von Muggelchen
„Warum so aufgebracht?“
Nach dem Unterrichtstag war Harry in einem Gang auf Draco getroffen, der sehr übelgelaunt aussah, weswegen er ihn angesprochen hatte.
„Wegen dir“, sagte Draco mit dem Zeigefinger drohend, „bin ich auf die Nachhilfe festgenagelt worden!“
„Wieso, was ist denn geschehen?“
„McGonagall hat gleich, nachdem ich ihr dein Schreiben gegeben habe, das Wort an die Schüler gerichtet und jeden darüber informiert, dass er wegen Nachhilfe in Zaubertränken mit mir reden soll.“
„Hast du Punkte bekommen?“, wollte Harry wissen.
„Dreißig, aber darum geht es überhaupt nicht! Ich wollte nie Nachhilfe geben und…“ Draco seufzte und verkniff sich weitere Kommentare.
„Das ist doch aber kein Beinbruch“, beruhigte Harry ihn, der längst darüber informiert war, dass nicht nur Minerva, sondern auch Pomona und sogar Severus Punkte an Draco vergeben hatten, weil es ein so vorbildliches Verhalten darstellte, seinen Mitschülern aus freien Stücken Hilfe anzubieten. So könnte Draco wenigstens einige Punkte, die er wegen seines Kostüms zu Halloween verloren hatte, für sein Haus wieder zurückgewinnen, doch viel wichtiger war, dass er sich den Mitschülern gegenüber von einer anderen Seite zeigen könnte.
Hinter Harry bemerkte Draco einen aufgebrachten Severus, der sich unhörbar, aber zielstrebig den beiden näherte. Als Harry völlig unvermittelt die leise Stimme seines Kollegen vernahm, zuckte er erschrocken zusammen, denn er hatte ihn nicht bemerkt.
„Wo ist Miss Granger?“ Severus war mürrisch, was man nicht nur an seiner Miene erkennen konnte, sondern auch an seinem Tonfall, denn er hatte böse gezischt.
Auf seine Uhr schauend sagte Harry aufheiternd: „Um diese Zeit würde ich sagen, ist sie in Ihrem Labor.“
Ein fieser Blick, der Harry zeigen sollte, dass er wohl nicht fragen würde, hätte er nicht längst im Labor nachgesehen, läutete Severus’ verbale Forderung ein, denn er verlangte: „Sagen Sie ihr Bescheid, dass sie heute nicht mehr zu mir kommen braucht, wenn sie schon von Anfang an fernbleibt.“
„Vielleicht sehe ich sie heute aber gar nicht mehr“, stellte Harry klar, denn er weigerte sich, Botenjunge für Severus zu spielen.
Nach einem weiteren finsteren Blick ließ Severus die beiden jungen Männer kommentarlos im Gang stehen. Beide schauten ihm erst entgeistert hinterher, bevor sie sich gegenseitig fragend anblickten.
Gerade heute, wo Severus sich aufgerafft hatte, endlich mal wieder ein wenig enthusiastischer an die Arbeit zu gehen, glänzte Hermine mit Abwesenheit und darüber hinaus war sie unauffindbar. Natürlich hatte er erst im Labor nachgesehen, gleich darauf war er in den vierten Stock marschiert, um bei ihr zu klopfen. Er hatte sich sogar, weil sie ihr Passwort nach dem Umzug nicht geändert hatte, Zutritt zu ihren Räumlichkeiten verschafft, doch dort hatte er niemanden angetroffen, nicht einmal den Kniesel.
Für einen Moment hatte er an der Glastür ihres Balkons gestanden, um sich die Landschaft anzusehen, die ihm von hier oben so fremd vorkam. Derweil ließ er seine Gedanken ziellos in seinem Kopf umherkreisen, um die Sorge beiseitezudrängen. Es war nicht ihre Art, grundlos zu fehlen. Überall hatte er nachgeschaut – auf seinem Pult im Labor, auf dem Schreibtisch im Büro, selbst auf dem Nachttisch im Schlafzimmer – aber er hatte keine Notiz von ihr gefunden, die erklären würde, warum sie nicht gekommen war. Sie schrieb sonst immer Notizen, dachte Severus.
Nachdem auch Harry ihm keinen Hinweis auf den Verbleib seiner Schülerin hatte geben können, machte Severus sich nicht zurück auf den Weg in die Kerker, sondern entschied sich dafür, dem Dachboden einen kurzen Besuch abzustatten. Albus hatte ihm auferlegt, dann und wann ein Auge auf den kleinen Schatz zu werfen, den der Direktor in den höchsten Zinnen von Hogwarts aufbewahrte.
Während Severus vor Nerhegeb stand und sich nach dem sehnte, was ihm gezeigt wurde, betrat Hermine hastig das Schulgelände und sie war währenddessen schon ganz aus der Puste. An Schülern vorbei, die ihr neugierige Blicke zuwarfen, eilte sie so schnell wie möglich zum Büro des Direktors. Mit Remus hatte sie ausgemacht, dass er Arthur und die Auroren benachrichtigen würde, während sie Albus darüber informieren wollte, was sie in der Höhle gefunden hatte.
Womit sie nicht gerechnet hatte, war, dass nicht nur Albus sie im Büro erwartete, sondern auch Arthur und Remus, die kurzfristig entschlossen haben mussten, gemeinsam über die Bedrohung zu reden.
„Was habt ihr gefunden?“, fragte Arthur überstürzt.
Remus und Albus blickten zu Hermine hinüber, die gewissenhaft antwortete: „Kisten, jede Menge Kisten mit Handgranaten, die viel weiter hinten in der Höhle verstaut worden sind!“
Mit wenigen Worten erklärte sie, wozu Menschen so etwas gebrauchen würden.
„Bei Merlin!“ Arthur war kreidebleich im Gesicht. „Wir müssen das fortschaffen und…“
„Nein, wir können die Kisten nicht einfach mit Zaubersprüchen bombardieren; wer weiß, was dabei geschehen kann. Da muss ein Spezialtrupp ran, der sich um die Entsorgung kümmert. Sollte auch nur eine von denen hochgehen, dann wird es eine Kettenreaktion geben!“ Direkt an Arthur gewandt empfahl sie ihm: „Sagen Sie dem Muggelpremier Bescheid, dass er Sprengstoffexperten schicken soll, die sich drum kümmern. Mir wäre wohler bei dem Gedanken, keine Auroren dafür einzusetzen.“
„Habt ihr noch etwas gefunden?“, wollte dieses Mal Albus wissen, dessen Miene durch Ernsthaftigkeiten gezeichnet war.
Remus hielt mit einer Antwort nicht zurück. „Nein, mehr war dort nicht bis auf die Kisten und ein wenig Müll, aber der Gang ist sehr lang. Wir wollten nicht auf eigene Faust nachsehen, ohne jemandem vorher Bescheid zu geben. Ich habe einen Spähzauber vorangeschickt und wir können mit mehreren Kilometern rechnen, die der Gang unterirdisch verläuft.“
„Sollen wir Hogwarts schließen?“, fragte Arthur, der von den Neuigkeiten so ergriffen war, dass seine Stimme zitterte.
Albus schüttelte den Kopf und erklärte: „Es werden nur vier Kinder und einige Lehrer die Weihnachtsferien über hier bleiben. Die restlichen Schüler reisen morgen zu ihren Familien.“ Er hob den Blick und fixierte Arthur, bevor er forderte: „Der Bahnhof muss gesichert werden! Am besten schon heute, bis wir in der Frühe mit den Kutschen kommen. Ich werde die Schüler persönlich nach Hogsmeade begleiten!“
„Ich werde heute noch einen Auroren-Trupp herschicken“, versicherte Arthur aufgebracht.
„Sollen wir die Schüler und Lehrer warnen?“ Man hatte beinahe vergessen, dass sich auch Hermine im Büro befand.
Einen langen Moment ging Albus in sich, bis er die Gegenfrage stellte: „Ließen sich Personen nicht viel besser beschützen, wenn sie nicht wüssten, dass man ein Auge auf sie geworfen hat?“
Es war eindeutig, dass Albus davon abriet und Hermine musste innerlich zustimmen. Menschen, die von einer drohenden Gefahr wussten, besonders wenn es sich bei ihnen um Kinder handelte, könnten in Panik geraten oder durch Übervorsicht Schaden erleiden.
Albus entschied, den Schülern nichts von alldem zu berichten, versicherte jedoch: „Dem Lehrpersonal werde ich Bescheid geben.“
„Keine Sorge wegen Morgen“, sagte Arthur, „ich werden fünfzig Auroren bereitstellen.“
Erleichtert atmete Hermine aus.
Die Lehrer hatte man noch am gleichen Tag darüber informiert, dass die Gefahr bestünde, mit einem Angriff von verblendeten Muggeln konfrontiert zu werden. Severus war der Erste gewesen, der sich freiwillig dazu bereit erklärt hatte, die Schüler nach Hogsmeade zu begleiten. Für Hermine, die die Versammlung ebenfalls besucht hatte, schien es so, als würde diese Situation ihn aus seiner Lethargie reißen, weswegen sie sein Hilfsangebot innerlich guthieß. Was sie gar nicht guthieß, war seine bevormundende Art, denn er wollte ihr, nachdem beide die Lehrerversammlung verlassen und sich ins Labor begeben hatten, verbieten, die Schüler am morgigen Tag ebenfalls zum Bahnhof zu begleiten.
„Das gehört überhaupt nicht zu Ihren Aufgaben!“ Severus machte deutlich, dass sie sich als seine private Schülerin nicht um die Schüler Hogwarts’ zu scheren hatte.
„Und wenn ich in meiner ’Freizeit’ zum Bahnhof gehen will oder Remus in den Drei Besen besuchen möchte? Wollen Sie mir das auch verbieten?“
„Sie haben Aufgaben, die Sie erledigen müssen! Laut Vertrag sind Sie dazu verpflichtet, Ihre Freizeit zum Lernen zur Verfügung zu stellen“, machte er ihr besserwisserisch klar.
„Ich kenne den Vertrag! Da steht nicht drin, dass ich mich Tag und Nacht für die Lehre opfern muss und schon gar nicht wird erwähnt, dass Sie uneingeschränkt darüber verfügen können, wie ich meine Freizeit zu gestalten habe!“
Sie hatte sich in Rage geredet, was ihn nur noch wütender machte.
„Sie bleiben hier! Das ist mein letztes Wort und jetzt halten Sie Ihren vorlauten Mund!“, befahl er angriffslustig.
„Das hätten Sie wohl gern, aber in solchen Angelegenheiten haben Sie weder das letzte Wort noch können Sie mir den Mund verbieten!“
Severus kniff seine Augen zu engen Schlitzen zusammen und sagte mit aggressiv säuselnder Stimme sehr bedrohlich klingend: „Sie werden nicht gehen!“
„Ich fasse es nicht“, sagte sie ungläubig. „Was verstehen Sie nicht daran, dass das nicht Ihre Angelegenheit ist?“
Er ging zu einem Schrank hinüber und entfernte einige Schutzzauber, bevor er ein dickes Buch entnahm und es ihr in die Hand drückte.
„Ich erwarte, dass Sie bis morgen Nachmittag mindestens die Hälfe gelesen haben!“
Hermine schüttelte perplex den Kopf, bevor sie seinen Plan durchschaute und ihn mit eigenen Worten widergab: „Jetzt wollen Sie mir irgendeine Aufgabe aufdrücken, um mich davon abzuhalten?“
Während er Zaubertrankzutaten betrachtete, warf er völlig gelassen mit öliger Stimme ein: „Wenn Sie diese Aufgabe nicht bewältigt haben, werde ich den Ausbildungsvertrag mangels Kooperation ihrerseits beenden.“
Vor Wut fast platzend wies sie ihn zurecht: „Damit werden Sie nicht durchkommen! Was ist das nur für eine Art, Severus? Ich dachte, wir würden gut miteinander auskommen, aber nein… Sie machen es einem unmöglich, Sie sympathisch finden zu wollen!“
„Überraschend, nicht wahr?“ Er grinste schmierig.
Gereizt sagte sie in den Raum hinein: „Ich frage mich wirklich, warum ich die Stelle bei Ihnen überhaupt angenommen habe?“ Aufgeregt lief sie auf und ab, bevor sie sich ihm zuwandte. „Sie sind genauso unausstehlich wie früher! Für einige Zeit dachte ich wirklich, Sie würden mich mit anderen Augen sehen, aber ich habe mich ganz offensichtlich geirrt.“
„So etwas kommt in den besten Familien vor“, beschwichtigte er mit provozierend herablassendem Unterton.
„Sie…“
Dieser Moment eröffnete sich ihr als jener, in welchem sie überreagierte und es machte ihr nicht einmal etwas aus.
„Sie halten meine Abstammung da schön raus, Severus!“
„Oder was…?“
„Sie sind genauso wenig reinblütig wie ich; immerhin war Ihr Vater ein Muggel! Wie haben Sie es mit Ihrer Abstammung eigentlich geschafft, sich in den Reihen der so geachteten Reinblüterfamilien zu etablieren?“ Sie hatte absichtlich auf seine Zeit als Todesser angespielt.
Gelangweilt zog er eine Augenbraue in die Höhe, bevor er erwiderte: „Mit Charme?“
Verachtend schnaufte Hermine, während sich ihre Hände zu Fäusten ballten.
„Sicher! Sie haben ja bewiesen, dass Sie mit Ihrer ’charmanten Art’ jederzeit und überall Freundschaften schließen können“, giftete sie ihn an.
„Wir kommen vom Thema ab.“ Er klang äußerst gelassen, geradezu gleichgültig.
„Ich werde morgen mitgehen“, murmelte Hermine, bevor sie sich einige Phiolen an den Tisch holte.
Genervt seufzte Severus, bevor er ehrlich interessiert fragte: „Warum wollen Sie morgen mitkommen? Sie könnten im schlimmsten Fall Ihr Leben verlieren, sollten tatsächlich Muggel angreifen.“
„Warum wollen Sie dann unbedingt morgen mitgehen?“, stellte sie als Gegenfrage und ganz plötzlich überkam sie ein ungutes Gefühl, welches man an ihrem Gesichtsausdruck ablesen konnte, denn der war erst fragend, dann entsetzt. „Es würde Ihnen nichts ausmachen“, sagte sie flüstern, „wenn Sie Ihr Leben einbüßen müssten.“
Severus konnte nicht antworten, weil er viel zu irritiert darüber war, wie sie seine Aussage gedeutet hatte. Sein Schweigen war für sie allerdings Grund genug, ihre Vermutung bestätigt zu glauben.
Ruhig und leise richtete sie das Wort an ihn. „Das ist keine Lösung, Severus.“
Mit bedrohlichem Zischen machte er sich über sie lustig, indem er sagte: „Betätigen Sie sich mit Ihrem Halbwissen jetzt auch noch als Hobbypsychologin? Sie kennen mich überhaupt nicht, also hören Sie auf mich analysieren zu wollen!“
„Oh, ich glaube, ich kenne Sie ganz gut“, verteidigte sich Hermine selbstsicher.
„Sie wissen gar nichts über mich!“
„Dann erzählen Sie mir doch einfach mal was! Herrgott, ich habe Ihnen so einiges von mir erzählt, habe aber selten etwas aus Ihrem Leben erfahren.“ Es klang wie eine Beschwerde.
Er schwieg, so dass sie sich dazu entschloss, ein paar Dinge zu nennen, die sie von ihm wusste. Sie hoffte, dass könnte ihn dazu animieren, ein paar Anekdoten aus seinem Leben preiszugeben.
„Mir und jedem anderen ist bekannt, dass Sie sich aus Leidenschaft Zaubertränken verschrieben haben. Ich glaube, wenige wissen, dass Sie einen ausgeprägten Sinn für Humor haben, wenn der auch sehr schwarz und sarkastisch ist.“ Er stieß Luft durch die Nase aus, unterbrach sie jedoch nicht. „Sie mögen keine oberflächlichen Menschen…“
Leise murmelte er: „Und keine Besserwisser.“
Sich durch seinen Kommentar nicht aus der Ruhe bringen lassend zählte sie auf: „Sie haben ein Faible für Dunkle Künste und legen viel Wert auf Vorsicht und vorausschauende Planung. Sie sind ordentlich und verhalten sich kultiviert. Darüber hinaus sind sehr ehrlich, so dass es manchmal schon wehtut und Sie mögen schwarzen Kaffee und Käse.“
Nach ihrer letzten Bemerkung zog er erstaunt eine Augenbraue in die Höhe und es schien fast, als würde er sich ein Schmunzeln verkneifen; Hermine hingegen hielt ihr Schmunzeln nicht zurück. Die Stimmung war nicht mehr so angespannt wie vor wenigen Minuten.
„Die Forschung ist auch eines Ihrer Steckenpferde, auch wenn manche Experimente nicht ganz legal sein mögen. Dabei ist es egal – mir zumindest – ob Sie nur auf den Erfolg aus sind oder Sie sich für einen guten Zweck engagieren. Sie helfen Remus und geben ihm den Wolfsbanntrank umsonst.“
Verteidigend korrigierte er: „Sie geben ihm den Wolfsbanntrank! Sie brauen ihn, weil Sie meine Schülerin sind und gerade für diesen Trank Routine erlangen müssen!“
„Ja sicher…“, sagte sie abwinkend, denn sein tatsächlicher Grund war ihr gleich.
„Ihre Mutter…“ Sie hielt einen Moment inne, weil er ihr mit einem Blick verständlich machen wollte, nicht zu weit zu gehen. Nichtsdestotrotz fasste sie den Mut fortzufahren: „Ihre Mutter war zu ihrer Zeit Kapitän der Koboldstein-Mannschaft von Hogwarts. Ihr Vater und Ihre Mutter haben eine Anzeige im Tagespropheten aufgegeben, als sie geheiratet hatten. Ein wenig später haben beide eine weitere Anzeige geschaltet, nachdem Sie auf die Welt gekommen waren.“
Der Blick ihres Professors beförderte für einen Moment entgegen ihrer Erwartung die von ihm sonst so penibel überspielte Unsicherheit ans Tageslicht, als er sich ganz offensichtlich an seine Eltern erinnern musste.
„Ihr Vater…“
Er unterbrach flüsternd. „Woher wissen Sie davon? Von meiner Mutter?“
„Ich wusste es ab der sechsten Klasse.“ Die Situation hatte sich längst wieder völlig entspannt und Hermine sprach locker und ruhig. „Für Harry hatte ich ein wenig nachgeforscht, wer sich hinter dem ’Halbblutprinzen’ verbergen könnte.“
Ohne dass er es aufhalten konnte kroch nach der Erwähnung seines jugendlichen Pseudonyms eine unangenehme Hitze über sein Gesicht und er war sich sicher, dass man ein wenig Farbe auf seinen Wangen sehen konnte, doch sie ignorierte es.
„Ich habe auch ein Bild Ihrer Mutter gesehen“, erzählte sie lächelnd.
Bis auf Lily hatte er nie jemandem von seinen Eltern erzählt, nicht einmal Albus, denn der kannte die meisten Momente aus seinem Leben aus einer anderen Quelle als aus seinem Mund. Selbst Lucius und Narzissa hatten sich nie für seine Familie interessiert, waren jedoch natürlich darüber informiert, dass Eileen Prince ein Reinblut gewesen war. Er könnte diesen Moment nutzen, dachte Severus, um das erste Mal in seinem Leben persönlich mit jemand anderem zu reden als Lily; mit jemandem, von dem er ebenfalls nicht verlacht werden würde.
„Mein Vater wusste nichts von der Hochzeitsanzeige im Tagespropheten“, sagte Severus sehr distanziert klingend.
„Warum nicht?“, fragte sie erstaunt nach.
Man konnte sehen, dass Severus zunächst kräftig schlucken musste, bevor er zugab: „Sie hatte es ihm erst später gesagt.“
„Dass sie eine Hexe war“, hatte Hermine ganz korrekt auf den Punkt gebracht, denn Severus nickte zustimmend.
Er unterdrückte das aufkommende Gefühl von Unwohlsein und erklärte daher sehr allgemein: „Viele handhaben das heute noch genauso, was an dem Gesetz zum Schutz der Zaubererwelt liegen mag. Sollte man sich vor einem Partner als Zauberer oder Hexe offenbaren und würde man aufgrund dessen von ihm oder ihr abgelehnt werden, dann wäre das häufig ein Fall für die Vergissmich.“
Hermine erinnerte sich daran, wie Seamus während des ersten Schuljahres davon erzählt hatte, dass seine Mutter es nicht anders getan hatte und ihrem Mann erst nach der Hochzeit die Wahrheit über ihre Herkunft gebeichtet hatte, damit niemand ihm etwas anhaben konnte.
„Aber“, Hermine schüttelte den Kopf, „wenn man das erst nach der Hochzeit preisgibt und der Ehepartner würde dann eine Abneigung entwickeln…“
Es übermannte sie das schlimme Gefühl, dass es bei Severus’ Eltern so gewesen sein könnte.
„Eine fünfzig zu fünfzig Chance für das Gelingen oder Scheitern der Ehe“, sagte Severus kühl.
Ihre Ahnung verstärkte sich, als sie sich eines der wenigen Gespräche ins Gedächtnis zurückrief, in welchem Severus ihr einmal etwas anvertraut hatte und sie wiederholte daher: „Sie sagten einmal, Ihr Vater hätte Angst vor Ihnen gehabt.“
„Ich ahne, dass Sie unser Gespräch erneut in Bahnen lenken möchte, damit Sie weiterhin an meinem psychologischen Profil arbeiten können.“
„Was? Nein! Wir unterhalten uns doch nur…“
Von einer Sekunde zur anderen war die Stimmung wieder umgeschlagen, denn er unterbrach sie barsch: „Sie stöbern und bohren und können es einfach nicht lassen, nicht wahr?“
Tief ein- und ausatmend ging Hermine in sich und entschloss sich dafür, ihn in Ruhe zu lassen, was sie ihm auch vor Augen halten wollte, indem sie sehr enttäuscht klingend monierte: „Wenn Sie das so sehen, dann beenden wir das Gespräch lieber. Ich finde es nur schade, dass Sie hinter jeder Nettigkeit irgendeinen Angriff auf Ihre Privatsphäre vermuten. Das ist nicht meine Absicht und dass Sie so von mir denken verstehe ich wirklich nicht.“
Nach einer ganzen Weile des Schweigens murmelte Severus: „Die Arbeit wartet.“
Hermine kramte in ihrer großen Tasche herum und zog eine mittlerweile beachtlich dicke Mappe heraus, während sie sagte: „Sie haben lange nicht mehr mein Projekt verfolgt.“ Sie hielt ihre Unterlagen in der Hand und näherte sich ihm. „Ich hatte noch einige Experimente durchgeführt. Mit meinen Eltern, mit Anne und mit zwei Squibs.“
„Ah, haben Sie doch welche ausfindig machen können!“
„Neville kannte die beiden. War ein netter Abend gewesen“, sagte sie, während sie ihm die Ergebnisse reichte.
Er hatte viel zu lesen und begann daher sofort. An einer bestimmten Stelle verzog er fragend das Gesicht, so dass sie wissen wollte: „Was haben Sie?“
„Ein Kuss?“, sagte er völlig ungläubig und fast schon angewidert, als er das Resultat ihrer Eltern las.
„Lesen Sie einfach weiter“, riet sie ihm gelassen. Sie nutzte die Zeit, um ihn zu beobachten.
Aus seiner Mimik las sie einiges ab, auch wenn er seine Gefühlsregungen meist zu verbergen versuchte. Eine Stelle schien ihn zu erstaunen, eine andere schien Fragen bei ihm aufkommen zu lassen.
Als er fertig war, sammelte er sich einen Moment, bevor er mit seinen eigenen Worten zusammenfasste: „Muggel verfügen über einen spärlichen Anteil an Magie, der nicht nur äußerst träge ist, sondern keinesfalls zum Zaubern ausreicht. Nur in Sonderfällen kann die Magie – wie bei Ihren Eltern – an Intensität leicht zunehmen kann, aber selbst dann ist sie noch sehr bescheiden.“ Hermine nickte, so dass er erneut das Wort ergriff. „Squibs zeigen ebenfalls Anzeichen von geringer Magie, nur ist diese bei denen zwar spärlich ausgeprägt, kann aber, wie bei Arabella und ihren anderen beiden Testpersonen, dazu führen, dass sie gewisse magische Dinge fühlen oder sogar sehen können, während Zauberei weiterhin nicht möglich ist.“
„Genau“, bestätigte sie knapp.
„Ich schlage vor“, er blickte auf, „Sie suchen sich weitere Testpersonen, bevor Sie einen Bericht für das Ministerium schreiben.“
„Aber warum denn das?“
„Weil ein Bericht mit diesen Informationen für viel Wirbel sorgen wird und es wäre klug von Ihnen, so viele Resultate wie nur möglich zu sammeln, um der Zauberergesellschaft keine Angriffsfläche gegen Ihre Person zu bieten.“
Sie blinzelte ein paar Mal, denn sie verstand nicht, warum der Bericht über ihren Farbtrank für Aufruhr sorgen sollte.
„Hermine“, sagte er ruhig, so dass sie ihn anblickte. „Wenn Sie mit einem Bericht an die Öffentlichkeit gehen, der eine magische Gemeinsamkeit von Muggeln, Squibs und Zauberern unterstreicht, dann wird es Proteste geben. Dass Sie Muggeln schon allein das Vorhandensein von Magie zuschreiben, wenn diese auch noch so gering und nicht zu gebrauchen ist, dann ist das revolutionär.“
„Aber es ist doch nun mal so.“ Hermine war ein wenig fassungslos, als sie an möglichen Ärger dachte, den sie aufgrund ihres Berichts bekommen könnte.
„Viele berühmte Forscher, auch aus der Muggelwelt, haben in der Vergangenheit die Wahrheit verkündet und mussten dafür büßen, Hermine. Nicht gerade wenige Zauberer und Hexen halten Muggel für minderwertig und wenn Sie jetzt daherkommen und behaupten, dass Muggel Magie besitzen, dann benötigen Sie mehr als nur drei Testpersonen, von denen zwei Ihre Eltern sind und die dritte Person eine gute Bekannte darstellt. Ihr Arbeit soll doch nicht ins Kreuzfeuer geraten“, erklärte er ihr mit ruhiger Stimme.
Hermine seufzte, denn sie wüsste nicht, wo sie Muggel auftreiben könnte, die man ihr erstens nicht als Verwandte oder Bekannte ankreiden könnte und die sich zweitens für ihr Experiment zur Verfügung stellen würden. Severus gab ihr einige Tipps und mahnte zur Vorsicht, denn Muggel, die nichts von der Zaubererwelt wüssten, dürfte sie nicht einfach einweihen.
„Vielleicht“, begann er ruhig, „nehmen Sie für diese Tests einfach Ihren ersten Trank, dessen Resultate die Person, die ihn eingenommen hat, nicht sehen kann.“
„Ich kann doch nicht einfach einem Muggel meinen Trank untermischen, damit ich Resultate bekomme“, sagte sie mit einem Hauch von Skrupel.
Severus stieß verachtend Luft durch die Nase aus und rief ihr ins Gedächtnis zurück: „Wenn ich mich recht entsinne, hatten Sie keine Gewissensbisse, als Sie mir den Trank untermischen wollten.“
Sie stöhnte, bevor sie mäkelte: „Ich dachte, das Thema wäre erledigt. Werden Sie mir das ewig unter die Nase reiben?“
„Nein“, versicherte er. „Nur in Momenten, in denen es angemessen erscheint.“
Sie ärgerte sich nicht einmal mehr über seine Bemerkung, denn sie erkannte sie als frechen Scherz. Enttäuscht kniff sie die Lippen zusammen, während sie bereits überlegte, welchem Muggel sie ihren Trank verabreichen konnte. Sie unterhielten sich noch eine ganze Weile und Severus erörterte die möglichen Probleme, die auf sie zukommen könnten, sollte sie nicht einen Bericht für ihren Trank verfassen, der Hand und Fuß hatte. Ein wenig später räumte sie ihre Unterlagen wieder zusammen und verstaute sie in ihrer Tasche.
Verabschiedend murmelte sie: „Wir sehen uns Morgen am Bahnhof.“
„Und hier“, begann er, „hatte ich gedacht, dass das Thema bereits erledigt wäre. Sie haben eine Aufgabe zu erfüllen und sollten Sie sie nicht erledigen, mache ich es wahr.“
„Sie wollen mich tatsächlich rausschmeißen“, sagte sie erzürnt, „wenn ich morgen mit zum Bahnhof gehe?“
„Nein, wie ich schon sagte, werde ich den Vertrag auflösen, wenn Sie die Aufgabe nicht bewältigen.“
„Das kommt aufs Gleiche raus, Herrgott!“
„Sie sollten in sich gehen, Hermine, und sehr genau über Ihr Handeln nachdenken. Eine abgebrochene Ausbildung macht sich in einem Lebenslauf nicht sonderlich gut.“
Ihr platzte der Kragen. „Oh, ich denke sehr wohl, dass man meine Lage gut verstehen würde, wenn ich nur sage, bei WEM ich diese Ausbildung nicht zu Ende bringen konnte.“
Böse zischend fragte er: „Was wollen Sie damit sagen?“
„Ich bin mir sicher“, sagte Hermine aufgeregt, „dass so einige Menschen von Ihrem ’Charme’ wissen und mich nicht dafür verurteilen würden, sollte ich…“
Ein Räuspern unterbrach sie und beide schauten zur geöffneten Tür, in welcher Albus stand. Hinter ihm wartete Remus, der verlegen den Gang hinunterschaute und so tat, als hätte er kein Wort vernommen.
„Dürfen wir eintreten?“, fragte der Direktor sehr höflich. „Es tut mir Leid“, versicherte Albus, „dass ich die Tür einfach geöffnet habe, aber unser mehrmaliges Klopfen wurde wohl überhört.“
Hermine blickte zu Severus hinüber, denn es war seine Aufgabe, die beiden eintreten zu lassen und willkommen zu heißen. Sie bemerkte, wie ihr Professor sich von innen auf die Unterlippe zu beißen schien.
Einen Augenblick später sagte Severus: „Sicher, kommen Sie beide rein.“
Mit selbstsicherem Schritt betrat der große Zauberer das Labor. Ihm folgte Remus, der die Augenbrauen leicht angehoben hatte und dem ein mildes Lächeln auf den Lippen lag. Er blickte auf und grüßte Severus und Hermine mit dem Vornamen und einem kurzen Kopfnicken.
„Ich hoffe“, begann Albus, wobei seine Augen einmal fröhlich funkelten, „dass wir bei dieser doch recht lebhaft wirkenden Unterhaltung nicht stören.“
„Wir…“ Ihre Stimme ließ Hermine im Stich, doch Severus nahm es ihr ab zu antworten.
„Wir haben nur diskutiert“, wollte er den Gästen weismachen und es schien ihn zu erstaunen, dass Hermine ihm auch noch nickend zustimmte.
„Ja“, pflichtete Albus murmelnd bei, „das konnte man bis draußen hören.“
Wenn Albus keinen Bart hätte, würde man ihn sicherlich schmunzeln sehen.
„Ich bin hier, weil wir“, Albus nickte zu Remus hinüber, „uns eben mit Kingsley unterhalten hatten. Du, Severus, hattest dich für Morgen freundlicherweise bereit erklärt, die Schüler zu begleiten. Kingsley lässt dir seinen Dank für deine angebotene Hilfe ausrichten, aber er wünscht niemanden vom Lehrpersonal am Bahnhof, nicht einmal Hagrid. Er möchte keine Zivilisten in Hogsmeade.“
Severus war kurz davor, das Wort „Zivilist“ erbost zu wiederholen, doch er verkniff es sich, sondern ballte lediglich seine Fäuste, während das Wort in seinen Gedanken ständig wiederkehrte.
„Hogsmeade wird gerade geräumt“, erklärte Albus mit ruhiger Stimme.
„Geräumt?“, fragte Hermine nach.
Nickend erläuterte Albus: „Evakuiert, um genau zu sein. Die meisten Bürger kommen in der Winkelgasse unter und sie können wieder zurückkehren, wenn der Hogwarts-Express den Bahnhof verlassen hat.“
„Was ist mir dir, Remus?“, wollte Hermine wissen.
„Ich bleibe die Zeit über hier“, sagte er freudestrahlend.
Severus Augen weiteren sich, bevor er entrüstet wiederholte: „Hier?“
„Na ja, nicht in deinem Labor“, scherzte Remus, „aber in der Schule.“
Sich verabschiedend sagte Albus: „Dann ist ja alles geklärt. Tut mir außerordentlich Leid, falls ich euch das Thema für eine leidenschaftliche Diskussion genommen haben sollte.“
Er nickte beiden zu und verließ das Büro, während Remus noch weiterhin im Labor blieb und sein mildes Lächeln mittlerweile zu einem frechen Grinsen geworden war.
„Was tun Sie noch hier? Möchten Sie doch im Labor übernachten?“, giftete Severus gereizt.
„Oh nein, ich wollte fragen, ob ihr für heute fertig seid, damit ich Hermine begleiten kann.“ Remus schaute zu Hermine hinüber und verpasste daher den Anblick von entgleisenden Gesichtszügen, bevor Severus sich wieder gefangen hatte.
„Wie soll ich das verstehen?“, fragte Severus skeptisch.
„Albus hat mir eines der Zimmer neben Hermines Räumen gegeben“, antwortete Remus erfreut. An Hermine gerichtet schlug er vor: „Ich dachte, wir könnten vielleicht noch eine Partie Schach spielen?“
Sie schaute auf die Uhr und bemerkte, dass es schon sehr spät war.
„Miss Granger“, er nannte sie in Anwesenheit anderer meist beim Nachnamen, „hat eine Aufgabe zu erledigen.“
Ihre Augen formten sich zu schmalen Schlitzen, bevor sie leise zischte: „Ich dachte, das hätte sich jetzt erledigt.“
Er grinste fies zu ihr hinüber und verdeutlichte: „Die Hälfte des Buches bis Morgenmittag.“
Zu Remus blickend sagte sie aufmüpfig: „Remus, wir spielen Schach, solange du möchtest! Dann bleibe ich eben die ganze Nacht auf, um das Buch zu lesen.“
Sie griff nach dem dicken Wälzer, schwang sich ihre Tasche über und ging bereits zur Tür, die Remus ihr aufhielt, bevor sie sich noch einmal umschaute und mit stichelndem Unterton zu Severus sagte: „Das tut mir für Sie wirklich ganz schrecklich Leid, dass Sie als Zivilist morgen nicht erwünscht sind.“
Von dem, was sie sich danach erlaubte, war Severus im ersten Moment geschockt, doch ihr Verhalten wollte er nicht billigen. Damit Lupin ebenfalls davon erfahren würde, mit was für einer dreisten Schülerin er sich herumschlagen musste, fragte er laut und deutlich: „Miss Granger, haben Sie mir eben etwa die Zunge herausgestreckt?“
Mit einem aufgesetzten Engelsgesicht versicherte sie aus allen Wolken fallend: „Aber nein! Ich habe mir nur die Lippen befeuchtet.“
Sie konnte nicht genau erkennen, ob er einen Schmollmund machte oder sich sogar ein Grinsen verkniff, was ihr jedoch egal war, denn so oder so fand sie seinen Gesichtsausdruck sehr amüsant.
Den ganzen Weg über bis in den vierten Stock behielt Remus all die Fragen, die ihm auf der Zunge brannten, für sich, denn es würde ihn besonders sehr interessieren, wie sie die Arbeit mit diesem grantigen Mann nur aushalten würde und ob sie wirklich um ihre Ausbildung bei ihm bangen müsste.
In ihren Räumlichkeiten angekommen erzählte er: „Ich habe Neuigkeiten von Tonks wegen deiner beiden ehemaligen Mitschüler.“
„Erzähl!“ Sie deutete auf die Couch, damit er sich setzen würde.
„Du weißt ja, dass die beiden erst zwei Wochen vor Voldemorts Sturz für tot erklärt worden sind.“
„Ja“, bestätigte Hermine, „weil man nur die Zauberstäbe gefunden hatte und man die Leichen nicht hundertprozentig identifizieren konnte.“
„Man hat es sich sehr einfach gemacht; die Stäbe konnte man ja eindeutig zuordnen. Die beiden hatten die Schule mit euch ja noch zu Ende gebracht.“
„Pansy war wie vom Erdboden verschluckt“, erinnerte sich Hermine.
Remus nickte. „Die junge Frau verschwand spurlos auf dem Weg nachhause. Sie ist in den Hogwarts-Express eingestiegen, aber niemals in London ausgestiegen; sie ist nie angekommen.“
Remus rief sich alles, was er über die beiden von damals noch wusste, ins Gedächtnis zurück, damit die aktuelle Situation vielleicht einen Sinn ergeben würde. Besonders Minerva hatte sich nach dem Verschwinden der Schulabgängerin große Sorgen um die Sicherheit ihrer Schützlinge und des Schulzuges gemacht, weswegen sie es begrüßt hatte, dass das Ministerium Hogwarts für Schüler geschlossen hatte. Man hatte seinerzeit eine Entführung nicht ausschließen können, aber es gab keinen Hinweis darauf, wie Pansys Verschwinden aus dem fahrenden und durch Zauber geschützten Express heraus hätte möglich sein können, ohne dass jemand etwas bemerkt haben will.
„Das Haus der Zabinis ist ungefähr drei Monate nach dem Schulabschluss von Todessern in Schutt und Asche gelegt worden, aber gefunden hatte man niemanden“, flüsterte Hermine gedankenverloren.
Sie erinnerte sich daran, wie Harry der Meinung gewesen war, Voldemort würde durch seine Schergen wieder Hexen und Zauberer bedrohen, damit die ihn unterstützen würden und erst sehr viel später stand im Tagespropheten, dass der Minister ebenso denken würde.
„Kingsley sagt“, gab Remus wider, „dass Mr. Zabini im wahrsten Sinne dem Frieden nicht trauen würde; dass er nicht davon überzeugt wäre, dass tatsächlich alles vorbei sein soll. Außerdem ist der Bericht über die benutzten Zaubersprüche des Stabes, von dem er Gebrauch gemacht hatte, fertig. Man hat alles zurückverfolgt und datiert. Der Stab ist vorher für 78 Jahre nicht benutzt worden und hing offenbar die ganze Zeit über in der Vitrine in Malfoy Manor.“
Hermine nickte und vermutete laut: „Und als die beiden sich dort versteckt hatten, hat er sich einfach einen der alten Stäbe genommen.“
„Genau, er hat damit überwiegend Wärme- oder Kühlungszauber angewandt und regelmäßig welche zur Reinigung und zur Verwandlung, denn er hat Möbelstücke in etwas Essbares verzaubert. Außerdem gab es noch einige Schutz- und Spähzauber, die er damit ausgeführt hat und das waren auch schon die, die den größten Teil ausmachen“, erklärte Remus betrübt, als er sich vorstellte, sich jahrelang von Möbelstücken ernähren zu müssen.
„Dann wird man ihn nicht zur Rechenschaft ziehen, weil er sich gegen die Auroren verteidigt hat?“, fragte Hermine hoffnungsvoll.
Den Kopf schüttelnd verneinte Remus. „Kingsley hat in seinem Bericht ausdrücklich betont, dass sämtliche Zauber von Mr. Zabini nur dem eigenen Schutz gedient hatten und kein Schaden entstanden wäre. Zabini wird, wenn er wieder körperlich und geistig fit genug ist, aus dem Mungos entlassen werden können.“
„Und Pansy? Weiß man da schon was Neues?“, fragte Hermine gespannt.
Er schüttelte langsam den Kopf und offenbarte: „Man weiß nur, dass sie tatsächlich nicht verwest. Die Professorin…“
„Professor Junot?“, wollte Hermine wissen, denn sie wusste, wer sich im Mungos die Toten ansehen musste.
„Richtig, die meine ich. Sie hatte sie mit einem Kollegen aus dem Gunhilda-von-Gorsemoor-Sanatorium untersucht und beide sind zu keinem Ergebnis gekommen. Kingsley schließt einen Fluch oder Trank nicht aus. Er bezweifelt aber, dass sie einen schwarzmagischen Gegenstand berührt haben könnte, weil Pansy sich laut Dracos Einwurf sehr wohl darüber bewusst war, was für gefährliche Gegenstände im Haus lagern würden. Er hatte Kingsley erzählt, er hätte damals vor ihr damit angegeben und ihr sogar einige Stücke aus der schwarzen Sammlung seines Vaters gezeigt.“
Hermine und Remus waren nicht die Einzigen, die sich gerade über Miss Parkinsons Fall unterhielten. Im Mungos standen Professor Junot und ihr Freund, Professor Reynolds aus dem Gunhilda-von-Gorsemoor-Sanatorium, zusammen in einem kleinen Raum, der von der Leichenhalle abging, in welcher Miss Parkinsons scheinbar toter Körper lag, dessen halbgeschlossene Augen zur Decke starrten. Die beiden Professoren hatten gemeinsam den Leichnam sehr grünlich untersucht.
Stan betrat die Leichenhalle, um sich vor seinem Feierabend einen kleinen Schluck Feuerwhisky zu gönnen, doch er kam nicht dazu.
„Stan?“, sagte Professor Junot, die ihn durch das Glasfenster der Tür gesehen hatte. Er blickte sie fragend an und hoffte, für heute keine Aufgabe mehr erledigen zu müssen, doch da sagte sie bereits: „Gehen Sie doch bitte nach oben und sagen Sie Schwester Marie Bescheid, dass sie nicht länger warten muss. Wir werden die ’Patientin’ nachher selbst hochbringen. Sie kann Feierabend machen.“
Sich darüber ärgernd, dass sein Arbeitstag noch in die Länge gezogen wurde, hetzte er die drei Treppen hinauf zu der Station, auf nicht nur Miss Parkinson untergebracht worden war, sondern auch der Todesser Lucius Malfoy. An der Tür zur Station grüßte ihn der Wachmann in der kleinen Kabine mit einem Kopfnicken, bevor er per Zauberstab die Türen der gesicherten Station für den Mitarbeiter öffnete.
„Hey Kumpel“, grüßte Stan lapidar. „Wo ist Marie?“
„Im Schwesternzimmer und sie ist nicht sehr erfreut darüber, dass sie so lange warten muss“, antwortete der Wachmann grinsend.
„Na, da wird sie sich aber gleich freuen.“
Ohne Umwege marschierte Stan auf das Schwesternzimmer zu, in welchem Marie mit übergeschlagenem Bein, verschränkten Armen und säuerlicher Miene auf einem Stuhl sitzend wartete, bis man ihre Patientin bringen würde, denn niemand anderes würde sich um Miss Parkinson kümmern.
„Hallo“, grüßte Stan laut, womit er Marie so sehr erschreckte, dass sie beinahe vom Stuhl gefallen war.
„Stan, tu das nie wieder!“
Er lachte, bevor er ihr übermittelte: „Junot meinte, du könntest Feierabend machen. Sie wird die Patientin selbst ins Zimmer bringen, wenn die beiden fertig sind.“
Innerlich kochte Marie, denn sie wäre längst Zuhause, hätte man schon vor zwei Stunden diese Entscheidung getroffen.
„Danke Stan.“ Sie stand auf, warf sich ihren Umhang und die Tasche über und verabschiedete sich mit den Worten: „Schönen Feierabend.“
„Ja, dir auch.“
So schnell wie möglich rannte Stan die Treppen wieder hinunter und als er in der Leichenhalle angekommen war, lag zwar noch Miss Parkinson wie zuvor auf ihrer Bahre, aber der angrenzende Raum war leer. Weit und breit waren keine Professoren zu sehen, weswegen Stan bis zum Waschbecken hinüberschlich. Er vergewisserte sich, dass er allein war und öffnete im Anschluss das kleine Schränkchen unter dem Wasserbecken. Hinter den vielen Flaschen von „Mrs Skowers magischer Allzweckreiniger“ lag eine Flasche Feuerwhisky versteckt, die er hervorkramte und sehnlich öffnete.
„Auf den Feierabend“, prostete er sich selbst zu, bevor er die Flasche ansetzte und den ersten großen Schluck nahm. Während des zweiten Schluckes, der bereits angenehm in der Kehle brannte, hoffte er darauf, dass die beiden Professoren noch immer schwer beschäftigt wären und ihn nicht stören würden. Professor Junot hatte ihn schon mehrmals auf sein Alkoholproblem angesprochen und ihm sogar Hilfe angeboten, während Puddle nur damit gedroht hatte, man würde ihn sofort entlassen, sollte man ihn auch nur ein einziges Mal mit Alkohol erwischen.
Wenn er seinen Job nicht wieder verlieren wollte, musste er vorsichtig sein und ein Auge auf die Tür werfen, schalt er sich selbst. Um sich davon zu überzeugen, seiner Last weiterhin unentdeckt frönen zu können, schaute er über seine Schulter zum Eingang hinüber.
Das Blut gefror ihm in den Adern, als völlig unerwartet der Kopf von Miss Parkinsons unbeweglichem Körper ihm zugewandt war und sie ihn durch nebelige Augen anzustarren schien. Vor lauter Schreck ließ er die Flasche fallen, die auf dem gefliesten Boden mit ohrenbetäubendem Lärm in tausende Stücke zerbarst.
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