinzufügte: „Das war nur Spaß! Aber mal im Ernst Hermine, du siehst furchtbar aus. Dabei dachte ich schon, nur Remus sieht heute wie ein lebender Toter aus.“

Remus, der gar nicht weit weg saß, hatte das gehört und warf Hermine und Severus einen vorwurfsvollen Blick zu, äußerte sich jedoch nicht.

„Ist mir irgendwas entgangen?“ Harry hatte trotz des Toilettenganges in der Nacht prächtig geschlafen.
„Wir haben sehr wahrscheinlich den Grund dafür gefunden, warum Severus' Gegengift bei Pansy nicht gewirkt hat“, erklärte Hermine, die somit zumindest für Harry erklären konnte, womit sie sich in der Nacht beschäftigte hatte. Für Remus müsste sie sich etwas anderes einfallen lassen.
„Ich drücke euch die Daumen. Mir tut sie wirklich sehr Leid. Für Blaise und Berenice muss das eine schlimme Situation sein.“ Mit ihrer Antwort war Harry zufrieden, so dass er sich dem Frühstück widmen konnte, wenn auch wegen seiner Gedanken an Pansys Schicksal nicht mehr zu beschwingt.

An seinem Frühstück tat sich auch Lucius gütlich, doch es missfiel ihm, dass er nicht wie üblich allein an seinem Tisch sitzen und nebenbei den Klatsch und Tratsch lesen konnte, der im Tagespropheten zu finden war. Heute saß Mr. Duvall ihm gegenüber und er hatte tatsächlich mit seinem kecken Lächeln Schwester Marie ein Frühstück aus dem Ärmel leiern können.

Nach einem Schluck Kaffee ging der Beistand einige Unterlagen durch und sagte mit fester Stimme, während er auf ein bestimmtes Dokument deutete: „Das mit dem Imperiusfluch wird nicht schwer werden, Mr. Malfoy. Man kann Ihnen nicht beweisen, dass Sie nicht unter einem gestanden haben. Hier“, er überreichte Lucius das Pergamant, „1981 wurde Walden Macnair vorm Zaubergamot angeklagt und keine zwei Wochen später wieder freigesprochen. Auch ihm hatte man nicht nachweisen können, aus eigenen Stücken gehandelt zu haben oder durch Voldemort einem Imperiusfluch ausgesetzt gewesen zu sein.“ Sid blätterte einige Seiten weiter und murmelte: „Wäre Augustus Rookwood nicht von Igor Karkaroff verraten worden, hätte man ihn nicht überführen können.“
„Moment“, warf Lucius aufgebracht ein. „Was, wenn einer der ebenfalls in Haft befindlichen Todesser mich denunzieren wollte?“

Die Gelassenheit, die Sid ausstrahlte, hätte Lucius gern inne. Mit arroganter Miene hielt er dem Blonden eine Liste vor Augen.

„Jeder ist mit seiner eigenen Verhandlung beschäftigt, aber Ihre wird längst vorüber sein, bevor die anderen soweit sind, die ersten Aussagen zu machen. Glauben Sie mir, Mr. Malfoy: Niemand von denen würde sich erlauben, Ihren 'guten Namen' in den Schmutz zu ziehen.“
„Und warum sollten die mich mit Samthandschuhen anpacken?“
„Kein Grund so gnatzig zu werden, Mr. Malfoy. Überlegen Sie doch mal! Die können doch froh sein, dass sie selbst in Ruhe gelassen werden. Sollte einer von denen, wie zum Beispiel“, er las zufällig einen Namen von der Liste, „Adelmus Harrington so unüberlegt handeln und seine Mitgefangenen beschuldigen, dann könnte ihm das Gleiche blühen.“ Er legte die Liste mit den Namen aller inhaftierten Todesser zurück in seine Mappe. „Ich bin mir sicher, dass keiner einen anderen verraten würde. Denen liegt mehr an ihrem eigenen Wohl.“
„Haben die anderen schon einen Beistand?“, wollte Lucius wissen.
Sein Gegenüber grinste selbstgefällig. „Nein, man wählt die Beistände nun sorgfältiger aus. Ich habe wohl keinen guten Eindruck beim Gamot hinterlassen.“
Weil er unterdrückt lachte, hörte man von Lucius nur ein Schnaufen. „Dann passen wir ja bestens zueinander.“

Eine ganze Weile blickte Sid auf seine Unterlagen und Lucius wollte schon fragen, ob die Unterredung für heute beendet werden könnte, da blickte sein Beistand ihn so intensiv an, dass Lucius das erste Mal die strahlend blauen Augen auffielen, die so kontrastreich dem schwarzen Haar gegenüberstanden.

„Mr. Malfoy, was wissen Sie über die Verstecke der Todesser?“ Diese so ernsthaft gestellte Frage wirkte beinahe bedrohlich.
„Warum wollen Sie das wissen? Ich habe dem Minister und Mr. Shacklebolt alle Informationen...“
„Nein“, unterbrach Duvall, „haben Sie nicht. Sie haben keine Informationen mehr gegeben, seit man Ihnen heimlich Veritaserum verabreicht hat.“
„Weshalb fragen Sie?“ Lucius war skeptisch geworden.
„Sagen wir einfach, ich möchte nicht, dass man Ihnen zur Last legen könnte, Ihre flüchtigen Freunde weiterhin in Schutz zu nehmen.“
„Das meinen Sie nicht ernst! Außerdem bezeichne ich diese Männer nicht als meine Freunde!“ Seine Empörung ließ eine Ader an Lucius' Schläfe sichtbar pulsieren.
Dem bohrenden Blick seines Beistands wollte Lucius standhalten, doch als er seinen eigenen Blick abwenden musste, fragte Sid: „Wen schützen Sie?“
„Ich schütze niemanden, ich...“
Frech unterbrach der Beistand und sagte in einem Tonfall, den Lucius sich bei jedem anderen verbitten würde: „Den Akten ist zu entnehmen, dass Macnair einige Aussagen gemacht hatte, Aufenthaltsorte und Gebäude, doch die Auroren fanden nichts. Man vermutet jedoch einen Fidelius. Also“, Sid lehnte sich zu Lucius und forderte, „wen schützen Sie?“

Lucius biss sich auf die Zunge und versuchte, Sid mit einem Blick zur Strecke zu bringen, doch dessen Lippen formten nur ein gehässiges Lächeln.

„Sie baten das Ministerium einmal darum, bei Ihrer Frau nach dem Rechten zu sehen.“ Sid hob seine Augenbrauen. „Sie haben vermutet, dass die Lestrange-Brüder dort auftauchen könnten, nicht wahr, Mr. Malfoy? Schützen Sie die beiden, weil sie zu Ihrer Familie gehören?“
Die Muskeln in Lucius' Kiefer spannten sich an, bevor er fauchte: „Ich schütze Sie nicht! Ich werde nur nichts tun, dass man sie fängt, denn eines sage ich Ihnen, Mr. Duvall“, diesmal beugte sich Lucius nach vorn, „den beiden möchten Sie bestimmt nicht über den Weg laufen! Ich bin mir sicher, dass sie sich aus jeder Gefangenschaft befreien können und deswegen werde ich mich selbst und meine Familie nicht auf deren schwarze Liste setzen, nur weil ich meine Haft damit verkürzen könnte, indem ich sie ausliefere!“
„Das, Mr. Malfoy, werden wir beide vor dem nächsten Anhörungstermin noch regeln müssen.“
„Da gibt es nichts zu regeln!“
„Das sehe ich anders.“

Das Frühstück war beendet. Sid ließ einen Lucius zurück, der momentan verfluchte, so einen Federfuchser als Beistand zu haben. Er hoffte, nein er flehte, dass Duvall keine schlafenden Hunde wecken würde.

Beendet war auch das Frühstück in Hogwarts. Die Schüler hatten sich bereits auf den Weg zu ihren Klassenräumen gemacht. Hermine und Severus verließen gefolgt von Harry und Remus die große Halle, doch kaum waren sie durch die Tür gegangen, drehte sich Severus um.

„Harry, hätten Sie einen Augenblick Zeit?“
Ein ungutes Gefühl überkam ihn, als er Severus' Blick zu deuten versuchte. Er sah sich plötzlich in seine eigene Schulzeit zurückversetzt und schien eine Rüge zu erwarten. Harry nickte und folgte Severus ein paar Schritte den Gang hinunter.
„Was gibt’s?“, fragte er, obwohl er es gar nicht wissen wollte
„Sie haben mich bestohlen!“
Innerlich war Harry nun definitiv wieder der Schüler von damals, nur diesmal ohne eine Ausrede parat zu haben. Kleinlaut gab er zu: „Ach ja, die Schuppen.“
„'Ach ja'? Als würde es Ihnen jetzt erst wieder einfallen! Das ist eine Frechheit sondergleichen. Wie können Sie es wagen?“
„Tut mir Leid, Sir“, murmelte Harry verlegen, während er zu Boden blickte und mit einem Fuß ein Steinchen wegkickte.
„'Tut mir Leid, Sir'“, äffte Severus ihn mit provokant dämlichen Unterton nach. „Das macht dreißig Punkte Abzug und zwei Wochenenden mit Filch!“
Harry seufzte. „Ja, Sir.“ Dann stutzte er. „Moment, ich bin hier Lehrer.“ Er blickte auf. „Sie können mir gar keine Punkte abziehen!“
Ein fieses Grinsen schlug sich auf dem fahlen Gesicht nieder. „Nein, kann ich nicht, aber es war allein schon eine große Genugtuung zu erleben, dass Sie für einen winzigen Augenblick tatsächlich gedacht haben“, Severus kam ein wenig näher, „ich könnte!“
Ernüchtert schüttelte Harry den Kopf, musste aber schmunzeln. „An so etwas finden Sie Gefallen, ja?“
„Ja!“, kam als knappe und zufrieden klingende Antwort.

Hermine stand die ganze Zeit über mit Remus zusammen und versuchte, sich für die Lärmbelästigung letzter Nacht zu entschuldigen.

„Remus, ich hab wirklich nicht dran gedacht, dass man uns hören könnte.“
„Was habt Ihr um diese Zeit überhaupt...?“ Er schüttelte den Kopf. „Geht mich ja nichts an.“
„Wir haben nur diskutiert“, wollte sie ihm weismachen. Er schnaufte und schaute ihr direkt in die Augen, doch sie schaute verlegen weg.
„Nur diskutiert, ja? Ich denke ich weiß, was da los ist.“ Zum Ende hin war er leiser geworden, so dass sie nachfragte.
„Was wo los ist?“
„Eure 'Diskussionen', die Auseinandersetzungen, eure gegenseitigen Provokationen“, zählte er auf. „Es ist ein Wunder, dass bisher keiner von euch beiden in einer Papiertüte zum Krankenflügel gebracht werden musste.“
„Na, so schlimm ist es ja nun auch nicht“, verteidigte sie sich nörgelnd. „Es eskaliert ja nie.“
„Von wegen! Ihr habt euch in den Haaren, dass es nur so kracht, aber ihr rauft euch am Ende immer wieder zusammen.“
„Weil wir eben erwachsen sind und miteinander reden können.“
Remus schüttelte den Kopf, was Hermine irritierte. „Nein Hermine, das hat meines Erachtens mit etwas ganz anderem zu tun.“ Seine Augen suchten etwas in den ihren, doch er fand es nicht. „Du hast keine Ahnung?“
Sie schüttelte den Kopf. „Ich weiß nicht, wovon du sprichst.“
Ein mildes Lächeln huschte über seine Lippen, seine Augen leuchteten gutmütig. „Ich denke, zwischen euch beiden herrscht eine so hohe Spannung“, er schüttelte den Kopf, weil er nicht glauben konnte, dass sie es selbst nicht sah, „dass man damit ganz Hogwarts mit Strom versorgen könnte.“

Noch immer beobachte er ihre Augen, und er erkannte erst Verständnislosigkeit, doch dann gebrauchte sie ihren Verstand und mit einem Male waren ihre Gesichtszüge durch Erkenntnis geprägt. Hermine wollte sich dazu äußern, wollte alles dementieren, doch als sich ihre Lippen öffneten, wurde ihre Sprache von einem überraschten Seufzer überrumpelt.

Hinter Hermine sah Remus, dass Harry und Severus ihr Gespräch beendet hatten, so dass er sich von ihr verabschiedete und sie verdattert zurückließ. Noch immer war sie sprachlos, bemerkte nicht einmal, dass Severus neben ihr stand. Erst durch seine Frage gewann sie die Fassung wieder.

„Ist alles in Ordnung?“ Er klang besorgt. Hermine traute sich nicht einmal, ihn anzusehen. Stattdessen nickte sie heftig, blickte dabei zu Boden. „Hermine?“
„Alles...“ Sie räusperte sich. „Alles in Ordnung.“
„Was wollte Lupin?“ Severus legte eine Hand auf ihre Schulter, um sie dazu aufzufordern, mit ihm zu gehen. Er hatte nicht darüber hinwegsehen können, dass sie aufgrund der Berührung zusammengefahren war. „Hermine, was wollte Lupin?“
„Er hat nur gemeint“, so unsicher hatte ihre Stimme selten geklungen, „dass Hogwarts vielleicht ans hiesige Energieversorgungsnetz angeschlossen werden sollte.“ Es würde schon nicht auffallen, wenn sie Remus' Worte ein wenig verdrehte.
Abrupt blieb Severus stehen, als würde er seinen Ohren nicht trauen. „Der Mann wurde offensichtlich doch mit dem Klammerbeutel gepudert. Er müsste doch wissen, dass Magie elektrische und elektronische Geräte stören kann. Weiß er das denn nicht?“ Kraftlos hob sie die Schultern, die sie gleich darauf wieder hängen ließ, bevor sie ihm folgte.

Ãœber den Kamin erfuhren sie vom Mungos, dass Blaise samt Tochter gerade bei Pansy zu Besuch war.

„Severus, warum haben Sie denen nicht gesagt was wir vorhaben?“
„Weil ich mir erst selbst ein Bild von der Gesamtsituation machen möchten. Kommen Sie!“ Er hielt ihr seine Hand entgegen, um ihr in den Kamin zu helfen, obwohl die kleine Erhebung an der Feuerstelle nicht schwer zu überwinden war.
„Was ist mit Ihrem Unterricht?“
„Der beginnt heute später.“

Im Mungos wurden Severus und Hermine von einer freundlich dreinblickenden Schwester in Empfang genommen, auf deren Namensschild man „Marie Amabilis“ ablesen konnte.

„Mr. Zabini wartet schon auf Sie“, sagte sie mit einem Lächeln.

Der Anblick, der sich ihr im Krankenzimmer bot, ließ Hermine nicht kalt. Die kleine Berenice saß im Schneidersitz auf dem Bett dicht bei der Mama und malte ein Bild, erzählte dabei immerfort, was sie in den letzten Tagen mit ihrem Vater unternommen hatte. Blaise saß neben dem Bett auf einem Stuhl und hielt Pansys regungslose Hand. Sein Daumen strich zart über ihren Handrücken, während er seiner Tochter lauschte. Er schien so sehr in Gedanken zu sein, dass er die Schwester erst bemerkte, als sie ihn ansprach.

„Mr. Zabini, die beiden Besucher sind hier.“ Sein Kopf schnellte hoch, danach er selbst, als er sich von seinem Stuhl erhob und sich den dreien näherte. Berenice war verstummt und hatte aufgehört zu malen.
„Hermine, Professor Snape.“ Beiden gab er die Hand, bevor er das Wort an seinen ehemaligen richtete. „Ich wollte mich bei Ihnen schon melden, aber Schwester Marie sagte, dass Sie kommen wollten.“
„Ganz recht“, antwortete Severus und blickte die genannte Schwester an. „Wenn Sie uns mit Mr. Zabini allein lassen würden?“
„Selbstverständlich.“

Die Schwester war gegangen, da forderte Severus ohne Umschweife: „Helfen Sie mir, Miss Parkinson auf die Seite zu drehen. Ich möchte mir die alte Stichwunde ansehen.“
Blaise verharrte für einen Moment an Ort und Stelle, bevor er irritiert vorschlug: „Wir könnten sie mit einem Zauberspruch umdrehen.“
Dazu erklärte Hermine: „Nein, das würde den Alarm im Schwesternzimmer auslösen.“ Da Blaise nicht zu verstehen schien, schilderte Hermine: „Wir vermuten, dass etwas von der Klinge in ihrer Schulter zurückgeblieben ist, was dafür verantwortlich sein könnte, dass das Gegenmittel nicht hilft, weil das Gift noch immer abgegeben wird, wenn auch nur in kleinsten Mengen. Du kennst doch den Spruch 'Dosis sola venenum facit'?“
Blaise nickte. „'Allein die Menge macht das Gift'. Wenn das wahr ist...“
Er atmete tief durch und Hermine sah sich gezwungen, die Alternative zu nennen: „Wir können natürlich auch die Professoren darum bitten, Pansy noch einmal zu untersuchen, diesmal aber gründlich.“
Damit Blaise erst gar keine Bedenken äußern konnte, warf Severus trocken ein: „Miss Granger ist Heilerin, hat sogar hier im Mungos ihre Prüfung absolviert.“
„Tatsächlich?“ Blaise schaute sie Respekt zollend an, weswegen sie zuversichtlich nickte. „Dann sehe ich kein Problem.“ An seine Tochter gewandt bat er: „Gehst du bitte vom Bett hinunter?“

Berenice gehorchte ihrem Vater ohne Murren und setzte sich mit ihrem Malblock an den Tisch, achtete aber mit wachen Augen darauf, was die Erwachsenen wohl anstellen würden. Zusammen mit Hermine drehte Blaise die Patientin auf Muggelart um, was ein wenig Zeit in Anspruch nahm, denn Pansy konnte natürlich nicht mithelfen. Er sprach die ganze Zeit über mit ihr, schilderte genau, was sie vorhatten. Das Nachthemd zog er hinauf, um den Rücken zu entblößen, während Hermine darauf achtete, dass die Bettdecke keine pikanten Stellen des nackten Körpers freigeben würde. Die kleine weiße Narbe war auf der blassen Haut, die seit langer Zeit kein Sonnenbad mehr erfahren durfte, kaum zu sehen. Severus näherte sich nun dem Bett, Blaise machte ihm ohne Aufforderung Platz.

„Ah ja“, murmelte Severus, bevor er eine Hand hob und mit seinen gelblichen Fingerkuppen die Narbe berührte, dann das umliegende Gewebe abtastete. Derweil blickte er überall woanders hin, nur nicht auf den Rücken, den er befühlte, denn so konnte er sich besser konzentrieren. Nach einem Moment wandte er sich, die Finger noch immer auf Pansys Rücken liegend, an Hermine. „Hier ist eine Verhärtung. Es liegt an Ihnen zu bestimmen, ob es sich um starres Narbengewebe handelt oder um das, was wir suchen.“
„Zeigen Sie mal.“

Sie konnte sehen, dass sein Zeigefinger etwas rechts von der Narbe lag. Ihr eigener Finger nahm die gleiche Stelle ein. Sie drückte vorsichtig und bewegte ihn sanft in kreisförmigen Bewegungen.

„Ja, das könnte was sein. Holen wir die Professoren?“, fragte sie.
Er zog eine Augenbraue in die Höhe. „Wozu? Sie können das genauso gut jetzt gleich entfernen. Ich würde das Stück Metall gern mitnehmen!“
„Warum denn das?“
„Weil an dieser Messerspitze noch der ursprüngliche Trank aus dem Hause Lestrange haftet. Ich möchte ihn genau analysieren und herausfinden, ob die Modifikation des Trankes tatsächlich die ist, auf die man aufgrund der Blutanalyse gekommen ist.“

Hermine warf Blaise einen fragenden Blick zu. Zu ihrem Erstaunen nickte er.

An ihren Professor gewandt sagte sie: „Aber wenn ich das Objekt mit einem Zauber entferne, dann wird der Alarm losgehen!“
„Dann holen Sie es auf altmodische Art und Weise. Ich vermute nicht, dass der Alarm aktiviert wird, wenn Sie nur einen Desinfektionszauber sprechen?“ Sie schüttelte den Kopf. „Dann desinfizieren Sie die Stelle. Der Gegenstand befindet sich nur wenige Millimeter unter der Haut.“
Von dem Gespräch wachgerüttelt fragte Blaise aufgebracht: „Schneiden Sie es heraus?“
Hermine nickte. „Es wird, wenn überhaupt, nur ein wenig brennen, aber große Schmerzen wird sie nicht haben.“
„Ich will nicht, dass sie überhaupt Schmerzen...“
„Mr. Zabini!“ Severus Stimme wirkte noch genauso einschüchternd wie im Klassenzimmer, denn Blaise verstummte auf der Stelle und hörte aufmerksam zu. „Ich bin mir sicher, dass Miss Parkinson allein aufgrund der Aussicht auf Genesung den kurzen Schmerz liebend gern ertragen möchte.“
„Kann man die Stelle nicht per Zauber betäuben?“
„Nein, der Alarm geht bei solchen Sprüchen auf jeden Fall los. Seit dem Krieg sind die Schutzmaßnahmen für den Patienten extrem erweitert worden. Kaum ein Zauberspruch im Krankenzimmer bleibt unerkannt.“

Der junge Mann schien sich das durch den Kopf gehen zu lassen.

„Dann holen wir lieber die Professoren.“
Darüber schien Severus wütend zu werden. „Gut, wie Sie meinen!“ Gerade wollte er zur Tür hinaus, da hielt Blaise ihn auf.
„Nein, machen Sie es. Jetzt! Je schneller...“ Er fuhr sich mit einer Hand durch die schwarzen Locken. „Machen Sie schon“, flüsterte er und man konnte heraushören, dass ihm nicht ganz wohl bei der Sache war.
Um ihm die Sorge zu nehmen, erklärte Hermine: „Es ist ähnlich, als würde man sich einen Finger an Papier schneiden, Blaise. Mach dir keine Gedanken. Der Schnitt wird nicht tief.“

Hermine desinfizierte die Hautpartie und ihr Messer, dass sie seit ihrem Geburtstag immer in ihrer Tasche mit sich herumtrug, doch dann stutzte sie.

„Das Messer schneidet nichts Lebendiges, das hat Draco gesagt. Wir brauchen ein anderes.“
Severus schüttelte den Kopf. „Ich denke nicht. Der Zauber, der auf Ihrem Messer liegt, wird nicht so ausgeklügelt sein und bei Miss Parkinsons Körper den minimalen Unterschied zwischen Leben und Tod ausmachen können, wenn sogar die Heiler es nicht bemerkt haben. So teuer war das Geburtstagsgeschenk nun auch wieder nicht.“
„Ich kann es ja versuchen“, murmelte sie, bevor sie ihre Hände, Pansys Rücken und das Messer nochmals desinfizierte und mit einem winzigen Schnitt begann.

Die Klinge drang tatsächlich durch die Haut. Hermine musste kaum Druck ausüben. Man hörte ein leises, kratzendes metallenes Geräusch, als die Klinge ihres Messers auf die abgebrochene Spitze in Pansys Rücken traf.

„Es blutet nicht“, sagte Blaise beeindruckt.
Severus fühlte sich dazu aufgefordert, mit lehrerhafter Stimme zu vermitteln: „Ohne einen anständigen Kreislauf würde Miss Parkinson nicht einmal verbluten, sollte sie eine ansonsten tödliche Wunde aufweisen. Das Blut zirkuliert ja kaum, weswegen es auch nicht austreten kann“, an Hermines Messer war etwas Rotes zu sehen, „oder nur extrem wenig.“ Er hielt ihr eine metallene Schale entgegen. „Wenn Sie es haben, dann bloß nicht anfassen.“

Mit der Spitze bohrte Hermine in dem eben zugefügten Schnitt herum, so dass sich Blaise abwenden musste. Sie musste daran denken, dass einige Kratzer, die sie von Sveltes Kniesel erhalten hatte, nicht nur länger, sondern auch tiefer gewesen waren.

„Hier ist es, es ist wirklich ein Stück Metall!“ Sie präsentierte den kleinen Splitter auf der Klinge balancierend, bevor sie ihn in der Schale abklopfte.
Interessiert hatte Blaise den letzten Vorgang beobachtet, bevor er fragte: „Wie lange wird es dauern, bis sie aufwacht?“
„Miss Parkinson sollte jeden Moment..“

Man hörte ein leises Stöhnen.


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