von Muggelchen
Am nächsten Morgen war Harry ausgeschlafener als er gedacht hatte. Heute hätte er das erste Mal Unterricht mit den Erstklässler, was ihn nicht davon abhielt, zunächst vor dem Frühstück mit Harry auszugehen.
„Wussten Sie, dass Draco das siebte Jahr machen würde?“, fragte Harry seinen Kollegen, nachdem er den Hund wieder zurückgebracht hatte.
„Es war für mich genauso überraschend wie für Sie, Harry“, erwiderte Severus, der einige Unterlagen ordnete. „Wenn Sie mich entschuldigen würden? Ich möchte für die erste Doppelstunde Zaubertränke einiges im Klassenzimmer vorbereiten.“
„Sagen Sie, wo ist Hermine heute?“, fragte Harry noch schnell, während er seinem Kollegen auf den Flur folgte.
Severus deutete im Vorbeigehen auf eine Tür und antwortete: „Miss Granger inspiziert gerade ihre Räume.“
Harry ließ Severus von dannen ziehen und klopfte an Hermines Tür.
„Hi du, komm doch rein“, grüßte sie, nachdem sie ihm geöffnet hatte. Er trat ein und bestaunte das gemütliche Wohnzimmer, welches in warmen Farben gehalten war. Im Kamin knisterte ein Feuerchen.
„Wow, sieht hübsch hier aus, auch wenn es keine Fenster gibt, aber zumindest ist es hier nicht so gruselig, wie bei der Sabberhexe“, sagte Harry lachend, doch dann hielt er inne, als er bemerkte, dass es sich um einen richtigen Wohnraum handelte und nicht nur ein Arbeitsbereich. „Ähm, sag mal, wohnst du jetzt hier?“
Sie zog eine Augenbraue hoch und Harry musste sich arg zusammenreißen, um ihr nicht vorzuhalten, dass sie sich eine Eigenart von Severus angeeignet hatte. Sie antwortete ihm ehrlich: „Ich habe jetzt keine Zeit und Lust mir eine eigene Wohnung zu suchen und da er mir das Angebot gemacht hat…“ Sie hielt inne, als er dieses Mal eine Augenbraue in die Höhe zog.
„Er hat es angeboten?“, fragte Harry ungläubig.
„Na ja, nicht direkt. Ein Arbeitszimmer stand mir zu und da habe ich gesagt, ich hätte mit etwas ’mehr’ gerechnet.“ Sie versuchte abzulenken und sagte erfreut: „Ich wohnte jetzt hier, ist das nicht toll?“
Nickend stimmte er ihr zu, doch irgendetwas an ihrem Verhalten schien ihm merkwürdig. Es kam ihm so vor, als würde sie sich selbst belügen, aber er konnte sich nicht erklären, weshalb.
„Gefällt es dir denn hier? Ich meine, so ganz ohne Tageslicht? Ich wette, es dauert keine zwei Monate, bis sich auch auf deinem Gesicht eine ’vornehme Blässe’ niedergeschlagen hat. Das ist doch gar nichts für…“
„Doch, das ist was für mich. Ich habe ein Dach über dem Kopf, bekomme regelmäßig Mahlzeiten, habe genügend Platz für meine Sache und muss nur ein paar Schritte gehen, dann habe ich schon meine Arbeitsstelle erreicht! Ist das etwa nichts?“, konterte sie zickig.
Resignierend hielt er beide Hände nach oben, bevor er sagte: „Schon gut, schon gut! Zumindest können wir uns häufig besuchen und wenn Ginny aus dem Krankenflügel raus ist, können wir doch auch mal was zusammen unternehmen.“
Ohne auf seinen Vorschlag einzugehen sagte sie mit deutlich hörbarem Triumph in der Stimme: „Snape hat mir gestern seinen Traum gegeben. Ich sollte ihn analysieren!“
„WAS?“, sagte Harry fassungslos. „Wie hast du denn das geschafft?“
Sie grinste überlegen und erklärte: „Ich habe ihn etwas in die Enge getrieben, aber auf nette Art – zumindest glaube ich, dass ich noch nett war. Ich habe ihm klar gemacht, dass ich sein Spionagegehabe nicht dulde und dass ich keine Geheimnisse vor ihm habe. Das habe ich untermalt, indem ich meine Handtasche auf seinem Arbeitstisch ausgekippt habe. Hat ihn ziemlich mundtot gemacht. Als Beweis seines Vertrauens…“
„…hat er dir den Traum gegeben“, vervollständigte Harry ihren Satz, woraufhin sie nickte.
„Natürlich darf ich nicht einmal mit dir drüber reden, aber das muss ich ja nicht, denn du kennst ihn ja bereits. Alles in allem ist es ein Traum mit positiver Symbolik, was ich vorher ja schon gesagt habe. Offensichtlich sucht er menschliche Nähe und er verspricht sich dabei Hilfe von dir, Harry. Er hat mir gestern gesagt, er würde dich als ’Freund’ oder ’Vertrauten’ bezeichnen“, schilderte sie ihm.
Harry strahlte über das ganze Gesicht und fragte trotzdem nach: „Ist nicht wahr? Wirklich? Das finde ich toll! Das freut mich, Hermine.“
„Er hat die Traumdeutung wahrscheinlich noch gar nicht gelesen. Heute früh, als ich angekommen bin, war ihm jedenfalls nichts anzumerken“, sagte Hermine nachdenklich.
„Als ob ihm jemals irgendetwas anzumerken wäre. Außerdem glaube ich nicht, dass er mit dir drüber reden will“, sagte Harry kopfschüttelnd, bevor er Hermines Wohnzimmer genauer betrachtete.
Hermine folgte ihm mit den Augen, während er sich einem Bücherregal näherte und den Inhalt überflog, bevor sie auf seine Anmerkung einging und sagte: „Ja komisch, nicht wahr? Er hat mir nämlich vorher schon gesagt, dass ich mit ihm nicht über den Traum reden soll. Ich konnte es mir aber nicht verkneifen, schriftliche Anmerkungen zu machen. Zumindest zu meinen Äußerungen sollte er etwas sagen. Schön wäre es jedenfalls.“
Einen Moment lang überlegte Harry, ob er Hermine von seinem Gespräch mit Albus erzählen sollte. Er wollte ihr davon berichten, holte daher tief Luft und sagte: „Ich habe übrigens mit ihm gesprochen, mit Albus, meine ich. Er hat wirklich geglaubt, Voldemort hätte kurz vor seinem Tod die Verbindung durch die Narbe genutzt, um mich mit seinem Hass zu erfüllen. Das war der Grund, warum Albus mir nicht getraut hat, aber er hat sich eines Besseren belehren lassen.“
„Gut! Das wurde aber auch Zeit, ansonsten hätte ich mal ein Wörtchen mit ihm reden müssen“, sagte Hermine lächelnd.
Harry lächelte zurück, bevor sein Gesicht wieder ernst wurde und er sagte: „Albus weiß irgendwas über Severus. Er hat gesagt, wir dürfen nicht aufhören und dass wir auf dem richtigen Weg wären. Er meinte, wir sollten das bisschen Zuversicht in seiner Brust nicht erkalten lassen. Wirst du schlau daraus?“ Bevor Hermine ihn unterbrechen konnte, denn sie öffnete schon ihren Mund, sagte Harry noch schnell: „Er hat gleich gesagt, dass er uns nicht helfen kann. Er hätte versprochen, nichts zu sagen. Wir sind völlig auf uns allein gestellt. Ich frage mich nur, mit was genau wir weitermachen sollen?“
Hermine war sprachlos und sie konnte nur mit den Schultern zucken. Nach einem Moment sagte sie jedoch: „Wir machen einfach so weiter wie bisher, Harry. Wir reden mit ihm, streiten mit ihm und…“ Sie verstummte, denn mehr fiel ihr nicht ein.
Zu seinen Unterrichtsräumen hatte Harry es nicht weit, denn wie die Klassen für Zaubertränke lag auch einer der Räume für „Verteidigung gegen die dunklen Künste“ in den Kerkern, je nachdem, wie viel Platz Harry für seinen praktischen Unterricht benötigte. Als er rechtzeitig dort angekommen war überraschte es ihn, dass die Schüler aus Hufflepuff und Ravenclaw überpünktlich waren und niemand fehlte. Sie warteten alle bereits geduldig vor dem Klassenzimmer.
Mit einem wortlosen Zauber öffnete Harry die Tür und bat die Erstklässler herein: „Immer hereinspaziert!“ Seine Freude wollte jedoch nicht auf die Kinder überspringen.
Es war vorhersehbar gewesen, dass sich natürlich immer die Schüler zusammensetzen würden, die sich auch im gleichen Haus befanden. Niemand sagte etwas, nicht einmal ein Wispern war zu hören. Stattdessen blickten sie ihn aus großen Kinderaugen an, als würden sie Schlimmstes erwarten.
Er wollte ihnen die Angst nehmen und stellte sich zunächst vor: „Ihr habt mich ja gestern schon beim Festmahl gesehen, aber ich darf mich nochmal persönlich vorstellen: Professor Harry Potter!“ Die Kinder blieben stumm, doch ihre Augen weiteten sich, wenn es denn möglich war, noch ein wenig mehr und Harry fragte sich ernsthaft, ob sie etwa Angst vor ihm haben könnten.
„Es ist das erste Mal in Hogwarts, dass die Erstklässler in ’Verteidigung gegen die dunklen Künste’ gleich ab der ersten Klasse einen der mächtigsten Schutzzauber erlernen sollen: den Protego! Kann mir einer sagen, woher der Name kommt und was der Zauber bewirkt?“, fragte Harry locker in die Runde, doch niemand hob einen Arm.
’Gut’, dachte Harry, ’Latein ist für Elfjährige vielleicht ein wenig schwer.’
Laut sagte er: „Weiß es niemand oder traut ihr euch nicht zu antworten?“
’Ein totales Desaster… ich bin doch kein Alleinunterhalter. Bitte, nur einer! Einer soll die Hand heben!’, flehte Harry still und sein Bitten wurde erhört.
Zögerlich hob ein junger Hufflepuff die Hand, doch als alle anderen Schüler ihn anstarrten, nahm er sie sofort wieder runter; Harry hatte es jedoch gesehen.
„Ansgar Fox, richtig? Also, Mr. Fox, können Sie die Frage beantworten?“
Ansgar atmete schwer, bevor er leise sagte: „Protego kommt vom lateinischen ’protegere’, was ’beschützen’ heißt.“ Harry nickte, hörte aber weiterhin zu, so dass Ansgar noch hinzufügte: „Der Zauber ruft einen unsichtbaren Schild hervor, weswegen er zu den ’Schildzaubern’ gehört. Er ist der mächtigste Schildzauber, weil er nicht nur schützt, sondern auch Flüche zurückwerfen kann, wenn sie auf ihn prallen.“
Harry lächelte breit und sagte fröhlich: „Wow, das hab ich mit elf noch nicht gewusst. Dafür gibt es zwei Punkte für Hufflepuff!“ Die anderen Hufflepuffs begannen zu lächeln und ihrem Kameraden bewundernde Blicke zuzuwerfen. Ganz langsam tauten die Schüler auf, dachte Harry.
„Woher weißt du das so genau?“, fragte er Ansgar noch.
Der Junge schluckte, als wollte er nicht antworten, doch einem Lehrer gegenüber musste er sich korrekt verhalten, weswegen er flüsternd schilderte: „Meine Mum hat einen Protego um mich und meine kleine Schwester gelegt. Ein“, er stockte, doch er fand den Mut, die Geschichte zu beenden, „Todesser hat den Todesfluch auf mich gerichtet. Der ist abgeprallt und…“ Ansgar verstummte.
Harry fühlte mit dem Jungen mit und fragte leise: „Hat er den Todesser getroffen?“
Der Junge schüttelte den Kopf. Obwohl ihm anzusehen war, dass es ihm schwer fiel, antwortete er: „Nein, er hat meinen älteren Bruder getroffen.“
Ansgar senkte das Haupt und betrachtete die Holzmaserung des Tisches. Harry ahnte, dass es nicht nur der Schildzauber gewesen sein konnte, der Ansgar und dessen Schwester das Leben gerettet hatte, denn in der Regel war ein Avada Kedavra nicht von seinem Ziel abzulenken.
Nicht nur die anderen Schüler, sondern auch er selbst konnten eine ganze Weile lang nichts sagen, bis Harry, weil er der Lehrer war, sich aufraffte und betroffen erklärte: „Ich möchte die erste Stunde gern nutzen, um etwas über euch zu erfahren. Im Gegenzug könnt ihr mir Fragen stellen. Seid ihr damit einverstanden?“ Die Schüler nickten.
In der Zwischenzeit hatet Professor Dumbledore Hermine besucht, um die interne Sperre des Kamins aufzuheben, damit sie nun auch das Flohnetzwerk nutzen konnte.
„Miss Granger“, er verbesserte, „Hermine, es freut mich zu wissen, dass ich Sie in Hogwarts als festen Bestandteil des Kollegiums begrüßen darf. Es war etwas unerwartet, von Professor Snape darum gebeten zu werden, eine private Schülerin aufnehmen zu dürfen. Das geschieht allgemein nicht sehr oft, dass ein Lehrer von einem Schüler so angetan ist.“ Hermine nahm ein lebendiges Funkeln in Albus’ Augen wahr, der jedoch übergangslos weitererzählte: „Professor Sprout hatte zuvor schon einmal einen privaten Schüler gehabt und auch, wenn ich mich recht entsinne, Professor Trelawney.“
Hier zog Hermine die Augenbrauen in die Höhe. Sie konnte sich schwerlich vorstellen, freiwillig drei Jahre lang mit dieser an ein Insekt erinnernde Lehrerin auskommen zu wollen.
Professor Dumbledore blickte sich in ihrem Wohnzimmer um und sagte anschließend mit einem Lächeln auf den Lippen: „Ich habe den Raum noch ganz anders in Erinnerung. Es ist immer wieder ein Wunder, was die Magie der Hauselfen bewirken kann.“
Hermine war zwar noch immer nicht ganz davon überzeugt, dass Hauselfen in Hogwarts gehalten werden mussten, aber der Professor sprach so voller Respekt von ihnen, dass ihr nichts anderes blieb, als ihm zuzustimmen.
„Wenn es Ihnen an etwas fehlt, meine liebe Hermine, dann lassen Sie es mich wissen. Sie werden auf jeder Lehrerversammlung das aktuelle Passwort für mein Büro erfahren, so dass Sie jederzeit mit Ihrem Anliegen bei mir auf eine Tasse Tee vorbeischauen können“, sagte er mit einem fröhlichen Zwinkern in den Augen. Sie lächelte ihn an und ihr Lächeln verblasste auch nicht, als er sich einem kleinen Tischlein näherte, auf welchem sie ihr einziges Bonsai Bäumchen platziert hatte.
„Was ist denn das, Hermine?“, fragte Albus neugierig, während er sich nach vorn beugte – sich derweil den weißen Bart an die Brust presste –, um den Baum besser betrachten zu können.
„Ein Miniatur-Baum aus der Muggelwelt. Ein kleiner Apfelbaum“, erklärte sie.
„Erstaunlich, ganz erstaunlich“, murmelte Professor Dumbledore, bevor er sich wieder aufrichtete.
Bevor er sich verabschiedete, sagte er lobend: „Ich bin wirklich glücklich, Sie willkommen heißen zu dürfen. Sie bringen Eigenschaften mit, die ganz bewundernswert sind. Sie geben nicht auf, selbst wenn eine Situation Sie in Unruhe versetzt. Sie sind aufrichtig und nachsichtig.“ Er war an der Tür angelangt, doch bevor er sie von außen schloss, sagte er noch leise und mit funkelnden Augen: „Bleiben Sie so, wie Sie sind, Hermine.“
Mit offen stehendem Mund schaute sie auf die Tür, durch die der Direktor eben gegangen war.
Einige Gänge entfernt saßen die Gryffindors und Slytherins mucksmäuschenstill auf ihren Stühlen und warfen ängstliche Blicke zu ihrem Lehrer hinüber. Professor Snape hatte zwar auf einen theatralischen Auftritt mit wehendem Umhang verzichtet, doch das machte ihn für die Elfjährigen nicht weniger unheimlich. Seine dunkle Kleidung, die schwarzen, fettigen Haare, die große Hakennase, die gelblichen, schiefen Zähne und die finsteren Augen ließen ihn wirken, als wäre er einem Albtraum entsprungen. Die, die nicht von seiner äußeren Erscheinung eingeschüchtert waren, bekamen eine Gänsehaut von seiner tiefen, leisen Stimme, die manchmal ölig, manchmal bedrohlich klang.
„Wenn Sie nun Arsenius Bunsens Klassiker ’Zaubertränke und Zauberbräue’ aufschlagen würden? Ich gehe nicht davon aus, dass auch nur einer von Ihnen noch vor Schulbeginn einen Blick hineingeworfen hat? Dachte ich’s…“ Er hielt inne, als eine Schülerin ihre Hand in die Luft warf. Gelangweilt wirkend forderte er sie zum Sprechen auf: „Miss Clevick?“
„Ich hab es gelesen, Sir. Vollständig! Es war äußerst interess…“
„Genug!“, machte er kurz und knapp klar. Miss Clevick war kurz zusammengezuckt und verhielt sich dann still.
Er hätte nie gedacht, dass auch nur einer den Mut besitzen würde, auf eine Anmerkung, auf die er sowieso keine Reaktion erwartet hatte, eine Rückäußerung zu geben. ’Typisch Gryffindor’, dachte er verachtend.
„Lesen Sie bitte still das Vorwort von Mr. Bunsen. Danach möchte ich von Ihnen wissen, was Ihrer Meinung nach die Motivation des Autors gewesen sein mag, dieses Buch zu verfassen“, forderte er mit bedrohlich leiser Stimme.
Die Schüler schlugen das Buch auf und begannen zu lesen, außer Miss Clevick. Sie mochte das Buch bereits gelesen haben, was in Severus’ Augen jedoch kein Grund darstellte, sich seiner Anweisung zu widersetzen und so setzte er seinen bekannten, bösen Blick auf, den er der jungen Dame schenkte. Als sie durch Zufall die Augen von ihren Mitschülern auf ihn schweifen ließ, erstarrte sie für einen Moment vor Schreck, bevor auch sie das Buch aufschlug, um das Vorwort zu lesen oder zumindest so zu tun.
Der erste Schultag verlief ohne besondere Vorkommnisse. Für Harry war dieser Tag eine weitere Bestätigung dafür, dass er gern mit Kindern und Jugendlichen arbeitete, während Severus sich beim Abendessen nicht zum ersten Mal während seiner Berufslaufbahn fragte, ob es wirklich das war, was er bis ans Ende seines Lebens machen wollte. Eine Antwort auf die Frage, was für eine Zukunft er alternativ haben könnte, konnte er sich selbst nicht geben.
„Wie war der erste Schultag mit den Erstklässlern für Sie, Severus?“, fragte Harry freundlich, während er sich von dem gemischten Salat auftat.
„Es war für mich kein besonderer Tag. Es war wie immer“, erwiderte sein Kollege gleichgültig.
Sein Lächeln wollte verblassen, aber Harry zauberte es erneut auf sein Gesicht und fragte nach einem Moment sehr interessiert: „Wie machen Sie das jetzt eigentlich mit Hermine? Ich meine, wo sie doch bis 15 Uhr Unterricht haben. Geht’s danach gleich mit ihr weiter?“ Harry beugte sich nach vorn, um an Severus vorbei Hermine sehen zu können.
„Ich konnte mit Albus und letztendlich mit dem Stundenplan vereinbaren, dass ich lediglich mittwochs bis 15 Uhr unterrichte. An den anderen Tagen der Woche habe ich nur bis ein oder zwei Uhr Unterricht. Miss Granger wird die Zeit bis zur Arbeit mit Lesen und Vorbereitungen verbringen“, erklärte Severus, während er zu Hermine hinüberblickte, die zustimmend nickte.
Die erste Woche verlief genauso ruhig wie der erste Schultag. Da nächste Woche, am 10. September, wieder Vollmond sein würde, besuchte Remus am Sonntag das erste Mal in diesem Monat die Kerker, um sich seinen Trank abzuholen und sich seinen Tränkepass von Severus unterschreiben zu lassen.
Am darauffolgenden Montag, den 8., kam Remus für den zweiten Trank vorbei, jedoch zu einer Zeit, in der Severus noch unterrichtete. Hermine gab ihm den nach Vanille schmeckenden Wolfsbanntrank, den sie selbst gebraut hatte.
„Die Unterschrift muss aber Severus geben, weil er ein registrierter Zaubertränkemeister ist“, sagte Remus.
„Der hat jetzt aber noch Unterricht bis 14 Uhr. So lange warten kannst du sicherlich nicht. Wären immerhin vier Stunden. Kannst du später nochmal…“
„Das Problem, Hermine, ist jenes, dass ich heute einen vollen Terminkalender habe. Ich habe vier Vorstellungsgespräche und will keines verpassen. Ich könnte erst sehr spät abends für die Unterschrift nochmal vorbeikommen, aber…“, dieses Mal unterbrach sie ihn.
„Kann er nicht morgen unterschreiben, dass du heute den Trank genommen hast?“, fragte sie, denn das wäre die leichteste Lösung.
Er schüttelte den Kopf und erklärte mit leiser Stimme: „Nein, das Ministerium will am gleichen Tag die Bestätigung haben, dass man den Wolfsbanntrank eingenommen hat. Alle Werwölfe, die bis heute um Mitternacht keinen Nachweis dafür erbringen, würde man festnehmen und wegsperren. Außerdem bekäme man noch eine Klage an den Hals, wegen ’vorsätzlicher Gefährdung der Öffentlichkeit’. Ich muss dann wohl heute Abend noch einmal kommen.“
Hermine versuchte gelassen zu bleiben, obwohl sein Schicksal ihr sehr nahe ging, weil Remus immer ein so gewissenhafter Mann war. Diese Gesetze waren wegen der wenigen, uneinsichtigen Werwölfe gemacht worden, die sich noch immer nicht im Klaren darüber waren, dass sie gefährliche Bestien werden würden und daher musste jeder Werwolf darunter leiden, auch wenn man wie Remus sehr bedacht darauf war, zu keiner Gefahr zu werden.
„Ach Blödsinn, warum solltest du nochmal herkommen? Ich gehe in seine Klasse und lasse ihn unterschreiben. Er wird mir wegen einer kleinen Unterbrechung, die keine dreißig Sekunden dauern wird, wohl nicht gleich den Kopf abreißen. Gib her!“, sagte sie und hielt Remus ihre Hand entgegen, damit er ihr den zu unterzeichnenden Schein geben würde.
„Das halte ich für keine gute Idee“, gestand er ihr. Auf ihren fragenden Blick hin erklärte er: „Wenn Minerva oder ein anderer Lehrer ihn während des Unterrichts um etwas Bitten würde, wäre das kein Problem, aber wenn du ihn vor den Schülern störst und das auch noch wegen mir… Nein, das geht nicht gut. Ich will nicht, dass du Ärger bekommst, Hermine.“ Gegen ihre schnelle Hand, die ihm den Schein entriss, konnte er jedoch nichts machen.
„Ich bin gleich wieder da“, versicherte sie ihm lächelnd und verschwand.
Sie huschte über den Gang, denn der Unterrichtsraum war ganz in der Nähe. Von drinnen hörte sie seine tiefe Stimme, die jedoch so leise sprach, dass sie die Worte nicht verstehen konnte. Nur für wenige Sekunden lang fühlte sie sich in ihre eigene Schulzeit zurückversetzt. Sie wartete, bis es still war, so dass sie ihn nicht mitten im Satz unterbrechen würde und dann klopfte sie. Ein tiefes „Herein“ folgte und Hermine holte tief Luft, bevor sie die Tür öffnete.
Natürlich blickte nicht nur Snape auf sie, sondern auch alle Schüler, die offensichtlich gerade Flubberwürmer mit der flachen Seite eines Messers zerdrückten, um sie in ihren Kessel zu tun. Hermine erkannte am Geruch, der im Raum lag, dass die Schüler einen Trank gegen Erkältungen brauen würden.
In Windeseile war sie vorn bei Snape am Pult angelangt und sagte leise: „Entschuldigen Sie vielmals, Professor Snape, aber gewisse Umstände gebieten es mir, Ihnen den Tränkepass zur Unterschrift jetzt vorzulegen. Wenn Sie die Freundlichkeit besäßen…?“
Sie bemerkte, dass ihre Hand zitterte, als sie ihm Remus’ Tränkepass hinüberreichte. Snape blickte sie aus böse funkelnden, nachtschwarzen Augen an und rührte sich einen Moment nicht, bevor er so plötzlich wie ein Krokodil zuschnappte und ihr den Pass entriss. Er knallte ihn auf sein Pult, zückte die Feder und kritzelte seine winzig enge Unterschrift in das entsprechende Feld. Wieder beobachtete er, wie seine Unterschrift verschwand und der rote Bestätigungsstempel des Ministeriums erschien. Er reichte ihr den Pass, während er sie aus verengten Augenlidern anblickte und ihrer Gestalt mit den Augen folgte, bis sie das Klassenzimmer wieder verlassen hatte. Seinen Schülern, die ihr ebenfalls hinterherblickten, würde er noch abgewöhnen, sich von solchen Störungen ablenken zu lassen.
Ganz herzlich bedankte sich Remus bei ihr, bevor sich auf den Weg zu seinem ersten Vorstellungsgespräch machte; einem Putzjob im Britischen Museum in London.
Die Bücher, die Snape ihr aufgetragen hatte zu lesen, lagen übereinander gestapelt auf dem kleinen Arbeitstisch in seinem privaten Büro, an welchem sie schon die Abhandlung über seinen Traum geschrieben hatte. Sie hätte sie mit in ihre Räume nehmen können, doch sie blieb hier und nahm sich die erste Schwarte vor, die sie letzte Woche schon fast zu Ende gelesen hatte. Nur zwei Kapitel fehlten noch.
Als sie damit endlich durch war, nahm sie das zweite Buch zur Hand – ein Buch über die Verarbeitung von Zaubertränkezutaten und was eine falsche Handhabung alles zunichte machen konnte.
Beim Lesen vergaß sie völlig die Zeit und sie merkte nicht einmal, dass Snape vor dem Arbeitstisch stand, hinter dem sie saß, während sie sich in das Buch vertieft hatte.
Unerwartet belferte eine tiefe Stimme: „Was denken Sie sich dabei, mich während des Unterrichts zu stören?“
Hermine zuckte zusammen und wich dann auf dem Stuhl zurück, so dass sie ihren Rücken gegen die Lehne presste, denn diese abrupte Störung hatte sie sehr erschrocken. Schnell hatte sie sich wieder fassen können und sie erwiderte: „Ich dachte…“
„Nein, das haben Sie offensichtlich nicht getan! Ich habe Ihnen erörtert, dass unsere Zusammenarbeit erst nach meiner eigentlichen Aufgabe hier in Hogwarts als Lehrer stattfinden würde. Bevor mein Unterricht zu Ende ist…“
„Aber…“
Mit leister Stimme drohte er: „Wagen Sie es nicht, mich noch einmal zu unterbrechen, Miss Granger! Mr. Lupin hätte später noch einmal kommen können. Sie werden mich nie wieder während des Unterrichts aufsuchen, wenn ich Sie nicht persönlich darum bitten sollte, haben wir uns verstanden?“
Hermine hatte keine Angst vor ihm, aber sie fühlte sich ungerecht behandelt, so dass vor lauter Wut ihre Unterlippe zitterte. Sie hätte gern die Umstände erläutert, weshalb sie ihn gestört hatte, aber sie wusste, dass sämtliche Erklärungsversuche bei ihm auf taube Ohren stoßen würden, denn der Grund für die Störung war ihm völlig egal. Bei jeder anderen Person – außer vielleicht bei Sirius – hätte er wohl nicht so wütend reagiert, aber weil es wegen Remus gewesen war, hatte sich sein Zorn ungebremst entfesselt. So kniff Hermine ihre Lippen zusammen und nickte, so dass das Thema vergessen schien, doch für sie war es das nicht. Sie ärgerte sich so sehr über ihren Professor, dass sie in diesem Moment den Entschluss gefasst hatte, ihn entweder mit seinem Irrwicht zu konfrontieren, wenn es heute die Gelegenheit dazu geben würde, oder ihm ihren Trank unterzumischen, der seine Magiefarben zum Leuchten bringen würde. Durch seine grantige Art hatte er unwissentlich Rachegelüste in ihr geweckt.
Sie folgte ihm in sein Privatlabor, bemerkte gleich neben der Tür ihren Farbtrank und steckte eines der kleinen Fläschchen unauffällig in ihre Hosentasche, um für passende Gelegenheiten immer eines bei sich zu tragen.
„Sie brauen heute unter meiner Aufsicht einen Armotentia, Miss Granger!“, befahl er, ohne sie dabei anzusehen.
„Wieso denn einen Liebestrank?“, fragte sie verdutzt.
Ihre Frage schien ihm auf den Geist zu gehen, weswegen er mit den Augen rollte und langsam, als würde er zu einer Erstklässlerin sprechen, erklärte: „Weil die Zubereitung von einem Amortentia äußerst kompliziert ist und ich dadurch erfahren werde, wie behände Sie sind.“
Seine Art und Weise missfiel ihr von Minute zu Minute und immer mehr dachte sie bei sich: ’Mach nur so weiter… Das wirst du mir bezahlen!’
Die Atmosphäre war für heute auf dem Nullpunkt angelangt und das änderte sich auch nicht, während sie den Amortentia braute. Das warme Feuerchen, welches er normalerweise ihr zuliebe im Kamin entzündet hatte, fehlte heute. Für sich selbst hatte er seinen Kamin selten benutzt, aber heute blieb er trotz der Anwesenheit seiner Schülerin, die schon einmal die Kälte in den Kerkern angesprochen hatte, aus.
Der Schrank mit dem Irrwicht stand schon seit Wochen in Snapes privatem Büro. Den Armortentia sollte sie in seinem Privatlabor brauen, welches nur ein Zimmer weiter lag und durch eine Verbindungstür zu erreichen war, auch wenn jeder Raum separat über einen Durchgang zum Flur verfügte.
Sie überlegte angestrengt, wie sie es bewerkstelligen könnte, den Irrwicht ungesehen befreien zu können und zwar so, dass Snape ihm näher sein würde als sie selbst. Sie würde es heute versuchen und sie zerbrach sich den Kopf darüber, wie sie es nur anstellen sollte.
„Gut, Miss Granger, jetzt rühren Sie den Trank für zwanzig Minuten nicht an, sonst ist er unbrauchbar. Lassen Sie ihn auf kleiner Flamme köcheln“, sagte Snape mit eiskalter Stimme.
„Ich brauche für nachher noch eine Vanillestange, aber in Ihren Vorratsschränken habe ich keine gefunden“, sagte sie genauso distanziert wie er.
„In meinem Büro habe ich welche...“
Sie ließ ihn nicht ausreden und sagte bereits: „Accio Vani…“
Hier fuhr er ihr über den Mund und schimpfte: „Sie werden hinübergehen und sie holen! Ich werde es nicht gestatten, dass Sie Zutaten per Aufrufezauber hin und her schweben lassen, Miss Granger, denn Unfälle sind dabei absehbar. Selbst wenn es sich heute nur um eine Vanillestange handelt, so können Sie sich gleich angewöhnen, die von Ihnen benötigten Zutaten auf konventionelle Art und Weise an den Tisch zu bringen!“
Erinnerungen flackerten in ihrem Kopf auf. Verzweifelt suchte sie nach Situationen, in denen er oder sie schon einmal eine Zutat per Aufrufezauber an den Tisch befehligt hatte, aber sie hatten es nie getan – sie hatten sie immer selbst geholt. Trotzdem bestärkte seine grimmige Belehrung sie nur darin, es ihm heute heimzahlen zu wollen.
In seinem Büro entdeckte sie die Vanillestangen in einem Glas in der Vitrine des Schrankes, der sich neben dem des Irrwichts befand, der wiederum gleich neben der Tür stand, die in den Flur hinausführte. Ein teuflisches Grinsen formte sich auf ihrem Gesicht. Sie würde mit wortloser Magie den Schrank des Irrwichts öffnen, dann zurück ins Labor gehen und behaupten, sie hätte die Vanillestangen nicht finden können. Sicherlich würde er ihr in diesem Moment einige Beleidigungen an den Kopf werfen, aber trotzdem würde er sich selbst auf den Weg machen, um die Zutat zu holen. Dann müsste er an dem Irrwicht vorbei und sie könnte die ganze Szenerie von der Labortür aus beobachten. So wollte sie es machen!
Im gleichen Augenblick, als Hermine ihren fragwürdigen Plan ausgetüftelt hatte, verabschiedete einige Kilometer von Hogwarts entfernt Susans Mutter gerade den Heiler, der eben einen Hausbesuch gemacht hatte, während Susan diesen Moment nutzte, um das Gespräch, welches sie mit ihm geführt hatte, in Gedanken zu wiederholen.
„Wie lange hält Ihre Übelkeit schon an, Miss Bones?“, hatte der Heiler gefragt, während er derweil seinen Zauberstab gezückt hatte.
„Schon über eine Woche, aber nie musste ich mich so schlimm übergeben“, hatte sie erwidert.
„Nehmen Sie regelmäßig irgendwelche Heilmittel oder Tränke ein?“
Sie hatte gefühlt, wie die Röte über ihre Wangen gekrochen sein musste, denn ihre Mutter war während der Untersuchung im Zimmer geblieben und so hatte sie in ihrer Anwesenheit wahrheitsgemäß antworten müssen, auch wenn ihre Stimme um einiges dünner geworden war: „Ich nehme jeden Abend einen Verhütungstrank ein.“ Ihr war nicht entgangen, dass ihre Mutter daraufhin ebenfalls errötet war.
„Haben Sie die Tränke hier? Ich würde gern einen Blick drauf werfen“, hatte der Heiler vorhin gesagt, weshalb Susan ihrer Mutter erklärt hatte, wo genau im Badezimmer die Tränke verstaut wären, so dass sie eines der Fläschchen holen konnte. Der Heiler hatte das Fläschchen entgegengenommen und entkorkt, um daran zu riechen. Gleich darauf hatte er das Gesicht verzogen.
Susan konnte ihre Gedanken an die Untersuchung nicht weiterführen, denn ihre Mutter war zurück ins Schlafzimmer gekommen. Sie blickte ihre Tochter an, sagte aber eine ganze Weile nichts, bis sie sich ihr näherte und sich zu ihr aufs Bett setzte. Die Realität hatte sie wieder eingeholt und Susan konnte es nicht vermeiden, dass sich Tränen in ihren Augen sammelten, was ihre Mutter bemerkte.
Mit leiser Stimme fragte ihre Mutter: „Ist es dir überhaupt nicht aufgefallen, dass die Tränke anders geschmeckt haben?“ Susan verneinte wortlos. Ihre Mutter seufzte und ergriff zärtlich ihre Hand.
Diese Geste ließ die erste Träne an ihrer Wange hinunterkullern, als Susan schniefend sagte: „Ich hab’s nicht gemerkt. Ich habe sie die ganze Zeit lang genommen und habe nur gesehen, dass sie langsam zur Neige gehen und ich neue besorgen muss. Mir ist wirklich nicht aufgefallen, dass das Haltbarkeitsdatum abgelaufen war.“
Susans Lippen begannen zu zittern und sie zog die volle Nase hoch, so dass ihre Mutter sich dazu aufgefordert fühlte, ihr ein Taschentuch zu reichen, so dass sie sich die Nase putzen konnte.
Nach einer ganzen Weile sagte ihre Mutter: „Ich bin so froh, dass es rechtzeitig bemerkt worden ist, sonst hättest du dich noch selbst vergiftet, Schatz.“ Sie holte tief Luft, bevor sie offen ansprach: „Ich könnte dir immer noch Verhütungsmittel aus der Muggelwelt besorgen, Liebes. Ich bin da noch krankenversichert und könnte mir ein Medikament für dich verschreiben lassen.“ Sie drückte die Hand ihrer Tochter, bevor sie hinzufügte: „Natürlich erst, nachdem dein Kind geboren wurde.“ Susan begann bitterlich zu weinen. Es war alles ihre Schuld.
Ihre Mutter, von der sie die roten Haare geerbt hatte, nahm ihre Tochter in den Arm und wiegte sie, wie sie es schon gemacht hatte, als sie noch ein Kind gewesen war. Susan konnte sich in Ruhe ausweinen, während sie liebevoll getröstet wurde.
Ganz leise flüsterte ihre Mutter ihr ins Ohr: „Du weißt, dass deine ganze Familie dir helfen wird, mein Schatz, ganz egal, was geschehen wird.“
In diesem Moment hatte Susan das Gefühl, jemand würde ihr Herz zerquetschen, weil sich für den Bruchteil einer Sekunde der Gedanke in ihr breit machte, Draco könnte sie womöglich verlassen, nachdem sie ihn darüber informiert hätte. Die flüsternde Stimme ihrer Mutter verdrängte den Gedanken, als diese sagte: „Wir können nur ganz fest hoffen, dass die schlecht gewordenen Tränke sich nicht auf die Schwangerschaft auswirken, aber ich bin mir sicher, dass alles gut gehen wird.“
In den Kerkern hatte Hermine alles gut durchdacht, aber ihr heimlicher Plan wurde unwissentlich von Snape vereitelt. Sie hatte gerade eben per wortlosen Zauber eine Schublade des Schrankes mit dem Irrwicht einen kleinen Spalt geöffnet und sich schnell umgedreht, um ins Labor zurückzugehen, da hörte sie hinter sich die Tür im Büro, die zum Flur führte, zuschlagen. Snape war unerwartet über den Flur ins Büro gekommen. In einer Hand hielt er eine Ampulle und ein dunkelblaues, bauchiges Fläschchen mit Zutaten, die sie nachher noch benötigen würde. Er hatte sie offenbar aus seinem persönlichen Vorratsraum geholt, aus dem sie damals auch die Baumschlangenhaut entwendet hatte und der vom Flur aus gleich neben der Tür seines Büros lag.
Kaum hatte Hermine sich umgedreht, sah sie auch schon, wie er mit dem Zauberstab die Schublade des Irrwicht-Schrankes schloss, bevor er sich zu ihr umdrehte und gereizt und zischend sagte: „Sind Sie denn von allen guten Geistern verlassen?“
„Ich habe die Vanillestangen nicht gefunden und…“
„Und da haben Sie geglaubt, ich würde Sie in einem Schrank aufbewahren, in dem ein Irrwicht haust?“ Er schnaufte ungläubig und verachtend, bevor er sie zurechtwies: „Sie müssen den Verstand verloren haben! Haben Sie eine Ahnung, was ein Irrwicht alles anrichten kann, außer die Gestalt der größten Angst eines Menschen anzunehmen? Sie können von Glück reden, dass er keine Zeit gehabt hatte zu entkommen, denn Peeves würde nicht mehr Schaden anrichten können, würde ich ihn hierher einladen. Ich möchte nicht, dass mein Büro durch einen manifestierten Körper – welcher Art auch immer – verwüstet wird, haben Sie mich verstanden!“
Der heutige Tag war von Anfang an zum Scheitern verurteilt gewesen, dachte Hermine. Sie bemerkte, dass ihre Wangen warm geworden waren, als sie die Schelte über sich hatte ergehen lassen. Verlegen kniff sie die Lippen zusammen und nickte ihrem Professor reumütig zu, der daraufhin zu seinem Schreibpult hinüberging und Ampulle und Flasche darauf abstellte.
Er atmete einmal tief ein und aus, bevor er sich der Vitrine näherte und das Glas mit den Vanillestangen entnahm, während er schimpfte: „Man kann sie sogar durch die Vitrinentüren hindurch erkennen, aber Sie scheinen momentan mit Blindheit gestraft zu sein!“ Er stolzierte auf die zu und hielt ihr das Glas mit den Vanillestangen vor die Nase, welches sie still entgegennahm. „Tun Sie mir einen Gefallen und holen Sie mir ein Glas Wasser.“
Es war zwar untypisch für Snape, sie um etwas zu trinken zu bitten, doch es war auch seit langer Zeit mal wieder das erste Mal, dass er ihr gegenüber so unausstehlich war. Das Glas Wasser wäre ihre Chance für den Farbtrank, dachte sie. Sie stellte sich vor das kleine Schränkchen, auf welchem ein Tablett mit Gläsern und Flaschen stand. Darauf achtend, dass sie mit ihrem Körper das Glas vor seinem Blick verbogen hielt, ergriff sie die durchsichtige Karaffe mit stets frischem Wasser und füllte es. Mit einer Hand stellte sie die Karaffe wieder ab, während die andere Hand zeitgleich ihren Trank aus der Hosentasche fischte. In null Komma nichts war die kleine Flasche entkorkt und deren Inhalt dem Wasser beigemischt. Es war rein gar nichts zu sehen und schmecken würde man es auch nicht. Die leere Flasche steckte sie wieder in ihre Hosentasche, bevor sie zu Snape an das Schreibpult hinüberging, an dem er eine Liste mit benötigten Zutaten überflog, und ihm das Glas Wasser reichte. Mit einem Nicken dankte er ihr, bevor er das Glas nahm und es in einem Zug leerte.
Wie gebannt starrte sie ihn an, doch bisher tat sich nichts. Bei Ron hatte es fast eine halbe Minute gedauert, bis das Glimmen zu sehen war, doch auch nach einer Minute zeigte der Trank keine Wirkung bei Snape. Hermine befürchtete, die Flüssigkeit könnte womöglich nach zu langer Aufbewahrung seine Wirkung verloren haben. Vielleicht musste man ihn vor jeder Anwendung neu brauen, vermutete sie, als sie plötzlich bemerkte, dass Snapes Atmung schneller wurde. Er machte sich gerade Notizen auf dem Pergament, als er sich mit einer Hand an den Hals fasste.
„Professor? Ist alles in Ordnung?“, fragte sie zaghaft. Sie machte sich ernsthaft Sorgen um ihn. Snape antwortete nicht, sondern er begann plötzlich, schnell und kurzatmig nach Luft zu schnappen. Die Feder ließ er fallen, als er fast panisch beide Hände an den Hals führte, um die Knöpfe seines hochgeschlossenen Gehrocks zu öffnen. Hysterisch riss er an dem Kragen, so dass die Knöpfe sich lösten und zu Boden fielen.
„Professor!“, sagte sie nun viel lauter und eilte um das Pult herum, doch da kippte er bereits vom Stuhl zu Boden. „Oh Gott, ganz ruhig. Bleiben Sie ganz ruhig!“, riet sie ihm, obwohl sie selbst der Panik nahe war.
Er hechelte und lief bereits blau im Gesicht an, was ein sicheres Zeichen dafür war, dass er unter akuter Atemnot litt. Mit einem unguten Gefühl in der Magengegend malte sie sich aus, dass ihr Trank womöglich „umgekippt“ war und sie ihn mit dem schlechten Gebräu versehentlich vergiftet hatte. Andererseits könnte Snape auch an einer Allergie leiden, weswegen seine Schleimhäute zuschwollen und er keine Luft mehr bekam. Sie musste etwas unternehmen, aber ohne Diagnose konnte sie nicht handeln. So zog sie flugs ihren Zauberstab, der wie wild in ihrer Hand zitterte, um einige Diagnose-Sprüche anzuwenden.
Snape japste nach Luft und sein Körper wurde von einem unkontrollierten Zittern übermannt. Die Diagnose-Sprüche, die sie seit ihrer Ausbildung im Mungos blind beherrschte, brachten überhaupt keine Ergebnisse und erst da geriet sie wirklich in Panik. Könnte sie ihn jetzt trotz ihrer zertifizierten Heilerausbildung nicht retten, wäre sie für seinen Tod verantwortlich!
„Um Himmels Willen, Snape!“, schrie sie, als sein Körper sich aufbäumte und sein Rücken sich bog. Seine Augen hatten sich bereits in den Hinterkopf gedreht und er bekam nur noch wenig Luft. „Accio Bezoar!“, schrie sie aufgebracht, während sie seine Hände daran hinderte, sich weitere Kratzwunden am Hals zuzufügen. Kein Bezoar kam geflogen und so versuchte sie es noch einmal, doch wieder kam das beste Mittel gegen Vergiftungen nicht zu ihr.
„Ein Luftröhrenschnitt“, sagte sie laut zu sich selbst, als wollte sie sich vorgaukeln, jemand anderes würde zu ihr sprechen, um ihr zu sagen, was sie nun tun sollte. Sie versuchte Snapes Hände mit Hilfe ihres Zauberstabes zu fesseln, so dass er nicht seinen Hals bedecken konnte, aber es gelang ihr nicht. Es schien, als wäre sie so aufgeregt, dass sie ihre Zauberkräfte nicht mehr unter Kontrolle hatte, was ihr plötzlich vor Augen hielt, dass sie als Heilerin schlichtweg versagte. Vier Jahre Ausbildung zur Heilerin im St. Mungos waren für die Katz gewesen.
Sie ergriff eine von Snape Händen; er drückte, wahrscheinlich unbewusst oder wegen der Krämpfe, sehr fest zu, während Hermine ihren Stab an ihren eigenen Hals führte und einen persönlichen Sonorus-Zauber sprach, damit ihre Stimme ausschließlich im Krankenflügel zu hören wäre: „Ein Notfall, Poppy! Kommen Sie sofort in Snapes Privatbüro!“
Noch während ihres Hilferufes ließ das Zittern ihres Professors mit einem Male nach und sein gesamter Körper entspannte sich auf beängstigende Weise – auch die Hand, die sie hielt, lockerte nun ihren Griff. Tränen rollten über ihre Wangen, während sie mit einer Hand seine Halsschlagader suchte. Als sie kein Leben mehr in ihm fand, begann sie hysterisch zu weinen und zu wimmern. Das hatte sie nicht gewollt. Die Schuld an seinem Tod zu tragen war für sie unerträglich.
Durch ihr kindisches Verhalten würde sie den Rest ihres Lebens in Askaban verbringen und nicht einmal Harry würde ihr aus dieser Misere heraushelfen können. Sie schlug sich verzweifelt eine Hand vor den Mund, während ihre andere noch immer die erschlaffte Hand von Snape drückte, als wolle sie ihm somit wieder Leben einhauchen, doch dann vernahm sie plötzlich seine Stimme, die leise fragte: „Miss Granger?“ Sie blickte erwartungsvoll nach unten, aber Snape rührte sich nicht und sie fragte sich, ob ihre Sinne ihr einen Streich gespielt haben könnten.
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