von Muggelchen
Es nervte Severus wirklich, dass Remus ihn immer so freundlich anlächelte. Am Sonntag war wieder Vollmond, was bedeutete, dass der Werwolf Freitag, Samstag und Sonntag für den Wolfsbanntrank kommen würde. Heute war Freitag und er hatte Hermine auferlegt, sich um Remus zu kümmern. Das ganze Wochenende würde er einmal am Abend diese Person ertragen müssen, die sich auch noch dreist herausnahm, ihn freundlich lächelnd zu fragen: „Severus, wie geht es dir?“ Severus kniff die Lippen zusammen. Er widmete sich seinem leeren Blatt Pergament und überlegte krampfhaft, was er draufschreiben könnte, damit es so aussah, als würde er arbeiten, bis Remus der reinen Konversation wegen fragte: „Das Ordenstreffen war nicht ganz nach deinem Geschmack oder?“ Severus warf ihm einen Blick durch verengte Augenlider zu, äußerte sich jedoch nicht und widmete sich wieder seinem Versuch, beschäftig auszusehen.
„Severus?“, rief Hermine vom Kessel zu ihm hinüber und Remus drehte sich ebenfalls zu ihr um. „Erzählen Sie Remus doch mal, wen wir neulich in der Winkelgasse getroffen haben!“ Diesmal warf er Hermine seinen Todesblick zu, doch Remus lenkte ihn gleich von der Überlegung ab, ob man einen Menschen womöglich durch Legilimentik umbringen könnte.
„Wen habt ihr denn getroffen? Jemanden, den ich kenne?“, fragte Lupin ihn.
Severus seufzte, ergab sich jedoch der höflichen Unterhaltung und antwortete: „Eine alte Schulfreundin.“
„Oh ja? Wer?“, fragte Lupin mit neugierig funkelnden Augen.
Ein gehässiges Lächeln formte sich wie in Zeitlupe auf Severus’ Gesicht, bevor er erwiderte: „Linda!“
So langsam, wie sich Severus’ Lächeln geformt hatte, so langsam verschwand das aus Lupins Gesicht, bevor er auf sein unaufdringliches Standardlächeln zurückgriff und fragte: „Wie geht es ihr?“
„Den Umständen entsprechend“, entgegnete Severus.
Lupin runzelte die Stirn und wollte wissen: „Was denn für Umstände?“
„Der Krieg hat sie zur Witwe gemacht. Sie hat zwei Kinder, ein Mädchen und einen Jungen und…“
Hinten vom Arbeitstisch rief Hermine freudestrahlend zu: „Belinda wird nächstes Jahr vielleicht schon Hogwarts besuchen!“
„Belinda…“, wiederholte Lupin verträumt den Namen des Mädchens, während Severus in Erwägung zog, seiner Schülerin die Unterhaltung komplett zu überlassen, doch der heutige Gast richtete erneut das Wort an ihn. „Hat Linda… Hat sie…?“
„Nach Ihnen gefragt?“, suggerierte Severus überheblich wirkend. „Nicht spezifisch, aber sie fragte, wen ich noch regelmäßig von früher sehen würde und da ist auch Ihr Name gefallen.“
„Das hat sie sicherlich überrascht, dass du mich genannt hast“, sagte Remus leicht betrübt.
Severus konterte: „Nein, es hat sie eher verdutzt, dass ich Black und Narzissa erwähnt hatte.“
Hermine, die noch immer den Wolfsbanntrank rührte, rief vom Tisch aus: „Linda schreibt Severus ab und an.“
Severus hatte genug. Er zog seinen Zauberstab, richtete ihn auf Hermine und… sagte nichts. Gleich darauf, von Remus ganz verdutzt angeblickt, steckte er seinen Zauberstab wieder in seine Innentasche. Remus schaute zu Hermine hinüber, die sehr wütend schien und gerade ihren eigenen Stab auf sich selbst richtete.
„Haben Sie mir eben einen wortlosen ’Silencio’ herübergeworfen? Das ist nicht nett, Severus“, meckerte Hermine.
Remus konnte nicht anders als zu grinsen, bevor er Severus fragte: „Ist das wahr? Ihr schreibt euch regelmäßig?“
Severus seufzte theatralisch und erklärte: „Wenn man zwei empfangene Schreiben und einen Antwortbrief bereits als ’regelmäßig’ bezeichnen möchte, dann ist die Antwort ja.“
Nickend nahm Remus diese Information zur Kenntnis und fragte gleich darauf: „Wollt ihr euch mal treffen?“
„Was geht Sie das an? Wollen Sie sie zurückhaben?“, giftete Severus zurück.
Remus beteuerte irritiert: „Nein, warum sollte ich?“
„Na ja“, sagte Severus, „sie wäre eine gute Partie für Sie, Lupin. Kinder hat sie ja immerhin schon!“
Remus entgleisten sämtliche Gesichtszüge, denn es war viel zu schwer, diese Gehässigkeit überhören zu wollen. Verlegen nickte Remus, als würde er Severus auch noch zustimmen, bis er den Kopf senkte und sich abwandte, um ein paar Schritte weiter am Tisch sitzend auf den Trank zu warten. Hermine hatte ganz vergessen, den Trank weiterhin umzurühren, denn Severus’ böse Worte hatten sie starr vor Entsetzen gemacht. Am liebsten hätte sie ihn zur Schnecke gemacht, aber dies war eine Sache, in die sie sich zunächst nicht einmischen wollte. Remus saß ruhig auf seinem Stuhl, knabberte am Fingernagel seines Daumens und schaute mit leerem Blick in den Raum, während er den Vanilleduft des Wolfsbanntranks einatmete.
Es herrschte eine eisige Stille in dem Privatlabor, in welchem Severus über einem Stück Pergament saß, Hermine den Trank in einen Kelch umfüllte und Remus diesen entgegennahm, um den Trank so heiß wie möglich einnehmen zu können. Am Rest verschluckte er sich und er hielt sich eine Hand vor das Gesicht, weil er hustete, doch Hermine bemerkte seine feuchten Augen, denn das, weswegen er den Trank gerade eingenommen hatte, war der einzige Grund für seine Kinderlosigkeit und genau daran hatte Remus eben auch denken müssen. Er konnte sich die Augen unbemerkt trocknen, bevor er sich zu Severus begab und ihm wortlos seinen Tränkepass reichte, den der Zaubertränkemeister augenblicklich unterzeichnete. Remus bedankte sich förmlich bei beiden für ihre Hilfe und verließ das Labor.
Nachdem Remus die Tür geschlossen hatte, verschränke Hermine ihre Arme angriffslustig vor der Brust. Ihr starrer Blick nahm ihn einen Moment gefangen, bevor er unschuldig wirkend fragte: „Was?“
„Ihr Sarkasmus ist ja noch in Ordnung, Severus, aber Sie sollten sich in Zukunft vielleicht weniger im Zynismus üben. Es sei denn, Sie genießen es, unausstehlich zu sein.“ Severus schnaufte lediglich verachtend und da er sich nicht äußerte, sagte sie: „Remus mag zwar momentan vom Gesetz her keine eigenen Kinder zeugen dürfen, aber er hat zumindest eine nette Frau an seiner Seite, was andere Herren“, sie blickte in eindringlich an, „nicht gerade von sich behaupten können.“
Severus erhob sich von seinem Stuhl und sagte leise säuselnd mit einem fiesen Grinsen auf den Lippen: „Sie sitzen im Glashaus und werfen mit Steinen?“
Es mag unüberlegt von Hermine gewesen sein, Severus’ Mangel an einer Partnerschaft anzusprechen, denn sie stand ja selbst ohne Freund da, doch sie hatte immerhin eine langjährige Beziehung hinter sich.
„Wissen Sie was, Severus?“ Er wartete geduldig, bis sie von allein und sehr bösartig fortfuhr: „Sie haben eine ganz herzliche Art an sich, alten Freunden gegenüberzutreten. Kein Wunder, dass Ihre Gesellschaft so heißt begehrt ist.“
Durch die Zähne zischelnd stellte Severus klar: „Er ist nicht mein Freund!“
„Aber er will es vielleicht sein?“, meckerte Hermine zurück.
Ihre Frage blieb einen Moment im Raum stehen, denn Severus war von dieser Möglichkeit ganz verblüfft. Das würde zumindest die Einladung zur Verlobungsfeier erklären, dachte er.
„Ihre Freunde, Hermine, sind nicht automatisch meine!“, machte er ihr klar.
Hermine schoss gleich spöttisch zurück: „Oh, viele wollen das auch gar nicht, glaube Sie mir! Das mag vielleicht daran liegen, dass die meisten Ihre liebenswerte, fast schon erdrückende Art einfach nicht ertragen können.“
„Diese Menschen haben keine andere Behandlung verdient“, erklärte Severus nüchtern.
Hermine wollte es ihm heimzahlen, doch sie ließ sich zu viel Zeit, ein passendes Gegenargument zu wählen, was bei ihm den Eindruck erweckte, er hätte sie sprachlos gemacht.
„Soll ich Ihnen eine Portion Seegras holen?“, fragte Severus verhöhnend.
„Oh nein, ich denke, ich kann mich mittlerweile sehr gut verbal ausdrücken, Severus“, erwiderte sie aufgebracht. „Jedes Mal, wenn ich den Mund aufmache, muss ich Angst haben, bei Ihnen irgendeinen falschen Knopf zu erwischen und mich dann Sekunden später in der Luft zerfetzt zu sehen. Sie sind ein emotionales Minenfeld und ehrlich gesagt habe ich keine Lust mehr drauf.“ Severus öffnete den Mund, doch bevor er das Wort ergreifen konnte, wurde sie nur noch lauter und sagte: „Vielleicht sollten Sie einfach mal darüber nachdenken, wer Ihr Freund ist und wer nicht. Und wenn Sie sich darüber im Klaren sind, dann dürfen Sie sich gern mal mit den Umgangsformen befassen, die man Freunden gegenüber an den Tag legt!“
Er atmete aufgeregt, doch er wagte es nicht, auch nur einen Mucks von sich zu geben. Offensichtlich war sie schon so lange mit ihm zusammen, dass sie wusste, wie man Sarkasmus gezielt einsetzen konnte, um verletzen zu können. Severus würde es nie zugeben, doch einiges, das sie gesagt hatte, hatte ihn verletzt. ’Emotionales Minenfeld’, wiederholte er erzürnt in Gedanken.
„Brauchen Sie mich heute Abend noch?“, fragte sie gleichgültig klingend. Er schüttelte den Kopf, so dass sie ihre Tasche nahm und ihn ohne ein Wort des Abschieds verließ.
Im Erdgeschoss klopfte Hermine bei Harry erst an die Tür, da auch sie neulich in die Verlegenheit gekommen war, Harry und Ginny gestört zu haben.
„Hermine, komm rein“, grüßte Harry.
„Ist Ginny auch da?“, wollte sie wissen.
Harry bot ihr einen Platz an und antwortete: „Nein, sie wollte noch mit ein paar Klassenkameradinnen zusammen lernen. Na ja, eher wollte sie ihnen Nachhilfe geben. Was gibt’s?“ Harry betrachtete Hermines Gesicht und erkannte ihre angestaute Wut, so dass er ganz richtig tippte: „Severus? Was hat er nun schon wieder angestellt?“
„Er war gemein zu Remus; hat sich eine Anspielung darauf erlaubt, dass Remus laut Gesetz keine eigenen Kinder haben darf. Das hat ihn sehr getroffen, aber gesagt hat er nichts“, erklärte Hermine mit Wut in der Stimme. „Harry, das geht mit Severus so nicht mehr weiter. WIR kommen nicht weiter. Und ich habe wirklich keine Lust, immer wieder den Blitzableiter zu spielen.“
„Albus hat gesagt, wir dürfen nicht aufhören“, rief Harry sich ins Gedächtnis zurück.
„Aber mit WAS nicht aufhören? Was ist es denn, das wir machen? Uns von ihm beschimpfen lassen? Ich will das nicht mehr! Diesmal war es Remus; das nächste Mal bin ich es wieder. Das wird langsam ermüdend“, meckerte Hermine.
„Was willst du denn dagegen machen?“, wollte Harry wissen.
Sie hob und senkte einmal langsam die Schultern, denn sie war ratlos. Von Harry ließ sie sich ein wenig bedienen und sie griff bei dem Teller mit Keksen zu, die ganz eindeutig Mollys Handschrift trugen. Etwas ruhiger sagte sie das Thema wechselnd: „Ich habe mich mit Draco über Severus unterhalten. Ihm sind die braunen Augen jetzt auch schon aufgefallen! Draco hatte Severus gefragt, ob er der Pate seines Kindes werden möchte und Severus hat abgelehnt.“
„Au, das wird wehgetan haben. Wenn Sirius ablehnen würde, dann wäre ich auch sehr geplättet“, sagte Harry ehrlich.
„Würdest du Sirius überhaupt fragen wollen?“
Harry schüttelte den Kopf und sagte: „Nein, ich glaube nicht. Wir haben dich gefragt, weil du nicht nur eine liebe Freundin bist, sondern wir dir auch im Umgang mit Kindern sehr vertrauen. Bei Sirius… Na ja, er würde dem Kind nur Unsinn beibringen. Da könnten wir gleich Fred und George fragen, ob sie Paten werden möchten.“
Völlig unverhofft fragte Hermine ganz leise, als würde sie die Antwort fürchten: „Hast du Ginny erzählt, dass wir uns geküsst haben?“
Die Erinnerung an den Abend drängte sich blitzschnell in den Vordergrund. Er hatte den Kuss mit Hermine genossen, aber er hatte nach dem kurzen, heißen Feuer keine Lust auf „mehr“ verspürt.
„Nein, Hermine und es wäre schön, wenn wir uns einig wären, dass es unter uns bleibt.“
„Natürlich“, war ihre gehauchte Zustimmung. „Es tut mir Leid, Harry, dass das so gekommen…“
„Nein, Hermine. Mach dir keine Gedanken. Es ist passiert und wir können es nicht ändern. Alles ist in Ordnung. Ich bereue es nicht einmal“, machte er ihr flüsternd klar und in seiner Stimme schwang ein wenig Unsicherheit mit, denn er wusste nicht, ob er deswegen Schuldgefühle haben müsste.
Sie blickte ihn an und lächelte erleichtert, weil es ihr genauso ging wie ihm, denn auch sie verspürte nicht den Wunsch, eine noch innigere Beziehung zu ihm zu haben als sie schon war.
Hermine wechselte schnell wieder das Thema und fragte Harry: „Ist dir eigentlich an Severus in letzter Zeit irgendwas aufgefallen?“
Beide Augenbrauen wanderten bei Harry in die Höhe, so dass sie den oberen Rand seiner Brille umrahmten, bevor er fragte: „Meinst du was Besonderes?“
„Nein, ich möchte nur wissen, ob dir allgemein noch irgendeine Veränderung aufgefallen ist“, erklärte sie.
„Puh“, machte Harry und dachte angestrengt nach. „Deine Frage überrollt mich ein wenig. Mir sind immer wieder Dinge aufgefallen, die ich aber nicht so aus dem Stegreif wiedergeben kann.“
„Dann achte einfach mal in Zukunft drauf“, bat sie ihn. „Ach ja, habe ich dir noch gar nicht gesagt: Ich hatte mit Mr. Ollivander gesprochen, weil mich die zweite Stabkernzutat interessiert hatte. Mit dem Einhornhaar hatte ich ja richtig gelegen.“
„Ron hat auch Einhornhaar in seinem Stab“, bemerkte Harry.
„Ja, das stimmt! Neville auch und auch Cedric hatte…“ Hermine hielt ganz schnell inne, um bei Harry nicht wieder alte Wunden aufzureißen. Den Tod seines Schulkameraden hatte er nie richtig überwunden, weil er sich immer wieder eine große Mitschuld daran gab.
„Wo du gerade von Severus’ Zauberstab sprichst: Da ist mir was aufgefallen!“, sagte Harry und Hermine erwartete, dass er mit der Sprache rausrücken würde, was er auch tat. „Er trägt den neuen Stab nicht mehr im linken Ärmel, sondern in der Brusttasche seines Umhangs.“
„Genau solche Kleinigkeiten meine ich. Das ist mir nämlich auch aufgefallen. Außerdem, aber das hat er mir direkt gesagt, gehen ihm die Zaubersprüche ungewohnt leicht von der Hand“, erzählte sie.
„Und was ist nun mit dem zweiten Stabkern?“, wollte Harry wissen.
Hermine schilderte: „Na ja, das hatte mir ja keine Ruhe gelassen und ich habe Ollivander gefragt. Ich hatte bereits eine Vermutung und die hat er nun bestätigt. Es ist ein Haar von mir.“ Harry machte ganz große Augen, doch er kam nicht dazu, etwas fragen zu können, denn sie erzählte bereits: „Er konnte nicht erklären, warum es eines von mir sein musste, aber es war ja offensichtlich die richtige Zutat.“
Ungläubig schüttelte Harry den Kopf und sagte: „Ich habe noch nie gehört, dass außer dem Haar einer Veela das Haar einer bestimmten Person für die Stabherstellung benutzt wurde. Das ist seltsam, Mine.“ Er blickte sie an und fügte hinzu: „Das ist eine sehr persönliche Zutat. Ollivander muss doch irgendeine Vermutung gehabt haben. Er kann doch nicht auf gut Glück irgendein Haar nehmen und es in einen Zauberstab packen.“
„Ich verstehe, was du meinst und ehrlich gesagt bin ich noch nicht ganz dahinter gekommen“, sagte sie bedrückt.
Harry nickte und vermutete laut: „Er hätte wahrscheinlich auch eines von mir nehmen können. Möglicherweise musste das Haar nur von jemandem stammen, der Severus nahe steht? Deine eigenen sich doch bestens, denn meine sind ja viel kürzer als ein Zauberstab lang ist.“ Harry grinste verstohlen, hatte jedoch vollkommen Recht.
Einen Moment grübelte Hermine, bevor sie sagte: „Vielleicht hat Ollivander gesehen, dass Severus’ Augen sich verändert haben, als ich den Laden betreten hatte. Das war sowieso wieder so eine merkwürdige Situation.“ Er hörte ihr aufmerksam zu, als sie schilderte: „Ich bin also nach ein paar Minuten in den Laden gegangen und sehe Severus, wie er den armen Ollivander am Schlafittchen gepackt hat. Die Stimmung war sehr gespannt. Sie müssen gestritten haben, aber als ich hinzugestoßen bin, hat Severus ihn losgelassen und war wieder recht besonnen wie sonst auch. Er hat den Laden dann schon verlassen, aber ich wollte noch mit Ollivander sprechen. Das war der Moment, als er mir mit seinen Fingern durchs Haar gefahren ist und sagte, Severus könnte seinen Stab demnächst abholen. Erst später hatte ich die Vermutung, dass Ollivander in diesem Moment eines meiner Haare genommen hatte.“
„Es könnte ja sein“, begann Harry, „dass ein Stückchen der Magie eines Freundes wahre Wunder bewirken kann. Vielleicht deshalb ein Haar von dir? Es wäre auch möglich, dass Ollivander einfach nur beobachtet hat, wie Severus’ Augen braun geworden sind. Du hast ja selbst gesagt, dass sie schwarz sind und erst braun werden, wenn du oder ich in seiner Nähe sind. Draco hat es jetzt auch schon einmal gesehen. Ist Remus nie etwas aufgefallen?“
Hermine hob und senkte ihre Schultern, bevor sie sagte: „Ich glaube, er hat nie etwas gesehen.“ Sie erinnerte sich an Severus’ bösartige Worte. „Remus ist jetzt bestimmt niedergeschlagen. Ich überlege, ob ich ihn mal anflohe, um mich zu erkundigen, wie es ihm geht. Das war schon ziemlich gemein, was Severus da gesagt hatte.“
„Wie genau hat er ihn denn beleidigt?“
„Er meinte, Linda wäre eine gute Partie für ihn, weil die ja immerhin schon Kinder hätte“, gab Hermine wider.
Harry schüttelte den Kopf und sagte dann aufgebracht: „Severus benötigt selbst mal eine kleine Abreibung. Das ging wirklich zu weit. Hat Remus denn gar nichts dazu gesagt?“
„Nein, du kennst ihn doch. Er wird dann sehr ruhig. Ich weiß, dass ihn das sehr getroffen hat“, erklärte Hermine mit trauriger Stimme.
Sie saßen einen Moment still nebeneinander. Harry schenkte Tee ein und dachte währenddessen nach.
„Weiß du, ich denke, wir sollten Remus alleine handeln lassen. Warum sollten wir uns einmischen, wenn zwei erwachsene Männer sich so angiften? Wir können Severus natürlich unsere Meinung sagen, aber mehr nicht“, schlug Harry vor.
„Es würde eh nichts bringen. Severus wird sich nichts sagen lassen. Genauso gut könnten wir versuchen, Alastor davon zu überzeugen, dass Severus ein guter Mann ist“, sagte Hermine.
Harry lachte und sagte gleich daraufhin: „Alastor ist unverbesserlich, aber ich verstehe ihn irgendwo. Er hat so viel mit Todessern zu tun gehabt…“
Harry schüttelte gedankenverloren den Kopf. Alastor hatte ihm in den vielen Jahren etliche seiner Erlebnisse geschildert, die sehr hilfreich im Kampf gegen die Todesser gewesen waren. Der Mann hatte viel durchmachen müssen, was man auch an seinem mitgenommenen Körper sehen konnte. Ihm fehlten ein Auge, ein Unterschenkel und sein ganzer Leib war mit Narben übersät. Es war aber nicht nur Alastors Körper, an dem man die tragische und heldenhafte Geschichte dieses alten Aurors ablesen konnte, sondern auch sein Verhalten. Alastor litt, wie Hermine es mal so schön ausgedrückt hatte, an „sehr wunderlichen Angewohnheiten“.
Seufzend griff Hermine zu ihrem Tee und nahm einen Schluck, bevor sie die Tasse wieder abstellte. „Mir war klar, dass Alastor noch immer nichts von Severus hält, auch wenn man ihm einen Orden gegeben hat.“
„Ja, das hat Severus auch mal gesagt. Das war nach der Sache mit dem Todesserangriff auf die Versammlung. Severus weiß genau, dass es noch immer Leute gibt, die ihm trotz Orden nicht trauen und Alastor gehört dazu. Aber zumindest können sie schon im gleichen Zimmer sitzen, ohne sich gegenseitig zu bekriegen“, schilderte Harry.
„Alastor ist erwachsen“, warf Hermine ein. „Selbst ich komme mit Menschen klar, die ich vor zehn Jahren am liebsten vermöbelt hätte. Ich meine, ich hätte nie gedacht, dass ich mal ein anständiges Wort mit Draco wechseln könnte, aber es geht, wenn man sich nur anstrengt.“
„Ich habe gehört, er will die Schule doch noch fertigmachen. Eigentlich hätte er es ja nicht nötig, aber ich find es trotzdem gut“, sagte Harry.
Hermine nickte, bevor sie sagte: „Ich werde mal sehen, ob er noch immer Interesse daran hat, meinen Trank zu testen. Du könntest den neuen auch mal nehmen, Harry. Der hält eine halbe Stunde an! Ich versuche vorher noch, den Trank etwas zu modifizieren. Ich möchte, dass derjenige, der den Trank genommen hat, seine eigenen Farben sehen kann.“
„Ist das denn möglich?“, fragte Harry verdutzt.
Hermine lachte und erklärte: „Das weiß ich ja nicht, Harry. Ich will es versuchen. Das ist das Schöne am Forschen. Man hat eine Idee und versucht sie umzusetzen! Wenn der Adlerauge die Magie für einen selbst sichtbar machen kann, wird sich diese Eigenart vielleicht auf meinen Trank anwenden lassen.“
„Das ist das, was du am liebsten machst oder? Ich meine zu forschen. Das ist absolut dein Ding, Hermine“, sagte Harry und sie nickte nur lächelnd.
„Ich werde mal sehen, ob ich einen Squib finde, der den Trank nehmen würde. Das Ergebnis wäre nur zu interessant. Ich meine, damit könnte man vielleicht sehen, ob die Magie vorhanden ist, aber von irgendwas blockiert wird! Oder man kann definitiv feststellen, dass Squibs nicht zaubern können, weil kaum oder keine Magie vorhanden ist. Vielleicht kann man mit den Ergebnissen einigen helfen, doch noch einen Stab zu schwingen“, sagte Hermine schwärmend.
„Und du hast mir mal vorgeworfen, ich würde immer nur an andere denken und dann erst an mich selbst“, beschwerte sich Harry kindisch, so dass sie lachen musste. Er lachte einen Moment mit und sagte dann: „Du bist doch genauso wie ich, Hermine.“
Mit einem Schmunzeln auf den Lippen rechtfertigte sich Hermine: „Ich bin Heilerin, Harry! Natürlich liegt mir das Wohl von anderen Menschen am Herzen.“
„Ja, aber nicht nur das Wohl von Menschen, sondern auch das von Hauselfen, von Riesen“, Harry zählte mit vorgetäuscht gelangweilter Stimme weiter auf, „von Werwölfen, Zentauren, Squibs, Vampiren, Muggeln und – nicht zu vergessen – von griesgrämigen Zaubertränkelehrern.“
Hermine brach in Gelächter aus und steckte Harry damit an. Noch immer lachend sagte sie: „Einer ist in deiner Aufzählung mit dabei, der sich nicht helfen lassen will. Na ja, die Zentauren sind da auch etwas eigen und möchten sich nicht unbedingt von Menschen unter die Arme greifen lassen.“
„Ich verstehe es nicht, Mine. Severus hat mit der Sache angefangen und unsere Neugierde geweckt. Warum macht er dann so auf stur? Warum lässt er sich nicht helfen?“, wollte Harry wissen.
Hermines Lächeln verblasste langsam und mit einem ernsten Gesichtsausdruck erklärte sie: „Vergiss nicht: Sein Irrwicht ist er selbst, Harry. Er hat Angst vor dem, was kommen wird oder vielleicht sogar vor dem, was einmal war. Wenn wir es tatsächlich fertig bringen sollten, sein Geheimnis zu lüften, dann muss er mit dieser Angst umgehen. Vielleicht handelt es sich auch nur um ein Unwohlsein, das schnell wieder verfliegen würde, wenn dieser Moment erst einmal eingetroffen ist.“ Als Beispiel nannte sie: „So wie bei dir, wenn du zu einer großen Veranstaltung gehen musst. Du willst eigentlich nicht gehen, hast Angst vor den Menschenmassen und möchtest dich am liebsten verkrauchen, aber wenn du erst einmal dort bist, dann ist wieder alles in Ordnung und du fühlst dich wohl. Aber vielleicht hat er richtig große Angst, weil…“ Sie suchte nach den passenden Worten und fuhr fort: „…weil sein Leben dann Kopf stehen würde; weil sich alles für ihn verändern würde. Ich weiß zwar nicht genau, was mit ihm ist, aber mein Bauchgefühl sagt mir, dass ich genauso viel Angst hätte.“
„Hermine, wir drehen uns da trotzdem im Kreis. Wir kommen nicht weiter und erleben nur Dinge, die schon einmal passiert sind. Was haben wir denn schon? Seine braunen Augen, die jetzt auch Draco gesehen hat. Seine Ausbrüche, ob jetzt negativ oder positiv – diese Ausbrüche zeigen ganz klar, dass er sich immer häufiger nicht mehr unter Kontrolle hat. Wir kennen seine Farbe. Grau ist schlecht hast du gesagt und wir haben Ollivander, der gesagt hat, Severus müsste ’Farbe bekommen’. Wir sind uns einig, dass das auf seine Augenfarbe gemünzt werden kann und zu guter Letzt macht Albus einen auf Heimlichtuer. Wir haben doch nichts weiter an Informationen. Jeder andere würde an dieser Stelle aufhören und was machen wir? Wir ’machen weiter’, wie Albus so schön vorgeschlagen hat. Wir versuchen und wir strengen uns an und unsere Köpfe rauchen schon, aber alles, was wir haben, sind nur Theorien, die wir einfach nicht bestätigen können. Ist seine Magie grau, weil ihm ein Stück Seele fehlt oder ist sie einfach nur mit der Zeit verblasst, weil er wie ein Einsiedlerkrebs gelebt hat?“
Sie nickte und lieĂź sich das Gesagt durch den Kopf gehen. Sie drehten sich wirklich im Kreis.
„Wegen Severus… Es gab da wieder einen kleinen Zwischenfall. Er hat sich ans Herz gefasst und war völlig ergriffen. Das war, als Draco mit ihm sehr persönlich gesprochen und ihn gebeten hatte, Pate für sein Kind zu werden. Das muss Gefühle wachgerufen haben. Nach einer kleinen Drohung meinerseits, die ihn wütend gemacht hat, war auf einmal alles wieder in Ordnung.“
„Was denn für eine Drohung?“
Hermine kratzte sich hinterm Ohr, bevor sie schilderte: „Er war völlig am Boden; hat sich aufgegeben und auch so gesprochen und da habe ich ihm damit gedroht, ihn ins Mungos einweisen zu lassen.“
Harry überlegte kurz und vermutete laut: „Dann können negative Gefühle, die man absichtlich aufkommen lässt – wie du mit deiner Drohung – seinen Zustand wieder normalisieren?“
„Na ja, ich denke ja eher, dass sein ’Normalzustand’ eben gar nicht sein Normalzustand ist wie auch seine schwarzen Augen nicht seine ursprünglichen sind. Mir ist da eine Idee gekommen…“
„Mine, wenn du in solchen Situationen von Ideen sprichst, wird mir ganz schlecht“, nörgelte Harry. „Das mit dem Irrwicht ist ja auch völlig daneben gegangen. Lass es lieber.“
„Aber wir sollen doch nicht aufgeben!“, sagte Hermine herrisch. „Meine Idee war nämlich, seine Ausnahmezustände bewusst herbeizuführen.“
„Und wie genau möchtest du das machen?“, fragte Harry vorsichtig, denn er ahnte Schlimmes.
„Ich dachte an deine Babydecke. Kannst du sie mir leihen?“, fragte sie mit Engelszungen.
„Spinnst du? Severus lag danach auf der Krankenstation und…“
„Er lag nicht wegen der Decke dort, sondern wegen der verschiedenen Tränke, die er eingenommen hatte, weil er mit seinen Gefühlen nicht umgehen konnte. Diese Decke hat bisher am heftigsten bei ihm gewirkt und ich denke, das sollte man wiederholen“, erklärte sie.
„Oh nein“, sagte Harry kopfschüttelnd. „Ohne mich! Weißt du überhaupt, wie du dich anhörst? Er ist keines deiner Experimente, Hermine. Das kann schiefgehen und böse enden!“
Hermine stieß erbost Luft durch die Nase aus und schimpfte: „Na, du hast ja wirklich viel Vertrauen in mich oder hast du vergessen, dass ich Heilerin bin?“
„Das hat doch nichts mit dir persönlich zu tun, sondern…“
Hermine unterbrach Harry und sagte aufgeregt: „Verdammt, wir sollen weitermachen, sagt Albus und ich verstehe so etwas unter ’weitermachen’. Wir wissen doch überhaupt nichts; haben nur Vermutungen. Severus sagt nichts, Albus sagt nichts und niemand anderes weiß etwas. So kommen wir jedenfalls nicht weiter. Es müssen Taten folgen!“
„Ohne Rücksicht auf Verluste?“, fragte Harry wütend.
„Natürlich nehme ich Rücksicht. Ist ja nicht so, als würde ich ihm die Decke zuwerfen und weglaufen. Ich bleibe bei ihm, wenn ich…“
„Nein, Hermine. Du bekommst die Decke nicht. Ich will damit nichts zu tun haben“, machte er ihr klar.
FĂĽr Hermine war das eine vom anderen durchaus zu trennen, denn Harry musste ja nichts damit zu tun haben, wenn er nicht wollte. Die Decke wollte sie aber auf jeden Fall haben, doch fĂĽr heute lieĂź sie das Thema lieber ruhen.
Nach einer ganzen Weile fragte Harry: „Geht es dir gut, Hermine? Du bist in letzter Zeit so blass.“
Sie presste die Lippen zusammen, denn sie erinnerte sich daran, das nicht zu ersten Mal gehört zu haben. „Es geht mir gut! Es ist mir allerdings ein Rätsel, warum man mich ’blass’ nennt. Du bist nicht der Erste, Harry.“
„Na, dann sieh dich doch mal im Spiegel an“, forderte er und sie folgte seinem Ratschlag.
In den Spiegel an der Wand neben der Uhr blickend hielt sie vor Schreck eine Hand vor den Mund, bevor sie sagte: „Ich bin ja wirklich blass. Warum ist mir das nicht aufgefallen?“
„Vielleicht wegen dem Licht in den Kerkern?“, vermutete Harry laut. „Du hast da ja nicht einmal Fenster; nur magisches Licht.“ Demonstrativ blickte Harry zu den beiden großen Doppelfenstern hinüber, die eine Seite seines Wohnzimmers zierten. „Ich habe dir zu Anfang gesagt, dass es keine zwei Monate dauern würde, bis sich eine ’vornehme Blässe’ in deinem Gesicht niederschlagen würde. Jedes noch so kleine Pflänzchen braucht Tageslicht, um am Leben zu bleiben.“
„Trüffel brauchen kein Tageslicht!“, rechtfertigte sie sich.
Harry verzog das Gesicht, bevor er sagte: „Du bist aber kein unterirdisch wachsender Pilz, Hermine. Du hast ja eben gesagt, dass es nicht nur mir aufgefallen ist, dass du blass bist. Wer hat das noch gesagt?“
„Albus, als wir miteinander gesprochen haben“, erwiderte sie kraftlos.
„Dann mach etwas dagegen“, schlug Harry vor.
„Und was bitteschön? Soll ich aus den Kerkern ausziehen und hoch zu euch kommen?“
„Warum nicht? Im Erdgeschoss ist zwar nichts frei, aber dafür im vierten Stock“, sagte Harry, der sich an ein Gespräch mit Minerva erinnerte. „Im vierten, Hermine“, wiederholte Harry, „sogar mit Balkon!“
Hermine blickte ihn an und schien tatsächlich darüber nachzudenken.
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