von Muggelchen
In der Nacht zum Donnerstag, den 28. August, wurde Harry von Wobbel geweckt, der ihm aufgeregt erzählte, dass Miss Weasleys Baby jetzt kommen würde. Die Wehen waren seit Stunden bereits sehr intensiv und die Zeitabstände wären immer kürzer geworden. Auch wenn der Drang groß war, so wollte Harry nicht mit Wobbel, selbst wenn er dann für alle anderen unsichtbar wäre, in diesem Moment zu Ginny gehen. Dafür ging er in seinem Wohnzimmer nervös auf und ab, fuhr sich durch die zerzausten Haare und bekam immer wieder neue Informationen von Wobbel, der zwischen Krankenzimmer und Wohnzimmer ungesehen hin und her apparierte.
Als Wobbel um halb fünf morgens wieder im Wohnzimmer erschien, fröhlich auf und ab hüpfte, in die Hände klatschte und derweil vergnügt rief „Es kommt, es kommt!“, da hielt Harry nichts mehr in seinem Wohnzimmer. Nur mit seinem Pyjama und ein paar warmen Hausschuhen bekleidet rannte er vom Erdgeschoss hinauf in den ersten Stock, um dort weiterhin in einem kleinen Vorraum auf und ab zu gehen wie schon in seinem Wohnzimmer. In diesem Moment konnte er so gut nachvollziehen, warum viele Herren der Schöpfung in gleicher Situation eine Zigarette nach der anderen rauchten, auch wenn er immer geglaubt hätte, das wäre nur ein Klischee in Filmen.
Die Tür zum Krankenzimmer öffnete sich und Harry hielt inne – genau wie Severus, der ihn mit in Falten gelegter Stirn aus schwarzen Augen anblickte, sich jedoch wieder fing und ohne einen Kommentar an das Schränkchen ging, welches sich in dem kleinen Vorraum befand. Die gestrige Begegnung in der Bibliothek schien momentan völlig vergessen. Harry beobachtete Severus dabei, wie der ganz gemächlich zwei kleine Ampullen aus dem Schrank nahm und darüber hinaus einige Handtücher per Levitation hinter sich herzog, bevor er wieder wortlos in Ginnys Zimmer verschwand.
Zehn Minuten später kam Severus erneut vor die Tür und dieses Mal blickte Harry ihn so flehend wie nur möglich an, sagte jedoch nichts, weil er wusste, dass Severus sowieso nichts preisgeben würde. Vielleicht könnte er ihn mit einem geübten Hundeblick zu einem kurzen Statement überreden, aber er hatte sich in Severus getäuscht. Der schaute nur hin und wieder zu Harry hinüber, während er betulich leere Ampullen auf ein Tischchen abstellte und andere Dinge zusammensuchte, die er mit in das Krankenzimmer nahm.
Als Severus zum dritten Mal mit leeren Fläschchen hinauskam, stürmte Harry auf ihn zu und fragte: „Sind Sie etwa mit dabei? Ich meine, so richtig nahe dran?“
Severus schnaufte einmal, bevor er mit ruhiger Stimme antwortete: „Ich bringe lediglich das hinein, was Poppy benötigt und stelle es in dem Vorraum ab. Ich gehe davon aus, dass ich der
Letzte bin, den Miss Weasley jetzt an ihrer Seite sehen möchte. Und Sie können mir glauben, dass auch ich mich nicht darum reiße, dem Geschehen näher beizuwohnen als notwendig.“ Und bevor Harry noch etwas fragen konnte, verschwand Severus wieder mit Handtüchern, Ampullen und zwei kleinen Dosen, die ihm schwebend folgten.
Seufzend setzte sich Harry auf einen der Stühle und wartete. Er beobachtete ungläubig sein rechtes Bein, welches sich selbständig gemacht zu haben schien, denn es wackelte zitternd auf und ab. Wobbel erschien nicht mehr, weil es zu auffällig wäre, falls man ihn jetzt flüsternd an Harrys Seite sehen würde. Für einen Moment fragte er sich, ob es ratsamer gewesen wäre, in seinem Wohnzimmer zu bleiben, denn dort hätte er weiterhin alle Informationen erhalten, auf die er jetzt so brannte. Hier hingegen, direkt an der Tür zu Ginnys Zimmer, war er ihr zwar räumlich näher, aber niemand ließ auch nur ein Sterbenswörtchen über den Geburtsverlauf fallen. Er fragte sich, wie weit Ginny schon wäre oder ob womöglich alles schon vorbei war. Er hatte nicht im Vorfeld wissen wollen, ob es ein Mädchen oder ein Junge werden würde und so nagte besonders diese Frage an seinen Nerven.
Wieder kam Severus hinaus und dieses Mal fragte Harry gezielt: „In welcher Phase sind wir?“
„Wir?“, fragte Severus spottend zurück.
„Sie wissen schon… Ist es schon da?“, wollte Harry neugierig wissen, doch Severus antwortete nicht. „Ich möchte ja gar keine Details haben. Ich möchte nur wissen…“
Diesmal unterbrach ihn Severus sehr ungehalten, was Harry deutlich an der Stimme seines Kollegen hören konnte, als der sagte: „Ich verstehe nicht, warum Sie so einen Wirbel veranstalten. Es ist nicht einmal Ihr Kind!“
Aufgrund dieser Worte entglitten Harry sämtliche Gesichtszüge, bevor er gekränkt entgegnete: „Aber das ist doch völlig egal! Verstehen Sie das denn nicht?“ Severus verzog daraufhin nur den Mund, während er weiterhin Schubladen und Schränke öffnete und Dinge entnahm, auf die Harry nicht mehr achtete, denn in diesem Moment war er sich über eine Sache klar geworden und das sprach er auch offen aus: „Nein, Sie verstehen es wirklich nicht!“
Er konnte Severus nicht einmal böse deswegen sein, dass der seine Gefühle für Ginny und ihr Kind nicht nachvollziehen konnte. Severus warf ihm nur einen warnenden Blick zu, bevor er eine Feder nahm und etwas niederschrieb.
Harry näherte sich seinem Kollegen und fragte mit warmer Stimme: „Ich will doch niemanden etwas Böses. Ich möchte nur wissen, wie es Ginny und dem Kind geht. Warum können Sie das nicht verstehen?“
Genervt atmete Severus aus und entgegnete danach grollend: „Aber es geht Sie nichts an!“ Severus murmelte ein Schimpfwort, welches Harry nicht verstehen konnte, bevor er fortfuhr: „Sie sind nicht mit Miss Weasley verwandt und Sie haben nichts getan, um Ihre Situation zu ändern. Jetzt tun Sie mir den Gefallen und entfernen Sie sich aus dem Krankenflügel, bevor ich Poppy dazu auffordere, ein Machtwort zu sprechen!“
Jetzt war es Harry, der schnaufend ausatmete, um gleich darauf gereizt zu fragen: „Sie haben nie eine Freundin gehabt oder? Sonst könnten Sie…“
Severus warf die Feder weg und packte Harry mit beiden Händen an seinem Pyjama-Oberteil, bevor er ihn herumschleuderte und gegen die Wand presste, wodurch sich die obersten beiden Knöpfe des Hemdes lösten und auf den Boden fielen. Sie waren sich so nahe, dass sich fast ihre Nasen berührten. Severus atmete durch seine gelben, schiefen Zähne aufgebracht ein und aus, während Harry nichts anderes tat, als sich gegen die Wand zu pressen lassen. Die schwarzen Augen drohten ihm, nicht ein einziges weiteres Wort zu verlieren, doch Harry ließ sich nicht einschüchtern.
Mutig sagte er mit ruhiger Stimme: „Ich liebe Ginny und ich liebe ihr Kind und es ist völlig egal, ob es von einem anderen ist und...“
Harry hielt inne, weil er zum ersten Mal die farbliche Veränderung den Augen vor sich zum Anfassen nahe wahrnehmen konnte. Das warme Braun hatte sich während Harrys Worte langsam durch das Schwarz gekämpft, doch als er innegehalten hatte, hatte auch die Veränderung pausiert. Dunkle Wolken wollten den warmen Schein in Severus’ Augen wieder verdrängen, so dass Harry sich genötigt fühlte, einfach weiterzureden, indem er sagte: „Ich hab das Kind schon geliebt, als ich das erste Mal ihren Bauch angefasst habe.“
’Was geschieht hier nur?’, fragte sich Harry stille. Harry konnte es sehen, aber nicht begreifen und er wunderte sich darüber, was mit Severus’ Augen los war. Wie Ron schon erwähnt hatte, war es unmöglich, dass sich die Augenfarbe nach der Pubertät verändern konnte, aber jetzt war er sogar Zeuge dessen, wie sich die Augenfarbe seines Kollegen in nur wenigen Sekunden wandelte. Nach Harrys Ansicht durfte das gar nicht möglich sein! Für einen Moment dachte Harry, dass Severus womöglich irgendwann einmal in seinem Leben von einem Fluch getroffen worden war, der dafür verantwortlich zu machen wäre, doch er hatte keine Ahnung, was für ein Fluch sein sollte. Er müsste unbedingt Hermine davon berichten, notierte sich Harry in Gedanken, als gleich darauf die Tür zu Ginnys Zimmer aufgerissen wurde und Poppys Stimme zu vernehmen war, die sagte: „Severus, wo bleiben die…“
Poppy stockte, als sie Severus erblickte, der Harry am Schlafittchen hielt und ihn gegen die Wand presste. Nur langsam ließ Severus von seinem Kollegen ab, während Poppy bereits mit barschem Befehlston verlangte: „Severus, Sie bringen mir die Sachen rein, die ich brauche.“ Wortlos kam Severus ihrer Anweisung nach. Sie wandte sich an Harry und sagte in schroffem Tonfall: „Sie, Harry, gehen auf der Stelle!“ Auch Harry gehorchte, wenn auch mit betrübter Miene. Hier im Krankenflügel hatte Poppy das Sagen.
In seinem Wohnzimmer ließ Harry sich demotiviert auf das Sofa fallen. Wobbel war nicht da und er verspürte auch keinen Drang ihn zu rufen. Während er über Ginny nachdachte, nickte er ein.
Kurz nach halb sieben wurde er von einem zarten Klopfen geweckt. Harry wollte gerade schon vom Sofa aufstehen, da erschien Wobbel und öffnete die Tür. Severus trat ohne Aufforderung ins Wohnzimmer hinein. Es war offensichtlich, dass er Augenkontakt vermeiden wollte, denn sein Kollege blickte überall hin, nur nicht zu Harry.
Nachdem er die Tür geschlossen hatte, waren seine einzigen, mit Bedacht gesprochenen Worte: „Es ist ein Junge. Mutter und Kind sind wohlauf.“
Danach verschwand Severus gleich wieder und Harry und Wobbel grinsten sich breit an, bevor sich beide zusammen auf die Couch setzten und auf den Jungen mit einem ganz winzigen Schlückchen Elfenwein anstießen.
Zuhause auf ihrer Couch liegend und unter einer dicken Wolldecke gekuschelt ließ Hermine den Abend Revue passieren. Sie war nach dem Besuch in der Bibliothek recht spät nachhause gekommen, nur um Ron und Angelina vorzufinden, die beide auf genau der Couch gesessen hatten, auf der sie jetzt hoffte, endlich einmal Schlaf zu finden.
Sie erinnerte sich daran, wie Ron vorhin gesagt hatte: „Oh, Hermine, ich dachte, du würdest heute nochmal bei Harry übernachten. Ich hatte Angelina eingeladen. Ist doch okay oder?“ Natürlich hatte sie eine gute Miene zum bösen Spiel gemacht. Es war offensichtlich nie leicht, wenn die Ex und die Neue aufeinander trafen, doch mit Angelina kam sie einigermaßen gut zurecht, denn man kannte sich ja bereits ganz gut.
„Ich kann auch gehen“, hatte Angelina nach Mitternacht vorgeschlagen, doch es war Hermine gewesen, die gesagt hatte, sie selbst könnte ja auf der Couch übernachten, wenn es für die beiden kein Problem wäre. Natürlich war es keines, denn Ron würde Hermine, die ja keine andere Bleibe hatte, nicht einfach vor die Tür setzen, weshalb er ihren Vorschlag begrüßt hatte. Eigentlich hatte Hermine gehofft, Ron würde Angelinas Vorschlag vorziehen.
Man unterhielt sich noch eine Weile, doch die ganzen Bemühungen, das Gespräch locker zu gestalten, ließen es ins Gegenteil mutieren. Die Atmosphäre war angespannt und bedrückend. Als Hermine den Gast gefragt hatte, warum sie beim ersten Date mit Ron alles Mögliche über Fred in Erfahrung hatte bringen wollte, kam man auf die ehemalige Beziehung an sich zu sprechen und Angelina hatte erklärte: „Weiß du, das mit Fred hat einfach nicht richtig geklappt. Wir kannten uns schon, seit wir Kinder waren. Ich liebe ihn noch immer und ich weiß, dass er mich auch liebt, aber wir passen nicht zusammen – jedenfalls nicht als Paar.“
Hermine hatte sehr lange gebraucht, um den Kloß hinunterzuschlucken, der sich auch jetzt wieder in ihrem Hals formte, wo sie nur an dieses Thema dachte. Anderen Menschen ging es also genauso wie Ron und ihr und trotzdem war diese Erleuchtung kein Trostpflaster gewesen, denn Ron hatte jetzt jemanden und sie war noch immer allein.
Sie würde keinen Schlaf mehr finden und so zog sie sich an, versorgte ihre fast verheilte Wunde am Hals, packte eine kleine Tasche mit Kleidung zum Wechseln, einigen Hygieneartikeln und anderen wichtigen Dingen, bevor sie einen Zettel schrieb:
„Guten Morgen, ihr beide,
ich werde außerhalb frühstücken und danach mit meinen Recherchen weitermachen.
Lieben Gruß,
Hermine“
Sie schlang sich den weißen Seidenschal um den Hals und verknotete ihn, so dass er nicht verrutschen konnte und den Biss zeigen würde. Sie seufzte, bevor sie ihren eigenen Zettel noch einmal las und ganz unten anfügte:
„P.S.: Ich werde heute bei Harry übernachten“
Hoffentlich würde Ron sich später einmal für die sturmfreie Bude revanchieren, dachte sie. Hermine hoffte innig, dass Harry nicht anderweitig beschäftigt wäre, denn ansonsten müsste sie sich nach einem anderen Platz zum Schlafen umsehen. Vor einiger Zeit hatte Ron erwähnt, dass beide sich eine eigene Wohnung suchen sollten und so fasste Hermine den Entschluss, erst einmal in der Winkelgasse einige Tageszeitungen mit entsprechenden Annoncen zu besorgen.
In einem kleinen Shop wählte sie drei Zeitungen: „Der Tagesprophet“, „Die Morgeneule“ und „Die Muggelpost“. Sie machte einen kleinen Abstecher in die Muggelwelt, um sich einen Becher Eis zu besorgen, den sie mit einem Kältezauber belegte, bevor sie vor die Tore von Hogwarts apparierte. Sie wollte jetzt unbedingt mit Harry reden, mit ihm gemütlich frühstücken und sich von ihm trösten lassen, doch nachdem sie an seine Tür geklopft hatte, öffnete Wobbel ihr und erklärte, dass Harry noch schlafen würde, weil er eine anstrengende Nacht gehabt hätte. Sie nickte verständnisvoll und starrte noch einen Moment auf die Tür, die Wobbel wieder geschlossen hatte. Sie wusste nicht, was sie jetzt unternehmen sollte. Sie hatte Hunger, aber sie konnte doch nicht so einfach in die große Halle gehen. Flitwick wäre sicherlich dort und würde sich womöglich wegen der Bisswunde erkundigen und das im ungünstigsten Fall vor allen Schülern. Andererseits, dachte Hermine, würde er das nicht tun, denn etwas mehr Feingefühl sprach sie ihm letztendlich doch zu.
Sie könnte ja mal heimlich einen Blick in die große Halle werfen, um zu sehen, wer schon am Tisch sitzen würde und so verwirklichte sie ihre Idee. Die Tür zur großen Halle lehnte nur an, so dass sie durch den Spalt den Tisch vorn sehen konnte. Sie betrachtete die Anwesenden: zwei Schüler, ein gertenschlanker Lehrer, den sie nicht kannte, Madam Hooch und Professor McGonagall. Weit und breit kein Flitwick und kein Snape. Hermine stählte ihre Nerven, indem sie die Augen schloss und tief ein- und ausatmete, bevor sie die Tür weiter öffnete und hindurchschritt.
Während sie den ganzen langen Weg bis nach vorn zum Frühstückstisch ging, hatte sie bereits die Aufmerksamkeit aller Anwesenden erhalten, die ihr ab und an einen Blick zuwarfen, jedoch warteten, bis sie am Tisch angelangt war, um das Wort an sie zu richten. Die beiden Schüler, ein Junge und ein Mädchen, grüßten knapp als Erste mit einem fröhlichen „Hallo“, bevor Professor McGonagall freudestrahlend ihren Platz verließ, um ihre ehemalige Schülerin persönlicher zu empfangen.
„Miss Granger! Schön, Sie wiederzusehen. Man sieht Sie ja kaum, obwohl Sie fast jeden Tag hier sind. Setzen Sie sich doch neben Professor Svelte“, schlug Professor McGonagall formell vor, denn nur aufgrund der anwesenden Schüler nannten sie sich nicht wie üblich beim Vornamen.
Professor Svelte zeigte seine guten Manieren und erhob sich von seinem Stuhl, um Hermine zu begrüßen, bevor er ihr den Stuhl neben sich anbot, indem er ihn hervorzog. Nachdem sie sich gesetzt hatte, nahm auch er wieder Platz.
Nach einem Smalltalk mit Minerva und Rolanda richtete Professor Svelte das Wort an Hermine und sie kamen prächtig miteinander aus, als sie so locker miteinander redeten. Es stellte sich heraus, dass Professor Svelte das Fach für die „Pflege magischer Geschöpfe“ ab Montag unterrichten würde, weil Hagrid der Meinung war, er wäre als Wildhüter und Hüter der Schlüssel von Hogwarts genügend ausgelastet. Hermine würde es niemals laut aussprechen, aber Hagrid hatte sich in ihren Augen als Lehrer nicht wirklich geeignet. Sicherlich war er immer nett gewesen, aber sie hatten einfach zu wenig Lernstoff verarbeitet, worüber sich Ron und Harry natürlich nie beschwert hatten.
Während Professor Svelte von magischen Tieren sprach, denen er schon einmal begegnet war, nutzte sie die Zeit, um ihn etwas genauer zu betrachten. Er war nicht nur sehr grazil und wirkte vornehm, er war auch noch gebildet und in ihren Augen gutaussehend. Sein Alter schätzte sie ähnlich wie das von Snape und Sirius, nämlich etwas über vierzig. Sein längliches Gesicht mit den hervorstehenden Wangenknochen ließen ihn edel wirken und sie fand es besonders niedlich, wenn sein hellbraunes Haar ihm über die Augen fiel. Er hatte wohl ein ähnliches Problem mit seinem Schopf wie Harry, denn die Haare waren sehr wirr und sie schienen unbändig.
„Miss Granger?“, fragte er. Sie fühlte sie ertappt, denn sie hatte ihm schon lange nicht mehr zugehört.
„Ähm, was hatten Sie bitte zuletzt gesagt?“, fragte sie verschämt.
„Ich fragte nur, ob Sie Haustiere haben. Haben Sie welche?“, wiederholte er lächelnd.
„Nein, nicht mehr. Ich hatte einen Kniesel-Mischling, aber der war schon sehr betagt, als ich ihn gekauft hatte. Da war er schon zwölf Jahre alt. Er ist mit achtzehn gestorben; ganz friedlich eingeschlafen“, sagte Hermine etwas traurig.
„Ich habe doch hoffentlich keine schlimmen Erinnerungen wachgerufen?“, fragte Professor Svelte bekümmert, doch Hermine rang sich ein Lächeln ab und schüttelte den Kopf.
Krummbein hatte ein erfülltes Leben gehabt und er hatte nicht leiden müssen, als er diese Welt verließ, was ihr den Abschied wesentlich erleichtert hatte. Danach hatte sie zwar mit dem Gedanken gespielt, sich nochmals einen Kniesel oder eine Knieselmischling zuzulegen, doch bisher hatte sie es nicht in die Tat umgesetzt, selbst wenn Arabella Figg ihr mehrmals ein Tierchen ans Herz hatte legen wollen.
Nach dem sättigenden Frühstück und der angenehmen Begegnung mit Professor Svelte machte Hermine sich auf in die Bibliothek, um noch in dem Buch „Die Seelen der Farben“ zu lesen. Harry hatte gestern ganz Recht gehabt, dass sie überwiegend wegen Snapes veränderter Augenfarbe darin gelesen hatte, aber aus einem unerfindlichen Grund hatte sie es nicht zugeben wollen.
„Hermine!“, rief plötzlich eine ihr bekannte Stimme. Harry konnte von Glück reden, dass Madam Pince die Bibliothek noch nicht wieder in ihre Gewalt gebracht hatte, denn lautes Rufen war hier verboten. „Hermine!“, sagte er aufgeregt atmend, als er bei ihr angekommen war. „Ron hat gesagt, dass du wahrscheinlich hier sein wirst.“ Er stellte sich an ihren Tisch und sagte grinsend: „So so, du übernachtest heute also bei mir. Wusste ich davon?“ Noch bevor sie antworten konnte, überbrachte er ihr die wichtigste Nachricht des Tages: „Ginny hat heute Nacht ihr Kind bekommen!“
„Nein, wirklich? Das ist ja... Ist denn auch alles in Ordnung?“, fragte sie besorgt, bevor ihre Begeisterung aus ihr herausbrechen könnte. Nachdem Harry genickt hatte, schrie auch sie vor Freude: „Das ist ja fantastisch. Oh, ich freu mich für sie!“
Harry setzte sich ihr gegenüber und sagte lächelnd: „Ich wollt’s dir sofort sagen. Ron hat mich kontaktiert und mir Bescheid gegeben, dass es ein Junge ist.“
Sie grinste nur zurück und sagte verschmitzt lächelnd: „Warum habe ich nur das Gefühl, dass Rons Neuigkeit für dich keine Neuigkeit mehr war?“
„Dir kann man nichts vormachen oder? Na ja, ich weiß es aber nicht von meinem Elf. Severus hat’s mir gesagt!“, erklärte er flüsternd.
Sie machte große Augen und entgegnete: „Das hätte er gar nicht gedurft, das weißt du!“
Selbst wenn sie wussten, dass sie Ginny nicht besuchen durften, obwohl besonders er sie so gern umarmen wollte, gingen Harry und Hermine in den ersten Stock hinauf, um vielleicht Poppy abfangen zu können, damit sie die Glückwünsche übermitteln konnte. Ginny lag jetzt nach der Geburt in einem anderen, viel kleineren, aber dafür komfortableren Zimmer. Im Vorzimmer angelangt hörten sie bereits eine Menge Stimmen hinter sich, die sich näherten und gleich darauf kamen bereits die ersten Weasleys um die Ecke.
„Fred, George. Hi!“, grüßte Harry salopp. In nur wenigen Minuten hatten sich alle aufgeregten Weasleys im Vorraum zu Ginnys Krankenzimmer versammelt. Ganz zum Schluss kam Ron und natürlich war auch Angelina mit dabei. Die Zwillinge standen bei Harry und machten Scherze; nannten ihn „Onkel Harry“. Hermine musste mit ansehen, wie Angelina und Fred sich mit einem vertrauten Kuss auf den Mund grüßten, was Ron offenbar missfiel, doch als er selbst bemerkt hatte, dass er Hermine ja genauso begrüßte, da verflüchtigte sich seine Eifersucht.
Niemand bemerkte, wie Severus den Trubel aus einer dunklen Ecke heraus beobachtete.
Molly kam auf Harry zugestürmt und sie umarmte und drückte ihn an sich, als wäre er der Vater des Kindes, während sie sagte: „Harry, mein Lieber. Lass dich umarmen! Hach, ich bin ja so aufgeregt…“
Nicht weniger aufgeregt war Arthur, der von Fred und George jetzt nur noch „Opa“ genannt wurde und er freute sich sogar über diese Bezeichnung, die er leise und grinsend für sich selbst wiederholte. Keiner seiner Söhne hatte es bisher geschafft, ihn zum Großvater zu machen. Poppy kam aus Ginnys Zimmer heraus und sagte, sie alle müssten sich noch etwas gedulden, so dass sich kleine Grüppchen bildeten, die sich aufgeregt über den bevorstehenden Besuch von Mutter und Kind freuten. Harry wollte so gern dazugehören und Ginny besuchen, aber das war nicht möglich und so freute sich einfach mit den Weasleys mit. Es schien, als hätte sich das breite Lächeln in sein Gesicht eingebrannt.
Die Zwillinge, Ron und Angelina standen die ganze Zeit über bei Harry und Hermine. Hermine blieb ungewöhnlich stumm und lächelte höflichkeitshalber die ganze Zeit, hielt sich aber sehr im Hintergrund, während sie abwechselnd Angelina eifersüchtige Blicke zuwarf oder zu den anderen Weasleys hinüberschaute.
Erneut kam Poppy heraus, die nun die Weasleys hereinbat und schon prophylaktisch schimpfte, dass es bei der Menge an Besuchern unbedingt notwendig sein würde, die Lautstärke zu drosseln. Derweil hatte sie Fred und George streng angeblickt, als würde sie darüber nachdenken, bei den beiden eine Taschenkontrolle durchzuführen, um potenzielle Feuerwerkskörper zu beschlagnahmen.
Nach alle seinen Brüdern Ron wollte in das Krankenzimmer gehen und Harry bemerkte, dass er Angelina mit hineinnehmen wollte, weshalb er verdutzt fragte: „Was denn, sie darf mit rein?“
Ron druckste verlegen drumherum, doch Angelina nahm ihm die Antwort ab und sagte geradeheraus: „Wir sind jetzt verlobt, deshalb darf ich mit reingehen!“
’Das ging aber schnell!’, dachte Harry verdutzt. Die beiden waren verlobt, was bedeutete, dass Angelina nun zur Familie gehörte. Harry bemerkte nicht, wie Hermine bei der Neuigkeit kräftig schlucken musste und das Zittern ihrer Unterlippe mit einem Lächeln zu vertuschen versuchte, denn in seinem Kopf legte sich ganz plötzlich ein Schalter um.
Er stürmte zur leicht geöffneten Krankenzimmertür hinüber und Poppy zog schon ihren Zauberstab, um ihn aufzuhalten, da rief Harry so laut er konnte, damit er durch die vielen Weasleys in dem Zimmer überhaupt zu hören war, durch den Türspalt hindurch: „GINNY, WILLST DU MICH HEIRATEN?“
Schlagartig verstummten die Stimmen der Großfamilie im Krankenzimmer, so dass man Ginnys schwächliche Stimme antworten hörte: „Na klar!“
Poppy steckte ihren Zauberstab wieder weg und nickte Harry einmal befürwortend zu, so dass er die Tür weiter öffnete und noch vor Ron und Angelina das erste Mal mit offizieller Erlaubnis das Krankenzimmer betrat. Molly weinte wegen des überraschenden Heiratsantrages bereits Krokodilstränen, während Harry durch die Schneise schritt, die sieben Weasleys für ihn erstellt hatten, so dass er ohne Hindernisse bis nach vorn an Ginnys Bett gehen konnte, neben dem eine kleine Wiege stand. Zu seinem breiten Lächeln formten sich Freudentränen in seinen strahlenden Augen. Harry näherte sich ihrem Bett und bemerkte, dass er momentan genauso aussehen musste wie sie, denn auch sie lächelte und weinte gleichzeitig. Als sie ihre Arme nach ihm ausstreckte, war er mit einem Satz an ihrem Bett und drückte sie an sich. Molly musste daraufhin so laut weinen, dass Arthur seine Arme um sie schlang und sie mit streichenden Bewegungen über ihren Rücken tröstete.
Hermine stand noch immer in dem nun stillen Vorraum zu Ginnys Zimmer und wurde sich mit einem Schlag wieder über eines bewusst: Sie war allein. Selbst Harry war jetzt nicht mehr bei ihr. Er durfte zu Ginny und auch Angelina durfte zu Ginny, aber sie blieb vergessen vor der Tür stehen. Leise zitierte sie ein Hinweisschild, welches nicht gerade selten in der Muggelwelt gesehen werden konnte, indem sie murmelte: „’Wir müssen draußen bleiben!’“ Ohne dass sie etwas dagegen tun konnte, verzerrte sich ihr Gesicht und ein Schluchzer entwich ihr, doch mit einer Hand, die sie über Mund und Nase legte, konnte sie sich wieder beruhigen. Es durfte ihr nicht so viel Schmerz bereiten, denn sie hatte doch alles richtig gemacht, dachte sie. Sie hatte Ron gehen lassen, weil es das Beste für beide gewesen war, aber das war keine Erklärung dafür, warum es ihr jetzt so wehtat; warum das Alleinsein so schmerzte.
Sie schluckte erneut, bevor sie mit gesenktem Haupt zum Ausgang schlenderte, als sie nach einigen Metern plötzlich schwarze Schuhe vor sich wahrnahm und erschrocken aufblickte. Professor Snape stand an die Wand gelehnt und betrachtete sie mit ausdrucksloser Miene. Da ihr nicht nach einem Gespräch war, grüßte sie ihn im Vorbeigehen lediglich mit einem Kopfnicken, während sie sich fragte, was er hier zu suchen hatte.
Niedergeschlagen setzte Hermine ihren Weg mit schwerfälligen Schritten fort und sie hörte hinter sich, wie die Tür von Ginnys Zimmer erneut geöffnet wurde. Einen Moment später hörte sie Poppys Stimme freundlich sagen: „Ah, da sind Sie ja, Severus. Ich brauche Sie ab heute nicht mehr. Danke für Ihre Hilfe!“
„Nichts zu danken, Poppy.“
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