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Fanfiction

Harry Potter und die Schatten der Vergangenheit - Marmorne Ruhestätten

von Muggelchen

Am Abend saßen Harry und Ginny gemütlich mit Wobbel und Nicholas zusammen, um einige Ideen für ihre Hochzeit zu notieren, als es klopfte. Nach einem lauten „Herein“ von Harry öffnete sich die Tür und Minerva stand auf der Schwelle.

„Harry, eine persönliche Lieferung für Sie“, sagte Minerva und machte den Herren, die hinter ihr warteten, Platz.

Harry und Ginny erhoben sich und beobachteten zwei ältere, kräftig wirkende Herren, die sehr konzentriert einen großen Gegenstand per Levitation ins Wohnzimmer schweben ließen. Ihre Stäbe hatten sie jedoch nicht auf die große hölzerne Kiste gerichtet, sondern auf einen sehr stabil aussehenden Stein, auf dem die Kiste stand.

„Wo möchten Sie es hinhaben?“, wollte der Mann mit den graublonden Haaren wissen.
„Was ist denn das?“, fragte Ginny neugierig.
Der Herr mit der Brille antwortete: „Das ist ein Denkarium, gute Frau. Wo ungefähr soll es stehen?“
„Ähm“, machte Harry und schaute sich flugs im Wohnzimmer um, um eine passende Stelle zu finden. „Da, links vom Kamin“, sagte er letztendlich, denn dort war genügend Platz vorhanden.
„Bedenken Sie, Mr. Potter, dass ein Denkarium von mehreren Personen gleichzeitig benutzt werden kann. Es sollte in der Regel frei stehen, damit es von allen Seiten zugänglich ist, aber wenn Sie…“
Ginny unterbrach den Graublonden und schlug vor: „Dann besser in die Ecke da, mit Abstand zur Wand.“

Die Herren nickten, beförderten jedoch die Lieferung nur in die Nähe des gewünschten Zielortes, bevor sie den Stein mit der Kiste drauf absetzten. Nachdem sie ihre Zauberstäbe in den Umhängen verstaut hatten, war Körperkraft von Nöten. Die beiden muskulösen Herren hoben gemeinsam und sehr vorsichtig die hohe Kiste an und stellten sie behutsam auf ihren Platz. Der Graublonde zog erneut seinen Stab und berührte das Holz, welches gleich darauf verschwand und ein steinernes, verschnörkeltes Denkarium mit einem sehr breiten, aber leeren Becken freilegte. Der Herr mit der Brille zog zwei kleine Gegenstände aus seinem Umhang, stellte sie auf den Boden und sprach einen Zauber, der ihnen wieder ihre normale Größe gab. Es kamen zwei große Tonbehälter mit mindestens fünf Litern Fassungsvermögen zum Vorschein.

„Das hier“, der Mann zeigte auf den helleren Tontopf, „beinhaltet die Flüssigkeit für das Denkarium. Ich fülle es gleich auf; gehört zum Service. Den Rest bewahren Sie bitte gut.“ Der Mann ließ den tönernen Behälter bereits schweben und entkorkte ihn, bevor eine nicht ganz klare, undurchsichtige Flüssigkeit in das Becken lief.
„Was ist da drin?“, wollte Ginny wissen, die auf den dunklen Tontopf zeigte.
Der Graublonde griff in eine Innentasche seines Umhangs und zog eine Pergamentrolle hinaus, die er entrollte und Harry gab, während er sagte: „Zum Denkarium gehören auch ausgewählte Erinnerungen des Vorbesitzers, die Ihnen nun überlassen werden. Wenn Sie bitte hier“, der Mann tippte unten rechts auf das Pergament, „unterschreiben würden, dass Sie die Lieferung erhalten haben?“
Verdattert fragte Harry: „Auserwählte Erinnerungen des Vorbesitzers? Ist so etwas üblich?“
„Aber sicher! Der Nachlassverwalter wollte Denkarium und Erinnerungen nicht trennen. Was Sie mit ihnen machen werden, ist Ihnen überlassen, Mr. Potter.“ Etwas drängelnd fügte er hinzu: „Die Unterschrift bitte! Wir haben jetzt Feierabend.“

Harry unterschrieb die Empfangsbestätigung und gleich darauf wurden die beiden Herren von Minerva wieder nach draußen begleitet.

„Ron hat zwar erzählt, dass man mir das Denkarium überlassen möchte, aber auch noch die Erinnerungen? Ich meine, wollen die Verwandten die nicht selbst haben?“, fragte Harry ungläubig, während er sich dem sehr antik aussehenden Steinbecken näherte.
Ginny folgte ihm und erklärte: „Was sollen die mit den Erinnerungen anfangen, wenn Sie kein Becken haben?“
„Ja schon, aber Erinnerungen sind doch so persönlich! Ich würde keinem Fremden meine Erinnerungen einfach geben wollen. Vielleicht schauen wir lieber nicht rein? Die haben ja gesagt, das es an mir liegt, was ich damit mache“, sagte Harry mit einem schlechten Gewissen.
„Als ob du deine Neugierde im Griff hättest, Harry“, sagte sie lachend. „Ich würde da schon mal hineinschauen wollen und wenn du nicht möchtest…?“
„Aber was, wenn da schlimme Dinge gezeigt werden? Sachen, die man nicht sehen möchte?“
„Du machst dir immer viel zu viele Sorgen, Harry. Ich werde mir mal eine ansehen und zwar jetzt gleich“, sagte Ginny, die bereits den großen dunklen Tonkrug öffnete. Ein silberner Schein drang aus der Öffnung hinaus und es wirkte, als hätte jemand eine Lichtquelle in dem Krug untergebracht.

Völlig sorglos führte Ginny ihren Zauberstab in die Öffnung und zog ihn gleich wieder vorsichtig hinaus. An der Spitze ihres Stabes hing ein silberner Faden, den sie behutsam zum Denkarium hinübertrug und wie einen kleinen Fisch in das große Becken fallen ließ.

Bevor Ginny in die Erinnerung eintauchen konnte, sagte Harry aufgeregt: „Warte, ich komm mit.“ An Wobbel gerichtet, der den kleinen Jungen im Arm hielt, sagte er: „Wenn irgendwas passiert…“
„Harry, was soll passieren? Es kann uns nichts passieren!“, versicherte ihm Ginny, die seine Hand nahm und ihren eigenen Kopf bereits über das Becken führte, bis ihre Nasenspitze die flüssige Oberfläche berührte. Harry machte es ihr gleich.

Einen Stock tiefer schlug Hermine vor: „Nehmen wir den Hund mit! Fellini könnte auch mal wieder raus.“
Severus musste schmunzeln, bevor er sagte: „Wir tarnen die heimliche Graböffnung als Spaziergang mit den lieben Vierbeinern?“
„Nö“, sagte Hermine unschuldig, „wir verbinden das kleine Abenteuer einfach mit dem Nützlichen. Ich müsste sowieso noch einmal mit Harry raus, also kann ich ihn auch gleich mitnehmen.“

Mit dem Hund an der Leine und in einen warmen Umhang gehüllt wartete Severus darauf, bis Hermine den Kniesel geholt hatte, der gleich, nachdem die Tür zu ihren Räumen geöffnet worden war, hinausgerannt kam und auf den Hund zustürmte. Harry wedelte freudig erregt mit seinem Schwanz und beschnupperte seinen schwarzen Freund.

„So, kann losgehen“, sagte Hermine enthusiastisch.
Auf dem Weg durch die Gänge trafen sie auf einige Schüler, die den Kniesel streichelten und ihn niedlich nannten. Den Hund, den Severus mit sich führte, traute sich niemand anzufassen, was wahrscheinlich dem grimmigen Blick des Besitzers zu verdanken war, der die Leine noch nicht an Hermine abgegeben hatte.

Während sie über einen der Höfe gingen, um das Schloss zu verlassen, fragte Severus: „Was werden wir Ihrer Meinung nach finden?“
Sie hob und senkte die Schultern, bevor sie erwiderte: „Ich denke, jede Menge Staub und Spinnweben.“ Eine Gänsehaut lief ihr den Rücken hinunter, als sie an das krabbelnde Viehzeug dachte, welches vor dem Einzug ihre Räume bewohnt hatte. „Was denken Sie?“
„Ich hoffe auf das Gleiche“, antwortete er ehrlich. Nach einem Moment fügte er fragend hinzu: „Sie lieben das Abenteuer?“
„Oh ja! Brenzlige Situationen mag ich zwar nicht sonderlich, aber einem Abenteuer an sich kann ich nur schwer widerstehen. Und Sie?“, fragte sie gleich zurück. Gelangweilt legte er den Kopf schräg, antwortete jedoch nicht, so dass sie erneut das Wort ergriff: „Schade fand ich damals, dass nur noch so wenig Gegengift in der Flasche gewesen war, damit man die schwarzen Flammen überwinden konnte. Ich hätte Harry gern weiter begleitet!“

Sie hatte das Flaschenrätsel angesprochen, welches er damals ausgetüftelt hatte, um den Stein der Weisen zu schützen.

„Seien Sie lieber froh darüber, denn sehr wahrscheinlich wäre dieses ’Abenteuer’ Ihr letztes gewesen, wären Sie auf Quirrell beziehungsweise auf Voldemort gestoßen“, sagte er.
„Ja, ich weiß. Es war trotzdem aufregend gewesen. Mir ist ja erst im Nachhinein bewusst geworden, in welcher Gefahr wir eigentlich geschwebt hatten. Wir hatten ja die ganze Zeit über geglaubt, dass Sie den Stein stehlen wollten.“ Sie warf ihm einen entschuldigenden Blick zu. „Wie hätten wir auch auf Voldemort kommen sollen? Minerva hat mir später erklärt, welcher Lehrer welches Hindernis zum Schutz des Steins erdacht hatte.“
„Wenn ich ehrlich sein darf, Hermine?“, fragte Severus vorsichtig. Sie blickte ihn an, nickte einmal zuversichtlich und wartete geduldig auf das, was er zu diesem Thema zu sagen hatte. Er holte einmal tief Luft und offenbarte: „Ich war damals überaus verärgert, dass eine erst zwölfjährige Schülerin diese Denkaufgabe mit solcher Leichtigkeit gelöst hatte.“ Sie blickte ihn mit betretener Miene an und lauschte, als er hinzufügte: „Es war nicht gerade eine Hilfe von Minerva gewesen, mir noch wochenlang unter die Nase zu reiben, wie schlau und mutig doch ihre Gryffindors sein würden.“ Er seufzte.

Hermine hatte verstanden, was Severus damit sagen wollte. Es war ihm unangenehm gewesen, dass dieses wirklich schwere Denkspiel von einem Kind gelöst worden war. Sicherlich hatte Severus sich nicht nur von Minerva versteckte Neckereien anhören müssen, was seine damalige Abneigung gegen die Schüler des Hauses Gryffindor nur verstärkt haben musste.

„Sie vergessen, Severus, dass Ihr Rätsel bereits das letzte gewesen war. Wir haben auch die Hindernisse der anderen Lehrer überwunden; denen ging es also nicht besser als Ihnen. Harry hatte Ron und mir später mal erzählt, dass er an Ihrem Rätsel völlig verzweifelt wäre und er in seiner Not vielleicht sogar auf einen Abzählreim für Kinder zurückgegriffen hätte, um einfach eine Flasche auszuwählen“, schilderte Hermine, während sie langsam hinunter zum See schlenderten. Es war mittlerweile schon sehr kalt geworden, aber geschneit hatte es bisher noch nicht, dabei freute sie sich jedes Jahr aufs Neue darauf, die Gegend und Hogwarts selbst in Weiß getaucht zu sehen.
„Mmmh“, machte Severus belustigt. „Bei seinem verdammten Glück hätte er wahrscheinlich sogar die richtige gegriffen.“
Hermine lachte auf und stimmte zu: „Ja, das denke ich auch.“

In dem Moment, als Severus und Hermine das weiße Grabmahl von Albus in der Ferne erspäht hatten, hoben Ginny und Harry gleichzeitig die Köpfe aus dem Denkarium. Beide blickten sich mit ernster Miene an, bis Ginny fragte: „Und was hältst du davon?“
Er hob und senkte einmal die Schultern und antwortete mit einem gelangweilten Gesichtsausdruck: „Ich würde sagen, es war so unübersichtlich wie ’Zaubertränke’ und so langweilig wie ’Wahrsagen’.“ Er behielt seine gelangweilte Miene bei, als er nicht ganz ernst fragte: „Kann man eigentlich in so einem Denkarium ertrinken, wenn man beim Anschauen von Erinnerungen einschlafen sollte?“
Ginny lachte auf und antwortete gleich darauf: „Wie willst du im Stehen einschlafen, Harry?“
„Ich mein ja nur... Es war stinklangweilig. Wozu so eine Erinnerung weitergeben?“, fragte Harry verwirrt.
„Keine Ahnung, aber wir können ja mal Hermine fragen, was sie dazu sagt. Immerhin sind das Erinnerungen von einem Verstorbenen und die müssen ja irgendeine Bedeutung haben, wenn er sie schon gesammelt hat“, erklärte Ginny, die Harry an die Hand nahm, um mit ihm zur Couch zu gehen.
„Vielleicht war er aber schon etwas senil… oder er wollte sie als Schlafmittel weitergeben?“, scherzte Harry.

Von Wobbel ließ Ginny sich Nicholas geben, der schon fest schlief. Wobbel selbst schien nicht mehr sehr traurig darüber zu sein, wenn Harry ihm Freizeit schenkte. Während der Arbeit trug der Elf Stoffhose und Pullover, während er in seiner Freizeit mit einer Art Jogging Anzug herumlief. Nachts kümmerten sich Harry und Ginny um den Kleinen, aber tagsüber war Wobbel der Babysitter, während Ginny den Unterricht besuchte und Harry ihn führte.

„Wie viele Gäste haben wir jetzt zusammen?“, wollte Ginny wissen.
Harry betrachtete seine Randnotizen auf dem Pergament und antwortete: „Sind jetzt 114.“
„Doch so viele?“
„Wir haben doch entschieden, dass wir auch welche von denen einladen, die uns so sehr unterstützt hatten“, sagte er und ließ die genauere Erklärung „im Krieg“ lieber weg.
„Und die ganzen alten Schulfreunde“, sagte Ginny, während sie die Liste überflog.
„Da wird Molly aber viel zu tun haben.“
„Blödsinn! 114 Gäste sind doch ein Klacks für Mum. Stell dir nur vor, wir hätten aus der Hochzeit eine öffentliche Angelegenheit gemacht. Wenn es nach Dad gegangen wäre, dann würden da jetzt mindestens eintausend Leute drauf stehen, von denen wir die meisten gar nicht kennen“, machte Ginny ihm klar.
„Eintausend Gäste? Wer wäre denn da alles gekommen?“
„Etliche hohe Tiere aus dem Ministerium wären sicher geladen worden, dann auch Ministeriumsvertreter aus dem Ausland und einige Prominente“, zählte Ginny auf.
„Slughorn bestimmt auch“, sagte Harry, der sich demonstrativ schüttelte. „Gut, dass wir das in die Hand genommen haben. Ich hätte mich sonst nicht wohl gefühlt.“

Hedwig und Fawkes kamen aus dem Schlafzimmer geflogen, doch während Fawkes auf der Rückenlehne der Couch landete, setzte Hedwig sich ans Fenster und hackte auf die Scheibe ein.

„Harry, ich glaube, da möchte jemand raus“, sagte Ginny grinsend, so dass Harry aufstand und das Fenster für seine Eule öffnete, damit sie ihre Runden fliegen konnte.

Hedwig liebte den kühlen Wind und stürzte sich sofort aus dem Fenster, sobald es geöffnet war. Nachdem sie etwas an Höhe gewonnen hatte, konnte sie sich treiben lassen und sie entschloss sich dazu, hinter Hagrids Hütte auf Mäusejagd zu gehen, denn der freute sich immer darüber, wenn sie die Schädlinge davon abhalten würde, das Futter für seine Haustiere zu vertilgen, aber zuerst machte sie einen kleinen Abstecher zum See. Auf dem Boden bemerkte sie zwei Gestalten. Eine davon kannte sie seit etlichen Jahren, denn sie war eine gute Freundin von ihrem Harry. Den anderen kannte sie nur vom Sehen, doch der hatte sie nie gestreichelt und ihr kein einziges Mal eine Belohnung gegeben, weswegen sie für ihn niemals auch nur einen Brief befördern würde. Es fehlte Hedwig, dass Harry ihr kaum noch Briefe gab und wenn, dann waren die Flugstrecken ihrer Meinung nach viel zu kurz. Während Hedwig unbemerkt ihre Runden über die beiden Menschen drehte, hörte sie in deren Nähe eine kleine Maus durchs Gras flitzen.

„Die Spannung steigt“, sagte Hermine, „und wenn ich ehrlich sein darf, habe ich richtig Herzklopfen.“
„Sie haben nur Herzklopfen, weil sie mit vielen schlimmen Dingen rechnen“, erklärte Severus trocken. „Sie sollten ihren Geist leeren und die Situation auf sich zukommen lassen, denn es bringt gar nichts, sich großartig Gedanken zu machen. Sie kennen die bevorstehenden Möglichkeiten: Entweder wir finden eine Leiche oder nicht.“

Seine Worte hatten sie schon fast beruhigt, da schoss plötzlich rechts von ihr etwas Weißes vom Himmel und landete im Gras. Der Hund bellte aufgeregt. Hermine machte einen Schritt zur Seite und klammerte sich in Severus Umhang, während ihr gleichzeitig ein Schrei entwich, den sie mittendrin noch unterdrücken konnte. Ein Fiepen und Quieken war aus dem Gras zu hören. Hermine hatte sich so sehr erschrocken, dass sie eine Hand auf ihre Brust legen musste, während sie ihre Atmung wieder unter Kontrolle zu bringen versuchte.

Severus schmunzelte, bevor er sich Hermine zuwandte und sagte: „Scheint so, als würde der Vogel bereits nach einem Weihnachtsgeschenk für Harry Ausschau halten. Vielleicht bekommt er ja diesmal eine ganze Maus?“
Hermine musste leise lachen, doch dann wandte sie sich an Hedwig und schimpfte nicht sehr ernst: „Wie kannst du mir nur so einen Schrecken einjagen?“ Hedwig drehte ihren Kopf, schaute sie mit ihren großen runden Augen verdutzt an. Die Schneeeule machte „Schuhu“, bevor sie die Maus in den Schnabel nahm und sich wieder in die Lüfte erhob. Fellini betrachtete den davonfliegenden großen Vogel mit großem Interesse, während der Hund bereits an der Stelle schnupperte, an welcher die Maus erlegt worden war.

„Waren Sie schon immer so schreckhaft?“, fragte Severus.
Hermine schüttelte den Kopf und erklärte: „Eigentlich nicht mehr, seit Harry mir ein paar Übungen beigebracht hatte. Das hatte ich damals nötig, wenn wir nachts durch die Wälder gestreift sind. Ich hatte immer damit gerechnet, dass jeden Moment…“ Es knackte in der Nähe und Hermine drehte sich erschrocken um.
„Warum wenden Sie jetzt nicht das an, was Harry Ihnen beigebracht hatte? Sie scheinen es momentan nötig zu haben. Möchten Sie vielleicht lieber zurück ins Schloss?“, fragte Severus.
„Nein, es geht schon. Es gab einmal eine ähnliche Situation wie diese, wissen Sie. Sehr ähnlich wie jetzt. Wir sind im Dunkeln gerade über eine kleine Lichtung im Wald gegangen und dann waren wir auch schon von Inferi umzingelt, nur mit dem Unterschied, dass es damals in Strömen gegossen hatte“, schilderte Hermine mit zittriger Stimme.
„Ich bin sicher, dass dem Grab kein Inferius entspringen wird. Sie bleiben am besten etwas abseits, während ich es öffnen werde“, schlug Severus vor und damit war sie ganz zufrieden.

Endlich hatten sie das große weiße Grabmahl erreicht. Sofort erinnerte sich Hermine an die Beerdigung und an all die Menschen, die gekommen waren, um Albus zu beweinen. Jedem dieser Menschen hatte er sehr wehgetan, doch jeder Einzelne schien ihm diesen Schmerz verziehen zu haben, weil die Freude über seine Rückkehr das Gefühl der Trauer wieder wettgemacht hatte.

„Bleiben Sie hier stehen. Ich gehe nach weiter vorn“, sagte Severus, der sich zielstrebig dem Grab näherte. Er wandte mehrere Zauber an, die sie nicht hören konnte, um einige starke Schutzwälle zu durchbrechen und dann begann der schwierige Teil. Das Grabmahl hatte keinen Deckel, den man einfach anheben konnte. Es war ein Klotz aus Marmor, in welchem ein Leichnam beerdigt liegen sollte.

„Hermine? Ich benötige Ihre Hilfe“, sagte Severus gelassen. Nachdem Hermine an ihn herangetreten war, fragte er: „Was denken Sie? Sollten wir den Marmor mit einem Zauber aufschneiden, hineinsehen und später mit einem Reparo wieder verschließen?“
„Ich kann es ja erst einmal scannen“, schlug sie vor. Da er sie fragend anschaute, sagte sie: „Ich nenne es ’scannen’. Ist eigentlich ein Zauberspruch, mit dessen Hilfe man Opfer aufspüren kann, die unter Trümmern verschüttet sind. Wenn Hohlräume angezeigt werden, dann können wir entscheiden, wo wir den Stein am besten öffnen könnten.“

Severus nickte, so dass Hermine mit ihrem im Mungos erlernten Zauberspruch das weiße Grabmal untersuchte. Wieder und wieder traf der hellblaue Schein aus ihrem Zauberstab auf den Marmor, doch bevor sie den Zauber zum sechsten Mal sprechen konnte, stoppte Severus sie.

Ganz offensichtlich erwartete er eine Antwort und daher sagte sie: „Ich finde nichts. Ich meine, ich finde keinen Hohlraum. Vielleicht geht es ja unter der Erde weiter?“ Da er genickt hatte, führte sie einen Zauberspruch durch, mit dem man nicht nur Trümmer, sondern insbesondere Erde überprüfen konnte, was bei der Suche nach Erdbeben- und Lawinenopfern sehr hilfreich war. Nach mehreren Versuchen senkte sie ihren Stab.

„Unter dem Grab ist nichts als Erde und das Grab selbst ist massiv. Dort ist nichts eingeschlossen“, sagte sie still, weil sie es einfach nicht glauben konnte.
Severus schürzte nachdenklich die Lippen, bevor er fragte: „Waren Sie bei seiner Bestattung anwesend?“ Sie nickte, so dass er forderte: „Schildern Sie mir, wie sich alles abgespielt hatte.“
Hermine musste kurz überlegen, doch dann konnte sie guten Gewissens aus ihrem Gedächtnis wiedergeben: „Also, der Leichnam lag in einiger Entfernung dort, wo jetzt das Grabmal steht.“
„Konnten Sie Albus’ Leiche sehen?“
Sie schüttelte den Kopf, erklärte jedoch deutlicher: „Ich habe gesehen, dass dort ein Körper gelegen hatte, aber wenn ich ehrlich bin, konnte ich keine Details erkennen. Dann sind auch schon um den Körper herum diese weißen Flammen aufgetaucht und wegen des vielen Rauchs konnte man gar nichts mehr erkennen. Nachdem sich der Rauch verflüchtigt hatte, stand dieses riesige Marmorgrab hier.“
„Eine seltsame Bestattung“, murmelte Severus nachdenklich. „Weiße Flammen, weißer Rauch… Hört sich für mich wie das Ablenkungsmanöver eines Trickkünstlers an, um womöglich lautlos apparieren zu können? Ich war in meinem Leben schon auf einigen Bestattungen, aber ich habe niemals von so einem aufwendigen Hokuspokus mit Feuer und Rauch gehört. Ich vermute, dass sich niemand etwas bei diesem Spektakel gedacht hatte. Es hat sich immerhin um Albus gehandelt, einen der bekanntesten und mächtigsten Zauberer unserer Zeit. So eine aufsehenerregende hoheitsvolle Beisetzung mag bei einem Mann seines Kalibers angemessen erscheinen und würde sicherlich auch von niemanden in Frage gestellt werden.“

Mit einer Hand strich Hermine über den weißen Stein und sie versuchte sich krampfhaft an alles zu Erinnern, das mit der Beerdigung zu tun hatte.

„Harry sagte, er hätte den Eindruck gehabt, einen Phönix davonfliegen zu sehen, als der Rauch aufgestiegen war“, sagte Hermine gedankenversunken.
Severus hob beide Augenbrauen und vermutete laut: „Dann war es womöglich ein Desillusionierungszauber, den Albus um sich und Fawkes gelegt hatte, damit er vor seinem Begräbnis fliehen konnte? Würde mich nicht wundern, wenn Harry damals schon ansatzweise verborgene Dinge sehen konnte, ohne sich dessen überhaupt bewusst zu sein. Oder er hat vielleicht nur die schemenhafte Abzeichnung eines unsichtbaren Phönix’ in den Rauchschwaden gesehen?“
Hermine nickte und sagte zustimmend: „Langsam glaube ich wirklich, dass das so vonstatten gegangen sein könnte. Es war übrigens auch Harry gewesen, der Albus’ Leiche gefunden hatte. Er hat mir erzählt, dass die Beine ganz verdreht gewesen wären und dass er keinen Puls gefühlt hatte.“
„Die Beine mögen vielleicht wirklich gebrochen gewesen sein, aber ich bin sicher, dass ein Puls noch vorhanden war, wenn auch kaum spürbar. Vielleicht alle zwei Minuten ein Herzschlag? Wir wissen zwar nicht, was Albus eingenommen hatte, um überleben zu können, aber wir wissen, dass er genau zu diesem Zweck eine Art Trank genommen hatte, denn das hat er ja bereits zugegeben. Ich bin sicher, dass er nicht tot gewesen war, als Harry die vermeintliche Leiche betrachtet hatte“, sagte Severus nüchtern.
„Was machen wir jetzt?“, fragte Hermine, die langsam ein paar kalte Regentropfen auf ihrem Gesicht verspürte.
Severus blickte nach oben in den bereits dunklen Himmel, bevor er sich seiner Schülerin zuwandte und antwortete: „Gehen wir erst einmal zurück. Morgen früh werde ich Albus empfehlen, den Marmorklotz einem kunstfertigen Schüler anzuvertrauen, der vielleicht sogar dazu in der Lage wäre, einen neuen ’David’ zu erschaffen – und wenn nicht, dann zumindest ein marmornes Waschbecken für mich.“

Auf dem Rückweg gingen sie etwas zügiger, weil der Nieselregen bereits kräftiger geworden war. Der Hund erledigte noch sein Geschäft und der Halbkniesel versuchte, Dinge zu fangen, die das menschliche Auge bei der Dunkelheit schon gar nicht mehr wahrnehmen konnten.

In Gedanken ging sie ihr Gespräch mit Albus durch und sagte deswegen vorsichtig: „Severus? Als ich bei Albus gewesen war, da hätte ich die Möglichkeit gehabt, in sein Denkarium zu schauen. Die Nische war zufällig aufgegangen, wo es versteckt ist.“
Wie versteinert blieb Severus stehen und blickte sie an. Nachdem er sich gefangen hatte, fragte er unsicher: „’Zufällig’? Haben Sie hineingesehen?“
„Nein, ich konnte es einfach nicht“, antwortete sie ehrlich. Seine angespannte Mimik lockerte sich wieder, so dass sie den Mut fand zu erwähnen: „Er hat mich sowieso erwischt und meinte, bei ihm würde ich nicht finden, was ich suche.“ Ohne sich verbal zu äußern nickte Severus, bevor er seinen Blick senkte und den Weg fortsetzte. Sie ließ nicht locker und sagte, während sie ihm folgte: „Es schien mir so, als wüsste Albus, wonach ich suchen würde, dabei weiß ich es ja nicht einmal selbst!“ Severus blieb nicht stehen und so ging sie weiterhin neben ihm her. Er verlor kein einziges Wort und das brachte sie an den Rand der Verzweiflung, weswegen sie mit flehender Stimme fragte: „Severus? Nach was genau suche ich?“ Sehr viel leise fügte sie hinzu: „Ich brauche Hilfe.“ Sie war sich sicher, dass er den letzten Satz nicht gehört haben konnte.
Er ging nicht auf das ein, was sie gesagt hatte und erleuchtete sie stattdessen mit den Worten: „Ich werde Ihnen heute ein Buch geben. Ich erwarte, dass Sie es innerhalb der nächsten drei Tage lesen werden. Es ist ein Buch über den Umgang mit schwarzmagischen Gegenständen, selbst ist es jedoch keines dieser dunklen Bücher. Es ist also völlig ungefährlich und Sie können es mit auf Ihr Zimmer nehmen.“
Sie seufzte und sagte im Anschluss: „In Ordnung.“

Harry, der gerade in die Kerker gehen wollte, um Hermine wegen seines neuen Denkariums zu holen, bemerkte die beiden von einem Fenster im Gang aus, wie sie gerade wieder das Schloss betraten. Er fing sie ab und erzählte von der heutige Lieferung, so dass Severus und Hermine gleichermaßen neugierig auf die „langweiligen“ Erinnerungen waren, die der Verstorbene laut Harry hinterlassen hatte. Mit Hund und Kniesel betraten sie Harrys Wohnzimmer.

„Ginny“, grüßte Hermine, bevor sie ihrer Freundin in die Arme fiel, während Severus nur ein höfliches Kopfnicken für die Rothaarige übrig hatte.
„Da hinten“, sagte Harry und zeigte auf das Denkarium.
„Es ist ja wohl kaum zu übersehen“, kommentierte Severus die hilfreiche Geste seines Kollegen, während er sich dem Becken näherte. „Es ist sehr groß! Viel größer als das von Albus oder mir.“

Mit seinen langen, durch Trankzutaten leicht gelblich verfärbten Fingern strich er über den grauen Stein und seine kunstvollen Verzierungen mit einer Achtung, die Harry erst verständlich machte, was für ein Schatz in seinem Wohnzimmer zu stehen schien.

„Albus hat einmal gesagt“, begann Severus, „dass es in unserem Land nur vier Denkarien geben würde.“ Er senkte seine Hand und blickte Harry an, bevor er sagte: „Es ist sehr außergewöhnlich, dass sich drei von ihnen mittlerweile unter demselben Dach befinden.“
„Ich weiß ja, dass sie selten sind, aber wie viele gibt es überhaupt auf der Welt?“, wollte Harry wissen.
„Diese Frage kann ich Ihnen nicht genau beantworten. Mir sind nur noch zwei weitere bekannt. Eines in Indien und eines in Ägypten“, antwortete Severus. Er bemerkte erst jetzt, dass auch Hermine und Ginny ihm an den Lippen hingen, so dass er noch das Letzte, das er über Denkarien wusste, zum Besten geben wollte, indem er sagte: „Es heißt, dass diese Becken einst von Druiden geschaffen worden waren – zumindest das Erste seiner Art - , aber das ist nur eine Legende und konnte bisher weder bestätigt noch dementiert werden.“
Hermine bestätigte die Aussage: „Ja, das habe ich auch gelesen, aber ansonsten ist kaum etwas bekannt.“
Wieder Harry anblickend fragte Severus: „Und was für Erinnerungen sind Ihnen überlassen worden, wenn ich mir die Frage erlauben darf?“
„Eine ist noch drin“, antwortete Harry. „Sie können gern selbst einen Blick hineinwerfen.“ Er schaute zu Hermine hinüber und fügte hinzu: „Du natürlich auch.“

Hermine und Severus tauschten einen Blick aus und kamen zu der stillen Übereinkunft, gemeinsam die Erinnerung zu betreten. Während Hermine mit ihrem Gesicht sehr nahe an die flüssige Oberfläche herangehen musste, hatte Severus wegen seiner großen Hakennase noch gut zwei Zentimeter Spielraum, denn es musste ja nur die Nasenspitze eingetaucht werden.

Drinnen fanden sich die beiden in einem Keller wieder, welcher zu einer Art Labor umfunktioniert worden war. Ein alter Zauberer, vielleicht um die hundert Jahre alt, saß über seinen Schriften und schien sich Notizen zu machen, während auf dem Tisch eine hellblaue Flüssigkeit in einem Kessel auf kleiner Flamme vor sich hin kochte. Einige beschriftete Ampullen, Gläser und Phiolen standen um den Kessel herum. Während Hermine ihre Augen wie gebannt auf den Mann richtete, sah Severus sich ein wenig im Raum um.

„Wissen Sie, wer das ist?“, fragte sie neugierig.
„Nein, ich habe ihn noch nie gesehen“, erwiderte Severus. Sein Blick fiel auf einen Schrank und die Zutaten, die dort zu finden waren. Als er eine große Flasche bemerkte, die direkt neben ihm auf dem Schrank stand, sagte er: „Ich denke jedoch, ich weiß, welchem Beruf der Herr nachgegangen war.“

Hermine schaute Severus mit großen Augen an, so dass er schmunzelte und ihr lediglich mit einem Kopfnicken zu verstehen gab, den Schrank zu beäugen. Nur wenige der Zutaten kannte sie, denn es handelte sich bei ihnen um Zaubertrankzutaten. Andere Fläschchen und Gläser enthielten offensichtlich Säuren, andere schienen leer zu sein und dann fiel ihr Blick auf die große Flasche neben Severus.

Auf dem Etikett der Flasche stand ein Wort und da leuchtete ihr ein, was Severus längst wusste: „Königswasser“, las sie laut vor. „Der Mann war ein Alchemist!“
„Und er war in Zaubertränken auch sehr bewandert, wenn ich mir die außergewöhnlichen Zutaten so ansehe“, fügte Severus hinzu. Um ihr Wissen zu testen fragte Severus: „Was ist ’Königswasser’?“
Hermine schluckte, denn dieses Gebiet war ihr nicht allzu vertraut, doch sie antwortete gewissenhaft: „Man hat es Königswasser genannt, weil es die Edelmetalle auflösen kann. Es besteht zu zwei Teilen aus Salzsäure und zu einem Teil aus Salpetersäure.“ Wie damals in der Schule, wenn man eine Frage nicht korrekt beantwortet hatte, hob er eine Augenbraue, so dass sie unsicher verbesserte: „Aus drei Teilen Salzsäure? Chemie ist ganz und gar nicht mein Fach, Severus.“
„Aus drei Teilen ist richtig!“, bestätigte er.
„Was macht er da?“, wollte Hermine wissen.

Sie ging um den unübersichtlichen Arbeitsplatz herum und schaute dem alten Mann über die Schulter. Er machte sich jedoch keine Notizen zu seinem Projekt, sondern schrieb einen Brief.

„Das, Hermine, meinte ich neulich, als ich zu Harry sagte, er hätte keinen blassen Schimmer von dem ’sinnvollen Zweck eines Denkariums’. Sie werden von unserem verstorbenen Alchimisten hier“, er näherte sich Hermine, „keine schriftlichen Hinweise auf seine Forschungen erhalten, denn sie müssen allein seinem Werk ihr Augenmerk schenken. Ich vermute, dass er irgendetwas Belangloses niederschreibt; nichts von Interesse.“
„Sie meinen, diese ganzen Erinnerungen, die Harry jetzt hat, sind nichts weiter als das, was mein Notizbuch für mich ist?“, wollte Hermine wissen.
„Ganz recht, Hermine. Es sind Forschungen und Entdeckungen, die unser alter Freund nur jemandem überlassen wollte, der mit ihnen auch etwas anzufangen weiß. Die ganzen Zutaten um den Kessel herum…“, er deutete mit einem schmalen Zeigefinger darauf. „Ich nehme an, da die Basis eines jeden Trankes Wasser ist, dass er ab der Flasche mit dem Wasser im Uhrzeigersinn die Reihenfolge der Zutaten für seinen Trank angeordnet hat. Um zu erfahren, was der Trank bewirken würde, müsste man sich selbst daran machen, ihn zu brauen.“ Er blickte Hermine an, die von dieser Information ganz hingerissen zu sein schien und sagte: „Ich denke, wir haben fürs Erste genug gesehen. Gehen wir zurück“, sagte Severus und schon war er verschwunden. Hermine warf noch einen letzten Blick auf den alten Mann, bevor sie die Erinnerung ebenfalls verließ.

„Und?“, fragte Harry. „War stinklangweilig oder?“
„Finden Sie?“, fragte Severus zurück.
„Ja, na ja. Ich meine, der saß da nur rum und hat einen Brief an seine Schwester Lucilla geschrieben und ihr von seinen Gebrechen berichtet. Ich fand das schon ziemlich langweilig“, entgegnete Harry, der sich aus einem Bauchgefühl heraus plötzlich ganz dämlich vorkam, weil er ahnte, irgendetwas übersehen zu haben.
„Ich kaufe Ihnen den Krug mit Erinnerungen ab, wenn Sie sie so ermüdend finden. Fünf Galleonen?“, schlug Severus mit hochgezogenen Augenbrauen vor.

Hermine hielt sich zunächst aus dem Gespräch heraus, würde aber sofort einschreiten, falls Harry wirklich so naiv wäre, diesen kleinen Schatz für nur fünf Galleonen zu veräußern.

Harry wusste jetzt definitiv, das etwas nicht stimmte und sagte ehrlich mit zusammengekniffenen Augen: „Warum werde ich das Gefühl nicht los, dass Sie mich über den Tisch ziehen wollen, Severus?“ Severus grinste, versuchte jedoch, seine Gefühlsregung unter Kontrolle zu bekommen. An Hermine gerichtet fragte er: „Was hast du da gesehen, außer den Alten, der einen Brief geschrieben hat?“
„Es ging in der Erinnerung nicht um den Brief, Harry. Es ging um den kleinen Kessel, der über der Flamme stand. Wir haben es ja nicht zu Ende gesehen, aber wir haben zumindest schon einmal herausbekommen, was der ältere Herr entweder beruflich gemacht oder als umfangreiches Hobby betrieben hat“, erklärte Hermine.
Ginny legte ihre Stirn in Falten und fragte: „Haben wir auch wirklich das Gleiche gesehen?“
„Zehn Galleonen, Harry?“, fragte Severus schmunzelnd.
„Pah“, machte Harry lächelnd. „Wissen Sie was? Ich schenke Ihnen die Erinnerungen, wenn Sie mir nur sagen, um was es sich überhaupt handelt.“
Severus hielt nichts mehr und er erzählte von seinen Beobachtungen: „Der Mann schien ein Alchemist gewesen zu sein, was unter anderem die große Auswahl an chemischen Substanzen, besonders aber das Königswasser im Labor unterstreicht. Zaubertränke scheinen ihm auch gelegen zu haben. Verstehen Sie jetzt?“
Harry verzog beleidigt den Mund und antwortete kurz darauf: „Das heißt im Klartext, dass diese Erinnerungen für Leute, die bei ’Zaubertränke’ nur 70% Prozent auf ihrer Schokofrosch-Spielkarte zu stehen haben, völlig nutzlos sind.“

Für einen kurzen Augenblick musste Severus leise lachen, was besonders Ginny erstaunte, denn sie hatte ihren Zaubertränkelehrer noch nie im Leben lachen hören.

„Ganz richtig, Harry. Allerdings kenne ich den Mann nicht und weiß daher nichts von seinen Fähigkeiten. Er ist sicherlich kein Damocles Belby, dessen Ideen unbezahlbar wären. Aufgrund meines allgemeinen Interesses an wissenschaftlichem Gedankengut wäre ich gern bereit, mehr für diese Erinnerungen zu bezahlen. Machen Sie mir einen Vorschlag, aber bedenken Sie bitte, dass es sich bei dieser Hinterlassenschaft auch um wertlose Inhalte handeln könnte. Ich würde sozusagen die Katze im Sack kaufen“, erklärte Severus ehrlich.
„Und ich habe Ihnen gesagt, dass Sie es umsonst haben können. Danke für die Erklärung, Severus. Ich bin mir jetzt sicher, dass ich damit überhaupt nichts anfangen kann. Ich würde diese Erinnerungen gern Ihnen und Hermine geben. Vielleicht können Sie beide was draus machen?“, schlug Harry vor.

Severus warf seiner Schülerin einen Blick zu und er schien zu überlegen, ob der das Wissen des verblichenen Alchemisten mit ihr teilen wollte, doch letztendlich stimmte er zu, denn dieses Angebot abzuschlagen wäre töricht.

„Abgemacht, Harry“, sagte Severus und hielt ihm die Hand entgegen, die Harry ergriff und kurz schütteln ließ. „In Anbetracht Ihrer Großzügigkeit möchten wir Sie mit einer Tatsache vertraut machen, die Sie sicherlich sehr interessieren würde. Es geht um Albus’ Grab am See“, sagte Severus.
Harry und Ginny machten ganz großen Augen und Harry war der Erste, der fragte: „Ihr habt beide reingeschaut? Liegt da nun eine Leiche oder nicht?“
Die vier nahmen um den kleinen Tisch herum Platz und Severus erzählte: „Dieser Marmorblock ist nicht zu öffnen.“
Ginny fragte neugierig: „Und was heißt das?“
Es war Hermine, die antwortete: „Das heißt, dass es ein Marmorblock ist und nichts anderes. Es ist kein Grab. Der Stein ist massiv und nichts ist darin eingeschlossen; unter dem Block ist übrigens auch nichts. Es gibt keine Leiche. Die hat es nie gegeben!“
„Nichtsdestotrotz war sie mit starken Schutzzaubern versehen, die ich glücklicherweise aufheben konnte und auch nur, weil Albus selbst sie mir beigebracht hatte. Er wollte nicht nur, dass alle ihn für tot halten, sondern er hatte auch Vorkehrungen getroffen, damit niemand sich selbst ein Bild davon machen konnte“, erklärte Severus.

Diese Informationen mussten besonders bei Harry erst einmal sacken. Bevor jemand sich dazu äußern konnte, fragte Severus ihn: „Hermine hat mir erzählt, Sie hätten bei der Bestattung geglaubt, einen Phönix davonfliegen zu sehen?“ Harry nickte, so dass Severus laut vermutete: „Sehr wahrscheinlich war es auch so gewesen.“
„Aber ich war doch bei seiner Leiche!“, stellte Harry klar.
Severus fragte sehr nüchtern: „Haben Sie nach seinem Puls gefühlt?“
„Ja, habe ich und er hatte keinen“, erklärte Harry.
„Wie lange haben Sie den Puls gefühlt?“
Harry hob und senkte einmal langsam die Schultern und rief sich derweil die Erinnerung ins Gedächtnis zurück, bevor er antwortete: „Ein paar Sekunden an der Halsschlagader.“
„Ah“, machte Severus. „Das bedeutet überhaupt nichts, wie Hermine als ausgebildete Heilerin mir sicherlich beipflichten wird. Es gibt Tränke, die die Blutzirkulation stark verlangsamen, um beispielsweise Blutungen in den Griff zu bekommen. Ich gehe davon aus, Harry, dass Albus noch gelebt haben muss, während Sie bei ihm waren. Sie waren wie alt? Sechzehn, siebzehn? In diesem Alter war es Ihnen gar nicht erst in den Sinn gekommen, Albus’ Tod infrage zu stellen oder ihn allgemein auch mal überaus skeptisch zu betrachten so wie Sie mich immer betrachtet haben.“
„Das war jetzt aber kein Vorwurf oder? Hermine hat ab der Fünften immer wieder gesagt, dass Sie mit Sicherheit auf unserer Seite wären, aber Sie haben vollkommen Recht, Severus, denn ich war Ihnen gegenüber skeptisch und habe ihr nicht geglaubt“, sagte Harry mit einem Hauch von Reue.
Hermine meldete sich zu Wort und erklärte: „Na ja, nachdem Sie vermeintlich Albus ermordet hatten, war ich ganz schön getroffen, mich so getäuscht zu haben, aber es hat sich ja zum Glück alles geklärt.“
Ginny sah aus, als wollte sie zu diesem Thema auch etwas sagen und als alle sie anblickten, um ihre Ansicht zu hören, da fragte sie neckisch: „Droht mir Punkteabzug, wenn ich zu dem Thema auch was sage?“
Wie aus der Pistole geschossen antwortete Severus: „Ja!“
„Dann habe ich nichts zu sagen“, sagte sie weniger ernst, denn ihr war nicht entgangen, dass ihr Zaubertränkemeister sich nur einen Scherz erlaubt hatte. Letztendlich erklärte sie jedoch, dass sie immer zwiespältiger Meinung gewesen war und ihr Verstand stets eine andere Meinung vertreten hatte als ihr Gefühl.

Man unterhielt sich noch gemütlich über dieses und jenes, bis Hermine fragte: „Harry? Hat King schon mit deinem Elf gesprochen?“
„Noch nicht, aber sie wollen sich am Wochenende sehen. Bin mal gespannt, wie das Gespräch ablaufen wird. Ich habe ’ihm’ gesagt, dass er ehrlich zu Kingsley sein soll und auch über mich schimpfen darf, wenn es etwas gibt, das er loswerden möchte.“

Harry hatte seinen Elf extra nicht beim Namen genannt, weil der sonst sofort aufgetaucht wäre, doch Wobbel hatte jetzt frei und Harry wollte ihn nicht stören.

„Ich werde heute mal anfangen, den Gesetzesentwurf zu lesen und…“
Severus unterbrach Hermine und sagte etwas gekränkt klingend: „Ich wollte Ihnen heute ein Buch geben.“
„Das lese ich natürlich auch. Keine Sorge, ich werde meine Ausbildung bei Ihnen nicht vernachlässigen“, versicherte Hermine ihm.

Ginny wechselte das Thema und sagte an Hermine gewandt: „Ron und Harry haben mir von deinem Trank erzählt. Den würde ich auch gern mal nehmen, wenn du noch eine Testperson brauchst.“
Hermine wollte gerade schon enthusiastisch zustimmen, da sagte Severus: „Das Angebot wird Hermine ausschlagen müssen.“ Weil Hermine ihn fragend anblickte, erklärte er: „Bei einem erwachsenen Menschen sind keine Nebenwirkungen aufgetreten, aber wir wissen nicht, wie sich der Trank möglicherweise auf Muttermilch auswirken kann und weder Sie noch ich werden in dieser Hinsicht etwas riskieren!“ Es war eindeutig als Warnung gedacht und Hermine war für diese kleine Rüge froh, denn daran hatte sie überhaupt nicht gedacht.

Hermine nickte Severus zu und sagte: „Ja, Sie haben Recht, Severus.“ Hermine wandte sich an Ginny und schlug vor: „Aber wenn diese Phase vorüber ist, dann kannst du gerne bei mir vorbeikommen! Da fällt mir übrigens eine Sache ein, die ich sowieso unbedingt prüfen möchte. Das ist mir durch den Kopf gegangen, als wir auf dem Ordenstreffen waren.“
„Und das wäre?“, fragte Severus hellhörig.
„Ich möchte wissen, was passiert, wenn ein Squib und ein Muggel den Trank eingenommen haben!“
„Wieso möchten Sie es an einem Muggel testen? Das wäre sicherlich nur Verschwendung eines nicht gerade preisgünstig herzustellenden Trankes. Muggel verfügen nicht über Magie. Der Trank wird bei ihnen keine Ergebnisse bringen“, sagte Severus irritiert über den Vorschlag seiner sonst so klugen Schülerin.
„Das möchte ich gerade herausfinden, Severus. Dass Squibs keine oder nur eine sehr verkümmerte und daher unbrauchbare Magie besitzen, ist die eine Sache, aber wissen wir denn wirklich genau, ob nicht doch ein Hauch von Magie in einem Muggel stecken könnte? So gering, dass sie es selbst nie merken würden, aber immerhin genügend, um eine Hexe zur Welt bringen zu können“, sagte Hermine mit glänzenden Augen, denn sie war von ihrer eigenen Idee ganz fasziniert.
Harry nickte langsam, denn ganz auf den Kopf gefallen war er ja nicht und so sagte er: „Du denkst da an muggelgeborene Zauberer und Hexen. Ich habe mich auch schon gefragt, wie zwei Muggel ein Kind mit Zauberkräften bekommen können, wenn man sich mal allein die Vererbungslehre vor Augen hält.“
„Eben das meine ich!“, bestätigte Hermine. „Von nichts kommt nichts. Ich bezweifle, dass die Magie als intelligente Existenz vor der Wiege eines Muggelbabys steht und überlegt, ob sie jetzt in den Körper schlüpfen möchte oder nicht. Und außerdem…“
Hermine verfiel in ihre Grübelstarre, doch Ginny erweckte sie daraus und wiederholte: „Und außerdem?“
„Und außerdem könnte das vielleicht erklären, warum manch ein Muggel oder Squib magisch verborgene Orte sehen kann oder nicht“, sagte Hermine.
Harry bekam ganz große Augen und warf ein: „Was wiederum erklären könnte, warum Anne überhaupt Hogwarts betreten konnte!“


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