von Muggelchen
Am Sonntag ging es Harry noch schlechter als gestern, denn der erste Schultag war nun wieder näher gerückt. Morgen Abend würden alle geladenen Schüler ankommen, die den Aufbauklassen bisher ferngeblieben waren und natürlich würde es jede Menge Erstklässler geben. Wobbel schaffte es auch dieses Mal mit der gleichen Taktik Harry zu beruhigen, indem er beispielsweise sagte: „Oh, Mr. Potter, Sie können so froh sein, dass Sie mit all Ihren Vorbereitungen schon lange fertig sind. Ich habe bemerkt, dass einige Lehrer heute noch, anstatt sich auszuruhen, ihre aufgeschobenen Arbeiten in letzter Minute erledigen. Sie haben es gut, Mr. Potter! Sie können heute entspannen und dem morgigen ersten Schultag völlig gelassen entgegensehen.“
Harry lieĂź sich zum FrĂĽhstĂĽck von seinem Elf bewirten, obwohl ihm das im ersten Moment ein wenig unangenehm war, doch Wobbel hatte ĂĽberhaupt nichts von einem Sklaven an sich, denn es schien ihm sogar SpaĂź zu machen, seinen Meister zu bewirten.
„Ach Wobbel, komm mal bitte her“, sagte Harry, dem eben wieder Hermines Zeichnungen eingefallen waren, die er ihm zeigen wollte. „Schau dir mal die fünf Entwürfe an und sag mir, was dir davon gefallen würde. Also ich meine, wenn du es tragen würdest.“
Sehr aufmerksam schaute Wobbel auf die Zeichnungen, bevor sich Tränen in seinen großen Augen sammelten und er mit gebrochener Stimme fragte: „Sind Sie unzufrieden mit mir, Sir? Ich kann mich ändern, wenn Sie es möchten! Ich habe mir zu viel herausgenommen nicht wahr? Das muss es sein! Bin ich zu aufdringlich? Zu langsam? Zu…“
„Stopp! Hör auf, Wobbel. Ich mag dich und ich möchte dich nicht loswerden. Die Idee, die dahinter steckt, ist folgende: Du suchst dir etwas aus, das dir gefällt und das bekommst du von mir als Arbeitskleidung gestellt“, erklärte Harry seinem Elf mit ruhiger Stimme.
Skeptisch schaute Wobbel seinen Meister an, bevor ihm klar geworden war, dass Harry ihn nicht angelogen hatte.
Ein strahlendes Lächeln legte sich auf das Elfengesicht, bevor er schwärmte: „Oh, Mr. Potter, das ist so überaus großzügig von Ihnen. Sie sind wirklich sehr clever, wenn ich mir die Bemerkung erlauben darf.“
Zurücklächelnd antwortete Harry: „Clever ist Hermine, denn es war ihre Idee und sie hat die Bilder auch gezeichnet.“
„Dann werde ich mich das nächste Mal bei Miss Granger dafür bedanken. Ich bin sicher, dass ich mich irgendwann auch revanchieren kann.“
Wobbel schenkte Harry noch eine Tasse von dem beruhigenden Tee ein, bevor er vorschlug: „Sie könnten ja nach dem Frühstück noch etwas Zeit mit Ihrer Verlobten verbringen?“
Das musste er Harry nicht zweimal vorschlagen. Gleich nach dem Frühstück war er zu Ginny gegangen. Sie durfte mittlerweile schon herumlaufen, doch die Geburt eines fast vier Kilo schweren Jungen hatte sie doch ein klein wenig mitgenommen. Mit Nicholas auf dem Arm ging Harry zu einem der Fenster hinüber, während Ginny noch den letzten Bissen von ihrem Frühstück verzehrte.
Aus dem Fenster schauend drehte er den Kleinen etwas in der Armbeuge, so dass der nach draußen sehen konnte, bevor Harry sagte: „Da hinten, da ist das Quidditch-Feld, siehst du?“ Ginny grinste in sich hinein, während sie Harry und Nicholas beobachtete. „Hey, sieh mal, da fliegen gerade zwei Schüler!“, sagte Harry freudestrahlend, während er in die Richtung zeigte, doch Nicholas schien unbeeindruckt und vertrieb sich die Zeit damit, Blubberbläschen aus Speichel mit seinen Lippen zu formen. Dann flüsterte er Nicholas etwas ins Ohr, der ihm daraufhin durch Zufall die Zunge herausstreckte.
„Was hast du ihm denn eben zugeflüstert?“, wollte Ginny wissen.
Harry blickte zu ihr hinüber, dann wieder zu Nicholas, der ihn mit seinen großen blauen Augen anblickte, bevor er den Kleinen fragte: „Sagen wir’s ihr? Was meinst du?“ Der Junge stieß unverhofft einen kurzen, hellen Freudenschrei aus, so dass Harry das als „Ja“ anerkannte und an Ginny gewandt stolz verkündete: „Ich habe ihm gesagt, dass ich später mit ihm Quidditch spielen werde!“
Ginnys Lächeln verblasste nur ein wenig, bevor sie sagte: „Du weißt aber von der winzigen Möglichkeit, dass Nicholas eventuell ein Squib sein könnte?“
Das Lächeln auf Harrys Gesicht verblasste nicht. Schulterzuckend, während er sich wieder dem Fenster zuwandte und die beiden Schüler beim Fliegen beobachtete, sagte er zu Nicholas: „Na, dann wird dein Daddy eben der Erste sein, der einen Beiwagen… äh nein, einen Beibesen erfinden wird, damit du mit ihm mitfliegen kannst.“ Ginnys Herz erblühte vor Freude, weil Harry so locker mit der Situation umgehen konnte.
„Ich wette, Quidditch oder Kotzpastille wird das erste Wort sein, das er sagen wird“, sagte sie wohlwissend.
Mit gerunzelter Stirn fragte Harry: „Wieso denn ’Kotzpastille’?“
Sie lachte auf, bevor sie erklärte: „Fred und George hatten gestern so eine Pastille mit und sie haben sie Nicholas unter die Nase gehalten und immerzu gesagt, wie das heißt. Mum hat ihnen eins auf den Hinterkopf gegeben, aber ich vermute stark, dass sie nicht aufgeben werden.“
„Das erste Wort sollte ’Mum’ oder ’Dad’ sein und nicht ’Kotzpastille’“, sagte Harry belustigt.
„Aber auch nicht Quidditch!“, vervollständigte Ginny mit angestrengt ernst gehaltener Miene.
Noch immer mit Nicholas auf dem Arm setzte sich Harry zu Ginnys aufs Bett und während er mit dem Jungen kuschelte, hörte er sie neben sich seufzen.
„Ginny?“, fragte er, nachdem er zu ihr hinübergesehen hatte.
Mit leiser Stimme wimmerte sie: „Ich wünschte, er wäre dein…“ Sie zog die Nase hoch, so dass er ihr einen Arm um die Schulter legte und sie an seine presste, während Nicholas nach ihren roten Haaren griff und sie knetete.
„Ginny, ich bin sein Vater, denn ich werde derjenige sein, der ihn badet, füttert und wickelt – geschweige denn, mein Elf lässt sich auch mal ran. Und ich werde mit ihm spielen und fliegen und für ihn da sein, wenn er jemanden braucht“, versicherte Harry ihr wohlgemut, doch das brachte sie nur dazu zu schluchzen. Trotzdem wollte Harry noch eine Sache klarstellen und so sagte er mit etwas Kummer in der Stimme: „Ich werde ihn nie spüren lassen, dass er nicht mein Sohn ist oder dass er“, hier musste Harry kräftig schlucken, weil Erinnerungen an seine Kindheit bei den Dursleys in ihm aufkamen, „nicht erwünscht wäre.“
Sie hatte sich wieder beruhigt und sagte durch ihre vorigen Tränen etwas verschnupft klingend: „Nein, das wirst du nicht. Das weiß ich, Harry! Tut mir Leid, dass ich angefangen habe zu heulen. Das müssen die Hormone sein, die verrückt spielen.“ Daraufhin küsste Harry sie sanft auf die Stirn.
Sie wusste, wie Harry damals von seinen Verwandten, bei denen er nach dem Tod seiner Eltern leben musste, behandelt worden war. Sie hatten ihn als „Missgeburt“ betitelt und gesagt, er wäre abnormal. Manchmal hatte Harry sogar Schläge einstecken müssen, aber eher von seinem draufgängerischen Cousin Dudley, der mittlerweile offensichtlich, wie Harry es vor wenigen Jahren von Mrs. Figg, einer Squib, die in der Nachbarschaft der Dursleys wohnte, erfahren hatte, nun ein regionales Boxer-Idol im Schwergewicht geworden war. Man hatte Harry als Kind in einer kleinen Abstellkammer unter der Treppe, die sein Zimmer darstellen sollte, eingesperrt oder ihm manchmal zur Bestrafung kein Essen gegeben, um ihm immer wieder vor Augen zu führen, wie unerwünscht er war.
Ginny und Harry kĂĽssten sich gegenseitig die Wangen, bis Nicholas mit einem Male anfing zu weinen.
„Was hat denn der Kleine?“, fragte Harry mit besorgter Stimme in den Raum hinein.
„Entweder hat er Hunger oder“, sie beugte sich vor und roch an der Windel, „er hat ein Geschäft gemacht. Ich denke, er hat Hunger, denn ich rieche nichts.“
Sie nahm ihm den Jungen ab, bevor Harry unsicher fragte: „Soll ich rausgehen?“
„Sag mal, Harry... Wir sind verlobt und wollen heiraten und du fragst, ob du beim Stillen rausgehen sollst?“, neckte sie ihn, so dass er im Zimmer blieb und verzückt dabei zusah, wie Nicholas sich satt trank und er sich derweil still fragte, warum man auf einen drei Tage alten Knirps eifersüchtig sein konnte.
Im St. Mungos hatte Lucius zum wiederholten Male eine der äußerst unangenehmen Doppelbehandlungen über sich ergehen lassen. Er ertrug den Schmerz nur, weil er wusste, dass er seine Narzissa dann viel früher sehen könnte. Bisher hatte er alle Besuchsanfragen von ihr abgeschmettert, denn der Gedanke daran, dass seine Frau ihn so sehen könnte – er wusste ja nicht einmal genau, was er für einen äußerlichen Eindruck machte – war für ihn fürchterlich. Es beruhigte ihn zu wissen, dass es ihr gut ging. Frau und Sohn schrieben ihm sehr regelmäßig und auch wenn er auf die Briefe von Draco nie antwortete, so ließ er sich doch all seine Post von Schwester Marie vorlesen. Mittlerweile war Marie sogar so dreist geworden, ihm Fragen wegen seiner verfahrenen Familiensituation zu stellen, doch darüber war er nicht sehr betrübt.
Nach seinen Behandlungen war er so zahm wie ein Lamm und absichtlich nutzte Schwester Marie diese Momente, um einige Informationen aus ihm herauszukitzeln, aber nicht, um selbst etwas in Erfahrung zu bringen, sondern ihn mit seinen Antworten selbst zum Nachdenken zu bewegen wie heute, als sie fragte: „Sie hatten doch einmal gesagt, es würde Ihnen nichts ausmachen, dass ich ein Halbblut wäre. Wieso macht es Ihnen bei Miss Bones etwas aus?“
Lucius verfluchte Schwester Marie, denn sie wusste ganz genau, dass er auf ihre Frage keine Antwort hatte und so blieb er stumm und ĂĽberlegte, warum es bei Miss Bones anders war als bei Marie.
„Nachdem Sie, Mr. Malfoy, von zwei Pflegern misshandelt worden waren, da hat Miss Bones dafür gesorgt, dass das nicht noch einmal vorkommen würde“, sagte sie mit ihrer ruhigen Stimme, die er im Laufe seines Krankenhausaufenthalts lieb gewonnen hatte.
Er hörte, wie sie mit dem Bettenmachen bei seinem Zimmergenossen fertig war, bevor sie sich ihm näherte und geradeheraus sagte: „Ihr Sohn liebt Sie, Mr. Malfoy.“
Lucius schnaufte lediglich, während er eine Hand über seine brennenden Augen legte. Verbal äußern konnte er sich nach den Behandlungen selten, so wirr und schwach war er, aber Mittel gegen die Schmerzen durfte er nicht einnehmen.
Schwester Marie verließ das Zimmer, kam jedoch fünf Minuten später zurück und sagte: „Mr. Malfoy? Ich habe etwas für Sie; gegen die Schmerzen.“
Sofort nahm er die Hand von den Augen, doch öffnen konnte er sie nicht. „Ich bin Ihnen für alles dankbar, Marie“, sagte er geschwächt.
Sie erklärte daraufhin: „Man legt es auf die Augen und durch die Kälte wird der Schmerz gelindert.“
Er spürte ihre tastende Hand an seiner Wange und mit einem Nicken gab er ihr die Zustimmung fortzufahren. Etwas Kühles legte sich auf seine Augen. Er befühlte es sofort, um zu erfahren, um was es sich handeln könnte, aber der Gegenstand, der etwas nachgab, wenn er drückte, war ihm fremd. Die Kälte tat jedoch sehr schnell gut und das Brennen in den Augen ließ nach.
Mit schwächlicher Stimme fragte er: „Was ist das?“
Er bemerkte, dass sie einen Moment zögerte, bevor sie ehrlich erwiderte: „Das ist eine Augenmaske. Es ist“, sie stockte kurz, „eine Erfindung der Muggel.“
Nur für einen kurzen Moment überlegte er, dieses Ding von seinen Augen zu reißen und es Schwester Marie entgegenzuwerfen, doch die Linderung der Schmerzen war so angenehm, dass er lediglich nickte und sagte: „Danke Marie.“
Am Abend hatte er weniger mit den Schmerzen zu kämpfen als an den Tagen davor, so dass er Miss Bones und Mr. Shacklebolt empfangen konnte. Nach einer kurzen Begrüßung ging es gleich zur Sache, denn Mr. Shacklebolt erklärte stolz: „Vielen Mitgliedern der Familie Umbridge sind finanzielle Unterstützung von Todessern nachgewiesen worden. Der Minister kommt Ihrer Forderung nach und bedankt sich mit einem weiteren Jahr Hafterlass.“
„So langsam sehe ich Licht am Ende des Tunnels“, entgegnete Lucius selbstzufrieden.
„Aber jetzt noch zu dem sogenannten ’Pendant’ der Todesser. Darüber haben Sie uns noch nichts erzählt, aber Sie sagten einmal zu Miss Bones, dass Sie über diese Leute mehr wüssten als über Verstecke von Todessern“, rief Mr. Shacklebolt ihm ins Gedächtnis zurück. Offenbar wollte er somit auch gleich die Gesprächsführung übernehmen.
„Über diese Personen sage ich Ihnen nur etwas, wenn Sie mir fünf Jahre…“
Lucius wurde von Mr. Shacklebolt unterbrochen, der mit ruhiger Stimme sagte: „Das, Mr. Malfoy, ist zu viel verlangt!“
„Sie wissen ja nicht einmal, was ich zu sagen habe. Was sind fünf Jahre? Dann blieben für mich immer noch sechs in Askaban. Sie werden keinen einzigen Anhaltspunkt über diese Leute haben, wenn ich Ihnen keine Informationen gebe, darauf können Sie sich verlassen“, entgegnete Lucius mit sicherer Stimme.
„Warum? Weil es sich um Muggel handelt?“, fragte Mr. Shacklebolt.
Lucius behielt seine Muskeln unter Kontrolle, obwohl ihm sämtliche Gesichtszüge entgleisen wollten. Er fragte sich, ob das Ministerium von diesem Muggel-Verein wusste und wenn ja, wie viel sie wussten. Auf jeden Fall musste er Acht geben, dachte er, nicht zu viel zu verraten und nicht auf mögliche Bluffs hereinzufallen.
„Mr. Shacklebolt, wenn Sie schon so beginnen, dann vermute ich, dass Sie meine Hilfe überhaupt nicht benötigen. Wenn Sie nicht bereit sind zu handeln, dann bin ich nicht bereit Gegenleistungen zu erbringen, so einfach ist das“, stellte Lucius klar, bevor er aufstand und den Tisch verlassen wollte.
„Zwei Jahre“, kam es von Mr. Shacklebolt wie aus der Pistole geschossen und Lucius hätte beinahe angefangen zu lachen, doch er setzte sich wieder und lauschte, als Mr. Shacklebolt erklärte: „Treiben Sie es mit Ihren Forderung nicht zu weit, Mr. Malfoy. Wir haben durchaus Hinweise, aber es würde etwas länger dauern, um allein hinter das Geheimnis dieser ’Gruppe’ zu kommen, doch wenn Sie astronomisch hohen Hafterlass fordern, werden wir bald nicht mehr gewillt sein, mit Ihnen zusammenzuarbeiten.“
Völlig gelassen erklärte Lucius: „Oh, glauben Sie mir: Sie werden gewillt sein, denn Sie werden allein nicht dahinter kommen! Ich hatte, nachdem der Dunkle Lord mich aus Askaban heraus an seine Seite zitiert hatte, als Einziger erfahren, was das für Muggel sind und was sie vorhaben.“
„Voldemort wusste von denen?“, fragte Miss Bones ungläubig.
„Ja, er wusste von denen und zwar durch mich, aber er hat ihnen keine Beachtung geschenkt und fand den Gedanken an diese Gruppierung weder bedrohlich noch interessant, eher belustigend. Trotzdem er diese Leute mit Nichtbeachtung gestraft hatte, habe ich mich weiterhin mit ihnen beschäftigt, denn selbst ich finde deren Methoden in gewisser Weise bemerkenswert. Ich, Miss Bones, habe ohne das Wissen des Dunklen Lords weiterhin Nachforschungen betrieben, denn diese Muggel waren mir, wenn ich ehrlich sein darf, nicht ganz geheuer“, erklärte Lucius mit gelassener Stimme.
„Jahrelange Nachforschungen? Mit welchem Ergebnis?“, fragte wieder Mr. Shacklebolt.
„Ich sagte Ihnen schon einmal, dass ich meine Informationen nicht unter Wert verkaufe. Ich weiß, wie viel Ihnen meine Hinweise wert sein werden und meine jahrelangen Auskundschaftungen sind fast unerschwinglich. Unter Fudge wäre ich längst auf freiem Fuß, denn der wusste zumindest, solche Informationen mit angemessenem Gegenwert zu entlohnen“, erwiderte Lucius mit schmieriger Stimme.
„Über fünf Jahre auf einem Schlag zu verhandeln liegt nicht in meiner Macht, Mr. Malfoy. Ich werde den Minister fragen müssen“, entgegnete Shacklebolt das erste Mal etwas unsicher.
Lucius nutzte die Situation und empfahl mit einem fröhlichen Singsang in der Stimme: „Wie wäre es denn, wenn der gute alte Arthur mich mal mit Ihnen beiden zusammen hier besuchen würde?“
Weder Miss Bones noch Mr. Shacklebolt reagierten auf seinen Vorschlag, aber sie wĂĽrden ihn auf jeden Fall an den Minister weitergeben.
Während des Abendessens ging Lucius in Gedanken nochmals das Gespräch mit Mr. Shacklebolt und bis Bones durch und er atmete zuversichtlich tief ein und aus, bevor er seine Serviette auf den Teller legte.
Nach dem Abendessen in Hogwarts und dem Spaziergang mit dem Hund war Harry wegen des bevorstehenden Schulbeginns wieder völlig mit den Nerven am Ende und er wusste, dass er keinen Schlaf finden würde, weshalb er auf gut Glück Remus über den Kamin anrief und sich kurzerhand bei ihm einlud, damit er an etwas anderes als den morgigen Schulbeginn denken konnte.
„Harry, wie geht’s?“, fragte sein Freund, der schon der Freund seines Vaters gewesen war.
„Mir wäre wohler, wenn ich den ersten Tag schon hinter mir hätte“, gestand Harry.
„Ach, das wird schon. Was meinst du, wie es mir vor der ersten Schulstunde in Hogwarts gegangen war? Ich meine, ich bin ja vorher auch noch nie als Lehrer in Erscheinung getreten. Hast du wirklich so viel Angst vor dem ersten Schultag?“, fragte Remus ungläubig.
„Na ja, morgen ist ja erst die Zeremonie. Richtig los geht es ja erst Dienstag… Oh Gott, ich werde zwei Nächte nicht schlafen können“, murmelte Harry, bevor er einen angebotenen Schokofrosch entgegennahm.
Remus setzte sich neben ihn und beobachtete ihn eine Weile, bevor er fragte: „Wolltest du mir nicht irgendwas sagen?“ Remus grinste breit, als Harry ein verdutztes Gesicht machte.
Plötzlich sprudelte es aus ihm hervor: „Oh ja, ich habe um Ginnys Hand angehalten!“ Remus, der diese Neuigkeit auf dem letzten Ordenstreffen brühwarm von Molly und Arthur erfahren hatte, beglückwünschte Harry und umarmte ihn.
„Ich bin so glücklich, Harry. Wenigstens einer von uns beiden…“ Remus verstummte, denn seine eigene Hochzeit mit Tonks war wegen der alten barbarischen Gesetze in die ferne Zukunft verlegt worden.
Sie hatten sich eine Weile über alles Mögliche unterhalten, bis Harry das Gespräch auf Dementoren lenkte, um zumindest etwas von dem zu machen, was Hermine ihm auferlegt hatte.
Neugierig fragte Harry: „Bist du eigentlich schon häufiger Dementoren begegnet? Ich meine, schon vor meinem dritten Schuljahr, als die ja überall auf dem Hogwartsgelände waren.“
„Ich, ähm, na ja…“, druckste Remus herum. „Ich wollte das eigentlich nie irgendjemandem erzählen, weil das bisher mein schlimmster Job gewesen war, den ich je angenommen hatte. Das war vier, fünf Jahre, bevor ich nach Hogwarts gekommen bin. Da hat mir eine Wirtshausbekanntschaft gesagt, die Küche in Askaban würde Aushilfen suchen, die sich gut mit Haushaltszaubern auskennen würden. Du weißt ja, dass ich meine Kleidung seit vielen Jahren selbst flicke und ich mich mit Zauberei für den Alltag sowieso sehr gut auskenne. Ich habe da angefangen, aber ich habe es nur ein halbes Jahr ausgehalten, obwohl die Bezahlung wirklich nicht schlecht war“, erklärte Remus und Harry bemerkte an dessen Stimme, dass er nicht stolz darauf war.
„Bist du in der Küche auf Dementoren gestoßen?“, fragte Harry leise.
„Ja, natürlich! Die waren überall; sind ja immerzu durch die Wände geschwebt. Ich habe nie ganz verstanden, wie diese Kreaturen wirklich ’funktionieren’. Ich habe mich ein wenig eingelesen und dann war mich auch klar, warum ich in dem halben Jahr Unmengen an Schokolade gegessen hatte. Anders hält man es dort auch nicht aus. Den anderen Angestellten ging es oftmals ähnlich wie den Gefangenen, denn Dementoren ist es egal, von wem sie sich ernähren. Dementoren-Übergriffe gehörten zum Berufsrisiko, weswegen der Job so gut bezahlt worden war“, Remus war immer leiser geworden und verstummte am Ende, denn offenbar wollte er nicht darüber reden, doch eine Sache wollte Harry noch wissen.
„Nur eins noch: Arthur hat erzählt, es gäbe da so gruselige Geschichten aus Askaban…“
Remus fuhr ihm über den Mund und sagte beteuernd und mit bebender Stimme: „Die sind alle wahr, Harry!“
„Wahr? Dann ist es wahr, dass die Gefangenen nach einem Kuss schwarze Augen haben und ohne Seele weiterleben?“, fragte Harry besorgt. Weil Remus nickte, lief ihm eine Gänsehaut über den Rücken.
Mit flüsternder Stimme fragte Remus: „Hat Arthur dir auch erzählt, dass neunzig Prozent der ’Angestellten’ in Askaban jene seelenlosen Gefangenen sind? Man kann sie nicht mehr in die Gesellschaft zurückgehen lassen, aber durch ihre Gefühllosigkeit verspüren sie gar keinen Drang mehr, aus eigenem Antrieb irgendetwas zu tun. Man musste sie nicht mal mehr in ihre Zellen sperren.“
Harry schüttelte nur den Kopf und machte dabei ganz große Augen, bevor er leise fragte: „Warum flüsterst du?“
Kurz grinsend erwiderte Remus in normaler Lautstärke: „Ich dachte, das passt zur gruseligen Stimmung!“ Jetzt grinste auch Harry, obwohl das Thema so furchteinflössend war.
„Warum hat Arthur mir von diesen Angestellten nichts erzählt? Er sagte, er wüsste nicht, ob die Geschichten stimmen“, sagte Harry.
Remus räusperte sich, bevor er sich zurücklehnte und sagte: „Arthur wird es vielleicht wirklich nicht wissen. Natürlich gibt es in Askaban Besucherräume und dementorenfreie Vorzeigezellen, die man gern für Pressebesuche nutzt. Fudge war mal zu Besuch und vielleicht wusste er von den Zuständen, die dort herrschten, aber das eigentliche Askaban – die Löcher, in denen die Gefangenen hausen – das will niemand freiwillig betreten. Verhöre und dergleichen finden ja im Ministerium statt, denn es gibt eine eigene Abteilung im Zaubereiministerium, die eng mit Askaban zusammenarbeitet, aber ansonsten ist das Gefängnis auf sich allein gestellt. Wer kümmert sich schon um geküsste Schwerverbrecher?“
Nach einer Weile fragte Harry kleinlaut, weil er nicht wusste, ob er damit über die Stränge schlagen würde, wenn er weiterhin beim Thema bliebe: „Kennst du Fälle von Gefangenen oder anderen Personen, die geküsst oder teilweise geküsst worden waren und danach in der Gesellschaft lebten?“
Remus schüttelte so schnell den Kopf, dass Harry sich sicher war, er würde nichts verbergen. „Oh, schade…“
„Auf was für ein Abenteuer seid ihr drei wieder hinaus?“, fragte Remus offen. Aufgrund Harrys fragenden Blickes erklärte er: „Hermine hat mich im Laufe des Tages besucht und mir ähnliche Fragen gestellt.“
„Oh, verstehe. Na ja, das ist nicht einfach. Wir wollen einer Theorie nachgehen und dachten… Ach, das ist bestimmt nur Unfug. Ron und ich glauben nicht dran, aber Hermine will wissen, ob es möglich wäre, dass jemandem nur Teile der Seele ausgesaugt werden können und… Ach, ist nicht wichtig“, sagte Harry verstummend.
Nachdem sie unzählige Schokofrösche verzehrt hatten, stieß er Remus leicht mit dem Ellenbogen an und erzählte mit verträumter Stimme: „Severus hat mir erzählt, wie er meine Mum kennen gelernt hat. Sie waren beide erst sieben Jahre alt, wusstest du das?“
Mit großen Augen verneinte Remus wortlos, so dass Harry ihm die Geschichte erzählte und wieder wurde ihm ganz warm ums Herz, doch er war nicht allein, denn Remus ging es ganz genauso.
Als Harry die Geschichte beendet hatte, sagte Remus schwärmend: „Das ist eine wunderschöne Geschichte! Lily hat sie nie erzählt, aber bestimmt nur, weil sie wusste, dass wir sie ins Lächerliche ziehen würden... Na ja, vielleicht eher deswegen, weil wir die Geschichte dazu benutzt hätten, um Severus lächerlich zu machen.“ Er seufzte, bevor er reumütig zugab: „Weißt du, Harry, in all den Jahren nach der Schule habe ich immer und immer wieder daran denken müssen, wie wir Severus behandelt haben. Ich habe nach Gründen gesucht, unser Handeln zu rechtfertigen, aber je älter ich wurde, desto absurder wurden die Gründe. Weil er ’anders’ war ist nicht wirklich ein überzeugendes Argument, jemandem so zuzusetzen. Es tut mir so Leid, dass ich nie eingeschritten bin.“
„Hast du es ihm mal gesagt? Dass es dir Leid tut, meine ich. Hast du?“, fragte Harry drängelnd.
Remus schüttelte den Kopf, bevor er versuchte zu erklären: „Ich denke, der Zeitpunkt ist schon viel zu lange vorüber, um bei ihm dafür um Entschuldigung zu bitten.“
„Du kannst es ja mal versuchen! Vielleicht…“
Remus unterbrach ihn und erklärte mit sanfter Stimme: „Wir haben Dinge getan, die nicht zu verzeihen sind und ich meine nicht die Sache, die du in seiner Erinnerung gesehen hast. Da sind noch andere Dinge vorgefallen, die ihn geprägt haben. Manchmal kommt es mir so vor, als wären wir der Grund gewesen, warum er sich dazu entschlossen hat…“
„Sich Voldemort anzuschließen?“, beendete Harry den Satz. Nickend stimmte Remus dem zu, bevor er nochmals seufzte. Harry fand all seinen Mut und fragte mit zittriger Stimme: „Was war das Schlimmste, was ihr ihm in der Schule angetan habt?“
Remus schloss die Augen und blieb für sehr lange Zeit still. Er sagte auch nichts, als er von der Couch aufstand und ins Schlafzimmer ging, um kurz darauf mit einem Buch zurückzukommen – einem seiner Tagebücher – welches er Harry unter die Nase hielt.
„Ich möchte es nicht mehr lesen und auch nicht darüber reden. Nimm das Buch mit, aber sorge dafür, dass es niemand anderem in die Hände fällt. Ich weiß zwar, dass du neugierig bist, aber es wäre nett, wenn du nur einen bestimmten Eintrag lesen würdest. Den 24. Dezember 1977 – der Tag nach dem Weihnachtsball unserer siebten Klasse“, sagte Remus am Ende leise verstummend.
Harry griff zu, bevor Remus es sich anders ĂĽberlegen wĂĽrde und steckte sich das Tagebuch in seine Jackentasche. Offensichtlich wollte Remus heute gar nicht mehr reden, weil er Harry sofort verabschiedete und zum Kamin schob.
Wenn Du Lob, Anmerkungen, Kritik etc. über dieses Kapitel loswerden möchtest, kannst Du einen Kommentar verfassen.
Zurück zur Übersicht - Weiter zum nächsten Kapitel