von Muggelchen
Hermine konnte ihn nicht aufhalten, so schnell wie Severus den Astronomieturm verlassen hatte. Sie konnte ihm nicht einmal hinterherrufen, denn ihre Kehle war wie zugeschnürt. Das, was sie so lange schon mit Hilfe ihres Farbtrankes bei Severus sehen wollte, hatte sie gerade eben mit Hilfe des „Adlerauges“ erblicken können und was sie gesehen hatte, hatte sie tief in ihrem Herzen berührt.
Sie hatte bei ihm eine Farbe wahrgenommen, über die sie bei ihren Recherchen mehrmals gestoßen war. In den Büchern war beschrieben gewesen, dass jede einzelne Farbe, die es gibt, eine mögliche Schattenseite besitzen würde und würde auch nur der Hauch jener Schattenfarbe, die Severus vollständig eingenommen hatte, in einer anderen Farbe auftauchen, dann würden sich die guten Eigenschaften sofort ins Negative umkehren. Rons Rot würde mit dieser einen Farbe vermischt auf Krankheiten hindeuten oder Hermines Gelb nicht mehr auf Fleiß und Ordnung, sondern auf Wankelmut. Das bei ihr neuerdings hinzugekommene Blau würde mit dieser einen Farbe vermischt nicht mehr Hingabe, Weiblichkeit und Heilung bedeuten, sondern schlichtweg Lebensverneinung.
Diese eine Farbe war durchweg eine schlechte, weil sie alle anderen mit Nachteilen belegen konnte, doch Severus war von ihr vollends umgeben gewesen. Es war nichts, absolut nichts anderes zu sehen. Kein Gelb, kein Lila, nichts. Severus besaß keine Farbe, denn er war voll und ganz in Grau gehüllt.
Mit Herzklopfen schritt Hermine die Stufen des Astronomieturms hinunter und überlegte, was sie jetzt tun konnte. Sollte sie ihn aufsuchen oder das heute Erlebte lieber morgen ansprechen – oder besser gar nicht? Was wäre ihm wohl lieber? Er würde es sicher bevorzugen, ihr die Erinnerung daran nehmen zu dürfen, doch so leicht wollte sie es ihm nicht machen. Sie hätte es begrüßt, wenn er einfach einmal zugestimmt hätte, ihren Trank zu nehmen; im beidseitigen Einverständnis, denn dann hätte es weder ihr noch ihm so einen Schrecken eingejagt. Sie vermutete jedoch, dass er viel mehr damit zu kämpfen hatte, dass sie jetzt dieses eine Geheimnis von ihm kannte, denn das war ein Punkt, der sie in ihrer Recherche über ihn antreiben würde. Severus, der Graue…
Während sie langsam und leise, denn die meisten Gemälde schliefen bereits fest, die Treppen vom siebten Stock hinunterging, rief sie sich ins Gedächtnis zurück, was die Farbe Grau bedeuten würde, wenn sie für sich alleine stehen würde wie bei Severus. Konnte sie um diese Uhrzeit noch in die Bibliothek gehen und nachschlagen, um ganz sicher zu gehen, bevor sie Severus unter die Augen treten würde?
Im vierten Stock angelangt betrat sie die Bibliothek und wurde seltsamerweise von niemandem gestört. Madam Pince rechnete wohl nicht damit, dass sich zur Ruhezeit ein Schüler hierher verlaufen würde oder es lag daran, dass die Bücher durch Zauber geschützt waren, so dass sie weder zerstört noch gestohlen werden konnten. Hermine machte sich etwas Licht in dem riesigen Raum, bevor sie zielstrebig ein ihr sehr vertrautes Buch aus dem Regal nahm.
Sie schlug bei „G“ auf und fand weit unten die gesuchte Farbe, so dass sie leise und mit zittriger Stimme die Bedeutung von Severus’ magischer Farbe vor sich hermurmelte: „Die Farbe ’Grau’ weist auf ein verblasstes Innenleben hin. Sehr dunkle Grautöne deuten auf einen starken Mangel oder das Fehlen von Empfindsamkeit und sind häufig ein Hinweis auf eine verirrte oder vollends verlorene Seele.“
Sie hielt sich eine Hand vor den Mund und versuchte, das Gefühl von Mitleid zu verbannen, welches sich in ihr ausbreiten wollte, denn das wäre das Letzte, das er von ihr erwarten würde. Nur er allein – vielleicht auch Albus – wusste, was damals vor zwanzig Jahren mit ihm geschehen war und er hatte geahnt, wie sich das, was ihm widerfahren war, in seinen Magiefarben niederschlagen könnte; deshalb hatte er sich stets gesträubt, sich ihr zu offenbaren. Doch was bedeutete diese Farbe nun wirklich? Bisher hatte sie noch nicht herausfinden können, ob ein Dementor tatsächlich nur den Teil einer Seele vernichten könnte, denn das könnte seine Farbe erklären.
Hermine bekam einen glasigen Blick, als sie sich in ihre Gedanken vertiefte und angestrengt nachdachte. Ollivander drängte sich während ihrer Überlegungen in den Vordergrund und dessen Aussage, dass Severus Farbe bekommen müsste, um einen neuen Zauberstab erhalten zu können. Wenn Severus’ magische Farbe jetzt jedoch Grau war, warum hatte Ollivander ihm einen neuen Stab verkaufen können? Wie vom Blitz getroffen hatte sie die Antwort darauf parat: es waren Severus’ Augen, die Farbe bekommen hatten! Ollivander musste das erkannt haben und zwar gleich, nachdem Hermine seinen Laden betreten und mit Severus geredet hatte. Hier stellte sich ihr eine neue Frage, denn wenn sich seine Augenfarbe verändert hatte, warum nicht auch die seiner Magie?
Seine Augen waren in ihrer und Harrys Nähe seit geraumer Zeit immer braun gewesen und nicht nachtschwarz. Die Augenfarbe musste daher unabhängig von der Magiefarbe gedeutet werden. Hermine machte sich eine gedankliche Notiz, unbedingt den Wälzer „Die Seelen der Farben“ zu Ende zu lesen, welches sie zum Glück noch nicht wieder zurückgegeben hatte. Sie stellte das Buch zurück ins Regal und machte sich auf den Weg in die Kerker und währenddessen war sie hin und her gerissen, denn sie wollte einerseits Severus sofort aufsuchen und ihm sagen, dass er sich keine Gedanken machen sollte, denn sie würde ihn deswegen nicht mit anderen Augen sehen. Andererseits könnte er jetzt so gereizt sein, dass jeder Versuch, mit ihm zu reden, für sie sehr gefährlich enden könnte. ’Ausnahmezustand’, dachte Hermine. Nach seiner Reaktion war ihr klar, dass er momentan wieder in einem seiner Ausnahmezustände sein musste, doch konnte sie nicht einmal erahnen, ob er zornig oder depressiv sein würde. Sollte letzteres zutreffen, dann musste sie unbedingt mit ihm reden, aber die Furcht davor, ihm ins Messer zu laufen, sollte er einen Wutanfall haben, machte ihr die Entscheidung sehr schwer. Was sollte sie nur tun?
Unbewusst war sie an ihren Räumen vorbei zu denen von Severus gegangen und sie dachte sich, wenn ihr Bauchgefühl sie schon hierher treiben würde, dann wäre es besser, bei Severus nach dem Rechten zu sehen. Gerade, als sie ihre Entscheidung gefällt hatte, sagte Salazar Slytherin mit arrogant gekräuselter Nase: „Sie haben keinen Zugang mehr!“
Sie nickte entkräftet und sagte sehr ruhig: „Das dachte ich mir, aber so oder so werde ich durch diese Tür gehen!“
Hermine zog ihren Zauberstab, doch bevor sie irgendetwas tun konnte, blaffte Salazar: „WAS haben Sie vor?“
Sie hob gelassen beide Augenbrauen und erklärte: „Ich wollte schon immer mal sehen, wie ein ’Bombarda’ aussieht, dem ich ein ’Maxima’ anfüge.“
Ihr rechter Arm hob sich leicht und sofort keifte Salazar: „Das wagen Sie nicht!“
Sie hatte nun zwei Möglichkeiten. Entweder ließ sie sich auf ein Gespräch mit dem Gemälde ein, was sie nicht wollte – nicht einmal mit der verbalen Bejahung ihres Vorhabens – oder sie setzte ihre Drohung kurzerhand in die Tat um. Sie entschloss sich dafür, sich nicht mit einem Slytherin zu streiten, besonders nicht mit DEM Slytherin, denn der würde sie wahrscheinlich mit seinen Argumenten mundtot machen können. Sie wollte es drauf ankommen lassen. Mit ihrem besten Pokergesicht führte sie die erste Handbewegung aus, doch bevor sie den Mund öffnen konnte, um die ersten Worte des Zauberspruchs zu sagen, gebot Salazar ihr Einhalt, denn er öffnete wortlos die Tür zu Severus’ Räumen, weil er ihre Ernsthaftigkeit erkannt haben musste.
Ihr Herz schlug ihr bis in den Hals hinauf, als sie vorsichtig die Tür zum dunklen Wohnzimmer öffnete und ganz plötzlich erschrak sie, denn der Hund hatte die Schnauze durch den Spalt gesteckt und schnupperte aufgeregt. Sie tätschelte Harry, bevor sie eintrat und die Tür hinter sich schloss. Hier drinnen war es stockfinster, doch erst in dieser alles einnehmenden Dunkelheit bemerkte sie, dass sie ihre eigenen Farben sehr verblasst wahrnehmen konnte: Gelb, Orange, Braun und Blau. Sie betrachtete ihre Arme und die Farben waberten um sie herum als wären sie Sirup in der Schwerelosigkeit. Der „Adlerauge“-Trank hatte den Vorteil zum Vorschein gebracht, die eigenen Farben sehen zu können, wenn auch nur sehr geringfügig, während ihr eigener Farbtrank die Farben nur für andere sichtbar machen konnte. Wieder machte sie eine gedankliche Notiz, denn sie wollte diese Möglichkeit in ihrem eigenen Trank verwirklichen. Die Leuchtkraft der Farben war nicht sehr groß, doch der Boden, auf dem sie stand, war durch sie ein wenig erhellt. Auch Severus’ Hund, der neben ihr Sitz gemacht hatte, war ein wenig zu erkennen; zumindest dessen Pfoten neben ihrem Fuß.
’Vielleicht’, dachte sie, ’stand das nicht in den Nebenwirkungen mit bei, weil dieser Trank überwiegend am Tage verwendet worden war und man die blassen Farben der Magie deshalb nie sehen konnte? Vielleicht ist es aber auch nur nie jemandem aufgefallen?’ Ihr eigener Magietrank brachte die Farben viel kräftiger hervor. Sie bemerkte darüber hinaus, dass der „Adlerauge“-Trank offensichtlich nur für eine verschärfte Sehkraft sorgen konnte, wenn zumindest eine natürliche Lichtquelle vorhanden wäre. Draußen hatte das Licht gereicht, welches der Mond zurückgeworfen hatte, doch hier in Severus’ Wohnzimmer konnte sie gar nichts sehen, obwohl der Trank mindestens noch zehn Minuten wirken müsste. Vorsichtig ging sie ein paar Schritte, bis sie mit den Knien an die Couch stieß. Gerade, als sie ihren Zauberstab hob, um mit einem Lumos den Raum zu erhellen und derweil einen Schritt weiterging, da stieß sie an etwas und erschrak so fürchterlich, dass sie rückwärts auf ihr Gesäß fiel.
Noch während sie auf dem Boden saß sagte sie aufgeregt: „Lumos!“ Der Schein von der Spitze ihres Stabes aus machte das bleiche Gesicht ihres Professors sichtbar, der unbeweglich auf der Couch saß und sie anblickte, als wollte er ihr jeden Moment den Hals umdrehen. Sie konnte außer seinem hellen Gesicht, auf welchem noch immer ein grauer Schleier lag, nichts anderes erkennen, denn seine Haare und seine Kleidung wurden von der hier herrschenden Dunkelheit vollkommen verschlungen. Sie bekam Angst, weil er sich nicht rührte und nichts sagte, sondern nur auf der Couch saß und sie bösartig anstarrte.
Mit all ihrem Mut führte sie ihren erhellten Zauberstab näher an ihn heran, doch da griff er plötzlich zu und entriss ihn ihr; gleich darauf wurde es wieder stockdunkel. Panik wollte in ihr aufkommen, doch da sagte er plötzlich durch die Zähne zischend: „Ich will kein Licht!“
Heftig atmend blieb Hermine eine Weile in der Dunkelheit auf dem Boden sitzen in dem Wissen, dass Severus nur wenige Zentimeter von ihr auf der Couch saß. Der Hund war zu ihr gekommen und stupste sie mit der kalten Schnauze, was Hermine ein wenig die Furcht nehmen konnte. Sie riss sich zusammen und stand auf, damit sie neben Severus Platz nehmen konnte, doch etwas zu sagen traute sie sich nicht.
Nach zehn Minuten, die ihr wie eine Ewigkeit vorgekommen waren, fragte sie kleinlaut: „Warum wollen Sie kein Licht?“
Sie hörte ihn tief durchatmen, bevor er resignierend und mit gebrochener Stimme antwortete: „Ich kann es sehen.“ Nach einer ganzen Weile sagte er ergriffen und ein wenig wehmütig zu ihr: „Sie leuchten im Dunkeln, Hermine.“ Sie biss sie auf die Zunge, um nicht zu weinen und es half.
Ein paar Räume weiter lag Draco angekleidet und schlafend auf dem Bett, denn vorhin hatte ihn die Müdigkeit einfach übermannt. Er träumte schlecht, genau wie früher, als er mit Severus auf der Flucht gewesen war. Damals war er fast jeden Morgen mit Tränen in den Augen aufgewacht und so auch dieses Mal, nur dass er zusätzlich auch sehr heftig atmete und seine Hände zitterten. Er hatte von Todessern geträumt, die ihm umzingelt hatten und jemand aus der Runde hatte gesagt, er, Draco, wäre einer von ihnen, doch Draco hatte sich gegen die Behauptung aufgelehnt. Aufgewacht war er mit dem im Ohr nachhallenden Wort „Crucio“.
Im Badezimmer wusch sich Draco das Gesicht mit eiskaltem Wasser und derweil kam er zu der Erkenntnis, dass sein Albdrücken ein Resultat von Shauns ständigen Angriffen sein musste. Shaun war der Einzige, der ihn immer wieder einen Todesser schimpfte. Die anderen nahmen das Wort nie in den Mund, wie sie auch niemals „Voldemort“ laut aussprechen würden, doch wenn Shaun ihn einen Todesser nannte, dann stimmten die anderen nickend zu.
Gestern, bevor Hermine hinzugestoßen war, wollten die drei Gryffindors ihn zwingen, seinen linken Unterarm zu zeigen, wogegen er sich natürlich gewehrt hatte, denn er war ja kein Anschauungsobjekt für Studenten. Wenn Draco von sich auf Shaun schließen würde, dann würde er behaupten, sein Mitschüler wäre feige; hätte Angst. Warum sonst folgten ihm ständig die beiden Leibgarden? Draco hatte es früher nicht anders gemacht, denn auch er hatte darauf geachtet, nur selten allein aufzutreten. Shaun würde er daher nicht allein über den Weg laufen können, um die Sache ein für allemal unter vier Augen zu regeln und daher musste er ihm auf andere Weise einen Denkzettel verpassen; er wusste jetzt auch, wie.
Da es noch sehr früh in der Nacht war, kurz nach ein Uhr, entkleidete sich Draco und während er im Bett auf erholsamen Schlaf wartete, feilte er Pläne für seine Rache an Shaun und all den Schülern, die in ihm noch immer einen Todesser sehen wollten. Als Draco endlich die Augen schließen konnte, herrschte absolute Finsternis.
Finsternis herrschte auch noch in Severus’ Wohnzimmer und darüber hinaus Totenstille. Nur selten konnte sie ihn ruhig atmen hören. Während sie so still neben ihm saß, überlegte sie, wie sie die Situation wieder normalisieren könnte. Sollte sie über seinen dunklen Grauton reden, würde alles sicherlich nur noch schlimmer werden, also riss sie sich zusammen und sagte: „Wissen Sie was? Ich werde versuchen, die Eigenschaft vom ’Adlerauge’ auf meinen Farbtrank zu übertragen. Ich meine, dass dann derjenige, der den Trank genommen hat, auch seine eigenen Magiefarben sehen kann. Es wäre schön, wenn Sie mir dabei helfen würden.“ Er äußerte sich nicht, so dass sie laut nachdachte: „Die Zutaten waren ähnlich, aber ich glaube, es hat weniger mit den Zutaten zu tun. Wäre es möglich, dass eine bestimmte Rührreihenfolge oder Temperaturschwankung während des Brauens diesen Effekt hätte hervorrufen können?“ Sie klang sehr interessiert und das war sie auch.
Endlich hatte sie ihn dazu gebracht, etwas zu sagen und er bestätigte, wenn auch etwas entkräftet klingend: „Das ist durchaus möglich, aber das müsste man natürlich testen.“
„Ja, das müssen wir wohl. Ich hoffe nur, es war keine Nebenwirkung, die man nicht reproduzieren kann“, sagte sie.
„Nebenwirkungen sind in der Regel reproduzierbar“, erklärte er und seine Stimme war klang schon ein weniger gefestigter.
Sie seufzte kurz, bevor sie sagte: „Ich weiß ja nicht, wie spät es schon ist, aber ich werde langsam mal schlafen gehen.“ Sie stand auf und, obwohl sie nichts sehen konnte, drehte sie sich um und sagte: „Gute Nacht, Severus. Bis morgen!“
„Gute Nacht, Hermine“
Am nächsten Morgen war die Stimmung der meisten Bewohner von Hogwarts ausgelassen und fröhlich, nachdem sie erwacht waren, nur nicht bei Draco, Severus und Hermine. Harry und Ginny hingegen kuschelten sich noch im warmen Bett aneinander und redeten über ihre Kostüme, die sie zum Abend tragen wollten.
„Mir hat das mit dem Teufel gut gefallen“, sagte Ginny lächelnd, während sie ihm eine Strähne von der Stirn wischte.
Er ergriff die kleine Hand und küsste ihre Fingerspitzen, bevor er schelmisch grinsend sagte: „Dann muss ich ja wohl als Engel gehen, damit sich das wieder ausgleicht.“
Sie lachte, verneinte jedoch und sagte: „Zu Halloween muss die Verkleidung gruselig sein! Du kannst ja als Troll gehen.“
Er stutzte, bevor er keck fragte: „Was denn? Mache ich so einen grobschlächtigen Eindruck?“
Sie schüttelte den Kopf und küsste ihn. Gleich im Anschluss schlug sie vor: „Geh doch als Sabberhexe! Ich mach dir ’nen Buckel, schlohweiße Haare“, sie zwirbelte in seinem Schopf, „und schwarze Zähne. Ich bin sicher, Hermine würde dir ihren Kniesel leihen, der dann auf dem Buckel sitzen kann.“
„Der Teufel und die Sabberhexe?“ Er lachte auf, sagte jedoch, dass ihm die Idee gefallen würde.
Ginny stand auf, um Nicholas, den sie vor einer Stunde gestillt hatte, ins Bett zu holen und zwischen sich und Harry zu legen, so dass die drei noch gemeinsam kuscheln konnten, bevor sie sich fürs Frühstück fertigmachen würden.
Einen Stock tiefer wurde Hermine von Fellini geweckt, der unter die Bettdecke gekrochen war und ihre Wade mit seiner kühlen Nase anstupste. Kaum war sie wach, dachte sie sofort an das, was gestern Abend geschehen war und sie überlegte, wie sie sich Severus gegenüber verhalten sollte. Natürlich würde sie völlig normal mit ihm umgehen, wenn andere Personen anwesend wären, aber was, wenn sie heute wieder allein mit ihm sein würde? Sollte sie dann auch so tun, als wäre nichts geschehen?
Noch während des Duschens grübelte sie darüber nach, ob sie Severus zum Frühstück in der großen Halle abholen sollte, denn sie ahnte, dass er sich ansonsten fernhalten würde und so machte sie sich sehr zeitig auf den Weg zu seinem Zimmer.
Salazar verzog wütend das Gesicht, als er sie sah, doch er öffnete wortlos die Tür. Drinnen saß Severus bewegungslos auf der Couch und es sah fast so aus, als hätte er die ganze Nacht über dort gesessen.
„Was tun Sie denn hier?“, fragte er, anstatt sie zu grüßen.
Sie überlegte schnell und sagte dann unschuldig: „Ich wollte mit dem Hund rausgehen.“ Innerlich klopfte sie sich auf die Schulter, denn Harry hatte ja neulich gesagt, er könnte nicht mehr regelmäßig mit Harry spazieren gehen, weil er sich um Ginny und Nicholas kümmern wollte.
Er nickte besänftigt und sagte dann: „Die Leine hängt neben der Tür.“
Kaum hatte Hermine die Leine in der Hand, hatte der Hund verstanden und sich ihr genähert, so dass sie ihn anleinen konnte.
„Möchten Sie vielleicht mitkommen?“, bot sie freundlich an, doch er verneinte, wie sie es geahnt hatte. Für den Spaziergang nahm sie sich keine Zeit, aber immerhin so viel Zeit, dass Harry seine Geschäfte erledigen konnte. Eine Viertelstunde später stand sie erneut in Severus’ Wohnzimmer und er saß noch immer auf der Couch, als hätte er sich keinen Zentimeter bewegt.
„Kommen Sie, Severus, wir gehen frühstücken“, sagte sie mit milder Stimme. Nur für einen kurzen Moment rechnete sie mit einer boshaften Abfuhr, mit der er – nach seinem Gesichtsausdruck zu urteilen – durchaus gespielt hatte, doch dann nickte er und stand auf, um mit ihr in die große Halle zu gehen.
Die Hauselfen hatten die große Halle bereits pompös geschmückt. Überall schwebten Girlanden mit verschiedensten Motiven und ausgehöhlte Kürbisse, deren Licht noch nicht entzündet war, denn dafür war es noch zu hell. Sie ließen jedoch jetzt schon erahnen, wie herrlich die Dekoration heute Abend aussehen würde.
Wortlos folgte Severus seiner Schülerin nach vorn zum Lehrertisch und währenddessen mussten sich die beiden an Schülern vorbeikämpfen, die in ausgelassener Stimmung hin und her schwirrten, um einen Freund zu necken oder eine Freundin zu erschrecken.
Ein Schüler rempelte versehentlich Severus an und der zischte sofort: „Fünf Punkte Abzug, weil sie keine Augen im Kopf haben. Setzen Sie sich sofort hin und frühstücken Sie.“ Fies grinsend fügte er hinzu: „Sie werden Ihre Kräfte für die erste Stunde benötigen!“ Die erste Unterrichtsstunde für den Schüler war „Zaubertränke“. Völlig eingeschüchtert setzte sich der Fünftklässler auf seinen Platz, doch kaum einer hatte damit gerechnet, dass sich auch alle anderen Schüler sofort hinsetzten, so dass der Weg zum Lehrertisch nun geebnet war.
Kaum hatte Severus sich am Lehrertisch gesetzt, scherzte Albus: „Wie ich sehe, hast du die Schüler wie immer voll im Griff, Severus.“ Severus’ Kommentar bestand lediglich aus einem tiefen Brummgeräusch.
Während des Frühstücks kamen die Posteulen durchs Dach geflogen und Severus verdrehte genervt die Augen, als zig sprechende Halloween-Grußkarten den Schülern ihre Botschaften verkündeten. Zwischen Severus und Hermine landete plötzlich eine Eule und Hermine dachte, die wäre für sie, so dass die den Brief von dem kleinen Vogelbein löste und der Eule ein Stück Speck als Belohnung gab. Sie stutzte jedoch wegen der Adresse und hielt Severus den Brief entgegen, während sie sagte: „Ist doch für Sie.“ Hermine hatte am Absender gesehen, dass der Brief von einer Linda Harrison stammte.
Severus hatte ihn entgegengenommen und den Absender betrachtet, bevor er ihn ungeöffnet in seiner Innentasche verschwinden ließ, um wortlos mit seinem Frühstück fortzufahren.
Bevor er sich vom Lehrertisch entfernte, sagte er kühl: „Wegen der anstehenden festlichen Aktivitäten möchte ich auf heutige Projekte verzichten, Hermine.“
Sie zog beide Augenbrauen in die Höhe und fragte: „Aber wir gehen abends zusammen hin? Soll ich Sie abholen oder…“
Er sah nicht sehr glücklich aus, als er unterbrach und sagte: „Ich werde Sie abholen; gegen halb acht.“ Gleich darauf verschwand er, um seine Klasse vorzubereiten.
Harry, dem aufgefallen war, dass Severus heute ungewöhnlich ruhig gewesen war und gereizt schien, fragte leise über den leeren Stuhl hinweg, den sein Kollege hinterlassen hatte: „Hermine, was ist den mit Severus los?“
Sie schaute ihm in die Augen, doch anstatt ihm, wie üblich, alles zu erzählen, zuckte sie nur mit den Schultern.
Draco frühstückte nicht in der großen Halle, sondern mit seiner Mutter in den privaten Räumen. Würde sie heute auch am Fest teilnehmen, würde er auf seinen Racheakt an Shaun verzichten und so fragte er geradeheraus: „Mutter? Wirst du heute Abend auch in die große Halle zum Fest kommen?“
Sie lächelte glücklich, wie schon lange nicht mehr und erzählte fröhlich: „Nein, Andromeda hat mich für heute Abend eingeladen.“
Er lächelte zurück und sagte ehrlich: „Das ist schön!“ Er freute sich für seine Mutter. ’Das ist schön!’, wiederholte er in Gedanken, denn dann würde ihn heute Abend nichts davon abhalten, seinen Plan umzusetzen.
Für Hermine verging der heutige Tag viel zu schnell und sie wünschte sich, mehr Zeit zu haben, um in dem Buch „Die Seelen der Farben“ lesen zu können. Sie wollte irgendetwas finden, womit sie sich die Veränderung von Severus’ Augenfarbe erklären könnte, doch um kurz nach sieben und bis Seite 3014 hatte sie noch immer nichts entdecken können. Um eine Verkleidung hatte sie sich nicht gekümmert, denn auch wenn sie Kostüme liebte, so hatte ihr der gestrige Abend jede Motivation genommen, eine andere Gestalt annehmen zu wollen.
Pünktlich um kurz vor halb acht klopfte es an ihre Tür und als sie öffnete, stand Severus vor ihr. Er blickte sie von oben bis unten an und fragte entgeistert: „Und als was haben Sie sich verkleidet?“
Wie aus der Pistole geschossen erwiderte sie: „Als Meisterschülerin. Gehen wir?“
Wie erwartet war die Dekoration der großen Halle am Abend atemberaubend schön und gleichzeitig auch gruselig. Die Fratzen der Kürbisse grinsten auf die Gäste herab und die Tische waren gefüllt mit den leckersten Süßspeisen. Gleich nach dem Abendessen, bei dem Severus sich mehrmals murmelnd beschwert hatte, dass es nur Süßigkeiten und nichts Nahrhaftes geben würde, wurden die großen Tische an die Seite verfrachtet, damit genügend Platz für die Spiele vorhanden sein würde, die sich die Lehrer besonders für die jüngeren Schüler ausgedacht hatten. Severus seufzte und schüttelte genervt den Kopf.
Das erste Mal, als Severus nach draußen gegangen war, um nach dem Rechten zu sehen, war Hermine in der großen Halle geblieben, doch ab dem zweiten Mal hatte sie ihn begleitete. Während sie die Gänge entlangschlenderten, sprachen sie selten miteinander, doch kein einziges Mal über seine Farbe oder den gestrigen Abend an sich.
Sie hatten in einem Gang gerade eine Abzweigung zu einem anderen Gang passiert, da blieb Severus stehen und bedeutete Hermine, still zu sein. Nach weniger als einer Minute ging Severus zurück und bog in den Gang ein, an dem sie eben vorbeigegangen waren. Hermine war nicht um die Ecke gegangen, hörte Severus jedoch mit schmieriger Stimme sagen: „Miss Spencer, Mr. McCormack! Leeren Sie Ihre Taschen.“ Hermine hatte nun auch den Gang erreicht, blieb dort jedoch an der Abzweigung stehen, um die drei zu beobachten. Mr. McCormack, ein Ravenclaw aus der fünften Klasse, zog eine Flasche mit bräunlichem Inhalt aus seinem Kostüm und hielt sie verschüchtert Severus entgegen, der blitzschnell zugriff und sofort das Etikett betrachtete, bevor er sagte: „Jeweils zehn Punkte Abzug für Sie beide; für das Mitführen eines alkoholischen Getränks. Wer hat die Flasche besorgt?“
„Ich, Sir“, antwortete Mr. McCormack mit leiser Stimme. Dem Jungen war anzusehen, dass er mit dem Schlimmsten rechnete.
„Mr. McCormack, für Sie weitere zehn Punkte Abzug für den Erwerb dieser Plörre, die höchstens zum Desinfizieren einer Toilette zu gebrauchen ist! Verschwinden Sie, alle beide“, sagte Severus tadelnd und die Schüler gingen schnell zur großen Halle.
Mit einem Wink seines Zauberstabes ließ Severus die Flasche verschwinden und sofort fragte Hermine: „Wo kommen die Flaschen hin, die Sie konfiszieren?“
Amüsiert zog er einen Mundwinkel nach oben, bevor er sie darüber aufklärte: „Die landen in den Kerkern in einem Raum, in welchem Filch seine Putzmittel aufbewahrt.“ Sie zog beide Augenbrauen in die Höhe, so dass er anfügte: „Dieses Zeug ist zum Desinfizieren wirklich äußerst gut geeignet.“ Sie setzten ihren Weg fort und er erzählte plötzlich: „Wissen Sie, Hermine: Wenn alle Schüler, die selbst eine Flasche erwerben, um ihn in die Früchtebowle zu kippen, ein einziges Mal mit ihren gesammelten Galleonen einen wirklich guten Feuerwhiskey kaufen würden, dann könnte es eventuell sein, dass ich sogar ein Auge zudrücken würde.“ Hermine musste grinsen.
Als um elf Uhr die Schüler der ersten bis fünften Klassen das Fest nach einem fröhlichen Spiel verlassen mussten, wurde etwas Musik aufgelegt, so dass die älteren Schüler das Tanzbein schwingen konnten. Hermine musste lachen, als ihr Blick auf ein tanzenden Pärchen gefallen war: Eine bucklige Sabberhexe, die haargenau so aussah wie die alte Vettel, die ihr das Appartement hatte andrehen wollen und ein kleiner Teufel mit Hörner aus rotem Haar gedreht.
Einige der Schüler oder Lehrer konnte sie unter der Kostümierung gar nicht erkennen. Nur an der Körpergröße ahnte sie, dass unter dem Bergtroll-Kostüm Hagrid stecken musste. Minerva, die ein waches Auge über die Gesellschaft hatte, stand mit dem Rücken zur Wand und beobachtete mit strenger Miene das Treiben der Schüler und Lehrer mit besonderem Augenmerk auf die Früchtebowle, damit diese nicht von den Schülern „verfeinert“ werden würde.
Nachdem Severus und Hermine gerade von draußen wieder hereingekommen waren und beiden aufgefallen war, dass man das Licht gedämpft hatte, damit die Stimmung gruseliger werden würde, wurde die große Flügeltür hinter ihnen laut krachend aufgeworfen. Einige Schüler, die wegen des Lärms ihre Augen ebenfalls auf die Tür gerichtet hatten, begannen zu schreien und das Gekreische hatte im Nu alle Jungen und Mädchen angesteckt. Die Jugendlichen räumten in Windeseile die Tanzfläche; einige von ihnen verkrochen sich unter den Tischen oder drückten sich verängstigt an die Wand, denn im Türrahmen stand eine Figur mit schwarzer Kutte und hellgrauer Maske. Ein Todesser.
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